Margret Kreidl «Hausübungen», Plattform Gegenzauber

Hausübung

Ein Bild ist kein Vergleich. Schreib diesen Satz
auf den Küchentisch. Dann stell eine rote Tulpe
in eine langhalsige Vase. So wird das Licht
nach oben brennen.

Hausübung

Ein Fenster ist keine Tür. Denk über diesen Satz
vor dem Einschlafen nach. Wenn der Wecker läutet,
steh auf. So wirst du vom Hundertsten ins Blaue
kommen.

Hausübung

Ein Stuhl ist kein Auto. Mach aus diesem Satz
ein Gedicht mit vierzehn Zeilen. Lern es auswendig.
So wirst du immer einen Parkplatz finden.

Hausübung

Ein Tisch ist kein Fisch. Sag diesen Satz
im Stehen. Dann wasch dir die Hände.
So wirst du begreifen, was der Fall ist.

Hausübung

Eine Melone ist keine Melone. Wiederhole diesen Satz
hundertmal. Dann trink langsam ein Glas Leitungswasser.
So wirst du die Kerne vergessen.

Hausübung

Rotwein ist kein Orangensaft. Übersetze diesen Satz
ins Französische. Dann putz dir die Zähne. So wirst du
verstehen, was eine Flasche ist.

Hausübung

Eine Frau ist kein Mann. Schau diesen Satz
so lange an, bis du müde wirst. Dann leg dich
ins Bett. So wirst du wieder zum Kind.

(Margret Kreidl, Hausübungen, aus: Jahrbuch der Lyrik 2019, Hg. von Christoph Buchwald und Mirko Bonné, Schöffling Verlag, 2019)

Margret Kreidl performt am 30. August zusammen mit dem Musikduo Stories Texte im Kultbau St. Gallen. Der Abend beginnt um 20 Uhr. Mehr Infos unter kultbau.org.

Margret Kreidl lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Veröffentlichungen, zuletzt: «Einfache Erklärung. Alphabet der Träume», Edition Korrespondenzen Wien 2014. Theateraufführungen, zuletzt: gemeinsam mit Marlène Saldana und Jonathan Drillet: «Grinshorn et Wespenmaler. drames patriotiques», hTh Montpellier 2016. Im Frühjahr 2017 erschien in der Edition Korrespondenzen, Wien: «Zitat, Zikade. Zu den Sätzen» und 2018 beim Berger Verlag «Hier schläft das Tier mit Zöpfen».

SRF: Raoul Schrott erklärt Margret Kreidl

„Hier schläft das Tier mit Zöpfen“

Margret Kreidl: Zettel, Zitat,Ding – Gesellschaft im Kasten

«Sprachsalz» Internationale Literaturtage Hall im Tirol mit literaturblatt.ch

Die AutorInnen der 17. Auflage der Internationalen Literaturtage Sprachsalz (6. – 8. September 2019) erzählen von monströsen Realitäten, über das leise Unglück, aussergewöhnliche Freundschaften und zeigen ein berauschendes Panoptikum unserer Wirklichkeit: Neben Vladimir Sorokin, Elke Heidenreich, Zoltán Danyi, Philipp Weiss, Durian Sukegawa, Lorenz Langenegger und Marie Modiano kann man sich auf viele weitere internationale literarische Stimmen freuen.

Zu Gast ist in diesem Jahr Vladimir Sorokin, der seine Kritik am politischen System Russlands mit den Mitteln der Satire in Erzählungen über irrwitzige und oft dystopische Welten übersetzt. Sein aktueller Roman „Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs» (Kiepenheuer & Witsch) ist eine bitterböse Abrechnung mit dem Literaturbetrieb, dessen Angriffen der russische Schriftsteller und Dramatiker selbst bereits ausgesetzt war. (Eine Rezension auf literaturblatt.ch folgt.)

Dass Krieg für die Betroffenen nie enden kann, stellt der Autor Zoltán Danyi, Angehöriger der ungarischen Minderheit in Serbien, in seinem zorniger Romanerstling „Der Kadaverräumer“ (Suhrkamp) eindrucksvoll unter Beweis.
Wer ist dieser Erzähler, der in einem reißenden Redestrom zwischen den traumatischen Schauplätzen seines Lebens hin und her taumelt? Ist er Opfer, Täter? Oder einfach Überlebender des Jugoslawienkrieges?

Philipp Weiss – Rauriser Literaturpreisträger 2019 – macht in seinem umjubelten fünfbändigen Romandebüt über Fortschritt und die drohende Selbstzerstörung der Menschheit die Komplexität der Welt, in der wir leben, erzählbar. Fünf Bücher, eine Enzyklopädie, eine Erzählung, ein Notizheft, eine Audiotranskription und ein Comic (jener gezeichnet von Raffaela Schöbitz). Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen (Suhrkamp) heisst das Panoptikum, das Konvolut an Texten, Illustrationen, Berichten, Zeichnungen. 1000 Seiten, von denen der Autor Philipp Weiss meint, es gäbe keinen Anfang, an dem man mit der Lektüre beginnen müsse, weder eine chronologische, oder sonst logische Linie, der man folgen müsse. „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“ ist eine literarische Welt, in die man abtauchen kann, die übersprudelt von Ideen, Querverweisen, sprachlicher Vielfalt, Überraschungen und optischem Genuss.

Die literarischen Miniaturen „Alles kein Zufall“ (Hanser) der Schriftstellerin, Literaturkritikerin, Kabarettistin und Journalistin Elke Heidenreich sind eine Liebeserklärung an das Leben mit all seiner Tragik und Schönheit und amüsante und kluge, traurige und komische Geschichten, in denen man sich wiedererkennen kann – und die dann zusammenwachsen zu einem einzigen Roman jedes unwiederholbaren Lebens

In seinem küchenphilosophischen Roman „Kirschblüten und rote Bohnen“ (Dumont) erzählt der japanische Schriftsteller, Schauspieler, Punkmusiker und Moderator Durian Sukegawa die Geschichte einer besonderen Freundschaft und über den Glauben an die kleinen Dinge des Lebens – melancholisch, ohne sentimental zu werden, berührend, ohne kitschig zu sein. In Kooperation mit dem Leokino Innsbruck ist die gleichnamige preisgekrönte Verfilmung von Naomi Kawase im Rahmen des Festivals zu sehen.

In seinem im August erscheinenden „Jahr ohne Winter“ (Jung und Jung) begleitet der in Wien lebende Schweizer Autor Lorenz Langenegger seinen liebenswerten Alltagshelden Jakob Walter erneut bei einem Abenteuer wider Willen, das ihn diesmal nach Australien führt: Einmal mehr ein feinsinniger Roman mit präzisem Blick für kleine Risse im zwischenmenschlichen Glück.

Die französische Singer-Songwriterin und Autorin Marie Modiano liest aus ihrem bildgewaltigen Reisebuch „Ende der Spielzeit“ (Edition Blau, Rotpunkt) über ein Leben, das aus den Fugen geriet: Sie verwebt in ihrem autofiktionalen Roman das unbehauste Dasein einer jungen Künstlerin, die erstmals die Härten des Theaterbetriebs zu spüren bekommt, mit dem Widerhall einer frühen, tiefen Liebe. (Rezension auf literaturblatt.ch)

Patrick Tschan «Der kubanische Käser», Zytglogge, Gast in Amriswil

Noldi Abderhalden, den ein schauderhafter Rausch aus seinem geliebten Toggenburg (Tal in den Schweizer Voralpen) 1620 in die Hände von Söldnern trieb, wird durch Zufall ein Kriegsheld. Aber statt auf seinen Lorbeeren auszuruhen und ein Leben lang von diesem einen, glorreichen Moment zu profitieren, schwemmt ihn sein Verlangen nach mehr bis in ein abgelegenes Tal auf Kuba, wo er die Zeit seines Dienstes für die Krone aussitzen muss.

In Europa tobt der Dreissigjährige Krieg. In manchen Gegenden dezimiert er zusammen mit Seuchen, Armut und Hunger die Bevölkerung um mehr als die Hälfte. Ein jahrzehntelanges Gemetzel, bei dem es vordergründig um den rechten Glauben geht, aber eigentlich nur um Macht, Besitz und Geltungssucht, ein Morden, das bis in die entferntesten Winkel vordringt und das Antlitz Europas für immer grundlegend verändert.

Anwerber der Spanischen Armee streifen durch die Lande und suchen nach Frischfleisch für den Kampf gegen den Protestantismus. In einer eisigen Winternacht, in der Noldi Abderhalden seinen Liebeskummer im Schnaps zu ertränken versucht, setzt er sturzbetrunken sein Zeichen unter einen Vertrag, wird als Sechzehnjähriger mitgenommen, um irgendwo und überall im Namen des richtigen Glaubens Köpfe rollen zu lassen. Nach Ausbildung, Drill und Entjungferung rettet er in einer Schlacht das Leben seines Kommandanten Gómez Suárez de Figueroa, schlägt eine dahersirrende Kanonenkugel mit blossen Fäusten aus seiner tödlichen Bahn, wird zum umjubelten Held, gelangt bis an den Hof des Königs, wo er aber wegen seiner unstillbaren Lebenskraft und Leidenschaft für Jahrzehnte in die spanische Kolonie Kuba verbannt wird, um dort eine Hand voll Schweizer Kühe zur Herde werden zu lassen.

Noldi Abderhalden erwacht zu spät, mehr als einmal. Aber Noldi Abderhalden ist es gewohnt, in die Hände zu spucken und die Dinge anzupacken. Er sitzt seine Zeit nicht einfach ab, sondern mausert sich auf der anderen Seite der Welt zum Züchter, Käser und Geschäftsmann. Sogar das Donnerrollen, das aus seinen Lenden zu stammen scheint, bekommt er in den Griff, lernt Liebe kennen und das Glück des Tüchtigen. Nur die Sehnsucht nach dem kleinen Tal zwischen Säntis und Churfirsten lässt sich nie ganz zähmen, ob im Geschmack seines Käses oder nach dem Verstreichen seiner besiegelten Pflicht.

Patrick Tschan ist gelungen, was er wirklich kann. Er mischt Historie mit Fiktion, würzt mit Humor und träfer Sprache, heizt ordentlich mit schnoddriger Schärfe und fast südamerikanischer Erzählfreude und formt eine Geschichte, die in eidgenössischer Literaturlandschaft seinesgleichen sucht. Der Roman strotzt vor Helvetismen, es wird gewettert (gleich mehrdeutig) und geflucht, dass es eine Freude ist. Ob ‹Heilandsack›, ‹huere Feigling› oder spanisch ‹Me cado en la lache!‘, Patrick Tschan erzählt nicht zimperlich. Mehr als einmal bebt das Zwerchfell während des Lesens, mehr als einmal überrascht Patrick Tschan durch das Tempo in seinem Erzählen. Schon einmal war der Ursprung eines Tschan’schen Abenteuers das kleine Toggenburg im Kanton St. Gallen. Damals war es im Roman „Polarrot“ Jack Breiter, der zuerst als Heiratsschwindler in St. Moritzer Hotels sein Glück versucht und später den Nazis das Polarrot für ihre Fahnen hektoliterweise verkauft. Noldi Abderhalden, der mit zwölf durch ein Unglück zusehen muss, wie seine Eltern sterben müssen, ist das, was man ein «Stehaufmännchen“ nennt, Archetyp dessen, was den einen oder andern auch in der Gegenwart an der Gerechtigkeit zweifeln lässt. Was die Geschichte so sehr lesenswert macht, ist dieser ganz eigene Ton, den Tschan für seine Heldengeschichte trifft. Ein Roman mit grossen Händen, starken Oberarmen und markigen Sprüchen!

Am 29. Mai, 2019, bringt Patrick Tschan seinen neuen Roman „Der kubanische Käser“ an die St. Gallerstrasse 21 in Amriswil. Wer das Buch bis zu diesem Datum gelesen hat und mit Schriftsteller und Gästen diskutieren und austauschen will, ist mit Anmeldung (info@literaturblatt.ch) herzlich bei Irmgard & Gallus Frei-Tomic eingeladen. Die Runde beginnt um 19 Uhr, dauert bis ca. 21 Uhr und kostet inkl. Speis und Trank 30 Fr.

Ein paar Fragen an Patrick Tschan:

Schon in deinem Roman „Polarrot“ fragte ich mich, wie der Mann aus Allschwil bei Basel an seine Geschichten kommt, die nun schon ein zweites Mal im Toggenburg, das so weit weg vom Nabel der Welt scheint, seinen Ursprung haben? Liegen dort die besseren Geschichten als in der Stadt Basel? Oder braucht es einen dicken Nacken, der all das tragen kann, was deinen Protagonisten in die Quere kommt?
Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Bei Breiter könnte es sein, dass der vorlagegebende Onkel aus dem Thurgau kommt und dies für eine Romanfigur nicht unbedingt eine literaturgeschwängerte Region ist. Und so fiel mir das Toggenburg mit seinem «Armen Mann» ein. Beim Abderhalden war die interessante konfessionelle Konstellation im Toggenburg interessant. Und ein Ort, wo die Berge Frümsel, Hinterrugg, Chäserrugg, Leistchlamm, Brisi oder Schafsberg und Alpen Chüeboden, Vrenechele, Obere und Untere Schnebere oder Chreialp heissen, der schreit geradezu als literarische Kulisse verwendet zu werden.

Neben den Ortsbezeichnungen sind es aber vor allem Flüche und Kraftausdrücke, die du in deinem Roman zu einem Mantel Abderhalden werden lässt. Abderhalden, der Käser aus dem Toggenburg, schlägt sich zwar wacker im Dreissigjährigen Krieg, ist aber alles andere als ein Schläger oder Grobschlächtiger. Seine Flüche, seine Jodler sind wie die Türme seiner eigentlich so sehr gebeutelten Seele. Flüche als eine Art der Befreiung? Liest man deine im Roman verwendeten Flüche, dann sind sie Banner der Verbildlichung innerer Zustände, so ganz anders als die Flüche heute, die ausgerechnet eine Ausdrucksform der Liebe in den Dreck ziehen. War da pure Lust oder auch ein bisschen Rehabilitation jener Kraftausdrücke, die Leiden-schafft?
Wohl beides. Ein Noldi Abderhalden ist nicht einer, der sich hinsetzt und sein Verhältnis zu Gott, der Welt, der Liebe und den Frauen reflektiert, dies dann den Lesenden fein säuberlich mitteilt. Das wäre berichtet statt erzählt und somit langweilig. Also jodelt und flucht Noldi, wenn seine Gefühlswelt wieder mal derart von Gott, der Welt, der Liebe und den Frauen durcheinandergeschüttelt wird, dass er nicht mehr weiss, ob die Chreialp wirklich da oben ist und der Chässerugg nicht in den Walensee gefallen ist. Ja, und die alten Flüche sind wahrlich eine Lust, stecken doch eine Menge überlieferter lokalgefärbte Gefühls- und Glaubenswelten in ihnen, Heilandsack!

Der dreissigjährige Krieg, wohl einer der vernichtensten Kriege gemessen an der damaligen Bevölkerung, ist der Grund dafür, dass Noldi Abderhalden gegen Bezahlung für 10 Jahre in den Dienst der Spanischen Krone in Schlachten zog. Kriege, die an Brutalität kaum zu überbieten waren. Er ist Schauplatz seiner und deiner Heldengeschichte. Eine Heldengeschichte, die wie alle Heldengeschichten nicht nach Wahrheitsgehalt gemessen werden kann und soll. Wir brauchen sie. Je verrückter, desto wirkungsvoller. Und weil die Literatur alles darf, ist sie der ideale Ort, um Heldengeschichten zu produzieren. Literatur als «Opium für das Volk»?
Leider rauchen viel zu wenige aus dem Volk diese Art von Opium. Obwohl: ein paar gute Geschichten gut erzählt wären wohl für viele Wunden heilsamer als mutlose, nach Aktualitäten schielende Mainstream-Berichte.

Wenn erzählt wird, sind es die Momente, in denen Brüche entstehen, die bannen. Noldi verliert als Kind seine Eltern, muss der Katastrophe zuschauen. Im Krieg ist er es, der im Moment eingreift, etwas aus der logischen Konsequenz buxiert. Das, was ihm als Kind damals unmöglich war. Manchmal sind wir zum reagieren verdammt, manchmal gelingt es uns zu agieren. Noldi ist in deinem Roman einer, der es in die Hand nimmt. Das braucht es in einer Welt, in der sich alle so schnell stets als Opfer sehen. Richtig?
Das hast Du wunderbar gesagt, mit den Brüchen. Am besten sind sie dann, wenn sie aus der Figur kommen. So wirkt jedes Klischee weniger klischeehaft. Der Noldi nimmt ja erst in Kuba sein Leben in die Hand; mit dem Entschluss zu käsen. Vorher hätte er viele Gründe gehabt, sich selbst zu veropfern. Aber dieses gibt es in der Manstream-Gegenwartsliteratur ja genug. Das ist auch nicht spannend, das berichtet und erzählt nicht.

Vielen Dank und deinem Buch die verdienten Leserinnen und Leser!

Patrick Tschan, 1962 in Basel geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie, führte in zahlreichen Theaterstücken Regie und ist seit vielen Jahren in der Werbung und Kommunikation tätig. Er ist Präsident der Schweizer Schriftsteller-Fussballnationalmannschaft. Zuletzt erschienen von ihm die Romane «Keller fehlt ein Wort» (2011), «Polarrot» (2012),»Eine Reise später» (2015) bei Braumüller. «Der kubanische Käser» ist sein erstes Buch bei Zytglogge.
Beitragsbild © Gallus Frei-Tomic
8. Literaturblatt

Beat Brechbühl an den Solothurner Literaturtagen 2019

Am 28. Juli 2019 wird Beat Brechbühl 80. Die 41. Solothurner Literaturtage feiern ihn als Dichter, Schriftsteller, Typograph und Verleger, als kreativen Geist und Initiator zahlreicher kultureller Projekte.

Das übliche Gehetze, so doof
Da wollte ich ein
einziges winziges Mal in diesem Jahr
mit mir gemütlich sein
und einen halben Abend (fast 3 Stunden) lang
nichts tun,
nur für mich was kochen, die
Seele und den Körper baumeln lassen, und
vielleicht einen Krimi –
da! bei ein bisschen Wein und Fernsehen:
schlaf ich ein, drei volle, gar traumlose, Stunden lang – ich
Trottel

(aus «Flügel der Sehnsucht – Alte und neue Gedichte» im Wolfbach Verlag)

Beat Brechbühl wirkt und arbeitet seit Jahrzehnten in Frauenfeld. Mittlerweile in einem Kellergeschoss des Eisenwerks, in prallvollen Räumen, in denen das entsteht, was den Waldgut Verlag und die Bodoni-Blätter unverwechselbar macht; Hier riecht man das Drucken. Hier prägt sich der Druckstock noch ins Papier, hinterlässt die Letter noch eine regelrechte Spur. In einem Gewölbe voller Papier, Schubladen, Setzkästen und Regalen öffnet sich ein Kosmos, wenn man Beat Brechbühl und seine Arbeit, seine Wirkungsstätte, wenn man ihn in seinem geistigen Zuhause besucht. Er sprudelt und schwärmt. Und überall hängen Zeugnisse einer langen Vergangenheit, wichtiger Begegnungen.

«Ich bleibe ein Papiermensch.»

Höchste Zeit, dass sich die Welt der Buchstaben, der Lyrik, der Literatur bei Beat Brechbühl mit einer gebührenden Ausstellung beim Streiter für das Schöne und Gute (und zwar nicht nur im Scheinwerferlicht) bedankt. Wie viele Lyrikerinnen und Lyriker hätten ohne Beat Brechbühls unermüdlichen Einsatz nie eine Stimme bekommen oder man hätte sie im deutschsprachigen Raum rechtlos vergessen.

Das Künstlerhaus S 11 an der Schmiedengasse in der Solothurn zeigt vom 30. Mai bis 16. Juni auf vier Stockwerken eine Ausstellung, die unter dem Titel «Das Leben ist rund wie ein Dreieck» Beat Brechbühls vielfältiges Wirken vor Augen führt und erleben lässt.

Im Parterre wird eine Druckmaschine stehen, die in Brechbühls Atelier Bodoni zu Hause war, bis sie vor etlichen Jahren der Schule für Gestaltung Bern und Biel geschenkt wurde, die sie jetzt für die Ausstellung ausleiht, samt Personal. Hier kann ein Gedicht von Beat Brechbühl gedruckt werden.

In den oberen Stockwerken werden Handpressendrucke und Bücher aus dem Atelier Bodoni zu sehen sein. Zudem gibt es einen kurzen Stummfilm über das Atelier Bodoni und eine Dia-Schau zur 1992 von Beat Brechbühl gegründeten Handpressen-Messe, die 2018 bereits zum 14. Mal im Eisenwerk in Frauenfeld stattfand, mit rund 50 Ausstellern aus verschiedenen Ländern Europas.

Eine Lese-Ecke wartet auf LeserInnen, eine Hörstation mit Geschichten aus Beat Brechbühls beliebten Schnüff-Kinderbüchern auf HörerInnen jeden Alters.

Eine grosse Auswahl der bekannten Bodoni Blätter mit Texten teils berühmter, teils noch zu entdeckender AutorInnen wird zu sehen, zu lesen und auch zu kaufen sein: «Besser ein guter Text an der Wand als ein schlechtes Bild im Schrank», sagt Beat Brechbühl.

Weil ich nicht…

Weil ich nicht öffentlich reden kann
und im Live-Interview nicht viel tauge,
bin ich Schriftsteller geworden.

Weil ich nicht singen kann,
bin ich Lyriker geworden.

Weil ich nicht zeichnen und malen kann,
bin ich Gestalter geworden.

Weil ich eine charakterlose Handschrift habe,
bin ich Typograf geworden.

Weil ich nicht lügen kann,
bin ich Dichter geworden.

Weil ich nicht die Geduld habe,
dürftige Gedichte von andern zu lesen,
habe ich Lieblings-Dichterinnen und -Dichter;
nach dem Umzug nur noch ca. 4 Laufmeter.

Weil ich nicht immer höllisch aufpasse
und deshalb oft das wuchernde Leben verpasse,
habe ich Lücken in meiner elften Biografie;
in diesen Lücken wohnen meine Poetischen Tiere
und das himmlische Flugvolk. Alle machen sie
Kinder; es sind die letzten.

Anders gelaufen –
Weil ich nicht Englisch kann, geriet
ich gleich aus dem Kindergarten nach Italien, dort flog mir
ein Buchverlag entgegen, den ich später gründete,
und nun laufen mir seit 30 Jahren die Bücher anderer so hartnäckig
nach und davon, dass ich meine eigenen Bücher schreiben möchte und
ich möchte laufen auf meinen Füßen, und mit
dem Körper und Hirn. Trotzdem war ich noch nie
in Paris.

30.6.2012
© Beat Brechbühl, Frauenfeld

Zu hoffen ist, dass auch der Kanton Thurgau jenen Mann zu würdigen weiss, der ein Leben lang viel weiter sah als bis zum eigenen Tellerrand, der die Literatur zu einer ganz eigenen Mission machte und Frauenfeld für viele Autoren zu einem Angelpunkt ihres Lebens.

Beitragsfoto © Martin Stiefhofer

Anna Stern «Wild wie die Wellen des Meeres», Salis

Ava hat sich abgesetzt. Was formell ein Praktikum in einem schottischen Naturschutzgebiet ist, ist eigentlich die Insel, auf die sich Ava absetzen will, um ein neues Leben zu beginnen, all jene Fragen für sich zu beantworten, die die «untergegangene» Heimat nicht mehr beantworten konnte. «Wild wie die Wellen des Meeres» macht die Gischt spürbar, das Salz auf den Lippen, den Schmerz des Verlorenen und die Sehnsucht nach Liebe und Ordnung.

«Wild wie die Wellen des Meeres» ist ein Sedimentroman, der beim Lesen Schicht um Schicht freilegt, als sei ich der Archäologe, als würde ich die Stein gewordenen Wurzeln eines Lebens freilegen, Wurzelfaden um Wurzelfaden.

Ava ist schwanger, erfährt dies erst kurz bevor sie nach Schottland abreist. Aber sie reist trotzdem. Sie braucht Distanz zu einem Leben, dass sich in der Enge verkeilt hat. Distanz zu Paul, dem werdenden Vater, dem Mann, der nicht zu ihrem Mann an ihrer Seite werden kann, solange die Geister der Vergangenheit sie nicht in Ruhe lassen. Distanz zu ihrer Familie oder dem, was davon übrig geblieben ist, dem Tod ihrer Mutter, dem Unfall ihres Vaters und den Beinahekatastrophen um ihre jüngeren Geschwister. Distanz vor dem Gefühl, viel mehr als Heimat verloren zu haben. Distanz zu Therapie und Zwängen, aus denen sie sich nur selbst befreien kann.

Ich bin manchmal nicht ich, sagt Ava, es tut mir leid.

Die Feldstation des Reservats (Das Beinn Eighe National Nature Reserve) liegt unweit des kleinen schottischen Dorfes Kinlochewe an der Westseite des Landes mit Sicht auf Loch Maree. Ava will dort Ruhe finden, um einen Weg, vielleicht einen Ausweg zu finden. Gegen den Willen fast aller, trotz der Bedenken Pauls, ihres Freundes, der nicht verstehen will und kann, dass man Probleme gemeinsam lösen kann. Paul ist Polizist, daran gewöhnt und daraufhin geschult, dass man Probleme anpacken soll. Ava und Paul sind seit ewig ein Paar. Ava kam als junges Mädchen in Pauls Familie, ausgesiedelt aus einer Familie, der der Boden entzogen wurde. Paul, zuerst mehr ein grosser Bruder, acht Jahre älter, wird Vertrauter, Freund. Und als Ava Studentin wird, ziehen sie zusammen, in eine kleine Mansardenwohnung. Aber nicht nur die Wohnung wird Ava schnell zu eng. Es ist die Vergangenheit, die sich nicht abschütteln lässt, auch wenn Ava sich den Fragen verweigert.

Sorgen, sagt Ava, ich mag es nicht, wenn man mit Fesseln anlegt.

Ava kämpft. Sie kämpft mit sich und der Entscheidung, ob sie ihr ungeborenes Kind behalten kann oder nicht. Sie kämpft gegen die Geister aus der Vergangenheit, die selbst ihre Träume dominieren. Sie kämpft gegen die Liebe, weil sie ihr nicht traut, weil sie sich fürchtet, damit neuen Katastrophen Platz zu geben. Sie kämpft mit Fragen an Die Welt, ohne je eine Frage an sie selbst zuzulassen. Aber sie kämpft vor allem gegen sich selbst. Ein Kampf, der sie letztlich in Lebensgefahr bringt. Ava will in ihrer Enge Weite spüren, das Meer, dieses verlorenen Gefühl Everything is going to be alright.

Anna Stern schrieb einen facettenreichen Roman, bildstark, verspielt und mit grosser Sogwirkung. Ein Roman, der die Umweltwissenschaftlerin nicht ausklammert, voller Engagement für alles, was Leben bedeutet, für die grossen Fragen der Zeit und die ewig grossen Fragen des Menschseins, Fragen die Ava seit ihrer Kindheit an das Leben stellt. So wie Ava (Avis hiesst Vogel) mit zwei ungleich farbigen Augen sich weder der Vergangenheit noch der Zukunft stellt, so ungleich sind Lee und Luv ihres Lebens, von abweisender Kälte wie die Winde in Schottland bis irritierende Wärme wie unter der Decke zusammen mit Ava. „Wild wie die Wellen des Meeres“, eine Collage aus Realität und Traum, Songtexten und Briefen, Familienfotos und Polaroid-Bildern, Notizen und Erzähltem.

Anna Stern, geboren 1990 in Rorschach, lebt in Zürich. Studium der Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich. Seit 2018 Doktorat am Institut für Integrative Biologie. 2017 Teilnahme an der Kunstausstellung EAM Science Meets Fiction mit den Kurzgeschichten «Karte und Gebiet» und «Quecksilberperlen». 2014 erschien ihr erster Roman «Schneestill», 2016 «Der Gutachter», in dem Ava Garcia und Paul Faber zum ersten Mal auftauchen (beide Salis). 2017 folgte der Erzählband «Beim Auftauchen der Himmel» bei lectorbooks. Die Arbeit am neuen Roman wurde von der Pro Helvetia und dem Kanton St. Gallen mit Werkbeiträgen unterstützt.

Anna Stern liest an den Wortlaut-Literaturtagen 2019 in St. Gallen, vom 28. – 31. März. Moderiert wird die Lesung von Gallus Frei.

Webseite der Autorin

Beitragsbilder aus dem Roman, mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags. Vielen Dank! © Anna Stern (Titelbild: © Anna Stern, nach leagueoflostcauses.com)

L111 erstmals im Scheinwerferlicht

Joseph Zoderer wird 85. Andere sind dann alt. Zumindest in seinem Schreiben, in seinem Dichten ist es Joseph Zoderer nicht. Seine Lyrik ist eine glühend heisse Stimme. Die Stimme eines Mannes, der Jahrringe wie Schmuck um sich trägt, Geschichte, Wissen, Erfahrungen, tiefes Empfinden darin verborgen.

Vor einigen Tagen stand ich in einer kleinen Bar zwischen meinen Musikerfreunden Christian Berger und Domonic Doppler, der eine mit seinen Gitarren, der andere hinter seinem Schlagzeug. Zu dritt gaben wir dem vierten eine Stimme, dem Dichter aus Bruneck im Südtirol, dem nie alten Mann, der im kommenden November an einem Sonntag die Stadt St. Gallen besuchen wird, uns und die Stadt mit seiner Dichtung zu beschenken.

Der Abend in der kleinen B-Post-St. Gallen-St. Georgen war die Stimmung da hinein, ein weiterer Schritt in einem Abenteuer, auf einem Tauchgang in Sprachtiefen.
Es begann vor mehr als einem Jahr, als ich wusste, ich würde einen Sommer in Südtirol, in Meran verbringen. Ich würde Zeit haben zu schreiben. Ich deckte mich zu mit Stoff, wenn aus mir nichts gedeihen würde, suchte nach Stimmen aus der Gegend rund um Meran und stiess auf den Dichter, der in einer alten Fabrikantenvilla in Bruneck den Fäden seiner Sprache nachspürt.
Ich las Romane, Erzählungen und irgendwann auch seine Gedichte, die mich trafen wie ein sanfter Blitz, dessen Leuchten blieb, sich der Nachglanz seiner Sprache im Alltag nie ganz verlor.
Ich las seine Gedichte immer wieder, las sie vor, meiner Frau, meinen Freunden und irgendwann den beiden Musikern, bei denen sofort klar war, dass sie der Musik mehr als offen stehen.

Liebesgedichte eines alten Mannes, als wäre alle Liebe in ihm geblieben, voller Sehnsucht und Leidenschaft. Nichts spürbar von abgeklärter Müdigkeit, von vergeistigter Distanz, von sprachlichem Snobismus. Seine Sprachbilder formen mit der Musik der beiden Musiker Räume, die über den Text hinauswachsen.

Joseph Zoderer wollte im kommenden November mit Ariane von Graffenried, Wolfgang Herrmann und Thilo Krause und zusammen mit den Musikern Christian Berger (Gitarren) und Dominic Doppler (Schlagzeug) St. Gallen besuchen. Internationale Tage für Musik und Poesie im Theater 111, an der Grossackerstrasse in St. Gallen. Vier Veranstaltungen, die Lyrik auf ganz besondere Weise performen, vier Stimmen, die sich mit Musik vermählen. Leider ist Joseph Zoderer aber erkrankt und kann die Reise nicht antreten.

Für Joseph Zoderer reist die junge Schweizerin Michelle Steinbeck mit ihrem Gedichtband «Eingesperrte Vögel singen mehr» von Hamburg nach St. Gallen. Seien sie sicher, an diesem Sonntag schlägt Lyrik ein!

Reservieren Sie:
Sonntag, 10. November, 11h: Wolfgang Hermann
Sonntag, 17. November, 11h: Michelle Steinbeck
Donnerstag, 21. November, 20h: Ariane von Graffenried
Sonntag, 24. November, 11h: Thilo Krause

Daniela Krien «Die Liebe im Ernstfall», Diogenes

Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Fünf Frauen, fünf Leben, fünf Varianten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Leben zwischen Traum, Entwurf, Realität und Ernüchterung. Eingebetet in eine Gegenwart, die oft nicht dem entspricht, was hätte sein können. Ein Roman wie ein Teppich, dicht verwoben, kunstvoll konstruiert. Ein literarisches Soziogramm. Viel mehr als ein femininer Schicksalsroman.

Als Paula Ludger kennenlernte, wohnte sie schon Jahre mit Judith zusammen. Paula und Judith waren Freundinnen, obwohl sie schon als Teenager grundverschieden waren. Was durch nichts zu brechen war, schaffte die Heirat von Paula und Ludger. Eine Freundschaft zerbricht. Judith ist Ärztin und als „Unberührbare“ dauernd auf der Suche nach dem perfekten Mann. Eine Suche, die längst zum Selbstzweck geworden ist. 

Brida liebt Götz, den Mann, den nichts aus der Ruhe zu bringen scheint, den Fels. Brida ist Schriftstellerin und zerbricht an der Unmöglichkeit, jenes Leben zu führen, das ihr bestimmt sein muss. 

Malika ist die Schwester von Jorinde, die Verschmähte von Götz, die ungeliebte Tochter umtriebiger DDR-Intellektueller. Bis Malika ihre Schwester retten soll, bis sich die Spiesse zu drehen scheinen. Und Jorinde, der einst alles zu Füssen liegen schien, zieht der immer grösser werdende Spagat zwischen Pflichten und Berufung den Boden unter den Füssen weg.

Obwohl Daniela Krien in ihrem zweiten Roman „Die Liebe im Ernstfall“ die Geschichten der fünf Frauen hintereinander erzählt, sind alle Leben, alle Geschichten tief ineinander verflochten. Sie berühren sich nicht einfach wie bei einem Episodenroman, sondern füllen ein Pentagon weiblicher Lebensentwürfe, ein Spannungsfeld zwischen Anziehung und Abstossung, zwischen Liebe und Hass, zwischen eigenem Selbst und unergründlichem Gegenüber.

„Die Liebe im Ernstfall“ ist ein Roman über die Spielarten der Liebe, darüber wie viel Schmerz sich Liebe aufladen kann. Wie aus Liebe Schuld werden kann. Paula verliert ein Kind an den Folgen einer Impfung. Sie verliert Kind und Glück. Judith verliert auch ein Kind, mehr als eines und spürt die Schuld, die sich in ihr Leben schleicht. Brida verliert Götz und das Familienglück mit ihren zwei Kindern, ein Glück das unumstösslich schien. Malika verliert schon früh die Liebe ihrer Eltern, die Liebe ihrer Mutter. Und Jorinde den Platz, der ihr zugesprochen scheint. Liebe ist ein Gefühl. Und Gefühle sind nie in Stein gehauen, auch wenn sie übergross und übermächtig erscheinen.

Obwohl der Titel des Romans, die fünf Frauenleben nach Fallstudie riecht, ist Daniela Kriens Roman mehr als Liebesgeschichte, viel mehr als Fallstudie. Daniela Krien erzählt von fünf Frauen, die im ganz normalen Leben wirklich zu leben versuchen, nicht nur funktionieren und reagieren, sondern agieren. Aber aus Wunsch und Idee wird Krampf und Kampf. Daniela Krien erzählt von Sehnsüchten. Der Sehnsucht nach Liebe zu einem Gegenüber, einem Gegenüber, das versteht und jener Sehnsucht, sich selbst dabei treu zu bleiben. 

Daniela Krien, geboren 1975 in Neu-Kaliß, studierte Kulturwissenschaften und Kommunikations- und Medienwissenschaften in Leipzig. Seit 2010 ist sie freie Autorin, 2011 erschien ihr Roman «Irgendwann werden wir uns alles erzählen», der in 14 Sprachen übersetzt wurde. Ihr 2014 veröffentlichter Erzählband «Muldental» wurde 2015 mit dem Nicolaus-Born-Debütpreis ausgezeichnet. Daniela Krien lebt mit zwei Töchtern in Leipzig.

Daniel Krien liest aus ihrem Roman «Die Liebe im Ernstfall» am 11. Wortlaut Literaturfestival St. Gallen 2019, am Samstag, den 30. März! Weitere Informationen finden Sie auf wortlaut.ch! Moderation: Gallus Frei-Tomic

Beitragsbild © Sandra Kottonau

Ariane von Graffenried CH, Wolfgang Hermann A, Thilo Krause CH, Joseph Zoderer I

Nachdem die Reihe mit «junger CH-Literatur» im Januar nach wunderbaren Abenden mit Yaël Inokai, Arja Lobsiger, Dana Grigorcea, Julia Weber und Noëmi Lerch zu einem guten Ende kam, wird im kommenden Herbst eine neue Reihe im Theater 111 in St. Gallen über die Bühne gehen. Vier ganz unterschiedliche Dichterinnen und Sicher haben ihre Teilnahme zugesichert.

Ariane von Graffenried (1978) ist Autorin und  promovierte Theaterwissenschaftlerin, schreibt für die Bühne, fürs Radio, Zeitungen und die Wissenschaft. Sie ist Mitglied der preisgekrönten Autor*innengruppe «Bern ist überall». Seit 2005 tritt sie als Spoken-Word-Performerin mit dem Musiker und Klangkünstler Robert Aeberhard im Duo «Fitzgerald & Rimini» auf. Zuletzt erschien das Buch «Babylon Park» (2017), für das sie den Literaturpreis des Kantons Bern erhielt.
Von Graffenrieds Texte kippen vom Konkreten ins Poetische und zurück, mal Deutsch, mal English, mal Dialekt, sie ist eine Geschichtenerzählerin des Geheimen und Verborgenen, eine ebenso raue wie galante Berichterstatterin aus den Halbwelten des Mondänen, eine literarische Umgarnerin der provinziellen Unterwelt.

Thilo Krause geboren 1977 in Dresden, lebt in Zürich.  Abitur, Zivildienst als Pfleger, Studium des Wirtschaftsingenieurwesens in Dresden und London, Promotion an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, danach Forschungsbereichsleiter am Schweizerischen Bundesamt für Energie, bis 2015 Forscher an der ETH Zürich, aktuell beim Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz).
Seit 2005 literarische Veröffentlichungen in namhaften Zeitschriften (u.a. Akzente, Sinn und Form), Zeitungen (die ZEIT, Zürcher Tagesanzeiger, u.a.) und Anthologien. 2012 Schweizer Literaturpreis für den Debütband «Und das ist alles genug«, der 2015 in der französischen Übersetzung von Eva Antonnikov («Et c’est tout ce qu’il faut«) erschien. 2016 Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg und ZKB Schillerpreis für das zweite Buch: «Um die Dinge ganz zu lassen«. 2019 Peter-Huchel-Preis für den Band «Was wir reden, wenn es gewittert» (Edition Lyrik Kabinett im Carl Hanser Verlag).
Thilo Krause ist Mitglied im Verband Autorinnen und Autoren der Schweiz sowie im Literaturforum Dresden. Im Winter unterrichtet er Skilanglauf beim Firmensport Regionalverband Zürich (Bereich Nordisch).

Wolfgang Hermann wuchs in Dornbirn in Vorarlberg auf und studierte ab 1981 Philosophie und Germanistik an der Universität Wien. 1986 promovierte er mit einer Arbeit über Friedrich Hölderlin zum Doktor der Philosophie. Anschliessend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Wien. Seit 1987 ist er freier Schriftsteller. 1992 nahm er am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. Von 1996 bis 1998 arbeitete er als Lektor an der Sophia-Universität in Tokio.
Wolfgang Hermann schreibt Prosa, Lyrik, Theaterstücke und Hörspiele. Einige seiner Publikationen wurden in Englisch, Französisch, Spanisch, Schwedisch, Arabisch, Lettisch, Slowenisch, Japanisch, Koreanisch, Polnisch, Hindi übersetzt. Er ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.
Er verfügte über wechselnde Wohnsitze, wie in Nordafrika und auf Sizilien. Von 1987 bis 1990 lebte er in Berlin, danach in Paris und in Aix-en-Provence. Von 1996 bis 1998 hatte er ein Lektorat an der Sophia-Universität Tokio inne.
Heute lebt Wolfgang Hermann in Wien.

Joseph Zoderer, geboren 1935 in Meran, lebt als  freier Schriftsteller in Bruneck. Studium der Rechtswissenschaften, Philosophie, Theaterwissenschaften und Psychologie in Wien. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Ehrengabe der Weimarer Schillerstiftung (2001), Hermann-Lenz-Preis (2003) und Walther-von-der-Vogelweide-Preis (2004). Joseph Zoderer, einem der führenden Erzähler der Gegenwartsliteratur, in Einzelbänden neu aufgelegt. In Zusammenarbeit mit Johann Holzner und dem Brenner-Archiv Innsbruck wird jeder Band durch ein Nachwort sowie interessante Materialien aus dem Vorlass des Autors ergänzt. Davon bisher erschienen: „Das Schildkrötenfest“. Roman (2015), „Dauerhaftes Morgenrot“. Roman (2015) und „Die Walsche“. Roman (20016), 2017 folgt „Lontano“. Roman.

Angelika Waldis «Ich komme mit», Wunderraum

Als ich dieses Buch Anfang November kaufte meinte die Buchhändlerin: Sie werden sehen, das wird Ihr Buch des Jahres 2018, worauf ich entgegnete, ich lasse mich gerne überraschen aber eigentlich hätte ich meine Wahl bereits getroffen …

Eine Buchbesprechung von Elisabeth Berger, gehalten am 10. Dezember im «Tröchneturm» in St. Gallen, am Bücherabend am Kamin

Ein Leben-bejahendes Buch für jung und alt, in einer ganz jungen Sprache.
Wir lernen Lazar Laval kennen, genannt Lazy, Student und Vita, um die 70.
Die beiden wohnen im gleichen Mehrfamilienhaus und machen sich manchmal Gedanken. Vita etwa, wenn sie die roten Turnschuhe vor der Tür stehen sieht. Lazy, wenn er der etwas schrägen Alten von oben wieder einmal begegnet.
Vita hat irgendwann das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, weil die roten Turnschuhe wochenlang unverändert dastehen. Und so erfährt sie, dass Lazar immer wieder ins Spital muss, weil er Leukämie hat. Nun macht sich Vita noch mehr Gedanken. Ihr Helferinstinkt regt sich. Lazar ist zeitweise so schlecht unterwegs, dass er Vitas Fürsorge immer mehr zulässt. Von den gelegentlichen Wurstbroten anfänglich, geht er später regelmässig bei ihr essen. Und als es noch mehr bergab geht mit ihm, bekommt er das Zimmer von Vitas Sohn Moritz, der in Australien lebt und sich selten meldet. Die beiden reden und schweigen zusammen, können lachen, sich auch in Ruhe lassen und entwickeln ein Art Wortspielerei beim Philosophieren darüber, was Leben eigentlich ist.

Als es Lazy immer mieser geht, sagt er irgendwann: «Wenn die nächste Chemo nichts bringt, dann hau ich ab.» – und Vita sagt: «Ich komme mit.»
Vor der endgültigen Abreise findet Vita, sie könnten aber vorher nochmals richtig verreisen. Und weil Lazy fasziniert ist von allem, was sehr alt ist (weil er es selber nie werden wird, wie er vermutet), geht die Reise in die Türkei zur ältesten Tempelanlage der Welt (Göbekli Tepe), erbaut vor mehr als 11’000 Jahren (7000 Jahre älter als Stonehenge und die Pyramiden von Giseh).
Die Reise ist schwierig. Einerseits hat Lazy eine Begegnung, die ihn wieder Leben spüren lässt, andererseits macht sein Körper immer weniger mit. Und wieder zuhause wollen sie eigentlich das geplante Vorhaben umsetzen … eigentlich …

Trotz der Thematik ist das Buch zu keinem Moment schwer, was am lockeren, aber zu keiner Zeit oberflächlichen Schreibstil liegt. Und am ganz überraschenden Schluss.

Gastbeitrag von Elisabeth Berger

Angelika Waldis liest aus «Ich komme mit» am 18. Februar um 20 Uhr in der Kellerbühne St. Gallen.

© Peter von Felbert

Angelika Waldis ist 1940 geboren und denkt immer noch, sie sei nicht alt. Sie ist in Luzern aufgewachsen, hat an der Universität Zürich eine Weile studiert (Anglistik/Germanistik), ist aber bald abgehauen in den Journalismus und in die Ehe mit ihrer ersten Liebe, dem Gestalter Otmar Bucher. Mit ihm hat sie einen Sohn, eine Tochter und eine Jugendzeitschrift gemacht. Heute hat sie drei Enkel sowie Freuden und Ängste beim Bücherschreiben. Ihr Roman »Aufräumen« (2013) war in der Schweiz ein Bestseller. Was sie häufig tut: in Gartenerde wühlen, mit Wörtern spielen, sich über dumme Zeitgenossen ärgern, neugieren und staunen.

Webseite der Autorin

Buchpremière mit Anna Stern im KOSMOS Zürich

Mal rückwärts, mal vorwärts und voll lyrischer Lakonie erzählt Anna Stern in ihrem dritten Roman die Geschichte eines jungen Paares von ihrem vermeintlichen Ende hin zu ihren Anfängen. Sie legt damit einen beeindruckenden Text über den Umgang mit Trauer, die Unausweichlichkeit der Vergangenheit und die trügerische Authentizität von Erinnerungen vor.

Gerne laden wir Dich zur Buchvernissage im Buchsalon des KOSMOS ein, am Dienstag 12. Februar um 20.00 Uhr. Anna Stern wird lesen und mit Gallus Frei (literaturblatt.ch) über ihren Roman sprechen, wir offerieren einen Apéro danach.