«Schweiget, wenn andere pochen auf ihr heiliges Recht.» Ein Rückblick auf die 41. Soloturner Literaturtage

Auch wenn ich als Blogger schreibe, besuche ich die Solothurner Literaturtage in erster Linie als Leser, als Büchermensch, als Perlensucher und ewig Erwartender. Solothurn tat genau das, was ich mir erhoffte; es schenkte mir Lesestoff und Begegnungen, die nur in Solothurn stattfinden können, Garanten aus der Vergangenheit und Versprechen in die Zukunft.

Gut, wenn der Erfolg nicht Garantie dafür ist, an den Solothurner Literaturtagen eingeladen zu werden. Dafür gibt es Bühnen genug in den Zentren kulturellen Lebens. Dort schweben sie in unsäglicher Entfernung vom Publikum über Leserinnen und Lesern und pflegen ihr Image als Ikonen der zeitgenössischen Literatur. Hier in Solothurn setzen sie sich an den gleichen Tisch, auf die gleiche Bank; Lukas Hartmann, Ruth Schweikert, Klaus Merz oder Nelly Zink, die auf Lesereise in Europa in Solothurn und Leukerbad Station macht.

Eine der Grossen, die alles versprechen und alles halten, ist Judith Schalansky, mit der ich im letzten Sommer ein Interview in Leukerbad führte und die damals noch in den letzten Arbeiten steckte vor der finalen Fertigung ihres Buches «Verzeichnis einiger Verluste». Judith Schalansky reiste vor Jahren anlässlich eines Stipendiums in die Walliser Alpen, um in der Abgeschiedenheit einen «Naturführer der Monster» zu schreiben, angelehnt an ihren international erfolgreichen Bestseller «Atlas der abgelegenen Inseln», eine aus Fiktion und Fakten gemischte Sammlung fünfzig entlegenster Inseln. Allerdings scheiterte das Schreiben eines «Naturführers der Monster» angesichts der begrenzten Vielfalt menschlicher Vorstellungskraft. Aber es war der Beginn eines viel grösseren Wagnisses, dass schon jetzt seinen sicheren Platz im Kanon zeitgenössischer Literatur gefunden hat. Bestechend allerdings ist nicht nur der Inhalt, die Sprache, der Plan, der dem Buch zugrunde liegt, sondern das Buch als Objekt selbst. Judith Schalansky ist viel mehr als Schriftstellerin. Sie ist Buchgestalterin, Buchkünstlerin, macht aus einem Buch ein Gesamtkunstwerk, durchkomponiert bis zur Art und Weise, wie sie ihre Bücher signiert. Was Judith Schalansky tut ist Offenbarung! (Rezension auf literaturblatt.ch)

Neben Lesungen aller Art von Literatur vielfältigster Couleur ist das Format «Skriptor», bei dem Autorinnen und Autoren zur Textarbeit zusammen über unveröffentlichte Texte diskutieren, ein ganz besonderes Setting. So sassen neben dem Moderator und Schriftsteller Donat Blum, die Schreibenden Viola Rohner, Ruth Schweikert, Micha Friesel, Ralph Tharayil und Rolf Hermann einer zukünftigen Literaturdebütantin gegenüber, die vier Kapitel ihres Romanmanuskripts dem Sextett und dem Publikum zur Diskussion vorlegte. Ein Romanentwurf, der viel verspricht, von Mariann Bühler, die für einmal nicht den gerne kritisierten Schreibschulen der Schweiz entsprang. Ohne viel verraten zu dürfen; auf diesen Namen darf man gespannt sein. Da entsteht ein Roman (Arbeitstitel: Camoghè), der begeistern wird, da wächst eine Schreibe, die viel Talent verspricht. Spannend, wenn man als Leser und Besucher der Literaturtage nicht nur mit fertigen Büchern konfrontiert wird, sondern ungefiltert in Entstehungsprozesse hineinblicken kann, in Auseinandersetzung, in die sonst geschlossenen Räume dessen, was mir Leser verborgen bleiben.

Ebenso vielversprechend, spannend und einmalig war das von Tim Krohn vorgestellte Projekt DuftBar. In Zusammenarbeit mit dem SNF-Projekt «Smelling more, smelling differently» der Berner Fachhochschule schrieb Tim Krohn während der Literaturtage zwei Dutzend Texte zu Düften in kleinen Flakons, die von Duftkünstlern und Meisterparfümeurs zusammengestellt wurden. Immer nach der gleichen Vorgehensweise: Tim Krohn nahm sich einen Duft, schnupperte nach einer Stunde noch einmal an dem Duftstreifen, nach drei Stunden ein weiters und nach acht Stunden ein letztes Mal, weil sich komplexe Düfte mit der Zeit verändern. Aus den Notizen, Assoziationen und aufgestiegenen Bildern schuf Tim Krohn Texte, Kurzgeschichten, Sprachskizzen, die einen ganzen Saal bestens zu unterhalten wussten. Zu wünschen ist nur, dass diese kunstvollen Miniaturen irgendwann einem breiten Publikum zugänglich werden, denn sie beweisen auf eindrückliche Weise, wie einmalig Tim Krohns Fähigkeit ist, aus Bildern Sprache und Geschichten werden zu lassen. So freue ich mich vorerst einmal auf die beiden bei Kampa im kommenden Herbstprogramm erscheinenden Bücher! («Der See der Seelen» und unter dem Pseudonym Gian Maria Calonder «Endstation Engadin»)

Weitere Empfehlungen folgen!

Zeichnungen © Lea Frei (lea.frei@gmx.ch)

Das Zitat im Titel des Artikel entstammt dem neuen Gedichtband «Zwiegesicht» von Ernst Halter