Im Suff bricht Noah den bronzenen Speer aus der Hand der Athene auf dem Münchner Königsplatz. Und weil Martin dabei ist, immer dabei ist, wenn Noah das Denken einstellt, sitzen die beiden in einem gemieteten Transporter, mit nichts als dem Speer auf der Ladefläche und fahren an den Ort ihrer Kindheit. Kristin Höller schrieb einen Roman voller Dramatik über die Einsicht, dass sich mit dem Erwachsenwerden gar nichts klärt.
Noah hatte Glück. Noah hat immer Glück. Durch Beziehungen kam er in ein Casting zu einem Kinostreifen, ergatterte eine der Hauptrollen, machte Kasse, prangte auf Plakaten, war Liebling auf Partys in der grossen Stadt, bis die Zeit begann, den Ruhm zu fressen und er sich die Leere danach mit einer „Auszeit“ schönredete. Martin ist mitgegangen, weg vom Dorf, weg vom Mief, weil er glaubte, sein Freund wäre das Tor zur Welt, der Schlüssel zu dem, was im Dorf ihrer Eltern verschlossen bleibt.
Und als der Alkohol sie raus aus der Party trieb, wieder eine auf Fischgrätparkett und mit Leuten, die Martin nicht kennt, ein ganzer Pulk durch München schwankt bis auf den Königsplatz, wo Noah ausgerechnet der Göttin der Weisheit, der Strategie und des Kampfes den Speer aus der Hand reisst. Nichts von Weisheit, Strategie und Kampf. Noah mietet einen Transporter, Martin muss mit, der Speer muss weg. „Ich brauch dich“, sagt Noah. Es ist mehr Befehl als Bitte.
Sie fahren in den Ort, den sie vor zwei Jahren verlassen hatten. Den Ort mit dem kleinen Bahnhof, den Reiheneinfamilienhäusern, den Carports, dem Glashaus von Noahs Eltern und dem Wohnsilo, wo Mugo wohnte. Dahin, wo sie ohne Speer nichts hingezogen hätte, das mit Speer aber die einzige Option für Noah schien. Sie versenken das bronzene Ding im Baggersee, unweit vom Ort und rufen nach scheinbar erfolgreicher Beseitigung jene zusammen, die im Dorf geblieben sind. Martin erfährt dabei, dass auch Mugo wieder hier ist, die eigentlich Maria heisst, aber ihren Namen nicht mag, dann viel lieber Mu(tter)go(ttes). So wird aus dem glamourösen Absetzen aus dem Mief der Enge und Biederkeit eine verzweifelte Bruchlandung zwischen Fassungslosigkeit und Ernüchterung.
Martin trifft Mugo im Tankstellenshop mit Käppi und passendem T-Shirt. Sie, die immer Wütende, die Kluge, die Schöne, die wie er wegwollte, von der er wegging, er nach München, sie nach Wien. Mugo, die einzige Frau, deren Küsse nach wirklichen Küssen schmeckten, die ihm die Welt erklärte, die ihm damals schon klarzumachen versuchte, dass er bloss Noahs Anhängsel war. Martin trifft seine Eltern, bei denen die Zeit stehen geblieben ist, wird eingeladen zu einer Party bei Noahs Eltern, bei der der Riss in den Kontinentalplatten aufbricht, aber nur er die Lava darunter sieht, den glutheissen Mief, der nicht nur ihm den Atem nimmt.
Kristin Höller giesst mit Vergnügen Öl ins Feuer, brennt mit sprachlichem Okular, bis es raucht. Ein Roman mit dem Esprit von Wolfgang Herrnsdorfs „Tschick“, wie ein Low-Budget-Film, der dafür umso mehr durch seine Art des Erzählers und die Schauspieler überzeugt. „Schöner als überall“, die Umkehrung von ‚Überall ist es schöner‘ erzählt von der ersten grossen Ernüchterung, den ersten wirklichen Niederlagen, dem Aufwachen, dem Erwachsenwerden. Auch Martins und Noahs Eltern sind Erwachsene, aber umgeben von Fassaden, die das Überleben in all den Kompromissen ermöglichen. „Schöner als überall“ ist das Ende einer Illusion, das Ende einer Freundschaft und der Beginn von tatsächlicher Abnabelung und dem Erkennen, dass man letztlich alleine bleibt.
Ein Buch, das durch einem hindurchzieht wie ein Sturm, maximal unterhaltsam, witzig und mit dem berauschenden Groove einer literarischen Unverbrauchtheit!
Ein kurzes Interview mit Kristin Höller:
Von München weg geht die Fahrt von Martin und Noah vorbei an Fenchelfeldern, von denen der Duft bis weit in die Landschaft hinein wirkt. Fenchel muss eine entkrampfende Wirkung haben, sonst hätte die Intuition Noah nicht automatisch zurück an den Ort seiner Kindheit gebracht. Wer versteckt schon eine „Leiche“ dort, wo man ihn kennt. Martin heilt aber nicht der Fenchel, sondern letztlich die Liebe, auch wenn sie bricht? Steckt da ein Funke Romantik?
Als Romantik würde ich das gar nicht bezeichnen – vielmehr ist es der Glaube daran, dass immer etwas Neues entsteht, wenn Dinge kaputtgehen. Ob es dadurch leichter wird, lässt sich vorher natürlich nicht sagen, aber schon die Veränderung an sich kann sehr befreiend sein.
Ich staune über den Sog, den ihr Roman während des Lesens entwickelte, obwohl er in seiner Erzählstruktur ganz „einfach“ chronologisch aufgebaut ist. Meist sind Rückblenden in Dialoge eingebaut. Der Roman erscheint, wie in einem Guss geschrieben – war das so?
Es freut mich natürlich, dass sich diese Wirkung einstellt, tatsächlich jedoch ist das Schreiben für mich eine Arbeit wie jede andere auch – es hat sehr viel mit Regelmässigkeit zu tun und damit, es morgens vor neun aus dem Bett zu schaffen. Es gab also keinen Sturm und Drang-artigen Wahn, sondern ganz unspektakulär sehr viele Tage, an deren Ende ich jeweils zwei oder drei gute Seiten hatte.
Eine Schlüsselszene in Ihrem Roman ist die Grillparty in Noahs Elternhaus, einem grossen Glashaus zweier Architekten. Während der Hausherr vor versammelten Gästen den Toast an seine Gemahlin richtet, er durch Berührung den Kontakt zu seiner Frau sucht, bricht diese zusammen und ein Riss öffnet sich, vor dem sich die Partygesellschaft erfolgreich verschliesst. Genau das, was in der grossen Party auf unserem Planeten auch passiert. Ist Ignoranz das Übel?
Ich lasse mich ungern zu einfachen Erklärungen hinreissen. Aber ich denke schon, dass es Martins sehr genaue Beobachtungen waren, die ihn von den anderen Figuren unterscheiden und ihn daher als Erzähler überhaupt für mich interessant gemacht haben.
Wo lag die Uridee des Romans? War es die Meldung in den Medien 2014 als man Teile des Speers und eine Bronzeschale aus den Händen der Statue am Münchner Königsplatz brach?
Vor Jahren habe ich über Freunde von den Vorkommnissen auf dem Königsplatz erfahren und einen Artikel dazu gefunden. In den Monaten darauf habe ich gemerkt: Das ist eine von diesen Meldungen, die so kurios ist, dass im Kopf direkt eine Geschichte dazu entsteht. Die Ideen haben mich einige Zeit begleitet, bis immer mehr dazu kamen und es irgendwann für einen Roman gereicht hat.
Kirstin Höller ist Gast an der BuchBasel 2019!

Kristin Höller, geboren 1996, aufgewachsen in Bonn, studiert seit 2015 Sprach-, Literatur-und Kulturwissenschaften in Dresden. Freie Mitarbeit bei mehreren Zeitungen und Zeitschriften, Artist in Residence beim Prosanova-Festival 2017, Gewinnerin des Publikumspreises und des Preises des Buchhandels beim 10. Poet|bewegt sowie des Preises des Schweizer Literaturfestivals Literaare 2018. Seit Oktober 2017 ist sie Mitveranstalterin von OstKap, der Dresdner Lesereihe für junge Literatur. «Schöner als überall» ist ihr erster Roman.
Beitragsbild © Heike Steinweg/Suhrkamp Verlag

So herausfordern und beglückend für den Veranstalter, so schwierig für die Erwartete. Namen wie Herta Müller mobilisieren BesucherInnen, die sonst kaum zu locken sind. Und ist die Lesung vorüber, zieht Ruhe und Beschaulichkeit ein. Dabei verbergen sich hinter den Namen jener, die ohne Spektakel die Bühne betreten, die grossen Namen von morgen.
Zukunft auch anders gedacht werden als apokalyptisch? Reicht es, sich das Schlimmste vorzustellen, um für das gewappnet zu sein, was zu kommen droht? Gedanken darüber, warum der Mensch das einzige Wesen auf der Erde ist, das etwas produziert, was es nicht braucht – Müll. Darüber, dass das, was der Mensch durch sein Tun unausweichlich verändert, nicht das Leben wirklich meint, sondern bloss verändert, wenn auch letztlich nicht zu seinem Vorteil.
In «Jahr ohne Winter» ist ein Mann unterwegs, wörtlich. Die Biederkeit himself in Down Under. Eine Suche im Outback, einer Welt, die maximal anders ist, als jene, aus der er kommt. Bis er in einem zerbeulten Truck mit einem Aborigines sitzt, unterwegs ins Nirgendwo. Jakobs Ex-Schiegermutter Ursula ist krank, braucht dringend eine Stammzellenspende. Und Edith, seine Ex, mit der er seit fünf Jahren kein Wort gewechselt hatte, ist in Australien, in einer mehrwöchiger Schweigemeditation in der Abgeschiedenheit, in maximaler Entfernung von dem, was sonst ihr Leben ausmacht.
In dieser Welt wächst Andreas auf, auch wenn er schon als Kind merkt, dass sich Risse in den Grundfesten bilden. Zum einen, weil sich der um ein paar Jahre ältere Bruder partout nicht zähmen lässt, als Kind lieber auf dem Kinderplaneten spielt, als Jugendlicher lieber im Jugendzentrum hockt und vom Sozialkundelehrer Krafft «schlecht beeinflusst» wird und schlussendlich sogar ganz mit der Familie bricht. Zum andern, weil sich auch die Schwester niemals fassen lässt, der Onkel, der Bruder seiner Mutter angeblich nur noch die Konfrontation sucht.

In ihrem neusten in deutscher Sprache erschienenen Roman „Virginia“ leben die Mutter Peggy und ihre Tochter auf der Flucht aus einer gescheiterten Ehe mit erschwindelten Ausweispapieren als „Schwarze“ unerkannt in einem kleinen Ort in der Pampas, in Virginia, vergessen von der Weissen Seite der Amerikaner. „Virginia“ ist ein Familienroman mit überragendem Sound, ein Amerikaroman über das Leben in einer Kleinstadt im Schatten der grossen amerikanischen Metropolen, ein Identitätsroman über die Fragwürdigkeiten zugeschriebener und zugespielter Identitäten. Ein Roman über zwei Welten, Schwarz und Weiss, zwei Kasten, über eine Frau, die aus der einen Kaste ausbricht, um in der andern unterzutauchen, über Zufall und Glück, die Unmöglichkeiten von Schicksal, Geschlecht und Sexualität. Ein sprachliches Feuerwerk, das man auch in der deutschen Übersetzung von Michael Kellner geniessen kann.
zwei neue Bücher zum Entdecken und Vertiefen, zum Geniessen und Eintauchen bereitlagen, nicht nur durch ihr bekanntestes Werk „Warum das Kind in der Polenta kocht“, dass sich bei vielen Leserinnen und Leser tief in die literarische Erinnerung eingegraben hat und von der schwierigen Kindheit der Schriftstellerin erzählt, sondern weil Pedro Lenz, Tanja Maljartschuk und Rolf Hermann ganz oben auf dem Berg in einer Mitternachtslesung unter dem grossen schwarzen Zelt einer sternenklaren Nacht die Texte einer Künstlerin vortrugen. Aglaja Veteranyi, die sich das Lesen und Schreiben als Kind selbst beigebracht hatte, Artistin und Tänzerin war und sich die deutsche Sprache zu ihrem wichtigsten Instrument machte, schuf als Vielschreiberin Kunstwerke, die beim Lesen ebenso schmerzen wie bezaubern,
verwirren wie erheitern. „Café Papa. Fragmente“ und „Wörter statt Möbel. Fundstücke“ sind gesammelte Texte aus Notizbüchern, Makulaturblättern, Texte voller Witz und Tiefe, Einsichten in die Welt einer Künstlerin, für die Sprache viel, viel mehr als ein Medium war, sondern Manege selbst. Tanja Maljartschuk, die in der Ukraine aufwuchs und studierte, in Wien lebt und schreibend noch immer in das im Würgegriff unversöhnlicher Fronten gefangene Herkunftsland eingreift, nennt Aglaja Veteranyi eine Ecke ihres literarischen Dreigestirns, neben Robert Walser und Peter Bichsel.
mit „Nachtleuten“ einen fulminanten Erfolg. Und wer die Schriftstellerin in ihrer leidenschaftlichen und authentischen Art lesen und erzählen hört, ist noch um ein Vielfaches mehr bezaubert und betört vom Feuerwerk aus Sprache, Sprachwitz, Originalität und der scheinbaren Leichtigkeit, die das Erzählen der Meisterin ausmacht. Maria Cecilia Barbetta besuchte die deutsche Schule in Buenos Aires, studierte später Deutsch und kam mit 24 mit einem Stipendium nach Deuschland. „Ich habe mich verliebt in die deutsche Grammatik“, beteuert die Autorin. In „Nachtleuchten“ erzählt Maria Cecilia Barbetta von ihrer Heimatstadt Buenos Aires, von ihrem Viertel Ballester, wo sie aufgewachsen ist. Ein Kosmos der Vielfalt, ein Schmelztiegel der Kulturen. Ballester ist die Urmutter aller Geschichten und Figuren. Figuren und Orte, die sich aber überall finden, in jeder Stadt, in jedem Ort, auch in Berlin, wo die Autorin seither lebt. „Nachtleuchten“ spielt 1976, am Vorabend des politischen Umsturzes, in einer Zeit, als das grosse Verschwinden begann und in der im Laufe der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 Zehntausende ArgentinierInnen verschwanden. „Nachtleuchten“ ist ein sinnliches Feuerwerk!
Leukerbad beweist in eindrücklicher Manier, dass Lyrik nichts mit weltfremden und entrücktem Dichten zu tun haben muss. Seine Gedichte erzählen Geschichten, leuchten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, stellen Fragen, konfrontieren, springen in der Perspektive. Seine Essays spiegeln den Weitblick des Autors, fordern heraus und zeigen, wie Geschichte, Wissenschaft und Gesellschaftskritik konstruktiv provozieren können.
Immer und immer wieder dreht sich Literatur um Erinnerungen. Literatur ist die Kunst des Erinnerns, sei es im Zusammenhang mit Historie oder um das, was man in sich trägt, eingegraben bis in die Gene. Historisches Erinnern, das sich unweigerlich und gleichermassen mit Deutung und Wertung verbindet, ist wie persönliche, individuelle Erinnerung Motor des Tuns und Denkens. Literatur, selbst wenn sie sich oberflächlich betrachtet mit Gegenwart oder Zukunft beschäftigt, ist immer transformierte Erinnerung. Und wenn sich Aleida und Jan Assmann, gemeinsam Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, in Leukerbad mit ihrem Schreiben vorstellen, dann gleich mehrfach und ineinander verwoben. Über ihre Forschungen zum Thema „Kollektives Gedächtnis“ wird in verschiedenen Gesprächsformationen diskutiert und schnell klar, dass sich Literatur nicht nur mit Erinnerung befasst, sondern mit ihrem Niederschlag ganz deutlich zu „kollektiven Erinnerung“ beiträgt, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine kollektive Erinnerung, die in eine ganze Generation wirkt.
Zoltán Danyi las in Leukerbad aus seinem bei Suhrkamp erschienenen ersten Roman „Der Kadaverräumer“. Der Erzähler wird in der Vojvodina in die serbische Armee eingezogen und Augenzeuge kriegerischer Gräuel, wird nach dem Krieg „Kadaverräumer“, der tote Tiere von den Strassenrändern zu sammeln hat, wird Schmuggler, Flüchtling, unglücklich Liebender, Leidender an seinem Körper. Ein Mann, der nicht verdauen kann. „Der Kadaverräumer“ ist aber nicht einfach nacherzählte Erinnerung, sondern in langen mäandernden Sätzen ein in sieben Klagelieder gefasster Gedankenstrom. Er erschliesst sich mir als Leser nicht so einfach, da die Schichten des Fliessens vielfach sind, starke Bildern und Sätze zeigen, was der Wahnsinn eines Krieges und dessen Folgen in einem Menschen für Katastrophen anrichten können, auch dann, wenn die offensichtliche Aggression längst Erinnerung ist.
erschienenen Roman „Wie die Milch aus dem Schaf kommt“ macht sich die Erzählerin und Protagonistin Selma auf die Suche nach ihrer Herkunft. Nach dem Tod ihrer Grossmutter findet Selma unerwartet in einer Tupperware-Box Papiere und Hinterlassenschaften, die klar machen, dass nichts so ist, wie es schien. Selma macht sich auf eine lange Reise, sowohl zeitlich wie geographisch, weit zurück ins 19. Jahrhundert, tief hinein in die bäuerliche Welt des thurgauischen Donzhausen, weit weg bis in die Ukraine und nach Israel.





Es sind kurze Geschichten, vielstimmig, überraschend, sanfte und lärmende, kräftige und ganz zarte. György Dragomán spielt polyphon, wechselt von einem Instrument zum andern. Manchmal erzählend, manchmal anklagend, manchmal monologisierend, manchmal dramatisch. So wie es in der Musik Menschen gibt, die aus einer Vielzahl von Instrumenten die unterschiedlichsten Klangformen, tonalen Erzählweisen extrahieren können, so schafft es György Dragomán mich von seinem grossartigen Können zu überzeugen. Er spielt mit Sprache so wie Musiker mit ihrem Instrument. Seine Sprache ist mehr als Instrument. Er vermag in mir als Leser so unterschiedliche und divergente Resonanzen zu erzeugen, dass ich mir während des Lesens immer wieder in Erinnerung rufen muss, dass es ein und derselbe Autor ist.
Kurzrezension auf dem 28. Literaturblatt von György Dragománs Roman «Der Scheiterhaufen»: Rumänien im Umbruch, ein Land am Zerbrechen. Emma ist dreizehn, lebt noch nicht lange in einem Internat, weil ihre Eltern angeblich bei einem Autounfall ums Leben gekommen sein sollen. Völlig überraschend taucht im Internat eine alte Frau auf, behauptet, ihre Grossmutter zu sein und nimmt Emma weg aus dem Internat, obwohl Emma von ihren Eltern nie etwas von einer Grossmutter gehört hatte. Herausgerissen in eine unbekannte Welt am Rand einer Kleinstadt, hinein in ein Haus voller Geheimnisse, erobert Emma ihre neue Umgebung. In der Schule, zuerst verachtet
und geschimpft als Enkelin einer Irren, aus einer Familie von Verrätern, lernt Emma sich zu behaupten. Sie lernt, dass hinter allem verborgen Wahrheiten stecken. Auch bei ihrer Grossmutter, zu der sie sich immer mehr hingezogen fühlt, die ihr ein Nest gibt, eine Burg vor den Anfeindungen des Mobs. Wie in seinem letzten Roman «Der weisse König» beweist der Autor, wie hoch seine Meisterschaft der eindringlichen Bilder, an den Grenzen zum Surrealen, ist. «Der Scheiterhaufen» ist ein Buch, das man riechen kann, das sprachlich auf der Zunge zergeht.

Friedeward lernt als Schüler Wolfgang kennen und lieben, ein ganzes Leben lang, in einer Zeit, in der eine solche Neigung nicht nur von Kirche und Gesellschaft unterdrückt wurde, sondern ein vom Staat geahndetes Verbrechen war. Seine Liebe bleibt unglücklich, auch wenn er sie mit Hilfe eines lesbischen Paars zumindest an der Oberfläche zu kaschieren vermag. Permanent in der Angst vor der Denunziation, vor dem Siebenstriemer seines Vaters, stürzt sich Friedewald in seine Arbeit und in ein geschlossenes Seelenleben, von dem nur wenige wissen.
Urs Faes, 1947 geboren, lebt und arbeitet in Zürich. Er ist einer der Grossen der Schweizer Literatur. 1983, vor 35 Jahren, erschien sein erster Roman «Webfehler» bei Lenos. 1989 wechselte er zu Suhrkamp und veröffentlicht dort seit 30 Jahren Romane und Erzählungen. 2017 erschien «Halt auf Verlangen. Ein Fahrtenbuch» in dem er seine Erfahrungen mit einer schweren Krankheit mit der Geschichte seiner Herkunft verwob. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Schweizerischen Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. Sein Roman «Paarbildung» stand auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis. Zuletzt erschien in der Insel Bücherei die Erzählung «Raunächte».