Hanna Sukare «Grün wird Weiß», Plattform Gegenzauber

anfangen

„Der schwierigste Teil des Schreibens ist das Nichtschreiben“, sagt Ilse Aichinger(1). Vielleicht ist mir deshalb das Anfangen wichtig. Anfangen in dem nebligen Vertrauen, eines Tages wird aus der Ahnung ein Text werden. Am Anfang kann der Titel eines Bildes stehen, zum Beispiel Schwedenreiter. Manchmal schenkt mir ein Nachttraum den ersten und letzten Satz, wie für den Roman Staubzunge. Dieser Traum kam allerdings erst, nachdem ich mich zur Erforschung des Materials auf mehrere Reisen nach Polen begeben hatte. Womöglich war ich, als diese Traumsätze kamen, schon mitten drin in der Geschichte, über den Anfang weit hinaus.

Oft war Anfangen das Recherchieren in Archiven und Bibliotheken, weil ich etwa die Geschichte des Wehrmachtssoldaten Rechermacher erzählen wollte und dafür zuerst einiges über dessen militärische Laufbahn sowie über die Gefängnisse und Feldstrafgefangenenlager der Wehrmacht lernen musste. Der Anfang ist lesen: Bücher, Zeitungen, Stadt- und Fahrpläne, Rezepte, Landkarten, Theaterzettel etc. Anfang ist Anschauung gewinnen, zum Beispiel von dem Beruf des Brückenmeisters, der mir unbekannt war, bis ich den Schwedenreiter (2) kennenlernte. Zur Gewinnung dieser Anschauung trieb ich mich manchmal nachts auf Bahngleisen herum, die wegen der Reparatur einer Brücke gesperrt waren, oder ich geriet unter der Stadt in weitläufige Tunnels, die mir bis dahin unbekannt gewesen waren. Solche Ausflüge begeistern mich und lassen mich vergessen, dass ich einen Text vorbereite. Nach einiger Zeit türmt sich auf meinen Tischen das Material, meist zu viel. 

Dann beginnt erst das eigentliche Anfangen, dem ich, wie Foucault sagt, „enthoben“ sein möchte, mich lieber, hinter meinem Rücken, ins Schreiben „verstohlen einschleichen“ würde. Foucault sehnt sich nach einer „Stimme ohne Namen“, die ihm „immer schon voraus war“ und in deren Fugen er sich „unbemerkt einnisten“ möchte, er spricht von seinem „Verlangen, nicht anfangen zu müssen“ (3). In diesem zweiten Anfang meldet sich eine Angst, vor dem Nichtkönnen, dem Versagen, vor endgültigem Scheitern. Gedanklich und körperlich umkreise ich mein Material, ähnlich einer Schwammerlsucherin, die in einem bestimmten Waldstück Schwammerln zwar vermutet, aber noch nicht sieht: Circumambulatio. Das Umkreisen erzeugt ein oft fast unerträgliches Spannungsgefühl – C.G. Jung hat das Phänomen beschrieben –, ich bin auf den potentiellen Mittelpunkt zwar konzentriert, kenne ihn aber noch nicht.(4) Ich taste mich voran, meistens blind. Verbales Schweigen (tacere) und die Abwesenheit von Lärm (silere), schreibt Roland Barthes, seien zur Aufrechterhaltung dieses „Zustands ohne Paradigma“ nötig.(5) Wird mir dieser Zustand zu streng, sticke ich, zum Beispiel das Umkreisen. Ich sticke, bis ich statt der Nadel wieder einen Bleistift – am liebsten den grünen Faber-Castell B – in die Hand nehmen will; ich sticke und schreibe (die ersten Textfassungen) mit der Hand. In der Anfangsphase umgibt ein „Zaun der Hoffnung“, wie Nietzsche ihn nennt (6), den inneren Raum. Es mag jener Raum sein, den die alten Griechen Temenos nannten. Dieser Zaun schützt mich, bis sich Sätze und Stiche gebildet haben, die eine mögliche Form andeuten.

I circle around, 78 x 65,5 cm, Seide und Leinen auf Leinen, Detail

Zuerst gestatte ich den Sätzen alles. Sie können als Fetzen daherkommen, gebrochen, gestottert, dürfen aus einem Wort bestehen oder sich verschachteln. Sie nehmen das Material vorerst schwammartig auf. Bald beginnt das Umschreiben. Bis zum letzten Satz bleibt das Schreiben dann Umschreiben, Überschreiben, Neuschreiben, Verwerfen, Neuschreiben, Umschreiben. „Zwischen der Haltung zu den wirklichen Personen und der Haltung zum Wort entscheidet sich der Satz, bis er, gänzlich erfunden, das wirklich Gewesene einigermaßen streifen kann“, beschreibt Herta Müller (7) die langsame Suchbewegung. Das Umkreisen, die Bewegung verwende ich hier nicht als bloße Metaphern. Zum Schreiben brauche ich nicht nur weiche Bleistifte, Ruhe und Papier, sondern auch bequeme Schuhe. Schuhe kommen in meinen Träumen vor, zwei der Exemplare habe ich gestickt. Hier eines, das mir (im Traum) in der Wiener Josefstadt geschenkt wurde. Der tägliche Spaziergang, möglichst ausgedehnt in unverbautem Gebiet und ohne Begleitung, fördert das Anfangen, fördert die gedankliche Suchbewegung, bringt Einfälle.

Verirrt in Josefstadt, 121 x 121 cm, Seide und Leinen auf Leinen, Detail

verwandeln

Der Einfall lässt sich nicht ausdenken. Von außen fällt oder fliegt er ins Gehirn, ins Gemüt. Ein Windstoß kann den Einfall bringen, eine Geste, die Form eines Steinbruchs, der Laut eines Tieres, der Lichtpunkt auf einem Gegenstand, ein Stern auch oder die Nacht bringen Einfälle. Das geschieht oft. Und doch bleibt die Verbindung zwischen dem Außen und dem Innen so dunkel, dass niemand den Einfall bewusst erzeugen kann. Er bleibt Zufall, Geschenk von irgendwo, von irgendwas oder irgendwem, unentbehrlich fürs Schreiben. Aufmerksamkeit und Offenheit sind nötig, den Einfall wahrzunehmen und schnell genug zu Papier zu bringen, er entwischt leicht wie ein Hauch. Zu Papier bringen, das von außen ins Innere Gefallene zurück nach außen tragen, schreiben also. Das Geheimnis des Schreibens erinnert mich mehr und mehr an das Geheimnis der Transsubstantiation in der römisch-katholischen Messe: Oblate werde Fleisch, Wein werde Blut Christi, behaupten Gläubige. Wie die Gläubigen, die sich wandlungsfähige Oblaten auf der Zunge zergehen lassen, muss auch ich glauben. Vorbehaltlos muss ich glauben und vertrauen, dass aus sieben Buchstaben ein Lächeln wird.

Schreiben ist Stoffwechsel, Alchemie, Verwandlung. Damit ich überhaupt schreiben kann, muss ich mir den Versuch versagen, den Vorgang zu analysieren. Sobald ich frage: Wo entstehen die Buchstaben? Wie finden sie zusammen in ein Wort? Wie gelangt das Wort aus dem Gehirn durch den Kehlkopf in den Arm, in die Hand, aufs Papier? Sobald ich diese oder Thomas Manns Frage stelle: „Wie wird aus einer Sache ein Satz?“ (8), kann ich kein Wort mehr schreiben. Ich stocke und stecke fest. Das Schreibwunder darf ich ebenso wenig hinterfragen, wie die Entstehung der Milch: Grün wird Weiß, Festes flüssig, Unverdauliches (für manche) bekömmlich. Oder der Slibowitz. Sein Duft lässt mich vertrauen, dass dieser durchsichtig brennende Geist einmal als Festes, Kerniges an einem Baum hing, purpurn und süß. Das Schreibwunder zu ergründen, gleicht dem Versuch, herauszufinden, welcher Grashalm die Milch süß oder welche Zwetschke den Slibowitz mild gemacht hat. Literarische Chemie, unentschlüsselbar. 

Das Ausgangsmaterial muss sich innerlich – den genauen Ort vermag ich nicht auszumachen, weiß nur, dass dies nicht allein im Kopf geschieht – langsam verdauen. Entlang eines Plots will ich nicht schreiben, es erschiene mir wie Malen nach Zahlen. Der Plot nimmt dem Schreiben sein Bestes, seine „ursprüngliche Bestimmung, der Ort einer Erfahrung, eines Versuchs zu sein“, wie Foucault angesichts seines Überdrusses an Büchern bemerkt, die konzipiert sind, lange bevor sie geschrieben werden. Beim Schreiben ohne Plot bleibt bis zum letzten Satz Ungewissheit, das Scheitern des gesamten Vorhabens ist möglich. Statt eines Plots verwende ich Figuren, kleine Figuren aus Holz oder Stoff, jede Geschichte hat ihr eigenes Personal.

Personal des Romans Staubzunge

Das Personal bleibt auf dem Schreibtisch, bis eine Geschichte ihr Ende gefunden hat. Mit dem Personal rede ich, wenn ich nicht weiß, wie die Geschichte weitergeht. Das Personal gibt Antworten. Erst wenn die Geschichte einmal ganz erzählt ist und handgeschrieben auf dem Tisch liegt, nehme ich bewusster Einfluss auf das Stoffwechselendprodukt: Ich übertrage den Text in den Computer, suche treffendere Ausdrücke, stelle Worte um, überprüfe die Anschlüsse zwischen den Sätzen, feile. Alles anfangs unbewusst Gesetzte sollte den Text nach der letzten Durchsicht verlassen haben. Das gelingt nie ganz. Selbst nach etlichen Überarbeitungen entdecke ich im gedruckten Text Worte oder Sätze, die mich stören. Diese Störungen sind nicht immer als Fehler zu bezeichnen, aber diese Textstellen habe ich offenbar nicht sorgsam genug überprüft. Mittels dieser Störungen sagt die Sprache: Ich bin die Meisterin, frei, ich lass mich nicht beherrschen. Ihren Primat anzuerkennen entlastet Schreibende ebenso wie die Bewusstmachung der Herkunft des Einfalls. Die wundersame Metamorphose der Wirklichkeit kann ich nicht ergründen, und doch hat sie mich immer wieder so beschäftigt, dass ich einmal ein Gedicht über sie geschrieben und ihr eine Stickerei gewidmet habe.

Aus den Händen der Luft

Du löst dich aus Dickicht
Und nimmst deinen Weg
Dir unbekannt
Du lässt dich ein mit dem Speichel
Einer Zunge vertraust du dich an
Und fällst in die Hände der Luft
Vereint macht ihr euch Lippen untertan
Und du setzt den Fuß ins Helle
Du Wort.

Dieses Gedicht widmete ich Marica Bodrožić, nachdem ich ihre Betrachtungen Das Auge hinter dem Auge. Über das Erscheinen des Wortes im Raum (9) gelesen hatte. Bodrožić hört nicht auf zu staunen, sie staunt über die Entstehung von Worten und Sätzen. 

Innere Angelegenheiten, 94 x 71 cm, Seide und Leinen auf Leinen

Gerhard Fritsch verglich die Entstehung der Texte mit Winzerarbeit. Literatur sei gekelterte Trauer, meinte er. Das Keltern verändert nicht nur den Ausgangsstoff, sondern auch die Schreibende. 

Einsamer und freier hat mich das Schreiben gemacht, auch unsicherer. Ist das letzte Wort geschrieben, kommt gleich die Frage, ob der Text nicht eine ganz andere Gestalt bräuchte, ob seine Sätze nicht klarer und einfacher sein könnten?

zweifeln

Routine stellt sich nicht ein. Jeder neue Textversuch macht mich wieder zur Anfängerin, zur Nichtkönnerin, ausgeliefert dem Nichtwissen. Mit jedem neuen Text wächst meine Unsicherheit. Und wieder meldet sich die Angst vor dem Nichtkönnen, dem Versagen, vor dem endgültigen Scheitern. Nicht nur die Sätze und die ihnen zugrunde liegenden Gedanken bezweifle ich, sondern das Schreiben selbst. Seit die Gewalt den Planeten wieder einmal epidemisch überzieht, ganze Landstriche verwüstet, Leiber und Lieben zerreißt, will mir Paul Flemings Sei dennoch unverzagt nicht mehr recht gelingen. Eine Figur meines Romans Rechermacher behauptet: Erzählt muss werden, hin zu den Gegenden jenseits der Angst etc. Ich zögere, dieser Behauptung zuzustimmen. Wozu noch Geschichten? Und Geschichten worüber? Unterhaltende lenken ab. Tröstende beschönigen. Politische ergreifen Partei. Berichte über die Gewalt verdoppeln die Realität, undsoweiter. Wozu noch Worte? Und wenn noch Worte, welche? Wäre es nicht dieser Zeit und meiner Ohnmacht in ihr angemessener, täglich der Toten zu gedenken, der Verwundeten und Obdachlosen? Schweigend. Doch Flemings Zeitgenosse, Andreas Gryphius, schrieb, dass ihm gerade „die scharfe Not die Federn in die Faust zwang. Bestürzt durch Schwert und Feuer, durch liebster Freunde Tod, durch Blutsverwandter Flucht und Elend“ beschrieb er in seinen Sonetten „was itzt kommt vor“. „Itzt“ meinte das 17. Jahrhundert, in dem Fleming und Gryphius lebten, jenes Jahrhundert, das in Europa nur neun Friedensjahre hatte.

Ja, der Toten gedenken. Schweigend. Doch die Tage des hiesigen Friedens auch nützen für poetische Pirouetten. Beim Drehen und Kreiseln entstehen Gesten des Öffnens, Gebens und Umarmens, die auf ein selbstbestimmtes, zärtliches Leben verweisen. In dem nebligen Vertrauen, dass eines Tages aus der Ahnung ein Text wird, stets von Neuem anfangen.

Anmerkungen:
1
Simone Fässler (Hg.): Ilse Aichinger. Es muss gar nichts bleiben. Interviews. Wien 2011, S. 22
2 Hauptfigur von Sukares gleichnamigen Romans 
3 Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt a. M., 1991, S. 9
4 Carl Gustav Jung: Psychologie und Alchemie, Zürich 1944, S. 264f
5 Roland Barthes: Das Neutrum, Frankfurt a. M., 2005, S. 55 f
6 Friedrich Nietzsche: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Stuttgart 1964, S. 50
7 Herta Müller: Die Anwendung der dünnen Straßen. Klagenfurter Rede zur Literatur, 2004 
8 Thomas Mann: Bilse und ich. In: Th. Mann: Gesammelte Werke, Bd. 9, Frankfurt a.M., 1925, S. 3–17
9 Marica Bodrožić: Das Auge hinter dem Auge. Betrachtungen. Otto Müller Verlag Salzburg 2015

Hanna Sukare, geboren 1957 in Freiburg im Breisgau. Seit ihrer Jugend lebt sie meistens in Wien. Für «Staubzunge» (2016) wurde die Autorin mit dem Rauriser Literaturpreis für das beste Debüt in deutscher Sprache ausgezeichnet und war mit «Schwedenreiter» (2019) auf der Shortlist für den European Union Prize for Literature. 2022 erschien ihr dritter Roman «Rechermacher«.

Beitragsbild © Milan Boehm

«Verpuppt» – je eine Lesung von Ana Marwan im Literaturhaus Thurgau und am «Wortlaut» St. Gallen

Ana Marwans Sprache beeindruckt. An zwei Lesungen in der Schweiz, im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben und am «Wortlaut» Literaturfestival in St. Gallen, bezauberte die slowenische Schriftstellerin mit Bild- und Sprachkraft, die noch lange nachhallen wird!

“Die Anreise per Boot und Zug nach Gottlieben und der wild blühende Baum vor dem Zimmer im Literaturhaus waren ein Anfang, dem der Rest im gleichen Takt folgte. Es war eine wunderbare Lesereise, meine erste in die Schweiz. Danke, Gallus, für die Einladung, Moderation, und besonders für deine vertieften Leseweisen und bereichernden Gespräche!“ Ana Marwan

„Verpuppt“ („Zabubljena“) wurde in Slowenien 2021 als „Bestes Buch des Jahres“ ausgezeichnet. 2022 gewann Ana Marwan den Bachmannpreis mit ihrem Text „Wechselkröte“. Ana Marwan hat Romanistik studiert, hat sich mit Fotographie auseinandergesetzt und widmet sich seit bald 10 Jahren nun ganz dem Schreiben. 2019 kam ihr Roman „Der Kreis des Weberknechts“ auf die Bühne der deutschen Literatur, ein Roman, dessen Dichte und Kunst schon damals überraschte und überzeugte. Im vergangenen Jahr trat Ana Marwan im Otto-Müller-Verlag die nicht ganz einfache Nachfolge von Karl-Markus Gauß an, als Herausgeberin der Zeitschrift „Literatur und Kritik“.


Die junge Rita landet in der geschlossenen, psychiatrischen Klinik, ohne Möglichkeiten mit der Aussenwelt, ausser durch gelegentliche Besuche, in Kontakt zu kommen. Sie war schon als Mädchen anders, viel mehr nach innen orientiert, als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Warum Rita in die Psychiatrische eingeliefert wurde, kann zumindest ich bloss erahnen. Aber eine nicht unwesentliche Rolle dabei hat wohl ihre Mutter gespielt – Frau Klammer. Im Laufe einer Therapie ermuntert man Rita zu schreiben. Und Rita schreibt, beschreibt ihre Innenwelt. Eine Innenwelt, die kein Abbild der Realität ist, sie aber sehr wohl spiegelt. Rita schreibt, schreibt nie von einer Klink, aber von einem Ministerium für Verkehr und Kommunikation, Abteilung Raumfahrt, in dem sie arbeitet. Von Ivo Jež, einem 30 Jahre älteren Mitarbeiter, einen Bürokraten, dem sie einige Nähe zulässt. Von ihrer viel schöneren Freundin Anja, der alle Sympathie zufällt, ganz im Gegensatz zu ihr, die sich lieber mit Büchern anfreundet. Oder von Frau Klammer wie Rita ihre Mutter nennt, wenn sie sich in ihrem Schreiben inszeniert. Rita erzählt, wie sie mit aller Souveränität das Leben auf der Bühne des Erzählens ausbreitet.


Ana Marwans Roman liest sich, als wäre es der aufgewickelte Seidenfaden jener Puppe, die die Protagonistin Rita umwickelt, der sie einengt und einschnürt, der sie aber auch schützt vor der Welt „draussen“. „Verpuppt“ ein Versuch, die Welt ausserhalb dieser Puppe zu verstehen. „Jede Geschichte ist Gewalt über das Leben.“ Rita fürchtet sich, ihre Sprache zu verlieren. Eine Angst, die angesichts dessen, was aktuell in der Welt passiert, nachvollziehbar ist. Ritas Therapeuten legen ihr ans Herz, Herr Jež sei der Schlüssel. Rita schreibt sich immer mehr in die Nähe dieses Herrn Jež, seinem Leben, seiner verlorenen Ehe, seiner Einsamkeit. Rita erzählt von der Welt, die sie sich macht, einer Welt im Kopf.

Ana Marwans Roman ist nicht plottorientiert, entzieht sich in vielem den gängigen Mustern der Unterhaltung. Bei der Lektüre ihres Buches hatte ich das Gefühl, als ob die Synapsen meines begrenzen Verstands dauernd gezwungen sind, neue Verbindungen, Kopplungen einzugehen. Sie schreibt, um Bilder zu erzeugen (Fotografie, die sich dem reinen Abbilden entziehen), um Geschichten zu erzählen, aber nie, um zu erklären, zu klären, schon gar nicht, warum Rita dort ist, wo sie ist, in der Psychiatrie. Ana Marwan möchte „schön verbergen“.

Lesung am «Wortlaut» Literaturfestival in St. Gallen

Ihr Roman ist voller Sätze, die man wie Sprachperlen mitnehmen und nicht mehr hergeben möchte. Ein Beispiel: «Das schöne an verpassten Gelegenheiten ist, dass uns nichts hindert, sie Gelegenheiten zu nennen.“ Immer wieder Sätze, über die man mit Vergnügen stolpert. „Jeder Künstler ist lieber begabt als fleissig, eher ein König denn ein Arbeiter.“ Noch so ein Satz. Oder „Gott sei dank schützt uns die Etikette vor allem, zu was uns der Wusch zwingen möchte, sie schützt uns wie eine starre Ritterrüstung.“ Oder „In der Handtasche hatte sie einen Taschenspiegel, um sich von Zeit zu Zeit zu vergewissern, wer sie war.“

Rezension zu «Verpuppt» auf literaturblatt.ch

Ana Marwan «Die Wechselkröte» Siegertext Bachmannpreislesen 2022 auf der Plattform Gegenzauber

Rezension zu «Der Kreis des Weberknechts» auf literaturblatt.ch

Beitragsbilder © Philipp Frei

Ana Marwan «Wechselkröte», Plattform Gegenzauber

Ich ziehe mich jeden Tag an, weil jeden Tag eine zwar kleine, aber durchaus realistische Möglichkeit eines Besuches besteht. Der Briefträger kommt oft, und ich nehme die Pakete durchs Fenster entgegen, das Fenster kann ich sofort aufmachen, während die Tür ganz woanders ist, und er läutet nicht zweimal, er geht einfach wieder, während ich zur Tür gehe, und dann muss ich mit dem Zug das Paket von der Post abholen, so mache ich das Fenster, das gleich bei der Glocke ist, auf, aber für ihn ziehe ich mich nur oberhalb der Hüfte schön an, das Fenster fängt bei der Hüfte an, mich zu umrahmen. In dem gebrachten Paket ist meistens eine Bluse für das nächste Mal. Ich bekomme Blusen per Post, weil ich sonst lange mit dem Zug fahren müsste. Ich kaufe Blusen aus einer Gewohnheit, die ich mir angeeignet habe, weil ich einmal Blusen gebraucht habe, um das Gefühl zu haben, dass ich eine Andere, eine Neue bin. Ich bestelle meine Blusen aber keineswegs wegen des Briefträgers selbst, damit er käme, meine ich, obwohl er einer meiner wenigen Besucher ist. Ich zwinge mich jedes Mal, ihm in die Augen zu schauen. Es gab einmal eine Zeit, da sah ich so viele Augen, dass ich sie einfach ausgeblendet habe, wie Stadttauben, jetzt sind es seltene Vögel geworden, die Augen meines Briefträgers sind taubengrau.

Für den Gärtner ziehe ich mich ganz an. Auch der Gärtner gibt mir keine fixen Besuchszeiten. Er kommt, wenn sich eine Lücke auftut, wenn er zufällig vorbeifährt, oder wenn jemand absagt, so haben wir das vereinbart, weil er „voll“ ist und der Einzige, und weil jeder einen Garten hat.

Ich werde wohl nichts Größeres machen wollen, nimmt er an, weil ich „nur ein Mieter“ und „nur vorübergehend“ da bin, sagt er, nachdem er das Unkraut ausgerissen hat – er hat einiges über die vergangenen Wochen in seinen Lücken ausgerissen.

Doch, ich will, dass es wuchert! Wild, gelb und violett, oder auch rot, was meint er? Was hält er von rot? Ich vertraue ihm …

Will ich das wirklich?, fragt er. Dann macht er hier alles schön, ich bezahle es, ich zahle viel, und dann ziehe ich weg. Und dann hat der, der nach mir kommt, hier alles schön. Will ich das?

Ich bin bereit, das in Kauf zu nehmen.

Er wird vorbeikommen.

Ich rufe eine Freundin an und frage wieder, wann sie mich besuchen kommt. Mein Haus ist groß und schön und die Natur auch, nur ist ungeteilte Freude keine Freude. Sie hat so wenig Zeit, und wo ich bin, ist es, leider, sagt sie, so entlegen. Ich habe einen Pool, sage ich. Schön, sagt sie. Der Pool ist nicht schön, der Pool ist voll mit Regenwasser, das Kröten und Gelsen anlockt. Ich muss auf eine Lücke des Poolmanns warten, weil jeder einen Pool hat, und ich früher hätte anrufen sollen. Auch die Freundin hat im Moment keine Zeit. Ich dachte, wir kriegen beide vierundzwanzig Stunden am Tag. Aber in vierundzwanzig Stunden muss sie, sagt sie, und fängt an Dinge, die wichtiger sind als ich, nach Wichtigkeit aufzuzählen. „Ich habe es verstanden“, unterbreche ich sie und füge noch „kein Problem“ hinzu, eine Unart, die ich eigentlich abzuschütteln versuche. Ich habe kein Gehör für fremde Probleme, sagt sie. Sie tut ihr Bestes, sagt sie auch. Leuten ist es egal geworden, wenn ihr Bestes kümmerlich ist, merke ich, sie betonen schamlos ständig, wie das, was sie tun, ihr Bestes ist.

Manchmal denke ich mir am Abend, wenn ich in den Spiegel schaue: Heute war ich umsonst. Ich schaue mich oft im Spiegel an, damit mein Gesicht nicht gänzlich ungesehen bleibt und sich selbst überlassen zu etwas wird, das sich dann nicht mehr geradebiegen lässt.

In der nächsten Lücke des Gärtners wird endlich eingepflanzt.

Er kommt mit ein paar hilflosen Sommerhüten, einem kleinen Sommerflieder, grauem Lavendel und noch sechs anderen Pflanzen, die ich in ihrer Armut oder in meinem Unwissen nicht erkenne. Sie dürsten nach einer anderen Erde als der unseren, die trocken ist und schon aufmacht, um Regen bittend. Kakteen wären besser, sage ich, aber ich vergesse ja, dass der Sommer nur vorübergehend ist.

Es sind nicht genug. Ich wollte, dass es wuchert!, sage ich. Nächstes Jahr werden es doppelt so viele sein, sagt er.

Er rechnet doch mit der Zeit, widersprüchlich ist er. Es macht mich oft wütend, dass man nichts dagegen tun kann, dass Leute sich selbst widersprechen. Das macht mein Widersprechen vollkommen sinnlos, und das ist das, was mich wütend macht – die Sinnlosigkeit.

Alles ist so nackt, ich meine kahl, ich hätte gern einen Baum, sage ich.
Bevor irgendwas halbwegs nach einem Baum ausschaut, ziehen Sie weg, sagt er. Einen erwachsenen Baum hätte ich gerne eingepflanzt.
Das geht schwer, es ist ziemlich wahrscheinlich, dass der sich nicht verwurzelt, sagt er.

Die Sonne pulsiert wie mein Herz, in gleichem Takt. Die Luft wird nur von den flatternden Vögeln bewegt, glaube ich. Sie nisten in den Kletterpflanzen an der Fassade. Unser Haus ist das lauteste. Ich möchte sagen, unser Haus singt, aber meistens zwitschert es nur vielstimmig. Die Vögel sind mäusegrau und unzählig. Sie scheißen schwarz-weiß. Wir sind hier fertig, alles passt schon so, ich gehe wieder hinein.

Ich schaue im Internet nach. Es gibt riesige Bäume zu kaufen in der Hauptstadt, die mehr Verständnis für das Vorübergehende aufbringt, die ich vermisse.

Der Baum wird geliefert, denke ich mir, in all seiner Länge, indezent und deplatziert. Er wird über die Mauern des Gartens ragen, und die Einheimischen mit ihren großen, über die Mauern ragenden Bäumen werden mir mein Überspringen der Wartezeit nicht gönnen, das tut man nicht, einen alten Baum verpflanzt man nicht, der verwurzelt sich nicht, wird gesagt, und ich werde fiebern und zuschauen, wie der Baum allmählich austrocknet und abstirbt, einen verfrühten Tod wird er sterben, und wie wird dann die Leiche beseitigt? Wie ich mich kenne, wird der ausgetrocknete Baum ein- fach in der fremden Erde stecken bleiben, ein Zeichen meiner Ungeduld, meines Übermuts. Es ist mir egal, was die Nachbarn über mich reden, aber ich gönne ihnen keine Schadenfreude; ich werde keinen Baum bestellen.

Ich kann Gott sei Dank gut meine Vorstellung so lenken, dass ich nichts Gröberes tun muss. Alles passt, wir lassen das Ganze dem Himmel ausgesetzt, und ich bestelle einen Sonnenschirm.

Ich gehe eh nicht viel raus, ich habe wenige Gründe rauszugehen, und viele, nicht rauszugehen. Wenn ich rausgehe, setzen sich zehn, zwölf, zwanzig Gelsen auf mich und saugen mein Blut, auch bei strahlender Sonne. Bei Dämmerung ist von Gelsen alles grau. Es gab noch nie so viele Gelsen und Fliegen, hat der Gärtner gesagt, das erfreut die Vögel. Ich verstehe, dass ich für ihr Singen mit Gelsen bezahlen muss.

Ich lüfte selten – ich will die Fenster nicht aufmachen. Ich lüfte nur ab und zu zu Mittag, wenn es am Heißesten ist, damit so wenig Gelsen wie möglich hereinkommen. Es kommen aber Fliegen her- ein und reiben sich ihre Hände. Wenn das Fenster offen ist, zwitschert es, wenn es zu ist, summt es.

Ich ziehe die Bluse, die mir der Briefträger gebracht hat, an und fahre mit dem Zug Gelsennetze be- sorgen. Ich will mich beraten lassen, damit ich das Gefühl loswerde, dass das Internet meine einzige Verbindung zur Außenwelt ist.

Der Winter war lang. Unter der FFP2-Maske ist mein Gesicht faul geworden, ich fühle es. Maskenhaft. Als der Sommer kam (ich nehme an, man lebt jetzt nur sommers ganz), lebte ich aber schon entlegen. Es war einmal so, dass ich immer für jeden ein frisches Gesicht hatte. In der Gruppe hatte ich ein Gruppengesicht. Jetzt hatte ich schon lange kein frisches Gesicht mehr, ich trage nur zwei, drei, wenn ich das Briefträgergesicht, das ich nur für einen Bruchteil des Tages aufsetze, mitzählen kann; alle meine unbenutzten Gesichter faulen ins Unbenutzbare.

Auch meine Zunge ist aus der Übung. Ich sollte mehr mit mir selbst reden. Als ich dem Verkäufer meine Lage schildere, kommen mir meine Sätze wie ein Stück vor, das ich lange nicht gespielt habe – ich irre mich viel, aber ich weiß, nur ich, dass ich es gleich wieder können könnte.

Weiße Gelsennetze sind aus. So schaut geteiltes Leid aus. Ich nehme die schwarzen und hänge die Trauerspitze überall auf.

Wegen der Trauerspitze kann ich jetzt kein Paket mehr entgegennehmen. Beim letzten Mal hat der Briefträger bei der Übergabe kurz meine Hand berührt, seine Augen verschwiegen aber die Absicht, ließen an ihr zweifeln, meine ich. Ich erzähle ihm von der Gelsenplage und frage, ob er warten würde, wenn die Übergabe künftig durch die Türe erfolgt. Er sagt kein Problem, er kann läuten und das Paket bei der Tür abstellen. So. Ich bilde mir ein, er hätte auf mich gewartet, wenn die Spitze weiß wäre. Es wird für mich zunehmend schwer, Dinge zu finden, auf die ich die Schuld für Ereignisse schieben könnte.

Ich gehe in den nächsten Tagen nur im Garten spazieren, dem ummauerten, dem uneinsehbaren, in dem ich einen breitkrempigen Hut tragen kann und die Trauerspitze drüber, bis zum Boden. Ich zeige mich nicht, ich weiß, was normal ist und ich bin anpassungsfähig, ich kann mich sowohl den Gelsen als auch den Nachbarn anpassen, ja, es dauert ein bisschen, der Prozess ist wie bei einer Geburt schmerzhaft und schmutzig, jedoch verhältnismäßig kurz, und bald ist alles vergessen, als ob nichts wäre, und alles selbstverständlich, auch wenn der Unterschied zwischen der Welt der Ungeborenen und der Welt der Geborenen nicht größer sein könnte. Bald also werde ich so wie alle an- deren Frauen meines Alters, die alle jünger sind, die entlegen wohnen, alles mit 40 bunt waschen. Keine Seide wird mehr sorgfältig von mir gebügelt. Was werde ich mit den ganzen Zeitersparnissen anstellen? Nichts, ich werde sie nicht merken, ich weiß, die Zeit lässt sich nicht sparen, man kann sie nur verschwenden, im Sekundentakt.

Wie würde ich leben, würde ich leben?

Es ist heiß, und ich spiele mit dem Gedanken, mich in den Pool zu werfen, in das Regenwasser, oh Gott, nicht um mich abzukühlen, sondern um Ekel zu empfinden und mich dann wieder sauber machen zu können, damit das, wie ich bin, anders ist als das, was ich kurz davor war. Nachdem das zu umständlich ist und es sich Gott sei Dank, wie so vieles Andere, schon in meiner Vorstellung erschöpft hat, möchte ich, vernünftiger, mit dem Regenwasser die Neueingepflanzten gießen, die Armen, als ich merke, dass die Kröte im Wasser von außergewöhnlicher Schönheit ist. Das Internet sagt, es ist eine Wechselkröte. Leicht mit einer Kreuzkröte zu verwechseln, aber selten und teuer und gefährdet und schutzbedürftig. Ich empfinde eine Anwallung von Selbstliebe, weil ich die außergewöhnliche Schönheit gleich bemerkt habe, obwohl sie mit Gewöhnlichem leicht zu verwechseln ist.

Ich rufe bei der Landesregierung an. Die Fragilität der Ökosysteme, die mich davon abhält, das Tier gedankenlos zu übersiedeln, wird von dem Mann, zu dem ich verbunden worden bin, bestätigt. Ich fühle mich gestreichelt. Wir reden über die Kröte. Sind die Marmorflecken an ihrem Rücken deutlich voneinander abgegrenzt? Ich bestätige. Das Wort Marmor klingt für mich beruhigend, merke ich. Bufo variabilis, sagt er. Velut Fortuna, denke ich. Wir beide haben uns gegenseitig unser Wis- sen wachgeküsst, auch manche seiner Tage in RU5 müssen bestimmt vergehen, ohne dass er mit wem spricht, bestimmt muss auch er in den Spiegel schauen, um sich zu fangen. Ich richte in einem Eimer alles so ein, dass sich der Bufo wohlfühlt, ich folge den Anweisungen mit einer eifrigen Dankbarkeit. Ja, ich vermisse die Tage der Kindheit, in denen man noch so lieb war, mir Anweisungen zu geben. Ich werde berichten, wie der Transport gelaufen ist, sage ich beim Abschied. Der Krötenmann sagt: „Das ist aber wirklich nicht nötig.“ Das war unnötig.

Trotzdem ziehe ich ein kleines, dünnes Müllsackerl über die Hand und fische die Kröte heraus. Sie ist so weich, dass sie Zärtlichkeit in mir hervorruft. Ich kann sie nicht anders als sanft halten, auch wenn es mich interessieren würde, wie stark man noch drücken kann, bevor es unwiderruflich zu viel wäre. Wie mich das Unwiderrufliche immer lockt und so tut, als ob es nicht unmöglich wäre!

Es sind zwei Stationen zur Donauau. Im Wald bin ich allein, ich kann wieder das Netz tragen. Ich setze mich auf das Moos und lasse die Kröte frei. Sie scheint mir glücklich, aber nicht dankbar zu sein. Das ist schön, bisher hat meine Barmherzigkeit immer eher im Umgekehrten geendet. Vielleicht sollte ich mich von den Menschen gänzlich abwenden und den Kröten ganz zu. Sie bewegt sich langsam weg von mir, ich bleibe auch dann noch sitzen, als ich sie nicht mehr sehen kann, etwas in mir wehrt sich dagegen, die ganze Fahrt in die entgegengesetzte Richtung mit einem leeren Eimer zu wiederholen. Es dauert mindestens eine halbe Stunde, bevor es für mich möglich ist auf- zustehen. Man hat oft eine ganz falsche Auffassung von dem, was für mich möglich ist. Oft glaubt man, es sei alles eine Sache der Entscheidung, des Willens, aber nein. Nein. Nicht einmal ich selbst kann jedoch sagen, kann berichten, worin die Unmöglichkeit liegt. Irgendwo zwischen dem Gedanken und der ersten Handlung, natürlich, aber dieser Raum ist dunkel und unendlich.

Abends kann ich nicht schlafen, weil unter dem Schlafzimmerfenster ein Kanaldeckel liegt. Und Autos fahren immer drüber. Und Autos fahren immer. Zu jeder Unzeit, was gibt es da so viel zu fahren, auch das würde ich gerne wissen. Ich finde es unfair, dass ich gleichzeitig an einer befahrenen Straße und entlegen lebe, unfair finde ich es, als ob ich ein Kind wäre.

Die Verhütungspille liegt mir schwer im Magen. 14 Tage sinnloser Schutz vor dem Entstehen von Leben, kein Entstehen des Lebens droht. Ich könnte mich ohne Pille und ohne Rock in den Vorgarten legen, der Briefträger würde über mich steigen, anläuten und das Paket ablegen.

Drei Wochen später sagt mein Frauenarzt: „Sie sind schwanger“, sagt er. Das ist unmöglich, sage ich. Ich sage, ich nehme die Pille. Er fragt, ob ich immer alle genommen habe. Ich sage summa summarum. Er fragt, was summa summarum heißen soll. Er sagt, das ist echt ein Wunder. Dann schimpft er mich. Das Wort „verrückt“ fällt. Ich glaube, ich gehe nicht mehr zu ihm, ich werde nächstes Mal zu einem anderen gehen und ihm mein Wunder zeigen; frisch anfangen.

Ich sitze still eine Stunde lang im Schlafzimmer und überlege, wen ich anrufe. Die Freundin würde sich freuen, sie würde meinen, dass ich jetzt auch sehen werde, wie man keine Zeit mehr haben kann, und dass wir uns jetzt öfters treffen können, der Unterschied im Alter unserer Kinder wird ja nicht allzu groß.
Ich rufe meine Schwester an.
Ich sage: Eine Eisenkugel an einer Kette um meinen Fuß.
Sie sagt: Ein Eisennagel, mit dem du dich wieder der Welt anheften kannst.

Meine Vorstellungskraft muss das Metaphorische verlassen, zum Konkreten übergehen. Die kommenden Tage ist mein Leben nichts mehr als eine konkrete Vorstellung.

Ich stelle mir vor, es hat keine Kiemen mehr, es ist weder Fisch noch Fleisch, aber der Arzt meint trotzdem, es sei zu spät, ich hätte zu lange gewartet.

Ich stelle mir vor, alle berühren mein Bauch, absichtlich; alle fragen, was es wird, und meinen dabei das Geschlecht. Alle fragen, ob wir schon einen Namen haben. Nein, nein, sie meinen einen Namen für das Kind!

Ich stelle mir vor, es kommt und ich vergesse mich.

Das Vergessen wird immer wieder kurz unterbrochen, wenn alle, denen ich begegne, ein Urteil fällen, ob es ganz die Mama ist oder ganz jemand anderer.

Manchmal möchte ich vielleicht weinen, aber ich komme nicht dazu. Oder bilde ich mir meinen Wunsch nur ein und ich kann gar nicht mehr weinen? Ist es geboren, ausgesondert, veräußerlicht (wie ein Gedicht?) mein Weinen, mein Kind?

Vielleicht hoffe ich manchmal, dass mir die Last abgenommen wird. Aber ich ahne in dieser Hoffnung eine dunkle Freiheit, die ich nicht überleben würde. Meine Freiheit muss ich von jetzt an innerhalb meiner Zelle denken.

Ich stelle mir vor, es ist eins. Der Mann kommt aus der Arbeit und streichelt das Kind. Sanft und liebevoll, hingebungsvoll. Er ist voller Liebe, das sehe ich. Kein Hass ist ihr beigemischt, das Kind liegt nur da, tut nichts, was man ihm verübeln könnte, es tut nichts. Es ist willenlos. Machtlos auch. Die Liebe des Mannes aber strömt ihm entgegen, sie hat meinen Mann in Besitz genommen, die Liebe, sie benutzt seine Hände und seine Augen nach ihrem Belieben.
Es lacht, wenn man es am Bauch kitzelt. Es ist ihm egal, dass der Mann einen Tag später aus der Arbeit gekommen ist. Auch ich versuche, im Moment zu leben. Im Moment sehe ich vor mir einen verspäteten Mann, der seine ganze Liebe dem Wesen schenkt, dem er egal ist. Ich überlege nicht, mich auf den Boden zu legen, das Hemd zu heben und vom Bauch zu erwarten, dass er zum kitzeln einlädt, nein.

Ich stelle mir vor, mein Gesicht ist ein Muttergesicht, eine nicht abnehmbare Maske.

Ich stelle mir vor, seine Augen sind blau. Reines Blau, das mich stört. Wie ein heiterer Himmel, der in mir schon immer Unbehagen auslöste, wie alles Regungslose. Ich halte meinen Kopf von Natur aus gesenkt, ich mag alle Farben der Erde. Im Blau seiner Augen finde ich nichts Heimisches.

Ich stelle mir vor, es ist vier. Es bricht alle Mauern um mich. „Ja, bist du nicht süß … Wie alt bist du denn?“, wird es von den Nachbarn angesprochen. Und es ist schüchtern, es nimmt meinen Rock wie einen Vorhang und taucht sein Gesicht hinein. Es fühlt sich sicher, schon hier, denn sonst ginge es noch tiefer hinein, unter den Rock, das macht es manchmal, mein Rock sein Bunker. Ich bemit- leide es, weil es sich bei mir am Sichersten fühlt.
Es ist komisch, Mitleid zu sagen, denn ich glaube nicht, dass es leidet, wenn es vier ist. Es weiß noch nicht genug, um richtig zu leiden.

Dann ist es fünf. Es redet schon, viel, zu viel. Ich stelle mir vor, ich bringe ihm eine ausgedachte Sprache bei, die uns verbindet und alle anderen ausschließt. Es ist ja so ein Vorteil für Kinder, wenn sie zweisprachig aufwachsen. Angeblich lernen sie dann auch andere Fächer leichter. Meine Sprache wird über all die fehlenden Wörter verfügen, zum Beispiel ein Wort für das Gefühl der falschen Liebe wird es geben und auch ein Wort für die Mischung aus Dankbarkeit und Verachtung, die man fühlt, nachdem einem jemand, den man als schwächer betrachtet hat, Hilfe geleistet und sich dabei großzügig gefühlt hat, und so weiter, die Grenzen unserer Sprache werden ausgedehnt, seine Welt wird groß.

Leute könnten meinen, es sei komisch, dass ich mein Kind „das Kind“ nenne und nicht beim Namen. Da ich ja so gerne Dinge beim Namen nenne, ist das der Grund, dass es ihnen komisch vor- kommt? Auch sonst werden sie vieles „nicht richtig“ finden.

Es ist acht. Es ist nicht aus meiner Erde. Nichts Heimisches in seiner Stimme. Es redet wie die Nachbarn.

Ich stelle mir vor, ich weiß zu einem Zeitpunkt dann aus Erfahrung, dass ich mich immer dann stark fühle, wenn sich meine Last kurz hebt. Dass die Last ihr eigenes Leben hat und auch Flügel. Dass nichts mein Verdienst ist bzw. wenig.

Ich bin für es da. Ich bin für es gemacht worden. Ohne es wäre ich nicht. Das glaubt es. Unsere Wahrheiten sind gegensätzlich.
Aber es fühlt seine, während ich meine nur weiß, und ich fühle seine, während es meine nicht weiß. Es gewinnt. Es gewinnt immer. Es obsiegt.

Ich stelle mir vor, dass das Vorübergehende zur Gewohnheit wird. Dass ich mir denke: Wenn ich einen kleinen Baum beim Einzug eingepflanzt hätte, wäre er jetzt schon groß, mein Kind könnte in seinem Schatten spielen, schade, dass ich das nicht gemacht habe.

Ich stelle mir vor: Wenn es so viel Platz einnimmt, wie ich in seinem Alter einnehmen wollte, als mein Wollen stärker als mein Können war, kann ich mich gleich aus dem Fenster werfen. Ich bin nicht so stark wie meine Mutter, ich werde nicht standhalten und bald wird dort, wo ich war, es werden.

Es ist zehn. Es erzählt mir, dass die Katze, wenn es sie auf den Schoß nimmt und streichelt, vor Genuss ihre Krallen in seine Oberschenkel bohrt, und dann muss es die Augen zusammenkneifen, um den Schmerz zu ertragen, und ich denke mir danach: Mein Kind ist besser als ich, es nimmt den Schmerz bei seiner Zuneigung in Kauf.

Ich stelle mir vor, es hat mich lieb, und einmal sagt es mir: „Niemand hört so gut zu wie du.“ Und dass ich, indem es mich lobt, erst das Ausmaß meiner Selbstverleugnung merke.

Es ist dreizehn. Ich stelle mir vor, ich nehme es ihm übel, dass sein mittelmäßiges Musizieren für alle mehr wert zu sein scheint als mein eigenes, das von Professor Pokorny einmal „genial“ genannt wurde.

Ich stelle mir vor, ich habe vergessen, dass ich mich schon kurz vor ihm aufgegeben habe.

Ich stelle mir vor, es ist sechzehn und es sieht nur sich und die Welt und seine Zukunft in der Welt, die Welt und sich dicht verflochten, ein starkes Bündnis, das ihm all der verfehlten Erziehung zum Trotz, der schwierigen Mutter zum Trotz, gelungen ist, das Ganze hat es nur stark gemacht, und das Traumatische wird sogar zum Schöpferischen, auch so ausgesprochen, dem Klischee zum Trotz, es ist noch so jung, dass für es noch nichts von dem Lebensbetreffenden ein Klischee ist.

Es ist vierundzwanzig und es zieht aus, und ich schreie und es atmet auf, wie bei der Geburt.

Ich stelle mir vor, es ist vierzig und besucht mich aus Pflichtgefühl, es ist schließlich gut erzogen, es tut so, als ob es mir zuhört, es nickt und Mhm Mhm meint, und ja, ja, es geht ihm auch gut, nein, nix Neues, nix Erzählenswertes, nein, seine Freundin ist noch nicht schwanger, sie konzentriert sich eher auf …

Es ist sechzig und redet mit mir wie mit einem Kind, gedanklich ist es anderswo, es möchte anderswo sein, aber ich lasse es noch nicht gehen, eine meiner Bruthennenkrallen bleibt in seiner Strickjacke hängen, mein Wunsch, dass es bleibt, ist stärker als sein Wunsch, wegzugehen, alle seine Wünsche sind momentan eher farblos und schwach und ich denke mir: Dafür habe ich dich bekommen? Von diesem Besuch im Altersheim haben alle geredet, als ich dich nicht wollte?

*

Es tut sich eine Lücke auf bei dem Poolmann. Einen Tag, bevor der Mann wieder zurück ist, wird der Pool endlich schön. Ich schätze, wir haben gute drei Wochen, in denen wir nackt baden können, dann muss er für die Überwinterung vorbereitet werden. Als ich auf den Poolmann beim Pool warte, sehe ich im Wasser einen Laich. Ich rufe nochmals bei der Landesregierung an. Ich werde mit einem anderen Mann verbunden und muss deshalb die ganze Geschichte von vorne erzählen, was mich ermüdet und verstimmt. Der Poolmann unterbricht mich mit seiner Ankunft. Ich bitte ihn zu warten. Es ist heiß, die Sonne strahlt Hitze und Schwindel aus. Der Mann von der Landesregierung kennt sich nicht so gut aus wie der Mann von Letztens, das Gespräch mit ihm ist zermürbend. Ich höre etwas Zaghaftes in seiner Stimme, als er sagt, der Laich muss nicht geschützt werden. Trotzdem und ohne mich zu bedanken lege ich gleich auf und sage dem Poolmann, es kann alles abgesaugt werden.

«Wechselkröte» ist der Siegertext des Ingeborg Bachmann-Wettbewerbes 2022. literaturblatt.ch dankt Verlag und Autorin für die Erlaubnis, den Text wiedergeben zu dürfen!

Ana Marwan «Wechselkröte», zweisprachig D/SLO, ins Slowenische übersetzt von Amalija Maček, Otto Müller Verlag, 2022, 60 Seiten, CHF 32.90, ISBN 978-3-7013-1307-5

Anna Marwan, 1980 in Murska Sobota/SLO geboren, aufgewachsen in Ljubljana. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft in Ljubljana und der Romanistik in Wien. Lebt als freie Autorin auf dem Land zwischen Wien und Bratislava und schreibt Kurzgeschichten, Romane und Gedichte auf Deutsch und Slowenisch. Augezeichnet mit dem exil-literaturpreis „schreiben zwischen den kulturen“ 2008, dem „Kritiško sito“ für das beste Buch des Jahres in Slowenien 2022 und dem Ingborg Bachmann-Preis 2022. „Der Kreis des Weberknechts“ (2019, 3. Aufl.) ist ihr Romandebüt. Am 23. Februar 2023 erscheint der neue Roman „Verpuppt“ (aus dem Slow. von Klaus Detlef Olof) im Otto Müller Verlag.

Ana Marwan ist am 23. März Gast im Literaturhaus Thurgau!

Beitragsbild © Una-Rebic

Ana Marwan «Verpuppt», Otto Müller Verlag

Es gibt eine Eintagsfliegenart aus der Gattung Ephemeroptera, die zwanzig Jahre als Larve im Schlamm verbringen kann, um dann für einen Tag Flügel zu bekommen. Die junge Rita im Buch der Bachmannpreisträgerin Ana Marwan ist weder hier noch dort, verpuppt in Lauerstellung. „Verpuppt“ lässt sich lesen wie ein Zustand dazwischen, zwischen Fiktion und Realität, zwischen Traum und Tag, zwischen hier und dort.

Ich las das Buch zweimal, bevor ich es wagte, nur einen einzigen Satz darüber zu schreiben. Ich las es zweimal, um sicher zu sein und habe bei der erneuten Lektüre kaum an Sicherheit und Gewissheit gewonnen. Es war, als wäre ich stundenlang alleine vor einem riesigen Gemälde gesessen, um es zu ergründen, mit dem Resultat, dass scheinbare Einsichten immer wieder kippen, dass ich durch die ineinander fliessenden Perspektiven nie jene Sicht gewonnen hätte, die Klarheit verschafft. Aber vielleicht habe ich verstanden, dass es Ana Marwan eben nicht darum geht, eine stringente Geschichte zu erzählen. Sie will mich auch nicht unterhalten. Die Lektüre ihres Buches versetzte mich in einen elektrisierten Zustand, als müssten meine Synapsen permanent neue Verbindungen suchen, weil ich dem Roman mit meiner krampfhaft kausalen Sichtweise nicht gerecht werden kann.

Ana Marwan «Verpuppt», Otto Müller Verlag, aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof, 220 Seiten, CHF 29.90, ISBN 978-3-7013-1302-0

Rita ist jung. Ritas Zustand ist jener der Larve im Sumpf. Verpuppt sieht sie ihre Welt nicht mit den Augen der Objektivität, sondern nach innen gerichtet – subjektiv. Ganz offensichtlich ist sie für unbestimmte Zeit in einer psychiatrischen Einrichtung, regelmässig zu Gesprächen herbeigeholt, von TherapeutInnen ermunterst zu erzählen, aufzuschreiben, jene inneren Bilder in Worte zu fassen, nicht in erster Linie, um sie zu begreifen oder zu verstehen, mehr in der Hoffnung, auf Ordnungen zu stossen. Rita schreibt, schreibt nie von einer Klinik, aber von einem «Ministerium für Verkehr und Kommunikation, Abteilung Raumfahrt», in dem sie arbeitet. Von Ivo Jež, einem 30 Jahre älteren Mitarbeiter, einem Bürokraten, dem sie einige Nähe zulässt. Von ihrer viel schöneren Freundin Anja, der alle Sympathie zufällt, ganz im Gegensatz zu ihr, die sich lieber mit Büchern anfreundet. Oder von Frau Klammer, wie Rita ihre Mutter nennt, wenn sie sich in ihrem Schreiben inszeniert. Rita erzählt, wie sie mit aller Souveränität das Leben auf der Bühne des Erzählens ausbreitet. Ein Leben, das für mich als Leser ziemlich verwirrend erscheint. Rita ist gefangen in einem Zustand dazwischen. Ana Marwans Roman spielt mit den „Unwahrnehmungen“ dieses Dazwischens. Rita ist eine junge Frau, der die Realität abhanden gekommen ist, ohne dass das ein Verlust geworden wäre. Ana Marwan nimmt mich mit in den Irrgarten, das Labyrinth einer jungen Frau, die sich in den Zwischenräumen verloren hat.

Ana Marwans Roman erzählt von Ängsten, der „Angst, die menschliche Sprache zu vergessen“. Rita schafft sich in ihrem selbst erschaffenen Kosmos die Welt in ihrer Einsamkeit, eine Insel in ihren Ängsten. Vielleicht erzählt der Roman auch von den Ängsten der Autorin selbst. Aber alle Versuche einer Interpretation bleiben hängen, weil es der Autorin zu allerletzt darum geht, eine „ordentliche“ Geschichte zu erzählen.

Wie bei kaum einem anderen Roman macht es Spass, in der Rezeption darüber zu lesen, den mehr oder minder hilflosen Versuchen, den Roman verstehen zu wollen. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob es nicht so sehr um das Geschriebene selbst geht, sondern um dessen Wirkung. Ana Marwans Roman ist ein kunstvolles Verwirrspiel, als hätte sie ihn im Rausch geschrieben, im Wörterrausch. Der Roman ist gespickt mit bühnenhaften Szenerien, voller Sätze, die sich einbrennen, Wendungen, die mich als Leser vom Boden der Gewissheiten wegreissen.

Man muss für ein Abenteuer bereit sein und wird belohnt mit etwas Einzigartigen.

Das Original „Zabubljena“ (Ljubljana: 2021, Beletrina) wurde mit dem Kritiško sito 2022 als bestes Buch des Jahres 2021 in Slowenien ausgezeichnet.

Ana Marwan, 1980 in Murska Sobota/SLO geboren, aufgewachsen in Ljubljana. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaftin Ljubljana und der Romanistik in Wien. Lebt als freie Autorin in Wien und schreibt Kurzgeschichten, Romane und Gedichte auf Deutsch und Slowenisch. Augezeichnet mit dem exilliteraturpreis „schreiben zwischen den kulturen“ 2008, dem Kritiško sito 2022 für das beste Buch des Jahres in Slowenien 2021 und dem Ingeborg- Bachmann-Preis 2022. „Der Kreis des Weberknechts“ (2019, 3. Aufl.) ist ihr Romandebüt. Im Oktober 2022 ist der TDDL-Siegertext „Wechselkröte“ als zweisprachige Ausgabe (D/SLO) im Otto Müller Verlag erschienen.

Klaus Detlef Olof, geb. 1939 in Lübeck; Slawist und Übersetzer (Studium in Hamburg und Sarajewo); seit 1973 Lehrtätigkeit an der Universität Klagenfurt; Arbeitsschwerpunkt: südslawische Literaturen; zahlreiche Übersetzungen aus dem Slowenischen, Kroatischen, Bosnischen und Serbischen.

Rezension von «Der Kreis des Weberknechts» auf literaturblatt.ch

Beitragsillustration © leafrei.com / Literaturhaus Thurgau

Januar bis April 2023 – das neue Programm im Literaturhaus Thurgau

«Das schöne Gottlieben und eure liebe Gesellschaft geht mir nicht aus dem Kopf – überall schwärme ich davon.» Norbert Scheuer

«Danke für Wortraum und Seewind und Weitsicht und Wein, danke fürs Klangexperiment und einen Ort zum Wiederkehren. Schönste Bühne weitumher.» Simone Lappert

«Besonders schön war es, im Bodmanhaus aus dem Buch zu lesen, das zu guten Teilen auch dort entstanden war. Geschrieben im leeren Haus, vorgelesen vor vollen Rängen, vor Menschen, die seit langer Zeit wieder einmal ihre Gesichter zeigen durften.» Peter Stamm

Literaturhaus Thurgau

Hanna Sukare «Rechermacher», Otto Müller Verlag

„Rechermacher“ ist ein Roman über vier Generationen, ein ganzes Jahrhundert. Über eine Familie, die es im Krieg zerriss, die bis in die Gegenwart unter dem Schatten einer Vergangenheit im Dunkeln leidet. Hanna Sukare versteht sich nicht als Chronistin, aber mit Sicherheit als Archäologin der Zeit. „Rechenmacher“ ist der Versuch, mit Poesie nach Versöhnung zu suchen.

Was wissen Sie von Ihren Grosseltern? Oder Ihren Urgrosseltern? Wissen Sie mehr als Name und Beruf? Letzthin war ich bei einem Freund, der mir bei meinem Besuch in seinem „Familienhaus“ anhand von Bildern und Gegenständen von seiner Familie bis zurück ins 16. Jahrhundert erzählte. Bestimmt verbergen sich auch hinter den Geschichten seiner langen Ahnenreihe Geheimnisse. Aber wie kein anderes Ereignis zerreisst ein Krieg die glatten Oberflächen der Zeit. So wie sich in den Generationen nach dem 2. Weltkrieg das Schweigen über Familien legte, weil man sich von all dem Schrecken, dem grossen Irrtum lossagen wollte. „Schwamm drüber.“

Maia besucht ihre Mutter. Aber ihre Mutter ist nicht zuhause. Nicht einmal eine Nachricht, ein Zeichen ist zu finden. Nur ein paar Kleider und der Laptop der Mutter fehlen. Nach ersten Sorgen erreicht sie ein Brief ihrer Mutter. Sie habe sich auf eine Reise begeben und wisse nicht, wann sie zurückkommen werde. Sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Nelli, ihre Mutter, hat sich auf eine Reise begeben, eine doppelte Reise. Eine Reise in die Vergangenheit, eine Reise an Orte, die ihr etwas zurückgeben sollen von dem, was noch vor ihr verborgen ist, wovon sie spürt, dass es ein Teil ihrer selbst ist, all die Leerstellen, all die Geheimnisse.

„Die Wahrheit ist eine Zumutung.“

Hanna Sukare «Rechenmacher», Otto Müller Verlag, 2022, 212 Seiten, CHF 28.90, ISBN 978-3-7013-1296-2

Auch Maia macht sich auf die Suche, findet in der Wohnung ihrer Mutter Hinweise darüber, welche Richtung die Mutter bei ihrer Suche nach sich selbst eingeschlagen haben musste. Die Suche nach der Familie Rechermacher, ihrem Vater und ihrem Grossvater, nach Vevi, Nellis Mutter, die ins Wasser ging.
Hanna Sukare schrieb eine Familiengeschichte, aber das nur nebenher. Hanna Sukare schreibt über die Wunden und die Sehnsucht, diese Wunden zu schliessen. Sie schreibt über die Suche all jener Leerstellen und schwarzen Löcher, die bis in die Gegenwart ins Leben nachfolgender Generationen hineinwirken und sie nie so gedeihen und wachsen lassen, wie es ihnen möglich wäre, wären diese Mühlsteine nicht.

Es ist die Geschichte von August Rechermacher, einem ungeliebten Sohn, aufgewachsen während des Säbelrasselns des 1. Weltkriegs. Von einem, der zum blossen Dienen gehalten und erzogen, in der Schule zum dummen August wird. Der in Pferden die einzigen Geschöpfe findet, die etwas zurückgeben, die auf seine Zuwendung, seine Liebe reagieren. Sein Händchen für Pferde bleibt niemandem verborgen. Bei Verwandten wird er Knecht und irgendwann Dragoner mit bunter Uniform und klaren Aufgaben, für die er Anerkennung bekommt, endlich zu einem wird, vor dem er sich selbst nicht mehr zu schämen braucht. August ist angekommen. Er liebt seine Tiere, seine Aufgabe und lernt gar eine junge Frau kennen. Aber in den Vorbereitungen der neuen Machthaber, mit dem Wechsel von den Dragonern zur Wehrmacht, dem bunten Tuch zum grauen Einerlei muss sich August entscheiden. Entweder heiratet er die schwangere Genoveva, Vevi, oder er zieht für seine neuen Herren in den Krieg. August entscheidet sich gegen die Familie, auch gegen das Kind, das seinen Vater nie wirklich kennen lernt.

Was aus August in den Wirren des Krieges wurde, was der Krieg aus dem willigen Diener machte, erzählt „Rechermacher“. Von den nie vernarbten Wunden bis in die Gegenwart. Von der bleiernen Schleppe des Schweigens. „Rechermacher“ ist weder Rache noch Wiedergutmachung. Dieser Roman ist das, was Hanna Sukare mit all ihren Romanen tut: Sie rüttelt wach. Sie mahnt uns, die Geschichte ernst zu nehmen. Sie mahnt uns, unsere Kinder zu denkenden Wesen zu formen, etwas, was im Wort „Er-ziehung“ fehlt.

Hanna Sukare liest aus «Rechenmacher» am Mittwoch, den 11. Januar 2023 im Literarischen Club, Hottingersaal, Gemeindestrasse 54, 8032 Zürich

Hanna Sukare, geboren 1957 in Freiburg im Breisgau. Seit ihrer Jugend übt sie meistens in Wien. 2016 wurde der Roman «Staubzunge» mit dem Rauriser Literaturpreis für das beste Debüt in deutscher Sprache ausgezeichnet. Ihr 2018 veröffentlichter Roman «Schwedenreiter» wurde für den Literaturpreis der Europäischen Union 2019 nominiert. Das Buch behandelt Ereignisse zur Zeit des Nationalsozialismus in Goldegg im Pongau.

Beitragsbild © Milan Böhm

Sarah Kuratle «Iris. Kapitel 1», Plattform Gegenzauber

Ich höre im Schlüsselmeer das Wasser klirren. Diesen Riss, er zieht durchs Gebirge, der Fluss, unter meine Haut geht er. Die Tür ins Schloss fällt das Fest heuer aus. Ich kam bis zum Tisch nicht, wo Bänder golden bemalt mit Servietten tändeln, mit Tannennadeln und Wachs. Trocken meine Zunge fühlt sich belegt an wie die Lider, bring mir ein Glas Wasser, bitte schluck die Fragen hinunter. Mein Gesicht ist verklebt. Kannst du mich umarmen, oder neben meinen angezogenen Beinen sitzen und eines der Lieder singen, als wäre nichts oder alles so, wie es sein soll.
Das kleine Haus ein Knarren über unter mir bei jedem Schritt, den ein andrer tut. Ich liege mit der Stirn gegen die Wand, mit dem Rücken zur Tür. Durchs Glas höre ich die reißende Thur, glaube Luft voller Schnee und kann nur Holz riechen, das mir am nächsten ist. Drängt mich zurück, in die Enge, mich selbst zu umarmen. Weißt du noch, unser erster Kuss: flüchtig, Lippen und Wimpern. Neben über uns die Flocken, sie stoben wie Hobelspäne fein auseinander. Am Abend lag ich allein auf meinem Bett und hielt mich fest an meinen Schulterblättern. Allein hörte ich das Rauschen der Autos im Park mit dir unhörbar. Unsere letzten Küsse – ich weiß es nicht mehr.
Sobald es drinnen stille Nacht geworden ist, breche ich auf. Es gibt diese Stadt am Wasser. Bis zum Meer schaffe ich es ohne dich. Dann werde ich endlich schlafen und es nicht mehr müssen. Au dessus des nuages marche la minuit, heißt das Bild, es fängt mein Träumen ein. Die Schlüssel ohne den Anhänger lasse ich da und ein Blatt: Ihr seid die Liebsten. Macht euch keine Sorgen, ich komme in ein paar Tagen zurück. Eure Iris.

Eine Bergkette Rauschen, innerlich. Ich weine nicht. Weinte wahrscheinlich nicht, als es passiert war. Ob Nebel aufgebauscht um die hohen Hälse der Stadt lag ich zur Schnecke gedreht, den Kopf an meiner Schulter, schlief ich. War es früher, ja an dem Abend, als durch deine Hände mein Kleid hinabsegelte, dunkelblau, in einer Welle zum Boden der Schwägalp sieht man nur, wenn klare Luft herrscht. Vielleicht begann es schon im Sommer, knackte ich mir mein Schild an, als ich den Kopf voller To-dos, die Hände voller Bücher in der Bibliothek saß. Geduckt unter allem, von dem mir jetzt nichts wichtig scheint.
Gegen die Eisnadeln trage ich auf dem Weg zum Bahnhof den zerknitterten Himmel unterm Mantel. Damit du nicht immer frierst, einmal etwas richtig Warmes. Gegen die Kälte zupfe ich mit den Fingern in den Fäustlingen, Musik. Watte kommt von oben, betäubend in den Ohren lag mir zwischen den Wimpern Schnee, fröhlich geküsst. Sterne wie weiße Blüten und du sagtest, die zwei dort sind Planeten.
Eine frische Spur schimmert vor meinen Augen, ein Saum um den ruhenden Wald, das pochende Fließen. Mit einem, dann mit beiden Füßen versuche ich die Abdrücke zu treffen, mich dem Rhythmus des Menschen anzuschmiegen, der mir vorgegangen sein muss. Die Bögen meiner Sohlen über den ungeprägten Grund werden länger, um nicht auszuscheren, stillzustehen. Schneller mein Schritt dem anderen nachzulaufen wurde mir schwer, wenn ich dir nahe sein wollte. Schnecke, ein Schneckentänzchen bist du, an anderen Tagen was machst du da, du drängst mich ab, wenn ich meine Schulter an deinen Arm lehnte, als wärst du mir ein Flügel. Mit einem Tritt und noch einem schlage ich auf die Spur ein. Sterne wirbeln durcheinander.

Werde nicht müde, nur schwerer wird es mir. Ich müsste mich unter deinem Himmel geschützt vom Schnee eingraben lassen. Ausharren, bis meine eilenden Gedanken fest werden wie meine Finger, in den Saiten verheddert, meine Nase, die immer noch das Holz der Wand riecht. Es geht so nicht. Den Fluss einfrieren, Zeit. Sag doch endlich, was ist mit dir.
Bis ein, zwei Stunden nach Mitternacht konnte ich äußerlich mich gleichsam totstellen und gesundspielen, in deinen ruhigen Atem einstimmen. Dann Flattern: Lippen und Lider. Ein Zappeln: anhaltend. Iris, wach auf, was ist mit dir und ich sagte nur ein Alptraum, ging raus ins Badezimmer, durch die Küche, auf den Balkon in den Innenhof schaute ich zu den anderen Wohnungen. Ich erspähte ein Licht und fragte mich, wie viele neben unter mir wachliegen, den oder ein Morgen fürchten und gleichermaßen verlangen. In der ersten solchen Nacht standst du irgendwann vor mir, eine Haarsträhne um deinen Zeigefinger zur Locke zwirbelnd, sie entglitt dir. Ich schmiegte meinen Kopf an deine Brust und du umarmtest mich. Spürte unser Herz schlagen. Nicht lange und wir gerieten ins Schwanken, ein Zittern anfangs in Zeitlupe. Du ließest von mir ab. Bei dem Nachbar war es noch immer hell.
Ausgeleuchtet von den Schneefeldern oder um die Häuser und Zäune gedrehte Lichterketten stapfe ich in der Richtung der hier leicht fallenden Thur. Busse fahren keine jetzt nicht einmal Autos oder ein Moped. Ab Wattwil werde ich Züge nehmen und nach Stunden mein Dunkelblau gegen die eisigen Nordseewellen halten können: Évocation dʼune île. Die Insel muss ich mir selbst machen. Dunkle Tusche auf klarem Grund sieht aus wie Wellen, aufgeschüttetes Land, wo eine Figur innehält, endlich Aussicht, Weite.

Ich tausche den Atem mit den nadelbesteckten Ästen, den Geruch der Holzwand gegen den von Schneefall, nichts. Grauweiße Fäden zu Vorhängen zugezogen mein Hals, kriege kaum Luft, die Berge rücken näher. Durchstieß ich, wenn ich meine Hand ausstreckte, das Eis, berührte ich gefrorenen Stein, der mir nicht und nicht weich wird keinen Fingerbreit zurückweichen. An jeder Flocke grenzt ein Berg an meine Stirn, deinen Himmel. Im Flachland ist es, als müsste man am eigenen Blick scheitern. Im Gebirge aber – es stützt mich und du wolltest nicht verstehen, eng ist es hier. Denk nur, wie lange es dauert, bis die Sonne kommt.

Erstveröffentlichung: Literaturzeitschrift manuskripte Nr. 211 (2016)

Sarah Kuratle, geboren am 23. Mai 1989 in Bad Ischl, aufgewachsen dies- und jenseits der Schweizer-österreichischen Grenze, ist in beiden Ländern daheim. Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität Graz. Ihre Liebesgeschichte «Iris» erschien in Fortsetzungen in den manuskripten. Ihre Gedichte wurden ebendort sowie im wespennest veröffentlicht. Ihr Romandebüt «Greta und Jannis. Vor acht oder in einhundert Jahren» erschien 2021 im Otto Müller Verlag und stand auf der Shortlist für den Literaturpreis «Text & Sprache 2022».

Webseite der Autorin

Dietmar Krug «Der Atem des Vogels», Plattform Gegenzauber

Die Sonne stand bereits tief und hatte dennoch kaum etwas von ihrer wärmenden Kraft eingebüßt, als Michael sich mit der Gießkanne dem Rosenstock in seinem Garten näherte. Er musste sich die ausgestreckte Hand schützend über die Augen halten, um sehen zu können, ob die Blattläuse auf die Rosenblätter zurückgekehrt waren. Mit einem zufriedenen Brummen senkte er den Ausgusshals der Kanne nahe beim Stamm des Stocks zu Boden und wollte gerade zu gießen beginnen, als er eine Bewegung bemerkte. Eine Feldmaus am Rand des Beets hatte ihn bemerkt und versuchte, das Weite zu suchen. Es gelang ihr aber nicht, weil die Hinterbeine ihr offenbar den Dienst versagten. Nur das rechte bewegte sich ein wenig nach außen, das andere hing schlaff an der Seite. Ihre Vorderbeinchen vollführten dabei schwach rudernde Bewegungen, die nicht ausreichten, um ihren Körper aus seinem Sichtfeld zu robben. Er stellte die Gießkanne auf den Boden und ging neben der Maus in die Hocke. Seine Kniegelenke knackten laut, er biss kurz auf die Zähne, beugte sich über das Tier, das auf seine Annäherung reagierte, indem es noch panischer versuchte, von der Stelle zu kommen. Das bewegliche Hinterbeinchen fuhr vor und zurück, aber da es keine Unterstützung von der anderen Seite bekam, vollführte das Tier nur eine kleine Kreisbewegung, das kranke, schlaffe Bein über den Boden schleifend wie einen fremden Gegenstand, der zwar am Rumpf befestigt war, aber keine Funktion mehr hatte.

Er beugte sich so weit hinab, wie es sein bereits schmerzender Rücken zuließ, und inspizierte die Maus genauer. Ihre weit geöffneten schwarzen Knopfaugen glänzten in der Sonne. Auf dem hinteren Teil ihres Rückens war eine schmale Vertiefung erkennbar, eine kleine Kerbe im Fell, das aber nirgends blutgetränkt war. Er blickte in den wolkenlosen blauen Himmel. Vielleicht war die Maus einem von Krähen attackierten Raubvogel aus dem Schnabel gefallen und hatte sich beim Sturz in seinen Garten das Rückgrat gebrochen. Wie auch immer, das Tier war verloren, es war nur eine Frage der Zeit, bis es zur wehrlosen Beute einer Katze oder einer Krähe werden würde. Er stand auf, einen plötzlichen Schwindel niederkämpfend. Dann holte er eine kleine Gartenschaufel aus dem Geräteschuppen und ging zurück zum Rosenstock. Die Maus lag immer noch am gleichen Fleck. Als er sich ihr mit der Schaufel näherte, versuchte sie wieder vergeblich, ihr Gewicht von der Stelle zu robben, doch die Bewegungen ihres Beinchens wurden bereits schwächer, nicht einmal mehr einen halben Kreis brachte sie zustande.

Mit einem Stock schob er das Tier vorsichtig auf die Schaufel und legte es dann in den Schatten des Rosenstocks, um ihm bei seinem Kampf gegen Schwäche und Schmerz wenigstens die Hitze zu ersparen. Noch einmal regten sich die Fluchtinstinkte in der Maus, sie zuckte bei der Berührung mit dem Stock zusammen und wand sich. Der Sonne entkommen, legte sie schließlich den Kopf auf den Boden und blieb flach atmend liegen.

Immer noch konnte er den Blick nicht von dem angeschlagenen Tier abwenden, das sich jetzt wieder zu bewegen begann. Langsam zog es das noch bewegliche Hinterbeinchen an und schob es wieder zurück, wie bei einer Schwimmbewegung, wobei sich der Körper abwechselnd leicht durchstreckte und wieder zusammenzog. Der Atem ging flach und stoßweise. Er deutete das als krampfhaftes Aufbäumen, womöglich gegen starke Schmerzen. Plötzlich empfand er den drängenden Wunsch, das Tier von seiner Pein zu erlösen. Es war ohnehin aussichtslos. Er sah sich auf dem Boden um und erblickte einen faustgroßen Stein am Rand des Rosenbeets. Zögernd hob er ihn auf und wog ihn in der Hand. Ein kurzer, gezielter Schlag könnte dem allem ein Ende bereiten.

Langsam hob er den Stein in die Höhe und verharrte damit über der Maus, deren Bewegungen allmählich schwächer wurden. Das Beinchen streckte sich nur noch wenige Millimeter weit, die Körperdehnung, mit der das Tier offenbar mit letzter Kraft nach Atem rang, wurde mit jedem Zug kürzer. Schließlich streckte die Maus ihr Beinchen noch einmal langsam zu voller Länge aus, es wirkte, als würde sich ein Krampf lösen. Ein letzter, matter Atemzug, und der Glanz wich aus den Knopfaugen.

Ein eigentümliches Gefühl beschlich ihn, eine Mischung aus Ernst, Traurigkeit und Erleichterung. Er war Zeuge eines Sterbens geworden, und selbst hier, bei dieser winzigen, unbedeutenden Kreatur hatte es etwas Ergreifendes, dieses verzweifelte Aufbäumen gegen das Unvermeidliche, dieser unbedingte Lebenswille bis zum letzten Atemzug. Etwas war verschwunden aus dieser leblosen Fellhülle, etwas Fühlendes, Pulsierendes, Unfassbares.

Er stand da, den Stein immer noch in der Hand, und vor seinem inneren Auge entstand ein Bild aus längst vergangenen Zeiten: ein Junge, der, wie er selbst jetzt, einen Stein in der Hand hielt, und auch dieser Stein war dazu bestimmt gewesen, einem Tier ein vorzeitiges Ende zu bereiten.

Er war elf, vielleicht zwölf Jahre alt, und er hatte am Vortag eine Einladung zu einem ganz besonderen Ereignis bekommen. Charly, ein Junge aus seinem Heimatdorf, hatte ihn zum Grillen von selbst gefangenen Jungtauben eingeladen. Eine Köstlichkeit, meinte Charly, das Fleisch sei unglaublich zart. Charly war zwei Jahre älter als er und genoss allgemeine Bewunderung im Dorf. Er hatte ein Luftgewehr mit Zielfernrohr und ein Moped, das er ohne Nummernschild und ohne den erforderlichen Führerschein fuhr. Es gab keinen Baum, den er nicht bis in die äußerste Krone erklommen hatte, keine Mutprobe, die ihm zu heikel gewesen wäre. Wenn Charly einen zu etwas einlud, dann ging man hin, es war eine Auszeichnung.

Als Michael sich auf den Weg machte, traf er unterwegs auf Norbert, einen großen, dicklichen Jungen aus der Nachbarschaft, den alle Lutschi nannten, weil er einmal beim heimlichen Daumenlutschen ertappt worden war. Es stellte sich heraus, dass er ebenfalls zum Taubengrillen eingeladen war, was Michael eine leise Enttäuschung bereitete, weil es den Prestigegewinn der Ladung schmälerte. Als sie bei dem Haus ankamen, in dem Charly allein mit seinem Vater, einem wortkargen und meist missgelaunten Mann, wohnte, stellten sie fest, dass sie die einzigen geladenen Jungen waren. Das verschaffte Michael zwar ein Gefühl von Exklusivität, die allerdings von dem Umstand beeinträchtigt wurde, dass er sie ausgerechnet mit Lutschi teilen musste.

Als Charly ihnen die Tür öffnete, trug er Gummistiefel und einen blauen Arbeitsanzug, der ihm einige Nummern zu groß war und wahrscheinlich seinem Vater gehörte. Eine Kappe mit breitem Schirm beschattete seine Augen und verlieh seinem Blick etwas Düsteres. Er hatte den Grill und die Kohle schon auf der Terrasse vorbereitet, jetzt fehlte nur noch das Fleisch. Ohne viel Worte zu verlieren, ging er mit den beiden Jungen in den Garten hinter dem Haus und schob die Zweige eines im dichten Laub stehenden Fliederstrauchs auseinander. Ein Nest kam zum Vorschein, darin befanden sich vier kleine, weiße Tauben, die den Kopf reckten, als das überraschende Licht auf sie fiel. Geschickt nahm Charly eine Taube aus dem Nest und hielt sie Lutschi hin. Der wich einen Schritt zurück und legte die Hände auf den Bauch.
„Die beißt nicht!“, sagte Charly und hielt ihm die Taube erneut entgegen.
Lutschi streckte zaghaft die Arme aus und ließ sich den Vogel in die geöffneten Hände setzen. Er verzog vor Unbehagen den Mund, als er das Tier umfasste und sanft gegen seinen Bauch drückte. Charly nahm eine weitere Taube aus dem Nest und hielt sie Michael entgegen. Der ließ sich seinen inneren Widerstand nicht anmerken und nahm, ohne zu zögern, den Vogel in beide Hände, als wäre ihm diese Handhabung völlig vertraut. Dabei hatte er noch nie Gefieder in seinen Händen gespürt. Das Tier fühlte sich warm und weich an und rührte sich nicht. In den Handinnenflächen fühlte er ganz leicht den Atem und den schnellen Herzschlag des Vogels. Schließlich nahm Charly selbst eine Taube heraus, die vierte bleib regungslos im Nest zurück.

Einen Moment standen sich die drei Jungen gegenüber, jeder einen identisch aussehenden Vogel in Händen.
„Und jetzt?“, fragte Lutschi.
„Jetzt müssen wir sie nur noch killen“, sagte Charly und blickte mit provokanter Ruhe aus dem Mützenschatten von einem zum anderen.
„Was, wie denn?“ Lutschis Stimme war in eine hohe Lage gerutscht.
„Indem du ihnen den Kopf abreißt, einfach so:“

Charly löste eine Hand von der Taube und klemmte das Köpfchen am Halsansatz zwischen die Innenseiten des gekrümmten Zeige- und Mittelfingers. Dann riss er ruckartig die Hand von dem Tier weg. Lutschi schnappte hörbar nach Luft und kniff die Augen zusammen. Doch Charly hatte rechtzeitig die Finger von dem Kopf des Vogels gelöst, er war unversehrt.
„Nichts dabei“, sagte er, die Hand immer noch in der Luft. „Ist wie Kirschenpflücken.“

Eine angespannte Ruhe breitete sich unter den Jungen aus. Lutschi starrte auf die Taube, die ruhig in seinen Händen saß. Michael versuchte, etwas in Charlys Blick zu erkennen, der erwartungsvoll in seine Richtung schaute. Aber er konnte seine Augen nicht sehen, sie lagen im Schatten des Mützenschirms. Er betrachtete die Taube in seinen Händen und spürte die Wärme ihres Körpers. Ihr Kopf war winzig, der Hals kaum sichtbar, er würde wenig Widerstand leisten. Ein kurzer Moment, kaum Kraft, nicht einmal ein echter Ruck wären nötig, um Charlys volle Anerkennung zu gewinnen. Doch während er eine Hand vom Flügel des Tieres löste, um sie dem Kopf zu nähern, spürte er einen starken inneren Widerstand. Die Stille wurde vom Gackern eines Huhns im Stall neben dem Garten durchbrochen, ein hohes, durchdringendes Geräusch, das in diesem sich dehnenden Moment eine Erinnerung auslöste. Als Michael vor einigen Tagen vom Spielen nach Hause gekommen war, trat gerade sein Vater aus dem Geräteschuppen und ging in Richtung des Hühnerstalls. Er trug eine mit rotbraunen Flecken gesprenkelte Schürze über seiner Arbeitskleidung und hielt ein Beil in der Hand. Seine aufgekrempelten Ärmel legten sehnige Unterarme frei, auf denen die Adern bläulich hervortraten. In der freien Hand hielt er eine brennende Zigarette.

„Was machst du?“, fragte Michael.
„Wonach sieht’s denn aus?“
„Und, wen nimmst du? Die Emma?“
„Die ist noch nicht fett genug. Fritz ist dran.“
„Der Hahn? Dann kriegen wir keine Küken mehr.“
„Mama will die Hühner abschaffen. Sie sagt, die kriegen wir billig und sauber verpackt im Supermarkt.“

Der Vater öffnete eine mit Maschendraht bespannte Tür und verschwand im Hühnerstall. Lautes Gegacker ertönte, gefolgt von Geflatter und Flügelschlag. Nach einer Minute kam der Vater zurück und hielt den Hahn umklammert, mit der einen Hand presste er den rotbraun gefiederten Körper fest gegen seinen Bauch, die andere hatte er an den unteren Halsansatz des Tieres gelegt. Das Beil steckte mit dem Griff nach unten im hinteren Hosenbund. Der Vogel zuckte mit dem Kopf hin und her und versetzte seinen roten Kehllappen in eine pendelnde Bewegung. Der Vater ging zu einem Holzblock am Rand des Hofes, dessen Oberfläche von getrocknetem Blut gefärbt war. Michael sah ihm dabei zu, wie er den Hahn auf den Block legte und am Halsansatz auf das Holz drückte. Mit der anderen Hand tastete er zum Beil im Hosenbund. Er hatte ein Auge zugekniffen, um es vor dem Rauch der Zigarette in seinem Mundwinkel zu schützen.

„Tut es weh?“, fragte Michael.
„Was?“
„Wenn man ihn abhackt.“
Der Vater sah kurz von dem Hahn auf und sagte:
„Ah.“
Es war ein kurzer, kehliger Laut der Verneinung, ein Minimalton, für den man so gut wie keinen Atem benötigte. Michael hätte seinen Vater gern mehr gefragt, etwa ob die Geschichten stimmten, dass Hühner manchmal noch einige Meter ohne Kopf weiterlaufen können. Aber das „Ah“ des Vaters ließ ihn verstummen.

Plötzlich hörten sie die Stimme seiner Mutter aus der Richtung des Hauses.
„Mickey, komm ins Haus!“
Ihre Stimme hatte einen schrillen Unterton, die seinen Vater in seinem Tun innehalten ließ.
„Gleich, Mama!“
„Sofort!“
„Geh schon“, sagte sein Vater, „sonst flippt sie wieder aus. Wenn sie auf Kur ist, bring ich dir bei, wie man’s macht.“

Unwillig riss sich Michael von der Szene los, drehte seinem Vater den Rücken zu und folgte dem Ruf seiner Mutter. Während er auf das Haus zuging, lauschte er, aber es blieb völlig ruhig hinter ihm, bis er den Eingang erreicht hatte. Seine Mutter stand in der Tür, sie hatte eine steile Falte zwischen den Augen und schob ihn an der Schulter ins Haus. Als sie im Flur standen, war die Falte verschwunden und ihr Blick hatte etwas Flehentliches bekommen.

„Warum abreißen?“, fragte Michael, seine Hand hatte fast den Kopf der Taube erreicht.
„Was?“, fragte Charly und zog sich die Mütze tiefer in die Stirn.
„Wieso muss man den Kopf abreißen?“
„Willst du ihn lieber abbeißen?“
„Hast du kein Beil?“
„Wie wär’s hiermit?“, fragte Lutschi und stieß mit der Fußspitze gegen einen großen flachen Stein. Er hielt seine Taube mit leicht ausgestreckten Armen ein Stück weit von seinem Körper entfernt.
„Na, dann mach mal!“, sagte Charly. Michael sah, dass sein Mund sich zu einem spöttischen Grinsen verzog.

Lutschi stand eine Weile unschlüssig da und blickte von einem zum anderen. Dann kniete er nieder, setzte den immer noch reglosen Vogel ins Gras und drückte ihn am Rückengefieder zu Boden. Mit der anderen Hand nahm er den Stein auf, hielt ihn in die Sonne und betrachtete ihn von allen Seiten, als wollte er ihn auf seine Waffentauglichkeit prüfen.

Michael schreckte aus seinen Gedanken auf und blickte auf die tote Maus im Schatten der Hecke. Der Stein lag immer noch in seiner Hand, er wog ihn wippend, bevor er ihn zu Boden fallen ließ. Er versuchte sich zu entsinnen, wie die Geschichte mit den jungen Wildtauben ausgegangen war. Aber es gelang ihm nicht. Er hatte keine Erinnerung mehr daran, ob Lutschi wirklich ernst gemacht hatte mit seinem Stein. So sehr er sich auch konzentrierte, ihm fiel weder ein, was aus der Taube in seiner Hand geworden, noch ob es je zu dem Grillen gekommen war. Da war nur ein zäher undurchdringlicher Nebel in seinem Kopf, der seine Gedanken lähmte.

Mit mechanischen, eingelernten Bewegungen goss er den Rosenstock und stellte danach die Kanne zurück in den Geräteschuppen. Er ging über die Terrasse in die Küche und machte sich einen Tee. Mit tiefen Atemzügen genoss er die ungewohnte Ruhe im Haus, das er ein Wochenende lang für sich allein hatte. Dann duschte und rasierte er sich, zog ein frisches Hemd an und stieg ins Auto, um seine Eltern im Nachbardorf zu besuchen.

Als er den Wagen in der Einfahrt parkte, blieb er noch einen Moment am Steuer sitzen und blickte am Haus vorbei über den Hof in den Garten. Nachdem sein Vater einen zweiten Herzinfarkt gehabt hatte, ließ seine Mutter auf der gesamte Anbaufläche Gras sähen und Obstbäume anpflanzen, deren Laub sich bereits zu verfärben begann. Der Hühnerstall war längst abgerissen worden, jetzt war da nur noch eine betonierte Fläche, die gelegentlich als Grillplatz diente.
Michael öffnete das Handschuhfach und holte eine Schachtel Tabletten heraus. Lange starrte er auf die Beschriftung der Verpackung. Dann steckte er die Schachtel in seine Sakkotasche und stieg aus dem Wagen.
Seine Mutter stand bereits auf der Eingangstreppe. Ihre gebeugte Gestalt war etwas schief gegen das Geländer gelehnt, sie hatte für seinen Besuch ein gutes Kleid angezogen, ihr weißes Haar war frisch frisiert.

Sie hielt ihm zur Begrüßung die Wange hin und fragte:
„Wo sind Ruth und Kerstin?“
Wie so oft versetzte es ihm einen Stich, dass sie nur nach seinen Kinder fragte und nicht nach seiner Frau. Flüchtig küsste er die Wange seiner Mutter.
„Katharina ist mit den beiden zu ihrer Mutter gefahren. Das hab ich dir doch am Telefon gesagt.“
„Ach Gott, ich werd langsam vergesslich“, sagte sie und hakte sich bei ihm ein, um leichter die Treppe hinaufzukommen. Als sie in der Küche waren, fragte er:
„Und? Wie geht’s ihm?“

Eine Kerbe bildete sich zwischen ihren Augen. Er wusste, die Falte würde sich gleich wieder entspannen, aber nicht mehr gänzlich verschwinden, zu oft schon hatte sie Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Ihr Blick bekam wie immer etwas Flehentliches, was in letzter Zeit aufgrund der schlaffen, geröteten Lider einen immer stärkeren Zug ins Weinerliche bekommen hatte.

„Er hatte eine harte Nacht.“
„Probleme mit der Luft?“
Sie nickte.
„Vor allem im Liegen ist es arg.“
Er wollte etwas sagen, aber ihm fiel nichts ein.
„Mickey.“
Er zwang sich, sie mit festem Blick anzusehen.
„Letzte Nacht wache ich auf, und er ist nicht im Bett. Ich gehe ins Wohnzimmer und er steht da, mit beiden Händen an eine Stuhllehne gekrampft. Er keucht vor Luftnot und die Augen treten ihm aus dem Kopf. Ich weiß nicht mehr weiter.“

Michael spürte, wie sein Mund trocken wurde.
„Warum nimmt er denn nicht das wassertreibende Medikament?“
„Er geht sparsam damit um, weil es allmählich seine Wirkung verliert. Darum setzt sich immer mehr Wasser in der Lunge ab.“

Nach einer kurzen Weile, in der die Falte zwischen ihren Augen sich wieder vertiefte, fügte sie hinzu:
„Weiß du, was er gesagt hat?“
„Was?“
„Warum schläfern sie mich nicht ein?“
„Mama, ich –“
„Mickey, einschläfern hat er gesagt. Das tut man doch nur mit einem Tier.“

Als er sah, dass ihre Augen sich mit Tränen zu füllen begannen, wandte er sich von ihr ab und sagte lauter als gewollt:
„Ich geh zu ihm.“
Er verließ die Küche und betrat das Wohnzimmer, wo er seinen Vater nicht antraf. Er ging zurück in den Flur und lauschte an der Toilettentür. Zuerst hörte er ein leises Schnaufen, dann einen Wasserstrahl, gleichmäßig und anhaltend. Länger als eine Minute hörte er zu, wie das Wasser, das die Pillen aus den Lungen und Blutgefäßen des Vaters gesaugt hatten, in die Schüssel plätscherte. Die Spülung erklang, und Michael trat rasch von der Tür zurück.

Als sein Vater sich ihm gegenüber ächzend aufs Sofa sinken ließ, wirkte seine Gestalt eingefallen und abgemagert. Dunkle Ränder hatten sich unter seinen Augen gebildet. Sie plauderten einige belanglose Worte über die Kinder und das Wetter. Und Michael bemerkte, dass sein Vater zwischen seinen spärlichen Worten immer wieder nach Luft schnappte, ein kurzes, beinahe erschrockenes Japsen, einem geräuschlosen Schluckauf ähnlich. Michael sah sich im Raum um, in einer Ecke neben dem Fernseher stand eine Sauerstoffflasche in einem metallenen Fahrgestell. Er deutete darauf und sagte:
„Soll ich dir das Ding bringen?“
„Ah.“

Ein Schweigen entstand, das sich lange zog. Die lastende Stille erinnerte Michael an ein Gespräch, das sie eine Woche zuvor geführt hatten. Sein Vater war wie immer den Fragen nach seinem Befinden ausgewichen, hatte einsilbig oder nur mit einer abwinkenden Handbewegung geantwortet. Doch am Ende blickte er aus dem Fenster, ein Schleier hatte sich über seine Augen gelegt und er sagte leise, wie zu sich selbst:
„Ich werd sicher keine Siebzig.“

Michael überlegte, was er darauf antworten sollte. Doch seine Gedanken wurden träge und schwer, nicht einmal mehr den Blick vermochte er zu heben. Minutenlang saßen sie sich schweigend gegenüber. Beim Abschied hatte sein Vater ihn noch einmal geradeheraus angesehen und gesagt:
„Ich verlass mich auf dich. Ich will nicht ersticken wie ein gefangener Fisch.“

Ein Schnappen nach Luft riss Michael aus der Erinnerung. Er stand auf, rollte die Sauerstoffflasche zum Sofa, drehte den Hahn auf und reichte dem Vater den durchsichtigen Schlauch. Der Vater nahm ihn nach einem Zögern widerwillig entgegen und steckte sich das gebogene Plastikende in die Nase.
Die frische Luftzufuhr verschaffte ihm sichtlich Erleichterung, seine Atmung begann sich etwas zu entspannen. Dann verengten sich seine Augen, die buschigen weißen Brauen schoben sich zusammen, und er sagte:
„Hast du es dabei?“
„Was?“
Der Vater zog verächtlich einen Mundwinkel nach unten. Michaels Hand griff unwillkürlich nach der Tablettenpackung in der Sakkotasche, der Blick des Vaters folgte seiner tastenden Bewegung. Mit einem Räuspern stand Michael auf und ging ziellos einige Schritte durch den Raum. Auf einer Kommode stand ein Hochzeitsfoto der Eltern. Seine Mutter trug darauf einen weißen Schleier auf dem kunstvoll frisierten blonden Haar. Sie stand etwas seitlich und sah mit weit geöffneten Augen zu ihrem Mann auf, der einen Kopf größer war als sie und das markant geschnittene Kinn der Kamera entgegenreckte.
Als er sich von dem Foto losriss, sah sein Vater ihn immer noch unverwandt an, als erwartete er eine Antwort.
„Nein!“, sagte Michael, schüttelte bekräftigend den Kopf und versuchte seiner Stimme Festigkeit zu verleihen.
Sein Vater blickte auf Michaels Sakkotasche, die von der Medikamentenpackung ausgebeult war. Dann nahm er den Schlauch aus der Nase, schnaufte verächtlich und sagte, den Mund zu einem leichten Grinsen verzogen:
„Hätt ich dir auch nicht zugetraut.“

Dietmar Krug, geboren 1963 im Rheinland, studierte in Aachen und Wien Germanistik, Philosophie und Geschichte. Er promovierte 1996 über Thomas Mann. Seit 1988 lebt Krug in Wien, war dort zunächst freier Verlagslektor, bevor er 2004 in den Journalismus wechselte. Als Autor, Kolumnist und Redakteur hat er für diverse Medien gearbeitet, u. a. «Die Zeit», «Die Presse», «Der Standard». Zuletzt erschienen bei Otto Müller die Romane «Rissspuren» (2015) und «Die Verwechslung» (2018).

Rezension von «Von der Buntheit der Krähen» auf literaturblatt.ch

Webseite des Autors

Beitragsbild © Pilo Pichler

Dietmar Krug «Von der Buntheit der Krähen», Otto Müller Verlag

Vielleicht ist es eine der schwersten Aufgaben eines Lebens, sich der Wahrheit, den Wahrheiten zu stellen. Thomas und Karl, beide einst in der gleichen kleinen Schule im Dorf stellen sich ihren Wahrheiten in vollkommen gegensätzlicher Weise. Und dabei wird ein Dorf zu einem Schauplatz, der die Wahrheiten provoziert. Thomas, der fast ein ganzes Leben vor ihr floh. Karl, dessen Leben zu einem einzigen Kampf darum wird.

Thomas entfloh einst dem Dorf, hielt es nicht mehr aus, schälte sich aus dem scheinbaren Würgegriff und machte sich aus dem Staub. Weg vom Alp in seiner Familie, weg von den Ketten im Dorf, weg aus einem Geflecht von Erwartungen. Er tauchte ab in die Stadt, etablierte sich als gefragter Musikkritiker, bis ihn die alten Muster, gepaart mit Tablettensucht und Alkohol wieder von seinem Platz wegtrieben, zurück ins Dorf, das er einst hinter sich gelassen hatte. Thomas will Zeit, Klarheit und einen Weg weiter. Er weiss, dass es für ihn und seine Art des Schreibens bei den Tageszeitungen keinen Platz mehr gibt, dass er sich nicht nur beruflich neu orientieren muss, um zu überleben. Er richtet sich im Dorf, in dem er aufwuchs in einem kleinen Häuschen am Rand ein, einem Haus, das einst von Hippies bewohnt seit Jahrzehnten allein in einem wilden Garten sich selbst überlassen war.

Im gleichen Dorf lebt Karl. Scheinbar einer von der Sorte Mensch, denen der Looser in den Genen steckt. Karl wuchs beim Grossvater auf einem kleinen Hof auf, einem Hof, den er noch immer mehr schlecht als recht bewirtschaftet. Bei einem Grossvater, der ihm schon in Kindertagen die Härte des Lebens beibringen wollte. In einem Leben, in dem er höchstens von den Tieren im Stall den ungetrübten Blick, die unvoreingenommene Zuwendung geniessen konnte. In einem Dorf, das ihn gnadenlos zum Aussenseiter machte, obwohl seine Erscheinung, je älter er wurde, desto respekteinflössender war. In einem Körper gefangen, den er nie zu seinem eigenen werden lassen konnte. Provoziert von seiner Umwelt gerät er in die Mühlen der Justiz, ins Gefängnis, zurück an den mittlerweile verwaisten Hof, entschlossen in sich die Frau zu befreien, die im falschen Körper steckt. Ein Unterfangen, das in einem Dorf wie dem seinigen zum Spiessrutenlauf wird.

Dietmar Krug, selbst lange Zeit Mitarbeiter in Zeitungsredaktionen und Kolumnist, Meister der filigranen Beschreibungen, beschreibt die nach innen und aussen gerichteten Auseinandersetzungen der beiden Männer. Thomas stellt sich seinen Wahrheiten nicht, er, dem die Herzen der meisten Dorfbewohner offen stehen. Er schafft es auch nicht, das Grab seiner Mutter zu besuchen, das Haus, in dem er aufgewachsen ist. Aber er beginnt in dem kleinen Haus, im Garten, den er mit den beiden Kaninchen eines Mädchens aus der Nachbarschaft, die er in Pflege nimmt, teilt, zu schreiben, zaghaft zuerst, dann immer tiefer, weil er weiss, dass im Schreiben der einzige Weg für ihn offen steht.

Karl hingegen, vom Dorf wegen seines kriminellen Vaters und seiner unglücklichen Kindheit und Jugend stigmatisiert, nimmt den Kampf auf, stellt sich nicht nur den Geistern, sondern knackt das Gefängnis, in dem sein Körper steckt. Nach unsäglich vielen verschämten Versuchen, eingetaucht in Heimlichkeiten und den Dunst von Alkohol, zelebriert er ungeniert seine Transsexualität.

Dietmar Krug bettet die Geschichten in ein Dorf, in ein feines Geflecht, von Menschen, die sich ganz unterschiedlichen Dämonen zu stellen haben, in ein Dorf, das wie viele andere von den Verschiebungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart zerrissen wird. Ein junges Mädchen erklärt Thomas in die „Die Buntheit der Krähen“, dass die schwarzen Vögel eigentlich zu den Singvögeln gehören und ihr Federkleid nur für den oberflächlichen Betrachter schwarz ist. Wer genau schaut, sieht, dass das Federkleid in allen Farben schimmert – und selten etwas ist, wie es scheint.

Der neue Roman Dietmar Krugs entwickelt einen ungemein leisen Sog. Eine der vielen Überraschungen des Lesens sind die Beschreibungen von Tieren und Klängen. Etwas, was ich in dieser Intensität nur ganz selten antreffe. Beschreibungen, die dem Buch das schenken, was die Qualität der Protagonisten ausmacht; eine Wahrnehmung, die der Wahrheit unweigerlich an die Oberfläche hilft. Ein ganz besonderer Lesegenuss.

© Pilo Pichler

Interview mit Dietmar Krug:

Ich kann nicht weitermachen wie bisher“, sagen beide, Thomas und Karl, jeder auf seine Weise. Warum muss ganz offensichtlich das Leiden stets existenziell werden, bis man sich an einen Richtungswechsel macht? Sowohl der ganz persönliche wie der globale! Erst wenn es offensichtlich um Kopf und Kragen geht, beginnt das Galoppieren auf den Abgrund zögerlich zu werden?
Der Klimawandel ist ein gutes globales Beispiel: Er ist jetzt plötzlich keine graue Theorie mehr, seitdem man an der eigenen Haut fühlen kann, dass es wärmer wird. Dann greifen auf einmal die eingebildeten Motive und Scheinrationalitäten nicht mehr. Der Mensch muss die Dinge offenbar regelrecht an Kopf und Kragen, das heisst körperlich, spüren, bis er sie im wörtlichen Sinn „begreifen“ kann. Dann erst geht’s ans „Eingemachte“.
Wenn es für Thomas und Karl existenziell wird, offenbart sich womöglich, worauf ihre Existenz eigentlich beruht.
Es reizt mich, Figuren in solchen Grenzsituationen zu schildern. Das bietet die Chance, sich dem anzunähern, was den Menschen im Innersten ausmacht, seinen Abgründen und Ängsten, aber auch seinen tiefsten Sehnsüchten. 

Die Borniertheit in ihren vielfältigsten Schattierungen scheint in ihrem Roman ein fast ausschliesslich männliches Problem zu sein. Es sind die Frauen, Mädchen, die aufbrechen und provozieren, selbst bei Karl, der im Laufe des Romans zu einer Frau wird, zu „Sissi“, sich einen Namen gibt, der sinnbildlich erscheint für den Ausbruch aus einem Korsett. Schält sich die Gesellschaft aus einer männlichen Umklammerung? Oder zerfällt das eine Klischee einfach zu einem neuen?
Borniertheit ist gewiss kein exklusiv männliches Phänomen. Aber wenn ein Ausnahmezustand auftritt, ein Bedrohungsszenario, gleich, ob echt oder eingebildet, dann sind stets die Männer an vorderster Front zur Stelle. Und dann liegt allzu rasch Gewalt in der Luft. Die Kasernen und Hochsicherheitstrakte der Welt sind nicht ohne Grund vor allem von Männern besetzt. In meinem Roman sind es in erster Linie die männlichen Dorfbewohner, die dem Wahn verfallen sind, ihr Dorf gegen die vermeintliche Bedrohung durch alles Fremde und Fremdländische verteidigen zu müssen. Das dafür nötige Ausblenden von sozialen und zivilisierten Regungen ist meinen weiblichen Figuren allein schon deshalb unmöglich, weil ihr mitfühlender Sinn durch ihr Lebensschicksal ungewöhnlich stark ist. Die eine (Agnes) hat ein schwer krankes Kind, die andere (Karin) ist für einen psychisch kranken Bruder verantwortlich. Aber es gibt ja auch noch Thomas› Tante Klara, die das, was sie für Mutterliebe hält, durchaus mit dem Soldatentum ihres Sohnes in Einklang bringen kann.

Geschechtsdysphorie (Geschlechtsidentitätsstörung) ist keine Krankheit, auch wenn der Begriff wie eine tönt. Karl leidet darunter, selbst als sie, als Sissi. Leidet die Gesellschaft darunter, dass sich das Menschsein nicht immer bloss einteilen lässt in das eine oder das andere; Frau oder Mann, richtig oder falsch, rechts oder links, Wahrheit oder Lüge? Wärs nicht an der Zeit, dass man schon den Kindern die Buntheit der Krähen erklärt?
Da berühren Sie einen wunden Punkt, der im Grunde die derzeitige medizinische Praxis in Erklärungsnot bringt. Denn auf der einen Seite gibt man sich dort inzwischen überaus aufgeklärt und betrachtet das Phänomen der Transsexualität nicht mehr als Krankheit, ja nicht einmal mehr als Störung. Andererseits bietet man den Betroffenen hoch wirksame Medikamente und radikale chirurgische Eingriffe an, die sonst nur bei schwer kranken Menschen zum Einsatz kommen. Und noch ein Paradox: Auf der einen Seite weist man immer öfter darauf hin, dass die Geschlechtergrenzen fliessend sind. Andererseits stellt man die Eindeutigkeit der Polaritäten am Ende ja gerade dadurch wieder her, dass man mit hormonellen und chirurgischen Mitteln aus einem Mann eine Frau macht – oder umgekehrt. Meine Utopie wäre eine Welt, in der Menschen mit fliessendem Geschlechtsempfinden sein können, was sie sind, und die Medizin gar nicht mehr nötig hätten.

Thomas Mutter war keine aus dem Dorf. Eine Fremde, eine aus dem Balkan, eine, die verstummte. Eine, die es nicht schaffte, sich von einem Alp zu befreien, die sich nie herauswinden konnte aus dem Korsett, das ihr den Atem stahl. Irgendwann kann Schweigen zu einer Mauer werden, die sich nicht mehr einreissen lässt. Fehlte ihr die Sprache?
Ja, sie hat ihre Sprache eingebüsst, ihr Sprachverlust ist im Grunde ein Vertrauensverlust. Ihr Bruder war der einzige Mensch, an den sie sich in ihrer kindlichen Not wenden konnte. Als er sich grob von ihr abwandte, gab es niemanden mehr, den ihre Worte erreicht hätten. Selbst die spätere Liebe und Fürsorge ihres Mannes hat die Mauer des Schweigens nicht mehr überwinden können. Und doch hat sie mit ihrem Sohn eine eigene, ganz und gar andere Sprache entwickelt – im Reich der Musik und in der Welt der Klänge. Hier haben die beiden eine tiefe Verbindung zueinander und können sich Dinge mitteilen, für die es sonst keine Worte gäbe. 

Thomas sitzt in dem kleinen Haus oder im Garten und schreibt. Er tippt in seinen Laptop. Und immer wieder erscheint auf dem Bildschirm «speichern, verwerfen, abbrechen». So wie beim Schreiben ist es doch wie im Leben, mit allem, jedem Bild, jedem Erlebnis. Oder bilden wir uns nur ein, wir könnten selbst entscheiden?
Als Thomas versucht, einige Erinnerungen und prägende Erlebnisse aufzuschreiben, scheitert er jedes Mal buchstäblich daran, das Notierte auf dem Computer zu speichern, dem „Dokument“ einen Namen zu geben. Diesem Zwang, sich entscheiden zu müssen, ist er nicht gewachsen. Das ist sicher symptomatisch für seine innere Flüchtigkeit und Getriebenheit. (Vielleicht hätte Thomas sich ja leichter getan, wenn er beim Speichern dem Dokument anstelle eines Namens einen Klang hätte geben können.) Andererseits: Gibt es etwas Schwierigeres, als einem eindringlichen Erlebnis einen passenden Namen zu geben, es mit einem Wort zu erfassen, das seinen wahren emotionalen Gehalt trifft? Hier hat mich nicht zuletzt das Phänomen gereizt, meinen Protagonisten seine intimsten Erinnerungen aufschreiben zu lassen, nur um sie dann wieder zu löschen. Und doch stehen sie da, zumindest in meinem Buch.

Dietmar Krug, geboren 1963 im Rheinland, studierte in Aachen und Wien Germanistik, Philosophie und Geschichte. Er promovierte 1996 über Thomas Mann. Seit 1988 lebt Krug in Wien, war dort zunächst freier Verlagslektor, bevor er 2004 in den Journalismus wechselte. Als Autor, Kolumnist und Redakteur hat er für diverse Medien gearbeitet, u. a. «Die Zeit», «Die Presse», «Der Standard». Zuletzt erschienen bei Otto Müller die Romane «Rissspuren» (2015) und «Die Verwechslung» (2018).

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Beitragsbild (Ausschnitt) © Sandra Kottonau

Ana Marwan «Der Kreis des Weberknechts», Otto Müller

Karl Lipitsch vergleicht sich in seiner Vorstellung gerne mit einem einsamen Wolf, aber eigentlich ist der selbsterklärte Misanthrop eher ein Einsiedlerkrebs, eingeschlossen in seiner auserwählten Muschel. Wenn da nur die Wirkungen der Gefühle, die Frau in der Wohnung auf der gegenüberliegenden Strassenseite nicht wäre.

Die ungefähre Handlung Ana Marwans ersten Romans ist schnell erzählt: Ein zurückgezogener Mann im gesetzten Alter, der in seiner Wiener Wohnung an einem sich ewig dahinziehenden Buch arbeitet, manchmal im Garten vor seinem Haus sitzt und liest, lernt mehr oder weniger zufällig die Frau vom Haus gegenüber kennen. Sein Entschluss, mit den Menschen eigentlich nichts mehr zu tun haben zu wollen, beginnt zu wanken. Und während er mit Bedacht versucht, die Kontrolle über sein fest installiertes Dasein nicht zu verlieren, droht sich die Muschel des Krebses aufzulösen.

«Zweifel sind die schwerste Last, die man einem auferlegen kann und unverzeihlich, wenn sie leicht zerstreut werden.»

Weberknechte gehören zu den Spinnen, werden in der Schweiz auch Zimmermänner genannt, in anderen Gegenden Schuster oder Schneider. Das passt für den Einsiedler Karl Lipitsch, denn er schustert und schneidert sich seine Welt ebenfalls zusammen. Und wer in seinen Kreis gerät, der wird schonungslos abgeurteilt, ausser eben wenn die eine Mathilde heisst und mit der genau richtigen Mischung von Abweisung und Hartnäckigkeit den Eremit aus seinem Turm lockt.

Karl Lipitsch hat sich von allen und allem losgesagt, eigentlich auch von den Frauen. Er schreibt an einer ontologischen Theorie, schon seit Jahren, ein Ästhet, ein urbaner Poet, kritzelt in sein Notizheft und wenn es sein muss, schreibt er auch einmal einen Brief.
Auf einer Fahrt mit dem Zug lernt er Mathilde kennen, die ihn gekonnt in ihr Leben hineinzieht und Karl damit aus seinem gewohnten Trott. Er, der mit Bedacht bei sich zu kontrollieren versucht, was bei der Menschheit an sich schon längst aus dem Ruder gelaufen ist, der seinen Artgenossen wenn immer möglich aus dem Weg geht, verstrickt und verheddert sich in den feinen Fangfäden einer Frau, wankt im Hin-und-her zwischen Abstossung und Anziehung, zwischen Selbstdisziplin und aufkeimender Leidenschaft.

«Schweigen ist die hinterhältigste Strafe, die man einem Freund erteilen kann.»

Ana Marwan schlüpft meisterlich in die Rolle eines Sonderlings, ins Innenleben eines In-sich-Gekehrten, der es zumindest tapfer versucht, auf alles «zu pfeifen» was andere von ihm erwarten, sich in der «warmen Umarmung der Einsamkeit» zu suhlen. Er glaubt, dass die Welt in ihrer Banalität ihn nur von seinem Denken ablenke. Selbst die überbordende Üppigkeit eines im Frühling blühenden Apfelbaumes kann bei Lipitsch Missbehagen auslösen.
Doch was in den Wochen und Monaten nach dem ersten Aufeinandertreffen mit Mathilde passiert, bringt den Mann restlos aus dem Lot, auch weg von seiner eigentlichen Aufgabe, seinem Buch.

«Es liegt in der Natur der Frau, sich allen Wünschen zu widersetzen.»

Ana Marwan beschreibt den Kampf in der Seele eines Verkrampften, spürt dem nach, was passiert, wenn sich zwei Gravitationsfelder zwischen Anziehung und Abstossung aufreiben, darüber, in welcher Komplexität und Kompliziertheit nur der Mensch, der Kopfmensch den Gefühlen im Bauch mit aller Skepsis begegnet. «Der Kreis des Weberknechts» ist voller Komik und Witz, aber auch mit Momenten, in denen man den Protagonisten am liebsten schütteln würde!

«Herr»liche Literatur!

Ana Marwan, 1980 in Murska Sobota (Slowenien) geboren, aufgewachsen in Ljubljana. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft in Ljubljana und Romanistik in Wien. Preisträgerin des exil-literaturpreises schreiben zwischen den kulturen 2008. «Der Kreis des Weberknechts» ist ihr erster Roman.