Bernd Schroeder «Warten auf Goebbels», Hanser

Während sich in den letzten Monaten des 2. Weltkriegs das Grauen, die Bomben und Granaten immer unüberhörbarer Richtung Reichshauptstadt Berlin donnern, dreht in Altenburg in der Heide die letzte Filmcrew einen Spielfilm, der am 1. Mai 1945 in den deutschen Kinos den Endsieg mitfeiern soll.

Konrad Eisleben dreht einen Film über den Rückkehrer Hans Weimar, der als strahlender Sieger zu seiner Familie zurückkehrt. Ein Film, so das Ministerium, der Dank sein soll an «das deutsche Volk,  das durch seine Opferbereitschaft und seinen ungebrochenen Glauben an den Führer diesen Sieg möglich gemacht hat». So surreal die Szenerie zu Beginn der Dreharbeiten erscheint, potenziert sie sich laufend. Ein Regiesseur, zeitlebens immer im zweiten Glied hinter den Grossen, dann aber doch von Joseph Goebbels selbst in den filmischen Adelsstand des Professors geadelt, dreht einen Film, von dem es kein Drehbuch gibt. Tröpfchenweise erreicht das Filmset Order um Order aus Berlin und Eisleben versucht krampfhaft der Geschichte und den Protagonisten eine Richtung zu geben.

Zwischen Fanatismus und Fatalismus

Von der linientreuen Produktionsleitung, die auch nicht zögert, mit Drohungen und geladener Pistole ihre Macht zu unterstreichen bis zu zwei Juden, die man im Hühnerstall hält, um sie im richtigen Moment als Persilschein voranzustellen, wabert die Szenerie zwischen Lethargie und Hysterie. «Warten auf Goebbels» ist ein durchaus ernstzunehmender Einblick in die Produktion eines Nazi-Propaganda-Spielfilms, bei dem Parteibonzen realitätsblind und führergeil selbst im Winter 44/45 noch an den Endsieg des Tausendjährigen Reiches glauben. Witzig und böse zugleich. Das Personal dieser «Arche Noah» hat alles; vom linientreuen Bürgermeister des Ortes in unterwürfiger Habachtstellung bis zu Hauptdarstellerin Johanna Leise, die ihren Eltern mit falschen Papieren zur Flucht verhalf. Und als sich Propagandaminister Joseph Goebbels ankündigt, sich selbst im Film zu spielen, eine Rede zu halten, wird aus dem Set ein Pulverfass. Die Lunte brennt! Eine Rede zum Sieg über das internationale Judentum und die feindlichen Mächte, deren satanisches Ziel die Zerstörung der Welt nicht erreicht habe. Bis ein Schuss fällt, die Ratten das sinkende Schiff verlassen und ein englischer Soldat mit Gewehr im Anschlag das Set stürmt, droht die Situation mehrfach zu kippen.

Bernd Schroeder inszeniert ein irres Kammerstück, das glaubhaft zeigt, was passiert, wenn die Welt brennt und der Kampf ums Überleben die Masken von den Gesichtern reisst. Bernd Schroeder erzählt collageartig. Man liest, was in der Scheune in Altenburg passiert. Die Stimme Joseph Goebbels, der sich in fanatischer Ergebenheitan der Seite des Führers sonnt. Die kurzen Lebensläufe der Setmitglieder, die zeigen, wie unterschiedlich die Wege bis zur Schicksalsgemeinschaft am Ende der nationalsozialistischen Zeitrechnung sind. Und Meldungen von der Front, von den Tausenden von Tonnen Bomben und unsäglich vielen Opfern, die dem Tausendjährigen Reich ein Ende mit Schrecken bereiten sollen.

Bild: Peter-Andreas Hassiepen

Bernd Schroeder, geboren 1944 im heute tschechischen Aussig, wuchs im oberbayerischen Fürholzen auf. Er lebt in Berlin. Als Autor und Regisseur zahlreicher Hör- und Fernsehspiele erhielt er 1985 den Adolf-Grimme-Preis und 1992 den Deutschen Filmpreis. Zuletzt erschienen bei Hanser: «Hau» (Roman, 2006), «Alte Liebe» (Roman, 2009, mit Elke Heidenreich), «Auf Amerika» (Roman, 2012), «Wir sind doch alle da» (Roman, 2015) und «Warten auf Goebbels» (Roman, 2017).

Titelbild: Sandra Kottonau