«Welche Frau bin ich dann?» Laura Vogt liest und diskutiert im Literaturhaus Thurgau und an den Weinfelder Buchtagen 2023

Laura Vogt ist mutig. Mutig, wie sie sich mit den Themen ihres neuen Romans «Die liegende Frau» auseinandersetzt, wie sie sich in Untiefen wagt und wie sehr sie sich mit ihrem Buch in meine, in die Intimsphäre von LeserInnen vorwagt. Alle ihre Roman bisher beschäftigen sich mit Familie. In immer neuen Spiegelungen und direkten Konfrontationen setzt sich Laura Vogt mit einem Konstrukt auseinander, ob Familie oder Ehe, dass wie kaum ein anderes Sozialgefüge von tektonischen Verschiebungen betroffen ist.

Selbst Mutter von zwei Kindern weiss sie sehr genau, wie sehr Tradition und Freiheit aneinander reissen.
Dass an diesem Abend eine junge Frau und ein älterer Mann auf der Bühne sassen, hätte einiges an Zündstoff mit sich bringen können. Glücklicherweise knallte es nicht. Ihr Roman tut es aber ganz bestimmt.

Der Titel ihres neuen Romans liess mich, bevor ich das Buch gelesen hatte, mit all den Gemälden aus verschiedenen Epochen assoziieren, auf denen eine mehr oder weniger nackte Frau liegt. In Laura Vogts Roman liegt auch eine Frau, Nora. Sie liegt in ihrem ehemaligen Kinderzimmer, spricht zu Beginn des Romans mit niemandem, hat sich in sich selbst zurückgezogen. Meret, ihre noch ganz kleine Tochter, wird von ihrer Mutter Anni betreut. Ein seelischer Zusammenbruch. Wenn man so will, ein Burnout. Aber ‹Mutter› und ‹Burnout› scheint nicht kompatibel, obwohl Statistiken dagegensprechen. Und schon steckt man mitten in den Zwängen und Festschreibungen von Rollenverständnissen.

„Die liegende Frau“ dreht sich um Romi, ihre Mutterschaft, ihre Beziehungen, ihre Familie, ihre Herkunft. „Die liegende Frau“ dreht sich aber auch um drei Freundinnen; Romi, Nora und Szibilla. Über Romis Lieben zu Phil und Dennis. Schon allein diese Aufzählung macht bewusst, in welch feingliedrigem Netz sich sich die Schriftstellerin bewegt.
Romi ist Mutter und schwanger. Der Vater der beiden Kinder ist Phil. Eine Beziehung, in der ausgesprochen war, dass man nicht mit dem Anspruch beständiger Monogamie leben würde. Der Roman ist die offene Auseinandersetzung mit Beziehungsmustern.
Romi liebt Phil, den Vater ihrer Kinder. Romi liebt aber auch Dennis, den sie noch nicht lange kennt. Phil und Dennis wissen voneinander. Und während Dennis sich nach Romi sehnt, tut das Phil auch, auch wenn in die Menage à trois trotz Offenheit schmerzt.

Den Roman als Roman über den Sinn und Unsinn eines Treueversprechens zu reduzieren, wird dem Roman «Die liegende Frau» bei weitem nicht gerecht. Der Roman ist ein klares Abbild dessen, was ‹Beziehung› heute einschliesst. Wie soll und kann Familie funktionieren, nachdem Rollen über Jahrhunderte fix verteilt waren? Das Aufbrechen dieser Rollen hat die Schwierigkeiten nicht minimiert.


Was mich beeindruckt, ist die Komplexität ihres Romans, der die Komplexität der Themen perfekt widerspiegelt.

„Schön, einen weiteren Abend im Literaturhaus verbracht zu haben, lieber Gallus – es war mir eine Freude, über Gesellschaft zu sprechen, über Rollenbilder und Veränderungen, über Liebe und die Möglichkeiten von Literatur. All das schwingt weiter … Bis bald!“ Laura Vogt

Laura Vogt «Die liegende Frau», Frankfurter Verlagsanstalt

Laura Vogt liest im Literaturhaus Thurgau und an den Weinfelder Buchtagen

Wir alle suchen nach dem Glück. Noch vor hundert Jahren schien das Glück festgeschrieben zu sein. Es war eines, das ganz aus männlicher Perspektive geschrieben war. Wie Familie, Liebe, Karriere und Erfolg auszusehen hatten, war noch bis vor wenigen Jahrzehnten männergeprägt. Laura Vogts neuer Roman ist einer, der aufbrechen will, die Geschichte von Frauen, die nach neuen Lebensentwürfen suchen.

Mit dreissig stehen Romi, Szibilla und Nora mitten im Leben – und doch nicht dort, wo sie ihre Träume hätte hinbringen müssen. Sie sind eingespannt in ein Leben, das von Zwängen, Sackgassen und Vorgegebenem dominiert wird, in atemlosem Takt, turbulent und mit der dauernden Angst, von Konventionen stillschweigend eingefangen zu werden. Drei Freundinnen, zerrieben in längst angezählter Vergangenheit und dem Traum einer Zukunft, in der sie sich endlich der Enge ihrer eingeschriebenen Rollen befreien können.

«Der Mann, die Frau mit Schwangerschaftsbauch und das Kind sitzen auf einem Sofa in einem frisch gestrichenen Wohnzimmer und lächeln, glücklich und gelassen. Aber diese Frau bin ich im Grunde nie gewesen. Welche Frau bin ich dann?»

Eigentlich hätten die drei Frauen gemeinsam ein paar Tage Urlaub machen wollen. Noch bevor Romi ihr zweites Kind zur Welt bringen würde. Aber ihre Pläne werden durchkreuzt, weil es Nora nicht mehr schafft, weil Nora liegen geblieben ist, im Zimmer ihrer Kindheit, einem Ort, den sie eigentlich schon längst hätte hinter sich lassen wollen. Weil sie aus einem Leben fliehen musste, das mit fehlender Perspektive zu ersticken drohte. Aber dort ist Meret, Noras  Tochter, nicht allein, behütet von Noras Mutter Anni. Romi und Szibilla mieten sich in einem schmuddeligen Wellnesshotel ganz in der Nähe ein, warten, dass Nora aus ihrem Dämmerzustand aufwacht und sehen sich im eigenen Dämmerzustand verloren, einem Leben im Dazwischen.

«Warum muss es immer dieses Entweder-oder sein. Warum unbedingt die Monogamie.»

Laura Vogt «Die liegende Frau», FVA, 2023, 320 Seiten, CHF ca. 34.90, ISBN 978-3-627-00314-2

Romi reflektiert. Zum einen weil mit einem weiteren Kind die Pflichten einer Mutter nicht kleiner werden, weil sich Fragen aufdrängen, die seit Jahrzehnten nach Antworten schreien, Ereignisse in ihrer Familie, die sie nicht loslassen, weil Phil, dem Vater von Leon und dem werdenden Kind in ihrem Bauch zuhause die Ungewissheit den Atem nimmt und weil Dennis, ihre neue Liebe ihr genau das zu bieten scheint, wonach sich Romi sehnt. Nora, entflohen aus einer toxischen Beziehung, Szibilla, gepeinigt von Regelschmerzen und dem Unverständnis darüber, in diese Welt Kinder zu setzen und Romi, im Ungewissen, wie sie ihr Leben führen, wieder zurück auf eine Spur kommen will, wie sie all das auf die Reihe bekommen will, das ihr für ihr Leben unausweichlich erscheint – drei Frauen im Sturm dessen, was Aufbruch, Selbstbestimmung und tatsächliche Emanzipation aufwirbelt.

«Früher konnte man sich noch auf die Dinge verlassen.»

Romi liebt Phil. Romi liebt ihren kleinen Jungen Leon. Romi liebt das Kind, das sich im Bauch mit sich trägt. Aber Romi liebt auch Dennis, seine Art, sie ernst zu nehmen, seine Zärtlichkeiten. Und Romi liebt das, was sie als Möglichkeiten in sich trägt, was nach Klärung ringt in einer Welt, die noch immer fest verklebt mit Konventionen ist.

„Die liegende Frau“ ist ein leidenschaftlicher Roman über Weiblichkeit und Rollenverständnis, über kompromisslose Ehrlichkeit und den Wunsch, ein eigenständiges Leben führen zu können, ein Leben ohne Verstümmelungen. Laura Vogt schreibt vielstimmig, ernsthaft darum bemüht, allen Betroffenen Eigenleben zuzustehen. „Die liegende Frau“ ist ebenso fordernd wie herausfordernd, nicht zuletzt für Leser wie mich, die in einem ganz traditionellen Rollenverständnis gross wurden. Laura Vogt stellt Fragen, deren Antworten Konsequenzen fordern.

«Ich will mich häuten, Schicht um Schicht, wenn ich spreche, wenn ich schreibe.»

Laura Vogt, geboren 1989 in Teufen (Schweiz), studierte Kulturwissenschaften in Luzern und Literarisches Schreiben in Biel. 2016 erschien ihr Debüt «So einfach war es also zu gehen», mit dem sie u. a. zu den Solothurner Literaturtagen und zu PROSANOVA – Festival für junge Literatur eingeladen wurde. 2020 folgte der Roman «Was uns betrifft», der ins Englische übersetzt wurde. Sie schreibt neben Prosa auch lyrische, dramatische und journalistische Texte und ist als Schriftdolmetscherin und Mentorin tätig. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Ostschweiz.

Rezension von «Was uns betrifft» von Laura Vogt

Webseite der Autorin

Illustration © leale.ch / Literaturhaus Thurgau

Die Gäste im Literaturhaus Thurgau von September bis Dezember 2023

Liebe Freundinnen und Freunde des Literaturhauses Thurgau, liebe Literaturinteressierte, liebe Leserinnen und Leser dieser Webseite

Mein letztes Programm für das schmucke Literaturhaus am Seerhein, wo ich während dreieinhalb Jahren das Programm gestalten durfte. Schon jetzt melden sich erste Vorboten der Wehmut, weil sich gewisse Arbeiten bereits nicht mehr wiederholen werden. Intendant dieses Hauses zu sein, bedeutet mir sehr viel. Vor vier Jahren wurde ich telefonisch angefragt und es war, als hätte man mich mit einem übergrossen Geschenk beehrt. Eine Aufgabe, in die ich hineinwachsen musste, die mir ganz und gar entsprach; Gastgeber im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben.

Am Samstag, 2. Dezember, 18.00 Uhr: „Frei(ab)gang“ Gallus Frei-Tomic verabschiedet sich mit Gästen: Alice Grünfelder, Urs Faes und die Musiker Christian Berger und Dominic Doppler

In den 40 Monaten unter meiner künstlerischen Leitung werden es 86 Veranstaltungen, rund 120 Künsterinnen und Künstler, Stipendiatinnen und Stipendiaten und Gäste in der Wohnung des Literturhauses, die das Leben in den obersten beiden Stockwerken des Literaturhauses ausmachten, gewesen sein. Lesungen, Performances, Ausstellungen, Konzerte, Diskussionen, Vorträge – ein reiches Programm. 

Im letzten Monat meiner Amtszeit lade ich alle Freundinnen und Freude, alle Zugewandten zu einer ganz besonderen Abschiedsveranstaltung ein.

Gäste sind:

Alice Grünfelder, aufgewachsen in Schwäbisch Gmünd, studierte nach einer Buchhändlerlehre Sinologie und Germanistik in Berlin und China. Sie war Lektorin beim Unionsverlag in Zürich, für den sie unter anderem die Türkische Bibliothek betreute. Seit 2010 unterrichtet sie Jugendliche und ist als freie Lektorin tätig. Alice Grünfelder ist Herausgeberin mehrerer Asien-Publikationen und veröffentlichte unter anderem Essays und Romane. Sie lebt und arbeitet in Zürich. Im Gepäck ihr 2023 erschienener Roman „Ein Jahrhundertsommer“.

Urs Faes, aufgewachsen im aargauischen Suhrental, arbeitete nach Studium und Promotion als Lehrer und Journalist. Sein literarisches Wirken begann er als Lyriker, in den letzten drei Jahrzehnten sind indes eine Vielzahl von Romanen entstanden. Sein Werk, fast ausschliesslich bei Suhrkamp erschienen, wurde mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Schweizer Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. 2010 und 2017 war er für den Schweizer Buchpreis nominiert. Heute lebt Urs Faes in Zürich. Urs Faes nimmt sein neustes Manuskript mit, das in Teilen in Gottlieben entstanden ist.

Christian Berger (Gitarren, Loop, Electronics, Büchel, Sansula, Framedrum) und Dominic Doppler (Schlagzeug, Schlitztrommel, Perkussion, Sansula), zu zweit «Stories», Musiker aus der Ostschweiz, besitzen die besonderen Fähigkeiten, sich improvisatorisch auf literarische Texte einzulassen. Schon in mehreren gemeinsamen Projekten, zum Beispiel mit jungen CH-Schriftstellerinnen und ihren Romanen oder internationalen LyrikerInnen mit lyrischen Texten, bewiesen die beiden auf eindrückliche Weise, wie gut sie mit ihrer Musik Texte zu Klanglandschaften weiterspinnen können.

Abgerundet wird die Veranstaltung durch einen reichen Apéro. Ein Anmeldung ist unbedingt erwünscht!

«Literaturbüro Gallus Frei» Texte von Christine Fischer, «Tag der offenen Tür» im Mai 2023

Uuszog useme Interview met em Gallus Frei

– Tue doch kes Büro uf!
– Mou! Gnau das wotti: Es Büro uftue! 
– För was? Ged’s ned scho gnueg Büro?
– Settegi ned, nei!
– Settegi … Meinsch du bsonderegi?
– Jo, mou – das wett ech met eme gwösse Stouz behoupte!
– Was esch öberhoupt es Büro?
– Hmmmh … es Büro esch e Ruum ond e dem Ruum passiert öppis Bestemmts!
– Hesch scho bestemmt, was das Bestemmte söu sy?
– Klar! Meinsch, ech eröffni e Ruum em loftlääre Ruum?!
– Aaaha! Du eröffnisch auso e Ruum em Ruum … esch das rechtig?
– Me chönnt’s eso uusdröcke. Es ged eigentlech gar nüd anders of dere Wäut aus Ruum em Ruum. Wechtig esch, was deby entstoht!
– Äbe! Ond was wär das, wemmer daf frooge?
– Das chan-ech zom jetzige Zytponkt ned gnau ustüütsche. Was feschtstoht: Eso-n-es Büro esch es «work in progress», kes Fertigprodukt!
– Danke! Jetz han-ech aber no e ganz grondsätzlechi Froog: Hesch du dä Ruum besch du dä Ruum?
– DU stöusch Froge … aber mosch entschoudige: Of die verautet Buechhautig wett ech mech hött lieber ned iiloh.
– Wieso ned?
– Wöus för d’Föchs esch! Aber wenn partout en Antwort muess sy: Ech be de Ruum, won’i ha … Haut – no besser : Ech be de Ruum, wo n’ech mer neme. Gnau. Das esch es!
– AHA! Das verstohni. Hättsch’es ou grad vo Aafang a chönne sääge.

Karsten Redmann liest aus seinem Erzählband «An einem dieser Tage».


Ruum ond Zyt

Me seid, s’Alter isch Zyt, wo verstriecht. Isch s’Alter ned au e Ruum, wo mer föllt? Wo mer föllt mit sich sälber? Mit de Art, wie mer s’Läbe aapackt? Klar, me wird au vom Läbe säuber am Chraage packt, gschöttlet und drinumegwirblet. Dem cha niemer entgoh. Ich glaube, s’Läbe isch grösser als ich sälber, viel grösser. En unändlech grosse, vielfältige Ruum. En einzigi grosse Iiladig, mich drininne z’bewege.

«Schön war’s, Gallus, bei der Eröffnung deiners Literaturbüros! Was für ein schmucker Raum, die vielen Bücher, der gute Wein, die Gespräche … in so einem Ambiente dann auch noch vorlesen zu dürfen, das beglückt, weil: fast wie in der eigenen Stube fühlt man sich doch sehr aufgehoben. Alles Liebe dir für all deine Projekte!» Laura Vogt liest aus ihrem Roman «Die liegende Frau». 



Ein Raum muss sein must wachsen un wölben un schalten un walten und hegen un pflegen de Bausch vo die Wörter die Reihen und Ranken die Auswüchs un Schranken must sammeln un schützen must stützen die Pfützen der Tinten und Tanten un aller Verwandten die Lesestoff bunkern un Lesestoff fressen und völlig vergessen dass das was sie lesen mit einem Langbesen kann weggewischt werden im Nu un dann zeterest du nach mehr Poesie dem Niemalsversiegen und Niemalserliegen des sprudelnden Quell im Büchergestell im Kopf und im Herzen die Freud und die Schmerzen ich sag dazu nur: Lang lebe die Literatur.

Alle Texte sind von Christine Fischer. Gallus Frei dankt der Schriftstellerin für die Erlaubnis, die Texte an dieser Stelle zu veröffentlichen.

Sommerfest im Literaturhaus Thurgau

«Der Wod» mit Silvia Tschui & Philipp Schaufelberger und «Textkiosk» mit Laura Vogt & Karsten Redmann

Frédéric Zwicker, Karl Rühmann, Urs Faes, Peter Stamm, Usama Al Shahmani, Michael Hugentobler, Annette Hug, Stefan Keller, Jochen Kelter, Dragica Rajčić Holzner, Annina Haab, Zsuzsanna Gahse, Ivna Zic, Lubna Abou Kheir, Michael Fehr, Thomas Kunst, Christoph Luchsinger, Christine Zureich, Christian Uetz, Charles Linsmayer, Silvia Tschui, Klaus Merz, Isabella Krainer, Lea Frei, Marianne Künzle, Sasha Filipenko, Nora Bossong, Peter Weibel, Rudolf Bussmann, Simone Lappert, Andreas Bissig

Das waren die Gäste in der vergangenen Spielzeit: Prosa, Lyrik, Musik, Installation, Illustration

Die Quellen, aus denen ein Literaturhaus schöpfen kann, sind unermesslich. Das, was kommen wird, wird nicht nur die Besucherinnen und Besucher der einzelnen Veranstaltungen begeistern, sondern auch all jene, die etwas von ihrer Kunst in diesem Haus zum besten geben werden.

Silvia Tschui mit ihrem Roman «Der Wod»

Urs Faes schrieb zum 20. Jubiläumsjahr unseres Literaturhauses:
„Es gibt Schreib-Orte und es gibt Orte des Lesens und beide sind Wort-Orte. Und Orte von Ankunft und vorläufiger Heimat: das ist das Bodmanhaus in Gottlieben für Schreibende, für Lesende, auch für mich. Schreib-Orte sind jene, wo der Text Ort, Gestalt und Sprache findet, eine vorläufige Ankunft: das Schreiben, das gelingt.
Und der Lese-Ort ist jener, wo der Text zum Lesenden findet, zum Dialog, zum Gespräch und damit erst Buch wird: in der Begegnung. 
Gottlieben ist immer beides.

Ein Ort hat immer etwas Unverwechselbares, ein besonderes Licht in der Dämmerung, ein Duft von See und Grenze, eine Verfärbung der Erde, ein Ufer mit Schattenspiel, Wasser, wo Schiffe treiben, ein Haus mit knarrenden Treppen und Atmosphäre von alten Schriften und sirrenden Balken, die Atmosphäre des Besonderen – Magie, die zum Bleiben einlädt.
Erwartungsvoll gespannte Gesichter von Lesenden und Hörenden.
Das alles hat das Bodman-Haus in Gottlieben, diesen Hauch von Grenze und grossen Dingen, von Verheissung und Magie. Und es ist alles: Ist Schreib-Ort, wo einer Sprache finden kann, Lese-Ort, wo Lesende Lauschende werden, Sehnsuchtsziel und ein wenig Wallfahrt: zu Schreibenden und Büchern, zu Begegnungen und Gesprächen, ein Ort zum Finden des Eigenen im Fremden.»

Zusammen mit Urs Faes machte ich manchen Spaziergang. Schreiben und Lesen in diesem Haus ist ein Geschenk. Nicht nur für Urs Faes. Mit allen Gästen, die hier wirken mit denen ich ins Gespräch kam, schwärmen diese von den Besonderheiten, der Magie dieses Ortes. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit der Schriftstellerin Mercedes Lauenstein, die sich zum Schreiben für ein paar Wochen in diesem Haus einquartierte. Sie erzählte davon, wie sehr dieses Haus zu einem Resonanzraum werden kann, Empfindungen verstärkt, dem Stillen eine Stimme geben kann.
Vielleicht wirkt ja noch etwas von dem Geist, den Emanuel von Bodman vor mehr als 100 Jahren erwirken wollte, gingen doch damals schon Dichter wie Rainer Maria Rilke oder Hermann Hesse in diesem Haus ein und aus. Es sollte ein Ort der Begegnung sein, ein Ort der Muse, ein Ort des gegenseitigen Beschenkens.

Silvia Tschui & Philipp Schaufelberger

Das Literaturhaus Thurgau ist ein Leuchtturm in der Literaturlandschaft Schweiz. Ein unverzichtbarer, ein weit in die Ferne leuchtender.

Auch wenn mich im Gespräch mit durchaus Leseinteressierten immer wieder die Überraschung trifft, dass viele von der Existenz dieses Hauses gar nicht wissen, bin ich überzeugt, dass wir in diesem Kanton mit diesem Haus allen Grund hätten, uns mit geschwellter Brust in der Kulturlandschaft Schweiz zu positionieren. Nicht nur weil die Bodman-Stiftung und der kleine Kanton Thurgau seit 22 Jahren ein eigenes Literaturhaus tragen, sondern weil die Liste derer, die in diesem Haus lasen, für mich als Literaturliebhaber und -geniesser mehr als beeindruckend ist. Weil ich jedes Mal, wenn ich im Haus oder ums Haus bin, wenn ich Menschen durch die Räume führe, wenn sich alles aufs Wort fokussiert, spüre, dass dieser Ort, dieses Haus ein Kraftort ist.

Klar wünschte ich diesem Haus mit jeder Veranstaltung ein volles Haus, ein Publikum, das sich auf Abenteuer einlässt. Klar weiss ich, dass mit den Geschehnissen in den vergangen zwei Jahren viele, vor allem ältere Stammgäste dieses Hauses, aus lauter Vorsicht den Weg nach Gottlieben nicht mehr so oft oder gar nicht mehr auf sich nehmen. Umso mehr danke ich ihnen, die sie hier sind und mit uns dieses kleine Sommerfest feiern. Dass sie hier sind und dem Haus mit jedem Besuch die Ehre erweisen, auf dass es seinen Platz in der Kulturlandschaft rechtfertigen kann, auch wenn Medien kaum Notiz von dieser Quelle nehmen.

«Textkiosk» mit Laura Vogt & Karsten Redmann

An diesem Sommerfest bieten wir ihnen ein ganz besonderes Geschenk, nicht nur Speis und Trank, sondern Literatur in vielfacher Form und Musik. Um 20 Uhr mit Lesung und Konzert mit Silvia Tschui und Philipp Schaufelberger, die ihnen bereits eine Kostprobe gaben und bis 20 Uhr mit dem Textkiosk, mit und von Laura Vogt und Karsten Redmann. Laura Vogt, die mit ihrem letzten Roman „Was uns betrifft“ schon einmal Gast hier war und Karsten Redmann, der mit dem Erzählband „An einem dieser Tage“ Vorfreude auf seinen Roman schürt, schreiben für sie im «Textkiosk“ Texte. Besuchen sie den Tisch mit den beiden SchriftstellerInnen. Erstehen Sie sich kostenlos ein Unikat, ein literarisches Kleinod, ein ganz besondere Erinnerung an den denkwürdigen Sommer 2022. Seien Sie mutig! Zwei, drei Wörter an die beiden und ihr Schreibmaschinengeklapper geht los. Und natürlich dürfen Sie den beiden über die Schulter gucken. Wenn hat man schon die Gelegenheit, SchriftstellerInnen bei ihrer Arbeit zuzuschauen!

Zum Schluss, liebe Gäste, möchte auch ich danken. Zum einen der Bodman-Stiftung, seinen Stiftungsräten, bei der Kulturstiftung Thurgau, dem Kulturamt Thurgau, bei Sandra Merten, der Buchbinderin im Erdgeschoss für die Betreuung der Webseite und die Freundlichkeiten allen Gästen des Hauses gegenüber. Ganz besonders aber Brigitte Conrad, die für dieses Haus viel mehr als eine Sekretärin ist. Brigitte Conrad ist das Rückgrat dieses Hauses. Ich verneige mich.

Und dann ganz zum Schluss: Das neue Programm ist in Druck. Wenn Sie es erhalten, tragen Sie es hinaus zu all jenen, die nicht einmal wissen, dass in Gottlieben der Nabel der Muse zu finden ist. Und vergessen sie nicht: Das aktuelle Programm bietet im September drei ultimative Highlights!

Geniessen Sie die Perlen!

Gallus Frei-Tomic, Programmleiter Literaturhaus Thurgau

Samstag, 20. August, Sommerfest im Literaturhaus Thurgau: «Der Wod» mit Silvia Tschui und Philipp Schaufelberger & «Textkiosk» mit Laura Vogt und Karsten Redmann

Jeden Sommer feiert das Literaturhaus mit einem Sommerfest die Literatur, die Bodman-Stiftung, all die Zugewandten und FreudInnen – und sich selbst. Auch Sie sind eingeladen zu Speis, Trank und einem ordentlichen «Gutsch» Kultur mit:

Silvia Tschui – «Der Wod» mit Philipp Schaufelberger – Text, Sound und Gesang

In «Der Wod» (Rowohlt 2021) erzählt Silvia Tschui die Geschichte einer schweizerisch-deutschen Unternehmerfamilie, die von einem lange zurückliegenden Sündenfall bis in die Gegenwart verfolgt wird. Tschui, die 2019 für den Ingeborg Bachmann Preis nominiert war, berichtet von Geheimdienst-Agenten und Nazi-Widerständlern, von Berner Künstlerkreisen und Hell’s Angels – und nicht zuletzt vom Wod, dem Jäger einer norddeutschen Sage, der den Figuren dieser Familiensaga immer wieder als Personifikation der Angst erscheint. Das reichhaltige Personal ihres vielstimmigen neuen Romans präsentiert die Autorin in einer etwas anderen Form, nämlich mit Lesung, Gesang und Zufallsgenerator, begleitet von Philipp Schaufelberger an der Gitarre.


„Textkiosk“ mit den SchriftstellerInnen Laura Vogt und Karsten Redmann

Laura Vogt und Karsten Redmann schreiben Texte auf Bestellung. Ob kurze Briefe, Gedichte, kleine Geschichten – stets hantieren sie mit kunstvoll gedrechselten Satzgirlanden; allzeit das verbale Risiko suchend. Andere jonglieren mit bunten Bällen, wir werfen Worte in die Luft und wirbeln sie wild herum. Bei „Textkiosk“ heisst es: Jeder Text ein Unikat. Und alle Texte zusammen ergeben eine wunderbare Erinnerung an Ihr Fest. Mal surreal, mal witzig, mal tiefgehend, mal Dada; alles ist möglich. Neue literarische Welten zu erschaffen ist ihrer täglich Brot.

Der Anlass ist kostenfrei!

Wortlaut 2021.digital – Alternativ-Programm des 13. Sankt Galler Literaturfestivals

„Was möglich ist“ – das ist nicht nur der Titel von Werner Rohners neustem Roman, aus welchem der Autor am 13. Wortlaut St. Galler Literaturfestival vorgelesen hätte, sondern auch das Motto vom digitalen Alternativprogramm. Oder anders gesagt: eine wirkliche Alternative sind digitale Formate nicht aber eben „was möglich ist“.

Aufgrund der aktuell geltenden behördlichen Massnahmen kann das diesjährige Wortlaut nicht wie geplant stattfinden. Ein weiteres Jahr müssen wir auf spannende Lesungen, literarische Entdeckungen und Begegnungen zwischen Literaturschaffenden und Publikum verzichten. Ein schwerer Schlag für alle Mitwirkenden.

Es ist uns ein Anliegen trotz dem abgesagten Wortlaut wenigstens ein paar Autor*innen und Künstler*innen, welche am Literaturfestival auf den kleinen und grossen Bühnen der Stadt aufgetreten wären, zu Wort kommen zu lassen. Oder eben zu Bild.

Alle Formate – Videos, Live-Streams, Zoom – stehen kostenlos zur Verfügung. Wer Wortlaut unterstützen möchte, kann ein Solidaritäts-Ticket erwerben via eventfrog.ch.

Alternativ-Programm Wortlaut 2021.digital
 
Donnerstag, 25. März
 
Vorschau «Ich hätte grosse Lust auf einen Spaziergang»      
Publizist und Kulturvermittler Richard Butz unternimmt in seinem neuen Stadtführer neun literarische, mit Fotografien von Regina Kühne angereicherte Spaziergänge durch St.Gallen. Sie führen zu Orten der Literatur, zitieren Textpassagen und Gedichte von St.Galler sowie auswärtigen SchriftstellerInnen, geben Hinweise zum Weiterlesen, zu Kultur und Geschichte der Stadt. Das Werk, in neun einzelnen Heften, erscheint neu am 2. Mai im Verlag VGS St.Gallen.
 
Richard Butz und die Schauspielerin Nathalie Hubler stellen die Publikation in einem Kurzfilm vor. Film: Fabian Engeler
 
 
 
Freitag, 26. März
 
Live-Stream «Nachtgestalten»
 
Mit der Eröffnung vom 13. Wortlaut hätten wir eine doppelte Premiere gefeiert: Das Theater am Tisch spannt zum ersten Mal mit Schriftsteller Jaroslav Rudis zusammen. Dieser wiederum hat erstmals mit dem mehrfach preisgekrönten Wiener Illustrator und Comic-Zeichner Nicolas Mahler die Graphic Novel «Nachtgestalten» verfasst.
Eine prächtige melancholisch-süffige Nachtgeschichte: Eine Stadt und zwei Freunde, die wissen, dass es nichts Grösseres gibt als die Wahrheit des Moments, in dem die Kneipe schliesst. Von Bier zu Bier und von Geschichte zu Geschichte treibend erzählen die beiden Nachtgestalten scharfsinnig und aberwitzig von der Tragik der Liebe, dem Wahnsinn des Lebens sowie den Spuren der Geschichte, die allem zugrunde liegt und nie ganz verschwindet.
 
Diese Premiere bringen wir nun per Live-Stream aus dem Palace in die heimischen Stuben: Schauspieler Marcus Schäfer und Oliver Losehand beleben das Zwiegespräch der Nachtgestalten anschaulich für die Bühne – und den Bildschirm, die E-Gitarristen Peter Lutz und Marcel Elsener geben ihr einen nachttrunken ausufernden Sound, Grafiker Jurek Edel animiert die Bilder vom blutigen Vollmond bis zum toten Hund.
 
Freitag, 26. März um 19 Uhr, Livestream auf wortlaut.ch
 
 
 
Samstag, 27. März
 
Live-Stream LECHTS: Simone Baumann & Thomas Ott
 
Graphic-Novel direkt ins eigene Wohnzimmer: am Samstagnachmittag melden sich gleich zwei Mitwirkende vom abgesagten Wortlaut mit ihren neuen Werken live aus dem Palace.
 
Es flimmert in der Finsternis, es flimmert überall in Simone Baumanns erstem Buch «Zwang»: in Mensch, Tier und Szenerie. Dubiose Gestalten bewegen sich durch dubiose Orte, wirken ihrem Schicksal ausgeliefert. Zwar blitzt fast überall die Infrastruktur eines gängigen Schweizer Städte-Alltags hindurch, aber die Atmosphäre bleibt dem gefahrlosen Alltag fern. Es geschehen morbide und komische Dinge, das wird schnell klar. Manche sind nachvollziehbar, andere kryptisch. In den meisten Bildern taucht eine Hauptfigur auf, die autobiografisch angelegt wirkt. Passieren ihr diese Dinge? Stellt sie sie sich nur vor? Oder geht es um genau diesen Ort, wo Realität und Fantasie zusammenfliessen?
 
Thomas Ott erzählt in seinem neuesten Buch «La Forêt» die Geschichte eines Jungen, der sich ganz alleine tief in den dunklen Wald wagt, dabei mit seinen kleinen und grossen Ängsten konfrontiert wird und schliesslich lernt, ohne Furcht oder Zweifel seinen eigenen Weg zu gehen. Die vom Autor wohl bisher berührendste Graphic Novel über den Mut und die Kraft zum Leben. Der Schweizer Comic-Künstler liefert seit Jahren die schwärzesten Visionen zur Absurdität der modernen Zivilisation und beweist einmal mehr sein Herz für die Pechvögel dieser Welt und seinen Sinn für die wirklich tragischen Geschichten.
 
Die Künstlerin und der Künstler stellen ihre neuen Bücher vor und diskutieren mit Lika Nüssli und Julia Kubik.

Samstag, 27. März um 14 Uhr, Livestream auf wortlaut.ch
 
 
 
Gassenhauer digital
 
Einmal im Jahr stellt der Gassenhauer am Wortlaut die Lage der Dinge vom Kopf auf die Füsse. Günter und Emmi, die beiden Unverwüstlichen, mischen sich in die Stadtdebatten und pfuschen sich gegenseitig ins Hand- und Mundwerk. Bis 2016 war der Pelikanerker in der Schmiedgasse Schauplatz der nächtlichen Gassenhauerei. Nach einem kurzen Abstecher ins Waaghaus wurde 2019 auf die Metzgergasse gehauen – unausgewogen und aufmüpfig wie eh und je. 2020 hatte jemand anders die Klappe noch weiter offen: Corona. Günter und Emmi schlugen drum klammheimlich aus dem Lockdown zu. Und auch dieses Jahr melden sich die zwei gezwungenermassen aus den eigenen vier Wänden.
Mit Diana Dengler und Marcus Schäfer von Theater am Tisch und dem Kulturmagazin Saiten.

 
Schnitt: Jurek Edel    

Ab Samstag, 18 Uhr auf www.wortlaut.ch und vimeo.ch
 
 
 
Late-Night Ladies: Mit Hildegard in der Zoom-Bar
 
Willkommen in der Zoom-Bar. Die Gastgeberin, Hildegard E. Keller, serviert Geschichten und der Barmann einen Cocktail. Diesmal empfängt sie drei Ladies, die in ihrem soeben erschienen Roman WAS WIR SCHEINEN eine wichtige Rolle spielen: Hannah Arendt, Ingeborg Bachmann und Alfonsina Storni. Drei Frauen, die viel gewagt haben. Von ihnen erfahren wir: «Wer selbst denkt und fühlt und sich ausdrückt, lebt! Ganz ohne Gefahr geht das aber nicht.» Deshalb tun wir gut daran, uns immer wieder mal kräftig Mut anzutrinken – am besten in Gemeinschaft.
 
Die Gastgeberin: Die in St. Gallen geborene Autorin, Verlegerin, Literaturkritikerin und Professorin Hildegard E. Keller, wirft einen frischen Blick auf Künstlerinnenbiografien, mit Hörspiel, Theater, Film und nun auch in ihrem ersten Roman. Sie wird aus ihren jüngsten Büchern lesen (Hildegard Keller: WAS WIR SCHEINEN, Eichborn, 2021; Alfonsina Storni: CHICAS und CUCA, Edition Maulhelden 2021).
 
Der Barmann: Christof Burkard betreibt mit Hildegard Keller die Edition Maulhelden und tritt mit ihr als Duo unter dem Namen «Maulhelden» auf. Seine Domäne ist die Küchenkultur, aber wenn’s sein muss, mixt er auch Cocktails.
 
Samstag, 27. März um 21 Uhr via Zoom    
Den Link zur Teilnahme erhalten Sie auf Anfrage via info@wortlaut.ch   
Eintritt frei      

In Zusammenarbeit mit Edition Maulhelden und in Kooperation mit dem Literaturhaus Wyborada
 
 
 
Sonntag, 28. März
 
«Bericht: im Hallenbad» – Video-Essay aus dem Volksbad mit Maya Olah
 
„Bericht: im Hallenbad» ist ein Konglomerat aus Texten, die sich ums Schwimmen drehen. Das Hallenbad wird als Gegenraum zur Alltagswelt angesehen, das Schwimmen als Schwellenzustand betrachtet. Im Textteppich ist das Wasser der Ort der Ambivalenz, des Unterdrückten und Unterbewussten. Erinnerungen, Träume von Untieren, die im Wasser treiben und Beobachtungen werden miteinander verwebt.      

Die Autorin Maya Olah liest im leeren Volksbad St. Gallen. Film: Juan Ferrari und Pascale Lustenberger.
 
Ab Sonntag, 11 Uhr auf www.wortlaut.ch
 
 
Virtueller Autor*innen-Spaziergang mit Laura Vogt und Werner Rohner
 
Beide wären zum Wortlaut 2021 für eine Lesung aus ihren neuen Büchern eingeladen gewesen: In ihrem zweiten Roman «Was uns betrifft» beleuchtet Laura Vogt Fragen wie «Was bedeutet es in der heutigen Zeit, Mutter zu sein?», «Was ist Weiblichkeit?», oder «Welche Beziehungen sind möglich und wie bleibt man darin selbstbestimmt?».
 
Einfühlsam und unaufgeregt erzählt Werner Rohner in „Was möglich ist“ von drei mutigen Frauen und drei mutigen Neuanfängen; von Sehnsucht und Begehren, von Aufbruch und Verlust.
 
Nun treffen sich Laura Vogt und Werner Rohner auf einen Spaziergang. Sie sprechen über ihre Bücher, lesen sich gegenseitig Lieblingsstellen daraus und reden über eigene Sätze, die man später nicht mehr schreiben würde. Vielleicht. Vielleicht locken sie sich gegenseitig auch anderweitig aus der Reserve, reden über abgesagte Lesungen, vielleicht auch über Fussball. Beim Promenieren kann so mancher Art Gespräch entstehen… Wir laden Sie ein auf einen virtuellen Spaziergang mit zwei spannenden Stimmen der Schweizer Literatur.
 
Ab Sonntag, 15 Uhr auf www.wortlaut.ch
 
 
 
Leerbuch im Museum of Emptiness
 
Zum Glück ist Wortlaut nicht nur auf den grossen und kleinen Bühnen der Stadt Zuhause, sondern auch in einem Museum zu Besuch. Und dieses hat geöffnet!        

Ein Jahr nach dem ersten Shutdown erscheint ein Buch zur Leere. Beim Durchblättern begegnen den Leserinnen und Lesern 24 leere Orte, die von den Fotografen Daniele und Ben Lupini festgehalten wurden, zu 24 Interviewbeiträgen von Gilgi Guggenheim mit Margrith Bigler, Barbara Bleisch, Jon Bollmann, Jacquelin Burckhardt, Marcy Goldberg, Hedy Graber, Simon Grand, Hanna B. Hölling, Gardi Hutter, Theres Inauen, Marc Jenny, Hildegard E. Keller, Daniel Koch, Olivia Kühni, Walter Leimgruber, Josef Muggli, Bertrand Piccard, Hans Reckhaus, Peter Schneider, David Signer, Juri Steiner, Mirjam Varadinis, Ursus Wehrli und Fanny Wissler.
 
Das Leerbuch liegt am Wortlaut-Sonntag erstmals öffentlich im Museum of Emptiness auf. In den Räumlichkeiten des MoE finden Sie einen ruhigen Ort für entspanntes Lesen und Betrachten. Tauchen Sie in die Bilder und in die persönlichen Texte der Autor*innen ein. So widersprüchlich es klingt, so erfüllend ist die Leere.
 
Sonntag, 11-16 Uhr   
Museum of Emptiness, Haldenstrasse 5, St. Gallen           
 
 
 
Allgemeine Info
 
Wortlaut ist das literarische Frühjahrsereignis der Ostschweiz. Alljährlich findet es Ende März in St.Gallen statt. Das Festival bietet literarische Entdeckungsmöglichkeiten in den vier Reihen Laut und Luise, Lechts und Rinks – eine Hommage an Ernst Jandl, einen der grössten deutschsprachigen Sprach- und Wortlautspieler des 20. Jahrhunderts. 

Zwei Stunden Feinkost! Literaare lädt ein zu «Stimmen von Thun»

Daniel Mezger, Meral Kureyshi, Demian Lienhard, Giuliano Musio, Elio Pellin, Regula Portillo, Laura Vogt und Benjamin von Wyl. Wenn bei all den Namen etwas auffällt, dann ist es das Alter, die Zuversicht, die aus der jungen Generation von Schriftstellerinnen und Schriftstellern wirkt und die ungebremste Lust aller Widrigkeiten zum Trotz an die Wirkung der Literatur nicht nur zu glauben, sondern sie erhobenen Hauptes hinauszutragen.

Ich mag Häppchen. Aber wenn mir der Teller weggenommen wird, während ich geniesse, wenn man mir gar befiehlt, den Raum zu wechseln für das nächste Häppchen, dann schwindet die Freude am Häppchen, am Genuss in Gesellschaft. «Stimmen von Thun» lädt im 20-Minuten-Takt zu Kurzlesungen ein; ein paar Erläuterungen, 10 Minuten Lesen, ein paar Fragen und dann peitscht einem ein Handyton zur nächsten Kurzlesung. 

Mathilda ist ein kleines Mädchen. Ihr alleinerziehender Vater stirbt. Und obwohl Mathilda vom schwulen Bruder ihres Vaters liebevoll aufgenommen wird, dort auch ihre Trauer ein Zuhause findet, veranlassen Ämter, dass Lucía, Mathildes Mutter in Mexiko, die bisher keine Rolle spielte, Mathilda zu sich nach Mexiko nimmt. Welten zerbrechen, nicht nur die von Mathilda, auch jene ihres Onkels Tobias. Regula Portillo las aus ihrem feinfühligen Roman «Andersland«.

Drei miteinander und ineinander verwobene Geschichten, die Flüchtlingskrise in Berlin. Alle Figuren in Daniel Mezgers Roman «Alles außer ich» sind in Fluchtbewegung, wenn auch nicht aus Kriegsgebieten, dann mit Sicherheit vor sich selbst. Von einem Mann, der aus seiner Bedeutungslosigkeit ausbrechen will, einem Durchschnittsmeier, der nicht nur Hans Meier heisst, sondern die Verkörperung dieses Namens ist.

Tintenfische in Wasserflaschen, Krabben in Folie, Libellen in einer Schachtel, Quallen plattgedrückt in einer Metalldose. Giuliano Musio tut mit Lust, was Schriftsteller dürfen und sollen; erfinden, lügen. So weit, dass Bern ein Buch lang auch mal am Meer liegen kann. Giuliano Musios Roman «Wirbellos» ist eine Mischung aus Realität und Surrealität, die zeigt wie lustvoll man in die Irre geführt werden kann. «Wirbellos» ist Literatur mit viel Rückgrat!

Dem Team; Tabea Steiner, Céline Tapis, Anna-Daria Kräuchi, Julia Schnider, Leonora Schulthess und Benjamin Schlüer Geburt mein grosser Dank! Lang lebe Literaare!

 Illustrationen © leafrei.com

«Was uns betrifft» Laura Vogt im Literaturhaus Thurgau

Laura Vogt las im Literaturhaus Thurgau aus ihrem bei Zytglogge erschienenen Roman «Was uns betrifft». Eine Reise in die Seele einer zerrissenen Frau, einer Frau, die aufbricht. Eine Lesung, die beeindruckte, weil es Laura Vogt schafft, Themen zu Literatur werden zu lassen, die sonst gerne aussen vor bleiben.

„Was uns betrifft“ betrifft mich, betrifft jeden, der Laura Vogts Roman liest. Vielleicht, weil das Buch von den Urängsten einer jungen Frau erzählt, einer werdenden und gewordenen Mutter. Vielleicht weil der Roman nichts beschönigt und Fragen stellt. Vielleicht weil Ihr Roman derart ehrlich ist, nicht verklärt und idealisiert. Vielleicht aber auch, weil Laura Vogt einen Roman geschrieben hat, den sie nie hätte schreiben können, wäre sie nicht selbst Mutter geworden. 

Schon die erste Szene im ersten Teil ihres Romans fährt einem in den Unterleib. Rahel, die junge Protagonistin sitzt in einer Lesung und mir wird geschildert, wie sich in ihrem Unterleib ein männliches Spermium mit der Eizelle Rahels vereint. Als hätte man dem Erzählmotor schon zu Beginn eine Einspritzung verpasst. Ein Einstieg, der einem als Bild unauslöschlich hängen bleibt.

Es sind drei Frauen im Roman der jungen Ostschweizerin; Verena, die an Krebs erkrankte Mutter, Rahel die Protagonistin und Fenna ihre Schwester. In keinem der drei Frauenleben scheinen Männer eine wirklich gute Rolle zu spielen. Martin, Rahels Freund setzt sich ab. Verena trennt sich von Erik, Rahels Vater, schon früh. Und Fenna kämpft sich an Luc ab. Als ob unter allem die Einsicht stünde, dass Beziehungen zwischen Menschen permanentes Wagnis sind und bleiben. Vielleicht sogar die Mahnung, endlich von den festgefahrenen Vorstellungen von „Familie“ Abstand zu nehmen.



Laura Vogt schreibt sich extrem nahe an ihre Protagonistin, bildlich und emotional. „Was uns berifft“ ist ein Buch von selten weiblicher Dominanz. Ein Buch, dass so nie von einem Mann hätte geschrieben werden können und deshalb für den Mann zu einem wahren Leseabenteuer werden kann.

Rezension auf literaturblatt.ch

Interview mit Laura Vogt auf literaturblatt.ch

Beitragsbilder © Sandra Kottonau / Literaturhaus Thurgau

Literaare – Ein mutiges Festival in Thun

Im Frühling hätte das Festival stattfinden sollen und musste wie so viele andere abgesagt werden. Aber als einziges Schweizer Literatur-Festival, das mir bekannt ist, wagt Literaare in Thun einen Restart. Nur schon deshalb sollte der Mut der VeranstalterInnen belohnt werden, garantieren doch die Vorgaben des BAG maximal möglichen Genuss.

Eröffnet wird das Festival am Freitag, den 25. September von der Grand Dame der Schweizer Literaturszene. Mit Ruth Schweikert, die 2016 sowohl den Schweizer Literaturpreis wie den Solothurner Literaturpreis gewann und schon mit ihrem ersten Roman «Erdnüsse. Totschlagen» mehr als nur auf sich aufmerksam machte, mischt sich eine wichtige Stimme ein – in die Kulturszene genauso wie in die Politik. 2020 veröffentlichte sie zusammen mit Eric Bergkraut einen Film, eine «etwas andere Homestory einer Künstlerfamilie» mit dem Titel «Wir Eltern». Ruth Schweikert bringt ihren Roman «Tage wie Hunde» mit ans Festival, einen Roman, in dem sie sich auf formal experimentellen Wegen sowohl erzählerisch wie essayistisch mit ihrer Krebserkrankung auseinandersetzt. Ein Buch, das weit mehr ist, als eine Nabelschau, viel mehr ein literarisch mutig, wilder Ritt durch die eigene Körperlichkeit.

Am darauffolgenden Samstag und Sonntag geben sich grosse und kleine Namen die Klinke. So liest Christoph Geiser, ein Urgestein in der CH-Literatur aus seinem bei Sezession erschienenen Erzählband «Verfehlte Orte». Christoph Geiser, der seit einem halben Jahrhundert schriftstellerisch wirkt und dafür 2020 endlich mit dem Schweizer Literaturpreis die gebührende Anerkennung erfuhr, ist Erzähl- und Fabulierkünstler. Ein Autor, der sich nur schwer fassen lässt, sich dauernd neu erfindet.

Andere grosse Namen gehören einer ganz jungen Generation. So lesen Simone Lappert aus ihrem Roman «Der Sprung», mit dem sie sich einen Platz in der Shortlist des Schweizer Buchpreises 2019 verschaffte, Laura Vogt aus ihrem Gesellschaftsroman «Was uns betrifft» oder die jungen deutschen Schriftstellerinnen Kirstin Höller (1996), Miku Sophie Kühmel (1992) und Svenja Gräfen (1990), drei junge Stimmen, die mit ihren Themen den Nerv der Gegenwart treffen. Neben noch vielen anderen Stimmen eine Wand aus kraftvollen Erzählerinnen!

Ganz besonders freue ich mich auf das Format «Skriptor», das im Rahmen der Solothurner Literaturtage von AutorInnen entwickelt wurde. Es stellt Fragen, die die schriftstellerische Tätigkeit bestimmen. Am öffentlichen Werkstattgespräch kann sich das Publikum miteinbringen. Ein Format, das zeigt, wie tief die Auseinandersetzungen mit Sprache, Text, Form und Inhalt reichen können. Dabei stellt sich der Schriftsteller Demian Lienhard, der mit seinem Debüt «Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat» für Furore sorgte, mit einem noch unveröffentlichten Textausschnitt. Es diskutieren 5 SchriftstellerInnen und Mutige aus der Runde der Lauschenden.

Bereits auf literaturblatt.ch besprochen und auf dem Programm des Thuner Literaturfestivals «Literaare»:
«Der Sprung» von Simone Lappert
«Was uns betrifft» von Laura Vogt
«Hier sind Löwen» von Katerina Poladjan
«Andersland» von Regula Portillo

Warum in diesen Zeiten ein Festival besuchen? Wer sich an die Regeln hält, geht kein Risiko ein. Und die Literatur braucht die Begegnung, all die Lesenden, die sich nicht bloss zur Unterhaltung mit Büchern versorgen. Ein solches Festival ist ein Zeichen; ein Zeichen für die Kunst, für all jene, denen seit dem Frühjahr das lebensnotwendige Publikum weggebrochen ist.
Seien Sie dabei!