Joachim Sartorius «Eidechsen», Naturkunden, Matthes & Seitz

Was entstehen kann, wenn sich Buchkunst, Poesie, Wissenschaft und Leidenschaft treffen, das beweisen die Herausgeberin Judith Schalansky in ihrer Reihe „Naturkunden“, der Verlag Matthes & Seitz in Berlin und der Dichter Joachim Sartorius, der seit Jahrzehnten zu den Eminenzen der deutschen Dichtkunst zählt.

Vor nicht langer Zeit war ich im Tessin in den Ferien, in einem kleinen Steinhaus über dem Tal, umgeben von Steinmauern, die über Generationen angelegt wurden, um die Hänge der Täler nutzbar zu machen. Dort, wo ich sass, lag und las, sonnten sich auch Eidechsen. Und manchmal auch die grosse Schwester der häufig anzutreffenden Zauneidechse, die grün schimmernde, um einiges grössere Smaragdeidechse. Die Tiere faszinieren. Nicht nur wegen ihrer Eleganz, der Schnelligkeit ihrer Bewegungen und der Verwandtschaft mit den faszinierendsten Tieren der Gegenwart und Vergangenheit wegen, sondern weil die kleinen überaus wendigen Echsen Bindeglied zu einer Welt sind, die in Geschichte, Mythen und Märchen Echsen zu symbolreichen Tieren machen. Sei es die Faszination, die Dinosaurier auslösen, die Mythen und Legenden um feuerspeiende Drachen, die Geheimnisse um ihre Nähe zur Unterwelt. Sei es die Kühle ihrer Haut, die Fähigkeiten, sich Extremen anzupassen, selbst einen Körperteil abzuwerfen – Eidechsen sind Geschöpfe, die mit anderen Ebenen verbinden, Zeugen einer dies- und jenseitigen Existenz.

Joachim Sartorius, Judith Schalansky (Hg.) «Eidechsen
Ein Portrait», Naturkunden, Matthes & Seitz, 2019, 136 Seiten, CHF 26.90, ISBN 978-3-95757-791-7

Und wenn sich für einmal kein Wissenschaftler an das Wesen eines Tieres annähert, auch kein Journalist, kein Lehrbuchautor, wenn sich ein Dichter, ein Künstler an dieses filigrane Wesen heranwagt und es mit ebenso filigraner Sprache zu zeichnen vermag, dann entsteht ein Kunstwerk, ein Kleinod, das seinesgleichen sucht, dass die Lektüre zum multiplen Genuss macht. So sehr man in der Vergangenheit Echsen mit Schlangen ud Kröten in einen Topf warf und ihnen einen Platz auf der Arche Noah absprach, sie in den Dienst des Bösen und Üblen schob, so sehr gibt Joachim Sartorius den Eidechsen jenen Platz zurück, der ihnen gebührt.

Joachim Sartorius malt mit grosser Geste bis ins kleinste Detail, ohne je nur ansatzweise zu langweilen. Weil ich als Leser in jeder Seite die Leidenschaft des Autors und die Akribie der Herausgeberin spüre, wird die Lektüre dieses Buches zum Hochgenuss. Inhaltlich sowieso – aber in Vollendung auch haptisch: ein geprägter Einband, ein farblich passender Schnitt, schwarze Fadenheftung, sorgfältig vielfarbig illustriert und ediert!

Wer in seinem Bücherregal noch keine kleine Bibliothek der „Naturkunden“ begonnen hat, der sei gewarnt: Wie kaum eine andere Reihe birgt diese Reihe den Zwang zu Vollständigkeit – durchaus Suchtcharakter!

Joachim Sartorius, geboren 1946 in Fürth, wuchs in Tunis auf und lebt heute, nach langen Aufenthalten in New York, Istanbul und Nicosia, in Berlin und Syrakus. Er veröffentlichte acht Gedichtbände, die sich immer wieder mit der Levante und ihren Kulturen befassen. Joachim Sartorius ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 2019 erhielt Sartorius den August Graf von Platen Literaturpreis.

Judith Schalansky, die Herausgeberin der Buchreihe «Naturkunden», 1980 in Greifswald geboren, studierte Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign und lebt als freie Schriftstellerin und Buchgestalterin in Berlin. Sowohl ihr «Atlas der abgelegenen Inseln» als auch ihr Bildungsroman «Der Hals der Giraffe» wurden von der Stiftung Buchkunst zum »Schönsten deutschen Buch« gekürt. Für ihr «Verzeichnis einiger Verluste» erhielt sie 2018 den Wilhelm-Raabe-Preis. Seit dem Frühjahr 2013 gibt sie die Reihe «Naturkunden» heraus.

Falk Nordmann, Zeichner und Illustrator, lebt und arbeitet in Berlin. Ab 2007 Umschlaggestaltungen und Autorenportraits, seit 2013 Tierillustrationen der Reihe Naturkunden für Matthes & Seitz Berlin.

Beitragsbild: Joachim Sartorius am Literaturfestival Leukerbad 2015 im Gespräch mit Christine Lötscher © Literaturfestival Leukerbad

Peter Weibel «An den Rändern», edition büchelese

Ein Erzählband eines Schriftstellers, der ein Leben lang als Arzt arbeitet, seit Jahrzehnten in der Geriatrie, dort wo gestorben wird. Ein Erzählband, der in Bildern von Erlebnissen an den Rändern des Lebens, an den Rändern des Seins erzählt, nicht nur mit Worten. Peter Weibel malt mit feinem Pinsel, transparenten Farben Szenen, die nicht durch Kontur gewinnen, sondern durch das Fluid, das sie erzeugen!

„An den Rändern“ lag eine ganze Weile da; auf dem Nachttischen, in der Bibliothek, auf dem grossen Tisch im Wohnzimmer, am Schluss auf dem Arbeitstisch in der Gästewohnung des Literaturhauses Thurgau. „An den Rändern“ hat mich lange begleitet, weil ich die Geschichten nicht trinken wollte wie ein Glas Wasser. Viel mehr wie einen Trank, eine Art Medizin, ein Heilmittel, das mir verspricht, dass selbst dort, wo es zu Ende geht, ein Zauber sein kann, dass selbst dort etwas beginnen kann, dass es meine Sichtweise ist, die aus Grenzerfahrungen Abgründe macht.

„Manchmal muss man an die Grenzen gehen, wenn alles nur noch ein Warten auf die allerletzte Grenze ist.“

Peter Weibel «An den Rändern», edition bücherlese, 2021, 144 Seiten, CHF 31.90, ISBN 978-3-906907-44-4

Ich traf Peter Weibel im Sommer 2020 in Bern. Ich war in der Stadt und rief ihn an, ob er Zeit für ein Treffen habe, obwohl wir uns höchstens vom Hörensagen kennen. Ich wartete auf der Münsterplattform, einem kleinen Park über der Aare, bis ich ihn mit Pfeife und wildem, weissen Haarschopf und einer Tasche an den Schultern in die Menschen schreiten sah. Wir kannten uns gleich, obwohl das letzte Treffen Jahre zurücklag und am Schluss einer Lesung eine Signatur lang dauerte. Als wären wir Freunde. Peter Weibel ist unmittelbar, lässt keinen Zweifel, dass sein Bemühen das eines Mannes ist, der keine Lust verspürt, in Spielchen das Gegenüber abzutasten. So sind auch seine Geschichten; unmittelbar und direkt, ehrlich und durchtränkt von gelebter Empathie.

„Die Liebe ist der letzte Hort der Utopie.“

Was ich damals nicht wusste; Peter Weibel malt. Nicht erst, seit die Arbeit als Arzt etwas weniger geworden ist (Andere wären schon ein Jahrzehnt pensioniert!), sondern schon lange. Ein Tun, das auch in die Geschichten in seinem Erzählband einfliesst. Und Peter Weibel erzählt wie er malt. Es sind nicht Zeichnungen mit harten Konturen, klaren Linien, die abbilden, was man sieht. Es sind Aquarelle mit fliessenden Übergängen, auslaufenden Farbflächen, Farben, die ineinanderfliessen. So wie seine Geschichten, die keine Szenerie nachzeichnen wollen, sondern ein Gefühl, eine Ahnung, eine sich ausbreitende Erkenntnis.

„Nicht alles, was wir sehen, können wir greifen, und nicht alles, was wir greifen wollen, können wir sehen, aber manchmal sehen wir durch die Zeit hindurch.“

Ich las „An den Rändern“, als hätte mir der Autor seine Hand auf meine Brust gelegt, um meinen schnellen Atem, meine Ängste zu bannen. Es sind Geschichten, die nur jemand schreiben kann, der weiss. Keine Tinkturen, keine Rezepturen, keine Kuren und keine Therapien, sondern dass uns letztlich nur die Liebe zu diesem mehr oder minder langen Stück Leben retten kann.

„Man kann nicht schreiben, ohne den Schmerz zu kennen.»

.. und ein wunderschön gestaltetes Buch mit Aquarellen des Autors!

Interview 

Dein Erzählband ist ein Buch des Innehaltens. Es sind Momente der intensiven Reflexion. Fällt dir das im Alter leichter oder muss es eine Eigenschaft des literarischen Schreibens sein?
Ich glaube, das Alter verändert den Schreibprozess bei jedem von uns, und bei jedem anders – bei mir vielleicht: Die Arbeit an der Verdichtung; Versuche, eine rythmische Prosaform zu finden, die leicht sein kann, auch wenn sie Schweres mittragen will, die zugleich reflektiv und bildkräftig sein soll. Auf mein eigenes Alter bezogen: Die kreative Kraft lässt nach, die Erfahrung erleichtert den Prozess der literarischen Gestaltung.

Du schreibst. Du malst. Wo liegen die Unterschiede in diesen beiden kreativen Tätigkeiten? Wo die Gemeinsamkeiten?
Schreiben und Malen: Schreiben als Profession – Malen als pure Freude; Aquarellieren als Poesie des Augenblicks… Aquarellieren ist etwas sehr Augenblick-bezogenes; selten gelingt der grosse Wurf mit dem Pinselstrich, dem auslaufenden Wasser, meistens aber nicht, und du kannst nicht mehr korrigieren… Die Knochenarbeit, die ja zum literarischen Gestalten gehört, kennt das Aquarellieren nicht.

Du beschreibst viele Begegnungen mit Menschen, die eine Krankheit, das Alter, Geschehnisse an den Rand gebracht haben. Du schreibst behutsam, weit weg vom Pointenzwang. Wenig Effekt, dafür viel Tiefe, viel Empathie. Lehrte dich das dein Beruf als Arzt?
Natürlich prägt mein Erstberuf als Arzt den Zweitberuf des Schreibenden («Der Zweitberuf als kritische Instanz des ersten»). Es ist wie bei Kurt Marti, der in seinen «Leichenreden» – und nicht nur da! – im literarischen Wort gestaltet, was er als Theologe auf der Kanzel nicht aussprechen konnte. Im kurzen Essay «Die literarische Sprache beginnt dort, wo die medizinische endet» habe ich vor kurzem versucht, ein paar Gedanken zur Verbindung von Medizin und Literatur festzuhalten.

Corona spielt in deinen Erzählungen eine marginale Rolle, ist aber da, mehr als ein hintergründiges Rauschen. In vielen Gesprächen mit Schreibenden kam die Frage immer wieder, wie und wann sich das Virus auch in der Literatur wie ein Sediment ablagern wird. Auch ein Sediment in dir?
Die Corona-Zeit hat mich natürlich sehr geprägt, in vielen Bereichen. In zwei Erzählungen habe ich versucht, der Verstörung eine literarische Form zu geben; einmal die erschütternden Erfahrungen in den Pflegeheimen, wo ich selbst arbeite, einmal die zeitlose Botschaft von Camus› Pestroman, die über Nacht mit Wucht zurückgekehrt ist; «Menschen haben Angst und werden klein, andere werden gross und lassen die Angst zurück».

© Peter Weibel / Aquarell

„Il n’y a pas de soleil sans ombre, et il faut connaître la nuit.“ Ein Satz von Camus. Mit ihm endet eine deiner Geschichten. Albert Camus scheint sich in der Gegenwart als wiederentdeckte Stimme aufgeschwungen zu haben. Wie sehr lässt du dich von anderen in deiner kreativen Arbeit beeinflussen?
Keiner und keine von uns lebt und schreibt ja in einem hermetischen Innenraum, wir alle sind geprägt von literarischen Erfahrungen, von Vorbildern, Leitfiguren. Bei mir sicher Böll, Christa Wolf, Büchner, und vor allem Albert Camus – er war für mich die erste Ikone der Literatur, als ich noch tief in der Schule steckte, und sein Pestarzt die erste Ikone der Medizin.

Ein Thema in einigen deiner Geschichten ist das Alter und das Gefühl, als alter Mensch nicht mehr ernst genommen zu werden. Ist das eine Erfahrung der Gegenwart?
Alte Menschen haben ja oft einen grossen – und ja verkannten – Lebensreichtum, der weiterfliessen könnte und selten weiterfliessen kann: Die lächelnde Lebensdistanz, das Schweben und Schaukeln der Dinge, das Durchschauen von Lebens-Täuschungen… In der Erzählung «Altern» habe ich versucht, einem dieser Alternden, denen ich täglich begegne, eine Stimme zu geben.

Peter Weibel, geboren 1947, hat Medizin studiert und arbeitet seit vielen Jahren als Allgemeinpraktiker und in der Geriatrie. 1982 erschien ein erster Prosaband «Schmerzlose Sprache», seither veröffentlich er regelmässig Prosa und Lyrik. Er erhielt unter anderem einen Buchpreis des Kantons Bern für den Erzählband «Die blauen Flügel» (2013) und den ersten Kurt Marti Literaturpreis für «Mensch Keun» (edition bücherlese, 2017). Für die Texte «Hannah» und «Kocherpark» wurde er beim Bund-Essay-Wettbewerb 2015 bzw. 2019 ausgezeichnet. Zuletzt erschien 2019 «Schneewand» (edition bücherlese).

Beitragsbilder © Ayse Yavas

Pascale Osterwalder «Daily Soap», Graphic Novel, Luftschlacht

Eigentlich ist er ein armer Kerl. Ein halbes Leben wartete er auf seine Bestimmung, seinen Platz, den man ihm versprochen hatte, um dann in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, ein Leben unter Druck auszuhalten, nur geben zu müssen. „Daily Soap“ ist eine ganz besondere Soap, eine Seifenoper der besonderen Art.

Der Held dieser Soap wartet. Zuerst ewig lange, bis sich jemand seiner erbarmt, ihn mitnimmt und bezahlt, bis er seinen Platz gefunden hat in einer der Nasszellen in der Wohnung. Er hatte Monate ausgeharrt, zuerst ganz hinten im Regal, dann vorne, unberührt, bis man ihm eine farbige Etikette verpasste, eine Art Auszeichnung, eine Ermunterung, ihn zu nehmen, ein Entgegenkommen.

Dann steht er dort, am immer gleichen Ort, meist unbeachtet, um dann mit einem Mal hergeben zu müssen, was man hütet, sein ganzes Inneres. Für ganz kurze Momente gehört die Zuwendung ihm, wenn auch nur unter Druck, um sich nachher leer zu fühlen und wieder zu warten. Zischen all den anderen Dingen mit exakter Bestimmung.

Er ist ein Spender, ein Wohltäter, eine Institution für die öffentliche Hand. Jetzt erst recht in Zeiten von Pandemie und grosser Verunsicherung. Auch wenn am Schluss das unweigerliche Ende droht. Das Ende, dem er zuschauen kann, wenn der grosse schwarze Sack erscheint, wenn andere verschwinden, Neues dasteht.

Pascale Osterwalder haucht einem Seifenspender Leben ein, gibt dem Ding für einmal Individualität, ein empfindliches Gefühlskostüm. Die Illustratorin zeichnet mit Bleistift eine Seifenoper der ganz besonderen Art. Und weil beim Luftschlacht Verlag in Wien neben Belletristik, Kinder- und Kunstbücher auch Graphit Novels zum festen Bestandteil des Verlagsprogramms gehören und man sich nicht scheut, der gezeichneten Ästhetik auch die entsprechende Hülle, das haptische Kleid zu geben, ist „Daily Soap“ ein eigentliches Geschenk an all jene geworden, die tatsächlich mit den Augen lesen!

Interview

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Falter?
Ich habe letzten März, während des ersten Lockdowns unter anderem den Falter angeschrieben und mein Seifenspender-Projekt vorgestellt. Der Seifenspender ist durch die Pandemie plötzlich zu einem omnipräsenten Objekt geworden und mein langjähriges Projekt hatte schlagartig an Aktualität gewonnen. Ich hatte mich direkt an Klaus Nüchtern vom Falter gewandt, der gleich begeistert war und es an die ganze Redaktion weitergeleitet hatte. Ich dachte dann, dass sie die Serie vielleicht 5-6 Ausgaben lang behalten würden, aber nun dauert sie bereits ein Jahr lang an – die Pandemie bekanntlich leider auch.

Was war zuerst; der Seifenspender oder Corona?
Das Seifenspender-Projekt habe ich vor gut zehn Jahren begonnen und über die Jahre sind immer wieder Zeichnungen, Animationen, Texte, kleine Skulpturen dazugekommen; mit kleinen Ausstellungen und Filmscreenings. Vor ca. drei Jahren habe ich begonnen an der Buchidee zu arbeiten. Die Verlagssuche gestaltete sich aber eher schwierig, weil depressive Seifenspender lange doch eher ein Randthema waren. Da hat die Pandemie dem Projekt einen ordentlichen Schub beschert.

Sie hauchen Dingen Leben ein. Sieht jemand, der so genau schaut wie Sie, anders?
Während meiner Zeit als Artist in Residency in New York habe ich meinen verspielteren Blick auf die Welt zurückgewonnen, (Das war vielleicht das beste an dem Preis) und wieder begonnen, meine eigenen Geschichten aufzuschreiben, zu zeichnen und zu animieren. Während der Ausbildung war das oft nicht so gefragt oder kam einfach zu kurz. In meiner kleinen Wohnung in New York habe ich auch zum ersten Mal den Seifenspender als Charakter wahrgenommen. Da habe ich mich sehr frei gefühlt, ich musste nichts abliefern, kein Produkt, ich musste nichts definieren. Plötzlich war alles möglich – ich glaube, das macht auch diese Stadt mit einem – und die Dinge haben angefangen zu leben. Diese Stop-Motion-Filme sind damals entstanden: https://www.elaxa.ch/portfolio/fox-bear/ und auch dieses Projekt mit meiner erfundenen Gans: https://www.elaxa.ch/portfolio/meandmygoose/ 
Jetzt helfen mir auch meine Kinder, diesen verspielten Blick zu bewahren.
Ich weiss nicht, ob ich anders sehe. Es macht mir einfach Spass, mir vorzustellen, wie es einem Gegenstand ginge, wäre er ein Lebewesen oder hätte er Gedanken. Und so sehe ich manchmal in Anordnungen von ein paar Flaschen oder Putzmittel ganze Beziehungsdramen. Manchmal reicht eine gewisse Perspektive und das Ding wird zum Charakter.

Aus ihren Zeichnungen, aus dem ganzen Buch spricht viel Respekt, Liebe zu den Dingen. Aber nicht die Liebe eines Messis, eines Konsumsüchtigen, sondern die Liebe und der Respekt eines Menschen, der hinter die Dinge zu schauen weiss. Steckt hinter dem Buch auch eine Mission?
Es ging mir nie um eine Mission, aber ich bekomme viele Rückmeldungen, dass Leute ihre Seifenspender jetzt mit anderen Augen sehen. Und wenn das Buch dazu beiträgt, dass man Skrupel bekommt, seinen leeren Seifenspender wegzuwerfen und ihn stattdessen wieder auffüllt, dann macht mich das froh. 

Sie sind Illustratorin. Ein steiniger Weg?
Steinig würde ich nicht sagen. Ich habe es über die Jahre geschafft, neben Grafikaufträgen, immer mehr mit Illustrationen zu verdienen. (Aber ab und zu tut ein unkreativer Auftrag auch ganz gut, das kann man einfach abarbeiten.) 
In den letzten Jahren habe ich immer mehr versucht, meine eigenen Projekte voranzutreiben, was aber neben den Auftragsarbeiten, die das Geld einbringen (und Kindern), nicht so einfach ist. Der neuerliche Werkbeitrag der Ausserrhodischen Kulturstiftung im Dezember 2019 hat mir dabei geholfen. 
Es ist jetzt gerade noch ein anderes Buch im Druck, das der Zürcher Verlag everyedition.ch herausbringt. Es heisst „All I ever had, went down the drain.“, ist auf English und mit einem ziemlich dicken schwarzen Pinsel-Filzstift gezeichnet und geschrieben. Es ist inhaltlich roher und direkter. Ein gezeichneter Monolog des Seifenspenders, der den Besitzer direkt anspricht. 

(Wiedergabe der Illustrationen mit freundlicher Genehmigung des luftschlacht Verlags)

Auf der Webseite der Autorin findet man sogar animierte Kurzfilme, die nicht nur den Seifenspender bewegten!

Pascale Osterwalder «Daily Soap» Aus dem Leben eines Seifenspenders, Luftschlacht, 2021, 134 Seiten, CHF 26.90, ISBN 978-3-903081-88-8

Pascale Osterwalder, geb. 1979 in der Ostschweiz, ist selbständige Illustratorin, Grafikerin und Animationskünstlerin. Sie studierte Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich und landete nach einer Artist in Residency in New York schliesslich in Wien. In ihrer künstlerischen Arbeit beschäftigt sie sich hauptsächlich mit dem Eigenleben von Alltagsgegenständen. Ihre Seifenspenderzeichnungen erscheinen derzeit wöchentlich im «Falter».

Webseite der Illustratorin

Beitragsbild © Albert Waaijenberg

Aljoscha Ségard (Alexander Klee) «Eine leicht dahingespielte Tonfolge verdichtet sich zu einer Melodie», Till Schaap Edition

Je mehr Bücher in den Regalen unserer Wohnung stehen, desto seltener bekomme ich ein Buchgeschenk. Kein zugesandtes Rezensionsexemplar eines Verlags, das immer mit Erwartungen behaftet ist, sondern ein Geschenk. Ein Geschenk mit einer Widmung. Ein Schlüssel in eine Welt, in der man auf mich wartet.

So mache ich mir meine Buchgeschenke manchmal selbst. Etwas verschämt, weil es mehr als bloss ein Buch mit einer Geschichte ist. Ich machte mir ein Kunstbuch zum Geschenk; Buch gewordene Kunst – Kunst das Buch, Kunst die Hülle, Kunst im Buch, Kunst mit dem Buch – Kunst von Aljoscha Ségard!

Ich war im Netz unterwegs, verfolgte einen Hinweis zu Büchern einer Fotografin und blieb hängen an der Webseite der Till Schaap Edition. Dort wurde ein Kunstbuch angeboten, in das ich mich regelrecht verfing: «Eine leicht dahingespielte Tonfolge verdichtet sich zu einer Melodie».

1940, im Todesjahr von Paul Klee, kam sein Enkel Alexander Klee zur Welt. 1948 kam er in die Schweiz. Alexander Klee machte eine Lehre als Fotograf. Seit 1976 ist er als Aljoscha Ségard freischaffender Künstler. Zwei Werkgruppen beschäftigen ihn seit einigen Jahren. In Material-Kästen lässt der Künstler kleine Dinge zusammenkommen, die ihm im Alltag auf- und zugefallen sind. So entstehen poetische Reliquienkästchen voller offener Assoziationen. Geheimnisvolles prägt auch die Kohlenzeichnungen. Zu sehen sind rhythmisch gesetzte Linien, die sich zu Figurationen verdichten, teils zu tief schwarzen Flächen, teils zu schriftähnlichen Erzählungen.
So fallen Ségard die Dinge zu – als Bilder, deren Kern das Hintersinnige, das Witzig- Poetische und die Freude am Zusammenspiel von Bild und Wort ist.

Auf die Frage an Till Schaap, wie er auf den Künstler gestossen sei, schrieb dieser: «Mit Aljoscha Ségard (Alexander Klee) bin ich seit sehr langer Zeit freundschaftlich verbunden. Über seinen Grossvater Paul Klee habe ich, damals noch beim Benteli Verlag, zahlreiche Publikationen herausgegeben u.a. den «Catalogue raisonné Paul Klee» in 9 Bänden. Im Oktober dieses Jahres ist Aljoscha Ségard 80 Jahre alt geworden. Gleichzeitig feiert das Paul Klee Museum ZPK sein 15-jähriges Bestehen. Geplant war auch eine Ausstellung im ZPK, die jedoch Corona zum Opfer gefallen ist und auf Juni nächstes Jahres verschoben wurde. Im Vorfeld haben wir deshalb beschlossen, zu diesem Datum eine Werkübersicht über sein Schaffen herauszugeben. Konrad Tobler hat dazu einen wunderbaren Essay verfasst.
Der Künstler ist sehr mit Japan verbunden. Dort lässt er auch die Boxen herstellen, die er bespielt. Da noch eine Reihe der kleinen Boxen übrig war, entstand die Idee einer Vorzugsausgabe. Sie sollte zusammen mit dem Buch einen ganz speziellen Objektcharakter erhalten.»

Nr. 5

Nun gehört Nr. 5 von 21 Unikaten mir. Ein schwarzes Kästchen, 15 mal 15 cm gross, das man aufhängen könnte. Aber dieses rätselhafte Kästchen fügt sich derart perfekt und ausgewogen in seinen roten Schuber, der sich handwerklich exakt um das kleine Kunstwerk schmiegt, dass ich Nr. 5 lassen muss, wo es ist. Diesen kleinen aufgebrochenen Brief in einer Sprache, die sich dem schnellen Blick entzieht. Diese Botschaft, die erst entschlüsselt werden muss, mir alle Freiheiten lässt, sie zu lesen oder zu lassen. Diese Zeichen, die wie aus einer andern Welt stammen, die mir bei jedem neuen Blick darauf neue Zeichen senden.

Aljoscha Ségard Kunstband «Eine leicht dahingespielte Tonfolge verdichtet sich zu einer Melodie» ist voller solcher Botschaften, sie sich auch wie kleine Partituren lesen lassen, verschriftlichte Musik. Mag sein, dass es genau das ist, was mich den Bildband immer wieder mit Verzückung und Begeisterung durchblättern lässt. Da hat jemand seine Sprache gefunden, seine Schrift, seine Musik und versendet Botschaften, die alles beinhalten können und viel freier sind als die strammen Buchstaben unseres Alphabets.

Im Sommer 2021 findet im Zentrum Paul Klee eine Präsentation von Werken Aljoscha Ségards statt.

Webseite Till Schaap Edition

Beitragsbild © Monika Flückiger

Quentin Mouron „Vesoul, 7. Januar 2015“ und „Heroïne“, Bilger


Auf dem Cover des französischen Originals von Quentin Mourons jüngstem Roman „Vesoul, le 7 janvier 2015“ (Olivier Morattel Éditeur, Dole 2019) springt einem ein Porträt des Schriftstellers entgegen: Quentin Mouron, 1989 in Lausanne geboren und in Québec, Kanada, aufgewachsen, hält ein brennendes Buch in Händen und blickt dem Betrachter direkt in die Augen: „Na, was denkst du hierüber?“, scheint er zu fragen, „verstehst du, dass die Kultur brennt, dass sie nicht mehr greift, dass wir in einer sinnentleerten Welt leben?“

Gastbeitrag von Florian Vetsch, Autor, Übersetzer und Herausgeber amerikanischer und deutscher Beatliteratur

Satirisch, illusionslos, dystopisch – thrilling

«Vesoul, 7. Januar 2015» ist Quentin Mourons viertes Buch, das im Bilgerverlag auf Deutsch erschienen ist. Es ist eine Burleske, eine Groteske, ein Absurditätenkabinett sondergleichen. Hansruedi Kugler bezeichnete es im «Tagblatt» vom 13. Juni 2020 als «eine originelle Zeitgeistsatire mit der Figur eines postmodernen Picaro, einem Nachfolger des Schelmenromans. Der unbeschwerte Freigeist und smarte, ideologie- und bindungslose, arrogante Snob und Genfer Vermögensberater nimmt den Erzähler als Autostopper mit zu einem Kongress in Vesoul, den Hauptort des Departements Haute-Saône in der Region Bourgogne-Franche-Comté in Frankreich. Dort geraten sie in einen «Tag der Republik» und damit auf einen grotesken Marktplatz mit pazifistischen Neonazis, Sittenpolizisten in der Literatur, Verschwörungstheorien und Avantgardekünstlerinnen.»

Quentin Mouron «Vesoul, 7. Januar 2015» (aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller), Bilgerverlag 2020, 120 Seiten, CHF 24.00, ISBN 978-3-03762-086-1

Das Buch entpuppt sich als Polemik gegen die Verwerfungen unserer Zeit, gegen Ideologien, welche die Gesellschaft spalten, und gegen die Eiseskälte des Kapitalismus. Doch Moralisten seien mit diesem Zitat, das keinen Tabubruch ausschliesst, vorgewarnt: «Der Picaro kennt kein Schuldgefühl, es ist daher normal, dass in seiner Umgebung das Schamgefühl nach und nach verschwindet. Der pikareske Manager, wie ihn unsere Banken, unsere Start-ups, unsere Kunsthochschulen hervorbringen, zeichnet sich dadurch aus, dass er sich überall anzubiedern versteht, sich in jeder Situation den Rahmenbedingungen anpasst.»

Quentin Mouron «Heroïne» (aus dem Französischen von Andrea Stephani und Barbara Heber-Schärer), Bilgerverlag, 2019, 128 Seiten, CHF 26.00, ISBN 978-3-03762-078-6

Quentin Mouron gilt als der Tarantino der Schweizer Gegenwartsliteratur, als Genie des Roman noir zumal. Sein Stil ist filmisch, szenisch, atmosphärisch dicht, dabei welthaltig und anspielungsreich. Schon seine beiden ersten Bücher, «Notre-Dame-de-la-Merci» – eine unglaublich traurige Winterballade aus Kanada – und «Drei Tropfen Blut und eine Wolke Kokain» – eine Revolvertrommel an Suspense –, haben diesem Autor im deutschsprachigen Raum begeisterte Kritiken und eine wachsende Leserschar eingetragen. Auch der dritte Roman fasziniert als ein Krimi der besonderen Art. «Heroïne» beginnt mit einer «Ouverture baroque», einer vollkommen abgedrehten Sexszene in einem Berliner Antiquariat, welche einem Georges Bataille alle Ehre gemacht hätte. Franck, Leiter eines New Yorker Detektivbüros, aus Hoffnungslosigkeit seit drei Jahren bibliophil, schiebt eine schräge Nummer mit der Buchhändlerin Mademoiselle Schulz. Abends im Hotel bemerkt er, dass er seinen Siegelring im Antiquariat vergessen hat, und kehrt zurück. Dort findet er, angeordnet wie auf einem barocken Stillleben, den Kopf der Buchhändlerin auf einem Silbertablett… Seine Nachforschungen lassen ihn auf einen bestimmten Kunden schliessen, doch erfährt er aus der Zeitung, dass „ein gewisser Wilfried Wagner – der sich Abu Mohammed Daoud al-Bavari nennen lässt –“ die Buchhändlerin enthauptete, nachdem sie sich standhaft geweigert hatte, Voltaires „Mahomet“ aus dem Schaufenster zu entfernen. Mademoiselle Schulz ist nicht die einzige Heldin in Mourons Roman „Heroïne“, der nach der ausschweifenden Eröffnung in eine „Suite classique“ mündet. Darin forscht der Anti-Held Franck nach einer verschollenen Lieferung Heroin und nach dem Mörder des Vaters einer blutjungen Prostituierten, und zwar in Tonopah, einem 2000-Seelen-Krachen im Nirgendwo von Nevada – „einer Wüste in einer Wüste“, einer für Mourons Romane typischen kleinen Ortschaft, die den desaströsen Zustand des grossen Ganzen widerspiegelt (genauso tut dies die kleine Ortschaft Vesoul im eingangs erwähnten Roman). Leah, so heisst die eigenwillige Sexarbeiterin, ist die zweite rätselhafte Heroin, „fromm und verrucht, eine hehre und sich anbietende Jungfrau.“ Sie besorgt hauptberuflich die Bedienung in einem Fast Food, nebenberuflich arbeitet sie daselbst in einer „Besenkammer unter den Postern von Elvis, Spongebob und der Jungfrau Maria.“ Trotz ihrer seelischen Verwüstung setzt Leah, ein in sich zerrissener Charakter, ein Gegenzeichen in dieser trostlosen Welt. „Heroïne“ bietet ein Noir-Set par excellence, vorangetrieben in kurzen kaleidoskopischen Kapiteln, vollgepumpt mit Sex, Drogen und blauen Bohnen – illusionslos, dystopisch, thrilling. 

Quentin Mouron, Schriftsteller und Dichter mit schweizerisch-kanadischen Wurzeln wurde 1989 in Lausanne geboren und verbrachte seine Kindheit in Québec.
Er schrieb bisher fünf Romane und avancierte schnell zum Stern am Himmel der jungen Literatur in der Romandie und in Frankreich.

Rezension von «Notre-Dame-de-la-Merci» auf literaturblatt.ch

Webseite des Autors

Beitragsbild © Bilgerverlag

Isabella Krainer «Vom Kaputtgehen», Limbus

Dass Lyrik grösstes Vergnügen bereiten kann, trotzdem jene Schärfe und Würze birgt, die der Lyrik in ihrer Konzentration eigen ist und doch kunstvoll, gewieft und vielschichtig daherkommt, das beweist Isabella Krainer in ihrem ersten bei Limbus erschienen Band „Vom Kaputtgehen“.

von wegen

vater war dafür
sagte nur
deswegen

verwegen

mutter fragte wofür
dachte nur
weswegen

verlegen

krieg vor der tür
kämpfe nur
entlegen

von wegen

 

Wie an manchen Abenden wollte ich meiner Frau vor dem Schlafengehen noch ein paar Gedichte vorlesen. Immer liegt ein Gedichtband auf meinem Nachttisch. Nicht dass ich nur vor dem Einschlafen Gedichte lese. Aber sie blenden noch einmal ein Licht in meine Seele. Und manche Lichter wirken bis in die Nacht hinein.

Ich versuchte es mit dem neuen Gedichtband einer bekannten Autorin, der die Rezeption meist zu Füssen liegt. Die Gedichte aber prallten ab, trotz der glänzenden Verpackung. Wir lagen beide ziemlich ratlos in den Laken. So stand ich noch einmal auf und holte ein neues Buch aus der Bibliothek, eines aus dem Regal der «wartenden Bücher». 

Was dann passierte, als ich mich wieder unter die Decke begeben hatte, in der Hoffnung, meine Frau sei noch nicht in den Schlaf hinüber gerutscht, gab es noch nie. Zum einen lachte meine Frau während des Vortrages immer wieder laut auf, zum andern reihte sich Gedicht an Gedicht. Bei den Mundart-Gedichten der geborenen Kärntnerin las meine Frau, ebenfalls Kärntnerin.

Es wurde spät und wir mussten ihr Buch vorsätzlich weglegen, um nicht gleich an einem Abend den ganzen Spass in grossen Schlucken zu geniessen. Isabella Krainers Werk ist es Wert, in kleinen Portionen zu verkosten.

manchmal

manchmal möchten möhren
eingesetzt
vielleicht auch zu höchstleistungen
angetrieben
oder mehr noch
wegen
medial produzierter minderwertigkeitskomplexe
karotten genannt
und überhaupt
attraktiver
werden

 

Isabella Krainer «Vom Kaputtgehen», Limbus, 2020, 91 Seiten, CHF 18.90, ISBN 978-3-9903917-0-9

Die Dichterin mäandert in Alltäglichkeiten, Situationen mit viel Wiedererkennung, durch ein ganzes Leben, einen ganzen Kosmos. Ihre Lyrik ist direkt und ungekünstelt, nicht verkopft und alles andere als unzugänglich. Manchmal schliessen sich ganze Geschichten auf, Szenerien, die neben und zwischen den Zeilen ein Vielfaches von dem entfalten, was die knappe Dichtkunst der Schriftstellerin auszeichnet.

Witzig und bissig, kurz und prägnant. Gleichsam verspielt und bodenständig, taktvoll und frech. Und ungeheuer lautverliebt und deutungsreich. Und wenn sich dann auch noch eines ihrer Gedichte reimt, dann ist es, als würde sie noch einen draufgeben, als packe sie der sprachliche Übermut.

selbst ort gedanken

ich
ist ein
ort

an den
ich
gehe

wenn
ich
bleibe
wer ich bin

 

Und ganz nebenbei; Wer den Limbus Verlag noch nicht entdeckt hat, der sollte sich einmal Zeit nehmen, sich auf dessen Webseite zu tummeln. Neben all den literarischen Leckerbissen – was für schöne Bücher! Gewisse Verlage haben es geschafft, im Erscheinungsbild ihrer Bücher einen Wiedererkennungseffekt zu generieren. Das schafft Limbus mit einem Teil seiner Veröffentlichungen, vornehmlich mit seiner Lyrik, genauso. Ein vielsinniges Bucherlebnis!

(die hier veröffentlichten Gedichte aus Isabella Krainer Gedichtband «Vom Kaputtgehen» mit freundlicher Genehmigung des Verlags)

Isabella Krainer, geboren 1974 in Kärnten, verfasst Lyrik und Prosa und macht gern Theater. Bis 2017 lebte sie in Tirol, aktuell in der Steiermark und pendelt zwischen Politsprech und Dialektlandschaft. 2016 wurde sie mit dem Hilde-Zach-Förderstipendium der Stadt Innsbruck ausgezeichnet. Im Rahmen des stubenrein-Festivals (steirischerherbst’19) las sie aus ihren Gedichten. Als Murauer Bezirksschreiberin sammelt sie Zuschreibungen von der Straße auf und verarbeitet, was Frauen abverlangt wird, von A bis Z.

Webseite der Autorin

Beitragsbild © Tina Brunner

Alexander Puschkin & Kat Menschik «Pique Dame», Galiani

Seit 2016 erscheint bei Galiani Berlin eine ganz besondere Reihe ausgesuchter Erzählungen und Novellen. Grandiose Texte, feinste Ausstattungen, ungewöhnliche Materialien, überraschende Interpretationen. Alle Bände im selben Format, alle Bände mit dreiseitigem Farbschnitt – aber jeder Band in anderer Ausstattung und jeder Band mit eigener Bildsprache. Ein Fest für Geist und Sinne. Gestalterisch interpretiert von Kat Menschik.

Bisher sind die ersten acht Bände erschienen, jeder ein Kleinod; von Franz Kafka „Ein Landarzt“, von William Shakespeare „Romeo und Julia“, von E. T. A. Hoffmann „Die Bergwerke zu Falun“, von Volker Kutscher „Moabit“, von Edgar Allan Poe „Unheimliche Geschichten“, das Kochbuch „Essen essen“, das norwegische Märchen „Die Puppe im Grase» und 2020 „Pique Dame“ von Alexander Puschkin.

© Kat Menschik

Alexander Puschkin, 1799 – 1837, gehört zu den Grossen der russischen Literatur, in Russland selbst der Nationaldichter, für viele RussInnen höher einzuschätzen als dessen Landsleute Tolstoi, Dostojewski, Gogol oder Pasternak. Nebst seinem wohl berühmtesten Versepos Eugen Onegin war Alexander Puschkin Meister der Erzählung. Eine davon ist die von Kat Menschik illustrierte Spielernovelle „Pique Dame“. Gering im Umfang, aber typisch für Puschkin. „Das Phantastische in der Kunst hat seine Grenze und Regel. Das Phantastische sollte sich so viel mit dem Realen berühren, dass man es «fast» glauben kann“, so Fjodor Dostojewski.

Man trifft sich in langen, russischen Winternächten zu Kartenabenden, die bis in die Morgenstunden dauern. Man spielt, erzählt sich Geschichten, labt sich an den Gewinnen und hadert mit dem Schicksal, wenn der Einsatz zerrinnt. Die alte, schrullige Gräfin ist eine der Spielerinnen. Sie lebt zusammen mit ihren Bediensteten und einer jungen Frau, Lisaweta Iwanowna in einem stattlichen Haus, von dessen Fenster die junge Frau eines Abends einen jungen Mann sieht. Einen jungen Mann, der auch noch Stunden später an der gegenüberliegenden Strassenseite zu warten scheint und zum Fenster hochschaut. Ein junger Mann, der ihr Briefe schreibt, ein junger Gardekavallerist, Sohn eines nach Russland immigrierten Deutschen. 

© Kat Menschik

Aber Hermann ist entgegen seiner Liebesschwüre gar nicht an der jungen Frau interessiert, sondern an einem Geheimnis, das man sich von der alten Gräfin erzählt. Sie habe die Fähigkeit, drei Karten im Spiel vorauszusagen, drei Karten, die für jenen Reichtum bedeuten, der mit der letzten Karte zu spielen aufhört. Kein Problem für den jungen, sparsamen Soldaten. Das Problem allerdings liegt darin, das Vertrauen der alten Dame zu erlangen, um ihr das Geheimnis zu entlocken.

Mit Lisaweta Iwanownas Hilfe schleicht sich Hermann in das Haus der Gräfin, wartet ab, bis diese allein in ihrem Schlafgemach ist und stellt sich ihr im Halbdunkel mit seinem Drängen um die drei Karten. Doch die alte Dame stirbt vor Schreck. Hermanns Gewissen scheint zu erwachen. Doch als ihm nach der Beerdigung der alten Gräfin, diese im Traum erscheint und ihm die drei Karten nennt, eine Drei, eine Sieben und ein Ass, erwacht die Gier erneut und Hermann macht sich auf zu seinem grossen Spiel. Aber die Pique Dame schlägt ihn, schlägt ihn nicht nur im Spiel, sondern für sein ganzes Leben lang.

Kat Menschiks Reihe entwickelt sich zur Kultreihe. Wer die einen hat, muss die andern auch haben. Kat Menschik bebildert aber nicht einfach die Geschichten, sie erzählt mit, leidenschaftlich mit Farben und Formen, eindringlich in ihrem kraftvollen Ausdruck. Jedes Buch ist durchdrungen von der Liebe zum Buch. Kat Menschiks Reihe ist buchgewordene Leidenschaft!

Kat Menschik musste leider absagen. Das Sommerfest findet aber trotzdem statt und zwar mit Ariela Sarbacher und ihrem Debüt «Der Sommer im Garten meiner Mutter». Für alle Menschik-Fans wartet eine ganz besondere Überraschung!

© Kat Menschik

Kat Menschik (1968 in Luckenwalde DDR) ist freie Illustratorin. Ihr Gartenbuch «Der goldene Grubber. Von grossen Momenten und kleinen Niederlagen im Gartenjahr» (2014) wurde zum Dauerseller und unter die 25 schönsten Bücher des Jahres gewählt. Seit 2016 gestaltet Kat Menschik ihre eigene Buchreihe, darunter der Bestseller «Moabit» von Volker Kutscher (2017) und Edgar Allen Poes «Unheimliche Geschichten» (2018). Jeder dieser Bände ist individuell gestaltet und ausgestattet. Zuletzt erschien dort die Neuübersetzung von Alexander Puschkins «Pique Dame» (2019).

Beitragsbild © Lea Frei

Helwig Brunner «Gummibärchenkampagne», Droschl

Sie lieben die Kurzgeschichten von Franz Hohler, den skurrilen Witz von Monty Python und die sprachliche Raffinesse derer, die Dinge durch das Wort lebendig werden lassen, von denen man sonst gar nichts weiss? Was bei Droschl als schmuckes Buch von Helwig Brunner so unscheinbar daherkommt, ist grosse Kunst!

«An manchen Tagen begleitet mich die fehlende Poesie wie ein Hund, der keinen Schwanz zum Wedeln hat.»

Was unter dem Titel „Gummibärchenkampagne“ und „Minutennovellen“ fast niedlich daherkommt, hats in sich. Wer die Titel der 109 Miniaturen durchliest, weiss schnell, dass es um die wirklich wichtigen Dinge des Lebens und darüber hinaus geht: Romantik, Laufbahn, Gelassenheit, Anfang, Gerechtigkeit, Erinnerung, Gottesbeweis, Teufelskreis, Apokalypse… Aber schon die Titel der anderen Gegenseite: Socke, Vogerl, Puppengehirn, Spiel, Gewicht… zeigen, dass es dem Autor doch nicht darum geht, die Welt zu erklären. Aber vielleicht die Dinge dazwischen, darüber und darunter. Das, was sonst im Schatten verborgen bleibt, was ausgeblendet wird, was unserem sinngebenden Blick entgeht. 

Idee
Den ganzen Tag schon begleitete Helmut das Hochgefühl, über eine Idee zu verfügen, die sein weiteres Leben zum ungleich Besseren wenden würde. Yes, I can!, rief etwas in ihm in grösster Zuversicht. Zwar konnte er nicht genau sagen, worum es bei der Idee ging, denn sie lag nicht offen vor ihm, sondern noch irgendwo im Verborgenen; nur der Zipfel eines Schattens von ihr, oder war es der Schatten eines Zipfels, fiel in sein Gesichtsfeld. So viel nur meinte Helmut zu wissen, dass sie etwas mit Erfolg zu tun hatte, mit Geld und schliesslich unfehlbar mit Glück. Er würde sich ihr, wenn sie sich erst ganz zeigte, nur zuzuwenden und nach ihr zu greifen brauchen, um ihrer für immer habhaft zu werden. So sicher war er sich seiner Sache, dass er sich Zeit liess und gelassener als sonst seinem Tagesgeschäft nachging, auf das er künftig ohnedies nicht mehr angewiesen sein würde. Helmut hätte nicht sagen können, woher sein Hochgefühl gekommen war; auch wohin es gegen Abend unbemerkt verschwand, wusste er nicht. Die Gelassenheit aber blieb ihm, ganz so, als hätte die Idee ihr Werk bereits getan.
 

Helwig Brunner „Gummibärchenkampagne“, Droschl, 2020; 144 Seiten, 27.90 CHF., ISBN: 978-3-99059-049-2

Helwig Brunner interessiert sich nicht für das Glatte, Glänzende, Auffällige, für Oberflächen. Nicht einmal für das Originelle, Einmalige, sondern für das absolut Normale, das Normalbetrachtern durch die Lappen geht, das nicht auffällt und hängen bleibt, selbst wenn ich es sehe und höre. Er rahmt und grenzt mit seiner Sprache ein, manchmal ein Bild, manchmal einen Moment, manchmal ein Gefühl, einen Gedanken. Bilder, die an Quint Buchholz oder René Magritte, an das Schräge in Roman Signers bildender Kunst, das absolut Normale übersteigert. Texte, leicht verschoben, kindlich verspielt, unsäglich witzig und klug. Scharf beobachtend, als sähe Helwig Brunner das Einerlei des Lebens durch ein Okular, ein Brennglas, bis selbst das Nebensächliche zu funkeln und manchmal zu brennen beginnt.

Trotz
Die Haltbarkeitsdauer der Marillenmarmelade würde, so stand es auf dem Deckel, am zehnten September des kommenden Jahres um sechzehn Uhr zwei enden. Charlotte vermutete spontan einen Fall von Scheingenauigkeit. Bestimmt legte irgendeine von weltfremden Bürokraten ausgeheckte europäische Norm fest, dass die Angabe des Verfallsdatums auf Marmeladegläsern minutengenau zu erfolgen hatte. Was aber, wenn zum Wohle des Konsumenten umfangreiche mikrobiologische Testreihen durchgeführt worden waren, die eine derart genaue Prognose tatsächlich zuliessen? Charlotte wollte niemandem Unrecht tun, auch nicht den Institutionen der Europäischen Union. Sie beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen und das Glas bis zum angegebenen Termin ungeöffnet aufzubewahren. Möglicherweise würde am zehnten September um sechzehn Uhr zwei ein explosionsartiges Schimmelpilzwachstum einsetzen und die Marmelade binnen Sekunden grün überziehen. Anderenfalls würde Charlotte, Europa zum Trotz, um sechzehn Uhr drei eine Biskuitroulade damit füllen.

Geschichten, die zuweilen verunsichern, weil ich als Leser glaube, die Pointe versäumt zu haben, die mich zwingen, ein zweites Mal mit Lesen anzusetzen, weil ich den Witz in der falschen Ecke vermute. Geschichten, die mich nicht aufs Glatteis führen, nicht mit mir spielen, die sich aber durchaus einen Spass mit mir erlauben. Geschichten von der menschlichen Spezies, der Krone der Schöpfung, die ihre Eigenarten allen anderen Lebewesen gegenüber in die Sonne stellt, aber offenbaren, wie linkisch, kompliziert und widersprüchlich sie ist.

Zufriedenheit
Seine Frau, so Leopold grimmig nickend, wolle sich von ihm scheiden lassen; sie begründe dies damit, dass sie unzufrieden sei mit seiner ständigen Unzufriedenheit. Er hingegen halte ihre unausrottbare Zufriedenheit, die sie immer dann an den Tag lege, wenn sie nicht gerade mit seiner Unzufriedenheit unzufrieden sei, für den einzigen in Betracht kommenden Scheidungsgrund; Zufriedenheit nämlich sei letztlich nichts anderes als die Resignation vor dem Erträglichen und als solche unverzeihlich.

Helwig Brunners Minutennovellen, angelegt an seinen Erfinder, den ungarischen Schriftsteller Istvan Örkeny, der zwischen 1944 und 1968 fast vierhundert solcher Minutentexte schrieb. Texte, die wohl schnell gelesen sind, aber zäh hängen bleiben, die man immer wieder lesen will, die einem wie ein Ohrwurm verfolgen, die man vorlesen und teilen will. Für eine Minute geschrieben, aber nie und nimmer in einer Minute geschrieben; kunstvoll komponiert, mehrschichtig, mit Fallgruben, scharfen Kanten und Spiegeln überall.

© Anett Keszthelyi Brunner

Helwig Brunner, geboren 1967 in Istanbul, lebt in Graz. Nach seinem Studium der Musik und Biologie arbeitet er in einem ökologischen Planungsbüro und ist zudem für die Literaturzeit- schrift Lichtungen sowie für eine Lyrikreihe editorisch tätig. Bisher liegen zwölf Gedichtbände sowie mehrere Prosatitel vor, ausserdem regelmäßige Beiträge in Anthologien, Zeitschriften und im Rundfunk.
Bei Droschl erschienen bisher sein mit Stefan Schmitzer geführter poetologischer Disput «gemacht | gedicht | gefunden» (2011) und das «Journal der Bilder und Einbildungen» (2017).

(literaturblatt.ch dankt Autor und Verlag für die ausdrückliche Genehmigung, die drei Texte ‹Idee›, ‹Trotz› und ‹Zufriedenheit› in den Bericht einfügen zu dürfen!)

Webseite des Autors

Beitragsbild © Anett Keszthelyi Brunner

Michael Köhlmeier «Die Nacht der Diplomaten», Svato Verlag

Schon erstaunlich. Seit über 40 Jahren wirkt der Buchkünstler Svato Zapletal in seinem Atelier, seinem Verlag in Hamburg. Dort entsteht Buchkunst für ein Publikum, dass das Buch selbst als Kunstwerk betrachtet, dem ein Buch nicht bloss Informationsträger ist, sondern Kunstobjekt selbst, Schmuck, Materie gewordenes Resultat von Leidenschaft, Meisterschaft und Liebe zu Wort, Bild und Papier.

Michael Köhlmeier, mehr als Schriftsteller, sondern König in Sachen Märchen, Sagen und Fabeln, hat in Zusammenarbeit mit dem Buchgestalter und Künstler Svato Zapletal eine Buchperle für Auge, Hand und Seele geschaffen.

Seit Erfindung der Buchdruckerkunst waren Illustrationen fester Bestandteil der Buchkunst. Selbst vor hundert Jahren blühte das illustrierte Buch. Und zwar nicht einfach in Form einer Bebilderung, sondern als Kontrapunkt, Ergänzung, Gegenüberstellung. Die Gestaltung eines Buches beschränkte sich nicht bloss auf den Satz, die Wahl des Papiers und die werbetechnisch optimale Ummantelung durch einen «Schutzumschlag». Text, Schrift, Illustration, Gestaltung bis hin zum Format, der Bindeart – alles vereinte sich im Buch.
Dass Bücher heute oft nur noch Textträger sind und weder Auge noch Hände zu schmeicheln wissen, ist dem Zwang der Wirtschaftlichkeit geschuldet. Umso mehr erstaunen mich Einzelkämpfer wie Svato Zapletal (Svato Verlag), Christian Ewald (Katzengraben Presse) oder Christa und Toni Kurz (Edition Thurnhof), die mit ihren Büchern, Publikationen und Papierkunstwerken in Kleinstauflagen Werke schaffen, die sich gegen Schnelllebigkeit, Verbrauch und Konsum wehren. Es ist ein Versuch gegen die Vergänglich- und Beliebigkeit, gegen Massenware und Masslosigkeit.

Nach Jahren, in denen sich für Svato Zapletal fast ausschliesslich klassische DichterInnen anerboten, sind es in der Gegenwart immer häufiger Namen, die auch aus zeitgenössischer Literatur den Text bieten: Doris Dörrie, Hans Magnus Enzensberger, Cees Nooteboom.
Neustes Werk aus dem Svato Verlag ist «Die Nacht der Diplomaten» von Michael Köhlmeier. Ein österreichischer Autor, der sich nicht erst seit dem Rechtsrutsch im eigenen Land pointiert zu Wort meldet. Ein Autor, der sich nicht scheut, zu gesellschaftlichen oder politischen Themen Stellung zu beziehen.

Wie wählen Sie Ihre Texte aus?
Man könnte es einfach ausdrücken: Nach Vorlieben. Am Anfang waren es Expressionistische Dichter – da fühlte ich eine Verwandtschaft. Und natürlich, jetzt immer mehr, die moderne Prosa – etwas riskant, da das etwaige Publikum mitziehen muss; das Ganze ist ja schliesslich eine kostspielige Sache, es wird zwar in einer kleinen Auflage hergestellt, aber dennoch ist es eine Auflage.

Wie gehen Sie bei der Umsetzung vor?
Lesen, lesen, lesen, immer wieder, dann zwei Wochen Pause und dann die Schrift festlegen, das ungefähre Format, dann fange ich an zu skizzieren. Das nimmt oft eine Richtung an, die überhaupt nicht verwirklicht wird. (Für dieses Buch waren es an die siebzig Skizzen, aber es waren mal auch einhundertsiebzig, bis ich wusste, was ich machen werde. Hand in Hand damit wird irgendeine „Dramaturgie“ des Buches gemacht. Da ist der Satz des Textes mit eingeschlossen. Und dann geht es an das Schneiden der Platten – meist benutze ich die Technik der „verlorenen Form“, die ist zwar etwas riskanter, aber man braucht nicht so viel Material (es sind bei den Bildern ca. 80 Druckvorgänge). Und das ist, inklusive des Druckens, mehr oder weniger Fleissarbeit.

Gibt es Rückmeldungen von Kunden?
Selten lässt sich jemand auf eine Gestaltungsdiskussion ein, es sind eher Kollegen – oder meine Frau – bei denen es eine produktive Kritik gibt. Ohne mir auf die Schulter zu klopfen, sind die Kunden oft ziemlich begeistert, da sie ja auch wiederholt kaufen; die anderen schweigen weise…

Michael Köhlmeier erzählt in «Die Nacht der Diplomaten» von einem Gespräch zwischen Henry Kissinger, damals Sonderbeauftragter für Fragen der nationalen Sicherheit in der Regierung der USA, und Tschou En-lai, Ministerpräsident der Volksrepublik China, um den Besuch von US-Präsident Nixon bei Chinas Staatsoberhaupt Mao Tse-tung vorzubereiten. Im Laufe eines immer freundlicher werdenden Gesprächs stellte Tschou En-lai jene Frage, die alle anderen Fragen übertraf: «Halten sich die Vereinigten Staaten von Amerika die Option offen, über dem Gebiet der Volksrepublik China eine Atombombe abzuwerfen?» Eine Frage, die Kissinger mit einem Ja zu einer Drohung gemacht hätte und mit einem Nein zu einem Versprechen. Also erzählte der gefuchste amerikanische Diplomat eine Geschichte. Die Geschichte eines in die Tiefe gestürzten, verwundeten Löwen.

Keine platte Geschichte, eine Geschichte, die glauben macht, es gäbe auf einfache Fragen einfache Antworten. Eine Geschichte, die einem vor Augen führt wie Macht und Politik funktioniert. Eine Geschichte, die Haken schlägt und zeigt, wie wirkliche Diplomatie funktioniert. Grossartig erzählt, grossartig illustriert, grossartig umgesetzt!

Michael Köhlmeier, geboren 1949, wuchs in Hohenems/Vorarlberg auf, wo er auch heute lebt. Für sein Werk wurde der österreichische Bestsellerautor unter anderem mit dem Manes-Sperber-Preis, dem Anton-Wildgans-Preis und dem Grimmelshausen-Preis ausgezeichnet.

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