Interview mit Rolf Lappert, dem ersten Schweizer Buchpreisträger #SchweizerBuchpreis19/2

Der erste Jahrgang bei den Nominierten zum Schweizer Buchpreis 2008 war ein aussergewöhnlich starker Jahrgang mit klingenden Namen, faszinierenden Büchern und einer frischen Stimme mit einem Erstling: Anja Jardine mit «Als der Mond vom Himmel fiel», Adolf Muschg «Kinderhochzeit», Peter Stamm «Wir fliegen», Lukas Bärfuss «Hundert Tage» und Rolf Lappert mit «Nach Hause schwimmen».

© Lea Frei

Damals hiess der erste Gewinner Rolf Lappert. Sein preisgekrönter Roman erzählt die Geschichte von Wilbur. «Wilbur ist kein Glückskind. Ohne Eltern bei der Grossmutter aufgewachsen, die verstirbt und mit einem besten Freund, der in einer Erziehungsanstalt lebt, bleibt Wilbur ein Verlierer. Erst die charmante Aimee bringt ihm etwas anderes bei. Wilbur muss endlich lernen zu leben – ob er will oder nicht.»

Seit sich der Preisträger 2016 mit seinem Roman «Über den Winter» für eine Wohnzimmerlesung in Amriswil gewinnen liess, verbindet uns mehr als Literatur.

Ein Interview:

Rolf Lappert, sie waren mit dem Roman »Nach Hause schwimmen« der erste Träger des Schweizer Buchpreises. Was hat dieser Preis mit Ihnen und Ihrem Schreiben gemacht? Wäre Rolf Lappert heute an einem anderen »Ort«, wenn er den Preis damals nicht erhalten hätte?

Preise dieser Art sind, abgesehen von der Wertschätzung, die Autorin/Autor und Buch erfahren, vor allem eines: Werbung. Und zwar sehr effektive Werbung. »Nach Hause schwimmen« stand kurz nach der Preisvergabe auf Platz 1 der Schweizer Bestsellerliste; das hätte das Buch vermutlich ohne den Preis nicht geschafft. Neben der Anerkennung und dem Preisgeld ist es also vor allem die öffentliche Wahrnehmung, die der Preis mit sich bringt. 

Mich als Autor hat der Preis nicht verändert. Er hat mir Selbstbewusstsein beschert, das natürlich, aber er hatte nicht den Effekt, dass ich mich ab sofort auf das Schreiben von Romanen spezialisierte, die möglichst ähnlich wie »Nach Hause schwimmen« sind. Der Roman »Auf den Inseln des letzten Lichts« war dann auch etwas ganz anderes, nämlich eine Art Mischung aus Familien- und Abenteuerroman mit Schauplätzen in Irland und auf den Philippinen. Dann kam das Jugendbuch »Pampa Blues« und 2015 der Roman »Über den Winter«, der erneut die Erwartungshaltungen der Leserschaft unterlief. Am ehesten in die sprachlich-stilistische Nähe von »Nach Hause schwimmen« kommt wahrscheinlich mein in Arbeit befindlicher Roman, in dem ich wieder mit vielen Figuren, Schauplätzen und Handlungssträngen jongliere und eine fast schon epische Geschichte erzähle. Auf jeden Fall wird dieser Roman mein bisher umfangreichster.

Damals wie heute erhält der Preisträger neben Blumen, netten Worten, Komplimenten, viel Aufmerksamkeit in den Medien, zumindest für eine gewisse Zeit, 30000 Franken. Das ist für die einen sehr viel Geld, für andere ein nettes Zubrot. Was ermöglicht ein solcher Preis, eine solche Summe im Leben eines Schriftstellers?

Dreissigtausend Franken sind natürlich mehr als ein nettes Zubrot, jedenfalls für mich. Man muss aber auch die Tatsache erwähnen, dass davon ca. zehntausend Franken an Steuern entfallen. Ein halbes Jahr lässt sich mit der Summe jedoch schon leben, im Sparmodus auch etwas länger.

Die Verlage reichen die Bücher oder Manuskripte an die Jury des Buchpreises ein. Ganz bestimmt in Rücksprache mit Autorin oder Autor. Wenn man aber wie Sie dann eines Tages die Mitteilung erhält, dass man in der Runde der fünf letzten ist, in der ominösen Shortlist, was geschieht dann mit einem Auserwählten?

Man freut sich selbstverständlich. Mehr löste die Nachricht bei mir nicht aus. Man überlegt sich natürlich, ob man Chancen auf den Gewinn des Preises hat, aber das ist reine Zeitverschwendung, denn in die Köpfe der Jurys zu blicken, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich hatte mit Lukas Bärfuss und seinem Roman »Hundert Tage« veritable Konkurrenz und bin ohne allzu grosse Erwartungen nach Basel zur Preisverleihungsfeier gefahren.

Kein anderer Literaturpreis in der Schweiz geniesst derart viel mediale Aufmerksamkeit. Das war und ist Absicht. Aus genau diesem Grund wurde der Preis initiiert. Eigentlich genau das Gegenteil davon, was das Leben eines Schriftstellers sonst dominiert. Klar gab es in der Vergangenheit Schreibende, die mit ihrer Unnahbarkeit kokettierten. Aber heute scheint es immer wichtiger zu sein, sich auf das Spiel mit den Medien einzulassen, zumal der Berufsstand in vieler Augen noch immer moralische Instanz ist. Tun Sie sich schwer damit?

Ich engagiere mich privat politisch, in meinen Büchern jedoch kaum. Es gibt viele politisch schreibende Autorinnen und Autoren, die können das besser als ich. Ich sehe mich als Geschichtenerzähler – wenn in einem meiner Bücher eine politische Komponente auftaucht: gut, aber Botschaften sucht man darin vergeblich, Haltungen vielleicht schon eher.

Dass man mit den Medien umgehen und ich ein Stück weit mitspielen muss, ist eine Begleiterscheinung in unserem Beruf, und solange man die richtige Balance zwischen Selbstvermarktung und Privatsphärenwahrung findet, ist das alles gut auszuhalten.    

Traditionell sitzen alle Nominierten bei der alljährlichen Preisverleihung im Theater Basel anlässlich der BuchBasel in der ersten Reihe nebeneinander. Liest man die Bücher seiner KontrahentInnen? Gibt es eine »Gruppendynamik«, die mit der Verkündung des Preises augenblicklich verpufft?

Ich lese einiges an zeitgenössischer Literatur, natürlich auch an deutschsprachiger. Einige der Bücher meiner jeweiligen Mitnominierten lese ich, aber nicht alle. Sollte ich mit einem Roman nochmals auf eine Shortlist kommen, werde ich den Veranstaltern vorschlagen, dass alle Endrundenteilnehmerinnen und -teilnehmer die Bücher ihrer Kolleginnen und Kollegen erhalten, damit sie wissen, was die »Konkurrenz« geschrieben hat.

Eine gewisse Gruppendynamik entsteht durchaus, aber die Zeit, die man gemeinsam verbringt, ist so beschränkt, dass zwischenmenschlich kaum mehr passiert als z. B. während eines Literaturfestivals, bei dem man sich trifft und austauscht. Die meisten Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die ich kenne, sind dem Wesen nach Einzelgängerinnen und Einzelgänger – enge Freundschaften und regelmässige Kontakte sind da eher selten. Diese Frage kann ich aber nur für mich beantworten; vielleicht ist meine Einschätzung auch unzutreffend. Bei mir ist es so, dass ich mit etwa mit einem halben Dutzend Kolleginnen und Kollegen in stetigem Kontakt stehe, wobei unter »stetigem Kontakt« gelegentliche Treffen, Telefonate und E-Mail-Austausch zu verstehen ist. Letztendlich ist es ein einsamer Job, denn am Schreibtisch ist man auf sich alleine gestellt.

Einst lernten Sie Grafiker, in einer Zeit, in der man für diese Arbeit noch Stifte in die Hand nahm und Papier brauchte. Mischt sich der Grafiker heute noch in Ihre Arbeit ein, ist das Buch doch für viele ein Relikt längst vergangener Zeit?

Ein schön gemachtes Buch in den Händen zu halten, ist für mich immer ein wunderbar sinnliches Erlebnis, das durch nichts zu ersetzen ist, ganz bestimmt nicht durch einen e-reader. Zugegeben, diese elektronischen Geräte sind praktisch und in manchen Situationen einem Buch oder Papierstapel vorzuziehen, aber es geht nichts über das Gefühl, ein gebundenes Buch vor sich zu haben, darin zu blättern und es nach der Lektüre in seiner Bibliothek zu wissen.

2018 erhielt Peter Stamm den Schweizer Buchpreis für seinen Roman »Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt«. Für viele war es schlicht Zeit, Peter Stamm den Preis zu geben. Ich fand seinen Roman absolut preiswürdig. Auch wenn die Frage eigentlich gar nicht zum Preis passt, und man ihn ja schliesslich für »ein herausragendes Werk« bekommt und nicht für ein Lebenswerk – wen würden Sie krönen?

Für ein Lebenswerk? Vladimir Nabokov. Philip Roth. Anne Tyler. Urs Widmer. Paul Auster. Wenn ich noch länger nachdenken würde, kämen noch etliche Namen dazu. 

Ganz ehrlich: Was geschah mit der ausgestellten Urkunde?

Einige davon habe ich eingerahmt und in meinem Arbeitszimmer an die Wand gehängt. Das geschah einerseits aus Eitelkeit und Stolz und andererseits aus dem Bedürfnis, die Preisstifter und Jurys zu würdigen, die Geld und Zeit in die Vergabe der Preise investiert haben. Und: Die Urkunden sind recht schön anzusehen und sind ein steter Ansporn, gute Bücher zu schreiben.

Rolf Lappert wurde 1958 in Zürich geboren und lebt in der Schweiz. Er absolvierte eine Ausbildung zum Grafiker, war später Mitbegründer eines Jazz-Clubs und arbeitete zwischen 1996 und 2004 als Drehbuchautor. Bei Hanser erschien zuletzt «Pampa Blues» 2012, mit dem er den Jugendbuchpreis Goldene Leslie gewann und «Über den Winter» 2015, der im gleichen Jahr in der Shortlist zum Deutschen Buchpreis stand.

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Obwohl ich mich mit der Partnerschaft mit Schweizer Buchpreis, Buchhändler- und Verlegerverein nicht ewig binde, las ich vor meiner Zusage, als Stimme aus dem Off die Wahl zur Preisträgerin oder Preisträger 2019 zu begleiten, noch einmal das Reglement des Schweizer Buchpreises.
Als Einleitung steht dort: „Mit dem Schweizer Buchpreis SBP zeichnen der Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband SBVV und der Verein LiteraturBasel jährlich das beste erzählerische oder essayistische deutschsprachige Werk von Schweizer oder seit mindestens zwei Jahren in der Schweiz lebenden Autorinnen und Autoren aus.
Ziel des SBPs ist es, jährlich fünf herausragenden Büchern grösstmögliche Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu verschaffen und sie in der Schweiz und über die Landesgrenzen hinaus einem breiten Lesepublikum wie auch der internationalen Buchbranche bekannt zu machen.“

© Lea Frei

Zum einen wird in den jetzigen Debatten um „Me Too“, Genderfragen und noch immer grassierender Ungleichberechtigung schwierig sein, nach acht Männern und drei Frauen und drei männlichen Preisträgern in Folge einen weiteren Mann aufs ominöse Podesten zu hieven, und nicht all jenen Stimmen recht zu geben, die mit Vehemenz erklären, wie verkrustet Machtstrukturen im Literaturbetrieb seien. Und zum andern ist es der Preis selbst, der mit seiner Geschichte und seinem Gewicht polarisiert, die einen selig macht und die andern nur ein weiteres Mal bis aufs Mark ärgert.

Der Deutsche Buchpreis hat es vielleicht schon zahlenmässig leichter. In einem Land, das zehnmal mehr EinwohnerInnen zählt, werden knapp doppelt so viele erzählende Werke ins Rennen geschickt. Er kann es sich zudem leisten, neben einer Shortlist auch eine 20plätzige Longlist zu präsentieren. Somit verteilt sich die Aufmerksamkeit auf ein viel grösseres und breiteres Feld. Die Landschaft der Schweizer Literatur ist klein, viel kleiner als die unseres grossen Nachbarn. Undenkbar auch, dass es in Deutschland ein jährlich stattfindendes Literaturfest wie die Solothurner Literaturtage geben könnte, die sich als Werkschau des aktuellen Literaturschaffens bezeichnen könnte. Was aber in der fast überschaubaren CH-Literatur auch nicht wirklich funktioniert, denn die Diskussionen darüber, wer zu einer solchen Nabelschau eingeladen werden soll, wird nicht weniger emotional.

Die ernstzunehmenden Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die sich mit Recht Chancen auf den Schweizer Buchpreis ausrechnen könnten, sind nicht viele. Umso mehr wächst die Versuchung, sich bei der Vergabe durchaus grosse Chancen auszurechnen, erst recht, wenn man mit einem erfolgreichen Titel die Schaufenster zieren könnte und einem die Presse hofiert. Die Jury kann es nur falsch machen, die Vergangenheit beweist es. Erstaunlich genug, dass es Frauen und Männer gibt, die sich dem aussetzen und einen alten Hasen in diesem Gremium, der ein weiteres Mal dort amtet und als langgedienter NZZ-Kulturredaktor zum Urgestein des Schweizer Literaturbetriebs gehört.

Unter fünf herausragenden Büchern soll eines den Preis erhalten. Ohne das Prozedere eines solchen Preises zu kritisieren; Sollte man vielleicht gänzlich auf einen einzelnen Titel verzichten und die 42000 Fr. gleichmässig unter den Nominierten verteilen? Nicht zuletzt wären die 8400 Fr. eine Summe, mit der eine Schriftstellerin oder ein Schriftsteller etwas anfangen könnte, zwei bis drei Monate sorglos schreiben. Aber alle Welt giert nach einem Gewinner oder einer Gewinnerin. Genauso wie nach dem Skandal oder Eklat. Dem Buch tut es gut. Ob es der Szene gut tut, die in den Augen vieler auf ein kleines Spielfeld reduziert wird, bezweifle ich, ohne für die Abschaffung eines solchen Preises plädieren zu wollen. Solange die meisten Autorinnen und Autoren ein Leben lang um ihre Existenz kämpfen müssen, solange man Kunst noch immer allzu oft bloss als Sahnehäubchen respektiert, das geschriebene Wort nicht nur in der Literatur an Wert verliert und alt bewährte Strukturen wie das traditionelle Verlagswesen immer aufopfernder um ihr Überleben kämpfen müssen, braucht es Preise, auch einen solchen wie den Schweizer Buchpreis!

Nur ein Wort zu meiner ganz nebensächlichen Rolle: Ich bin weder Literaturkritiker noch Träger eines Amtes, das mich irgendwie in die Nähe des Literaturbetriebs bringen würde. Ich bin weder grosser Player noch Lobbyist. Ich bin nur eines; ein Leser, der schreibend seine Leseeindrücke präsentiert, ein Leser, der seiner Leidenschaft eine Spur gibt, ein Leser, der nicht wie andere auf der Suche nach dem heiligen Literaturgral nur jenen Büchern eine Daseinsberechtigung einräumt, die den elitären Ansprüchen einer verkopften Kulturoberschicht genügen. Ich bin ein Leser, ganz einfach.