Ana Marwan «Der Kreis des Weberknechts», Otto Müller

Karl Lipitsch vergleicht sich in seiner Vorstellung gerne mit einem einsamen Wolf, aber eigentlich ist der selbsterklärte Misanthrop eher ein Einsiedlerkrebs, eingeschlossen in seiner auserwählten Muschel. Wenn da nur die Wirkungen der Gefühle, die Frau in der Wohnung auf der gegenüberliegenden Strassenseite nicht wäre.

Die ungefähre Handlung Ana Marwans ersten Romans ist schnell erzählt: Ein zurückgezogener Mann im gesetzten Alter, der in seiner Wiener Wohnung an einem sich ewig dahinziehenden Buch arbeitet, manchmal im Garten vor seinem Haus sitzt und liest, lernt mehr oder weniger zufällig die Frau vom Haus gegenüber kennen. Sein Entschluss, mit den Menschen eigentlich nichts mehr zu tun haben zu wollen, beginnt zu wanken. Und während er mit Bedacht versucht, die Kontrolle über sein fest installiertes Dasein nicht zu verlieren, droht sich die Muschel des Krebses aufzulösen.

«Zweifel sind die schwerste Last, die man einem auferlegen kann und unverzeihlich, wenn sie leicht zerstreut werden.»

Weberknechte gehören zu den Spinnen, werden in der Schweiz auch Zimmermänner genannt, in anderen Gegenden Schuster oder Schneider. Das passt für den Einsiedler Karl Lipitsch, denn er schustert und schneidert sich seine Welt ebenfalls zusammen. Und wer in seinen Kreis gerät, der wird schonungslos abgeurteilt, ausser eben wenn die eine Mathilde heisst und mit der genau richtigen Mischung von Abweisung und Hartnäckigkeit den Eremit aus seinem Turm lockt.

Karl Lipitsch hat sich von allen und allem losgesagt, eigentlich auch von den Frauen. Er schreibt an einer ontologischen Theorie, schon seit Jahren, ein Ästhet, ein urbaner Poet, kritzelt in sein Notizheft und wenn es sein muss, schreibt er auch einmal einen Brief.
Auf einer Fahrt mit dem Zug lernt er Mathilde kennen, die ihn gekonnt in ihr Leben hineinzieht und Karl damit aus seinem gewohnten Trott. Er, der mit Bedacht bei sich zu kontrollieren versucht, was bei der Menschheit an sich schon längst aus dem Ruder gelaufen ist, der seinen Artgenossen wenn immer möglich aus dem Weg geht, verstrickt und verheddert sich in den feinen Fangfäden einer Frau, wankt im Hin-und-her zwischen Abstossung und Anziehung, zwischen Selbstdisziplin und aufkeimender Leidenschaft.

«Schweigen ist die hinterhältigste Strafe, die man einem Freund erteilen kann.»

Ana Marwan schlüpft meisterlich in die Rolle eines Sonderlings, ins Innenleben eines In-sich-Gekehrten, der es zumindest tapfer versucht, auf alles «zu pfeifen» was andere von ihm erwarten, sich in der «warmen Umarmung der Einsamkeit» zu suhlen. Er glaubt, dass die Welt in ihrer Banalität ihn nur von seinem Denken ablenke. Selbst die überbordende Üppigkeit eines im Frühling blühenden Apfelbaumes kann bei Lipitsch Missbehagen auslösen.
Doch was in den Wochen und Monaten nach dem ersten Aufeinandertreffen mit Mathilde passiert, bringt den Mann restlos aus dem Lot, auch weg von seiner eigentlichen Aufgabe, seinem Buch.

«Es liegt in der Natur der Frau, sich allen Wünschen zu widersetzen.»

Ana Marwan beschreibt den Kampf in der Seele eines Verkrampften, spürt dem nach, was passiert, wenn sich zwei Gravitationsfelder zwischen Anziehung und Abstossung aufreiben, darüber, in welcher Komplexität und Kompliziertheit nur der Mensch, der Kopfmensch den Gefühlen im Bauch mit aller Skepsis begegnet. «Der Kreis des Weberknechts» ist voller Komik und Witz, aber auch mit Momenten, in denen man den Protagonisten am liebsten schütteln würde!

«Herr»liche Literatur!

Ana Marwan, 1980 in Murska Sobota (Slowenien) geboren, aufgewachsen in Ljubljana. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft in Ljubljana und Romanistik in Wien. Preisträgerin des exil-literaturpreises schreiben zwischen den kulturen 2008. «Der Kreis des Weberknechts» ist ihr erster Roman.