Zoos sind Spiegel ihrer Gesellschaft. In Zoos sind nicht einfach nur Tiere zur Besichtigung eingesperrt. Zoos sind viel mehr. Ein Zoo ist ein künstlicher Kosmos. Und dass man in einem solchen gänzlich abtauchen kann, davon erzählt Pascal Janovjak in seinem preisgekrönten Roman „Der Zoo in Rom“.
Dass es Zoos in der Gegenwart immer schwerer haben, wenn sie sich nicht ganz offensiv das Mäntelchen des aktiven Tierschutzes, des Bewahrers bedrohter Arten überstreifen, ist spätestens dann klar, wenn man als Besucher:in sieht, wie stark Zoos gezwungen sind, in möglichst artgerechte Haltung möglichst viel zu investieren. Je mehr Lebensraum unersetzbar zerstört wird, desto mehr werden Zoos zu Archen. Noch immer sind Zoos Visitenkarten, Prestigeobjekte. Aber was in den vergangenen hundert Jahren in und um Zoos passiert ist, ist eine eigentliche Kulturgeschichte. Die Kulturgeschichte des Objekts „Tier“, dass vom reinen Material, das einzig und allein der Huldigung menschlicher Vermessenheit diente zum geduldigen „Objekt“ selbst wurde. So wie einst das Tier zu dienen hatte, dient heute der Mensch – verspricht es zumindest.
Pascal Janovjak «Der Zoo in Rom», Lenos, 2021, 232 Seiten, CHF 32.00, ISBN 978-3-03925-003-5
Pascal Janovjak will viel mehr als die Geschichte eines Zoos erzählen, die hundert Jahre des Zoos in Rom, von seiner Gründung 1911 bis in die Gegenwart. Pascal Janovjak erzählt die Geschichte eines Biotops, jener Menschen und Tiere darin, die sich hinter Gitter oder Glas, von Gräben getrennt gegenüberstehen. Und die Geschichte einer jungen Frau und eines jungen Mannes, die sich in diesem Geviert zaghaft zu lieben beginnen und sich wieder verlieren, alle beide auf die ihr ganz eigene Art und Weise. Hundert Jahre nach seiner Gründung soll die neue Kommunikationschefin Giovanna für den Zoo eine PR-Strategie entwerfen, um den sinkenden Einnahmen durch sinkende Besucher:innenzahlen entgegenzuwirken. Gleichzeitig streift im Zoo der junge algerische Architekt Chahine herum, der eigentlich einen baulichen Auftrag hätte, sich aber vielfach fasziniert in den Wegen des Zoos verliert. Schlussendlich ist es der letzte einer Ameisenbärenart, der die beiden bindet, aber nicht nur die beiden, sondern mit einem Mal überrennen Besuchermassen den Zoo, weil man Zeuge sein will eines letzten Überlebenden, des Dramas des Aussterbens.
In seinem Erzählen stösst Pascal Janovjak tief in den feuchtheissen Kosmos jenes Zoos ein, der vor hundert Jahren nicht nur Tiere vorführte, koste es was es wolle, sondern auch Menschen, ganze Dörfer, die in Kulisse vor kultivierten Besucher:innen zeigen sollten, wie weit man von den Primitiven entfernt ist. Eskimos neben Damwild, Nubier neben Antilopen und Tigern, perfekt inszeniert, auch wenn mit Verlusten gerechnet werden musste. Eine Landschaft wie auf einer lebendigen Postkarte. Tiere wurden von überall her eingefangen, hergekarrt, verschifft und transportiert, auch wenn nur eines von fünf Tieren die Strapazen überlebte. An den Ufern des Tibers muss es mordsmässig gestunken haben, nach Kot, Urin und Verwesung, als man in Empfang nahm, was jämmerlich überlebte. Pascal Janovjak schildert, als ob er dabei gewesen wäre. Ein Zoo, der hundert Jahre zwischen Konkurs und Euphorie schwankt, immer wieder, je nachdem woher wirtschaftlich und politisch der Wind wehte. Die Düfte scheinen aus den Seiten aufzusteigen und sich um die eigenwillige Liebesgeschichte zwischen Giovanna und Chahine zu ranken, so sehr, dass sich Chahine in den Dünsten verliert, nicht nur seinen ursprünglichen Auftrag, nicht nur seine Liebe, sondern auch sich selbst.
„Der Zoo in Rom“ ist unschweizerisch opulent erzählt, als hätte der Autor ein südamerikanisches Erzähl-Gen. Und dazwischen der Ameisenbär, ein Tier aus tiefster Vergangenheit, ein Wesen, das sich aufmacht zu verschwinden.
Pascal Janovjak, geboren 1975 in Basel als Sohn einer französischen Mutter und eines slowakischen Vaters, studierte Komparatistik und Kunstgeschichte in Strassburg. Er lehrte Französisch an der Universität Tripoli (Libanon), leitete 2002–2005 das Büro der Alliance française in Dhaka (Bangladesch) und unterrichtete anschliessend Literatur in Ramallah (Palästina). 2011 Schreibaufenthalt am Istituto Svizzero di Roma. Seither lebt er in Rom. «Le Zoo de Rome» ist sein dritter Roman. Er wurde mit dem Schweizer Literaturpreis, dem Publikumspreis von Radio Télévision Suisse und dem Prix Michel-Dentan ausgezeichnet.
Lydia Dimitrow, geboren 1989 in Berlin. Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, der französischen Philologie und Neueren Deutschen Literatur an der Freien Universität Berlin und an der Université de Lausanne. Übersetzt aus dem Französischen und dem Englischen, schreibt Prosa und Szenisches. Moderiert Veranstaltungen und ist Mitglied der Theaterkompanie mikro-kit.
Sie fällt vom Fahrrad, weiss dann kaum noch, wo sie ist, und er schreibt gegen das Verschwinden an – Michael Buselmeier erzählt in „Elisabeth“ herzergreifend von der Demenzerkrankung seiner Frau und kommt selbst nicht gut weg dabei.
Frank Keil
Bilanz eines Abschieds von Frank Keil
Es beginnt schleichend, man weiss das, man hat das oft genug gelesen, hat es auch gehört, aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, womöglich aus der Familie: Da wird jemand unkonzentriert, fahrig, wirkt kurz orientierungslos und dann ist alles wieder gut und alles an seinem Platz. Bis die nächsten Irritationen einsetzen, Seltsamkeiten, ‚das musst du doch wissen‘, sagt man dann; fragt, was denn los sei. Und will den naheliegenden Gedanken nicht denken.
Bei Elisabeth Buselmeier, Michael Buselmeier Frau, er selbst Jahrgang 1938, damit nach unseren heutigen Massstäben solide alt, aber noch nicht hochbetagt, das kommt noch, beginnt die Verwirrung sich zu verstärken nach ihrer Pensionierung, nach einem aufreibenden Leben als Dozentin an der Frankfurter Hochschule und noch dazu hat sie sich um das Haus zu kümmern, um den Haushalt, um den Garten und die Texte ihres Mannes, die abzutippen waren. Und nun notiert er: «Elisabeth ist nicht mehr die Frau, die ich vor einem halben Jahrhundert geheiratet habe.» Zuvor hat er sich nicht ohne ironische Selbstbetrachtung an all die Dichter erinnert, deren Frauen oft weit vor ihren Künstler-Männern starben: Orpheus, Novalis, Benn, Pound, Rilke, Kafka. «Und andere», wie er verlegen hinzu setzt.
Dabei sollte anderes geschehen: Seine Frau sollte endlich Zeit und Ruhe und Kraft finden ihr eigenes Werk in Angriff zu nehmen, es durchzuarbeiten und es zu beenden, wo es doch seit Jahrzehnten auf den Weg geschickt ist: eine grosse wissenschaftliche Arbeit, die Geschichte der Heidelberger Germanistik zu schreiben. Das Material füllt dicht aneinandergereihte Aktenordner, prall bestückt mit Exzerpten, mit Entwürfen, mit ausgewerteten Archivfunden; mit Zeitzeugenberichten greiser Professoren, wie Buselmeier Michael diffizil schreibt. Doch das Scheitern dieses schreibenden Projektes ist unübersehbar, das geht nicht spurlos an einem vorbei, der fürs und der mit dem Schreiben lebt: «Schon lange ist sie mir keine Gesprächspartnerin mehr», auch diese Notiz findet sich, gemeint ist natürlich seine Frau.
Die langsam wegdriftet, die auch tagsüber Stunden im Bett liegt, sich hin und her wälzt, die dafür nachts durchs Haus irrt, die sich ihre Hemden falsch herum anzieht, die keine Termine mehr einzuhalten versteht, bei der Gymnastik, beim Klavierunterricht, die während freudig erwarteter Familientreffen teilnahmslos danebenhockt, die auf Depressionen hin durchgecheckt und behandelt wird, bis weitere ärztliche Untersuchungen sachliche Gewissheit bringen.
Buselmeier erzählt immer auch von sich, wenn er von seiner Frau erzählt, er lässt tief blicken, wie er, ohnehin vom eigenen Alter mehr als gebeutelt, versucht noch zum Schreiben zu finden, während seine Frau im Haus lärmt oder mit dem Fahrrad unterwegs ist und womöglich schon bald von besorgten Nachbarn oder gleich der Polizei zurückgebracht wird, mit leichteren oder schwereren Blessuren, auf jeden Fall ohne Fahrrad, das wird er nun irgendwo im Dunklen in der Gegend suchen und finden müssen. Dabei muss er doch schreiben, muss weiterschreiben, muss sich fertigschreiben, es ist nicht noch genug und lange nicht zu Ende, was er bisher zu Papier gebracht hat, wie man so sagt. Wütend schreibt er zugleich gegen das Schreibende an, gegen die Unverschämtheiten des Alters, die mürben Knochen, die Halsentzündung, die Rückenschmerzen, die längst dazugehören; dazu der Druck der nachrückenden Dichtergeneration, die einen aus dem Weg drängt, all die jungen Kerle, die ihren Platz wollen, während sich schon die nächsten aufmachen, die ‚Hier!‘ und ‚Ich!‘ schreien und es eilig haben. Reicht das nicht allein? Ist das nicht schon schwer genug und schon so kaum auszuhalten? Und nun muss noch die eigene Frau dement werden und alles vergessen, am Ende auch ihn? Obwohl: Wer weiss, wer sich in zehn, zwanzig Jahren überhaupt noch an ihn erinnern wird, trotz der Literaturpreise und der Ehrungen und der Bücher mit seinem Namen auf dem Einband, auf dem Cover, die man ins Regal stellen kann; was er dann für Figur ist im Literaturkanon, der ja selbst immer mehr an Bedeutung verliert, auch das ist Schmerz, der kaum auszuhalten ist. Und so ist es kein Wunder, das er an einigen, wenigen Stellen die Kollegen heranzieht, er ist ja nicht der erste, der mit Demenz zu tun hatte und der – wozu ist er Schriftsteller – schreibend zu reagieren und das mit ihm Geschehene zu erfassen sucht: Arno Geigers freundlich-lustiges Roman-Porträt seines Vaters in ‚Der alte König in seinem Exil‘, das so erfolgreich war für den Sohn, haben wir das nicht alle gerne gelesen, voraustankend Trost darin vermutet – er glaubt ihm heute kein Wort mehr. Dagegen setzt er das am Ende kurz, brutale Schicksal des wesensverwandten Schriftstellers Günter Herburger, nicht nur ein Altersgenosse, sondern auch einer, der mit dem Leben so schwer hadert (drei gebrochene Lendenwirbel, niemand will seinen gewiss letzten Gedichtband herausgeben, das könnte man doch erwarten); und der bald an den Folgen eines Hausbrandes stirbt, den vermutlich seine Alzheimer-kranke Frau gelegt hat. Da – und das ist die Botschaft, die ankommt – ist es dann endgültig vorbei mit dem Schick der Demenz.
Denn und dann – der Schluss: Buselmeier, der Mann, der Schriftsteller, der Chronist der Krankheit, er zieht sich zurück, er lässt seine Frau zu Wort kommen. Erlaubt uns in einige, wenige, aber prägnante Dokumente schauen: Zettel, Notizen, kurze Berichte, Notate. Aus dem Krankenhaus, in dem sie untersucht wird und aus dem sie nur noch raus will. An einen Hund erinnert sich Elisabeth Buselmeier, der überfahren wurde, recht schnell, ein Dackel. Einen letzten Artikel – schreibt sie – hat sie noch veröffentlicht, unter grossen Mühen. Ihr grosses Schreibprojekt aber, es verweht: «Unsere Kinder, spätestens die Enkel, werden diese Fragmente einmal wegwerfen müssen, um sich von ihnen zu befreien.» Bilanz eines Abschieds. Und vieles, das man eben gelesen und dem man gefolgt ist, erscheint in einem doppelt schlaghellen Licht: wie Elisabeth, die Schriftstellerfrau, notiert, wie ihr nach und nach die Gewissheiten verloren gehen. Wie sie einsamer und einsamer wird, in sich selbst. Wie ihr Mann ihr immer weniger der Mann und der Gefährte und der ‚Lebensmensch‘ ist, wie Thomas Bernhard den anderen genannt hat, den man doch so braucht, erst recht zum Schluss.
Michael Buselmeier wurde 1938 in Berlin geboren und wuchs in Heidelberg auf, wo er bis heute als Schriftsteller, Publizist, Herausgeber und Literarischer Stadtführer lebt. Zahlreiche Veröffentlichungen. 2010 erhielt Buselmeier den Ben-Witter-Preis der ZEIT-Stiftung, 2011 stand er mit «Wunsiedel» auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis, 2014 wurde ihm der Gustav-Regler-Preis der Stadt Merzig und des Saarländischen Rundfunks verliehen. Zuletzt erschienen bei Morio die Heidelberger Schloß-Anthologie «Alles will für dich erglühen» und der Gedichtband «Mein Bruder mein Tier» (beide 2018).
Was ist, wenn jemand an deiner Tür klingelt und nach dem Öffnen der Tür nichts mehr in deinem fein eingerichteten Leben so ist, wie es Jahre, Jahrzehnte war? Bei Herrn Faustini passiert genau das. Und obwohl Herr Faustini die Quadratur eines rechtschaffenen Mannes ist, breiten sich die Eruptionen in ganz überraschende Richtungen aus.
Herr Faustini mag es nicht, wenn seine Welt aus dem Takt gerät. Er ist einer der Stillen, von denen nichts erwartet wird, die man nicht sieht, die nichts zu brauchen scheinen für das kleine Glück, das sie mit Bedacht verwalten. Herr Faustini gehört in eine andere Welt, hält nichts von den flachen Dingern, in die alle überall hineinstarren, nichts von den Moden der Gegenwart, die ihn befremden, aber auch nichts von den vielfältigen Aufdringlichkeiten seiner Artgenossen. Er ist einer jener, die abends noch in den Himmel schauen, einfach bloss weil es Freude macht und den Platz im Universum zeigt, denen dann die Zeilen eines Gedichts von Joseph von Eichendorff einfallen.
„Täglich sah er eigentlich nur den Kater.“
Bis es eines Tages völlig unerwartet an der Haustür klingelt, zu einer Zeit, wo es die Post nicht sein kann. Jemand anderer erwartet Herr Faustini nicht, schon lange nicht mehr. Er öffnet die Tür und da stehen zwei; eine Frau in seinem Alter und ein mittelgrosser Junge, der ihn keines Blickes würdigt. Nach unsanfter Begrüssung verkündet die Frau, dies sei sein Junge, er der Vater. Und nachdem er bisher nie seinen Part zu spielen hatte und sie dringend Ferien brauche, sei es an der Zeit, dass er den Jungen nehme, für zwei Wochen.
Wolfgang Hermann «Herr Faustini bekommt Besuch», Limbus Preziosen, 2021, 120 Seiten, CHF 20.90, ISBN 978-3-99039-193-8
Im Normalfall hat man(n) neun Monate Zeit, um sich seiner neuen Rolle bewusst zu werden. Bei Herr Faustini waren es grade mal Minuten, bis die Frau mit einem Auto davonbrauste und den Jungen wie einen nassen Regenschirm bei Herrn Faustini zurückgelassen hatte. Weil Herr Faustini der ist, der er ist, zwar ganz genau weiss, dass er nie und nimmer der Vater des Jungen sein kann (Allerdings schleichen sich durchaus Zweifel ein!). Die Bezeichnung „Vater“ kannte Herr Faustini nur aus der Ferne, war wie ein grelles Kostüm, in das man ihn gezwungen hatte. Und weil er den Jungen nie und nimmer wegschicken oder für die zwei Wochen einer Institution übergeben könnte, bleibt der Junge im Haus. Kein Kind und kein Erwachsener mit hängender Hose und einsilbigen Antworten auf jene Fragen, die sich Herr Faustini selbst zu stellen traut. Seine Vaterrolle anzuzweifeln ginge nicht. Also schickt sich Herr Faustini in die Offensive, schlägt Hugo Ausflüge vor, Minireisen mit dem Schiff auf dem See, ins Museum zu den Zeppelinen. Doch Hugo interessiert sich meist nur für seinen Nahkampf auf seinem flachen Spielzeug, das er auch während des Essens nicht weglegt.
„Herr Faustini sah über dem Tisch eine kleine Wolke aus ungesagten Sätzen stehen.“
Als Herr Faustini fragt, wo er den hinwolle, ob er etwas unternehmen wolle. „Haafpei“, nuschelt Hugo. Etwas wie Halspfeife, ein Wort, das Herr Faustini noch nie gehört hatte. Und als die beiden tatsächlich mit dem nötigen Gefährt am Seeufer auftauchen, wird aus dem verschwiegenen Nebeneinander mit einem Mal ein Ding, das auch Herrn Faustini zu erwärmen vermag. Aus einem erzwungenen Nebeneinander wird ein Abenteuer, für beide.
Es prallen Welten zusammen. Herr Faustini wird mit einem Mal bewusst, wie klein seine Welt, wie tief der Graben seiner immer und immer wieder gegangenen Wege durch seine Welt geworden war. Herr Faustini gehört zu einer aussterbenden Spezies Mensch, die sich nicht betäuben, die weder rennen noch hetzen. Zu einem Archetyp, der keinen Platz mehr hat in einer flimmernden Gesellschaft. Ein Mann, der schon als Herr Faustini zur Welt gekommen scheint.
„So war es, das Gehirn des Menschen war ein Hort wild gewordener Hunde.“
Ich liebe Herrn Faustini. Ich liebe es, dass ihn Wolfgang Hermann immer wieder auf die Bühne bringt. Herr Faustini mahnt mich. Herr Faustini nimmt den Kampf auf, aber weder mit Gewalt noch mit Lärm, weder schimpfend noch hadernd. Herr Faustini kämpft mit Liebenswürdigkeit und Anstand. Zwei Eigenschaften, die in der Gegenwart immer mehr abhanden kommen.
Lassen Sie sich bezaubern!
Interview
Wenn ich richtig gezählt habe, ist „Herr Faustini bekommt Besuch“ dein fünfter Faustini. Was ist so anders an dieser Person, diesem Setting, dass immer wieder ein neuer Faustini erscheint? Herr Faustini, das ist für mich ein eigener Seins-Zustand. Wenn ich nicht aufpasse, kippe ich da hinein und schreibe schon wieder einen Faustini.
Herr Faustini ist der Prototyp dessen, was in der Gegenwart keinen Platz mehr hat, was auszusterben droht. Ein Mann, der schon als Herr Faustini zu Welt gekommen scheint. Wie viel Faustini steckt in Wolfgang Hermann? Ich habe einen Gutteil meiner Zeit als Fremder auf diesem Planeten verbracht. Man fängt wahrscheinlich nicht an zu schreiben, wenn man ganz ohne Befremden in seiner Haut steckt. Bei mir ging das Fremdsein recht früh los, und das Lesen, das ich erst entdeckte, als ich als Elfjähriger einen ganzen Sommer im Krankenhaus lag – es gab keine Kinderbücher bei uns zu Hause, ein Manko, das ich nie aufholen konnte -, das Lesen also bot mir eine andere Welt, eine Rettungsinsel, auf der ich mehr und mehr Zeit verbrachte. Eigentlich zog ich mit elf auf diese Insel. Und begann zu schreiben. Und wohne noch immer auf der Insel.
Geschichten, in denen Männer unsanft mit ihrer Vaterschaft konfrontiert werden, gibt es zuhauf, bis ins Kino. Dir scheint es aber um andere Themen zu gehen, als um einen Mann, der um seine Freiheit kämpft oder tollpatschig von einer Peinlichkeit zur nächsten torkelt. Geht es auch ein bisschen darum, zusammen mit Herrn Faustini die Gegenwart zu verstehen? Ich sah, als ich anfing, dieses Buch zu schreiben, diesen pubertierenden Jungen, der Leben und Chaos in Herrn Faustinis Haus bringt. Weiter nichts. Ich wollte damit nichts demonstrieren, keine Probleme bewältigen. Nur diese Begegnung zwischen dem recht verlorenen Jungen und dem Eigenbrötler Faustini hat mich interessiert.
Herr Faustini hat sich bis zu jenem Klingeln an seiner Haustür mit seinem kleinen Leben eingerichtet. Ist das eine Begleiterscheinung des Alterns, dass man den Mut zum Ausbruch verliert? Faustini ist einer von denen, die vom Leben zurechtgestutzt wurden, die schliesslich ein Leben en miniature leben, zufrieden sind, wenn sie auf ihrer Parkbank sitzen, ihre immergleiche Runde gehen, ohne noch viel zu erwarten. Ein Leben auf Reserve sozusagen. Er sehnt sich da hinaus, sehnt sich – jede Seele ist ein Schrei nach Vollendung, sagt Paul Valéry – nach dem vollen Geschmack des Lebens. Aber wer von den Älteren kennt ihn schon, diesen Geschmack, kann sich noch daran erinnern? Meist ist doch alles zugestellt von falschen Ideen, von belanglosem Zeug.
Hugo, das Kuckuckskind, das für zwei Wochen bei ihm „abgestellt“ wurde, scheint anfangs nur schwer zu knacken. Welcher Jugendliche lässt sich schon offen von einem älteren Mann, selbst wenn dieser zum Vater erklärt wird, zu freundlichem Zusammensein hinreissen. Genau in jener Phase ihres Lebens will man doch so gar nichts mit den Alten zu tun haben und mit jeder Faser seines Seins den Unterschied markieren. Verstehen wir die Jugend wirklich angesichts dessen, was wir Alten ihnen alles zumuten? Hugo ist es nicht gewohnt, dass ihm ein Erwachsener seine Zeit widmet, ja sich überhaupt für ihn interessiert. Ihm genügt sein Handy und sein Skateboard. Nach und nach begreift er, dass Herr Faustini sich wirklich für seine Welt interessiert, ihn verstehen möchte, an ihm Anteil nimmt. Und Faustini hat Unerwartetes zu erzählen, denn auch er war einmal jung, auch er kennt die Leere öder Nachmittage, er war sogar unglücklich verliebt. Und er kennt das am meisten heruntergekommene Café der ganzen Gegend. Und er erzählt von Nächten, die er am Pokertisch verbracht hat. Hugo staunt. Ganz von selbst entwickelt sich eine echte Freundschaft zwischen den beiden. Ich glaube, das ist auch in diesem Alter möglich. Aber nur, wenn auch Humor dabei ist und man den anderen sein lässt, wie er ist.
Wolfgang Hermann, geboren 1961 in Bregenz, studierte Philosophie und Germanistik in Wien. Lebte längere Zeit in Berlin, Paris und in der Provence sowie von 1996 bis 1998 als Universitätslektor in Tokyo. Zahlreiche Preise, u. a. Anton-Wildgans-Preis 2006, Förderpreis zum Österreichischen Staatspreis 2007; zahlreiche Buchveröffentlichungen, unter anderem «Abschied ohne Ende» (2012), «Die Kunst des unterirdischen Fliegens» (2015) und «Herr Faustini bleibt zu Hause» (2016). Bei Limbus: «Schatten auf dem Weg durch den Bernsteinwald» (2013), Die letzten Gesänge (2015), Das japanische Fährtenbuch (2017) und «Walter oder die ganze Welt» (2020).
Lesen Sie wie ich mit einem Bleistift? Ich kann am Grad der Kritzeleien in einem Buch bemessen, wie sehr mich die Sprache beeindruckt. Und manchmal gibt es Bücher, die zwingen mich immer wieder, dauernd zum Stift. Bücher, die mich bescheiden, ehrfürchtig machen. Anna Baar schrieb so eines. „Nil“ ist ein grosser Strom!
Eigentlich müsste ich über dieses Buch keine Inhaltsangabe machen. Auch nichts über die Qualitäten der Sprache formulieren. Eigentlich würde es reichen, alle unterstrichenen Sätze und Passagen abzutippen und auf deren Wirkung vertrauen. Auch wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen, isoliert dastehen. „Wer schreibt solche Sätze?“, würden die Leser:innen dieser Liste staunen. „Nil“ ist ein Roman, den man während des Lesens unbedingt zur Seite legen muss, wenn auch nur kurz, um den Sätzen jene Zeit zu geben, die sie benötigen, um sich einzugraben, wenn sie nicht schon wie Blitze eingeschlagen haben.
„Mögen andere ihre Träume für minderwertig halten gegen das Tagesbewusstsein. Ich aber werde die Wirklichkeit so lange mit meinen Träumen betrügen, bis sie eifersüchtig die Schenkel vor mir spreizt und selbst zum Traum mutiert.“
„Nicht jeder Geschichte entkommt man, indem man das Buch zuklappt“, schreibt Anna Baar fast ganz am Ende ihres Romans. Es ist aber viel mehr als eine Geschichte, die sich als Vexierbild entpuppt, die mich hin- und herreisst, den Boden unter den Füssen schwankend macht. Es ist die Sprache, die nachhallt, die mich trunken macht. Wehe den darauf folgenden Büchern, die sich mit „Nil“ messen lassen müssen, nur weil sie als nächste in meine Hände geraten.
„Nur im Schreiben bin ich ganz und gar ich.“
Anna Baar «Nil», Wallstein, 2021, 148 Seiten, CHF 28.90, ISBN 978-3-8353-3947-7
Eine Autorin wird vom Chefredaktor eines Frauenmagazins gedrängt, ihre Fortsetzungsstory endlich zu einem Ende zu bringen, irgendwie. Man setzt ihr eine Deadline, droht ihr unmissverständlich, nicht zuletzt, weil LeserInnen des Magazinssich in den Wirren ihrer Fortsetzungsgeschichte zu verlieren drohen. Sie schreibt. Sie schreibt sich weg. Sie schreibt sich in einen Rausch, in Angst, bis sie ihr Manuskript in Flammen aufgehen lässt, weil sich ihre Geschichte über sie selbst zu stülpen droht.
„Nichts galt fade Wahrheit gegen die schöne Verdrehung.»
Die Ichstimme im Geschriebenen sitzt in einem Verhörzimmer, Wärter und Kamerafrau gegenüber. Ein Verbrechen? Ein Sturz von einer Wand in einem Steinbruch, das plötzliche Verschwinden in einer Passfotokabine? Die Bilder drehen sich dauernd weg. Vielleicht sind es auch die Eltern der Ichstimme, die Vorgesetzten, dieses dauernde Drängen. Die Ichstimme hat geschrieben, erfindet, zum Beispiel Sobek, den die Stimme in ein Lokal schickt, zu einem leeren Stuhl an einem Tisch einer Frau. Sobek zückt sein Notizbuch und beginnt zu schreiben. „Sind sie Schriftsteller?“, fragt die Frau. Er nennt sich Buchhalter und lässt sich von der Frau eine Geschichte ins Buch notieren, eine Geschichte von ihr. Erfunden oder wahr.
„Verliert man die Unschuld durch Zeugenschaft, durch das Betreten verbotener Räume oder ein Wissen, das man nicht teilt.“
Die Ichstimme erzählt von ihrer Familie. Ihr Vater war einer der Letzten in einem sterbenden Zoo in einer Stadt. Einem Zoo, der verschwunden ist, den der Vater mit auflösen musste, in dem die Tiere am Schluss bloss noch auf ihr Ende zudämmerten. Auch das Krokodil, das das Kind gerne wieder im Nil gesehen hätte. In Freiheit.
Bedeutet Schreiben Freiheit? Anna Baar schreibt über das Schreiben, über die Macht des Schreibens. Was das Schreiben mit den Schreibenden anzurichten vermag. Wo die Grenzen sind, das verborgene Land. Von den Ängsten, kein Zurück mehr zu finden. Zugegeben, man muss sich auf das Buch einlassen. Es flutscht nicht einfach bei der Lektüre. Anna Baar will mich nicht einlullen. Sie zwingt mich zum genauen Lesen, lässt mich blättern, ganze Abschnitte noch einmal lesen. Das sieht man schlussendlich dem Buch an. Man hat mit ihm gelebt!
„Es ist eine List des Lügners, zu fordern, dass man ihm glaubt.“
Anna Baar, geb. 1973 in Zagreb (ehem. Jugoslawien). Kindheit und Jugend in Wien, Klagenfurt und auf der dalmatinischen Insel Brac. Ihr Debütroman «Die Farbe des Granatapfels» stand drei Monate auf Platz 1 der ORF-Bestenliste. Für die Arbeit an «Als ob sie träumend gingen» erhielt sie den Theodor Körner Preis. 2020 wurde sie mit dem Humbert-Fink-Literaturpreis der Stadt Klagenfurt ausgezeichnet. Anna Baar lebt in Klagenfurt und Wien.
Dreissig Jahre nachdem sie beinahe mit einem Zauberer und einer Kiste, in der sie dreimal pro Woche zersägt worden wäre, auf eine Kreuzfahrt nach Singapur gegangen wäre, erinnert sich die Frau. Sie erinnert sich in einem Haus, in dem sie sich einrichtete, das ihr Daheim werden sollte. Judith Hermanns Roman „Daheim“ ist voller überraschender Wendungen, ein einziger Strudel, der Gegenwart und Vergangenheit vermengt.
Ein kleines Haus nicht weit vom Meer. Im Erdgeschoss eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und im ersten Stock ein weiteres Zimmer, das sie aber gar nicht braucht. Es ist das letzte Haus. Danach ist der Weg bloss noch Sand. Sie wohnt in dem baufälligen Haus, weil nicht weit davon ihr Bruder eine Kneipe, einen Schuppen direkt am Meer betreibt, weil er im Frühling die Bretter von den Fenstern nimmt und er eine Hilfskraft braucht, die den Laden am Laufen hält. Ihr Bruder ist Arbeitgeber, vielleicht auch ein bisschen Asylgeber, denn sonst hält sie nichts an dem Ort, schon gar nicht die neue Freundin ihres Bruders, mehr als dreissig Jahre jünger als er, unstet und verschroben, unergründlich, ihren Bruder quälend. Eine junge Frau, die er zwischendurch zur Trailersiedlung fahren und auf sie warten muss, bis sie eine halbe Stunde später einen der Trailer wieder verlässt. Sie heisst Nike!
Judith Hermann «Daheim», S. Fischer, 2021, 192 Seiten, CHF 31.90, ISBN 978-3-10-397035-7
Im Frühling gibt es in der Kneipe noch nicht viel zu tun. Sie freundet sich mit ihrer Nachbarin an, mit Mimi, die auch eines der freistehenden Häuschen bewohnt, das sie einst von einer alten Frau übernahm, vollgestellt mit Möbeln und Dingen, die aus der Zeit gefallen sind. Mimi ist nicht weit von den Häusern auf einem Hof aufgewachsen, den ihr Bruder Arild seit dem Auszug seiner Frau alleine führt. Er allein mit tausend Schweinen. Mimi nimmt ihre Nachbarschaft so selbstverständlich wie ihr Bruder die Tatsache, dass sie nun irgendwie dazugehört. Obwohl die Erzählerin eigentlich ihre Ruhe will, tagsüber ihre Arbeit in der Kneipe, die Abende und Wochenenden für sich, für eine Flasche Wein und ihre Erinnerungen.
Sie hatte Familie. Hat sie eigentlich noch immer. Aber nachdem ihre Tochter Ann ausgezogen war, sich auf eine Reise machte ohne Ziel und Rückkehrdatum, gab es keinen Grund mehr bei Otis, ihrem Mann zu bleiben. Auch wenn sie Otis noch immer Briefe schreibt, auch wenn ihr die Erinnerungen an die Zeit als Familie noch immer weh tut, auch wenn Otis irgendwie noch immer ihr Mann ist. Ein Sammler, ein Messi, unter einem Dach, dass er sein Archiv nennt, in dem er alles hortet, was man dereinst, wenn die Welt vor die Hunde geht, brauchen wird. Auch wenn von Ann nur ein paar kurze Mitteilungen kommen, eigentlich bloss Koordinaten von irgendwelchen Orten. Die Liebe aber ist geblieben.
Mimi ihre Nachbarin, Arild ihr Bruder auf dem Hof mit seinen Schweinen, der manchmal rüberkommt, um in der Marderfalle hinterm Haus den Köder zu ersetzen. Und vielleicht noch die Eltern von Mimi und ihrem Bruder, ihr eigener Bruder mit „seiner“ Freundin, der er sich verschrieben hat. Und die Otis und Ann. Eine Welt, die nicht mehr ihr gehört und sie trotzdem in eine Kiste einsperrt, eine Kiste, aus der sie es nicht schafft, trotz der Distanz.
Sie erinnert sich. An die gute Anfangszeit mit Otis, an die Familienzeit, an jenen Moment zuvor, als sie mit dem Zauberer und der Kiste nach Singapur hätte fahren können und es im letzten Moment mit schon gepackten Koffern sausen liess. Ein anderes Leben. Ein Leben ohne Otis, ohne Ann, ohne die Kiste jetzt. Aber dafür mit einer Kiste, mit der der Zauberer sie dreimal pro Woche in zwei Hälften zersägt hätte. Zwei Hälften, in die sie auch ohne den Zauberer damals geworden ist. Eine Hälfte, die existiert und eine Hälfte, die sich erinnert.
Judith Hermanns Roman „Daheim“ ist unkonventionell, überraschend, verunsichernd, kaum je vorhersehbar. Mit einem Mal eröffnen sich Bilder, die mich ebenso faszinieren wie verstören. Und hinter dem ganzen Roman steckt latent eine Endzeitstimmung, etwas Fatalistisches. Als hätte man allem die Zukunft geraubt. „Daheim“ bleibt hängen!
Judith Hermann wurde 1970 in Berlin geboren. Ihrem Debüt «Sommerhaus, später» (1998) wurde eine ausserordentliche Resonanz zuteil. 2003 folgte der Erzählungsband «Nichts als Gespenster». Einzelne dieser Geschichten wurden 2007 für das Kino verfilmt. 2009 erschien «Alice», fünf Erzählungen, die international gefeiert wurden. 2014 veröffentlichte Judith Hermann ihren ersten Roman, «Aller Liebe Anfang». 2016 folgten die Erzählungen «Lettipark», die mit dem dänischen Blixen-Preis für Kurzgeschichten ausgezeichnet wurden. Für ihr Werk wurde Judith Hermann mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter dem Kleist-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis. Die Autorin lebt und schreibt in Berlin. Der Roman «Daheim» war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Nachdem Peter Handke 2019 für seine Literatur wohlverdient den Nobelpreis erhalten hatte, es aber nicht vermeiden konnte, dass sich der Fokus der Öffentlichkeit auf all die Nebenschauplätze richtete, war ich wie immer gespannt, was Neues vom dem Dichter mit königlichen Ehren zu erwarten war.
Peter Handke wäre nicht Peter Handke, hätte er mit seinem neuen Buch in der Bibliothek Suhrkamp nicht überrascht. Wer auf den vergrämten Missverstandenen spekulierte oder den in sich Gekehrten, Trotzigen erwartete, wurde ebenso überrascht wie ich, der ich auf einen «Handke wie immer und nie» hoffte und mit seinem neuen Buch „Mein Tag im anderen Land“ so völlig überrascht und verblüfft wurde. Klar, auch ich lese jeden geschliffenen Satz aus dem Kosmos Handke in der Erwartung, Spuren, Hinweise und Rückschlüsse ziehen zu können, was der Text hinter den Sätzen verborgen mitteilt. Und „Mein Tag im anderen Land“ bietet dafür Breitseite genug. Die „Dämonengeschichte“, wie Peter Handke sein Buch untertitelt, ist alles; ein grosses Rätsel, ein verschlüsseltes Gleichnis, ein heller Traum, ein Tag in einer Zwischenwelt.
Peter Handke «Mein Tag im anderen Land», Bibliothek Suhrkamp, 2021, 93 Seiten, CHF 27.90, ISBN 978-3-518-22524-0
Ein Mann wandelt durch einen Tag. Manchmal in einer realen Welt, manchmal im Dazwischen, zwischen Traum, Wahn, Fata Morgana und Realität. Von sich selbst und seiner Schwester begleitet, manchmal ganz nah, manchmal weit abdriftend. Er geht durch einen Ort, einen Ort, ebenso unbekannt wie vertraut. Geht wie von Sinnen und doch mit ganz scharfem Gespür für das, was sich neben der Realität offenbart. Er redet mit lauten Zungen, schwadroniert, schreit und gebärdet sich wie ein Entfesselter, verbreitet Schrecken und Verunsicherung, um dann mit einem Mal wieder der ganz Sanftmütige und Ruhige zu werden. Vielleicht erkennt man dort den Autor selbst, wenn man sich erinnert an seine selbstvergessenen literarischen Erkundungen, seine ruhigen Worte in der lichtdurchfluteten Schreibstube seines Hauses, in den Betrachtungen in seinem verwachsenen Garten. Aber ebenso in der verbalen Entgleisung, wenn man Handke zu reduzieren versucht, wenn man ihm auf die Pelle rückt.
Das Buch ist eine Aufzeichnung. Der Mann schreibt, was ihn durch den Tag begleitet hat. Das Buch beginnt: „In meinem Leben gibt es eine Geschichte, die ich noch keinem Menschen erzählt habe.“ Es ist ein Gang in eine Welt gleich daneben. Als wäre der Mann auch einen langen Wachtraum gegangen. Er spricht mit Menschen, Tieren und Dingen. Manchmal laut, manchmal leise. Manchmal in einer Sprache, die niemand zu verstehen weiss, die sich allen Deutungen entzieht. Einen Tagtraum, aus dem er nicht zu entfliehen weiss, an dem er leidet, von dem er gerne erlöst werden würde; „Dass mich doch endlich einmal der Blitz träfe. Dass einer ein Messer zöge und es mir in das Herz stiesse.“ Bis er um die Stunden der Mitternacht sogar seine Zukünftige trifft, die ihn mit „He, Seltsamer!“ anspricht.
So seltsam die Erzählung, so seltsam die Sprache. Peter Handke bedient sich einer Sprache, die wie die Geschichte selbst leicht daneben klingt, ebenso wie die Geschichte entrückt, nicht der Welt hier und der Zeit jetzt entsprechend. Eine Sprache, die beinah singt, die Haken schlägt und Kringel zeichnet, die anders ist als das, was der Realität entspricht, die mich wegzieht, meinen Blick verbaut.
Ich las „Mein Tag im andern Land“ auf seltsame Weise berührt, verzückt und verunsichert. Ein Handke eben doch!
Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Die Familie mütterlicherseits gehört zur slowenischen Minderheit in Österreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach Kärnten gekommen. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studiert er in Graz Jura. Im März 1966, Peter Handke hat sein Studium vor der letzten und abschliessenden Prüfung abgebrochen, erscheint sein erster Roman «Die Hornissen». Im selben Jahr 1966 erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legendären Theaterstücks «Publikumsbeschimpfung». Seitdem hat er mehr als dreissig Erzählungen und Prosawerke verfasst. Sein Werk wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, 2019 mit dem Literaturnobelpreis.
Philipp Frei, geboren 1965 in St.Gallen, Malerei und Zeichnung, lebt und arbeitet in Zürich und Küsnacht, Atelier in Zürich.
Pina ist jung, fremd im Land, geflüchtet, kennt niemanden. Elsa ist alt, hat ein ganzes Leben in diesem Land gelebt und fürchtet sich nicht vor dem nahen Tod. Pina liess sich vermitteln, soll Elsa auf dem letzten Stück ihres langen Lebens begleiten, im Haus von Elsa leben, helfen, pflegen, in dauerndem Kontakt zu Luzia, Elsas Tochter, die fest eingespannt ist in ein Leben, dass ihr für die Mutter nur wenig Zeit und Freiheiten lässt.
Yusuf Yeşilöz hätte eine Geschichte über eine illegal arbeitende Pflegekraft schreiben können, die es zu Hauf gibt. Tat es aber nicht. Yusuf Yeşilöz hätte einen Roman über die Flucht einer jungen Frau aus einem muslimischen Land, deren immer konservativer werdende Regierung Freiheiten und Öffnungen mit Repression unterdrückt, schreiben können. Tat er so ganz nebenbei, als wäre es ein Unterton. Yusuf Yeşilöz hätte eine reissende Story schreiben können über Ausbeutung, Einsamkeit und Isolation. Wollte er nicht.
«Wasser findet immer einen Bach, in dem es fliessen kann.»
„Nelkenblatt“ ist eine ganz behutsam, beinahe zärtlich erzählte Geschichte zweier Frauen, die man zusammengeführt hatte, eine Schicksalsgemeinschaft auf einem kleinen Stück Lebensweg, auf dem es keine Alternativen mehr gibt. Elsa weiss, dass ihr Leben nicht mehr lange dauern wird und Pina, dass es der einzige Weg ist, eine bezahlte Aufgabe zur haben, ein Stück Sicherheit in einem Land, in dem sie zwar angekommen, aber noch lange nicht zuhause ist. „Nelkenblatt“ ist auch eine Liebesgeschichte zweier ungleicher Frauen, die beide in ihrer Art für die andere da sein wollen, da sein müssen. Während Pina alles tut, um den Vorgaben Elsas gestrenger Tochter Luzia gerecht zu werden, um das ruhig und still gewordene Leben der alten Frau so angenehm wie möglich zu gestalten, findet Elsa in Pina ein Gegenüber, das nicht hetzt, nicht fordert, Zeit hat und zuhört. Elsa und Pina beginnen zaghaft zu erzählen. Pina, weil Elsa sie dazu ermuntert und Elsa, weil sie die Bilder teilen will, die sie auf dem letzten Abschnitt ihres langen Lebens begleiten.
Yusuf Yeşilöz «Nelkenblatt», Limmat Verlag, 2021, 160 Seiten, CHF 32.00, ISBN 978-3-03926-012-6
Elsa erzählt von ihrem Mann, von dem sie sich trennte, der aber immer Teil ihrer Familie blieb. Von ihren Kindern, jenen, die gingen und jenen, die blieben. Von den guten und den schweren Momenten eines Lebens, das sie abschliessen, das sie auf keinen Fall in die Länge ziehen will, das ihr schwer geworden ist. Pina erzählt ihr von ihrem Zuhause, das sie verliess, dem Land, aus dem sie fliehen musste. Von der Zeit, in der die Familie wegen der kranken Mutter das Dorf, in dem sie gross wurde, verlassen musste, um in die Stadt zu ziehen, den Spitälern, der medizinischen Versorgung näher. Wie sie wegen der Schule in eine andere Stadt ziehen musste und das Sterben ihrer eigenen Mutter nur aus der Ferne mitbekam. Vom Schwert, der sich tief in ihrer Seele einnistete.
Pina und Elsa leben zusammen im Haus der alten Frau, wissend, dass der Tod nah ist, dass es jeden Moment soweit sein kann. Elsa auf Erlösung und Erleichterung wartend und hoffend. Pina in der leisen Angst, auch diesmal nicht am richtigen Ort zu sein.
Yusuf Yeşilöz erzählt in leisen Tönen, als wolle er in seinem Erzählen keine Wirbel erzeugen. Genauso wie Elsa in ihren letzten Tagen und Pina in ihrer Art zu helfen. Yeşilözs Sprache ist der Spiegel des Geschehens, sein Roman wie ein ganz ruhiges Kammerstück zweier Frauen, das nur dann aufgewirbelt wird, wenn Luzia, die Tochter Elsas, die durch Organisation helfen will, Durchzug verursacht, den ruhigen Fluss aufmischt. Aber selbst die Figur dieser Tochter bleibt sympathisch, weil sie Hilflosigkeit und Lähmung zeigt, die angesichts der Unvermeidbarkeit eines Endes auf die Frauen zukommt.
Und nicht zuletzt schreibt Yusuf Yeşilöz in einem Sound, den seine kurdische Herkunft in eine ganze eigene Färbung eintaucht. Die Art seines „Geschichtenerzählens“ taucht Sätze und Szenerien in ein ganz besonderes Licht, ein Licht, das Yusuf Yeşilöz von weit her in dieses Land getragen hat und sich als Schatz erweist!
Interview
Nelken sind Blumen, die ich mit Beerdigungen, mit Grabschmuck in Verbindung setze. Grossmutterblumen. Was bedeuten sie für dich? Was bedeuten Gartenblumen überhaupt für dich? Bist zu Gärtner? Ich bin ein schlechter Gärtner. Der Titel Nelkenblatt ist auf die erste Szene im Buch zurückzuführen. Elsa «checkt» ihre künftige Betreuerin. Als diese sagt, dass ein Herz so zerbrechlich sei wie Nelkenblatt, ist das für Elsa eine gute Referenz, dass ihre Betreuerin zu ihr freundlich sein wird. Diese zarte (auch Gallus beschreibst es so) Atmosphäre sollte das ganze Buch begleiten.
Über Pins Herkunft gibt es Hinweise. 3890 km entfernt und der Name Samhirada. Samhirada scheint im Internet nicht zu existieren. Deine Heimat aber, „Kurdistan“, ist ziemlich genau so weit entfernt. Warum nur Andeutungen? Ich wollte hier keine genaue Herkunft nennen. Pina könnte von überall sein, Kurdistan, Iran, Irak oder Jordanien oder Algerien. Es ist eine junge Frau, die du vielleicht auch am Bahnhof in Kreuzlingen oder Amriswil vom weiten sehen kannst. Unter den in die Schweiz Geflüchteten sind auch viele Frauen dabei – im Gegensatz zu früher. Auf dem Weg zu einem selbständigen und gleichberechtigten Leben hat sie für «ihr Ticket» sehr viel bezahlt. Übrigens auch in Westeuropa haben Frauen für Gleichberechtigung lange gekämpft und sie kämpfen noch.
Es sind Gegensätze, die sich auf ganz zarte Weise gegenüberstehen, als wäre es eine Bühne, ein Kammerstück: alt und jung, fremd und schon immer da, abgeschnitten und eingebunden, an einem Anfang und an einem Ende. „Gegensätze“ ist aber durchaus ein Yeşilöz’sches Thema – oder? Ja. Ich möchte deine Frage als Antwort formulieren.
„Nelkenblatt“ ist ein Buch über Liebe, Freundschaft, das Zuhause und den Tod. Sterben und Tod lassen wir gerne draussen und beschäftigen uns erst damit, wenn die Konfrontation ansteht, wenn sie unvermeidbar ist. Wenn Literatur eine Aufgabe hat, dann die der Konfrontation. Alles andere ist seichte Unterhaltung. Oder ist Kunst ohne Aufgabe? Der Literatur werden viele Aufgaben zugewiesen, manchmal leider zu viele. Für mich ist sie eine Nahrung, etwa der Zucker im Apfel.
Pina ist geflohen, weil sie „erneuern“ wollte. Elsa ist stets geblieben, weil sie bewahren wollte. Wo ist dein Zuhause? Mein Zuhause ist dort, wo ich mich wohl und so akzeptiert wie ich bin fühle.
Yusuf Yeşilöz, geboren 1964 in einem kurdischen Dorf in Mittelanatolien, kam 1987 in die Schweiz. Heute lebt er mit seiner Familie in Winterthur und arbeitet als freier Autor, Übersetzer und Filmemacher. Seine Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. Sein Roman «Hochzeitsflug» wurde 2020 von Gitta Gsell unter dem Namen «Beyto» verfilmt.
Lone liegt auf der Intensivstation im Koma. Ein unerklärlicher Frontalzusammenstoss auf gerader Strecke mit einem Traktor. Eine Frau, eine Hebamme, die immer alles direkt angegangen ist, wird mit einem Mal lebensgefährlich ausgebremst. Iulia, ihre jüngere Schwester, eigentlich Bankkauffrau, nimmt die Tasche ihrer Schwester und fährt zu den Frauen, die auf Lone warten.
Vielleicht müsste man diesen Roman mit einem Warnschild versehen. „Für alle Frauen, die unmittelbar vor einer Geburt stehen, ist die Lektüre dieses Romans ungeeignet.“ Aber in einer Zeit, in der Frauen ihre Kinder eh bestens vorbereitet, eingelesen und vorgewarnt bekommen und Geburten kaum noch einfach geschehen lassen, werden all jene bestätigt, denen Gebärstationen wie Durchlauferhitzer erscheinen.
Lone ist nicht mehr Hebamme in einem Spital, schon länger nicht mehr. Als sie es noch war, schied sie mit Gepolter aus und machte sich selbstständig. Kein leichtes Unterfangen, wenn Geburtshäuser und freie Hebammen um ihr Überleben kämpfen müssen, weil Versicherungen nicht bereit sind, das Risiko mitzutragen. Ein Risiko, das untrennbar zu einem ganz natürlichen Vorgang gehört. Lone ist dann da, wenn Mütter nicht mehr ins Schema passen, wenn die Angst die Freude auf das Kind verdeckt. Lone ist auch dann da, wenn alle Stricke reissen und Grenzen überschritten werden müssen. Vor allem für jene, die sie auf ihrer Liste hat, auf jener Liste, die Iulia in die Hände bekommt, vor der sie ahnt, dass das Warten der Frauen einer Not entspringt.
Iulia ist verheiratet mit Niels. Und Niels ist Pfarrer. Iulia weiss, dass sie eine Rolle zu spielen hat; jene der Mutter, jene der Ehefrau, jene der Gemahlin eines Pfarrers und jene der Bankfrau, zwischen Schalter und Direktion. Während Lone auf der Intensivstation liegt und niemand weiss, was von jener Lone bleiben wird, die sie einmal war, während der Vater und die Stiefmutter am Bett der Patientin wachen und eigentlich erwarten, dass Iulia auch die Rolle, der sich sorgenden Schwester am Bettrand zu spielen hätte, besucht Iulia die verwaiste Wohnung ihrer Schwester, um festzustellen, dass das abrupt unterbrochene Leben ihrer Schwester im Gegensatz zu ihrem eigenen Leben aus lauter Notwendigkeiten besteht. Dass Frauen, Familien auf sie warten, sie brauchen. Iulia packt die Taschen ihrer Schwester, setzt sich in ihr Auto und klappert die Adressen ab, nach denen sie erst eine Weile suchen muss.
Zwei Schwestern. Aus dem gleichen Stall. Mit fast identischen Vorzeichen. Zwei Leben, die einst ganz nah waren und sich immer mehr ins Gegensätzliche verloren. Aber Lone ist Iulias grosse Schwester, das grosse Gestirn an ihrem Himmel, ein Fixstern. In Iulias wohlgeordnetem Leben ist die chaotische Komponente der Schwester ein Gegengewicht. Aber in dem Moment, als Lone im Spital zu schwinden droht, bricht Iulias filigranes Gefüge in sich zusammen; der Beruf, die Ehe, sogar das Bild der perfekten Familie.
Bin ich, was ich will? Kenne ich die Menschen, die mir am nächsten sind? Ist das Gegenteil von Ordnung wirklich Chaos? Wie weit schnüre ich mich selbst ein und fürchte mich vor den kleinsten Ausbrüchen? Weiss ich, was ich will? Mareike Krügel stellt die grossen Fragen, die man allzu oft mit Bedacht verdrängt, weil sie uns herausfordern. Weil sie Risiko bergen. Weil sie Konsequenzen haben könnten. „Schwestern“ ist ein Roman über die Liebe. Nicht zuletzt über jene zu sich selbst. Und das Eingeständnis, sich verrannt zu haben. Ikarus lehrt uns, nicht allzu weit hinauf zu fliegen. Aber aus lauter Angst, beim Fliegen die Federn zu verlieren und dabei den Boden nie zu verlassen, das darf es nicht gewesen sein. Iulia beginnt zu fliegen.
Interview
Meine Frau und ich haben fünf Kinder. Schön, dass sie mittlerweile zwischen 26 und 36 sind und die Kurve geschafft haben. Auch wenn sich die Erinnerungen an die intensive Familienzeit verklären, spätestens dann, wenn man ein Wochenende zusammen mit den beiden Enkelkindern verbracht hat, weiss man wieder, wie es gewesen sein muss, damals. Deshalb ist mein Verständnis gross, dass sie nicht einfach Schubladen voller Texte haben, meine Bewunderung aber ebenso gross, dass dann aber in hoher Kadenz doch immer wieder ein Buch von Ihnen erscheint. Wie schaffen Sie die Mehrfachbelastung? Gäbe es eine Mareike Krügel ohne das Schreiben?
Die Mehrfachbelastung macht mir deutlich zu schaffen, das muss ich zugeben. Es mangelt mir allerdings nicht an Schreibzeit – das ist eher eine Frage der Disziplin und Organisation, denn Stunden hat der Tag eigentlich genug. Es mangelt mir an Denkzeit. Gute Romane müssen nicht nur vorausgedacht und sorgfältig konstruiert werden – finde ich jedenfalls -, sondern brauchen viel Reifezeit, in denen der Stoff und die Figuren sich setzen oder entwickeln können. Wenn mir dann ständig das Leben dazwischenkommt und das Gehirn keine Musse hat, stecke ich schnell fest.
Meine Lösung ist, mich in möglichst reizarmer Umgebung aufzuhalten. Schleswig-Holstein ist dafür der ideale Ort. Hier ist es derart langweilig, dass meine Fantasie keine Konkurrenz durch die Realität bekommt.
Ob es mich ohne das Schreiben gäbe, weiss ich nicht. Das müsste ich wohl ausprobieren, und vermutlich wäre ich überrascht. Aber ich bilde mir ein, das Schreiben, wie auch das Lesen, Zuhören und Erzählen, zu brauchen. Mein Drang zu schreiben und mich in Geschichten aufzuhalten, wird jedenfalls mit zunehmenden Alter nicht weniger, sondern eher mehr.
„Schwester“ ist eine Liebesgeschichte an die Schwester. Aber auch eine Liebesgeschichte an einen Beruf, den der Hebamme. Lore ist mehr als eine Hebamme. Oder vielleicht das Abbild dessen, was Hebamme einmal war. Nicht wie heute eingekeilt in eine perfektioniertes Gesundheitssystem, Krankenkassen und Versicherungen, idealisierter Geburt und der schwindenden Risikobereitschaft aller. Ist die Hebamme eines der Opfer einer industrialisierten Gesundheitsmaschinerie?
Eine Gesundheitsmaschinerie hat sich in meinen Augen definitiv entwickelt, aber sie erscheint mir nicht industrialisiert. Im Endeffekt stehen an allen entscheidenden Stellen Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, nach bestem Wissen zu helfen und zu heilen. Sie alle stehen unter Druck, aber sie profitieren auch von verbesserten Strukturen und evidenzbasierten Vorgaben. Ich bin höchst dankbar für das Gesundheitssystem und die Krankenkassen. Es gibt nur immer eine Kehrseite, die man nicht wegreden darf und an der unermüdlich verbessert werden sollte.
Hebammen spüren diese zwei Seiten der modernen Medizin ebenfalls. Sie können sich absichern, sind eingebunden in ein System, das ihnen einen Platz einräumt, und müssen nicht mehr ausserhalb oder sogar in Konkurrenz dazu stehen. Das ist auch eine gute Entwicklung. Ich glaube, das der Beruf der Hebamme sehr romantisiert wird –Hebammen haben durchaus aktiv an den düsteren Kapiteln der Medizingeschichte mitgewirkt.
Vielleicht ist Lone also eher ein Abbild dessen, was eine Hebamme sein könnte, was diesen Beruf auch heute oder womöglich eben gerade heute auszeichnet. Wenn man das im Blick behält, kann man vielleicht die Gratwanderung schaffen zwischen medizinischer Absicherung und individueller Gesundheit.
Lore und Iulia (Warum nicht Julia?) sind ungleiche Schwestern. Schwestern, die sich durch ihre Ungleichheit aus den Augen verloren, deren Leben keine Überschneidungen mehr kannte. Brüder und Schwestern sind etwas Seltsames. Man kann sie sich nicht aussuchen. Und selbst wenn man sich verloren hat, selbst wenn man sich hasst, bleibt eine Verbindung. Iulia kehrt zu ihrer Schwester zurück, auch wenn nicht direkt an ihrer Seite. Sie transformiert sich, bricht auf. Ist ihr Buch eine Ermunterung?
Ich habe keine Intention beim Schreiben eines Buches ausser der, eine Geschichte zu erzählen und Antwortmöglichkeiten auf meine eigenen Fragen zu suchen. Gerne darf man diesen Roman aber als Ermunterung verstehen, sich mit der – wie Sie es treffend nennen – seltsamen Verbindung auseinanderzusetzen. Sich ihrer bewusst zu werden. Wenn eine Figur innerhalb eines Familien-Systems sich verändert, verschiebt sich das ganze System. Oft auch im Erwachsenenalter, wenn die Familienmitglieder schon längst ganz eigene Leben führen.
Als vor einigen Jahren mein Bruder starb, habe ich die Person, die seine Freunde mir beschrieben, kaum erkannt. Er war ausserhalb der Herkunftsfamilie ein ganz anderer Mensch. Diese Erfahrung hat mich sehr beschäftigt und auch demütig gemacht. Iulia bekommt im Roman die Chance, ihre Schwester auf neue Art kennenzulernen, und dabei verändert sich ihr Blick auf sich selbst. Auch sie ist schliesslich nicht festgelegt auf eine einzige Rolle oder ein Lebensmuster, auch wenn ihre Herkunft sie das lange hat glauben lassen.
(Iulia wird mit I geschrieben, damit der Bezug zu ihrer Namenspatronin, der Tochter des Augustus, deutlich wird, und auch, damit der Name eine Umständlichkeit hat, ein Hindernis, das ihr quasi von ihren Eltern mitgegeben wurde, während ihr Bruder – Justus – die Schreibweise zugewiesen bekam, die nie buchstabiert werden muss.)
Iulia ist die Frau eines Pastors. So brav, angepasst und untergeordnet, dass es zusammen mit ihrem Beruf als adrett gekleidete Bankfachfrau fast karikiert anmutet. Ihr Mann ist ein gänzlich guter Mann, Vorbild einer ganzen Gemeinde. Und sie mit ihm ebenso dazu verdammt. Ist man als Mutter nicht auch verdammt?
Diese Frage bringt mich zum Lachen, weil sie so direkt ist. Kann man es besser formulieren? Ich glaube nicht. Man ist als Mutter verdammt. Oder als Elternteil womöglich, denn auch das Vatersein bringt ja einen Haufen an gesellschaftlichen und individuellen Erwartungen mit sich, und wer auch nur einen Hauch Perfektionismus in sich hat, kann schnell das Gefühl bekommen, verdammt zu sein. Aber wie bei der Rolle der Pastorenfrau oder des Pastors selbst liegt auch eine Befriedigung darin, die Sache eben gut zu machen. Ein grosses Problem des Mutter- oder Vaterseins liegt für mich darin, dass die Bestätigung so gut tut, dass sie süchtig machen kann. Dann wird das Gute-Mutter-Sein zum Selbstbild. Fast möchte ich jeder Familie wenigstens ein Kind wünschen, das so viel Persönlichkeit mit auf die Welt bringt, dass es die Eltern ganz schnell von dem Trugschluss kuriert, wer ein braves Kind hat, hat alles richtig gemacht.
„Schwester“ ist kein Buch für junge Leute, die die Absicht haben, Kinder zu bekommen, die eine undefinierbare Angst vor Spitalluft mit sich tragen und Risiko möglichst minimieren wollen. Bräuchte ihr Buch nicht den Warnhinweis „Für alle Frauen, die unmittelbar vor einer Geburt stehen, ist die Lektüre dieses Romans ungeeignet.“?
Ich selber kann mich gut erinnern, dass die einzigen Romane, die ich vor den Geburten meiner Kinder lesen mochte, die von Jane Austen waren. Für alles andere war ich zu empfindlich. Ich bin zuversichtlich, dass Menschen, die unmittelbar davor stehen, ein Kind zu bekommen, spätestens wenn Iulia die Intensivstation betritt, das Buch zur Seite legen und sich andere Lektüre suchen.
Im Übrigen hatte ich vor der Geburt meines Sohnes nur eine einzige Bekannte, die mir ganz offen von ihren Geburten erzählte. Ich war schockiert und überzeugt, dass sie eine Ausnahme sein musste. Denn nicht einmal im Vorbereitungskurs war etwas anderes als euphemistische Umschreibungen zu hören für das, was drumherum und im Fahrwasser einer Geburt so alles passiert. Ich glaube fest, dass in der Möglichkeit, viele Geschichten zu dieser existentiellen und höchst individuell empfundenen Situation zu hören oder zu lesen, die Chance liegt, Selbstvertrauen zu entwickeln und handlungsfähig zu bleiben, wenn es schwierig wird. Eine gute Geburt ist eine, während der sich weder Väter noch Mütter ausgeliefert gefühlt haben.
Das Leben besteht aus verpassten Chancen und Möglichkeiten. Was tun Sie dagegen?
Ich schreibe Romane. Etwas anderes fällt mir nicht ein. In den Zeiten, in denen ich nicht schreibe, trauere ich den verpassten Chancen hinterher, hadere und nerve meinen Mann, ohne zu merken, dass ich gerade weitere Chancen verpasse. Ich ertrage das alles einigermassen, indem ich den Figuren in meiner Fantasie erlaube, etwas zu erleben.
Mareike Krügel wurde 1977 in Kiel geboren. Seit 2003 hat sie vier Romane veröffentlicht. Sie lebt bei Kappeln. Mareike Krügel erhielt zahlreiche Stipendien, u.a. in der Villa Decius in Krakau, und ist Mitglied im PEN Deutschland. Im Jahr 2003 bekam sie den Förderpreis der Stadt Hamburg und wurde 2006 mit dem Friedrich-Hebbel-Preis ausgezeichnet.
Als ich das Buch zu Ende gelesen hatte, war die Einsicht: Es herrscht Krieg. Überall. Sei es gegen die Natur und den Planeten, auf dem wir leben, zwischen Arm und Reich, zwischen von Ideologien aufgepumpten Nationen – und zwischen Mann und Frau. Patrícia Melo erzählt zwar von Brasilien, aber was dort geschieht, geschieht überall. Und es muss nicht immer Blut fliessen.
„Gestapelte Frauen“ einen Kriminalroman zu nennen, damit wird man dem neuen Roman der Brasilianerin nicht gerecht. Es geht der Autorin nicht darum, eine spannende, schockierende, gut erzählte Geschichte zu verkaufen. Patrícia Melo öffnet mit dem Brecheisen verschlossene Türen, stemmt sich gegen Ignoranz und Blindheit und legt offen, dass die Gewalt, die sich zwischen den Geschlechtern abspielt, kein Phänomen der Gegenwart ist. Was sich dort abspielt, wo es passiert, ist Reaktion und Folge einer Entwicklung, die sich mit dem Willen zur Eroberung und Unterwerfung in die Genetik des Menschen einfrass.
„Gestapelte Frauen“ erzählt von einer jungen Anwältin, die sich all jener Frauen annimmt, die Opfer männlicher Gewalt werden, sie nicht einfach in einer Statistik vergessen lassen will oder der Willkür eines korrupten Justizapparats. Getötet nicht in irgendwelchen dunklen Gassen, von Fremden und Unbekannten, sondern von ihren eigenen Männern, von Vätern, angesehenen Mitgliedern der Gesellschaft. Die mit dem Leben bezahlen, weil sie im falschen Moment am falschen Ort zu sein schienen – oder einfach mit ihrem Leben für all den latent vorhandenen Frust des männlichen Geschlechts zu bezahlen hatten, weil sie den Schlüssel ihrem Ex zurückgeben wollten, weil der Mann die Nerven verlor, vor den Augen von Söhnen und Töchtern, weil der Ton des Fernsehers zu laut war, weil die Frauen die Befehle ihrer Männer missachteten.
Die Anwältin sammelt nicht aus blosser Pedanterie, sondern weil sie selbst davon betroffen ist und es nicht schafft, aus den langen Schatten dieser Ereignisse herauszutreten. Als Mädchen musste sie erleben, wie ihr Vater die tote Mutter in Tücher wickelte, sie in ein Auto steckte und dem Wagen an einer Klippe einen Stoss versetzte, um den Mord als Unfall aussehen zu lassen. Die Mutter umgebracht, der Vater im Gefängnis. Eine Kindheit bei den Grosseltern, denen das Trauma genauso im Nacken sitzt. Als Frau und Anwältin von Amir begehrt und umschwärmt, um dann wie aus dem Nichts während einer Party als Schlampe beschimpft und ins Gesicht geschlagen zu werden, um dann später festzustellen, dass der einstmals Geliebte Szenen ihres Liebeslebens ins Internet stellte, als wäre der Schlag ins Gesicht nicht genug.
Und weil sie sich als Anwältin mit anderen Frauen den Opfern ihren Platz zu geben versucht, weil sie für Recht und Wahrheit kämpft, manövriert auch sie sich ins Kreuzfeuer konzentrierter Hetze und offener Gewalt. Es sterben Kolleginnen, Freundinnen, Mitstreiterinnen. Eine tödliche Schlinge zieht sich zu.
Warum soll ich dieses Buch lesen? Weil Patrícia Melo von den Opfern und den Tätern erzählt. Von Tätern, die sich in die Rolle der Opfer zu verteidigen versuchen, von Opfern, die zu Kollateralschaden werden. Von Frauen, die übereinandergestapelt turmhoch ein Mahnmal dessen sind, was vor hunderten von Jahren mit der gewaltsamen Eroberung und Kolonialisierung begonnen hat. Von Frauen, die bezahlen, was elitäre Macht, ein korrupter Staatsapparat und die Willkür des Geldes anrichten.
Patrícia Melo (1962 in São Paulo) zählt zu den wichtigsten Stimmen der brasilianischen Gegenwartsliteratur. Nach ihrem Studium in São Paulo arbeitete sie beim Fernsehen. In ihrem sozialkritischen Werk, bestehend aus Kriminalromanen, Hörspielen, Theaterstücken und Drehbüchern, beschäftigt sie sich mit der Gewalt und Kriminalität in Brasiliens Grossstädten. Melo wurde u. a. mit dem Deutschen Krimipreis und dem LiBeraturpreis ausgezeichnet, die Times kürte sie zur »führenden Schriftstellerin des Millenniums« in Lateinamerika. Sie lebt in Lugano.
Barbara Mesquita, geboren in Bremen, arbeitet u. a. als Literaturübersetzerin für Portugiesisch und Spanisch mit Schwerpunkt auf den lusofonen Ländern Afrikas. Sie hat Patrícia Melo, Luís Fernando Veríssimo, Pepetela, Luandino Vieira, Arménio Vieira, Ricardo Adolfo, Pedro Rosa Mendes, João Tordo und Juan Manuel de Prada übersetzt. Barbara Mesquita lebt in Hamburg und zeitweilig in Lissabon.
Vielleicht ist es die Sehnsucht des Menschen nach der perfekten Maschine, der perfekten Hilfskraft, des perfekten, bedürnislosen Dienens. Ganz sicher ist er der Reiz des Machbaren, Erschaffer:in zu werden. „Die Erfindung des Ungehorsams“ ist eine Geschichte in der Geschichte in der Geschichte. Ein Roman, der den menschlichen Code zu knacken versucht, jenes Geheimnis, das uns zu Menschen macht.
Schon in ihrem letzten Roman „Knochenlieder“ spielte Martina Clavadetscher derart gekonnt und verblüffend mit ihrer Sprache, ihrem Sound, ihrer Konstruktion, ihrem ganz eigenen Instrumentarium, dass sie für mehr als „nur“ den Schweizer Buchpreis nominiert wurde. „Die Erfindung des Ungehorsams“ ist die grosse Schwester ihres letzten Romans. Formal ähnlich gestaltet (im Flatter- nicht im Blocksatz), manchmal fast an Lyrik erinnernd, über weite Strecken geschrieben, als wäre die Autorin monologisierend auf einer schwarzen Bühne im Scheinwerferlicht, das Szenario in den Köpfen der Zuhörer:innen aufsteigen lassend. „Die Erfindung des Ungehorsams“ geht aber noch einen Schritt weiter, steht „Knochenlieder“ in nichts nach, überflügelt ihn.
„Ihr Leben verläuft nach Plan.“
Martina Clavadetscher will nicht einfach eine spannende Geschichte erzählen. Sie erzeugt während des Lesens das Bewusstsein, wie schmal der Grat zwischen Realität und Künstlichkeit ist, wie nah wir uns in unserer Gegenwart einer bedrohlich werdenden Zukunft nähern, wohin uns unsere Fantasielosigkeit gepaart mit Profitdenken führen kann, wie klein der Unterschied ist zwischen Menschlichkeit und Automatismus. Dabei rankt sich ihre Sprache in Sphären, die in der deutschsprachigen Literatur nur selten anzutreffen sind. Ihre Sprache, ihr Erzählen ist alles andere als künstlich und schafft einen erstaunlichen Kontrast zum fast blutleeren Geschehen in der Geschichte.
„Gesetzmässigkeiten tarnen sich bloss mit Willkür, damit das Logische nach aussen unlogisch wirkt.“
Martina Clavadetscher «Die Erfindung des Ungehorsams», Unionsverlag, 2021, 288 Seiten, CHF 29.00, ISBN 978-3-293-00565-5
Iris lebt irgendwo in Manhattan in einem Penthouse. Sie erwartet Gäste, wartet mit Ungeduld. Es wird eine kleine Party sein, wie immer und jedes Mal, mit Godwin und Wollstone, zwei älteren Damen. Iris hat den Part der Erzählenden, während die Gäste lauschen. Iris erzählt aus dem Leben von Ada, Ada Lovelace, die es wirklich gab, die vor mehr als 200 Jahren in England lebte und die Tochter jenes berühmt, berüchtigten englische Dichters Lord Byron (1788–1824) war, den sie aber nie kennen lernte. Von ihrer gestrengen Mutter (im Buch Übermutter) erbte sie das überdurchschnittliche Geschick mit Zahlen, das sie schon in jungen Jahren mit dem Mathematiker Charles Babbage zusammen brachte, der eine Differenzmaschine entwickelte, etwas, das sich als Vorläufer der heutigen Computer entpuppte. Ada, einst ein kränkliches Kind, von der Mutter überbehütet, um es aus dem langen Schatten ihres unseligen Vaters zu zerren, entwickelte mit Charles Babbage die Idee einer Maschine, die weit mehr kann, als jene Spielmaschinen, mit denen man damals ein Publikum zu faszinieren vermochte.
In „Die Erfindung des Ungehorsams“ ist die Geschichte eingebetet in jene der „Halbschwester“ Ling, die an einem andern Irgendwo irgendwann Arbeiterin in einer Produktionsstätte für Sexpuppen ist, alle identisch konzipiert nach dem Vorbild einer Schauspielerin, einer Fanny Lee, die die Hauptdarstellerin eines Film ist, den Ling längst zu ihrem Lebensbegleiter gemacht hat, den sie immer wieder in ihren dämmrigen Feierabenden sieht, nach Tagen, die zwischen Fabrik und Wohnsilo immer gleich aussehen. Lings Arbeit in der Fabrik ist es, die Körper nach dem Guss nach Silikonresten zu untersuchen, bevor sie noch ohne Kopf an einen Haken gehängt werden, um in einer nächsten Halle mit dem Haupt versehen zu werden, einem Modul, das interaktiv auf einen zukünftigen Besitzer regieren soll.
„Ling, das Programm hat gelernt zu lügen.“
Ling ist einsam. Bis sie einen der kopflosen Körper mit nach Hause nimmt, bis sie Jon B., einen der Wachmänner der Sexpuppenfabrik bei sich zuhause einlässt, bis der Wunsch nach Gemeinschaft aus den Treffen in Lings Wohnung Konspiration werden lassen undein Wagnis daraus entstehen soll.
Martina Clavadetscher verwebt die verschachtelten Erzählstränge aber so, dass ich als Leser nie den Überblick verliere, gewisse Details und Feinheiten aber doch nur bei ganz genauer Lektüre zum Vorschein kommen. So wie etwa das Detail, dass hinter den Namen Godwin und Wollstone die Mutter der Schriftstellerin Mary Shelley, der Schöpferin Frankensteins, Mary Wollstonecraft-Godwin verbirgt. Frankenstein, ein Diener, ein Geschöpf aus der Hand eines Menschen, abgekoppelt von einer natürlichen Ordnung.
„Das Unzähmbare lebt. Es keimt. Und bringt etwas ganz Eigenständiges hervor.“
Martina Clavadetscher gelang mit ihrem Roman „Die Erfindung des Ungehorsams“ Erstaunliches und Verblüffendes! Der Roman bietet genau das, was sich Leser:innen wünschen, die mehr als nur unterhalten werden wollen. „Die Erfindung des Ungehorsams“ ist vielschichtig, vieldeutig und poetisch zugleich!
Martina Clavadetscher, geboren 1979, studierte Germanistik, Linguistik und Philosophie. Seit 2009 arbeitet sie als Autorin, Dramatikerin und Radio-Kolumnistin. Ihr Prosadebüt «Sammler» erschien 2014. Für die Spielzeit 2013/2014 war sie Hausautorin am Luzerner Theater. Mit ihrem Theaterstück «Umständliche Rettung» gewann sie 2016 den Essener Autorenpreis und war im selben Jahr für den Heidelberger Stückemarkt nominiert. Für «Knochenlieder» erhielt sie 2016 den Preis der Marianne und Curt Dienemann-Stiftung und wurde 2017 für den Schweizer Buchpreis nominiert. Martina Clavadetscher lebt in der Schweiz.