Ich gratuliere Sibylle Berg als Schweizer Buchpreisträgerin 2019. Ich gratuliere ihr zu ihrem Buch, ihrem Schreiben, weil sie es durch Sprache und Erzählen schafft, viel mehr als bloss Geschichten zu transportieren. Ich gratuliere ihr zu dieser Kraft, die aus dem Buch entströmt, dass sie sich mit jedem Buch neu erfindet, ihrem Bestreben, mit ihrem Schreiben nicht nur sich selbst und ihren LeserInnen schmeicheln zu wollen.
Nun ist der Preis aber auch schon wieder Geschichte. Andere Preise in der Literatur hallen noch immer nach, wenn auch nicht durch die prämierte Literatur, sondern in der Wirkung, die sie auslösen. Es ist zu bezweifeln, dass durch die Schlacht, die nach der Nobelpreisverleihung medial ausgetragen wurde, jemand beginnt, die Bücher von Peter Handke zu lesen.
Vergiften Wettbewerbe die Literatur? Oder den Literaturbetrieb? «Literatur bewegt!», meinen die einen. «Kunst ist nicht deren Wirkung!», mahnen die andern.
Wie sollen Bücher mit anderen gemessen werden? Wie soll aus der schieren Menge an Veröffentlichungen, nach welchen Kriterien auch immer, ein einziges auf ein Podest gehoben werden, um dieses als Sieger zu küren?
Sibylle Bergs Roman «GRM Brainfuck» steht auf diesem Podest. Ivna Žic, Tabea Steiner, Simone Lappert und Alain Claude Sulzer blieben bei der Preisverleihung in der ersten Reihe sitzen, mehr oder weniger gefasst. Gerechtfertigt? Ist «GRM Brainfuck» nun der beste Roman, der irgendwie mit der Schweiz in Verbindung gebracht werden kann? Es ist müssig darüber zu diskutieren. Die Jury hat entschieden, Sibylle Berg ihr Preisgeld und den Blumenstrauss, ihren Platz in der illustren Liste der PreisträgerInnen und die Gewissheit, dass dieses eine Buch sich dank der medialen Aufmerksamkeit besser verkaufen lässt. Besser verkaufen? I wo! Wer bei Verlagen nachfragt, staunt!
Lässt sich Kunst vergleichen? In einen Wettbewerb setzen? Niemand vergleicht den Maler Gerhard Richter mit Fischli / Weiss. Niemand Anne-Sophie Mutter mit Nora Jones, Brad Pitt mit Martina Gedeck. Wer glaubt schon wirklich, den besten Film des Jahres zu sehen, wenn man der Oscarjury folgt.
Wer mit Ambitionen wettkampfmässig schwimmt, will Bestzeiten, im Wettbewerb gewinnen. Aber Literatur wird nie in ein Raster passen, in dem «objektiv» verglichen werden kann. Literatur muss sich nicht in einem Wettbewerb beweisen, bloss durch Relevanz. Und diese wird nicht durch Wettbewerbe bewiesen, nicht einmal durch die Verkaufszahlen eines Buches. Literatur muss nichts, nur überzeugen, schon gar nicht «besser» sein. Literatur ist Sprache. Und alles, was in Sprache messbar sein könnte, verflüchtigt sich, wenn einem bewusst ist, dass SchriftstellerInnen, DichterInnen KomponistInnen sind: an Sprache, an Klang, Dramaturgie und Konstruktion, Raffinesse und Überraschung.
Sibylle Berg hat ihn verdient, ihr Roman hat mich überzeugt. So wie mich in diesem Jahr alle Bücher auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises in ihrer ganz speziellen Art überzeugten. Ein guter Jahrgang.
Aber niemand kann so sehr auf einen solchen Wettbewerb verzichten, wie die Literatur selbst.
Ist ein solcher Wettbewerb «Leseförderung für Erwachsene»? Verkaufsförderung für den Buchhandel? Publizität für gewissen Köpfe im Literaturbetrieb (meiner eingeschlossen)? Reicht es, die Webseite schweizerbuchpreis.ch zu starten, einer Jury die Bücher zuzuschanzen, die ShortlistautorInnen auf Lesereise zu schicken? Eine medial unterstützte Show im Foyer des Theaters in Basel mit Musik, Blumen, vollen Gläsern, Häppchen und wohl gewählten Worten zu organisieren? Wieviel ist uns eine «Schweizer Literatur» wert? Gibt es diese überhaupt?
Ich gratuliere Sibylle Berg zu ihrem Titel als Schweizer Buchpreisträgerin, für ihr Buch. Aber vielmehr für ihren Fleiss, ihre Akribie, ihre Frische, ihren Mut und den ganz eigenen Sound.
Aber noch mehr all den Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Dichterinnen und Dichter, die mir mit jedem Buch, mit jeder Veröffentlichung beweisen, dass Welt nicht nur an Oberflächen passiert. Den Verlagen, vor allem den kleinen, die unerschrocken, tapfer, selbstlos und voller Enthusiasmus Buch um Buch auf die Verkaufstische zu bringen versuchen, jedes Mal davon überzeugt, eine Perle aus der Muschel gebrochen zu haben. Den unabhängigen Buchhandlungen, die weit mehr sind als Verkaufsstellen, die sich mit Herzblut und grossem Wissen um das Kulturgut Buch bemühen.
Kennen Sie die Kurzprosa von Christine Fischer im Orte Verlag? Die Prosa von Dragica Holzer Rajćić im Verlag Der gesunde Menschenversand? Die kunstvollen Betrachtungen des literarischen Schwergewichts Felix Philipp Ingold im Ritter Verlag? Oder die sagenhaften Geschichten von Tim Krohn im Kampa Verlag?
LESEN sie! Lesen macht Eindruck (und das meine ich mehrdeutig)! Lesen macht klug! Lesen bereichert! Lesen rettet die Welt!
«GRM Brainfuck» ist die Geschichte von Don, Peter, Hannah und Karen. Sie leben in der schlimmsten, heruntergekommensten Stadt Grossbritanniens. Dort, wo niemand hin will, wo man am Ende hingespült wird. Sie leben in Zeiten der Superlativen; die Meere steigen, das Eis schmilzt, die Tiere sterben aus, alles in Rekordzeit. Sie schwören sich ewige Freundschaft, bezeugen sie mit Blut, erstellen eine Liste mit den Namen, an denen sie sich zu rächen gedenken.
Zum Beispiel die zwölfjährige Hannah. Bevor man Hannah mit ihren Eltern nach Rochdale verdammte, lebte die Familie in Liverpool. Mutter und Vater liebten Hannah und für Hannah war es, wie für die meisten, die geliebt werden, das Selbstverständlichste geliebt zu werden. In Liverpool führte Hannahs Vater ein Fotogeschäft, das aber immer weniger Geld einbrachte, bis Hannahs Vater sich mit Nebenjobs über Wasser halten musste. Und eines Tages, an dem Tag, Hannahs Vater hatte sie zu einem Fussballspiel mitgenommen (Fussball war das einzige, woran die Menschen glaubten) teilte man ihnen mit, Hannahs Mutter sei bei einer Schiesserei in die Flugbahn einer Kugel geraten. Pech. Sie starb. Und eines Tages, Hannah kam nach Hause, mittlerweile eine Absteige im Kellergeschoss einer Mietskaserne in Rochdale, lag auch ihr Vater mit aufgeschlitzten Pulsadern in der Duschkabine. Man schleppte den Vater in einem schwarzen Plastiksack weg und vergass Hannah, die mit dem Wenigen, das sie tragen konnte in ein besetztes Haus im Niemandsland zog, in die Gesellschaft von zwanzig obdachlosen Jugendlichen, Slash Kindern.
«Grime (GRM) war wütende Drecksmusik für Kinder in einem Drecksleben.»
Oder Peter, der mit seiner tuntigen Mutter in einem polnischen 200-Seelen-Kaff aufwuchs, einem Ort ohne Zukunft, den alle verlassen hatten, die etwas auf sich hielten. Peter wäre gerne geblieben, denn er ist als Sonderling gerne mit sich allein. Aber seine Mutter schleppte ihn nach England, wo man den Polen Arbeit versprach, aber verschwieg, dass viele Briten sie für das Unglück des Landes verantwortlich machen. In einem Massenschlag Bett an Bett mit anderen Polen gedrängt, von der arbeitsuchenden Mutter allein gelassen, wird Peter von einem Landsmann vergewaltigt, während sich ein anderer Bettnachbar zeitgleich einen runterholt. Peter verstummt endgültig. Und schliesslich lässt ihn seine Mutter mit dem Versprechen, sie werde sich um ihn kümmern, mit seinen zwölf Jahren alleine in einer heruntergekommenen Wohnung zurück, weil der neue russische Freund mit Bentley und Millionen keinen Behinderten in seinem Haus haben will.
«Wir sind die Jugend. Die mit dem Wissen gross geworden ist, dass man, ohne sich angepasst zu verhalten, auf keinen Fall überleben wird.»
„GRM“ sind die Kürzel für GRIME, einen Musikstil, mit dem die vier Freunde, die aus der Not eine Familie wurden, in London Bedeutung und vielleicht sogar Geld verdienen wollen. Grime ist der Sound von Hass, Ernüchterung, Wut und letztem Aufbäumen. Don, Peter, Hannah und Karen leben in einer alten, verlassenen Fabrikhalle, von der Gesellschaft vergessen. Die Gegenwart erstickt im Würgegriff des sich verselbstständigten durch Algorhithmen gesteuerten Fortschritt. Auf der einen Seite die Upperclass, degeneriert durch Erfolg, Geld, Macht, Übersättigung, auf der anderen Seite das Meer von Arbeitslosen und Armen, die mit Grundeinkommen und einem automatischen Punktesystem, billigen Medikamente und Weissbrot mit Margarine ruhig gestellt werden.
Die perfekte Welt ist eine kaputte Welt. Sibylle Bergs Epos der menschlichen Dummheit und Niedertracht ist keine Dystopie, keine Fantasie, sondern längst daran, sich wie Blaualgen im Meer zu verbreiten. Eine düstere Sicht auf die Spezies Mensch und was von ihr geschaffen wurde. „GRM Brainfuck“ ist nicht leicht zu lesen, zwingt einem zur permanenten Selbstreflexion. Es gibt in dem Roman kein Personal, mit dem man sich identifizieren will. Sibylle Bergs Blick ist gnadenlos, atemlos und hoffnungslos.
«WOW, I’m the king of grime and I will be for a very long time Cause I go to the rave get a rewind and the second line never sounded like the first line. WOW, I’m the king of grime and I will be for a very long time»
«GRM.Brainfuck» ist auch eine Anklage gegen das Patriarchat. In Sibylle Bergs kurzfristiger Zukunft ist Männlichkeit alles. Dass diese Männlichkeit viel zerstört hat, dass männliche Dominanz noch immer zerstört, ist unbestritten. Der Roman ist auch eine Anklage gegen den Wahn eines unbegrenzten Wachstums, gegen die totale Überwachung, in vielen Bereichen freiwillig eingegangen. Gegen die Entwertung der Arbeit … die Liste wird lang.
Warum „GRM“ lesen? Weil „GRM“ mächtig ist, ein literarischer Titan. Weil „GRM“ Fragen stellt, komplexe Fragen, an deren Antworten man scheitern kann. Weil die Lektüre ein Gang durch ein Minenfeld ist, man dem Grauen ins Gesicht schaut und man sich fragt, wie eine Autorin einen solchen Titan mit sich herumschleppen konnte. „GRM“ ist mutig und grenzenlos. Wer sich nicht einfach nur einlullen lassen will durch brave Geschichten, wer riskieren will, mit der Lektüre des Buches Akzeptiertes zu hinterfragen, lese dieses Buch!
Warum gewinnt Sibylle Berg mit GRM den Schweizer Buchpreis 2019? Weil ihr Roman alles hat, was ihre vier mitnominierten Bücher auch haben, nur noch viel mehr. Sibylle Berg schaut unter die Oberflächen wie Tabea Steiner mit „Balg“. Sie konstruiert geschickt, webt einen Teppich von Geschichten wie Simone Lappert in „Der Sprung“. Sie beschreibt einen Wendepunkt, wie man durch die Zeit mitgerissen wird wie Alain Claude Sulzer in seinem Roman „Unhaltbare Zustände“. Und sie malt ein literarisches Bild wie Ivna Žic in „Die Nachkommende“, wenn auch ein apokalyptisches. Sibylle Berg provoziert dadurch, dass sie in den faulen Haufen sticht, den Eiter fliessen lässt.
Bitter für die MitkonkurrentInnen, jedes einzelne Buch, das zur Auswahl steht. Sie alle sind absolut lesenswert. Aber „GRM Brainfuck“ von Sibylle Berg ist übermächtig.
Ein kleines Interview mit Sibylle Berg:
Die Welt in „GRM Brainfuck“ ist aus den Fugen geraten. Und wer den Blick vor den Tatsachen nicht verschliesst, weiss, dass dies nicht nur für die Gegenwart und nahe Zukunft in Ihrem Buch zutrifft. Es muss erschreckt werden, um all jene aufzurütteln, die stumpf daran glauben, dass der Schnellzug im immer gleichen Tempo in immer gleicher Richtung weiterrasen kann. Liegt darin eine Ihrer Absichten?
Wenn ich ein Buch schreibe, habe ich keine Absicht die Lesenden betreffend. Ausser eventuell, dass ich in sich verliebte Sätze vermeide um nicht zu langweilen, geht es mir immer darum, etwas herauszufinden. Sei es eine Versuchsanordnung, die ich erstelle oder Thesen, die ich belegen möchte. Am Beginn von GRM Brainfuck stand der Wunsch,all die unterschiedlichen, teils als bedrohlich empfundenen Entwicklungen unserer Zeit in eine Ordnung zu bringen. Das Erstarken rückwärtsgewandter politischer Strömungen, die digitalisierte Überwachung, die künstliche Intelligenz, die Verknappung der Ressourcen und die Hysterie in den sozialen Medien zum Beispiel. Ich wollte verstehen.
Ihr Buch ist ein „Hirnfick“. Die Provokation Ihres Romas liegt in seiner Direktheit, seiner Unausweichlichkeit, in der Absicht, dass da jemand meine Augen aufreisst, mich zwingt, in eine Richtung zu schauen, der ich mich lieber verschliesse. Wer liest, kann all die Bilder nicht einfach beiseite legen. Wie war das beim Schreiben? Wie sehr war das Schreiben Kampf? Oder gar „Befreiung“?
Schreiben ist nie ein Kampf, sondern das Privileg das zu tun, was ich möchte. Weitgehend ohne jede störende Einmischung anderer Menschen. Es ging mir während des Schreibens unglaublich gut, denn jede Seite bedeutete etwas mehr Ordnung in meinem etwas zu voll gewordenen Verstand. Ich hatte ja vor Beginn zwei Jahre lang geforscht, mit Wissenschaftlerinnen geredet, fast coden gelernt, mich in England aufgehalten, es war einfach als ob man einen Stöpsel aus der Wanne zieht.
Irgendwo in Ihrem Roman heisst es „Die Menschen sind dumm“. Angesichts der Tatsache, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, dass nicht nur in der Lage ist, seinen eigenen Lebensraum zu zerstören, sondern es auch noch tut, macht diese Aussage unbestreitbar. Tragen Sie für den Menschen, die Menschheit, die Gesellschaft noch einen Funken Hoffnung mit sich herum?
Unbedingt, denn bisher hielten sich die Innovationskraft der Menschen und ihr Wille zur Zerstörung die Waage. Ich weiss nur leider nicht, ob unsdiesmal genug Zeit für eine tiefgreifende Regulierung des Systems bleibt. Der Kapitalismus, der lange Zeit durchaus Positives für die Entwicklung der Menschheit brachte, hat einen sich selbst beschleunigenden Grad an gieriger Blödheit und Wunsch nach Selbstauslöschung angenommen, das ich mir nicht sicher bin, ob die Menschheit es diesmal aus der Krise schafft. Wenn man weiss, das die meisten Superreichen nach Fluchtmöglichkeiten, sei es auf dem Mars oder auf dem Meer, suchen, könnte man daran zweifeln, dass diesmal für einen Grossteil der Menschheit alles gut ausgeht.
Den Menschen werden die Träume genommen, den Jugendlichen, den Kindern. Nicht einmal mehr die Liebe ist einen Traum wert. Leben besteht nur noch aus Ernüchterung, aus Kampf, Hass und Wut. Sie beschreiben einen Ort, wo der Widerstand sinnlos geworden ist. Die Lektüre Ihres Roman hat alles, um sich in die Träume einzuschleichen, Stoff genug für Alpträume. Ihr Buch liest sich auch als Kampfansage gegen all die stumpfen Politköpfe, die allgegenwärtige Geilheit, den Verlust von Empathie. Wovon träumen Sie?
Träumen war noch nie meins. Ich versuche mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, aufzuklären. Oder kurzfristig Heimaten anzubieten. Und ich versuche, mich zu beruhigen, denn die allgemeine Verrohung und Gemeinheit, die Härte gegenüber finanziell Benachteiligten, der Randgruppen, setzen mir körperlich sehr zu.
Nichts in Ihrem Roman ist „erfunden“. Die Stadt Rochdale gibt es. Suchten Sie für Ihren Roman eine entsprechende Kulisse oder war es die Stadt selbst, die Ihre Geschichte erzählt?
Rochdale ist nicht mehr als ein Stellvertreterplatz für Millionen ähnliche Orte weltweit. Fern von Touristenattraktionen, fern von Glanz und Schönheit. Ein ehrlicher Ort, in dem Menschen leben die sich nicht mit Konsum von ihrer Existenz ablenken können.
Sibylle Berg lebt in Zürich. Ihr Werk umfasst 25 Theaterstücke, 14 Romane und wurde in 34 Sprachen übersetzt. Berg fungierte als Herausgeberin von drei Büchern und verfasst Hörspiele und Essays. Sie erhielt diverse Preise und Auszeichnungen, u.a. den Wolfgang-Koeppen-Preis (2008), den Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis (2016), den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2019) sowie den Thüringer Literaturpreis (2019).
Die junge, 1986 in Zagreb geborene und in Zürich aufgewachsene Ivna Žic schrieb mit „Die Nachkommende“ einen Roman, der nicht in erster Linie eine Geschichte erzählen will. Ivna Žic erzählt Bilder, die sie aus Vergangenheit und Gegenwart mit sich trägt, Bilder, die mit dem Lesen zu Geschichten werden. So wie ein Grossvater mit einem Mal zu malen aufhört und nie eine Antwort dafür gibt, warum er den Pinsel weglegte, so taucht Ivna Žic als Prosamalerin auf und malt beeindruckend.
Eine junge Frau bewegt sich hin und her, von Zürich nach Zagreb, von Zagreb zurück, nach Paris. Aber nicht nur örtlich, sondern auch zeitlich. Zurück in Bildern aus ihrer Kindheit, noch weiter in das familiäre Bewusstsein einer ganzen Sippe. An die Seite eines Mannes, den sie liebte, der sie liebt, aber eine Liebe, die von beiden Seiten nicht hielt, was sie versprach. An die Seite ihrer Grossmutter, der sie als Kind das Wasser in Kübeln vom Meer auf die Veranda brachte und die ihre Füsse darin badete, ohne je einmal wieder mit ans Meer zu kommen. An die Seite des Grossvaters, des rauchenden Deda, der einmal malte, sich in die Erinnerung der Erzählten malte, tief ins Bewusstsein und nie enträtselte, warum er zu malen aufhörte.
„Warum hast du aufgehört zu malen? Es gibt anderes, sagte er dann, irgendwann, immer wieder…“
Ivna Žic erzählt vom Unterwegssein, der Unmöglichkeit, wahrhaftig an einem Ort zu sein oder an der sicheren Seite eines Menschen. Alles wandelt sich, nichts bleibt, wie es ist. Wer dort ist, soll da sein. Sie erzählt vom Verlust von Heimat, der Suche nach ihr, den Verpflichtungen und Rufen einer Sippe, dem Wunsch, ein eigenständiges Leben zu führen, ungebunden und doch irgendwo zuhause zu sein, der Sehnsucht all jener, die sich nach inneren Bildern sehnen, die von der Gegenwart vergessen sind. Die Sehnsucht, sich nahe zu kommen und die Ernüchterung darüber, dass zum andern und gar zu sich selbst unüberwindbare Distanz bleibt.
„… Geschichten der letzten Generationen, die an meinem Körper kleben, dranhängen, als wären sie vergessen, und doch pochen sie jeden Tag, wandern sie jeden Tag mit…“
Die Erzählerin sitzt und liegt nachts im Zug und die ganze Sippe setzt sich im Dunkel des ratternden Gefährts an die Seite der jungen Frau, flüstert, ruft und erzählt. Die Erzählerin sitzt im Bus, 12 Stunden zurück in die Schweiz nach Zürich, ganz nah all den andern, die Geschichten und Bilder mit sich herumschleppen. Von einem Ort zum andern, wie Generationen zuvor, als Kriege und Grenzen Reisen von Süden nach Norden zu Fluchten machten. Von einem Land, das in diesem Jahrhundert mehrfach von Kriegen, verschiedensten Regimen gebeutelt wurde, in ein Land der „eingeschlafenen Körper“.
Die Protagonistin reist hin und her, getrieben von ihr selbst, von unbeantworteten Fragen, verschwiegener Geschichte, dem Gefühl nirgendwo zuhause zu sein. Unvereinbare Welten, die sie auseinanderzureissen drohen. Auf der Grossmutterinsel die stete Frage, wann sie wiederkomme und in der Stadt, in der sie wohnt, die dauernde Frage, ob sie von hier sei.
Ivna Žic erzählt und webt ein Netz in die Landschaft, dessen Bänder sich mit jedem Erzählstrang mehr und mehr zu einem grossen, ganzen Bild zusammenfügen. Sie erzählt wie ein Maler malt, nicht von links oben nach rechts unten, sondern Pinselstrich für Pinselstrich auf der Leinwand der Zeit. Zugegeben, Ivna Žics Prosa entschlüsselt sich nicht von selbst. Sie verlangt von Lesenden einiges ab. Aber wer sich auf die Musik in der Sprache der jungen Schriftstellerin einlässt, die Intensität ihrer Sprache, der wird reichlich belohnt.
«Ein Interview»:
In Ivna Žics Roman „Die Nachkommende“ stellt die namenlose Protagonistin ein paar Fragen an den Schalterbeamten Herr Zlatko.
Fragen, die ich der Autorin stellte:
Warum sind Sie gerade hier und nicht anderswo? Jetzt gerade bin ich hier, in Zürich, und nicht anderswo, weil ich das Stück GEBROCHENES LICHT am Theater probe. Das schöne am Medium Theater ist: Man muss da sein, hier sein und kann nicht anderswo, es geht nicht digital oder per Mail, es geht nur hier und jetzt.
Warten Sie auf etwas? Momentan nicht wirklich, die Tage sind voll, wir sind mitten in Endproben und die Première rückt von Stunde zu Stunde näher.
Was oder wer fehlt Ihnen? Etwas Ruhe zum Schreiben.
Haben Sie Zeit? Ich nehme sie mir, jeden Tag aufs Neue.
Hassen Sie? Nein.
Ivna Žic, 1986 in Zagreb geboren, aufgewachsen in Zürich, studierte Angewandte Theaterwissenschaft, Schauspielregie und Szenisches Schreiben in Gießen, Hamburg und Graz. Seit 2011 arbeitet sie als freie Autorin, Dozentin und Regisseurin u. a. am Berliner Maxim Gorki Theater, Schauspielhaus Wien, Luzerner Theater, Theater Neumarkt, Schauspiel Essen, Theater St. Gallen und bei uniT. Žic erhielt für ihre Texte eine Vielzahl von Stipendien und Preisen. Für ihren Debütroman »Die Nachkommende« wurde sie 2019 sowohl für den Österreichischen Buchpreis als auch für den Schweizer Buchpreis nominiert. Sie lebt in Zürich und Wien.
1968. Für die einen bricht ein neues Zeitalter an, für die anderen löst sich alles auf, was ein Leben lang Bestand hatte. Für die einen ist es der Startschuss für ein neues Bewusstsein, ein neues Lebensgefühl, für die andern der endgültige Zusammenbruch all dessen, worauf man baute. Der neue Roman von Alain Claude Sulzer ist ein Schaufenster in die Vergangenheit.
Seit Jahrzehnten ist Stettler der hoch angesehene Schaufensterdekorateur im Quatre Saisons, jenem Warenhaus in der Stadt, das etwas von den grossen Edelwarenhäusern der Metropolen aufleuchten lässt, aber eben immer gut schweizerisch provinziell bleibt. Die Enthüllungen seiner Schaufensterdekorationen waren Jahrzehnte eine Angelegenheit, die die ganze Stadt bewegte. Stettler in seinem Kittel der unbestrittene Monarch in den Räumen, in denen jeweils die nächste Dekoration entworfen wurde. Bis 1968. Nicht nur in den Stassen der Stadt rumort es. Auf der Münsterturmspitze weht eines Morgens eine Vietcong-Flagge und man setzt Stettler einen jungen Wilden vor das Sonnenlicht, der nach Ansicht des Chefs frischen Wind in die Schaufenster des Quatre Saisons bringen soll, Stettlers bisheriges uneinnehmbares Königreich.
Was Stettler in dieser schwierigen Zeit aufrecht bleiben lässt, ist der Briefwechsel mit Lotte Zerbst, einer Pianistin aus dem grossen Nachbarland, bekannt durch Schallplatteneinspielungen und Radiosendungen. Er, der Musik liebt, dem Radiosendungen die einzige Zerstreuung sind, seit er seine Mutter, mit der er zusammenlebte, beerdigen musste, fand eines Tages den Mut, Lotte Zerbst einen Brief voller Bewunderung zu schreiben. Und Lotte Zerbst, tief in ihrer Seele verletzt durch das dereinst schändliche Verhalten ihres grossen Lehrers, fühlt sich nicht nur geschmeichelt, sondern verstanden.
So wie Stettler ist Lotte vom Leben in ein Nischendasein gedrängt, aus der Zeit gefallen, einsam, antiquiert. Stellter, der schon in jungen Jahren spürte, dass er nicht wie die Masse tickt und Lotte, die wohl für die Masse spielt, aber abgeschottet von ihr in ihrer eigenen Welt lebt, noch entfernter als Stettler, der unmittelbar spürt, dass seine einstmals uneingeschränkte grosse Geste als Schaufensterdekorateur nicht mehr gefragt ist. Während Demonstranten vom Wasserstrahl von den Strassen gefegt werden, fegt Stettler die Zeit weg, wird Lotte von der Bühne gefegt, als man ein Klavierkonzert des sowjetrussischen Komponisten Schostakowitsch absagt, weil dieser als Repräsentant kommunistischer Weltanschauung mitverantwortlich gemacht wird für das, was die Grundfesten der Gesellschaft erschüttert.
Stettler, eingesperrt in seine Rolle, seine Anschauung und seinen strickten Lebenswandel fühlt sich mehr und mehr ohnmächtig gegenüber dem Wirken der Zeit. Er, der sich ein Leben lang für einen Macher hielt, wird nicht nur ausgebremst, sondern mehr und mehr schleichend kaltgestellt.
Alain Claude Sulzers Roman ist fein gebaut, geschrieben, als läge über dem ganzen Roman ein Schimmer des Bedauerns. Bedauern darüber, dass eine Welt unterging, eine Welt, in der man am Telefon die Auskunft fragen konnte, wenn das Lexikon nicht reichte. In der man sich über fünf verschiedene Fernsehsender wunderte und ein Haarschnitt allein schon Provokation war. Alles passt an diesem Roman. Die Sprache hat genau jenen Stich ins Sepia, wie das Weltbild der beiden Protagonisten, die einem in eine fremd gewordenen Welt eintauchen lassen. Alain Claude Sulzer macht sie, die untergehende Welt damals, an zwei Polen fest; zwei Künstlern, sie durch den Äther, er nur durch ein Glas vom Geschehen der Welt getrennt.
Und unter allem klingt die Musik. Alain Claude Sulzer weiss, was mit einer Musikerin passiert, die ihr Spiel, ihr Stück, ihre Musik so sehr verinnerlicht, dass sie nicht mehr nach Noten spielt, die Klänge Teil ihrer Existenz werden. Ich spüre, wie nah der Autor seinen Protagonisten kommt, und im Falle der Musik auf ganz innige Weise.
„Unhaltbare Zustände“ ist ein köstliches Buch, ein wahrer Lesegenuss! Dass Alain Claude Sulzer mit diesem Buch mit einer Nomination für den Schweizer Buchpreis 2019 beehrt wird, ist mehr als verdient. Schon mit seinen ersten Romanen, allen voran „Urmein“ aus dem Jahr 1998, gewann er meine Bewunderung.
Ein kleines Interview mit Alain Claude Sulzer:
1968, in jenem Jahr, in dem ihr Roman spielt, waren sie 15. Vielleicht zu jung, um in irgend einer Form mitgerissen zu werden, vielleicht. 1980, als Zürich von den Opernhauskrawallen heimgesucht wurden, waren Sie 27. Was ist ihnen geblieben? Was passiert mit Ihnen, wenn Sie junge Menschen heute für das Klima und die „Rettung der Welt“ demonstrieren sehen? Es bleibt mir nichts anderes übrig, als es aus einiger Distanz zu konstatieren. An «die Rettung der Welt“ zu glauben fällt mir allerdings nicht erst seit heute schwer. Es sind schon etliche Versuche schiefgelaufen.
Stellers Antwort auf die Veränderung der Welt und seiner unmittelbaren Umgebung ist gegen sein Naturell die absolute und ultimative Provokation. Wie sehr trägt ein Schriftsteller wie Sie die Lust zur Provokation mit sich? Provokation treibt mich weder am Schreibtisch noch „im Leben» an.
Stettler wohnt noch immer in der Altstadtwohnung, die er Jahrzehnte mit seiner Mutter teilte. Nicht das einzige Setting Stettlers, das er eigentlich noch viel länger hätte erhalten wollen. Und vielleicht hätte Stettler das ehemalige Mutterzimmer in der Wohnung nie vollkommen entleert, wenn die Umwälzungen in der Welt und in seiner Umgebung nicht so grundlegend gewesen wären. Aber so wurde aus dem Mutterzimmer ein Fernsehzimmer, aus dem Zimmer der Rechtschaffenheit das Tor zur Moderne. Müssen wir stets aus der Komfortzone gestossen werden, damit sich Dinge ändern? Ja, vermutlich ist das so, und dazu sind nicht unbedingt historische Umwälzungen notwendig (wie im Falle Stettlers, der sich, nicht ganz zu Unrecht, als Opfer einer solchen sieht); es genügen Veränderungen im kleinen privaten Rahmen – Tod, Krankheit, Verlust aller nur denkbaren Güter -, um die Kontinuität des bislang Gewesenen dauerhaft zu unterbrechen.
Der Schaufensterdekorateur Stettler verstand seine Arbeit am führenden Warenhaus der Stadt als Welterschaffung. Ein Schaufenster soll gefallen, dem Auge schmeicheln, die Produkte im Haus von der besten Seite zeigen, als Errungenschaft eines immer fortschreitenden Wohlstands. Sein neuer Kollege, den ihm sein Chef vor die Nase stellt und als Hoffnungsträger einer ganzen Branche feiert, versteht seine Aufgabe diametral anders. Er will provozieren. So wie heute die Kunst in vielen Bereichen, die Politik immer offensichtlicher, die Wirtschaft nicht nur in der Werbung und der Vermummte beim Samstagabendfussballspiel. Ist Ihr Roman auch ein bisschen Nostalgie? Die Trauer um eine verlorene Zeit? Auch wenn ich selbst – anders als manche Kritiker es seltsamerweise sehen wollen – so gut wie nichts mit Stettler gemein habe (selbst mein Interesse an Schaufenstern ist eher dürftig), gibt es tatsächlich nostalgische Momente, in die der Leser/die Leserin unweigerlich versetzt werden, sofern sie sich an ähnliche Momente in ihrer Vergangenheit erinnern. Die Nostalgie dürfte bei jüngeren Lesern deutlich geringer sein. Unter Nostalgie verstehe ich aber nicht das wohlige Versinken in einer Welt, in der alles besser war, sondern einfach deren Betrachtung. Natürlich war – wie jeder weiss oder wissen kann – auch retrospektiv nichts besser als es wirklich war, und wann war es das schon?
Ein unüberlesbares Element Ihres Romans ist die Musik. Ihre Liebe für die Musik. Ist Musik ton- und klanggewordene Sehnsucht? Sehnsucht nach Harmonie? Nach Ordnung? Überschaubarkeit? All dies, ja. Zudem ist Musik im Augenblick ihrer Ausführung einmalig, unwiederholbar, man kann sie nicht nachlesen, man kann nicht zurückblättern, man kann sich nicht länger an eine Viertelnote klammern, als sie dauert; insofern ist für Sehnsucht weniger Platz als für Gegenwart, Musik geht immer weiter.
Alain Claude Sulzer, 1953 geboren, lebt als freier Schriftsteller in Basel, Berlin und im Elsass. Er hat zahlreiche Romane veröffentlicht, zuletzt die Bestseller »Zur falschen Zeit« (KiWi 1249) und »Aus den Fugen« (KiWi 1360). Seine Bücher sind in alle wichtigen Sprachen übersetzt. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise, u.a. den Prix Médicis étranger, den Hermann-Hesse-Preis und den Kulturpreis der Stadt Basel.
Seit 2016 vergibt auch unser Nachbarland Österreich einen jährlichen Buchpreis, in der Anlage und Ausrichtung ganz ähnlich dem Schweizer Buchpreis. Im ersten Jahr war es Friederike Mayröcker als erste Preisträgerin, 2017 Eva Manesse und im letzten Jahr Daniel Wisser.
Auffälligster Unterschied zwischen den Nachbarn ist die österreichische Unterteilung in zwei Kategorien. Wie in der Schweiz prämiert Österreich das beste deutschsprachige belletristische, essayistische, lyrische oder dramatische Werk einer österreichischen Autorin bzw. eines österreichischen Autors oder solcher, die seit drei Jahren in Österreich leben und wirken. Daneben zeichnet Österreich aber zusätzlich das beste Debüt einer österreichischen Autorin bzw. eines österreichischen Autors aus. Eine Besonderheit, die verhindert, dass literarische Schwergewichte neben DebütantInnen nicht unnötig in Konkurrenz stehen, denn hinter den gestandenen Namen steht immer auch ein ganzes Werk, ein literarisches Oeuvre.
So stellte ich dem Geschäftsführer der Buch Wien Gustav Soucek einige Fragen:
In der Schweiz entfacht sich jedes Jahr erneut Polemik darüber, wie der Buchpreis juriert wird, wer ihn gewinnt und wie man mit jenen umgeht, die ihn nicht gewinnen und seit Jahrzehnten zum innersten Kreis jener gehören, die die CH-Literatur ausmachen. Wie kommentiert man in Österreich Auswahl und Verleihung des Buchpreises?
Der Österreichische Buchpreis ist erst seit vier Jahren Bestandteil der Literaturszene, aber es war höchste Zeit diesen eigenständigen und hochdotierten Preis ins Leben zu rufen. Daher sind die Rückmeldungen in der Branche selbst, bei den Medien und auch bei den Lesern sehr positiv. Dadurch, dass alle Juryteilnehmer in Österreich jährlich wechseln, gibt es kein zu erwartendes Ergebnis und (konstruktive) Kritik an Literatur und Preisträgern ist absolut positiv, da es „das Buch“ im Gespräch hält und die Buchwirtschaft ja für offenen Diskurs eintritt und steht.
So wie der Schweizer Buchpreis mit der BuchBasel verknüpft ist, ist es beim Österreichischen Buchpreis die BuchWien, ein ungleich grösserer Anlass als das Basler Pendant, verzeichnete die BuchWien doch 2017 50000 Besucher, während die BuchBasel im vergangenen Jahr die Zehntausendmarke nicht knacken konnte. Grosser Unterschied ist dabei, dass die BuchWien eine Messe ist; 451 Veranstaltungen mit 381 Autorinnen und Autoren sowie 350 Aussteller aus 20 Nationen auf 8.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Wo liegt das Österreichische Erfolgsrezept? Liegt es nur an der Tatsache, dass der Schweiz eine Buchmesse mit Ausstrahlung fehlt?
Vielleicht ist es ein Mix aus Tradition und Moderne, denn der Vorläufer der BUCH WIEN, die Buchwoche, blickt auf 60 Jahre Vergangenheit zurück, ehe sie von der BUCH WIEN in der heutigen Form am Standort Messe Wien vor 11 Jahren abgelöst wurde. Erklärungen zu einer Buchmesse in der Schweiz habe ich aber nicht und ich würde es auch tunlichst vermeiden meinen Kollegen in der Schweiz und vom SBVV gute Zurufe aus der Ferne zu geben.
Im ersten Jahr hiess die Preisträgerin Frederike Mayröcker, eine der ganz grossen Dichterinnen des 20. und 21. Jahrhunderts, eine Ikone. Wie weit wird ein solcher Preis zur Würdigung eines ganzen Werkes, auch wenn die Ausgezeichnet für ihr Buch „fleur“ geehrt wurde, einen Text, der „zu einem Fenster zu Welten wird, die sich der realistischen Darstellung entziehen, den Möglichkeitssinn von Literatur auf eine ganz besondere Weise erfahrbar macht“?
Ich habe natürlich keinen Einblick in die Jurysitzungen und ich nehme in keiner Form daran teil. Die Diskussionen, die dort stattfinden kenne ich nicht. Wenn ich mir aber zum Beispiel den österreichischen Buchpreisträger des letzten Jahres, Daniel Wisser, ansehe, der 1971 geboren wurde, gehe ich nicht von einer Lebenswerk-Auszeichnung aus. Im Gegenteil, ich wünsche mir noch viele Bücher wie „Königin der Berge“ von ihm. Für Würdigungen eines ganzen Schaffens gibt es in Österreich den seit 1990 bestehenden „Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln“. Ich denke, dass alle JuryteilnehmerInnen das wissen und deshalb auch zwischen Lebens- und Einzelwerk unterscheiden.
Ein grosser Unterschied der beiden Wettbewerbe ist ihre Unterteilung zwischen eigentlichem Buchpreis und einem Preis für das beste Debüt. Eine Unterteilung, die meiner Meinung nach ausgesprochen viel Sinn macht, um literarische Schwergewichte nicht mit „Neulingen“ mischen zu müssen. Eine Reaktion aus Erfahrungen im Ausland oder nur einfach eine gute Idee?
Eine gute Idee aus Österreich! Auch wenn sie irgendwo auf der Welt vielleicht schon existierte und existiert. Und es hilft uns natürlich den sehr jungen Österreichischen Buchpreis vom Schwergewicht Deutscher Buchpreis zu unterscheiden.
In der Longlist des Österreichischen Buchpreises (noch ein Unterschied, denn eine solche gibt es in der Schweiz nicht) finden sich neben unbekannteren Namen nicht wenige Eckpfeiler deutschsprachiger Literatur: Marlene Streeruwitz, Clemens J. Setz, Karl-Markus Gauß und Norbert Gstrein. Nicht zu vergessen, der noch immer im „Ausland“ als Geheimtipp geltende Südkärntner Florjan Lipuš, Träger des Grossen Österreichischen Staatspreises 2018. Das Reservoir an grossen Namen und Büchern scheint in Österreich unerschöpflich.
Wenn dieser Eindruck besteht, freut uns das natürlich sehr. Wir sehen das als eine Art von Bestätigung beispielsweise auch mit großer Freude beim Deutschen Buchpreis, den im Jahr 2018 der Österreicher Robert Menasse mit „Die Hauptstadt“ gewonnen hat und wo auch heuer wieder sechs österreichische AutorInnen – Raphaela Edelbauer, Andrea Grill, Angela Lehner, Tonio Schachinger, Eva Schmidt und Marlene Streeruwitz – unter den Longlist-Nominierungen sind. Und erfreulicherweise mit Zsolnay, Kremayr & Scheriau und Jung und Jung auch drei österreichische Verlage auf dieser Longlist stehen. Ich wünsche uns, dass es weiterhin so unerschöpflich bleibt.
Nimmt man in Österreich den Schweizer Buchpreis wahr? Ganz ehrlich!
Immer ehrlich! Die Fachwelt natürlich schon, weil wir ja auch darüber berichten und weil es in Österreich ein hohes Interesse an Literatur und Schriftstellern gibt. Inwiefern sich dieses Fachwissen über die Medien und den Buchhandel bis zum Buchkäufer und Leser durchspricht ist dann natürlich auch eine Frage des Verlagsmarketings und der Marktmaßnahmen. Ich würde sehr gerne mehr Promotion für den Schweizer Buchpreis in Österreich machen und freue mich jetzt schon auf die Lesungen daraus auf der BUCH WIEN 19.
In Simone Lapperts Roman „Der Sprung“ geht es vordergründig um eine Frau auf einem Dach. Hinausgedrängt aus ihrem Leben droht sie zu springen und alle um sie herum sehen die Frau, die sich das Leben nehmen will. Aber „Der Sprung“ meint wohl viel mehr jenen Sprung, den ein Leben macht, wenn verschiedene Leben ineinander verwoben mit einem mal einen Kulminationspunkt erreichen. Wenn die Zeit springt. Wenn man sich vom Trauten ins Unbekannte wirft, wenn einem die „Umstände“ aus der Schiene springen lassen.
Es ist Sommer und die Stadt kocht. Menschen überall. Und wenn sich irgendwo eine Sensation anbahnt, man die Handys zückt, stehen bleibt und glotzt, wenn Sirenen die heisse Luft und sich Gaffer den Mund zerreissen, wenn eine hoch oben auf dem Dachfirst steht und mit Ziegeln schmeisst, nicht einmal Polizei, Absperrgitter und Krankenwagen den Mob verdrängen können, dann verweben, verstricken, verknoten sich Schicksale, klaffen Leben auseinander, bohrt sich der Moment tief in den Nerv.
Simone Lappert, die schon mit ihrem Erstling „Wurfschatten“ (Literaturblatt 21) überraschte und überzeugte, legt mit ihrem zweiten Roman ein Buch vor, das in seiner Erzählweise wie ein Episodenfilm funktioniert. Voneinander unabhängige oder bloss durch Zufall mehr oder weniger verknüpfte Geschichten verweben sich zu einem Ganzen. Ein Konstrukt, das Simone Lappert mit viel Feingefühl und Empathie zu komponieren wusste, das überzeugt und in seiner Leichtigkeit und Feinmaschigkeit den Eindruck erweckt, als wären der Autorin die Ideen zugeflogen. Was passiert, wenn mit einem Mal, wenn von einem Augenblick auf den nächsten nichts mehr so ist, wie es einmal war? Wenn ein altes Leben nicht einfach wieder aufgenommen werden kann, wenn Konsequenzen unvermeidbar sind, wenn aus dem Schreck ein Erwachen wird?
Eine junge Frau in Gärtnerkleidung hält einen Tag und eine Nacht eine ganze Stadt in Atem. Springt sie oder springt sie nicht? Wer ist die Frau, die tobt und schreit, dieDachziegel schmeisst und auf keine Beschwichtigungsversuche reagiert?
Ein ganzer Reigen von Figuren reagiert: Felix, ein junger Polizist, psychologisch geschult, wird an den Ort gerufen, weg von seiner schwangeren Frau und dem
wachsenden Riss, der ihn von seiner werdenden Familie entfernt. Finn, den ein Auftrag als Fahrradkurier durch Zufall auf den menschenverstellten Platz führt, der erst seit kurzem Manu kennt und geblendet von seiner jungen Liebe nicht verstehen kann, warum die junge Frau auf dem Dach dieselbe ist. Egon, den das Leben abdrängte, der im kleinen Lokal an der Ecke mit seinem Fernglas das Geschehen bloss noch aus der Ferne betrachtet und fast vergessen hat, wie nah er dem Geschehen ist. Theres, die alt geworden zusammen mit ihrem abgedrängten Mann den Laden um die Ecke am Laufen zu halten versucht und sich für einen Tag kaum mehr retten kann vor dem Ansturm der Gaffer auf ihr kleines Lebensmittelgeschäft. Oder Maren, die ihren Mann, der in seinem Fitness-, Ernährung- und Reinlichkeitswahn seit seinem 40. Geburtstag in vielerlei Hinsicht nicht mehr erkennen kann und durch den Trubel und die Polizei von ihrer Wohnung ausgeschlossen ist.
Alle sind sie auf dem Sprung, genötigt durch die Frau auf dem Dach. Sie alle werden durch den Zwang des Geschehens aus der Bahn katapultiert, in einen neuen Zusammenhang gezwängt. Es gibt kein Zück mehr. Nicht für Felix, den Polizisten, der sich seinem Alp stellen muss. Nicht für Finn, den Freund der jungen Frau auf dem Dach, dem klar wird, dass Fassaden die Wirklichkeit verstellen. Nicht für Egon, der glaubte, das Leben sei gelaufen. Nicht für Theres, die sich fürchtet vor dem Ende mit Schrecken. Und all die andern.
Schon verblüffend, mit welcher Routine und Tiefe Simone Lappert erzählt! Eine Autorin, die den Moment derart detailreich auffächern kann, die keine Nabelschau zelebriert, mich als Leser in ihrem Detailreichtum überzeugt und mich bis zum Schluss atemlos lesen lässt. Wie sie einen feinen Erzählteppich vor mir auslegt! Wie sie mit Ideen verblüfft, mit Vielfalt und Empathie!
Was für ein Vergnügen!
En Interview mit Simone Lappert:
Schon dein erster Roman hat mich überzeugt, dein neuer noch mehr. Ich staune über die Gewandtheit, die Sicherheit, mit der du erzählst, wie feinmaschig das Gewebe deines Romans ist. Was reizte dich an dieser Art des Erzählens?
Der Roman greift fiktionalisierend ein Ereignis auf, welches ich vor ein paar Jahren mitbekommen habe, das mich sehr erschüttert und nachhaltig beschäftigt hat. Um die betroffenen Personen zu schützen und den erfundenen Figuren Freiraum für ein Eigenleben zu ermöglichen, habe ich jedoch nur die Grundkonstellation der Situation beibehalten: auf der einen Seite eine exponierte Person, die mehrere Stunden auf einem Dach zubringt, auf der anderen Seite Schaulustige und Einsatzkräfte, die zu einer Überforderungsdynamik beitragen und sich auf je eigene Weise mitschuldig oder eben auch mit-unschuldig an den Ereignissen machen.
Ich konnte damals mit einer Angehörigen sprechen und fand die Brutalität der Situation einschneidend: Angehörige, die ungefiltert mitbekommen, was über eine geliebte Person gesagt wird, von „spring doch“, bis „so jemanden sollte man erschiessen“. Es hat mich interessiert, mit den Mitteln der Fiktion zu fragen, wer diese Menschen sein könnten, die da unten stehen, was in ihnen vorgeht. Es war vor allem die Frage danach, wie es als Gesellschaft um unsere Empathie bestellt ist, wie wir mit Menschen umgehen, die aus der Reihe tanzen, sich ausserhalb einer gefühlten Norm verhalten, die mich dabei umgetrieben und den Schreibprozess am Roman begleitet hat, die Frage schwingt für mich unter dem Text mit.
Jede deiner Figuren mit der jeweiligen Geschichte, wäre Stoff genug gewesen für einen Roman. Sei es Felix der Polizist, den ein Trauma aus seiner Kindheit blockiert. Sei es Finn, der durch die Liebe zu einer ganz und gar kompromisslosen Kämpferin den Tritt verliert. Sei es Theres, die Frau von Werner, die kinderlos den kleinen Laden um die Ecke führen wie ein leckgeschlagenes Schiff, den Untergang gewiss. Wuchs der Roman und dehnte sich aus oder hast du an der Peripherie zu erzählen begonnen, an den Rändern der Geschichte?
Die Idee einer quasi stummen Protagonistin entstanden, die auf dem Dach Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist, entstand nach und nach, die Figuren, die unten stehen, haben sich aus der Grundkonstellation des realen Ereignisses ergeben, sie sind aber alle fiktiv. Einige waren von Anfang an da, etwa Finn, Manus Freund oder Felix, der Polizist, andere sind erst später hinzugekommen oder haben sich gar in den Text eingeschlichen, zum Beispiel Egon, der Hutmacher, der war eigentlich gar nicht geplant.Manche Geschichten habe ich am Stück geschrieben, um zu sehen, wohin die Figuren mich mitnehmen, andere sind darum herum gewachsen. Das ist das Schönste beim Schreiben: wenn die Figuren ein Eigenleben entwickeln, mich überraschen und meine Pläne durchkreuzen. Wichtig war mir aber von Anfang an, nicht vollkommen aufzulösen, was Manu aufs Dach getrieben hat, damit man sich als LeserIn nicht in die Beruhigung einer Erklärung zurückziehen kann.
Eine der Figuren in deinem Roman ist Henry, ein in die Jahre gekommener Obdachloser, der den Leuten für ein paar Münzen Fragen verkauft. Du stellst mit deinem Roman ganz viele Fragen. Fragen wie: Was braucht es, dass man Konsequenzen zieht? Henry verkauft Zettelchen mit Fragen wie: Wann und warum hast du zum letzten Mal geweint? Was tröstet dich? Müssen Geschichten, Romane Fragen beantworten?
Ich glaube, sie sollten viel eher Fragen stellen, Fragen, die hängen bleiben, zum Denkenund Überdenken anregen. Jedenfalls habe ich beim Schreiben immer viel eher das Gefühl, eine Fragenauslegeordnung zu machen, mich präziser und tiefer in die Fragen hineinzuschreiben, die Schreibanlass waren, sie im besten Fall greifbarer zu machen.
Du bist Lyrikerin und stehst, soweit ich weiss, kurz vor deiner Erstveröffentlichung in dieser Sparte. Wie weit hilft dir als Romanautorin das Talent der Lyrikerin?
Letztendlich sucht sich der Text seine Form, aber ob ich nun Prosa oder Lyrik schreibe, ich schreibe immer auch mit den Ohren. Der Klang eines Wortes, der Rhythmus eines Satzes, das sind wichtige Inhaltsträger. Ein Text ist für mich immer auch ein Klangkörper.
Du schilderst viele Gegensätze; die Arbeit eines Polizisten und jene seiner Frau, die schwanger ist, ein Spagat zwischen der Brutalität der Gesellschaft und eine „Parallelwelt zischen Lavendel und Hirsekissen“, der schreiende und gaffende Mob und die zerbrechliche Welt deiner ProtagonistInnen, die wütende, junge Frau auf dem Dach und die Verzweiflung in einer Existenz. Wie sehr reizen dich Gegensätze? Und wie sehr muss man als Autorin aufpassen, ihnen nicht allzu platt aufzusitzen?
Ich schreibe meistens ohne vorgefertigtes Konzepte. Mich interessieren Menschen, Risse, Kippmomente, warum jemand tut, was er oder sie tut. Die Gegensätze, die du ansprichst, sind aus der realen Grundkonstellation und aus den Figuren heraus entstanden. Sich in eine Figur hineinzufragen, hineinzuschreiben, ist manchmal ein bisschen, wie im echten Leben jemanden kennenzulernen. Man hat ein Bild, eine Vorstellung, vielleicht auch Vorurteile. Und je näher man jemandem kommt, desto komplexer wird das Bild der Person, mit all ihren Abgründen und Feinheiten. Mir ist es wichtig, meine Figuren nicht zu verspotten oder als Schablonen für vorgefertigte Meinungen zu benutzen, ich versuche, ihnen mit Respekt zu begegnen, gerade auch, um Plattitüden zu vermeiden.
Meine Henryfrage: Was macht dich wirklich glücklich?
Wach und im Moment zu sein. Und zur Zeit die Begegnungen mit den LeserInnen auf der Lesereise.
Simone Lappert (1985) studierte Literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel, sie lebt und arbeitet als freie Autorin in Zürich und Basel. 2014 erschien ihr Romandebüt Wurfschatten (Metrolit, Berlin, 2014). Simone Lappert ist literarisch und performativ an diversen Kunstprojekten beteiligt, führt literarisch durch Ausstellungen, zuletzt in der Fondation Beyeler (Alexander Calder und Fischli/Weiss) und in der Kunsthalle Basel (Lynette Yadom-Boakye). Sie ist Präsidentin des Internationalen Lyrikfestivals Basel, Jurymitglied des Basler Lyrikpreises, Mitbegründerin der transdisziplinären Gesprächsreihe Raum für Unsicherheit, war Schweizer Kuratorin für das Lyrikprojekt Babelsprech.International.
Jens Steiner, Buchpreisträger 2013, stellt der Plattform Gegenzauber seine Kurzgeschichte «Das Gleichgewicht der Welt» zur Verfügung. Besuchen Sie die Webseite gegenzauber.literaturblatt.ch, auf der neben Jens Steiner viele namhafte und noch unbekannte Namen mit eigenen Texten auf sich aufmerksam machen sollen.
Eine Ruhe ist das hier. Während vor seinen Füssen scharfer Dampf aufsteigt, grient Stampfermann zufrieden in Richtung Sonne. Herrlich, diese Ruhe! Stampfermann macht den Hosenschlitz zu und dreht sich um. Er weiss, bald ist’s aus mit der Idylle. Bald kommt der Bürokrat. Und wenn der Bürokrat kommt, macht man am besten möglichst viel Lärm. Also los!
Stampfermann tritt an seine Maschine, reisst das Anwerfseil. Der Dieselstampfer wackelt, wie eine junge Geiss, die Kapriolen macht, wackelt schneller, bis er zu schweben beginnt und in massloser Wut die Erde festtrampelt. Was für ein Berserker! Exakt arbeiten kann man trotzdem damit. Peilgenau den Schotter festgeklopft, und immer schön in die Ecken rein. Auch einer mit dicken Händen und einem Vierkantschädel kann das. Man ist schliesslich Profi.
Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne, es bleibt drückend. Der Schweiss läuft Stampfermann auf den zitternden Armen zu Tröpfchen zusammen, die sich mit dem Staub zu einem schlickigen Film vermischen. Auch die Kollegen haben zu kämpfen. Schottergabelmann nimmt einen Schluck aus der Zweiliterflasche, Schaufelmann reibt sich mit der schrundigen Faust die Augen. Es riecht nach Coca-Cola und feuchtem Frischkies.
Von oben herab sieht das alles ganz lustig aus. Das Bild einer Schar knuffiger Männchen, die sich in kleinen Schritten hin- und herbewegen. Ja, wer oben ist, kommt sich vor wie ein Puppenspieler. Ein Zupfen an den Fäden und die Männchen unten zappeln und hopsen. Zupf und hops, zupf und hops. Kindisch, aber trotzdem lustig. Für den, der oben ist. Und oben ist immer einer.
Wer unten ist, versucht ruhig zu bleiben. Mehr liegt nicht drin. Schon gar nicht, wenn der Bürokrat kommt, mit seinen Papieren herumwedelt und einem die Ohren volljammert. Immer ist alles falsch. Und zu langsam. Und überhaupt. Trotzdem besser ruhig bleiben, denkt Stampfermann.
Als der titangraue Kadjar heranbraust, macht Stampfermann weiter, als ob er nichts gesehen hätte. Führt seine Höllenmaschine säuberlich in die Ecken rein, so, wie sich’s gehört. Ehrensache. Der Bürokrat steigt aus dem Wagen, schaut sich die herumstehenden Geräte an, Bitumenkocher, Rüttelplatte, Bodenfräse, registriert, was erledigt wurde seit gestern und was nicht. Und jeder weiss sofort Bescheid: Der Bürokrat ist sauer.
»Herkommen, Leute! Aber dalli!« Stampfermann hört es schon, selbstverständlich hört er es, auch im Lärm seiner Maschine hört er es, aber er will jetzt nicht. Schottergabelmann pfeift, Schaufelmann winkt ihm in den Tunnelblick hinein, aber Stampfermann will ums Verrecken nicht. Er und seine Dieselgeiss klopfen jetzt diesen Schotter fest, dafür sind sie da. Schaufelmann linst zum Bürokraten und zuckt mit den Schultern. Dieser dröhnt: »Herrgottsakrament! Abstellen die Maschine, aber hantli!« Stampfermann würgt seine Geiss ab.
Vögel pfeifen, die Sonne bummert. Hinter der Abschrankung wie immer der Alte mit Zahnstocher im Gesicht. Tagaus, tagein steht er da und schaut ihnen bei der Arbeit zu. Noch weiter hinten steht ein kleiner Rotzbub. Juniordasteher. Zahnstocheraspirant. Stampfermann fährt sich mit dem Handrücken über die Stirn.
»Ihr müsst mir gar nichts erzählen«, fängt der Bürolist an und kramt in seiner Hemdtasche, »schon klar, dass die von der Stadt gern ein bisschen übertreiben. Aber!« Er zündet sich eine Zigarette an. »Aber glaubt ihr wirklich, dass ich dafür da bin, die Sauerei jeden Tag aufzuräumen, glaubt ihr das? Immer wenn’s ein Problem mit der Stadt gibt, kommt der Schöberli und macht Ordnung, hä?« Er zieht an der Zigarette. Seine Wangen werden zu länglichen Tälern. »Wenn ihr dieser Meinung seid, sagt es mir bitte und zwar jetzt auf der Stelle!« Während er spricht, quillt Rauch aus seinen Nasenlöchern. »Irgendwann«, sagt er und schüttelt den Kopf, »irgendwann.«
Hinten bei der Abschrankung noch immer der Alte. Macht keinen Wank. Nur der Zahnstocher im Gesicht. Wippt und wirbelt. Und der Rotzbub hinter ihm seilt in aller Seelenruhe schaumige Spucke auf den Boden ab.
Stampfermann prüft zum Zeitvertrieb die Schotterdichte vor seinen Füssen. Man muss ja schauen, dass man das, was jetzt kommt, einigermassen unbeschadet übersteht. Mit der Zeit hat jeder seine Tricks. Aber heute sieht er trotzdem ständig den Bürokraten im Augenwinkel. Als ob der Augenwinkel mit dem Bürokraten zusammenarbeiten würde. Egal, wie er auf den Schotter schaut, sein Augenwinkel reicht immer bis zum Bürokraten hin. Stampfermann weiss genau, der Bürokrat war immer ein Bürokrat. Trotzdem tut der Bürokrat gern so, als ob er irgendwann in seinem Leben kein Bürokrat gewesen wäre, und flucht wie ein Dreckshund im Strassenbau. Er war aber nie ein Dreckshund. Keine Sekunde seines Lebens. Stampfermann weiss das sehr wohl.
»Was glaubt ihr eigentlich, was ich mir tagaus, tagein den Arsch aufreisse wegen denen von der Stadt«, fährt der Bürokrat fort. »Und jetzt, was sehe ich hier? Da kommt mindestens noch ein Tag Verspätung dazu, ich weiss es genau. Dabei haben wir das alles Punkt für Punkt angeschaut zusammen, oder etwa nicht? Sagt’s mir, wenn ich einen Blödsinn erzähle!«
Weit oben ertönt ein einsames Räuspern. Alle heben den Kopf, auch der Bürokrat, und schauen zu den Balkons hoch. Keine Menschenseele. Trotzdem, denkt Stampfermann. Man sieht immer weniger Leute als tatsächlich da sind. Darum hin und wieder ein Husten aus dem Nichts. Manchmal auch ein Kanarienvogel oder eine Schlagersendung. Da und dort ist das Fenster permanent offen, Geräusche dringen nach draussen, aber wer da oben ist und was der da macht und so, das weiss der unten nicht. Immer ist weiter oben einer und zupft an den Fäden und kichert sich krumm, denkt Stampfermann. Und plötzlich spuckt man dem Bürokraten einen dicken Grünen vor die Füsse und fragt sich, war das jetzt ich oder der da oben am Faden? Eine Unfreiheit ist das, eine verdammte Unfreiheit.
Der Bürokrat hustet, die Zigarette landet am Aushubhaufen und qualmt dort weiter. »Also nochmal. Diese ganze Hälfte des Platzes, Männer, hört ihr mir zu? Die ganze Hälfte muss tiefergelegt werden, wegen der Drainage. Wasser muss abfliessen, und zwar in die Rinnen, wo ihr gelegt habt, klar? Geht das in euren Schädel rein?«
Stampfermann umkrallt in der Hosentasche das Zigarettenpäckchen. Er würde sich gerne eine anzünden, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Dann hört er erneut ein Räuspern. Er blickt hoch. Da, auf dem Balkon. Ein Mann in einem lindgrünen Bademantel, in der Hand hält er ein Glas Milch. Aus seiner offenen Balkontür dringt Trällermusik, eine Katze streckt den Kopf durch das Gitter des Geländers. Ist er es etwa? Ist er derjenige, der die Fäden in der Hand hält und sich Kringel in den Bauch lacht? Stampfermann presst die Lippen zusammen.
»He! Zuhören! Bei euch muss man sich ja schon fragen. Was da im Oberstübchen läuft den ganzen Tag. Habt ihr’s begriffen? Schräge Ebene, wie in der Schule, aber ihr habt ja nicht aufgepasst damals, sonst wärt ihr jetzt nicht hier. Wasser muss abfliessen können. Alles in die gleiche Richtung. Nämlich hierhin. Ich sag’s gern noch einmal, wenn ihr wollt, aber morgen sag ich’s nicht mehr.«
Klack-klack. Das Geräusch von Absätzen. Aber wo? Konzentrieren, denkt Stampfermann, konzentrieren. Drainage. Schräge Ebene. Abfliessen. Doch das Klack-klack der Absätze wird lauter, konzentrieren ist hier unmöglich. Stampfermann, Schottergabelmann und Schaufelmann wenden den Kopf. Da, an der Ecke, da kommt sie. Sonnenbrille in der Frisur. Basttasche. Blumenkleid. In den Hüften ein Wiegen, ein perfekt getaktetes Schlingern. Stampfermann scharrt mit den Füssen, eine Zigarette raucht verloren am Aushubhaufen, oben schlägt eine Balkontür zu. Und auf der anderen Strassenseite kommt das Schlingern näher und näher und die Absätze machen klack-klack, klack-klack, klack-klack. Stampfermann würde jetzt gerne ein Anwerfseil reissen. Eine Wut hat ihn gepackt, eine Wildheit, er will eine Schaufel werfen, einen der anderen Dreckshunde würgen, aber er bleibt still. Diese Frau. Ihr Blick, das Blumenkleid, das Schlingern. Sie biegt um die nächste Ecke und verschwindet. Das Klacken wird leiser. Verfluchte Welt, denkt Stampfermann und drückt das Zigarettenpäckchen in der Hosentasche zusammen.
Der Bürokrat hustet erneut und verwirft die Hände. »Ja, ihr könnt schon schauen, ihr. Und was mache ich unterdessen?« Wieder hustet er, sein Gesicht läuft rot an. »Ich sag’s euch: Rechnen! Wisst ihr eigentlich, was das Ganze…«, nochmals das Husten, »…und wieviel Tage wir wieder«, und nochmals, »dabei kalkuliere ich bereits jetzt am Rand des Abgrunds, aber was wisst ihr schon. Perlen vor die Säue!« Das Husten will nicht aufhören, und die Wut darüber treibt dem Bürokraten noch mehr Röte ins Gesicht. Da erblickt er den Alten hinter der Abschrankung. »Hat der Greis da vorne etwas gesagt? Der hat doch etwas gesagt. He, Sie! Ja, Sie! Abhauen! Weg hier! Für Unbefugte verboten. Ja, auch ausserhalb der Abschrankung, hopp jetzt. Können wir nicht brauchen hier, solche wie Sie!«
Der Alte dreht langsam ab und zottelt davon. Ein Geräusch ertönt aus seiner Richtung, ein kurzes Schluchzen, abgewürgtes Wimmern, es pflanzt sich fort, steigt zwischen den Hausmauern hoch und verschwindet im blassen Himmel. Der Rotzbub steht noch immer da. Als der Bürokrat ihn mustert, zuckt er zusammen, beginnt in der Luft zu wabern, zu flimmern.
»Gaffer!«, bellt der Bürolist und spuckt. Die Spucke landet auf Schaufelmanns Hose. Schaufelmann hat es nicht gemerkt, aber Stampfermann sieht’s. Im Augenwinkel. Dieser verdammte Augenwinkel zeigt alles. Der Bürokrat geht zu seinem Kadjar, öffnet die Tür. »Morgen früh kommt der Teer«, ruft er. »Macht von mir aus, was ihr wollt, aber morgen machen wir den Deckel zu und fertig.« Der Bürokrat fährt los.
Oben die Sonne, hier unten Vogelpfeifen und ein Kläffhund. Drainage, denkt Stampfermann und quetscht noch immer das Zigarettenpäckchen in der Hosentasche. Alles fliesst irgendwo zusammen. Erst langsam, dann schneller und schneller. Und dann, ja, dann! Wer weiss schon, was dann passiert.
Er dreht sich um und geht zu seinem Dieselstampfer. Als die Maschine losrabaukt, erscheint das Bild des Alten in seinem Augenwinkel. Beim Unterstand auf der anderen Strassenseite steht er, der schrullige Gaffgreis, im Mund der ewige Zahnstocher. Stampfermann lässt ihn im Augenwinkel, schön am Rand des Gesichtsfelds. Er sieht, der Alte ist nicht allein im Unterstand. Etwas Störrisches, Verstocktes klemmt in seiner Hand. Es reisst, das Störrisch-Verstockte, es schüttelt und windet sich, aber die Hand des Alten lässt es nicht los. Und der Zahnstocher in seinem Mund wippt und wirbelt. Dann holt die andere Hand des Alten aus und schlägt zu, haut zünftig drauf aufs Störrisch-Verstockte, dass es knallt.
Alles fliesst zusammen. Erst langsam, dann schneller und schneller. Und irgendwann passiert’s, denkt Stampfermann. Irgendwann knallt’s irgendwo. Feste haut der Alte beim Unterstand, feste versohlt er dem Rotzbuben den Hintern, und der Rotzbub weiss ganz genau, dass er am Ende der Kette steht und es keinen anderen gibt, der den Hintern versohlt bekommen kann, die Schläge auf seinen Hintern ergeben sich ganz natürlich aus dem Ganzen, die Ordnung besteht darin, dass am Schluss die Schläge auf seinem Hintern landen und das Gleichgewicht der Welt wiederherstellen. Irgendwann wird er nicht mehr der kleine Lümmel sein und am Ende der Kette stehen, aber er weiss, jetzt ist er es, und nichts lässt sich dagegen tun.
Stampfermann stampft und schaut sich verstohlen um. Keiner achtet darauf, wie der Alte die Ordnung herstellt. Wie das klatscht, ha! Das Gleichgewicht ist noch nicht erreicht, feste drauf auf diesen Lümmelhintern, weiter feste drauf!
Dann fällt aus heiterem Himmel ein leeres Milchglas hinab und zerschellt auf dem Schotter. Stampfermann schaut hoch, sieht leere Balkons, halb offene Fenster. Oben hat man die Fäden losgelassen, denkt er. Oben hat man die Zügel fahren lassen! Und prompt lässt er selber seine Maschine los. Sie hopst wütend auf ihrem einen Fuss davon, verlässt das kiesige Rechteck, wackelt wie ein besoffener Tanzbär über ein Rasenstück, durch eine Hecke hindurch und weg ist sie.
Stampfermann lächelt. Dann setzt er sich auf die Bordsteinkante und klaubt die letzte Zigarette aus dem zerfetzten Päckchen. Schaufelmann knabbert Sonnenblumenkerne, Schottergabelmann trinkt aus der Zweiliterflasche. Das Gleichgewicht der Welt, denkt Stampfermann und zündet sich eine Zerdrückte an. Hier ist es wieder. Man ist und bleibt ein Dreckshund, aber wenigstens ist das Gleichgewicht der Welt wieder hergestellt. Von dort, wohin seine wilde Geiss entschwunden ist, ertönen jetzt ein Rumpeln, ein paar Rufe und ein bisschen Geschrei. Zigarette anzünden, erster tiefer Zug. Herrlich!
Stampfermann blickt ein letztes Mal zum Unterstand. Der Rotzbub ist weg. Der Alte streicht sich die Haare glatt, furzt und zieht einen neuen Zahnstocher aus der Hemdtasche. Stampfermann nickt ihm zu. Der Alte schaut zurück, ohne die Miene zu verziehen. Und der Zahnstocher beginnt zu wippen und zu wirbeln.
Jens Steiner, geboren 1975, studierte Germanistik, Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft in Zürich und Genf. Sein erster Roman «Hasenleben» (2011) stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2011 und erhielt den Förderpreis der Schweizerischen Schillerstiftung. Jens Steiner wurde 2012 mit dem Preis Das zweite Buch der Marianne und Curt Dienemann-Stiftung ausgezeichnet. 2013 gewann er mit «Carambole» den Schweizer Buchpreis und stand erneut auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Sein letzter Roman «Mein Leben als Hoffnungsträger» erschien bei Arche.
Über die Jahre ist Peter Stamm ganz leise ins literarische Bewusstsein der Schweiz gerutscht, mit jedem Buch ein bisschen tiefer. Schon im ersten Buchpreisjahr 2008 war Peter Stamm mit «Wir fliegen» Nominierter, 2011 mit «Seerücken». 2013 war der Thurgauer gar nominiert für den Man Booker International Prize. Und im vergangenen Jahr war es endlich soweit, eine fast schon logische Konsequenz: Peter Stamm erhält für «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» den Schweizer Buchpreis 2018.
Einmal traf ich Peter Stamm an der Fährenanlegestelle in Romanshorn. Damals begleitete er die Dichterin Daniela Danz auf einem Stück ihrer Reise von ihrem Wohnort im Bundesland Thüringen nach Bern zu einer Lesung. Peter Stamm, der Spaziergänger zusammen mit der sprachgewaltigen Dichterin. Wir sassen zu dritt in einem IC Richtung Zürich, sprachen über das Schreiben und Reisen, so wie Schreiben immer eine Reise ist. Als Begleiter des Schweizer Buchpreises 2019 stellte ich dem Preisträger des letzten Jahres ein paar Fragen.
„Mein Krönchen abgeben, keine Supermärkte mehr einweihen und bei keinem Schwingfesten mehr den Muni überreichen“, schriebst du mir, als ich dich um Antworten auf meine Fragen bat, ein Jahr nach der Preisübergabe.
Gibt einem ein solcher Preis eine neue Position? So etwas wie eine Instanz? Oder bleibt bloss eine hübsche Urkunde irgendwo zwischen Schreibtisch und Haustüre? Bleibt etwas?
Die Idee des Preises war ja von Anfang an, den Verkauf von Büchern zu fördern, nicht, die Autorinnen und Autoren unsterblich zu machen. Die Literatur ist viel schnellebiger als man denkt. Der Bestseller von heute kann in zwanzig Jahren völlig vergessen sein und in fünfzig ist er es mit grösster Wahrscheinlichkeit. Oder auch nicht. Aber wenn er nicht vergessen ist, dann wohl nicht wegen Preisen, die er oder sie gekriegt hat. Selbst die Liste der Preisträgerinnen und Preisträger des Nobelpreises besteht zum grössten Teil aus vergessenen Namen. Und die meisten der nichtvergessenen Autorinnen und Autoren haben den Nobelpreis nie gekriegt. Was bleibt sind einige Bücher. Ich habe übrigens keine meiner Urkunden aufgehängt, das wäre mir zu peinlich.
Die Verleihung des Schweizer Buchpreises soll ein Medienspektakel sein. Das Radio berichtet live und im Theater Basel stehen an diesem Sonntag morgen Fernsehkameras vom SRF. Aber ein richtiges Spektakel wird der Preis vor allem in seinem Nachgang; wenn Medien kommentieren, wenn in grossen Tageszeitungen seitenfüllende Vorhaltungen publiziert werden und man wie jedes Jahr bestätigt wird, dass es wie mit jedem Wettbewerb ist; Jemand gewinnt und viele verlieren. Dabei sollte der Literaturbetrieb gewinnen. Tut er es?
Er kriegt Aufmerksamkeit und darum geht es doch. Wir wollen auch mal ein bisschen Glamour. Schreiben und Lesen sind stille Geschäfte. Politiker gehen an Sportereignisse, allenfalls noch an die Art Basel oder ein Filmfestival, ganz bestimmt nicht zu Lesungen. Ich habe in meiner ganzen Karriere erst einmal einem Bundesrat die Hand geschüttelt und das war, als er ein Buch schrieb und ich ihn moderiert habe.
Und doch sind sie wichtig, diese Preise. Nebst Publicity fliesst Geld, das AutorInnen mehr oder weniger unabhängig macht, zumindest eine gewisse Zeit, Dinge ermöglicht, die sonst nicht umsetzbar sind.
Das stimmt schon, so ein Preis kann eine Entlastung sein. Man darf nie vergessen, dass die meisten Autorinnen und Autoren grosse Mühe haben, von ihrem Schreiben zu Leben. Die Leistung, die die Literatur für das Land erbringt, wird nicht abgegolten. Die Schweiz brüstet sich gerne mit ihren grossen Autorinnen und Autoren, aber sie tut praktisch nichts für sie. Im Gegenteil: siebzig Jahre nach unserem Tod werden wir quasi enteignet, indem man unser Erbe, also unsere Urheberrechte als Allgemeingut erklärt. Und Mäzene gibt es meines Wissens auch keine mehr. Ein Literaturpreis ist eine gute Sache, aber er ändert nichts am grundsätzlichen Problem, dass man vom Schreiben kaum leben kann. Ich beklage mich nicht, ich lebe gut vom Schreiben, aber ich sehe einfach, wie viele das nicht können und sich noch nicht einmal beklagen.
Der Fernsehliteraturkritiker Denis Scheck nannte dich vor nicht langer Zeit einen „Ausnahmeautor“, einer der für seine Kunst des Weglassens ebenso gelobt werde, wie dafür, was am Schluss auf dem Papier steht. Was ich an deinen Büchern so schätze, ist aber auch das, womit sie mich nach der Lektüre zurücklassen; vielen offenen Fragen, eine Spur Ratlosigkeit und die Gewissheit, dass man Leben nicht „aufschreiben“ kann. Wird das auch in den Reaktionen deiner Leserinnen und Leser gespiegelt?
Ja, schon. Aber wenn ich dann mit den Leuten rede und ihnen erkläre, weshalb es keine „Lösungen“ geben darf in meinen Texten, verstehen sie das eigentlich immer. Natürlich gibt es auch Leute, die mit meinen Büchern nichts anfangen können, auch damit habe ich kein Problem. Ich kann ja auch mit ganz vielen Büchern nichts anfangen und das heisst nicht, dass sie schlecht sind. Sie sind einfach nicht für mich geschrieben.
Du bist ein Spaziergänger. Ein Spaziergänger, der der Enge der Schreibklause entflieht, dem Lärm seiner Umgebung? Ein Spaziergänger, der sich so in die Gänge bringt? Ein Spaziergänger in der Tradition Robert Walsers?
Ich würde mich nie mit Rober Walser vergleichen wollen. Spaziergänger gibt es viele, aber Robert Walser gab es nur einen. Beim Spazieren kann ich einfach besser denken als beim sitzen. Das ist natürlich auch ein bisschen mühsam, vor allem, wenn es regnet. Ich bin einfach gerne an der frischen Luft, ich hätte wohl auch Briefträger oder Gärtner werden können. Nur schreiben kann ich dummerweise fast nur in geschlossenen Räumen. Also ist es ein ewiges Hin und Her. Rausgehen um nachzudenken, reingehen um es aufzuschreiben.
In Weinfelden aufgewachsen begann deine berufliche Karriere als kaufmännischer Angestellter und Buchhalter. Was ist davon geblieben?
Ich mache heute noch meine Buchhaltung selbst. Nur bei der Steuererklärung habe ich Hilfe. Ich bin mich gewöhnt, genau zu arbeiten. Ein Buchhalter kann nicht „fünfe grad sein lassen“. Ich weiss noch, wie mein Lehrmeister mir beibrachte, dass auch ein Fehler von nur fünf Rappen gefunden werden muss. Ich hätte liebend gerne die fünf Rappen bezahlt, aber ich musste den Fehler stundenlang suchen.
Mit Preisen wie dem Schweizer Buchpreis sollen Bücher und ihren Autorinnen und Autoren grösstmögliche Aufmerksamkeit im In- und Ausland erreichen. Hättest du die Möglichkeit, eine Autorin oder einen Autor für einmal ganz ins Rampenlicht zu stellen, um sie oder ihn auf ein wohl verdientes Podest zu heben, sie dem Vergessen oder Übersehen zu entreissen, wer wäre es?
Es gibt ganz viele, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten, aber wenn ich jetzt einen Namen nenne, dann unterstelle ich der Person Misserfolg und das wäre nicht sehr freundlich. Ganz generell bekommt aber die Lyrik viel zu wenig Aufmerksamkeit, ähnlich wie die zeitgenössische Musik, die fast eine Sekte ist und kaum gehört wird im Lärm der Greatest Hits der Klassik, die rauf und runter gespielt werden. Um aber doch noch einen Namen zu nennen: ich glaube, Hartmut Lange hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Er ist ein stiller Autor, aber er schreibt wunderbare Bücher.
Es wäre alles da für ein perfektes Familienidyll; Chris arbeitet zuhause, Antonia bald schwanger, Timon ein hübsches, gesundes Kind. Aber Idyllen existieren nicht. Chris setzt sich ab, zuerst phasenweise, dann endgültig. Antonia fühlt sich allein gelassen, einsam, überfordert. Timon und Antonia, ein Doppelgestirn, ein Doppelplanet, durch Familienbande aneinander gekoppelt, durch wachsende Zentrifugalkraft auf Konfrontation mit all jenen Gestirnen, die sich auf ewig gleichen Bahnen befinden.
„Balg“ ist ein Schimpfwort. Abgezogenes Fell, ein freches Kind. Aber wer ist schon der, der er sein könnte. Timon ist genauso das Resultat von vielem, wie seine Mutter Antonia, wie seine Grossmutter Lydia. Da war ein kleines Kind, das durch Mark und Bein schrie. Ein kleiner Junge, der biss und schlug. Ein Schuljunge, mit dem keine Lehrkraft klarkommen wollte oder konnte. Timon, zuerst von seiner Mutter eingesperrt, damit diese Luft bekommt, dann ausgesperrt, weil die Mutter keine Luft mehr bekommt, wird zum Kometen, der sich auf unberechenbarer Bahn mit langem Schweif durch ein verkorkstes Leben bahnt.
Irgendwann lernt Antonia einen neuen Mann kennen, einen, der mit ihr zusammenleben will, aber nicht mit dem unberechenbaren Balg, mit Timon, der sich allen und allem entzieht. Aber statt ihren Sohn mitzunehmen, botet Antonio, der neue Mann, ihn aus, nimmt ihm das Wenige, das Timon von seinem Vater, den er manchmal am Wochenende sieht und auch längst in einer neuen Familie lebt, geschenkt bekommt. Antonia weiss oft nicht, wie ihr geschieht, ist genauso Opfer ihrer Reflexe und Reaktionen wie ihr ausser Rand und Band geratener Sohn.
Im gleichen Dorf lebt Valentin der Postbote. Vor Jahren war er der Dorflehrer, irgendwann suspendiert und im Dorf hängen geblieben, mit einem Makel. Antonia war als Schülerin die Freundin seiner einzigen Tochter, jener Tochter, die er nie mehr sah, von der er nichts weiss, seit sie ihn zusammen mit seiner Frau verliess. Antonia macht Valentin für eine Katastrophe in der Vergangenheit verantwortlich, die nicht nur ihn selbst, sondern auch sie aus der Bahn geworfen hatte, aus der Kindheit rausgerissen, entwurzelt. Und ausgerechnet mit ihm, mit Valentin, dem alt gewordenen Sonderling, den man im Dorf wie etwas Übriggebliebenes behandelt, freundet sich Timon an. Gegen den Willen seiner Mutter.
Timon entgleitet. Allen. Selbst Valentin, der ihn im Garten, bei seinen Tieren oder auch an seinem Tisch gewähren lässt, der ihm den einzigen Ort gibt, an dem er sich nicht in die Enge getrieben fühlt, ist von den verqueren Wahrnehmungen einer Dorfgemeinschaft nicht gefeit. Einmal ins schlechte Licht getaucht – immer empfänglich wie elektromagnetisch aufgeladenes Textil.
Alle sind sie einsam. Alle irgendwie verloren, eingeschlossen, ausgeschlossen.
Eine der vielen Qualitäten des Romans ist Tabea Steiners Zurückhaltung, bei aller Katastrophe das Maximum nicht ausgeschöpft zu haben. Es geht der Autorin weder um die Katastrophe, noch um ein Soziogramm eines vermeintlichen Dorfidylls. Tabea Steiner begleitet mit überzeugendem Feingefühl, erzählt die Geschichte aus mehrfacher Perspektive, stülpt das Innere ihrer Protagonisten nicht gegen Aussen. Sie alle sind Opfer ihrer Geschichte. Eine andere Qualität dieses Romans sind all die Halbschatten, die nicht ausgeleuchtet sind, das bloss Angedeutete, das dem Leser überlassen ist, das aber gleichsam mitschwingt und dem Buch, dem Erzählten Raum gibt. Und nicht zuletzt ist es die unaufgeregte, sorgfältige Art des Erzählens, einer Sprache, die sich nicht nur inhaltlich behutsam nähert, sondern in ihrem Ausdruck.
Ein Interview mit Tabea Steiner:
Du engagierst dich seit Jahren für die Literatur, sei es als Leiterin des Literaturfestivals in Thun, als Moderatorin in Bern, Thun und St. Gallen, als Literaturvermittlerin im wahrsten Sinne des Wortes. Und nun dein erster Roman, dein Debüt bei einem Verlag, der es in den letzten Jahren formidabel schaffte, sich mit CH-Spitzentiteln zu empfehlen. Ist es ein Ankommen, ein Beweis oder Resultat übermässiger Anstrengung? Es fühlt sich für mich am ehesten nach Ankommen an. Auf jeden Fall ist es ja so, dass ich mich schon immer nicht „nur“ mit Texten anderer befasst habe, sondern auch selber geschrieben habe. Damit jetzt rauszugehen und der Öffentlichkeit diese andere Rolle gewissermassen zu präsentieren, heisst natürlich auch, dass ich mich nicht mehr hinter den Büchern anderer „verstecken“ kann, von denen ich weiss, dass sie gut sind.
„Balg“ ist ein sehr intimer Roman, dessen Konstruktion sich scheinbar weit weg von deiner eigenen Biographie ansiedelt, ausser vielleicht, dass sich die Geschichte irgendwo in der Ostschweiz, in einem Dorf unweit des Bodensees verorten lässt. Was dir ausgezeichnet gelang, ist aber genau jene unmittelbare Intimität, die das Buch, dein Roman, dein Debüt so sehr überzeugen lässt. Eine Nähe, die nie entblössend wirkt. Wie sehr musstest du dich darum bemühen? Ich habe eine lange Zeit mit diesen Figuren verbracht, sie, als sie da waren, genau studiert, nachgedacht, wie sie sind, was sie denken, sagen und wie sie handeln und warum. Sie sind mir auch sehr nahe gegangen, und es war mir gleichzeitig wichtig, selber auch immer ein wenig Verständnis für sie aufzubringen. Und das war zuweilen durchaus sehr anstrengend.
Alle Protagonisten in deinem Roman sind Verlorene? Wie sehr liegt in einer Zeit der totalen Vernetzung genau in diesem Gefühl eine der Untiefen unserer Gesellschaft? Sind sie Verlorene? Ich denke eher, dass sie aus unterschiedlichsten Gründen keinen oder nur einen unzulänglichen Zugang zu ihrer Sprache haben, und deswegen auch nicht imstand sind, die anderen zu verstehen. Auf jeden Fall schaffen sie es nicht, eine gemeinsame Sprache für ein Problem zu finden, das sie alle betrifft. Sie sehen es zwar alle, wenn auch auf unterschiedliche Weise, sind aber nicht imstande, darüber auch nur einen sprachlichen Konsens zu finden. Und hier setzt etwas für mich sehr Wichtiges ein: dass nämlich die Sprache politisch ist, weil wir uns darüber einigen müssen, was sie bedeutet. Es ist schwierig, sich zu unterhalten, wenn man keine gemeinsame Sprache hat – und ich glaube, dass man die Folgen davon auf Social Media, aber mehr und mehr auch im Alltag, beobachten kann, wenn Sprache in einer zunehmend verletzenden Art und Weise verwendet wird, ohne sich darum zu kümmern, dass die Sprache eben allen gehört. Niemand hat sie für sich allein, und das wäre gut so, wenn.
Gegen Schluss deines Romans lässt du Lydia, die Mutter Antonias sagen, die vieles spürt, was sie sich nicht zu sagen traut: „Man muss eben mit den Leuten reden, nicht immer nur über sie.“ Dieser Satz ist eines der Themen, die sich durch dein Buch ziehen. Und trotzdem bleibt die Einsicht, dass nicht über alles geredet werden kann. Wo liegt die Grenze zwischen befreiendem Reden und zerfleischendem Zerreden? Das ist eine sehr schwierige Frage, aber nicht nur literarisch. Jeder Mensch geht wieder ganz anders um mit Dingen, manche wollen darüber reden, andere wieder können nicht. Ich glaube nicht, dass ich diese Frage je wirklich werde beantworten können, wünsche mir aber, dass mehr darüber nachgedacht und gesprochen und geschrieben wird.
In deinem Roman steckt ein ungeheures Potenzial an Katastrophen. Einige hast du geschehen lassen, vielem bist du mit Absicht ausgewichen, hast der Versuchung von allzu beabsichtigter Plottverdichtung widerstanden. So wie das Leben nur in Ausnahmefällen das Maximum an Katastrophe zulässt. Zum Glück. Wie sehr musstet du gegen Versuchung ankämpfen? Ich musste, wie oben angedeutet, eher gegen die Versuchung kämpfen, den Figuren doch das eine und andere zu ersparen, sie freundlicher erscheinen zu lassen, sympathischer. Aber dann wäre es eine andere Geschichte geworden, und so bin ich streng mit mir und manchmal ein bisschen hart zu den Figuren gewesen.
Ein beeindruckendes Debüt von einer Autorin, von der ich nichts anderes erwartet hätte!
Tabea Steiner, Jahrgang 1981, ist auf einem Bauernhof in der Nähe des Bodensees aufgewachsen und hat Germanistik und Geschichte studiert. Sie hat das Thuner Literaturfestival initiiert, ist Mitorganisatorin des Berner Lesefestes Aprillen und Mitglied der Jury der Schweizer Literaturpreise. 2011 hat sie an der Autorenwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin teilgenommen. Tabea Steiner lebt in Zürich.
5 Namen, 5 Bücher. 4 Frauen, 1 Mann. 2 Debütromane, 1 «Zweitling», 2 Werke in langer Reihe. Vom Kleinräumigen ins Grossräumige, von rissiger Idylle bis zur Endzeitstimmung. Die Shortlist des Schweizer Buchpreises 2019 hat es in sich und überrascht. Wie immer. Was sie auch tun soll.
Freuen sie sich! Der kleine Strauss an Büchern könnte unterschiedlicher und vielseitiger nicht sein. Wer sie alle liest, wird staunen, wie breit sich Literatur lesen lässt, dass sich sowohl Inhalte wie Erzählweisen diametral voneinander unterscheiden können. Lesen Sie nicht nur die Bücher, sondern nutzen sie die vielen Möglichkeiten, die Autorinnen und den Autor auf ihrer langen Lesereise zu begegnen (z. B. am 25. Oktober im Literaturhaus Zürich oder an der BuchBasel vom 8. – 10. November).
Für den Schweizer Buchpreis 2019 hat die Jury über 70 Titel aus 45 Verlagen geprüft. Der Jurysprecher Manfred Papst sagt zur Wahl: „Die Bandbreite an Themen und Herangehensweisen war gross, und es gab viele interessante junge Stimmen. Die Jury hat sich für fünf eigenwillige und überraschende Texte entschieden:
Jury: In ihrem Roman «GRM.Brainfuck» treibt Sibylle Berg den entfesselten Neoliberalismus auf die Spitze und attackiert eine moralisch verkommene Zwei-Klassen-Gesellschaft mit ihrer eigenen entfesselten Phantasie. Dieser Entwicklungsroman ist eine Mind Bomb von emotionaler Wucht.»
Sibylle Berg ist ein Eckpfeiler in der deutschsprachigen Literatur, Garantin dafür, dass Literatur Leserinnen und Leser an die Grenzen der Wohlfühlzone bringt – zuweilen auch darüber hinaus. Sibylle Berg schreibt keine Literatur fürs Nachttischchen. Wenn man dann doch vor dem Schlaf liest, kann sich das Gelesene durchaus störend in den Schlaf schleichen.
«GRM.Brainfuck» Vier Kinder in einer heruntergekommenen Stadt in Grossbritannien, in einem kaputten Staat, der auf Überwachung setzt. Sibylle Berg (*1962) verlängert in «GRM.Brainfuck» (Kiepenheuer & Witsch, 2019) eine brutale Gegenwart in eine gnadenlose Zukunft.
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Jury: «Im vielschichtigen Roman «Der Sprung» zeigt die Autorin Simone Lappert in einem raffiniert konstruierten Geschichtenmosaik, wie ein einziger dramatischer Moment auf verschiedene Einzelschicksale einwirkt.»
Simone Lappert überzeugte schon 2014 mit ihrem Debütroman «Wurfschatten». Mit «Der Sprung» gelang ihr aber weit mehr Aufmerksamkeit – mit Recht! Und seit dem vergangenen Internationalen Lyrikfestival in Basel im Januar dieses Jahres freue ich mich auch auf Simone Lapperts ersten Lyrikband. Die junge, umtriebige Schriftstellerin ist ein grosses Versprechen für die Zukunft!
«Der Sprung» Eine junge Frau steht auf dem Dach eines Mietshauses und weigert sich herunterzukommen. Das bringt den Alltag verschiedener Menschen aus dem Gleichgewicht. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt Simone Lappert (*1985) in «Der Sprung» (Diogenes, 2019) von Halt und Freiheit.
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Jury: «Der Traum vom Familienidyll auf dem Land erweist sich in Tabea Steiners Debütroman «Balg» als trügerisch. Der Alltag mit Kind ist für Antonia und Chris anstrengender als erwartet, zur Isolation und Überforderung gesellt sich eine zunehmende Entfremdung. Diese Entwicklung zeichnet Tabea Steiner in einer einfachen, lakonischen Sprache mit glasklaren Bildern nach.»
Tabea Steiner, schon lange tätig als Organisatorin verschiedener Literaturfestivals (Literaare in Thun oder Aprillen in Bern), als Moderatorin, Literaturvermittlerin lebt ganz in der Literatur. Dass ihr jetziger Verlag Edition Bücherlese zusammen mit ihr ins Rennen um den Schweizer Buchpreis geschickt wird, freut mich sehr.
«Balg» Timon, ein «Problemkind», steht im Zentrum des Debütromans «Balg» (edition bücherlese, 2019) von Tabea Steiner (*1981). Aus wechselnden Perspektiven erzählt sie von Überforderung und Ausgrenzung in einem Dorf, das nicht zur Idylle taugt.
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Jury: «Alain Claude Sulzer erzählt in seinem Roman «Unhaltbare Zustände» die Geschichte eines gewissenhaften alternden Angestellten. Der Autor schildert in einer Sprache, die sich und uns Zeit lässt, eine so vielschichtige wie anrührende Figur.
Seit Alain Claude Sulzers Roman «Urmein», der vor mehr als 20 Jahren bei Klett-Cotta erschien, bin ich treuer Begleiter des Basler Schriftstellers. Ein Autor, der es versteht, aus der Normalität den Glanz des Speziellen herauszufiltern, der mir das Gefühl gibt, an etwas Besonderem teilzuhaben.
«Unhaltbare Zustände» Die Schaufenster des Dekorateurs Stettler sind legendär, über viele Jahre pilgern die Leute zum Warenhaus, um sie zu sehen. Doch dann kommt Stettlers Leben ins Wanken. Alain Claude Sulzer (*1953) beleuchtet in «Unhaltbare Zustände» (Galiani, 2019) die gesellschaftlichen Umbrüche der 1968er Jahre auf ungewöhnliche Weise.
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Jury: «Ein Zug zwischen Paris und Zagreb, eine junge Frau zwischen den Ländern und Sprachen ihres Lebens: «Die Nachkommende» von Ivna Žic ist ein Debüt von grossem Sprachbewusstsein und sinnlicher Intensität.»
Ivna Žic, eine neue Stimme, «wie aus dem Nichts» schreibt der Tages Anzeiger, eine frische Art des Erzählens. Eine Lesereise, bei der ich als Leser oder Leserin mit einsteige, weg und hin – oder hin und weg. Ihr Erstling «Die Nachkommende», erschien beim renommierten Wallstein Verlag.
«Die Nachkommende» Ivna Žic (*1986) verbindet in ihrem Debütroman «Die Nachkommende» (Matthes & Seitz, 2019) die Geschichte einer jungen Frau, die unterwegs zu ihrer Familie in Kroatien ist, mit einer Liebesgeschichte in Paris. Eine vielschichtige Spurensuche zwischen damals und heute.
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