Werner Rohner «Was möglich ist», Lenos

Mag sein, dass Reisen abenteuerlich werden können. Dann, wenn man bekanntes Terrain verlässt, wenn man diesen einen Schritt über den Rand hinaus wagt. Wenn man nicht mit Sicherheit weiss, was sich jenseits des Bekannten befindet. Was für Reisen gilt, gilt noch viel mehr für Beziehungen. Werner Rohner schreibt in seinem neuen Roman „Was möglich ist“ über Menschen, die den Schritt über solche Grenzen wagen, meist in mehrfacher Hinsicht.

Werner Rohner hätte am Wortlaut St. Gallen vor Publikum gelesen, wenn es geklappt hätte. Wenn Sie trotzdem online verfolgen wollen, was Wortlaut digital anzubieten hat, dann besuchen Sie die Webseite hier.

„Was möglich ist“ lotet aus. Werner Rohner beweist sich als Seismograph. In seinem Roman erzählt er drei Geschichten von Frauen und Männern, die in ihren Beziehungen diesen einen Schritt wagen. Den Schritt über die Grenze, über die Konvention, über die Vernunft hinaus, in unbekanntes Terrain. Dabei geht es Werner Rohner nicht um die Frage, ob der Schritt glückt, nicht einmal darum, ob er nachvollziehbar ist. Werner Rohner begibt sich ganz nah an sein Personal, spürt ihnen nach, dem Mut, der Hoffnung, der Verzweiflung, dem Zweifel. „Was möglich ist“ zeigt, was möglich ist, dass in Beziehungen Abenteuer stecken, reisen in unbekanntes Terrain, weit über Grenzen hinaus.

Edith ist über sechzig und arbeitet eine Ewigkeit im selben Café. Dort sitzen Menschen und erzählen ihre Geschichten. Einer davon ist Christoph, jünger als sie, Bademeister. Christoph versuchte einer leblos im Wasser treibenden Frau das Leben in den Brustkorb zurückzupumpen. Es sollte nicht sein. Die Frau blieb liegen. Aber nicht nur auf dem Betonboden der Badeanstalt, sondern auch in den Bildern in Christophs Kopf. Edith, eine Frau mit feinem Gespür, kommt Christoph näher. So nah, dass das Zusammensein mit dem Mann Türen wieder aufreisst, von denen Edith glaubte, sie hätten sich für den Rest ihres Lebens geschlossen. Christoph gibt ihr zurück, was sie aufgeben hatte, obwohl da vor Jahrzehnten einmal eine Familie war. Chris und Edith fahren weg, in ihrem alten Saab über Spanien bis nach Marokko, wo Chris mit Ediths Erspartem ein Haus in einem kleinen Dorf gekauft hat. Eine neue Existenz, ein neues Leben. Was sich für beide paradiesisch anfühlt, entpuppt sich aber doch als Fata Morgana, zumindest für Edith, die das neue Leben zwar geniesst, ihre Rolle als Geliebte, als Hausbesitzerin und Gastgeberin. Aber Edith fährt zurück, zurück in ihr altes Leben.

Werner Rohner «Was möglich ist», Lenos, 2020, 379 Seiten, CHF 32.00, ISBN 978-3-03925-007-3

Vera ist schwanger. Eingeladen an eine Kongress in New York nimmt sie ihre Freundin Nathalie mit. Nathalie hat zwei Kinder, die sie für die paar Tage bei ihrem Mann zurücklässt und Vera ebenfalls einen Ehemann, der nicht verstehen kann, dass sich Vera schwanger in ein Flugzeug setzt. Was aus der Ferne wie eine Geschäftsreise aussehen soll, ist aber schon bei den Vorbereitungen zur Reise und im Flugzeug erst recht ein Versprechen für viel mehr. Vera und Nathalies Freundschaft ist mehr. Vera fühlt, dass zusammen mit ihrer Freundin etwas aufbricht, das bisher nur schlummerte. In der monumentalen Stadt auf der anderen Seite des Ozeans beginnt eine leidenschaftliche Affäre, die im Rausch alles auszublenden vermag, lässt ein Leben aufkeimen, das sich aber mit dem Flugzeug zurück nicht ins alte Leben zurücktransportierten lässt. Die Versprechen bröckeln.

Michael ist Schriftsteller. Sein Freund Lorenz bittet ihn, seine Frau Lena, die ohne ihre Kinder mit einem Mal, wie aus dem Nichts, nach Neapel abgehauen ist, zur Rückkehr zu bewegen. Mit einem Typen. Lena und Michael kennen sich schon lange. Und weil Michaels Schreibe ins Stocken geraten ist, fährt er in die Stadt am Vulkan. Lena zu finden ist nicht schwierig. Sie versteckt sich nicht, auch nicht den Mann mit Bauch an ihrer Seite. Auch der eine alte Geschichte. Michael wird zu einem Verbindungsmann. Lena ist ausgebrochen, in der Schwebe. Sie weiss genau, dass das Angefangene in Neapel keine Dauer hat und das Alte zuhause so keine Zukunft. Michael bietet ihr und ihren beiden Kindern eine vorübergehende Bliebe in seiner Wohnung an. Bloss ein Zimmer, aber immerhin. Und mit einem Mal steht Michael mitten drin.

Drei Frauen, die es wagen, alles aufzugeben, allen Sicherheiten zu entsagen, die einen Neuanfang provozieren, ausreissen und abreissen lassen. Die Geschichten sind nicht nur thematisch miteinander verbunden. Sie spiegeln sich ineinander. Und sie treffen sich sogar ganz kurz im Café, in dem Edith während Jahrzehnten servierte. Aber die Geschichten spiegeln sich auch in mir, mit Sicherheit in allen, die sich auf diesen äusserst gelungenen Roman einlassen. Denn diesen einen Schritt, zumindest die Möglichkeit, den Gedanken darum, den Traum, die Idee tragen die meisten mit sich herum. Dass Werner Rohner daraus kein abgehobenes Abenteuer macht, ist die grosse Qualität dieses Romans.

Interview:

War da von Anfang an ein Plan? Ein Buch mit drei Geschichten, die sich auf verschiedene Arten berühren und spiegeln? 

Da war kein Plan zu Beginn, da war Edith, die zu erzählen begonnen hat. Dabei hat sie im Café Uetli gesessen. Um sie herum andere Menschen, denen sie ab und zu einen Café brachte. Und auch die hatten ihre Geschichten. Und manche davon haben sie mir dann auch noch erzählt.

Edith, Vera und Lena brechen aus. Sie tun das, was viele als Plan, Absicht, Vorsatz, Wunsch und Traum ein Leben lang unerfüllt mit sich herumtragen. Als ich einmal während einiger Monate im Spital arbeitete und eine Frau fragte, warum sie das Foto ihres eingesargten Mannes auf dem Nachttischen stehen habe, sagte sie: „Heiraten sie spät oder nie. Tun sie erst alles andere!“ Warum tun wir uns so schwer auszubrechen und nehmen lieber Magengeschwüre und Burnouts in Kauf?

Es fehlt an Vorbildern (im Gegensatz zu Magengeschwüren und Burnouts), an Geschichten, die anders erzählt, anders gewertet und verstanden werden.

Außerdem brauchen Ausbrüche Anlauf – das dauert –, Gelegenheit und Mut. Glück halt. Und nicht zuletzt ein Umfeld, welche die Ausbrüche mitträgt, oder zumindest nicht dagegen angeht.

Und dann ist ein Ausbruch ja je nachdem auch nicht eine einmalige Sache. Muss man wieder und wieder tun, durchhalten, aushalten, Unsicherheit zu- und den Ausgang offenlassen können.

Alle deine Protagonistinnen leben in der Angst, dass sie für ihr Glück büssen müssen. So sehr, dass sie den Ausbruch auf die eine oder andere Weise „ausklingen» lassen. Muss man sich mit dem Konfuziuszitat „Der Weg ist das Ziel“ trösten?

Also nach Konfuzius versteh ich das das ja nicht als Trost, sondern als Glück. Und ich glaub, das haben auch Edith und Vera und Lena unterwegs gefunden. Sind dann aber oft wo gelandet, wo sie nicht damit umgehen konnten.

Aber ihre Geschichten sind ja nicht zu Ende. Ich hab nur aufgehört, sie weiter zu erzählen.

Es sind Ausbrüche und es sind Varianten eines Kontrollverlusts, die du beschreibst. Dabei lernen wir schon kleinen Kindern im Kindergarten, Ausbrüche und Kontrollverlust zu vermeiden. Büssen wir damit auch einen Teil unserer Kreativität ein, weil Kreativität immer Ausbruch und Kontrollverlust ist?

Fällt mir Patrick Findeis ein, der gesagt hat, Schreiben sei eine Mischung zwischen totalem Kontrollverlust und alle Fäden in den Händen halten. Kreativität trägt immer beides mit, sonst ist es Chaos.

Ist „Schreiben“ ein kontrollierter Ausbruch?

Ich glaub, es ist eher eine Möglichkeit mehr. Es ersetzt ja nichts, aber es fügt was hinzu. Sowohl für mich als Schreibenden, als auch für die Lesenden. Und hat eine Wechselwirkung mit dem anderen Leben – und diese Wirkung ist, glaub ich, kaum voraus- oder abzusehen, und damit auch kaum kontrollierbar.

Welches Buch hat sich in jüngster Vergangenheit tief in dein Herz eingebrannt und warum?

„Ich hab› gelebt Mylord“ von Simone Berteaut. Es ist eine Art Biografie von Edith Piaf, geschrieben von ihrer Halbschwester, die vielleicht auch einfach eine Bekannte war. Das aber ist egal; das Buch hat so einen tollen Sound, und im Hintergrund Edith Piafs Musik, dass man das Leben so stark spürt, dass ich oft weinen musst. Manchmal so sehr, dass ich die Buchstaben nicht mehr sehen konnte.

© Christoph Oeschger

Werner Rohner, geboren 1975, lebt als freier Schriftsteller in Zürich. Studium am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Längere Schreibaufenthalte in Rom, Langenthal und Los Angeles. Er veröffentlichte Texte in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien, für die er mehrfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet wurde, und schrieb drei Theaterstücke. Sein erster Roman «Das Ende der Schonzeit» erschien 2014 und war für den Rauriser Literaturpreis nominiert. Zusammen mit Katja Brunner veröffentlichte er 2018 das Buch «Wie weit du genetisch vom Raubtier entfernt bist». «Was möglich» ist ist sein zweiter Roman.

Werner Rohner mit «Was bleibt» auf der «Plattform Gegenzauber»

Beitragsbilder © Werner Rohner

Wortlaut 2021.digital – Alternativ-Programm des 13. Sankt Galler Literaturfestivals

„Was möglich ist“ – das ist nicht nur der Titel von Werner Rohners neustem Roman, aus welchem der Autor am 13. Wortlaut St. Galler Literaturfestival vorgelesen hätte, sondern auch das Motto vom digitalen Alternativprogramm. Oder anders gesagt: eine wirkliche Alternative sind digitale Formate nicht aber eben „was möglich ist“.

Aufgrund der aktuell geltenden behördlichen Massnahmen kann das diesjährige Wortlaut nicht wie geplant stattfinden. Ein weiteres Jahr müssen wir auf spannende Lesungen, literarische Entdeckungen und Begegnungen zwischen Literaturschaffenden und Publikum verzichten. Ein schwerer Schlag für alle Mitwirkenden.

Es ist uns ein Anliegen trotz dem abgesagten Wortlaut wenigstens ein paar Autor*innen und Künstler*innen, welche am Literaturfestival auf den kleinen und grossen Bühnen der Stadt aufgetreten wären, zu Wort kommen zu lassen. Oder eben zu Bild.

Alle Formate – Videos, Live-Streams, Zoom – stehen kostenlos zur Verfügung. Wer Wortlaut unterstützen möchte, kann ein Solidaritäts-Ticket erwerben via eventfrog.ch.

Alternativ-Programm Wortlaut 2021.digital
 
Donnerstag, 25. März
 
Vorschau «Ich hätte grosse Lust auf einen Spaziergang»      
Publizist und Kulturvermittler Richard Butz unternimmt in seinem neuen Stadtführer neun literarische, mit Fotografien von Regina Kühne angereicherte Spaziergänge durch St.Gallen. Sie führen zu Orten der Literatur, zitieren Textpassagen und Gedichte von St.Galler sowie auswärtigen SchriftstellerInnen, geben Hinweise zum Weiterlesen, zu Kultur und Geschichte der Stadt. Das Werk, in neun einzelnen Heften, erscheint neu am 2. Mai im Verlag VGS St.Gallen.
 
Richard Butz und die Schauspielerin Nathalie Hubler stellen die Publikation in einem Kurzfilm vor. Film: Fabian Engeler
 
 
 
Freitag, 26. März
 
Live-Stream «Nachtgestalten»
 
Mit der Eröffnung vom 13. Wortlaut hätten wir eine doppelte Premiere gefeiert: Das Theater am Tisch spannt zum ersten Mal mit Schriftsteller Jaroslav Rudis zusammen. Dieser wiederum hat erstmals mit dem mehrfach preisgekrönten Wiener Illustrator und Comic-Zeichner Nicolas Mahler die Graphic Novel «Nachtgestalten» verfasst.
Eine prächtige melancholisch-süffige Nachtgeschichte: Eine Stadt und zwei Freunde, die wissen, dass es nichts Grösseres gibt als die Wahrheit des Moments, in dem die Kneipe schliesst. Von Bier zu Bier und von Geschichte zu Geschichte treibend erzählen die beiden Nachtgestalten scharfsinnig und aberwitzig von der Tragik der Liebe, dem Wahnsinn des Lebens sowie den Spuren der Geschichte, die allem zugrunde liegt und nie ganz verschwindet.
 
Diese Premiere bringen wir nun per Live-Stream aus dem Palace in die heimischen Stuben: Schauspieler Marcus Schäfer und Oliver Losehand beleben das Zwiegespräch der Nachtgestalten anschaulich für die Bühne – und den Bildschirm, die E-Gitarristen Peter Lutz und Marcel Elsener geben ihr einen nachttrunken ausufernden Sound, Grafiker Jurek Edel animiert die Bilder vom blutigen Vollmond bis zum toten Hund.
 
Freitag, 26. März um 19 Uhr, Livestream auf wortlaut.ch
 
 
 
Samstag, 27. März
 
Live-Stream LECHTS: Simone Baumann & Thomas Ott
 
Graphic-Novel direkt ins eigene Wohnzimmer: am Samstagnachmittag melden sich gleich zwei Mitwirkende vom abgesagten Wortlaut mit ihren neuen Werken live aus dem Palace.
 
Es flimmert in der Finsternis, es flimmert überall in Simone Baumanns erstem Buch «Zwang»: in Mensch, Tier und Szenerie. Dubiose Gestalten bewegen sich durch dubiose Orte, wirken ihrem Schicksal ausgeliefert. Zwar blitzt fast überall die Infrastruktur eines gängigen Schweizer Städte-Alltags hindurch, aber die Atmosphäre bleibt dem gefahrlosen Alltag fern. Es geschehen morbide und komische Dinge, das wird schnell klar. Manche sind nachvollziehbar, andere kryptisch. In den meisten Bildern taucht eine Hauptfigur auf, die autobiografisch angelegt wirkt. Passieren ihr diese Dinge? Stellt sie sie sich nur vor? Oder geht es um genau diesen Ort, wo Realität und Fantasie zusammenfliessen?
 
Thomas Ott erzählt in seinem neuesten Buch «La Forêt» die Geschichte eines Jungen, der sich ganz alleine tief in den dunklen Wald wagt, dabei mit seinen kleinen und grossen Ängsten konfrontiert wird und schliesslich lernt, ohne Furcht oder Zweifel seinen eigenen Weg zu gehen. Die vom Autor wohl bisher berührendste Graphic Novel über den Mut und die Kraft zum Leben. Der Schweizer Comic-Künstler liefert seit Jahren die schwärzesten Visionen zur Absurdität der modernen Zivilisation und beweist einmal mehr sein Herz für die Pechvögel dieser Welt und seinen Sinn für die wirklich tragischen Geschichten.
 
Die Künstlerin und der Künstler stellen ihre neuen Bücher vor und diskutieren mit Lika Nüssli und Julia Kubik.

Samstag, 27. März um 14 Uhr, Livestream auf wortlaut.ch
 
 
 
Gassenhauer digital
 
Einmal im Jahr stellt der Gassenhauer am Wortlaut die Lage der Dinge vom Kopf auf die Füsse. Günter und Emmi, die beiden Unverwüstlichen, mischen sich in die Stadtdebatten und pfuschen sich gegenseitig ins Hand- und Mundwerk. Bis 2016 war der Pelikanerker in der Schmiedgasse Schauplatz der nächtlichen Gassenhauerei. Nach einem kurzen Abstecher ins Waaghaus wurde 2019 auf die Metzgergasse gehauen – unausgewogen und aufmüpfig wie eh und je. 2020 hatte jemand anders die Klappe noch weiter offen: Corona. Günter und Emmi schlugen drum klammheimlich aus dem Lockdown zu. Und auch dieses Jahr melden sich die zwei gezwungenermassen aus den eigenen vier Wänden.
Mit Diana Dengler und Marcus Schäfer von Theater am Tisch und dem Kulturmagazin Saiten.

 
Schnitt: Jurek Edel    

Ab Samstag, 18 Uhr auf www.wortlaut.ch und vimeo.ch
 
 
 
Late-Night Ladies: Mit Hildegard in der Zoom-Bar
 
Willkommen in der Zoom-Bar. Die Gastgeberin, Hildegard E. Keller, serviert Geschichten und der Barmann einen Cocktail. Diesmal empfängt sie drei Ladies, die in ihrem soeben erschienen Roman WAS WIR SCHEINEN eine wichtige Rolle spielen: Hannah Arendt, Ingeborg Bachmann und Alfonsina Storni. Drei Frauen, die viel gewagt haben. Von ihnen erfahren wir: «Wer selbst denkt und fühlt und sich ausdrückt, lebt! Ganz ohne Gefahr geht das aber nicht.» Deshalb tun wir gut daran, uns immer wieder mal kräftig Mut anzutrinken – am besten in Gemeinschaft.
 
Die Gastgeberin: Die in St. Gallen geborene Autorin, Verlegerin, Literaturkritikerin und Professorin Hildegard E. Keller, wirft einen frischen Blick auf Künstlerinnenbiografien, mit Hörspiel, Theater, Film und nun auch in ihrem ersten Roman. Sie wird aus ihren jüngsten Büchern lesen (Hildegard Keller: WAS WIR SCHEINEN, Eichborn, 2021; Alfonsina Storni: CHICAS und CUCA, Edition Maulhelden 2021).
 
Der Barmann: Christof Burkard betreibt mit Hildegard Keller die Edition Maulhelden und tritt mit ihr als Duo unter dem Namen «Maulhelden» auf. Seine Domäne ist die Küchenkultur, aber wenn’s sein muss, mixt er auch Cocktails.
 
Samstag, 27. März um 21 Uhr via Zoom    
Den Link zur Teilnahme erhalten Sie auf Anfrage via info@wortlaut.ch   
Eintritt frei      

In Zusammenarbeit mit Edition Maulhelden und in Kooperation mit dem Literaturhaus Wyborada
 
 
 
Sonntag, 28. März
 
«Bericht: im Hallenbad» – Video-Essay aus dem Volksbad mit Maya Olah
 
„Bericht: im Hallenbad» ist ein Konglomerat aus Texten, die sich ums Schwimmen drehen. Das Hallenbad wird als Gegenraum zur Alltagswelt angesehen, das Schwimmen als Schwellenzustand betrachtet. Im Textteppich ist das Wasser der Ort der Ambivalenz, des Unterdrückten und Unterbewussten. Erinnerungen, Träume von Untieren, die im Wasser treiben und Beobachtungen werden miteinander verwebt.      

Die Autorin Maya Olah liest im leeren Volksbad St. Gallen. Film: Juan Ferrari und Pascale Lustenberger.
 
Ab Sonntag, 11 Uhr auf www.wortlaut.ch
 
 
Virtueller Autor*innen-Spaziergang mit Laura Vogt und Werner Rohner
 
Beide wären zum Wortlaut 2021 für eine Lesung aus ihren neuen Büchern eingeladen gewesen: In ihrem zweiten Roman «Was uns betrifft» beleuchtet Laura Vogt Fragen wie «Was bedeutet es in der heutigen Zeit, Mutter zu sein?», «Was ist Weiblichkeit?», oder «Welche Beziehungen sind möglich und wie bleibt man darin selbstbestimmt?».
 
Einfühlsam und unaufgeregt erzählt Werner Rohner in „Was möglich ist“ von drei mutigen Frauen und drei mutigen Neuanfängen; von Sehnsucht und Begehren, von Aufbruch und Verlust.
 
Nun treffen sich Laura Vogt und Werner Rohner auf einen Spaziergang. Sie sprechen über ihre Bücher, lesen sich gegenseitig Lieblingsstellen daraus und reden über eigene Sätze, die man später nicht mehr schreiben würde. Vielleicht. Vielleicht locken sie sich gegenseitig auch anderweitig aus der Reserve, reden über abgesagte Lesungen, vielleicht auch über Fussball. Beim Promenieren kann so mancher Art Gespräch entstehen… Wir laden Sie ein auf einen virtuellen Spaziergang mit zwei spannenden Stimmen der Schweizer Literatur.
 
Ab Sonntag, 15 Uhr auf www.wortlaut.ch
 
 
 
Leerbuch im Museum of Emptiness
 
Zum Glück ist Wortlaut nicht nur auf den grossen und kleinen Bühnen der Stadt Zuhause, sondern auch in einem Museum zu Besuch. Und dieses hat geöffnet!        

Ein Jahr nach dem ersten Shutdown erscheint ein Buch zur Leere. Beim Durchblättern begegnen den Leserinnen und Lesern 24 leere Orte, die von den Fotografen Daniele und Ben Lupini festgehalten wurden, zu 24 Interviewbeiträgen von Gilgi Guggenheim mit Margrith Bigler, Barbara Bleisch, Jon Bollmann, Jacquelin Burckhardt, Marcy Goldberg, Hedy Graber, Simon Grand, Hanna B. Hölling, Gardi Hutter, Theres Inauen, Marc Jenny, Hildegard E. Keller, Daniel Koch, Olivia Kühni, Walter Leimgruber, Josef Muggli, Bertrand Piccard, Hans Reckhaus, Peter Schneider, David Signer, Juri Steiner, Mirjam Varadinis, Ursus Wehrli und Fanny Wissler.
 
Das Leerbuch liegt am Wortlaut-Sonntag erstmals öffentlich im Museum of Emptiness auf. In den Räumlichkeiten des MoE finden Sie einen ruhigen Ort für entspanntes Lesen und Betrachten. Tauchen Sie in die Bilder und in die persönlichen Texte der Autor*innen ein. So widersprüchlich es klingt, so erfüllend ist die Leere.
 
Sonntag, 11-16 Uhr   
Museum of Emptiness, Haldenstrasse 5, St. Gallen           
 
 
 
Allgemeine Info
 
Wortlaut ist das literarische Frühjahrsereignis der Ostschweiz. Alljährlich findet es Ende März in St.Gallen statt. Das Festival bietet literarische Entdeckungsmöglichkeiten in den vier Reihen Laut und Luise, Lechts und Rinks – eine Hommage an Ernst Jandl, einen der grössten deutschsprachigen Sprach- und Wortlautspieler des 20. Jahrhunderts. 

Werner Rohner «Was bleibt»

Licht im August: William Faulkner

Ich hab das nie verstanden: Sommerbücher. Leicht und luftig. Da hat man endlich mal Zeit am Stück um zu lesen, sich den Büchern ganz auszusetzen, dass sie über einen hereinbrechen, alles umkrempeln; und dann wählt man eines, bei dem man nach jedem halben Satz auf-, und aufs Meer schauen kann und trotzdem den Faden nicht verliert. Oder noch schlimmer, bei dem es gar keine Rolle spielt, ob man mal kurz ein paar Sätze abschweift. Dafür brauche ich doch kein Buch. Dafür reicht das Meer (und wie weit es reicht).
Wenn da aber kein Meer ist. Und trotzdem Zeit. Dann und drum: Licht im August. Faulkner! Das rückt einem den Kopf mal wieder zurecht. Weil es alles an sich bindet, das Licht eben, die Landschaft, das Leben und nicht selten den Tod. Und das mit einer Sprache, die mir beim Lesen permanent ein wenig Hühnerhaut verursacht, so fein und gleichzeitig mit einer Wucht, dass kein Gedanke mehr daneben Platz hat. Weil diese Sprache auch mich mit Gewalt an sich bindet. Und Gewalt ist auch im Buch selbst genug. Und kein Trost, kein bisschen; aber da ist mehr Leben drin als – da ist das Leben drin.
(übersetzt von Susanne Höbel und Helmut Frielinghaus)

Maggie Nelson: The Argonauts

Da ist zuerst mal die Form. Im Amerikanischen läuft das unter Non-Fiction, bloß weil da jemand (nach-)denkt, ohne sich gleich mit der Figurenrede aus der Verantwortung zu stehlen. Und wie Maggie Nelson denkt! Kreuz und queer. Und gleichzeitig an ihrem Leben entlang erzählt, ihrer Beziehung mit Harry, seinem Sohn, wie dann noch ein neues Kind dazu kommt – und was das bedeutet, für die Liebe, für den Sex und eben fürs Denken. Wie sich das alles durch einander und durcheinander verändert. Viel auch über Kunst und Kunstbetrachtung. Über Alltag und Politik und Perversionen. Wie viele Nerven im Anus sich befinden und welche Beziehung wir zum Wort Radikalität finden könnten.
Es ist diese Mischung, welche die Theorie nicht vom Fiktiven trennt, ohne das eine immer gleich allzu offensichtlich das andere erklären zu lassen, die ich so toll fand. Die Spannung, die zwischen den Teilen entsteht. Man kann zuschauen, wie das Nachdenken über etwas gleichzeitig zur Erzählung über den Gegenstand wird. Und wie es Maggie Nelson gelingt, auf endgültige Schlüsse und Zuordnungen zu verzichten und gerade dadurch genau zu bleiben. Und wie emotional all das Denken ist und wie intelligent die Erzählungen vom Alltag. Und nicht selten habe ich mir bei der Lektüre gewünscht, dass mir dieses Buch jemand in der Schule zum Lesen gegeben hätte – ich glaube, es hätte mein Leben und Denken ein klein wenig freier gemacht.
(im Original)

Ben Lerner: 10:04

Immer mal wieder, wenn ich in einem Buch lese und irgendwas nicht stimmt – mit dem Buch oder mir – nehme ich 10:04 von Ben Lerner hervor, schlage irgendwo auf und es passt immer. So ein Buch ist das. Mit einer Geschichte, mit einer Dramaturgie, das auch, aber ich könnte es auch rückwärts lesen und jedes zweite Wort überspringen, irgendwas würde es immer noch in mir auslösen.
Es ist ein Buch, bei dem ich mich ständig frag, wie entscheidet der Autor, was alles dazugehört? Weil irgendwie alles dazu gehört, weil der Erzähler die meiste Zeit irgendwohin abschweift, in Gedanken und Geschichten (auch ein paar Bilder und bereits veröffentlichte Essays gehören dazu), um dann wieder irgendwo aufzutauchen und den Faden der Hauptgeschichte (der Freundschaft zu Alex, die ein Kind von ihm will, ohne unbedingt mit ihm zu schlafen) wiederaufzunehmen.
Und wie das dann auch noch immer etwas über unsere Zeit erzählt und dabei auch noch wirklich witzig ist. Ja, witzig und gleichzeitig ziemlich intelligent, eine Kombination, die ja nicht allzu oft vorkommt. Und ich frage mich, wie oft ich es noch wieder lesen kann, bevor es seine Wirkung auf mich verliert, oder inwieweit sie sich verändern wird. Und wann endlich sein nächstes Buch rauskommt.
(einmal im Original, oft übersetzt von Nikolaus Stingl)

Werner Rohner, geboren 1975 in Cala D’or. 2014 erschien sein Debüt «Das Ende der Schonzeit» bei Lenos. Der Roman wurde mit einem Werkjahr der Stadt Zürich ausgezeichnet, war für das beste deutschsprachige Debüt beim Rauriser Literaturpreis nominiert und erschien 2017 auf Französisch unter dem Titel «Fin de Trêve» bei Les Editions de l´Aires.

 

«Menschenrechte. Weiterschreiben», herausgegeben von Svenja Herrmann und Ulrike Ulrich, Salis Verlag

Die Menschenrechte werden 70, erreichen das Greisenalter, drohen zu sterben, auch wenn die hohen Hallen der UNO Ewigkeiten ausstrahlen. Svenja Hermann und Ulrike Ulrich, zwei Schriftstellerinnen, die sich vor zehn Jahren schon einmal daran machten, als Herausgeberinnen den Menschenrechten zu einem Jubiläum eine literarische Stimme zu geben, luden zusammen mit Amnesty International und dem Literaturhaus Zürich zur Buchtaufe von „Menschenrechte. Weiterschreiben“ ein.

Art. 1
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.

Vor 70 Jahren, von den Schrecken eines Weltkriegs gebrannt, im Wissen darum, dass nur Toleranz und Völkerverständnis, gleiche Rechte für alle und ein einigermassen verbindliches Gefühl für Sicherheit eine weitere kriegerische Katastrophe verhindern kann, formulierte man 30 Artikel allgemein gültiger Menschenrechte. Die UNO machte sich zum Hüter des Grals, baute hohe Häuser, hisste viele Fahnen, schützte sich mit blauen Helmen und glaubte daran, dass Dialog der einzige Weg sein müsste, die Welt vor einem erneuten Aufflammen globalen Krieges zu schützen.

Art. 5
Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

Statt dessen sind Politik und Wirtschaft der Welt der Arroganz wie niemals zuvor ausgeliefert. Wer die 30 Artikel der Menschenrechte liest, schüttelt den Kopf. Nicht über deren Inhalt, sondern über ihre Bedeutungslosigkeit angesichts selbstverliebter Potentaten und allmächtiger Konzerne. Wer sie wirklich liest und sich auf sie einlässt, spürt die Hoffnung, die darin steckt, den Glauben an die Menschheit, den ungebrochenen Glauben an eine menschenwürdige Zukunft, dass Wissen, dass einzig Toleranz und Respekt einer drohenden Katastrophe entgegenwirken können. Das Lesen der 30 Artikel der Menschenrechte schmerzt, tut weh, dieser selbstverständliche, gradlinige Ton, diese Sätze, die offensichtlich und überall mit Füssen getreten werden, sei es von den eigenen Politikern im Land, den umsatz- und wachstumsgeilen Wirtschaftskäpitänen oder selbstverliebten Staatsoberhäuptern diesseits und jenseits der grossen Wasser. Die Distanz und Diskrepanz zwischen formuliertem Recht und globaler Wirklichkeit sind hanebüchen.

Art. 12
Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.

30 Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus allen Landesteilen der Schweiz wurden von den Herausgeberinnen angefragt und durch das Los an einen der 30 Artikel der allgemeinen Menschenrechte zugeteilt. Entstanden sind 30 unterschiedlichste Texte, Geschichten, Gedichte, Gedanken, Essays. Literatur als Trägerin universeller Werte, die durch die Menschenrechtserklärungen verdeutlicht werden. Ein Zeugnis davon, wie weit diese Erklärungen gefasst werden können, wie leidenschaftlich sich die und der Schreibende dazu äussert.

Art. 23
Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit. Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen. Jeder hat das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.

Das Buch soll zum Nach- und Weiterdenken anregen, beweisen, dass nicht gezweifelt wird an ihrer Relevanz und Stärke. In einer Zeit, in der es 70 Jahre nach der Verschriftlichung nicht mehr um Forderung, sondern um bitternotwendige Verteidigung geht. Menschenrechtskriege, Menschenrechtsverletzungen geschehen nicht nur in der Ukraine, in der Türkei, in den Strassenschluchten amerikanischer Grossstädte und staatlich organisiert an Völkern wie den Uiguren in China. Wer die Menschenrechte liest, und dazu braucht es keiner besonderen Interpretationen, stellt fest, dass es vor der Haustüre brennt, dass man uns selbst in der Schweiz fast jedes Jahr dazu zwingt, an der Urne gegen die gesetzlich verankerte Verletzung anzukämpfen.

„Das Gewissen ist ein Gefäss mit Löchern.“ Gianna Molinari

Autorinnen und Autoren:
(D) Amina Abdulkadir, Sacha Batthyany, Urs Faes, Catalin Dorian Florescu, Lea Gottheil, Petra Ivanov, Daniel Mezger, Gianna Molinari, Werner Rohner, Ruth Schweikert, Monique Schwitter, Eva Seck, Henriette Vásárhelyi, Benjamin von Wyl, Julia Weber, Yusuf Yeşilöz
(F) Odile Cornuz, Isabelle Capron, Daniel De Roulet, Heike Fiedler, Max Lobe, Noëlle Revaz, Sylvain Thévoz
(I) Laura Accerboni, Vanni Bianconi, Francesco Micieli, Alberto Nessi, Fabio Pusterla
(R) Göri Klainguti, Leo Tuor
Svenja Herrmann, 1973 in Frankfurt a. M. geboren, Schriftstellerin, Studium der Germanistik und Rechtsgeschichte, Schriftstellerin (Lyrik), seit vielen Jahren als Begabungsförderin im Bereich Literatur tätig, vor mehr als zehn Jahren hat sie »Schreibstrom« ins Leben gerufen: Ein Projekt für kreatives und literarisches Schreiben für Kinder und Jugendliche in und um Zürich, Lerntherapeutin i.A.  Jüngstes genreübergreifendes Vermittlungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Regisseurin Bettina Eberhard: Video Poem für Jugendliche. Für ihre literarischen Arbeiten wurde Svenja Herrmann mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit einem Atelierstipendium der Landis & Gyr Stiftung (2015) und mit einem Werkbeitrag des Kantons Zürich Herbst 2015.
Ulrike Ulrich, 1968 in Düsseldorf geboren, Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Publizistik. Seit 2002 lebt und arbeitet sie in der Schweiz. 2010 erschien ihr Romandebüt »fern bleiben« im Luftschacht Verlag in Wien. 2008 erschien die Anthologie »60 Jahre Menschenrechte – 30 literarische Texte« im Salis Verlag. Sie ist Mitglied der Literaturgruppe index (www.wortundwirkung.ch). Ihre Texte wurden mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt sie 2010 den Walter Serner-Preis und einen Anerkennungspreis der Stadt Zürich, 2011 den Lilly-Ronchetti-Preis.