Alex Capus «Das Leben ist gut», Hanser

Alex Capus ist nicht nur Schriftsteller. Er besitzt und führt eine Bar, unweit der Aare, einen Katzensprung vom Bahnhof Olten weg. Die Galicia Bar. Eine Bar, die einst von galizischen Fabrikarbeitern gegründet wurde, um gemeinsam dem Heimweh zu frönen, und dieses mit dem Staub der Büez (Arbeit) runterzuspülen. Und weil Pedro Lenz, ein guter Gast in dieser Bar, einmal meinte: „Eine Bar? Das ist so etwas wie Facebook, einfach ohne Internet.“ wurde aus den Geschichten aus dieser Bar ein Roman.

Es braucht keinen Mord, nicht einmal einen Einschlag welcher Art auch immer, um einen Roman zu schreiben. Aber muss man ein Buch über Alltägliches lesen, «wenn der eine oder andere genug mit dem eigenen Alltag hadert»?
Für einmal schreibt und erzählt Capus «bloss» Geschichten, kein grosser Plot zieht durch den neuen Roman. Was mit «Mein Nachbar Urs» und «Der König von Olten» über einen schwarzweissen, Oltner Kater namens «Toulouse» seinen Anfang nahm, spinnt Capus weiter. Er setzt dem Alltag und all den kleinen und grossen Geschichten, die sonst versteckt und verborgen bleiben, ein Denkmal. Capus erzählt von Max, der seit 25 Jahren Ehe erstmals für ein paar Tage allein im Bett schläft. Tina, seine Frau, fährt beruflich weg und lässt ihn mit den drei Jungs allein in der kleinen Stadt, in der er sich wohl fühlt wie «ein Eber im Schweinekoben». Morgens, nachdem alle Jungs unterwegs sind, macht sich Max mit dem Rad auf zu seiner Bar, der Sevilla Capus Das Leben ist gut Final_MR3.inddBar, nicht weit vom Bahnof, eingeklemmt zwischen kubische Glaspaläste der Neuzeit. Eigentlich ist Max Schriftsteller, aber so gern er manchmal schreibt, so gerne tut er das, was im alten Gemäuer seiner Bar an Arbeit anfällt, sei es auch nur der Gang mit zum Altglas auf dem Handwagen zur Sammelstelle. Seine Bar ist der Ort seiner Geschichten, wie jene, die der Bar den Namen gibt oder jene, die erzählt, warum an der einen Wand ein Stierkopf hängt, der einmal in der Not gar ersetzt werden musste. Geschichten von Menschen, die Stammkunden in der Sevilla Bar sind und über deren Leben Max als Barbesitzer und -betreiber unweigerlich vielmehr erfährt, als sässe er zuhause allein hinter seinem Schreibtisch: Von Ismail, der nie zur Ruhe kommt, von Miguel Fernando Morales Delavilla Miguelanes, dessen Frau Max einen Korinthenkacker und Hochtonfurzer schimpft. Oder von seinem ehemaligen Lehrer Toni Kuster und seinem Cowboy-Freund aus den Everglades.

Bei einer Lesung im Gewölbekeller der Buchhandlung zur Rose in St. Gallen meinte Alex Capus, viele Autoren würden sich beim Schreiben eines neuen Buches vornehmen, nun endlich ein ganz anderes Buch zu schreiben, um dann, während des Schreibens festzustellen, dass es doch wieder ein ähnliches werden würde. Aber Capus hat seinen Vorsatz verschriftlicht. «Das Leben ist gut» ist ein Buch über einen Mann, der mit 55 Bilanz zieht, was viele tun, wenn sie soweit sind. Eine Geschichte über «fast nicht», genau das, was er beabsichtigte. Und er müsse festhalten, dass Ich-Erzähler und Autor nicht zwingend deckungsgleich sein müssen, selbst dann nicht, wenn fast alles dafür spreche.

Alex Capus erzählt, schwadroniert, driftet ab, zeigt sich selbstgefällig, selbstzufrieden, ohne dick aufzutragen. Erfrischend dabei ist, dass er durchaus mit spitzer Zunge auf die Welt schaut, um festzustellen, dass sein Leben «dereinst auf dem Sterbebett im Zeitraffer abgespielt, ein Standbild sein wird». Capus, ein Streiter für das Wahrhafte, ein Leben ohne künstlich erzeugten Kick, ein Loblied auf die Kneipe, wo Langweiler und Wahnsinnige eine Heimat finden. Ein Buch fürs Nachttischchen.

Capus_hf_i[1]Alex Capus, geboren 1961 in der Normandie, lebt heute in Olten. 1994 veröffentlichte er seinen ersten Erzählungsband «Diese verfluchte Schwerkraft», dem seitdem weitere Romane, Bücher mit Kurzgeschichten und Reportagen folgten. Alex Capus verbindet sorgfältig recherchierte Fakten mit fiktiven Erzählebenen, in denen er die persönlichen Schicksale seiner Protagonisten einfühlsam beschreibt. Bei Hanser erschienen zuletzt die Romane «Léon und Louise» (2011) sowie der Western «Skidoo» (2012).

Webseite des Autors

(Bild: Sandra Kottonau, Güttingen, CH)

Ein Rückblick in 3 Teilen: Sonntag, Teil 3

Vor einem Jahr an den 37. Literaturtagen in Solothurn wurde einer meiner Literaturzirkel zu «Lesezirkel zu Gast» eingeladen. Zusammen mit Martin R. Dean sprachen wir im Palais Besenval über sein Buch «Verbeugung vor Spiesa_palais_lesezirkel_martindean-1_10x15_lightboxgeln». Eine denkwürdige Veranstaltung, ein Gefäss aber, dass trotz Bedauern keinen Platz mehr im neuen Programm fand. Obwohl ich Lesungen schätze, verraten Gespräche viel mehr, sowohl über das Buch wie über Autorinnen und Autoren, erst recht dann, wenn die Beteiligten zur Konfrontation bereit sind.

Im Programm stand; ‹Lukas Bärfuss SRF Live Sendung 52 Beste Bücher›. Aber weil der Wallstein Verlag mich mit Lukas Bärfuss neustem Buch «Hagard» auf  «Später» vertrösten musste, liess ich mich gerne von Charles Lewinsky verführen. Charles Lewinsky ist zwar kein Enfant terrible der Schweizer Literatur, aber wie in der Cantino del vino bewiesen durchaus bissig.

Charles Lewinsky lernte sein Schreiben durchs Schreiben. Er mache keinen Unterschied zwischen E und U, ernster und unterhaltender Literatur. Ein Text müsse bloss gut geschrieben sein, seine ganz eigene Form gefunden haben. Lewinsky mag es nicht, wenn Bücher «schwitzen», wenn man ihnen anmerkt, wie schwierig es sein muss, über schwierige Themen zu schreiben. Und seine Geschichte ist «schwierig». Charles Lewinskys neuster Roman «Andersen» Lewinsky_IchbinAndersen_P06DEF.indderzählt die Geschichte eines Folterchefs, dem die Fähigkeit zur Empathie gänzlich fehlt. Ein Fehlen, dass diesen zum Meister macht. Andersen ist Geburtshelfer der Wahrheit, weil die Wahrheit stets Last ist, die man mit sich herumträgt und doch viel lieber los sein will. Es sei viel interessanter, eine Figur zu erfinden, die weit von ihm entfernt sei. Der Roman wurde zu einer Versuchsanordnung mit der Frage: Wenn es frühere Leben gibt, was wäre, wenn man sich an sie erinnern würde? Das Böse aus der Geisterbahnperspektive ist interessanter als das Gute. (Der verschmitzt, verschwörerische Blick zu seiner Frau, während der Schauspieler Michael Neuenschwander Passagen aus seinem Roman liest.) Lewinsky spielt mit Bildern, mit dem Schauer des Bösen. «Ganz im Gegensatz zu allen anderen Büchern, die ich schrieb, war die  Figur dieses Romans mit einem Mal da und zwang mich zu schreiben. Und mit dem Schreiben entwickelte sich die Geschichte, die keine Botschaft haben muss, beim Leser aber etwas auslösen soll. Was, das kann ich nicht bestimmen, nur hoffen, das es passiert.»
Eine Live Sendung – ein spannendes Gefäss. Ein reibendes Gespräch mit Charles Lewinsky, der der Bücher- und Radiofrau Luzia Stettler unter allen Umständen das Gesprächsruder entreissen will, um nicht zu viel von der Geschichte zu verraten. Für mich als Zuhörer Hochgenuss. (Zur Sendung)

Fazit der Literaturtage in Solothurn: Literatur im besten Licht, nicht nur wegen der Wetterlage. Ganz langsam verabschiedet sich der Traditionsanlass von seinem etwas antiquierten Äusseren.  Noch mehr Mut täte gut. Das Lifting bewirkte einiges, wenn auch die eine oder andere Moderatorin sich in ihrem Erscheinen davon zu distanzieren schien. Solothurn war eine gute Mischung zwischen Festival der jungen Frauen und Huldigung grosser Namen. Ich  freue mich auf die 39!