1500 Mal literaturblatt.ch – eine kleine, doch beherzte Würdigung, von Ruth Loosli

Gallus Frei ist nicht nur ein unermüdlicher Leser, sondern auch ein sorgfältiger und eigenwilliger. Er ist sich nie zu schade, auch unbekannten Stimmen eine Stimme zu geben, wenn er sich entschieden hat, ein neues Buch aufzuschlagen und es zu lesen.

Gallus Frei ist sich keines Genres zu fein: Wenn er sich zu eben diesem Buch entschließt, dann legt er es kaum weg, oder es wäre begründet, und das lässt er uns LeserInnen dann natürlich nicht wissen. Er ist ein Gentleman durch und durch, als Leser ebenso wie als Veranstalter und Moderator. Heisst, er ist immer fair und wohlwollend den SchriftstellerInnen gegenüber, ihm ist bewusst, dass sein Lesen, seine Einladungen und „Beurteilungen“ ein Gewicht haben.

Die Kritik des Germanisten interessiert ihn weniger, denn er ist kein Germanist – darauf weist er auch selbst gerne hin – sondern ein vorzüglicher und vielleicht darf man sagen, ein besessener Leser, wie es ihn vermutlich nur noch selten gibt.
Wer ein Buch – von Gallus besprochen – zur Hand nimmt, muss nicht seiner Meinung sein, lässt sich aber gerne von seiner Leseerfahrung mitnehmen und beeinflussen. Zudem gibt es sehr oft nachgehend ein Interview mit dem Autor, der Autorin, das ebenfalls manch Erhellendes zum Buch und zur Arbeit aufzeigen wird.

Von meiner Seite kommt ein übermütiger Dank und eine große Gratulation zu seinem 1500. Beitrag!
Sein 1500. Beitrag!
Man lasse diese Zahl auf sich wirken.
In diesem Sinne meine allergrößte Hochachtung.

Es grüsst eine befreundete Weggefährtin in Sachen Literatur Ende des Jahres 2023 mit den allerbesten Wünschen für sein weiteres Schaffen.
Ruth Loosli

Buchgeflüster #SchweizerBuchpreis 22/5

Hier flüstern Manuela Hofstätter von lesefieber.ch und ich über Bücher, die Nominierten, den Schweizer Buchpreis 2022 und überhaupt … 

Liebe Manu

Wir, die wir uns ein Leben ohne Bücher, ohne Literatur gar nicht vorstellen können, unterhalten uns mit aller Selbstverständlichkeit über ein Medium, das nicht aus unserem Leben wegzudenken ist. Dass Bücher und Literatur aber nur für einen kleinen Anteil der Gesellschaft von so unabdingbarer Notwendigkeit sind, lässt sich nicht abstreiten. Ganz offenbar können Menschen ganz gut ohne ein Buch. Aber nicht ohne Geschichten. Geschichten brauchen wir. Unsere eigene kann niemals genügen. Wir erzählen einander, die einen telefonieren oder bangen auf die nächste Montagsausgabe ihrer Lieblingsserie. Wir lassen uns im Theater oder Kino wegtragen. Selbst Musik macht Geschichten im Kopf. Dass wir jenen Erwachsenen, die den Zugang zum Buch nie fanden oder ihn irgendwann unwiederbringlich verloren, mit einem Schweizer Buchpreis das Lesen neu eröffnen, glaube ich nicht. Was da in den Medien um Bücher raschelt, rauscht und rumort, vernehmen bloss jene, die die Ohren in jene Richtung öffnen. Heisse Tropfen auf kalte Steine?

Liebe Grüsse
Gallus

 

Lieber Gallus,

wahre Zeilen, welche ich da von dir lese, ich stimme dir fast zu. Warum nur fast? Ich bin mir absolut sicher, die Leserschaft ist sich beständig am vergrössern, ich betreibe diesbezüglich ja Aufwand und halte die eben gar nicht so rare Spezies der Bibliophilen in Fotografien fest. Wenn ich am Reisen bin mit dem ÖV gerate ich eigentlich immer an Lesende jeglichen Alters und Geschlechts heran und wie da so viele Hände auf so unterschiedlichste Art Buchseiten behandeln, das bringt mich zuweilen in Ekstase. Aber gewiss, wir möchten uns hier ja austauschen mit Blick auf den Schweizer Buchpreis, ich weiss, unser unermüdliches Treiben auch hier, Bücher zu neuen Lesern zu bringen ist und bleibt meist doch nur ein sich selber Feiern, wir erreichen unseresgleichen und damit Punkt. Doch ich will nun Ausschau halten, wer liest ein nominiertes Buch unterwegs? Von wegen nominierte Bücher lesen, lieber Gallus, nach welchem hast du zuerst gegriffen? Ich nach dem «Pommfritz», wobei ich das Werk weglegen musste, Ekel hat mich ergriffen, gepaart mit einer Neugierde zugleich, bald lese ich weiter … Literatur ist Kunst und Kunst soll alles dürfen, ich kann ja entscheiden, was ich lesen will, also wer will den «Pommfritz» lesen? Würdest du, geschätzter Gallus, dieses Werk jemandem verschenken? Ich sende dir herzlichste Grüsse, auch ungeduldige das geb ich zu, denn der Austausch mit dir ist für mich das Kostbarste rund um den Schweizer Buchpreis herum.

Manu

Liebe Manu, lieber Gallus, Teil 2 #SchweizerBuchpreis 21/10

Liebe Manu
Ein «fresh-up»? Da ist der Schweizer Buchpreis noch nicht einmal 15 Jahre alt und schon sollte man ihn aufhübschen? Noch nicht einmal volljährig und schon ein Lifting? Der Nobelpreis für Literatur ist 120 Jahre alt. Ein greises Ding! Kein Wunder sind dort die Strukturen wacklig und Stimmen laut, die nach Erneuerung rufen. Klar, die beiden Preise sind in nichts zu vergleichen, zumal beim Nobelpreis ein Name gefeiert wird und beim Schweizer Buchpreis ein Buch, das sollte so sein. Wahrscheinlich liegt genau dort die Schwierigkeit des Buchpreises. Hinter jedem Buch steht ein Name. Und Namen von Schwergewichten in der Literaturszene wiegen eben doch viel mehr.
Und doch hätte auch ich „Verbesserungsvorschläge“, auch wenn mich niemand danach fragt (ausser du). Beim Österreichischen Buchpreis gibt es neben dem eigentlichen Buchpreis einen Debütpreis. Das entschärft das Nebeneinander von Schwergewichten und Einsteiger:innen doch beträchtlich. Zudem finde ich eine Shortlist mit nur 5 Namen kläglich. Im Vergleich zu unseren Nachbarn macht das den Eindruck, als hätten wir nicht mehr zu bieten. Ist das helvetische Bescheidenheit oder die Schüchternheit der Neutralen? Der Jahrgang hätte noch mehr zu bieten gehabt? Was meinst du?
In ein paar Tagen mache ich eine Auszeit in einem kleinen Häuschen im Misox. Ich werde lesen und schreiben. Hoffentlich auch unter der Sonne. Besuchst du mich?
Liebe Grüsse Gallus

Lieber Gallus,
vorneweg, nichts täte ich gerade lieber, als mit dir im Misox dem Verfärben der Natur zuzuschauen. Ich habe gerade viele Auftritte zum Glück, daher kann ich nicht einfach die Koffer packen und auch der Schulbetrieb der Kinder verlangt mir einiges ab. Was du schreibst, gefällt mir, einen Debütpreis würde ich absolut begrüssen.
Von wegen Debüts, ich habe nun den Duarte wie die Sutter gelesen und gestehe, ich bin beeindruckt. Welchen Eindruck hast du von Duartes Erzählperspektive? Eine Buchhändlerin, welche schreibt, gab es schon oft, aber Veronika Sutter wagt sich sogar an Geschichten und verwebt diese gleich untereinander, gelungen? Ich möchte bald die Besprechung zu «Grösser als du» schreiben, aber je länger ich mich mit Büchern beschäftige, desto schwieriger gestaltet sich das für mich, ich befürchte immer, den Werken auch nicht nur annähernd gerecht zu werden. Du klingst immer so souverän, wenn du schreibst, lieber Gallus, fliesst deine Feder leicht oder haderst du auch manchmal?
Sonst denke ich, ist der Schweizer Buchpreis selbstbewusst und gelassen aufgestellt, er zieht sein Ding durch und kann sich sehen lassen neben den «grossen» Nachbarn. Ich freue mich auf deine Antwort, beame mich in Gedanken mal eben zu dir und hirne daran herum, ob wir uns nicht doch noch real treffen könnten vor der Verleihung …
Herzlich Manu

Liebe Manu
Das Tessin ist leider schon längst Geschichte. Aber es waren wunderschöne Tage, eingetaucht in Literatur, ins Schreiben und die Lektüre. Wir beide sind Streiter (*) für das gute Buch, Missionare in Sachen Literatur. Aber so wie Lucky Luke bei seinen Abenteuern stets alleine in den Sonnenuntergang reitet, so ist man es auch in Sachen Literatur. Seien es die Schreibenden, die in ihren Stuben, an ihren Tischen, mit Griffel oder Tasten an ihren Texten schleifen, seien es jene, die die Fanfaren blasen, die Tafeln hochhalten. Leider demonstrieren die Menschen nicht für das gute Buch, für den heissen Atem der Kultur. Was wird dereinst bleiben in der Zukunft? Woran erinnern wir uns? Was von der Vergangenheit wird bleiben? Die Kultur!
Ich hadere nicht beim Schreiben. Je länger ich es tue, umso leichter scheint es mir zu fallen. Ich hadere viel mehr mit mir selbst. Vor allem dann, wenn mich Freunde auf mein Schreiben ansprechen und nicht verstehen können, was ich an dem „Schund» so gut finde. Ich habe einen Sohn, der fast ausschliesslich russische Klassiker liest und für das, was ich lese, nur ein müdes Lächeln übrig hat. Ich hadere, wenn ich mit Schreibenden zusammensitze und sie mich bitten, jetzt mal ganz ernsthaft zu erklären und zu erläutern. Ich hadere manchmal, wenn ich eine Lesung organisiere von Schreibenden, die mir am Herzen liegen, alles da ist und fast niemand kommt. Ich hadere manchmal, wenn ich ein Buch nach 50 Seiten resigniert zur Seite lege und Tage später eine hymnische Rezension lese. Doch, doch, ich hadere oft.
Aber letzthin lud mich ein schreibender Freund in die Kronenhalle in Zürich zum Essen ein. „Für all das, was du für die Literatur tust“, meinte er. Da haderte ich nicht.
Bei der letztjährigen Buchpreisrunde staunte ich über die Experimentierfreude der beiden Frauen bei den Nominierten, über die Bücher von Dorothee Elmiger und Anna Stern. Und prompt erhielt Anna Stern den Preis, was mich zum einen überraschte und zum andern für den Preis einnahm. Gemessen an der Experimentierfreude müsste Thomas Duarte den Preis bekommen. Aber diese eine Qualitätsmerkmal kann wohl nicht jedes Mal das Zünglein an der Waage sein. Vielleicht ist es dieses Mal die Farbenfreude!
Wir treffen uns bald. Und dann stossen wir an; auf die wackeren Streiter:innen für die Literatur!
Herzlich Gallus

Lieber Lucky Luke, lieber Gallus,
wir haben uns kürzlich getroffen, das war wunderschön, dich einmal näher kennenzulernen und beisammen sein zu dürfen. Deine Texte haben für mich einen absolut literarischen Sound und ich könnte mir gut vorstellen, ein Buch von dir in den Händen zu halten, und ich wäre gewiss nicht die einzige Leser:in. Wirst du das auch oft gefragt, ob du nicht ein Buch schreiben willst? Mich fragen das die Leute fast wöchentlich und ich winde mich dann immer ein wenig um eine klare Antwort herum. Gewiss habe ich seit Kindesbeinen an bereits eine beachtliche Anzahl von Büchern geschrieben. Die meisten zum Glück für die Umwelt nur in meinem Kopf, einige wenige fürs Altpapier. Jetzt ist eine Buchhändlerin mit ihrem ersten Wurf für den Schweizer Buchpreis nominiert – nicht schlecht, so durchstarten zu dürfen. Aber so geht es ja auch Herr Duarte. Bald sehen wir uns und wir werden wissen, wer den Preis bekommt. Ich war in ein paar Buchhandlungen unterwegs und traf auf wenig bis gar keinen Raum für die Nominierten, dies hat mich doch erstaunt und ich denke an deine Zeilen, es ist tatsächlich oft eine krass einsame Sache für Literatur einzustehen. Dabei finde ich die vier Werke wirklich allesamt herausragend und absolut lesenswert wie auch lesbar für eine breite Leserschaft. Ich darf ja seit einiger Zeit noch alle zwei Monate eine Radiosendung rund ums Buch für ein digitales Radio liefern, jetzt ist dieser Kanal beachtet und wirft sogar etwas ab, Leidenschaft des Gründerpaares trägt Früchte, leider aber müssen diese Gründer nun aus gesundheitlichen Gründen ihre Arbeit und ihr Radio aufgeben. Ich werde vielleicht im Dezember meine letzte Sendung für den Kanal machen und habe beschlossen, die vier Nominierten dann vorzustellen. Vielleicht passiert ja noch ein Wunder und es übernimmt jemand den Radiokanal.
Gallus, noch ein paar «heisse» Fragen im Endspurt um den Schweizer Buchpreis an dich: Was stört dich an Helvetismen im Buch einer Schweizer Autorin? Was würdest du tun, wenn man dich in die Jury bitten würde nächstes Jahr? Kannst du ein Werk nennen, das anstelle von Krachts Platz nominiert hätte sein sollen? Es gibt ja eben keine Verlierer am Sonntag in Basel, hoffen wir auf viele Besucher:innen und eine eindrückliche Veranstaltung. Ich freue mich auf Basel!
Herzlich, Manu

Liebe Manu
Ob ich ein Buch schreiben könnte? Die Frage ist, ob ich ein Buch schreiben sollte. Ich denke nicht. Ich weiss sehr gut, wo meine Grenzen liegen. Ich lese immer wieder Bücher, die mir mehr als deutlich vor Augen führen, wo meine Fähigkeiten aufhören würden, dass es mir schlicht am Talent fehlt, oder zumindest an der Überzeugung, ich hätte welches. Klar, ich schreibe auch. Klar war da einmal vor vielen Jahrzehnten ein Wunsch, eine Sehnsucht. Aber lieber kein Buch als eines, für das ich mich schämen müsste. Und lieber kein Buch, als um jeden Preis (wörtlich) ein Konstrukt zum Erscheinen bringen. Es gibt genüg Bücher, auf die die Welt verzichten könnte. Ich bin Leser, das genügt, braucht es doch neben jenen, die schreiben, auch jene die lesen. Es sollten ja auch nicht alle reden. Es braucht Zuhörer:innen – und zwar gute, aufmerksame.
Was mich an Helvetismen stört? Nichts. Sie stören mich nur dann, wenn sie zufällig auftauchen, wenn ich das Gefühl habe, sie sind durch ein Lektorat geschlüpft, wenn sie nicht Programm, klare Absicht sind.
Juryarbeit für den Schweizer Buchpreis? Eine solche Anfrage würde mich durchaus reizen. Vor allem die Diskussionen in der Jury, die Art und Weise, wie andere an ein Buch herangehen, schmecken, riechen und kosten. Aber ich glaube, dass ich absagen müsste. Es würde meine Kapazitäten wohl übersteigen, lese ich doch als Webseitenbetreiber und Veranstalter schon einiges neben einem Brotberuf, der auch nach 37 Dienstjahren nicht ohne grosses Engagement zu leisten ist.
Ein fünftes Rad am Wagen? „Offene Fenster, offene Türen“ von Hansjörg Schertenleib wäre … hätte, hätte, Fahrradkette
Auf, auf, an die BuchBasel!
Gallus

Liebe Manu, lieber Gallus #SchweizerBuchpreis 21/2

Manuela Hofstätter (lesefieber.ch) und Gallus Frei (literaturblatt.ch) sind mit ihren Webseiten die offiziellen Buchpreisbegleiter des Schweizer Buchpreises 2021.

Ein Mailwechsel zum Thema:

Liebe Manu,
dass die Zeiten hart und wirr sind, brauche ich nicht zu erläutern. Auch dass es für Kulturschaffende und all jene, die an diesem Geschehen mitgestalten schwierig ist, muss nicht nacherzählen werden. Die Medien sind voll davon. Wir beide als Literaturvermittler (ich verzichte für einmal auf ein Genderzeichen, weil es in diesem Fall einfach doof ist) hatten auch Abstriche zu machen. Auch solche, die weh taten. Aber eines blieb: Das Buch und das Lesen. Was gab und gibt dir das Lesen in diesen Zeiten? Hat sich der Akt des Lesens verändert?
Gallus

Lieber Gallus,
du hast ja so recht und es ist in aller Munde, die Welt steht kopf zurzeit. Ich versuche mich richtig zu verhalten und leide aber unter der Unmenschlichkeit, die zunehmend überhandnimmt. Ja, was bleibt, ist das Buch und das Lesen, ich bin sicher, die Menschen lesen mehr denn je zuvor und ich meine dabei nicht die Berichterstattung der Medien, ich merke tatsächlich, es wird zum Buch gegriffen. Mein Leseverhalten hat sich tatsächlich verändert, ich habe einen neuen Lesesessel, der ist so bequem, ist das Buch nicht gut, schlafe ich ein. Mein Sessel unterstützt mich also bei meiner Wahl, was es zu lesen gilt. Auch was die Genres betrifft, bemerke ich eine Veränderung, ich habe mich nach erheiternder Literatur umgesehen und merke, Humor ist sehr kostbar und wichtig für mich, aber auch dem Krimi habe ich mehr Raum gegeben, der lenkt mich von allem ab und ich hänge plötzlich an dicken Büchern, gerne historischen Romanen, in eine vergangene Zeit einzutauchen, das finde ich momentan das Herrlichste. Die Belle époque etwa hat mich überaus gefesselt. Was meinst du, lese ich mich aus unserer problematischen Zeit hinaus? Ich werde mich nun mit den nominierten Büchern befassen, ich bin gespannt, wie du diese lesen wirst. Warst du auch überrascht von dieser Auswahl? Welches Werk wirst du nun zuerst lesen? Fragen über Fragen, ich bin eine neugierige Kollegin und ich freue mich auf diesen Austausch mit dir. Sei herzlich gegrüsst
Manu

Liebe Manu,
ich glaube, dass das Aus-der-Zeit-lesen zu jeder Zeit legitim ist, selbst dann, wenn es eine Flucht vor den aktuellen Problemen der Zeit ist. Lesen ist doch immer zu einem gewissen Teil Unterhaltung. Man will weggetragen werden, versinken, sich von Sprache verzaubern lassen. Schön, wenn sich beides verbinden lässt; das Hineintauchen in eine neue Welt und die Selbstreflexion während der Lektüre. Ich liebe Bücher, die das alles verbinden. Bücher, die Räume gegen innen und gegen aussen öffnen. Bücher, die mich nicht nur mit einer Geschichte locken, sondern die Sprache zu einem Instrument werden lassen, das zuweilen virtuos gespielt wird.
Klar überrascht mich die Liste der Nominierten des Schweizer Buchpreises jedes Jahr, aus ganz verschiedenen Gründen. In jedem Fall reibe ich mir die Augen. Da sind die einen Bücher, die ohne die Nomination völlig an meinem Blick vorbeigegangen wären, bei denen ich froh bin, dass mich die Liste laut auffordert. Zum andern sind es jedes Jahr Namen, die ich vermisse. Wie sollte es auch anders sein, bei 5 Nominierten. Wäre ich in der Jury des Schweizer Buchpreises, dann … es lebe der Konjunktiv. 
Fazit meiner ersten Gedanken zu den 5 Namen: Wie immer versucht sich die Jury in Ausgewogenheit, was eigentlich unmöglich ist. Nach der letztjährigen Buchpreisträgerin Anna Stern sind es drei Männer und zwei Frauen. Nett, dass man auch zwei Debüts mit ins Rennen schickt, auch wenn es noch nie ein Erstling aufs Podest schaffte. Aber schlussendlich schafft die Jury die Überraschung ja dann doch. Warum kein Debüt, wird doch das eine Buch hervorgehoben und nicht das Werk. Warum nicht, der eine, der den Preis schon einmal entgegennehmen durfte, auch wenn es das meines Wissens auch in unserer Nachbarschaft ich nie gab. Warum nach zwei Preisträgerinnen nicht noch einmal ein Frau, ist das Buch doch sächlich.
Ich lese gerade eben „Eurotrash“ von Christian Kracht. Sprachlich ganz eigen und bestechend.
Liebe Manu, wenn man dich in die Jury setzen würde, welche Linsen würdest du bei der Auswahl deiner Favoriten aufsetzen? Was wäre dir wichtig?
„Lesen hilft immer.“
Gallus

Lieber Gallus, 
verzeih, es sind ein paar Tage verstrichen, es hat «gekracht», ich bin mir sicher, die Lektüre von «Eurotrash» wird Dich dennoch beschäftigen. Gewinnt Kracht gar den Deutschen Buchpreis? Zu deiner Frage, ich habe tatsächlich Erfahrungen sammeln dürfen, was Juryarbeit betrifft, ich kann daraus nur eine Erfahrung ziehen, die Entscheide sind immer Wundertüten, hinter denen dennoch intensive Arbeit steckt. Ich gestehe, ich sässe gerne einmal in der Jury beim Schweizer Buchpreis, ich bin ja Buchhändlerin und somit beantworte ich deine Frage recht lapidar, ich würde mein Augenmerk beim Wählen der Favoriten ganz und gar auf meine Intuition setzen. Dies heisst: Welches Werk berührt mich, aus welchen Gründen auch immer, welches Werk vermag viele Lesende zu bewegen? Schliesslich geht es immer um eine Beziehung, die da eingegangen wird zwischen einem Werk und seiner Leserschaft. Mich würde es auch erfreuen, wenn die Jury nicht alleiniges Entscheidungsorgan sein würde, ich weiss aber, wie heikel das ist, ein Publikumsvoting dazuzunehmen. Wir sind ja schliesslich nicht bei irgendeinem kuriosen Wettbewerb, nicht wahr, wir sind hier beim Schweizer Buchpreis. Wobei, lieber Gallus, so ein «fresh up» würde dem Schweizer Buchpreis doch ganz guttun, oder nicht? Bin ich da zu forsch, was meinst Du, kannst Du Dir vorstellen, diesen Preis ganz anders auszurichten? Auf zu neuen Ufern, das gefällt mir immer, doch oft befinde ich dennoch, Schuster bleib bei deinen Leisten …
Ganz anregende und herzliche Grüsse an Dich 
Manu
 

1000mal Literatur – 1000mal literaturblatt.ch

1000 Artikel auf der Literaturplattform «literaturblatt.ch». 1000mal war das Buch im Zentrum. 1000 Aufrufe, Bücher zu lesen – und zwar die richtigen. Rezensionen, Interviews, Berichte, Veranstaltungshinweise und viele Gastbeiträge von Schriftstellerinnen und Schriftstellern. 1000mal Danke!

«Ich bin gerade im Urlaub und geniesse es, den Literaturbetrieb ganz weit wegzuschieben, aber Ihre Literaturseite hat mit all dem, was mich daran nervt und herausfordert, so gar nichts zu tun. Wunderbar», schrieb Mareike Krügel, nachdem ich ihr meine Rezension zugesandt hatte. Auch für mich wunderbar, denn durch Begegnungen bei Lesungen und Interviews wird aus der Lektüre eines oder mehrerer Bücher ein kostbares Stück Vertrautheit, manchmal gar eine Freundschaft. Mein grösster Lohn für das Schreiben!

Danke Ruth Loosli

Vor etwas mehr als fünf Jahren ging mein erster Bericht online. Niemand las ihn, als er erschien, denn niemand kannte das, was damals ganz zaghaft seinen Anfang nahm. Damals, es war eine schwere Zeit für mich, eine eigentliche Lebenskrise, schrieb und zeichnete ich schon meine «analogen» Literaturblätter, organisierte Lesungen, darunter Hauslesungen bei uns zuhause im Wohnzimmer und verschiedene Lesekreise. Die Webseite sollte eine Werbeplattform sein, ein kleines Nebengeleise. Aber es kam ganz anders. Heute investiere ich den grössten Teil meiner Literaturvermittlung in literaturblatt.ch. Nicht nur weil hier mein Publikum am grössten ist, sondern weil die Plattform längst zur Grundlage meines Engagements geworden ist.

Ich verneige mich vor der Literatur, der Kunst, die so oft ganz uneigennützig, nur seiner selbst Willen geschieht. Vor all jenen, die sich mit ganzer Kraft und unsäglicher Leidenschaft und Disziplin an die Erschaffung der Welt machen, denn in der Kunst spiegelt sich die Wirklichkeit.

Ich würde mich freuen, wenn es zum 1000sten Bericht auf literaturblatt.ch einige Reaktionen gäbe, die ich dann wiederum veröffentlichen darf. -> info@literaturblatt.ch!

«Tausend! Potztausend. Der Tausendfüssler hat weniger Beine als gemeinhin angenommen. Tausend Beiträge auf Literaturblatt.ch sind viel mehr Arbeit, als man denken sollte. Ja, Arbeit. Wer wüsste das besser als wir, die schreiben? Erst kommt die Denkarbeit. Lesen und denken, das ginge ja noch. Wenn man nur nicht die Gedanken in Worte fassen müsste. Und dann auch noch Worte finden über die Worte und Sätze der anderen. Das ist eine ganz eigene Disziplin. Über Literatur schreiben. Oscar Wilde war der Ansicht, dass sei sogar eine grössere Kunst als das literarische Schreiben selbst. In jedem Fall erfordert es Kenntnis und Verständnis, den Kopf und das Herz. Und ein bisschen verrückt muss man sein. Ein Tausendsassa. Herzlichen Glückwunsch Gallus Frei-Tomic. Schön, dass Sie auf wunderbare Art vom Hundertsten ins Tausendste gekommen sind. Auf tausend mehr! Ihre Daniela Engist.»

Am 4. Januar 2016 ging literaturblatt.ch aufs Netz!

Seit 5 Jahren existiert literaturblatt.ch.

5 Jahre intensive schriftliche Auseinandersetzunge mit Literatur. 5 Jahre, in denen literaturblatt.ch zu viel mehr wurde, als ich mir zu Beginn erträumte. 5 Jahre, die mir zu einem grossen Geschenk wurden.

Was vor ein bisschen mehr als 5 Jahren begann, ist zu einem stolzen Bäumchen geworden. Damals schenkte mit mein Schwiegersohn die Domain literaturblatt.ch, weil er meinte, mit meinen gezeichneten und von Hand geschriebenen Literaturblättern bloss auf die analoge Schiene zu setzen, wäre zu wenig. Aber was dann einfach ein digitales Pendant werden sollte, machte sich selbstständig, überflügelte das analoge Literaturblatt und mauserte sich zu einer Stimme, die ganz offensichtlich gerne und oft gelesen wird.

Ich bedanke mich bei allen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Dichterinnen und Dichtern, die mir in unzähligen Mailinterviews ihre Zeit schenkten. Ich danke ihnen auch für den Zuspruch und all die freundschaftlichen Begegnungen bei Lesungen und Festivals. Ich danke ihnen auch, weil Literatur und Lesen dadurch noch viel tiefer wurde, zu einem Teil meines Lebens, auf den ich nicht mehr verzichten möchte.

Ich bedanke mich bei den Verlagen, bei den grossen und bei den kleinen, die mir grosszügig Rezensionsexemplare zusenden und mich zu einem Teil ihres Unternehmens machen, die mich mitnehmen, die mich immer wieder überraschen und verzücken, die mir zeigen, wieviel Herzblut und Leidenschaft es in dieser Branche gibt, weit übers blosse Geldverdienen hinaus.

Ich bedanke mich bei den Organisatorinnen und Organisatoren verschiedenster Literaturfestivals, allen voran dem Literaturfestival Leukerbad, das mich zu einer Zeit unterstützte, als literaturblatt.ch noch kaum wahrgenommen wurde. Oder das Literaturfestival Wortlaut in St. Gallen, das mich mit ins Boot holte. Oder das Literaturfestival Literaare in Thun, das ich begleiten darf. Die BuchBasel, der Schweizer Buchpreis, die Solothurn Literaturtage, die Lyrikfestivals in Lenzburg und Basel …

Ich bedanke mich bei all den Menschen, die literaturblatt ganz direkt unterstützen, sei es mit Gastbeiträgen oder einem finanziellen Zustupf als Abonnentinnen und Abonnenten der analogen Literaturblätter.

Ich bedanke mich bei den Leserinnen und Lesern von literaturblatt.ch. Gäbe es sie nicht, wäre all das nicht entstanden, was weit über diese Literaturwebseite hinausgeht; all die Lesungen, die ich moderieren darf, die Einladungen an Festivals, die Spaziergänge und Gespräche eingetaucht in Literatur, die Freundschaften, die dadurch entstanden sind.

Wenn Sie mir ein verbales Geschenk machen wollen, dann schreiben Sie doch bitte ins Gästebuch oder direkt an info@literaturblatt.ch. Wie sehr mich das freuen würde!

Wenn ich einen Wunsch hätte: Seit fast 5 Jahren veröffentlichen immer wieder Schriftstellerinnen und Schriftsteller Gastbeiträge, für die ich dankbar bin, für die ich aber (leider) nie ein Honorar bezahlen kann. Ich wünsche mir GönnerInnen oder SponsorInnen, die es mir erlauben, qualitativ hochstehende Gastbeiträge wenigstens «freundlich» bezahlen, honorieren zu können!

Risse in der Idylle; Krimilesung von Sandra Hughes an der Kulturnacht Amriswil

«Spätestens wenn man sie nicht mehr hat, merkt man, wie wichtig sie ist.» Das gilt auch für Kultur – oder erst recht. Und es braucht schon eine ordentliche Portion Mut und Aufwand, in diesen Zeiten eine Kulturveranstaltung zu organisieren, die einen ganzen Ort mitnehmen soll. Die kleine Stadt Amriswil im Herzen des Thurgaus trotzte allen Ängsten und lud ein zur 2. Amriwiler Kulturnacht.

«Es war eine Meister- und Monsterleistung wie die verschiedenen Plattformen sich engagiert und organisiert haben. Es war eine Stimmung der Superlativen, alle haben sich gegenseitig geholfen, waren dankbar für die Durchführung, bereicherten sich an der kulturellen Vielfalt, waren berührt und begeistert von Begegnungen. Und auch das wunderbare Herbstwetter hat zum Geniessen eingeladen. Endlich wieder Leben mit Kultur!», schrieb die OK-Präsidentin und Stadträtin Madeleine Rickenbach in einer Mail an all jene, die sich in die Liste der VeranstalterInnen eingeschrieben haben.

Als ich zusammen mit der Schriftstellerin Sandra Hughes über den Marktplatz auf das Pentorama zuging, musste die Schriftstellerin erst einmal stehen bleiben und ihr Handy zücken, um ein Foto von dem Veranstaltungsort zu schiessen. «Das glaubt mir kein Mensch!» Wenige Wochen vor der Durchführung der Kulturnacht hatte man uns am ursprünglichen Ort «ausgeladen», weil eine coronakonforme Durchführung einer Lesung nicht gewährleistet werden konnte. So verschob man kurzerhand ins Pentorama, in eine Halle, die voll mehrere tausend BesucherInnen fassen kann. Eine Krimilesung in einer Halle? Würde das gut gehen?

Es ging gut. Auch wenn sich der Ansturm auf die Lesung in Grenzen hielt, war doch die Konkurrenz von Dutzenden anderer Veranstaltungen im Ort gross, vielfältig und potent. Sandra Hughes nahm die Lauschenden mit nach Meride in die Pastamanufktur der Familie Savelli ,einer alteingesessenen Pastadynastie im Ort. Eine kleine Fabrik mit langer Tradition, eine Perle im Ort am Fusse des Monte San Giorgio, Weltkulturerbe und weit herum bekannt für seine prähistorischen Fossilienfunde. Die junge Kindergärtnerin Stefanie Schwendener wird eines Morgens vom alten Patron der Pastamanufaktur tot im Kühlraum der kleinen Fabrik gefunden. Eine Katastrophe für die Familien, jene des Opfers, die der Manufaktur und fürs Dorf, das sich in Schockstarre befindet.

Sandra Hughes neues Ermittlerduo, die eigenwillige Emma Tschopp aus der Region Basel und der Tessiner Commissario Bianchi, wird auch in weiteren Krimis gemeinsam ermitteln. Die Fährte ist gelegt!
Eine gelungene Lesung vor aufmerksamem Publikum. Ein angeregtes Gespräch über menschliche Abgründe und das Glück des Schreibens. Vielen Dank an Sandra Hughes und die Gäste im Pentorama!

Rezension von «Tessiner Verwicklungen» auf literaturblatt.ch

alle Fotos © Bettina Schnerr

literaturblatt.ch Begleiter des Schweizer Buchpreises

«Ich zeichne und schreibe und bin ganz mein Tun.» Gallus Frei-Tomic ist Literaturvermittler, Programmleiter am Literaturhaus Thurgau und «Erschaffer von Literaturblättern». Die Kurzrezensionen in Form von handgefertigter Zeichnung und Schrift heben das Buch in seiner Besonderheit hervor und verleiten zum Innehalten. Bereits 2019 hat Gallus Frei-Tomic für den Schweizer Buchpreis auf literaturblatt.ch gebloggt und dabei etwa gefragt: «Vergiften Wettbewerbe die Literatur? Oder den Literaturbetrieb?» Nun sind wir gespannt auf seine Beobachtungen rund um den diesjährigen Schweizer Buchpreis und fragen ihn: Was wünscht er sich für den Schweizer Buchpreis 2020?

Gallus Frei-Tomic: «Mut! Der Schweizer Buchpreis ist bloss der Schweizer Buchpreis! Mut in der Auswahl zur Shortlist! Mut bei der Preisverleihung. Das beste Buch? Die aktuelle Literatur ist keine steinerne Pyramide mit einer einzigen Spitze, sondern ein bunter, praller Haufen!»

Aus der Reihe «Literaturzeitschriften stellen sich vor»: literaturblatt.ch – SEIEN SIE DA!

Nach den Literaturzeitschriften orte und und Mütze stellt der Schriftsteller Peter K. Wehrli in der Röslischür des Vereins Quartierkultur Kreis 6 die Literatur»zeitschrift» literaturblatt.ch vor. Zusammen mit der Schriftstellerin Bettina Spoerri und dem Schriftsteller Andreas Neeser und unterstützt vom Jazzduo Stories zeigt sich, was Literatur alles zu bewegen vermag:

AM 19. SEPTEMBER SIND SIE HERZLICH EINGELADEN!
Webseite des Veranstalters

© Ayşe Yavaş

Bettina Spoerri ist in Basel aufgewachsen, studierte in Zürich, Berlin und Paris Literaturwissenschaft, Philosophie und Musikwissenschaft, arbeitete nach einem längeren Aufenthalt in Israel als wissenschaftliche Assistentin am Deutschen Seminar der Universität Zürich und promovierte zum Thema literarische Todesdarstellungen. In u.a. einer Post-Doc-Arbeit beschäftigte sie sich mit transnationaler und kosmopolitischer Literatur. Sie ist Mitherausgeberin des Buches «Diskurse in die Weite». Bettina Spoerri arbeitet heute als freie Autorin, Filmkritikerin, Kulturvermittlerin und leitet das Aargauer Literaturhaus. Ihr letzter Roman «Herzvirus» erschien bei Braumüller.

© Ayşe Yavaş

Andreas Neeser, geboren 1964, studierte Germanistik, Anglistik und Literaturkritik an der Universität Zürich. Von 2003 bis 2011 Aufbau und Leitung des Aargauer Literaturhauses Lenzburg. Seit 2012 lebt er als Schriftsteller in Suhr. Für sein formal und inhaltlich vielfältiges Werk wurde er mit zahlreichen Auszeichnungen und Preisen bedacht.
Mitglied von Autor/innen der Schweiz (AdS), Deutschschweizerisches PEN-Zentrum und VAA. Mitglied der Jury für den Franz-Tumler-Preis. Letzte Veröffentlichungen sind im Haymon Verlag der Roman «Zwischen den Wassern» und im Zytologge Verlag «Nüüt und anders Züüg». 2020 wird sowohl ein neuer Roman wie auch neue Mundartprosa erscheinen.

Jazzduo STORIES sind Christian Berger (Saiteninstrumente) & Dominic Doppler (Drums). Christian Berger und Dominic Doppler erzählen musikalische Geschichten in vielfarbigen Klangräumen. Eine Musik, die verführt und die Seele in verborgene Klangwelten entführt. So entstehen Stücke die sich im Spannungsfeld von Komposition und Improvisation entwickeln.

Kommen Sie in die Röslischür an der Röslistrasse 9, Zürich.
Im Anschluss sind alle bei Musik zu einem Apéro eingeladen.

Quartierkultur Kreis 6
Stories
Webseite Bettina Spoerri
Webseite Andreas Neeser
Webseite Peter K. Wehrli