Laura Vogt «Die liegende Frau», Frankfurter Verlagsanstalt

Laura Vogt liest im Literaturhaus Thurgau und an den Weinfelder Buchtagen

Wir alle suchen nach dem Glück. Noch vor hundert Jahren schien das Glück festgeschrieben zu sein. Es war eines, das ganz aus männlicher Perspektive geschrieben war. Wie Familie, Liebe, Karriere und Erfolg auszusehen hatten, war noch bis vor wenigen Jahrzehnten männergeprägt. Laura Vogts neuer Roman ist einer, der aufbrechen will, die Geschichte von Frauen, die nach neuen Lebensentwürfen suchen.

Mit dreissig stehen Romi, Szibilla und Nora mitten im Leben – und doch nicht dort, wo sie ihre Träume hätte hinbringen müssen. Sie sind eingespannt in ein Leben, das von Zwängen, Sackgassen und Vorgegebenem dominiert wird, in atemlosem Takt, turbulent und mit der dauernden Angst, von Konventionen stillschweigend eingefangen zu werden. Drei Freundinnen, zerrieben in längst angezählter Vergangenheit und dem Traum einer Zukunft, in der sie sich endlich der Enge ihrer eingeschriebenen Rollen befreien können.

«Der Mann, die Frau mit Schwangerschaftsbauch und das Kind sitzen auf einem Sofa in einem frisch gestrichenen Wohnzimmer und lächeln, glücklich und gelassen. Aber diese Frau bin ich im Grunde nie gewesen. Welche Frau bin ich dann?»

Eigentlich hätten die drei Frauen gemeinsam ein paar Tage Urlaub machen wollen. Noch bevor Romi ihr zweites Kind zur Welt bringen würde. Aber ihre Pläne werden durchkreuzt, weil es Nora nicht mehr schafft, weil Nora liegen geblieben ist, im Zimmer ihrer Kindheit, einem Ort, den sie eigentlich schon längst hätte hinter sich lassen wollen. Weil sie aus einem Leben fliehen musste, das mit fehlender Perspektive zu ersticken drohte. Aber dort ist Meret, Noras  Tochter, nicht allein, behütet von Noras Mutter Anni. Romi und Szibilla mieten sich in einem schmuddeligen Wellnesshotel ganz in der Nähe ein, warten, dass Nora aus ihrem Dämmerzustand aufwacht und sehen sich im eigenen Dämmerzustand verloren, einem Leben im Dazwischen.

«Warum muss es immer dieses Entweder-oder sein. Warum unbedingt die Monogamie.»

Laura Vogt «Die liegende Frau», FVA, 2023, 320 Seiten, CHF ca. 34.90, ISBN 978-3-627-00314-2

Romi reflektiert. Zum einen weil mit einem weiteren Kind die Pflichten einer Mutter nicht kleiner werden, weil sich Fragen aufdrängen, die seit Jahrzehnten nach Antworten schreien, Ereignisse in ihrer Familie, die sie nicht loslassen, weil Phil, dem Vater von Leon und dem werdenden Kind in ihrem Bauch zuhause die Ungewissheit den Atem nimmt und weil Dennis, ihre neue Liebe ihr genau das zu bieten scheint, wonach sich Romi sehnt. Nora, entflohen aus einer toxischen Beziehung, Szibilla, gepeinigt von Regelschmerzen und dem Unverständnis darüber, in diese Welt Kinder zu setzen und Romi, im Ungewissen, wie sie ihr Leben führen, wieder zurück auf eine Spur kommen will, wie sie all das auf die Reihe bekommen will, das ihr für ihr Leben unausweichlich erscheint – drei Frauen im Sturm dessen, was Aufbruch, Selbstbestimmung und tatsächliche Emanzipation aufwirbelt.

«Früher konnte man sich noch auf die Dinge verlassen.»

Romi liebt Phil. Romi liebt ihren kleinen Jungen Leon. Romi liebt das Kind, das sich im Bauch mit sich trägt. Aber Romi liebt auch Dennis, seine Art, sie ernst zu nehmen, seine Zärtlichkeiten. Und Romi liebt das, was sie als Möglichkeiten in sich trägt, was nach Klärung ringt in einer Welt, die noch immer fest verklebt mit Konventionen ist.

„Die liegende Frau“ ist ein leidenschaftlicher Roman über Weiblichkeit und Rollenverständnis, über kompromisslose Ehrlichkeit und den Wunsch, ein eigenständiges Leben führen zu können, ein Leben ohne Verstümmelungen. Laura Vogt schreibt vielstimmig, ernsthaft darum bemüht, allen Betroffenen Eigenleben zuzustehen. „Die liegende Frau“ ist ebenso fordernd wie herausfordernd, nicht zuletzt für Leser wie mich, die in einem ganz traditionellen Rollenverständnis gross wurden. Laura Vogt stellt Fragen, deren Antworten Konsequenzen fordern.

«Ich will mich häuten, Schicht um Schicht, wenn ich spreche, wenn ich schreibe.»

Laura Vogt, geboren 1989 in Teufen (Schweiz), studierte Kulturwissenschaften in Luzern und Literarisches Schreiben in Biel. 2016 erschien ihr Debüt «So einfach war es also zu gehen», mit dem sie u. a. zu den Solothurner Literaturtagen und zu PROSANOVA – Festival für junge Literatur eingeladen wurde. 2020 folgte der Roman «Was uns betrifft», der ins Englische übersetzt wurde. Sie schreibt neben Prosa auch lyrische, dramatische und journalistische Texte und ist als Schriftdolmetscherin und Mentorin tätig. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Ostschweiz.

Rezension von «Was uns betrifft» von Laura Vogt

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Illustration © leale.ch / Literaturhaus Thurgau