Die Gäste im Literaturhaus Thurgau von September bis Dezember 2023

Liebe Freundinnen und Freunde des Literaturhauses Thurgau, liebe Literaturinteressierte, liebe Leserinnen und Leser dieser Webseite

Mein letztes Programm für das schmucke Literaturhaus am Seerhein, wo ich während dreieinhalb Jahren das Programm gestalten durfte. Schon jetzt melden sich erste Vorboten der Wehmut, weil sich gewisse Arbeiten bereits nicht mehr wiederholen werden. Intendant dieses Hauses zu sein, bedeutet mir sehr viel. Vor vier Jahren wurde ich telefonisch angefragt und es war, als hätte man mich mit einem übergrossen Geschenk beehrt. Eine Aufgabe, in die ich hineinwachsen musste, die mir ganz und gar entsprach; Gastgeber im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben.

Am Samstag, 2. Dezember, 18.00 Uhr: „Frei(ab)gang“ Gallus Frei-Tomic verabschiedet sich mit Gästen: Alice Grünfelder, Urs Faes und die Musiker Christian Berger und Dominic Doppler

In den 40 Monaten unter meiner künstlerischen Leitung werden es 86 Veranstaltungen, rund 120 Künsterinnen und Künstler, Stipendiatinnen und Stipendiaten und Gäste in der Wohnung des Literturhauses, die das Leben in den obersten beiden Stockwerken des Literaturhauses ausmachten, gewesen sein. Lesungen, Performances, Ausstellungen, Konzerte, Diskussionen, Vorträge – ein reiches Programm. 

Im letzten Monat meiner Amtszeit lade ich alle Freundinnen und Freude, alle Zugewandten zu einer ganz besonderen Abschiedsveranstaltung ein.

Gäste sind:

Alice Grünfelder, aufgewachsen in Schwäbisch Gmünd, studierte nach einer Buchhändlerlehre Sinologie und Germanistik in Berlin und China. Sie war Lektorin beim Unionsverlag in Zürich, für den sie unter anderem die Türkische Bibliothek betreute. Seit 2010 unterrichtet sie Jugendliche und ist als freie Lektorin tätig. Alice Grünfelder ist Herausgeberin mehrerer Asien-Publikationen und veröffentlichte unter anderem Essays und Romane. Sie lebt und arbeitet in Zürich. Im Gepäck ihr 2023 erschienener Roman „Ein Jahrhundertsommer“.

Urs Faes, aufgewachsen im aargauischen Suhrental, arbeitete nach Studium und Promotion als Lehrer und Journalist. Sein literarisches Wirken begann er als Lyriker, in den letzten drei Jahrzehnten sind indes eine Vielzahl von Romanen entstanden. Sein Werk, fast ausschliesslich bei Suhrkamp erschienen, wurde mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Schweizer Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. 2010 und 2017 war er für den Schweizer Buchpreis nominiert. Heute lebt Urs Faes in Zürich. Urs Faes nimmt sein neustes Manuskript mit, das in Teilen in Gottlieben entstanden ist.

Christian Berger (Gitarren, Loop, Electronics, Büchel, Sansula, Framedrum) und Dominic Doppler (Schlagzeug, Schlitztrommel, Perkussion, Sansula), zu zweit «Stories», Musiker aus der Ostschweiz, besitzen die besonderen Fähigkeiten, sich improvisatorisch auf literarische Texte einzulassen. Schon in mehreren gemeinsamen Projekten, zum Beispiel mit jungen CH-Schriftstellerinnen und ihren Romanen oder internationalen LyrikerInnen mit lyrischen Texten, bewiesen die beiden auf eindrückliche Weise, wie gut sie mit ihrer Musik Texte zu Klanglandschaften weiterspinnen können.

Abgerundet wird die Veranstaltung durch einen reichen Apéro. Ein Anmeldung ist unbedingt erwünscht!

«deine hand ein schlüssel, dein auge ein see» Nadia Küchenmeister im Literaturhaus Thurgau

«Nach zehnstündiger Anreise aus Berlin waren die Stunden in Gottlieben wie eine lange Umarmung. Vielen Dank an Gallus Frei und Heike Brandstädter für die Vorbereitung und das intensive Gespräch auf der Bühne! Vielen Dank an die Zuhörerinnen und Zuhörer! Und vielen Dank für die schönen Gespräche nach der Lesung, für den Wein und die Münzen, die man mir schenkte, in der Hoffnung, im nächsten Leben nicht als Ameise wiedergeboren zu werden. Ich habe mich sehr wohl, sehr aufgehoben gefühlt. Herzlichen Gruß, Nadja Küchenmeister»

«Die Gedichte verstören, weil in eine quasi unschuldige, fast kindlich-heile Welt der Erinnerung, des Märchens, des Spiels, auch des Spiels der Gedanken, etwas Dunkles hereinbricht oder davon kündet. Das Unvorhergesehene war verborgen, aber es war immer schon da und wird an prominenter Stelle hervorgeholt. Das Hintergründige, das Abgründige, der Verlust kommt zur Sprache. Zugleich wirbelt die Sprache gewohnte Begriffe und Sichtweisen durcheinander. Leise, vielleicht sogar lustvoll werden wir eingebunden in paradoxe Wiederholungen, zyklische Strukturen, Rundungen. Aber: diesen Wiederholungen wohnt immer eine winzige Abweichung ein, eine unmerkliche Drehung der Perspektive, die das gewohnte Verständnis stört, es durcheinanderbringt. Das sind Passagen wie: „kein schatten mehr / im schatten“ oder „das schlafzimmer der eltern / das elternschlafzimmer“ oder „die bahn / bleibt in der bahn“ oder auch „keiner wusste genau wie spät es war / als es zu spät war“. Worte, Begriffe, Ausdrücke, Sprachbilder, die uns vertraut scheinen, werden ausgestellt, auseinandergelegt, befragt: Sind sie das, was sie vorgeben zu sein? Was taugen sie? Wie weit reichen sie?» Heike Brandstädter

Fast tausend Kilometer von Berlin nach Gottlieben hin und am nächsten Tag wieder zurück. Muss schon eine wichtige Sache sein, die so weit transportiert wird! War es auch! Nadja Küchenmeister bringt sie mit; in ihren Büchern fein säuberlich verpackt, ihrer Sprache, ihrer Dichtung, eine verschriftlichte Stimme, die durch Musikalität, Tiefe, Vielschichtigkeit, Sprachwitz und Klugheit auf der einen Seite gewichtig genug ist, um sie beim Vortragen in wohlproportionierten Dosen den Erwartenden zu übergeben, leicht genug, dass die Wortkonstrukte Höhen erreichen, die Schwindel erzeugen.

Ich lernte Naja Küchenmeister 2022 in Basel am dortigen Lyrikfestival kennen, erstand die Bücher im Vorfeld und war nach der Lektüre mehr als gespannt auf die Person, die hinter den Worten steckt. Hätte man mir die Gedichte damals ohne Hinweise auf die Autorin zur Lektüre gegeben, hätte ich die Dichterin im reifen Alter geschätzt, weil ihre Gedichte nicht nur viel Weisheit verraten, vor allem in der Art des Sehens, sondern jene kluge Distanz, die ein Gedicht zu einem Diamant macht, der das Licht auffächert und zu einem vielfachen Spiegel werden lässt.

Wortfreundinnen – Naja Küchenmeister und Zsuzsanna Gahse

Zusammen mit der Literaturwissenschaftlerin Heike Brandstädter aus Konstanz versuchten wir zu zweit ein ganz kleines bisschen hinter die Geheimnisse ihres Dichtens zu leuchten. Nadja Küchenmeister ist keine Vielschreiberin. Was sie zu Papier bringt, hat lange gereift, lange Prozesse durchlaufen. Sie hütet sich davor, sich vom Literaturbetrieb vorwärts treiben zu lassen. Ihre Sprachlandschaften sind klangvoll durchkomponierte Reisen mit dem inneren Auge. Sie nimmt mich mit in einen Kosmos, der aus Alltäglichkeiten, Kleinigkeiten, Normalitäten einen Zustand des Sehens erzeugen kann, der der Schwere Leichtigkeit, dem Unscheinbaren Gewicht und dem Losen Kraft gibt.