Andreas Neeser «Wie wir gehen», Haymon

Monas Vater hat Krebs. Die Nähe zu ihrem Vater, die ihr ein Leben lang verwehrt blieb, gelingt ihr auch jetzt nicht herzustellen. Die Nähe zu all jenen, die ihr nahe stehen sollten; zu ihrer bald erwachsenen Tochter Noëlle, ihrem verloren gegangener Mann, ihrer Aufgabe in ihrem Beruf. Was zwischen Mona und ihrem Vater steht, sind all die Geschichten davor, das Gift in den Generationen und die Unfähigkeit, Worte dafür zu finden.

Es gibt Momente, die alles in Frage stellen, die einem aus der gewohnten Sicherheit kippen. Monas Vater droht zu sterben. Und mit ihm all die Geschichten, von denen sie weiss oder ahnt oder auch keine Ahnung hat. Die Geschichten, die aus ihrem Vater jenen Johannes machten, den sie als Vater zu lieben versucht. Und zwar nicht einfach, weil er ihr Vater ist. Sie möchte ihn lieben wie damals als Kind, uneingeschränkt. Mit dem Tod eines nahen Menschen sterben Geschichten, das Verstehen, all die Leben dahinter, die mit jeder Generation zurück im Nebel des Vergessens entschwinden.

Mona drückt ihrem Vater ein Diktiergerät in die Hand und fordert ihn auf zu erzählen. All das, was über die Jahrzehnte ins Schweigen fiel, was vielleicht verständlich gemacht hätte. So wie jedem Konjunktiv ein scheinbares Versäumnis vorangeht.

Andreas Neeser erzählt die Geschichte von Johannes, erzählt das, was viele mitnehmen, wenn sie gehen, sei es eine Scheidung oder der Tod. Erzählt von einem Leben als ungeliebter Sohn, verdingt an den reichen Onkel, der auf der anderen Talseite den grossen Hof bewirtschaftet. Von der Armut, die wie eine unheilbare Krankheit an der Familie klebt, sie nicht aus dem Würgegriff lässt. Wie Johannes, obwohl man ihn als Arbeitskraft schätzt, überzählig bleibt, keinen Platz findet, schon gar keine Liebe, auch dort nicht, wo sein Zuhause sein müsste.

Trotz Tuberkulose findet Johannes den Tritt, davon überzeugt, dass das Leben ein steter Kampf, niemandem zu trauen ist. Er findet Arbeit in der Fremde, bei den Bauarbeiten zum Grand-Dixance-Staudamm, wird Schweisser. Aber erneut von der Tuberkulose zurückgeworfen, schrammt er nur ganz knapp am Tod vorbei. Was Johannes in seiner Familie nie erfährt, vermag er auch in seiner Familie den Kindern nicht zu schenken, Mona, seiner Tochter nicht und schon  gar nicht Martin, seinem tot zur Welt gekommenen Sohn, der für die Eltern zum Trauma wird, das alles überschattet.

Andreas Neeser erzählt von Noëlle, Monas Tochter, die miterleben muss, wie die Ehe ihrer Eltern zerbricht, wie Noëlles Vater nach einem Raubüberfall in sein Goldschmiedeatelier den Boden unter den Füssen verliert, nicht nur wirtschaftlich. Wie Mona zur Projektionsfläche wird, es niemandem Recht zu machen versteht, nicht ihrem Vater, der ihr zu entgleiten droht, nicht ihrer Tochter, die nicht verstehen will und kann, nicht den Menschen, die sie beruflich zu betreuen hat, die einer Heimat entflohen, viel weiter als Mona, die die ihre in Sichtweite zu verlieren fürchtet.

Wie nahe kommt man den Nächsten? Wie zu einem Vater, zu einer Mutter? Braucht es Krankheit und Tod, um jene Nähe zurückzugewinnen, die man ein Leben lang Stück für Stück verliert? Wie gross muss der Schmerz sein, bis die Wunde aufreisst? Wie viel Leben versäumt man, wenn man den tiefen Schmerz in seinem Leben unausgesprochen mit sich herumschleppt? Väter und Mütter sind nie weg, nicht wenn sie sich für immer verabschieden, nicht wenn sie verschwinden, nicht wenn sie sterben. Mona verliert ihren Vater, genauso wie Noëlle den ihren. Aber Väter bleiben. Fragt sich nur wie.

Andreas Neeser erzählt in seiner gewohnt gekonnten Art, webt ein dichtes Netz, öffnet Türen, die er manchmal nur einen Spalt offen lässt, lotet nicht aus, tut genau das, was das Leben auch macht. Er erklärt nicht, öffnet sacht, manchmal nur unvollständig, bewusst lückenhaft. Andreas Neeser erzählt von Familie, diesem zarten Gefüge, das lebenslangen Schmerz und tiefsitzende Verletzung bedeuten kann.

Fast zeitgleich erscheint Andreas Neeser erster Mundartroman «Alpefisch». Nach mehreren Sammlungen mit Kurzprosa, die unter den Titeln «No alles gleich wie morn» (2009), «S wird nüme, wies nie gsii isch» (2014) und «Nüüt und anders Züüg» (2017) sein erster buchfüllender Mundartroman wieder bei Zytglogge.

© Ayse Yavas

Andreas Neeser, geboren 1964, studierte Germanistik, Anglistik und Literaturkritik an der Universität Zürich. Von 2003 bis 2011 Aufbau und Leitung des Aargauer Literaturhauses Lenzburg. Seit 2012 lebt er als Schriftsteller in Suhr. Für sein formal und inhaltlich vielfältiges Werk wurde er mit zahlreichen Auszeichnungen und Preisen bedacht.
Mitglied von Autor/innen der Schweiz (AdS), Deutschschweizerisches PEN-Zentrum und VAA. Mitglied der Jury für den Franz-Tumler-Preis.

Kurzgeschichte «Mücken» von Andreas Neeser auf der Plattform Gegenzauber

Rezension von «Nüüt und anders Züüg» auf literaturblatt.ch

Andreas Neeser liest am Literaturfestival Wortlaut St. Gallen sowohl aus seinem Roman «Wie wir gehen» wie auch aus seinem Mundartroman «Alpefisch».

Webseite des Autors

Beitragsbild © Lea Frei

Damiano Femfert «Rivenports Freund», Schöffling & Co.

Eine Kleinstadt im Norden Argentiniens. Perón regiert in Buenos Aires, die Welt erholt sich von den Schrecken des letzten Weltkriegs. Rodrigo Rivenport, Direktor des städtischen Krankenhauses schätzt die Gleichförmigkeit der Tage, dass in seinem etwas zu gross geratenen Krankenhauses nur nach Festen alle Betten belegt sind und ihn nach dem Tod seiner Frau Rosa seine Haushälterin in seinem Kellerrefugium mit seinen Schmetterlingen in Ruhe lässt.

Seit dem Tod seiner Frau liebt Rivenport seine stille Beschäftigung mit seiner Schmetterlingssammlung. Erst recht, seit ihr ein angemessener Platz im städtischen Museum versprochen ist und er seine Sammlung neu ordnen muss. Ordnung ist alles. Nicht nur in der Lepidopterologie, sondern im Leben überhaupt. Und die Tatsache, dass sich Marie, seine Haushälterin, die ihn seit seiner Kindheit begleitet, traut, an die Kellertüre zu klopfen, verspricht nichts Gutes. Ein Notfall. Man hat einen Verletzten in sein Krankenhaus gebracht, gar schwer verletzt, blutverkrustet, mit nichts als seinen Kleidern am Leib, apathisch. Kein Einheimischer, denn der Mann ist gross, blond und hat, nachdem er seine Augen öffnet, erkennbar blaue Augen. Nach erster Wundversorgung und Klarheit, dass die Verletzungen nicht lebensbedrohlich sind, wird offensichtlich, dass der Mann nicht spricht und an einer Amnesie leidet.

Rivenport findet in den kümmerlichen Habseligkeiten des Mannes bloss eine Nummer und muss feststellen, dass sich der Fall auch nicht mit Hilfe der örtlichen Polizei so schnell lösen lässt und er in den Rhythmus seines Alltags zurückkehren sollte. Erst als der Patient in seinem Stammeln seinen Namen preisgibt, man ihn zur Aktivierung seines Erinnerns mit in die Stadt nimmt, in einen Gottesdienst in der Stadtkirche und er mit einem Mal auf der Orgel zu spielen beginnt, gekonnt und virtuos, wird klar, dass „Kurt“ ein ganz spezieller Fall ist. Mit einem Mal interessiert sich nicht bloss das Krankenhauspersonal und die Polizei für den Fremden, sondern eine ganze Stadt und die örtliche Geistlichkeit. Auch die Nonnen aus dem Kloster der Allerheiligsten Jungfrau Maria von Guadalupe. Und während sich die Nonne bereit erklären, den gross gewachsenen Fremden bei sich im Gärtnerhäuschen des Klosters aufzunehmen, schiessen die Spekulationen über den Blondschopf ins Uferlose: Ein Engel ohne Flügel, ein geflohener Berufsmusiker oder gar einer, der aus Europa über Chile bis in den Norden Argentiniens gespült wurde? 

Was erst zu Rivenports Freude aussieht, als könnte er in seine gewohnte, geliebte Ordnung zurückkehren, lässt den Arzt ohne grosse Leidenschaft nicht mehr los. Wie kann ein Mann, der nur noch ein Schatten seiner selbst ist, mit seiner Musik aber auch mit seiner Art, den Dingen und Menschen zu begegnen, derart faszinieren. „Kurt“ lernt zwar, sogar die Sprache, aber nicht den Zugang zu seiner verlorenen Vergangenheit. Und als klar wird, dass Kurt auch im Kloster nicht in seiner Direktheit zu kontrollieren ist, quartiert man ihn, ganz zur Freude seiner Haushälterin Maria, in Rivenports Haus ein. Rivenport nimmt ihn mit auf seine Schmetterlingsexkursionen, muss aber feststellen, dass sein Schützling nichts davon hält, dass man Schmetterlinge hinter Glas auf Nadeln aufspiesst.

Damiano Femferts leidenschaftlicher Roman erinnert an südamerikanische Erzählweise genauso wie an die Geschichten von Kaspar Hauser oder Schlafes Bruder. Leidenschaft in der südamerikanischen Provinz, ein Mann, der ganz langsam wie ein Kind die Welt neu zu entdecken beginnt, ein Genie, das mit seinem Orgelspiel eine ganze Stadt zu verzaubern vermag. Damiano Femfert öffnet mit jedem Kapitel eine philosophische Frage mehr; Darf die Wissenschaft zerstören? Was macht einem zu einem guten Menschen? Wann beginnt die Lüge? Rivenport wird durch den Fremden gezwungen, sein enges Korsett, seine Scheuklappen abzulegen. So sehr er zum Lehrer seines Schützlings wird, so sehr lehrt in dieser, was das Leben sein könnte.

Und hinter dem ganzen Romankonstrukt schwebt die Frage, wer der Mann ist, warum er schwer verletzt an einem Strassenrand gefunden wurde, warum ihn niemand zu vermissen scheint. „Rivenports Freund“ ist mit grosser Geste gemalt, in satten Farben, als hätte der noch junge Autor den Sound der Grossen verinnerlicht. Damiano Femfert legt mit seinem Debüt einen Roman vor, der viel, sehr viel für die Zukunft verspricht!

© Alexander Paul Englert

Damiano Femfert, geboren 1985, in Deutschland und Italien aufgewachsen, hat Theaterstücke, Drehbücher zu Kurzfilmen, Spielfilmen, einem Dokumentarfilm und mehrere Reise-Artikel geschrieben, die u. a. in der Frankfurter Rundschau und Neuen Zürcher Zeitungerschienen sind. Neben seiner Schreibtätigkeit ist er in der Kunstszene als Kurator aktiv und als Dozent in Rom, wo er auch lebt. «Rivenports Freund» ist sein erster Roman.

Beitragsbild © Sandra Kottonau

Kurt Oesterle «Die Stunde, in der Europa erwachte», klöpfer narr

Es ist ein Jahrhundert her, dass das lange Töten und Morden endete. In einem Krieg, der auf allen Kontinenten wütete und 17 Millionen Menschen ihr Leben verloren. Ein Krieg, der tiefe Gräben und Krater in die Landschaft schoss, Wunden, die im Weltkrieg darauf wieder aufrissen und an denen die Welt bis heute leidet. Gräben und Krater, die zugeschüttet sind, Gräben und Krater, die einst den Sieg versprachen, die zu Massengräbern wurden.

In den Kinos lief 1917, ein Kriegsfilm von Sam Mendes, der in 110 Minuten Echtzeit die Mission zweier Soldaten zeigt, zweier Helden, die verhindern sollen, dass eine andere Einheit in den Hinterhalt des Feindes gerät. Das übliche Muster; Helden kämpfen für das Gute. Das Gute hier, das Böse dort und alles „zum Gedenken an die Opfer einer verlorenen Generation“. Der Mensch denkt in Kategorien.

Kurt Oesterle tut das nicht. In einem apokalyptischen Szenario finden sich in einem vom Krieg verwüsteten Landstrich in Frankreich, wo kein Stein mehr auf dem andern steht, das Land von Bomben umgepflügt ist und unter jedem Stein eine Mine droht, in der der Geruch des Todes über die offenen Wunden wabert und es eine Unendlichkeit dauern muss, bis die Gegend an das erinnert, was sie einmal war. Menschen, einst Feinde, auf der Suche nach einer Zukunft. Nur eine Hütte steht noch, ein kleines Haus, dahinter ein mobiler Backofen, ein „Gasthaus“ mit Namen À l’héroine des ruins – Zur Heldin der Ruinen.

Geführt wird es vom 16jährigen Minot, der eigentlich von seiner vom Krieg geflüchteten Familie geschickt wurde, um nachzusehen, was vom Hof geblieben ist, auf dem die Familie einst lebte. Minot bleibt am Haus hängen, weil die einstige Wirtin verschwand und irgendjemand den streunenden Seelen an diesem Ort die Oase sein muss.

Der erste Teil des Romans gibt sich wie ein Erzählband mit Kapiteln, die nichts miteinander zu tut zu haben scheinen. Kurt Oesterle erzählt vom jungen Minot, der einst in dieser Gegend auf einem Einödhof geboren wurde. Vom Ehepaar Max und Magda Krüger, deren Sohn Felix kein Feigling sein sollte, der sich dann mehr oder weniger freiwillig in Kriegsdienst gemeldet hatte, wie alle um ihn, die an einen schnellen und glorreichen Sieg glaubten. Von der Engländerin Elsie Norton, die einen traumatisierten Mann aus dem Krieg zurückbekommt, sich selbst und den Mann zu hassen beginnt, weil sie nicht verstehen kann, was geschah und geschieht. Von Franz, dem Kriegsgefangenen Nummer 2341, der den Krieg als Freiwilliger einst als Labor für den Fortschritt sah, denn was zerstört wird, kann „über kurz oder lang nachwachsen wie Haare und Fingernägel“. Und von Gorm, dem Hund, der von seinen kinderlosen Besitzern als ihr Beitrag im Dienste des Vaterlands als Sanität- und Meldehund in einer Kaserne abgeliefert wird.

Im zweiten Teil des Romans treffen sich all diese Gestalten, nachdem ihr Weg bis zur Heldin der Ruinen erzählt wurde. Minot wird zu einem Helden der Herzlichkeit, Max und Magda Krüger wollen die sterblichen Überreste ihres Sohnes zurück nach Hause holen, Elsie sucht das verlorene Leben ihres stumm gewordenen Ehemannes, Franz fristet das Dasein eines Kriegsgefangenen im nahen Lager und der Hund Gorm stomert einsam, vergessen und verwahrlost in der schrundigen Endzeitlandschaft herum.

Sie suchen alle, ernüchtert, desillusioniert. Genauso die Männer, die in der Heldin vom Metall ernten in den Schlachtfeldern ausruhen, die Meter für Meter absuchen, nach dem, was der Krieg liegen lässt, denen der Geruch frischgebackenen Brotes etwas von dem zurückgibt, was ihnen die vier Jahre Krieg genommen hat.
Der Krieg ist nicht vorbei, wie kein Krieg je vorbei ist mit dem Schweigen der Waffen. Der Ursprung allen Schmerzes ist aber nicht der ehemalige Feind, sondern der Verlust, der Verlust von Leben, Liebe und Vertrauen.

Die Idee Europa entspringt der Angst. Und der November 1918, das Ende des Krieges und die darauffolgenden Jahre der Ernüchterung, das kollektive Trauma, das auch einen weiteren weltweiten Krieg nicht verhindern konnte und die Angst von Generation zu Generation weiterfüttert, weckte Europa kurz, um gleich danach in den Versailler Verträgen den Grundstein zum nächsten grossen Schlachten zu legen.

Kurt Oesterle schrieb ein gewichtiges Buch, das sich ins Bewusstsein einfrisst. Keine actiongeladene Herogeschichte, sondern einen Roman mit epischer Tiefe über das, was übrig bleibt, wenn die Waffen schweigen. Grossartig geschrieben und inszeniert, Papier gewordenes Welttheater!

Ein Interview mit Kurt Oesterle:

Sie geben ihrem Roman einen durchaus positiven Titel. Erwacht Europa 1919 wirklich? Oder ist das, was sich heute Europäische Union nennt (Ich weiss, das ist nicht Europa!), nicht einfach das Konglomerat von Wirtschaftsinteressen, Angst und Verzweiflung darüber, das Nationalismus und Eigenbrötelei den Anfang eines weiteren Endes bescheren?

Ja, Europa ist nach dem Ersten Weltkrieg erwacht … durchaus! Aber es hat sich nur kurz die Augen gerieben, um gleich wieder einzuschlafen – so tief, als wäre es tot. Niemand ahnte damals, dass die nicht genutzte Chance sich zu einer Katastrophe übelster Art auswachsen würde. Doch wichtiger scheint mir: Der Augenblick des Erwachens steht uns immer noch und immer wieder bevor – darum ist mein Roman auch kein historischer Roman, sondern ein ganz und gar gegenwärtiger. Auch und gerade heute sucht er eine Antwort auf die Frage, wie wir, die Europäer, WIR sagen könnten, oder anders: was uns eigentlich verbindet. Bisher ist es doch überwiegend der Wohlstand, der den Kontinent zusammenhält, doch wehe, dieser Wohlstand schwindet …

Herr und Frau Krüger wollen ihren toten Sohn in die Heimat zurückführen, weg von dem Ort, an dem die „Demokratenart“ keine Unterschiede macht, an dem „alle rücksichtslos miteinander gekreuzt, vermischt oder zusammengeworfen“ werden. Hundert Jahre später ist die Argumentation längst nicht gestorben auch wenn es meiner Meinung die einzige Art ist, dem Menschen das Überleben auf diesem Planeten zu sichern. Wie soll es der Mensch schaffen, Grenzen niederzureissen? Erst in Zeiten apokalyptischer Not?

Die Grenzen in Europa sind inzwischen zum Glück nahezu bedeutungslos geworden – dass ich ohne Passkontrolle nach Frankreich fahren, ja, mich dort sogar wie ein Inländer niederlassen kann, ist ein unerhörter Fortschritt, der noch in meiner Jugend undenkbar war. Ich vergesse nie, dass sowohl mein Vater als auch mein Grossvater gegen Frankreich Krieg geführt haben! Was jedoch auch ohne Grenzziehung weiterlebt, das ist der Egoismus der einzelnen Nationen und Personen. Darum erprobe ich in meinem Roman ja in zarten Ansätzen so etwas wie eine Wir-Erzählung, die es in Europa nach wie vor nicht gibt. Sie sollte basieren auf dem gefühlsgesättigten Wissen, dass wir als Menschen in grösseren Einheiten existieren als bloss in Familie, engerer Heimat oder Nation. Dafür habe ich mit meinem Buch einen ersten Entwurf geliefert – andere müssen fortfahren mit dieser Wir-Erzählung, solange bis man ihre Stimme hört.

Einer der Gäste in der Heldin nennt den Nationalstaat die Ursache allen Kriegs. Wo liegen die Ursachen für den ungebrochenen Glauben vieler Menschen, dass eine Gesellschaft in Frieden, ohne Krieg möglich wäre. Solange wir meterhohe Thujen um unsere Grundstücke ziehen, solange Reichtum geizig macht, die Angst vor dem Fremden um sich greift und man sich mit Vorliebe nicht für die eigenen Probleme interessiert, bleibt Krieg doch ideale Ersatzhandlung. Oder nicht?

Die „apokalyptische Not“, von der Sie sprechen, war der Krieg, der 1918 endete. Dringlicher als je zuvor konnte man damals sehen, dass eine europäische Lebensform nötig ist, wenn der Kontinent überleben will. Ich möchte ja gerade zeigen, dass das heutige Europa, die EU, eine Kriegs- und Notgeburt ist. Was selbst in Deutschland inzwischen wieder in Vergessenheit gerät, mitsamt der Rolle, die mein Land in beiden Weltkriegen gespielt hat. Ich halte es mit Paul Valéry, der schon nach dem Ersten, nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg die Einsicht besass: „Wir Kulturvölker wissen jetzt, dass wir sterblich sind. Wir fühlen, dass eine Kultur genau so hinfällig ist wie ein einzelnes Leben.“ Als Symbol steht dafür in meinem Buch insbesondere die geschändete und verstümmelte Natur, die Valéry zu seiner Zeit noch nicht auf der Rechnung hatte …

Wo lag der Ursprung ihres Romans?

Der Ursprung meines Romans lag in mir, in meiner Seele, wie ich gern sage. Und wie in einer europäischen Familienaufstellung hat sich die Konstellation ergeben, die ich dann in diesem verwüsteten französischen Landstrich zwischen Reims und Laon angesiedelt habe. Mein Roman ist keine Gedankenkonstruktion, sondern eine Schau, ein Traum, ein Film im Kopf, der unaufhaltsam ablief (und sich hoffentlich in Leserin und Leser wiederholt). Ich habe mich beim Schreiben oft gewundert, dass zuvor noch kein Autor auf die Idee gekommen ist, einen Nachkriegsroman mit gesamteuropäischem Personal zu verfassen – fast alle Bücher, die ich dazu gelesen habe, handeln nur aus der nationalen Innenperspektive, die anderen bleiben eher Schatten.

Sie nennen den 16jährigen Minot ein aus der Zeit gefallener Philantrop, der sich vorgenommen hatte, in diesen Zeiten um jeden Preis gut zu sein und die Welt mit seiner Güte anzustecken. Meist versteht man Philantropie aber in Verbindung mit unermesslichem Reichtum. Aber Minot zeigt das Gegenteil. Ein Jugendlicher an der Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsensein. Ist ihr Roman „Die Stunde, in der Europa erwachte“ nicht auch eine Aufforderung, die Jugend ernst zu nehmen? Heute erst recht?

Philantropie bedeutet schlicht: Menschenliebe, sie ist keine Sache des Geldes! In meiner Stadt Tübingen wird der „philantropische Verein“ von griechischen Gastarbeitern getragen! Die Figur des Minot in meinem Roman wäre sozusagen mein Alter ego, auch ich konnte mit 16 oder 17 Jahren nach zwei Weltkriegen als nachgeborener Deutscher keine andere Rolle für mich entdecken, als die, gut zu sein und den Neubeginn in der eigenen Güte, in Bescheidenheit und Weltoffenheit zu suchen. Dabei war es mir nicht wichtig, ernst genommen zu werden, sondern mein Leben aus innerer Überzeugung zu führen. In der Hoffnung, dass diese Überzeugung wirkt, dass sie auf andere ausstrahlt … Und genau so ist es doch auch mit der Literatur: Sie folgt nicht einem politischen Programm, sondern generiert Energien, die in anderen weiterwirken … das ist die Eigenart des Ästhetischen. Übrigens, bei Lesungen muss ich meinen Minot stets verteidigen, eben weil er versucht, gut zu sein. Im Literaturbetrieb ist es offenkundig nach wie vor so, dass man fünf Schurken weitaus weniger verteidigen muss als einen einzigen Guten. Woher mag diese Vorliebe für die Bösen wohl kommen? Das Gute beunruhigt uns anscheinend viel mehr als das Böse …

© De Maddalena

Kurt Oesterle, 1955 in Oberrot/Nordwürttemberg geboren, studierte Literatur, Geschichte und Philosophie, Dr. phil., freier Autor und Journalist, insbesondere für die Süddeutsche Zeitung und das Schwäbische Tagblatt; auch für die »Frankfurter Anthologie« der FAZ. Monographien über Wolfgang Koeppen und Peter Weiss. Essays u. a. zu Schiller, Heine, Hebel, Hauff und Uhland («Ich hatt’ einen Kameraden»), wofür er 1997 den Theodor-Wolff-Preis erhielt. 2002 erschien bei Klöpfer & Meyer sein hoch gelobtes Romandebüt «Der Fernsehgast oder Wie ich lernte die Welt zu sehen». Ausgezeichnet mit dem Berthold-Auerbach-Preis und von der Darmstädter Jury zum Buch des Monats gewählt.

Webseite des Autors

Evelina Jecker Lambreva «Entscheidung», Braumüller

Bulgarien fehlt im Fokus Europas. Selbst drei Jahrzehnte nach der Wende, nach Glasnost und Perestroika zählt Bulgarien zu den „fehlerhaftesten“ Demokratien, obwohl das Land seit 2007 Mitglied der EU ist. Evelina Jecker Lambrevas neuer Roman „Entscheidung“ erzählt von den Jahren des Umbruchs in diesem Land, dem letzten unter kommunistischer Führung, den leisen Hoffnungen einer Öffnung und dem bösen Erwachen im Kampf machtgieriger und verzweifelter Parteieliten.

Anja ist eine junge Ärztin, die direkt nach dem Studium in einen kleinen Ort in der bulgarischen Provinz geschickt wird. Mit Bestnoten aus ihrem Studium und voller Pläne reist sie an und taucht in eine Welt, die in maximaler Entfernung dessen vor sich hinvegetiert, was in den Plänen ihrer Zukunft Gestalt annehmen möchte; ein Häuschen, durch das der Wind pfeift, eine Medizinische Dienststelle, in der das Notwendigste fehlt, ein schäbiger Notfallkoffer, abgelaufene Medikamente und ein Krankenwagen, der allerhöchstens transportiert.
Neben ihren Aufgaben als Landärztin ist sie auch für das örtliche Heim mit Dorfschule zuständig, einen schlimmen Ort, wo Erziehung allein durch Strafen vollzogen wird und wo aus Kindern ohne Vergangenheit Menschen ohne Zukunft geprügelt werden.
Auch die Honoratoren des Dorfes, Genosse Nakov, Mitglied der Staatssicherheit oder der Bürgermeister begegnen der jungen Ärztin mit einer Mischung aus Misstrauen, politischem Kalkül und der Selbstverständlichkeit alteingesessener Machtstrukturen. In einem Land, in dem Korruption, Denunziation und kollektive Angst zum Instrumentarium eines Systems gehören, spürt auch die junge Ärztin Anja, dass ihr Tun und Lassen unweigerlich zu der einen, drohenden Entscheidung führen wird.

Einzige Lichtblicke im Leben der jungen Frau ist die Freundschaft zu Dora, einer jungen, mutigen Lehrerin aus dem Dorf, zu Maria, einem verstörten Mädchen aus dem Heim, das jeden Tag auf ihre Mutter wartet, eine junge Katze, die Maria mit ins Haus der Ärztin bringt und ihre Liebe zu Michail, den sie während des Studiums kennen und lieben lernte. Sie schreibt Michail Briefe, weil ihre Arbeit sie beide fest im Griff hat, weil sie Trost und Rat braucht bei einer Arbeit, die ihr wohl gefällt, in der sie Erfüllung erfährt, die sie aber oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit führt. Sei es, dass sie medizinische Entscheidungen trifft, die sie mit niemandem besprechen kann, sei es weil sie immer wieder mit ganz intimen Katastrophen konfrontiert wird, sei es weil sie Genosse Nakov mit Versprechungen in den Dienst der Staatssicherheit locken will.

Eines Tages sitzen sich Nakov und Anja in seinem Haus gegenüber. Nakov verspricht ihr eine glanzvolle Zukunft mit den Privilegien der Elite, wenn Anja sich zur aktiven Spionage im In- und Ausland verpflichten lässt. Und weil Anja spürt, dass sie mit einem solchen Deal mehr als nur die Selbstachtung verliert, entscheidet sich die junge Frau gegen das Angebot, gegen den Staat, gegen die Obrigkeit, gegen eine Zukunft als Frauenärztin in der Stadt, gegen die Aussicht, sich dereinst im Ausland weiterbilden zu können. Statt dessen wird sie zur potenziellen Verräterin. Und als Dora ihre Freundin sich ins Ausland absetzt und man ihr Mithilfe zu ihrer Flucht unterstellt, als die Liebe zu Michail in die Brüche geht und man die Katze erschiesst, scheint sich die Dunkelheit in Anjas jungem Leben endgültig wie in einem Sack eingeschlossen einzunisten. Wäre da nicht der Welten Lauf, jener politische Virus, der sich aus dem maroden Sowjetsystem über den ganzen Ostblock ausbreitet.

«Anjas Haus in meiner Phantasie», © Evelina Jecker Lambreva

„Entscheidung“ ist ein geradlinig erzählter Roman von einer Schriftstellerin, die am eigenen Leib erfuhr, was in Bulgarien in den späten Neunzigern passierte. „Entscheidung“ gibt Einblick in einen Staat, in ein System, ein Dorf, das aus der Entfernung von drei Jahrzehnten unsäglich weit erscheint, zumindest aus mitteleuropäischer Sicht. Eine spannend und mit viel Empathie geschriebene Geschichte über den Kampf einer jungen Frau in den Wirren der Geschichte. Ein Roman, der mir bewusst macht, wie gross das Geschenk ist, in einem demokratischen Land geboren worden zu sein. Ein Plädoyer dafür, dass es nicht sein kann, dass man sich jenen Menschen verschliesst, die vor Verfolgung, politischer Willkür und Hoffnungslosigkeit ins vermeintliche Paradies fliehen wollen.

Ein Interview mit Evelina Jecker Lambreva:

Sie selbst sind 1963 in Bulgarien geboren und 1996 in die Schweiz gekommen. Dora, die Freundin Anjas, setzt sich ins Ausland ab und droht mit ihrer Flucht, andere mit sich in den Generalverdacht des Verrats hineinzuziehen. Ein Umstand, der vielen Flüchtenden das Gewissen plagt, sei es damals aus dem Ostblock oder Flüchtenden heute, die Familien und Freundschaften zurücklassen. Warum blieb und bleibt Bulgarien nie im Bewusstsein Mitteleuropas, weder politisch, noch kulturell, heute nicht einmal als Feriendestination?

Bulgarien war politisch schon immer für Mittel- und Westeuropa völlig uninteressant, da es nicht als Instrument zur Erreichung von diversen politischen Zwecken und Interessen eingesetzt werden konnte und kann. Es passiert und bewegt sich zu wenig in diesem Land, da die Bulgaren ein äusserst duldsames, gehorsames und überangepasstes Volk sind. Dies liegt in der Geschichte des Landes verwurzelt: Die 500 Jahre osmanische Herrschaft haben tiefe Spuren in der Mentalität und im kollektiven Verhalten der Bevölkerung hinterlassen. Kaum war Bulgarien 1878 durch Russland von der türkischen Herrschaft befreit worden und begann seinen Platz in Europa mit einem deutschen König zu suchen, kam nach nur 66 Jahren europäischer Orientierung die Sowjetische Herrschaft des Kremls für weitere 45 Jahre. Überhaupt begab sich das Land – seit dem Fall unter den Osmanen 1396 – immer wieder in Abhängigkeit von irgendeinem mächtigen Staat, verhielt sich passiv und passte sich den Umständen an, so wie es übrigens auch in einem bulgarischen Sprichwort heisst «Ein gebeugtes Köpfchen wird von keinem Schwert geköpft». Bulgarien verhielt sich über Jahrhunderte – so würde ich es aus meiner Sicht als Psychiaterin sagen – wie ein vergewaltigter Mensch: gefügig, still, eingeschüchtert, voller Scham-, Schuldgefühlen und Angst. Die Jahrhunderte andauernder Unterdrückung kultivierte brave, folgsame Individuen, die sich die Überangepasstheit als Überlebensstrategie aneigneten. Und von solchen Ländern schaut man im Mittel- und Westeuropa einfach weg.

Evelina Lambreva als Landärztin, © Evelina Jecker Lambreva

Kulturell hat Bulgarien einiges zu bieten, jedoch interessieren sich westeuropäische Medien kaum dafür. Dies ist meines Erachtens so, weil das Land einerseits politisch uninteressant ist und andererseits, da die Sehenswürdigkeiten in Bulgarien sehr schlecht vermarktet sind. Auch in der Schweiz hört man selten etwas über das Land. Nach wie vor wird Bulgarien mit Rumänien, und die Hauptstadt Sofia mit Rumäniens Hauptstadt Bukarest verwechselt. Sogar darüber, dass die Stadt Plovdiv für das Jahr 2019 immerhin zur Kulturhauptstadt Europas gewählt worden war, hat man hierzulande wenig gehört.

Als Feriendestination würde sich Bulgarien sehr gut eignen, wäre da im Tourismus an der Schwarzmeerküste und in den Bergen nicht die alte Einstellung aus kommunistischen Zeiten geblieben: «Wenn du einen Touristen siehst, schinde ihm die Haut! Ob er morgen wiederkommt, ist egal, Hauptsache, du kannst bei ihm heute abkassieren.» Obwohl die jetzige Regierung sehr viel für die Verbesserung der Infrastruktur im Lande tut, ist das noch immer nicht ausreichend, um aus Bulgarien eine beliebte Feriendestination zu machen. Aber es ist grosses Potential vorhanden, das in den nächsten Jahrzehnten sicher genützt wird. Zumindest ist das meine Hoffnung.

In den Jahren, in denen die Geschichte um Anja spielt, waren sie selbst ziemlich genau so alt wie die Protagonistin. Trotz aller Härte jener Zeit, der Armut und den archaisch anmutenden Verhältnissen schienen sich die Menschen, wenn die Angst vor dem Staat aussen vor blieb, nur zaghaft nahe zu kommen. Die Macht des Staates mischte bis in Liebesbeziehungen, Freundschaften und Familien. Heute ergeben wir uns freiwillig der Macht der Grossen, sei es Google oder Amazon, sei es Facebook oder sonst ein Globalplayer. Schöne heile Welt?

Heil war die Welt noch nie, und sie kann es auch nicht sein. Aber schön ist sie, die neue Zeit. Weil wir die Wahl haben, ob wir uns dafür entscheiden und wenn ja, welcher Macht wir uns ergeben wollen. Wir dürfen jetzt selbst darüber bestimmen und werden zu nichts gezwungen. Die individuelle Freiheit gibt uns jede Menge Möglichkeiten, ob und in welchem Ausmass wir uns freiwillig in welche Abhängigkeit begeben wollen.

Jeweils am 24. Mai feierte man im Dorf Kyrill und Method, die Begründer der kyrillischen Schrift. Ein Fest mit Reden, Tanz und einem Meer aus Blumen. Kyrill und Method waren aber zwei christliche Missionare aus dem 9. Jahrhundert. Typisch für die Manipulation von Geschichte, wenn es um politische Zwecke geht. Damals nicht anders wie heute. Wie weit ist Anjas Geschichte eine Geschichte um den Kampf gegen Manipulation?

Der Krankenwagen, © Evelina Jecker Lambreva

Dass Kyrill und Method zwei christliche Missionare aus dem 9. Jahrhundert waren, wurde im Kommunismus ganz bewusst verschwiegen. Diesem Aspekt wurde nie Aufmerksamkeit geschenkt. Denn Glaube und Religion waren verboten. Anders als in anderen osteuropäischen sozialistischen Ländern, führten Kirchenbesuche in Bulgarien zum Verlust der Arbeitsstelle oder des Studienplatzes und zu erheblichen politischen Schwierigkeiten. Einzig die Besichtigung von Klöstern war erlaubt, da diese als kulturelles Gut betrachtet wurden. Aber schon das Anzünden einer Kerze in der Klosterkirche galt als politisches Verbrechen, auf welches die Staatssicherheit stets ein waches Auge hielt, um dann das Vergehen sofort im Dossier des Betroffenen schriftlich festzuhalten. Diesem Aspekt habe ich in meinem Romandebüt «Vaters Land», (Braumüller Verlag, 2014) einen besonderen Platz eingeräumt.

Kyrill und Method wurden einzig als Erfinder der Kyrillischen Schrift sowohl vom Staat als auch von der Bevölkerung geliebt, gefeiert und verehrt. Der 24. Mai, der Tag der Kyrillischen Schrift, war und ist ein Fest der Buchstaben, der Bücher, der Literatur, der Kultur, Bildung und des Wissens geblieben. Bis heute ist und bleibt der Tag von Kyrill und Method mein Lieblingsfest in Bulgarien mit seiner Pracht aus Buchstaben, geschriebenem Wort und Frühlingsblüten. Deshalb kann ich den 24. Mai in keinster Weise in Verbindung mit Manipulation bringen.

Kaum zeichneten sich in Bulgarien durch Perestroika und Glasnost umfassende Veränderungen ab, begann ein „Krieg“ auf der Strasse. Bandenkriege und die Verzweiflung eines sterbenden Dinosauriers drohten das Land ins Chaos zu stürzen. Perestroika und Glasnost waren alles andere als eine sanfte Revolution. Hat sich ihr Blick auf diese Zeit in den Jahrzehnten danach verändert?

Das Kinderheim

Der sterbende Dinosaurier, wie Sie ihn nennen, hat nicht nur das Land durch die Bandenkriege und die schreckliche Angst vor deren Anführern, den sogenannten «Fratzen» (ehemaligen Geheimdienstlern, entlassenen Angestellten aus der Volkspolizei Milicija, Sportlern aus dem Ring- und Kampfsportbereich), ins Chaos gestürzt, sondern er hat dank diesem Chaos sogar bis heute überlebt. Heute sind diese Leute Oligarchen und regieren das Land durch die Macht ihres Geldes. Durch Bulgariens Pallastrevolution vom 10. November 1989 konnten sie ihre ideologisch-politische Macht ungestört in Wirtschaftsmacht umwandeln, und dies unter dem nachsichtigen Blick des Westens. Es gibt keine erfolgreichen sanften Revolutionen. Sanfte Revolutionen führen nur zu kosmetischen, nicht aber zu fundamentalen Veränderungen. Deshalb hat in Bulgarien keine echte Wende stattgefunden, sondern nur ein Prozess, der als «Alter Wein in neuen Schläuchen» bezeichnet werden muss. Noch immer sind 10’500 ehemalige Angehörige der bulgarischen Staatssicherheit (und das macht ca. 10% aus) in führenden staatlichen Positionen angestellt und besetzen öffentliche Ämter. Eine Durchleuchtung, die Lustration, die sich viele von uns erhofften, hat nie stattgefunden, die Vergangenheit wurde nicht aufgearbeitet und bleibt somit bis heute unverarbeitet. Zum Glück wurde Bulgarien im Jahr 2007 in die EU aufgenommen. Es hat diese einmalige Chance gepackt und kann nun zuversichtlich vorwärtsblicken, auch wenn die unverarbeitete Vergangenheit das Land in seiner Weiterentwicklung stark bremst. Für die kommenden Generationen wird aber Bulgarien dennoch zu einem Land, in dem man gerne leben wird. Vorausgesetzt, es gibt keinen neuen Krieg in Europa und insbesondere auf der Balkanischen Halbinsel.

Anja wird in die Isolation gezwungen. Ihre Freundin flieht, ihre Liebe scheitert, ihre Aufgabe droht ihr zu entgleiten. Selbst Maria, das Mädchen aus dem Heim ist nicht zu retten. Sie sind Psychotherapeutin. Isolation ist ein Phänomen, damals wie heute. Anja ist stark. Aber nicht alle Menschen finden die Kraft. Was kann die Literatur?

Ich denke, Literatur kann viel bewirken. Sie kann aufklären, zum Nachdenken anregen, sie kann helfen, das Leben und den Menschen in ihren Widersprüchlichkeiten besser zu verstehen, sie kann die Introspektionsfähigkeit des Einzelnen fördern. Literatur kann seelische Kräfte und Ressourcen mobilisieren, selbst grausamen Diktatoren wie Stalin war das bekannt. Vergessen wir nicht, dass Stalin während der Blockade von Leningrad der aushungernden Bevölkerung den Roman „Krieg und Frieden“ von Lew Tolstoi verteilen liess und sie aufforderte, den Roman zu lesen, um ihren Selbsterhaltungstrieb anzuregen, um die Widerstandskraft und die Moral der Bevölkerung zu stärken. Literatur kann ohne Zweifel in schwierigen Zeiten Kraft und Trost spenden. Durch Austausch von Gedanken und Meinungen über Bücher kann sie Freundschaften schaffen und somit helfen, Isolation und Einsamkeit zu überwinden. In der Welt der Bücher kann man sich kaum einsam fühlen. Denn durch die Flucht in diese Welt und ins Lesen kann man unerträgliche Realitäten erträglicher machen. Literatur verbindet, sie schafft Brücken zum uns Fremden und Unbegreiflichen. Sie besitzt sogar eine Art heilende Kraft, was sich aus der Arbeit mit Bibliotherapie deutlich zeigt.

© Evelina Jecker Lambreva

Evelina Jecker Lambreva, 1963 in Stara Zagora, Bulgarien, geboren, lebt seit 1996 in der Schweiz. Sie arbeitet als niedergelassene Psychiaterin und Psychotherapeutin in Luzern und als Klinische Dozentin an der Universität Zürich. In deutscher Sprache liegen der Gedichtband «Niemandes Spiegel» sowie der Erzählband «Unerwartet» vor. Zuletzt bei Braumüller erschienen: «Vaters Land» (2014) und «Nicht mehr» (2016).

Rezension von «Nicht mehr» auf literaturblatt.ch

Beitragsbild © Sandra Kottonau

David Wagner «Der vergessliche Riese», Rowohlt

Er besucht seinen Vater. Einen Vater, der sich ungewollt immer mehr von ihm entfernt. Einen Vater mit Demenz. Dieses grosse Vergessen, das einem einen Menschen wegnimmt, immer weiter weg, bis dieser trotz körperlicher Nähe ganz entschwindet, bis sich das Vergessen durch alles hindurchgefressen hat.

Als Arno Geiger 2011 seinen Roman „Der alte König in seinem Exil“ veröffentlichte, war es ganz offensichtlich für viele Leserinnen und Leser, als hätte da jemand ihre eigene Geschichte aufgeschrieben, die Geschichte einer unaufhaltsamen Abkehr, die Geschichte um einen an Alzheimer erkrankten Vater. Ich war an einer Lesung des Schriftstellers, an der er schon zu Beginn der Lesung klarmachte, dass er weder Fachmann in Fragen zu dieser Krankheit sei und auch keine Lust habe, eine Pandorabüchse zu öffnen.

David Wagner erzählt die Vater-Sohn Geschichte bis zu jenem letzten Satz: „Wer sind eigentlich deine Eltern?“ Eine Erzählung über einen langen, unvermeidbaren Abschied. David Wagner erzählt von den Besuchen des Sohnes bei seinem Vater. Zuerst im Glashaus in Andernach, später in der grossen Villa für Demenzkranke am Rhein. David Wagner schildert Begegnungen, in denen er Dialoge in Echtzeit erzählt, wie sich Wiederholungen immer mehr ausbreiten, die Entfernung aus der Gegenwart immer grösser wird. David Wagner tut dies so schlicht und geradlinig, dass ich mich tief in die Begegnungen hineingezogen fühle, ohne dass der Schriftsteller je in eine sentimentale Ebene abrutschen würde. Ich werde unmittelbarer Zeuge eines Verschwindens. Ich werde durch die immer gleichen Fragen des Vaters, der äusserlich noch immer rüstig und agil erscheint, durch die herzlich hartnäckigen Antworten des Sohnes tief in dieses Gefühl hineingesogen, als würde die Insel im Meer des Vergessens Stück für Stück wegbrechen und immer kleiner werden. Nur die fernen Streifen in der Vergangenheit, die Bilder aus der Kindheit aus der Familiengeschichte während und nach dem grossen Krieg, sind unmittelbar, als würden sie wie Wetterwolken in die absolute Windstille des Vergessens einbrechen.

Es sind nicht die Geschichten der Familie, nicht die Episoden von Vater und Sohn, auch nicht die zuweilen auftretende Komik, sondern die Art und Weise, wie David Wagner über diese Besuche schreibt, seine Zurückhaltung, seine Liebe, seine Behutsamkeit, sein Respekt. Wenn ein Vater nur mehr in der Erinnerung der Riese ist, der einem auf seinen Schultern durch das Leben trägt.

Es wird bei Lesungen aus diesem Buch ganz ähnlich sein wie bei Arno Geiger. David Wagner macht eine Tür auf, von der wir lieber wollen, dass sie geschlossen bleibt. Und für all jene, die gezwungen wurden hindurchzugehen, jenen Menschen an der Hand zu nehmen, weil ein Gang alleine immer unmöglicher wird, jenen gibt er zwar keine Hoffnung, aber den Mut, den Zauber einer Kleinigkeit. Der Vater ist schlussendlich im Pflegeheim, im Waisenhaus für alte Kinder. Ausgeschlossen von den Erinnerungen, die nicht mehr einzuordnen, nicht mehr kontrollierbar sind. Eingeschlossen ins Vergessen. Und wenn dann diese Vater-Sohn-Gespräche mit einem Mal voller Tiefe, Weisheit und Wissen strahlen, dann wird klar, dass Demenz nicht nur ein dunkler, schwarzer Abgrund sein muss.

© Linda Rosa Saa

David Wagner, 1971 geboren, debütierte mit dem Roman «Meine nachtblaue Hose». Sein Roman «Vier Äpfel» stand er auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. 2013 wurde ihm für sein Buch «Leben» der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen, 2014 erhielt er den Kranichsteiner Literaturpreis und war erster «Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessor für Weltliteratur» an der Universität Bern. «Der vergessliche Riese» brachte ihm 2019 den Bayerischen Buchpreis und eine Platzierung auf der Shortlist für den Wilhelm Raabe-Literaturpreis ein. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin.

Rezension von «Ein Zimmer im Hotel» auf literaturblatt.ch

Beitragsbild: Sandra Kottonau

Shobha Rao «Mädchen brennen heller», Elster

Purnima und Savita, zwei junge Frauen aus einem Dorf im indischen Süden sind die ausgesperrten Heldinnen eines Romans, der nichts Neues erzählt; Menschenhandel, institutionalisierte Frauenverachtung, tief in der Gesellschaft verankerte und zementierte Armut, fehlende Menschenrechte und munter prosperierende Kriminalität. Aber Shobha Rao erzählt mit der genau richtigen Nähe und Distanz, mehrperspektivisch, nie mit dem Zorn der Entwaffneten, stets mit der Hoffnung der Unbesiegbaren.

Aus den Medien sind Meldungen über Gewalt an Frauen in Indien doppelt schmerzhaft. Nicht nur, weil Frauen männlicher Willkür ungebremst ausgesetzt sind, sondern weil ihnen selbst nach der Verhaftung ihrer Peiniger der Hass als drohende Lebensgefahr ins Gesicht schlägt. Verkauft, misshandelt, vergewaltigt, ausgenützt, eingesperrt, mit Öl übergossen und angezündet, gebrandmarkt, gezeichnet, zum Freiwild erklärt.

„Jeder Moment im Leben einer Frau ist ein Geschäft, ein Geschäft mit ihrem eigenen Körper.“

Für eine arme indische Familie sind Mädchen in der Familie kein Segen, sondern Strafe. Denn mit jedem Mädchen wächst der Druck auf die Familie, auf die Eltern dieser Mädchen, die ihre Töchter nur verheiraten können, wenn sie eine Mitgift zu bieten haben. Eine Mitgift, die wiederum der Willkür der Familien der zukünftigen Ehemänner ausgesetzt ist, die beliebig feilschen und den Weg bis zu einer Hochzeit zum Höllentripp werden lassen können.

„So ist das doch mit Mädchen. Wann immer sie am Rand von irgendwas stehen, kannst du einfach nicht anders. Du denkst: Ein Stoss. Mehr bräuchte es nicht. Nur ein kleiner Stoss.“

Purmina kommt aus einer Weberfamilie, die seit Generationen an Webstühlen Saris herstellt. Kein lukratives Geschäft, eingeklemmt zwischen Angebot und Nachfrage. Als Purminas Mutter stirbt, gerät das filigrane Familienglück in Schieflage, die bescheidene Existenz der Familie an den Rand. Purminas Vater stellt Savita ein, ein Mädchen, das etwas älter ist, als seine Tochter, aus einer noch viel ärmeren Familie, die durch die Alkoholkrankheit Savitas Vater nur durch den totalen Einsatz der ältesten Tochter errettet werden kann.

Allmählich werden Purmina und Savita Freundinnen. Purmina ruhig und zurückhaltend, Savita von einem ungestillten Lebenshunger getrieben. Was in Indien Kindheit und Jugend junger Frauen ist, ist aus westlicher Sicht ein Gefängnis; kaum Bildung, sklavische Anbindung an die wirtschaftlichen Pflichten innerhalb der Familie mit der einzigen Aussicht, dereinst sicher verheiratet zu werden, von einer Kette zur nächsten. Während Purmina verheiratet werden soll und sich die Familie wegen dieser Hochzeit mit einem unbekannten Mann, der sich bis zur Hochzeit nicht zeigt, in Schulden stürzt, wird Savita, die am Webstuhl von Purminas Vaters bis zum Umfallen arbeitet, von diesem vergewaltigt. Und weil Savita weiss, dass sie als Opfer immer Opfer bleibt, flieht sie in eine Welt, die sie nicht kennt, beginnt eine Odyssee bis nach Seattle.
Purmina, die dem Hass ihres Gatten und deren Familie ausgeliefert ist, die ausharrt mit der Sehnsucht nach ihrer verschwundenen Freundin, bis ihre Haut zu brennen beginnt und sich der Schmerz dieses Feuers bis in die Seele frisst, folgt Purmina, ihrer Freundin, sucht sie. Purmina, gezeichnet durch das Feuer übergossenen Öls, Savita, gezeichnet von einer amputierten Hand, weil sie als Krüppel mehr Umsatz verspricht für besondere Wünsche herrischer Macht.

„Wir waren einmal Kinder, dachte sie; wir waren einmal kleine Mädchen. Einst spielten wir auf der Erde im Schatten eines Baumes.“

„Mädchen brennen heller“ ist die Geschichte einer Freundschaft. Über die Kraft der Liebe und eines Versprechens, erzählt mit ungeheurer Kraft. Eine Odyssee der Gegenwart, in der die Monster nicht in der Unterwelt agieren, sondern selbst in der Familie lauern. Purmina und Savita suchen nicht nur einander, sondern sich selbst, den Rest Überlebenswillen, jenen Ort, der aller Heimat beraubt nur Freundschaft und Liebe zurückbringen kann. Man liest „Mädchen brennen heller“ atemlos, geschlagen von der Wirklichkeit und der trägen Sicherheit der eigenen Existenz.

Dieser Buch schmerzt und belohnt gleichermassen!

Shobha Rao emigrierte im Alter von sieben Jahren mit ihrer Familie aus Indien in die USA und lebt heute in San Francisco. Sie arbeitete lange als Rechtsanwältin im Bereich häuslicher Gewalt und vertrat insbesondere Opfer mit Migrationshintergrund. Raos Debütroman «Mädchen brennen heller» («Girls Burn Brighter», 2018) rangierte in den führenden Bestenlisten der USA. Zuvor erschien ihr Band mit Kurzgeschichten («An Unrestored Woman», 2016). Shobha Rao ist Preisträgerin des Katherine Anne Porter-Preises und wurde von T. C. Boyle für die Anthologie «The Best American Short Stories 2015» ausgewählt.

Sabine Wolf ist Übersetzerin von Sachbüchern, Reiseliteratur, Belletristik, journalistischen und wissenschaftlichen Texten (Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften). Sie ist tätig u. a. für ZEITmagazin, Deutsches Literaturarchiv Marbach, Amnesty International, Goethe-Institut, Lonely Planet (MairDumont), Deutsches Institut für Menschenrechte, Friedrich-Ebert-Stiftung.

Webseite der Autorin

Beitragsbild © Sandra Kottonau (Ausschnitt)

Rolf Hermann «Eine Kuh namens Manhattan», Der gesunde Menschenversand

Rolf Hermann hat den anderen Blick. In seinen Geschichten spiegelt sich eine Welt, deren Perspektiven sich den gewohnten Sichtweisen entziehen. Vielleicht ist Rolf Hermanns neue Text- und Geschichtensammlung deshalb eine Anleitung, die Welt nicht gar so tierisch ernst zu nehmen, meinen Blick zu öffnen, eine Anleitung zum Sehen, ein anderes Ordnungssystem.

Rolf Hermann macht Ordnung. Ob er das nun mit alphabetisch geordneten Aufzählungen macht, die einem an ein Walliser Urmantra erinnern, ob er Laute, Buchstaben, Silben neu ordnet, ob er die Kuh Manhattan aus ihrer festen Ordnung ausbrechen lässt, eine Kuh, die nach einer ganzen Reihe gewonnener Kuhkämpfe im Kanton eine neue Herausforderung sucht und an der Universität Miséricorde in Fribourg immatrikuliert, um an ihrer Bachelorthese «Das Rind als Stallmeister seiner selbst» zu schreiben.

In den vergangenen Jahren ist Rolf Hermann so etwas wie die literarische Stimme des Rhonetals geworden, zumindest des deutsch sprechenden Teils.
GF: Merkst du das, wenn du dich im Wallis bewegst? Ein literarisches Gegengewicht zur historischen Übermacht der Giganten des letzten Jahrhunderts; Charles Ferdinand Ramuz, Stéphanie Corinna Bille und Maurice Chappaz?
RH: Seit einer Weile habe ich das Gefühl, mit meinem Schriftstellerdasein geht es sehr gemächlich – ein kleines Bitzeli – bergauf. Zurzeit ist es ungefähr auf der Höhe von Goppenstein angelangt. Das liegt auf 1’200 Metern über Meer, also knapp 500 Meter höher als dort, wo ich aufgewachsen bin. Das macht in meinem Alter einen Höhenunterschied von knapp 11 Metern pro Jahr aus. Eigentlich nicht wirklich der Rede wert.

Rolf Hermann feiert in einer Welt, die immer mehr in der Absurdität abrutscht, das Absurde selbst. Er potenziert das Komische bis ins Verwegene, das eine Mal mit Geschichten, ein ander Mal mit Lautgedichten und sprachlichen Absurditäten. Dabei empfinde ich seine «Absurditäten» alles andere als absurd. Rolf Hermanns Schaumschlägereien sind Sprachkunst, surreal in ihrer Inszenierung, witzig und urkomisch in ihrer Direktheit, Originale eines Originals.

GF: Du pflegst das Bild des einstigen Schafhirten, der sich damit in ferner Vergangenheit sein Studium der Anglistik und Germanistik in Fribourg und Iowa USA verdiente. Was ist vom einstigen Schafhirten übrig geblieben? Vom Anglistiker?
RH: Tatsächlich habe ich sieben Sommer lang im Wallis Schafe gehütet. Von 1993 bis 2000. Zum ersten Mal kurz nach der Matura. Das war eine prägende Zeit für mich. Weit oberhalb der Waldgrenze. Inmitten von Felsen und Geröll. Ohne fliessendes Wasser. Ohne Strom. Oft allein. Aber mit vielen Büchern und Notizheften. Ich habe mich damals extrem verbunden gefühlt mit dieser atemberaubenden Landschaft. In Gedanken bin ich auch jetzt noch hin und wieder da oben. Es ist gut möglich, dass ich eines Tages diese Sommererfahrungen in einen längeren Text einfliessen lasse. Und die Anglistik? Die ist mir immer noch sehr nahe. Ich rede mit meiner Frau, einer US-Amerikanerin, und unseren zwei Kindern meistens Englisch. Und sehr gerne lese ich immer wieder Bücher auf Englisch, z. B. die wunderbaren Gedichte von Emily Dickinson, die mich schon seit über zwanzig Jahren begleiten.

Schoutaim
Am lätschtu Wuchunänd bin i mit miinum viärjeerigu Meitji gaa schpaziäru. Wiär sii va Sänggärma uff Raro gluffu, an Räbä und Mattä värbii, bis wär, schoo fascht am Ändi va ischum Üssflug, vor där Burgchilchu z Raro gschtannu sii. Ds Meitji, waa bis jäzz no niä inära Chilchu isch gsi, isch im Schpurt uff du grooss Büx züe, hätt mit allär Chraft ds Portaal üffgita, isch där Mittilgang därdur und schich vollär Ärwaartig mitsch in d eerscht Reiu gaa säzzu. Küm bin i näbu miinum Meitji gsi, hätts wällu wissu, wä dä hiä äntli d Schou afeegä. Und ich ha mär gideicht: Bassär hätti sus niämär chännu sägu.

Showtime
Letztes Wochenende bin ich mit meiner vierjährigen Tochter spazieren gegangen. Wir sind von St. German nach Raron gelaufen, an Reben und Wiesen vorbei, bis wir, schon fast am Ende unseres Ausflugs, vor der Burgkirche in Raron standen. Meine Tochter, die davor noch nie in einer Kirche war, ist auf das grosse Gebäude zugespurtet, hat mit aller Kraft das Portal aufgerissen, ist durch den Mittelgang nach vorne gerannt und hat sich erwartungsvoll in die erste Reihe gesetzt. Kaum war ich bei ihr, wollte sie wissen, wann denn hier endlich die Show anfange. Und ich hab mir gedacht: Besser hätte es niemand sagen können.

Aber immer bleibt hinter den Texten der ganz besondere Sound des Autors selbst. Wer irgendwann einmal das Vergnügen hatte, dem Autor bei einer seiner performativen Auftritte dabeizusein, dem bleibt etwas vom Klang dieser Texte auf ewig im Kopf zurück. Rolf Hermann spielt dabei mit Klang, Rhythmus und Laut so sehr, dass er wie bei der Konkreten Poesie auf die  Bedeutung von Wort und Text ganz verzichtet. Dann wird ein Text zur Partitur, das Gesprochene, der Laut, der Text zur Musik. Und das Sprechen, selbst für mich als Ostschweizer mit maximaler Distanz zum Walliser Dialekt zum Eintauchen in eine andere, neue Welt. Dann trifft mich der Spass an der Übersetzung, das Suchen nach Bekanntem, das Erkennen von Resonanz.

GF: So wie du mit Sprache, Wort und Text umgehst, scheint es dir beim Schreiben um weit mehr als den Transport von Information zu gehen. Du spielst mit dem Sound, dem Klang, dem Witz in der Sprache selbst, dem Grotesken, das daraus entstehen kann, dem Hinterhältigen. Was reizt dich daran? In welchen Texten liegt mehr Rolf Hermann?
RH: Wenn es mir in meinem Schreiben lediglich um den Transport von Informationen gehen würde, dann wäre ich kein Schriftsteller. Es geht mir vor allem auch darum, die Sprache zu belauschen und mit ihren Mitteln etwas heraufzubeschwören, das möglichst einzigartig ist, sei das nun eine Erzählung, ein Spoken-Word-Text, ein Gedicht oder sonst etwas. Immer wenn ich schreibe, habe ich das Gefühl, ich sitze wieder am Küchentisch meiner Grossmutter. Die Eltern sind da, meine Brüder, die Tanten, die Onkel, viele Cousinen und Cousins und auch ein paar Dorfbewohner haben sich unter die Gäste gemischt. Es wird über ein Haus gesprochen, das verkauft wird. Jemand erzählt einen sehr zotigen Witz. Dann wiederum sorgt man sich über eine Nachbarin, die ernsthaft erkrankt ist. Und dann meldet sich plötzlich Grossmutter zu Wort und gebietet allen, still zu sein, weil sie ein Gedicht vortragen will, das sie gerade in der letzten Nacht geschrieben hat. Und dann spricht sie und augenblicklich ist da eine Stimme, die sich selber – und auch mir – sehr nah ist. Vielleicht versuche ich ja genau das mit meinem Schreiben: Jene Küchenszene wieder auferstehen zu lassen – und die besteht halt aus vielen Stimmen.

sinklau nov red lüefs tegeb
äs Gibätji

neim rehr dun neim togt
mmin salle nov rim
saw chim tihrend uz rid

neim rehr dun neim togt
big salle rim
saw chim tehrüf uz rid

neim rehr dun neim togt
mmin chim rim
dun big chim zang uz neige rid

Zugegeben, es braucht etwas Mut, sich in das Geniessen dieser Texte hineinzugeben, nicht einfach in den von Ursina Greuel ins Hochdeutsche übertragenen Text zu flüchten, bloss um das Buch mit Tempo durchzulesen. Ernst gemeinte Lektüre braucht Langsamkeit, Geduld und den Willen, das Menü in kleinen Happen zu geniessen, die Schlucke klein über den Klanggaumen rutschen zu lassen.

GF: Ein nicht unwesentlicher Teil der Texte in deinem Buch lässt sich beim besten Willen nicht übersetzen. Lautmalereien, die an Konkrete Poesie erinnern. Wie entsteht ein solcher Text? Versteckt sich der Lautmaler Rolf Hermann erst einmal in den Hängen oberhalb Leuk, zwischen den Parabolantennen des Satellitenabhörsystems und gibt Signale in den Äther?
RH: Ich wünschte es wäre so einfach. Sobald ich in der Nähe der Satellitenschüsseln oberhalb Leuk bin, bricht in mir der dadaistische Sturm los. Nein, im Ernst, nachdem eine Textidee in mir gereift ist, gehe ich eigentlich oft recht konzeptuell, teils mathematisch vor. Vokale werden permutiert, Wiederholungen und Variationen eingebaut, Ellipsen in den Text geschlagen. Und das mache ich, solange bis mich der Sound des Textes, der ja in dem Fall über das Inhaltliche hinausgeht, überzeugt. Zu den vielen Stimmen kommt so eine neue hinzu.

GF: Du liebst Aufzählungen, Reihen, das Alphabet. Schreiben ist „Ordnung machen“. Ordnung in Buchstaben, Zeichen, Silben und Worte. In Gedanken und Ideen, Konstrukte und innere Landschaften. Bist du ordnungsliebend?
RH: Schreiben ist für mich auf jeden Fall eine Art von „Ordnung machen“. Eine Stimmung, ein Erlebnis, ein Witz, ein Monolog so aufs Blatt zu bringen, dass der Text im Idealfall in einem Gegenüber das erzeugt, was man sich erhofft hat – und das hat viel mit auswählen, gruppieren, umstellen, ja, mit neuordnen zu tun. Da kann ich sehr bedächtig an die Worte und Sätze treten und sie immer wieder abklopfen. Im Alltag hingegen bin ich eher chaotisch. Meine Schreibklause ist ein ziemliches Labyrinth mit recht zufällig entstandenen und entstehenden Staubhügelchen.

©Valérie Giger

Rolf Hermann, geboren 1973 in Leuk, lebt heute als freier Schriftsteller in Biel/Bienne. Sein Studium verdiente er sich als Schafhirt im Simplongebiet. Er ist Mitglied der Mundart-Combo Die Gebirgspoeten und der Spoken-Rock-Formation Trio Chäslädeli. Sein Schaffen wurde verschiedentlich ausgezeichnet, zuletzt mit dem Kulturpreis der Stadt Biel (2017) und einem Literaturpreis des Kantons Bern (2019).

Webseite des Autors

Rolf Hermann liest am 15. Mai im KultBau St. Gallen, an der Konkordiastrasse 27 um 20 Uhr aus seinem Buch «Ein Kuh namens Manhattan». Moderation: Gallus Frei-Tomic. Infos unter kultbau.org

Die Texte aus «Eine Kuh namens Manhattan» sind mit ausdrücklicher Erlaubnis des Autors eingefügt. Alle Rechte sind beim Autor.

Christoph Schwyzer «Der Staubwedel muss mit», Limmat

Altersheime sind Biotope, unsichtbar eingezäunte Lebensräume, denen man wohl Besuche abstattet, aber in steter Erleichterung darüber, nicht Teil dessen sein zu müssen. Christoph Schwyzer arbeitete lange in einem solchen. Seine Geschichten aus diesem Biotop sind keine Schreckgeschichten, keine Enthüllungen. Nachdem er schon 2009 mit seinen Geschichten «und heim» seine erzählerische Präzision, seinen Witz und sein Gespür für Geschichten mit überraschenden Spiegelungen bewies, sind seine neuen Geschichten eine lange Kette literarischer Perlen.

Es breitet sich bei der Lektüre warme Melancholie aus, weil es Christoph Schwyzer versteht, jene Fein- und Eigenheiten in den Vordergrund zu stellen, die jene des Alters ausmachen, ohne sie mit dem Skalpell zu sezieren. Die Geschichten sind durch Begegnungen gewachsen, durch die Nähe zu den Menschen. Eine Melancholie, weil man unweigerlich weiss, dass man dereinst eine der Beschriebenen sein könnte, weil es fast nichts gibt, dass einem vor dem Zimmer im zweiten Stock „zu retten“ vermag.

Frau Christen
Verzweifelt suchte Frau Christen nach dem Sinn des Lebens. Die Tiere, dachte sie eines Tages, die haben es gut: Der Ameisenbär sucht Ameisen, findet sie, frisst sie und ist zufrieden. Die Eierschlange sucht Eier, findet sie, frisst sie und ist zufrieden. Der Mäusebussard sucht Mäuse, findet sie, frisst sie und ist zufrieden. Und ich? Ich bin doch angeblich ein Homo sapiens, ein weiser Mensch. Mehr Weisheit essen, hat der Arzt einmal gesagt. Oder hab ich ihn falsch verstanden: mehr Eiweiss essen?

Zarte Miniaturen vom Leben an der Endstation, von den Menschen, denen sich das Leben nicht unmerklich zu verschliessen beginnt, denen man sich immer weniger zuwendet, wenn nicht gar abwendet, die keine „Funktion“ mehr mit sich tragen, die man vergisst, ein- und abgestellt hat. Von Menschen, die den kleinen, letzten Rest Leben mit sich tragen, jenen Rest Stolz, auch wenn es nur eine Schublade voller bestickter Stofftaschentücher ist. Sie breiten wie Frau Judith ihre Fotos vor sich aus, „wie Inseln aus dem Meer des Vergessens“. Christoph Schwyzer breitet all die klein gewordenen Leben vor mir aus. Sie mahnen mich, dass die Wahrscheinlichkeit einer solchen Wendung in meinem Leben nicht auszuschliessen ist und es nur schwer vorhersehbar ist, was dereinst meine Welt bestimmt.

Herr Hartmann
Ins Gedächtnistraining geht er nicht. Er sagt: Ich bin so nachtragend. Besser wäre eine Methode, die gezieltes Vergessen möglich macht.

Frau Jud, Herr Hauser, Herr Bumbacher, Frau Schwarz: Ihre Welt ist geschrumpft, geschwunden auf die blosse Hoffnung, auf ein unendlich scheinendes Warten, das letzte bisschen Sehnsucht. Christoph Schwyzer will kein System kritisieren, auch nicht den routinierten Umgang mit alten Menschen, weder die Ghettoisierung noch die Sorge um die demagogische Entwicklung der Gesellschaft. Christoph Schwyzers Blick auf die Menschen ist keiner auf sie herab, sondern getränkt von Liebe und Respekt, voller Witz und Schalk. Die längeren und manchmal nur ganz kurzen Porträts kreisen immer nur um das Eine: Was bleibt?

Frau Schneebeli
Zu wenig Schlaf lässt die Haut schneller altern. Diesen Satz hat Frau Schneebeli in der „Gesundheit Sprechstunde“, im Magazin von Dr. Stutz, gelesen und mit orangem Leuchtstift markiert. Während der darauffolgenden Nacht ist sie ungewöhnlich oft aufgewacht. Und jetzt will sie sich vom Arzt die Schlaftablettendosis erhöhen lassen.

Es ist als wären die Geschichten eine lange Reihe von Besuchen, ich an der Seite des Autors. Ich lausche einer Szene, einem Gespräch, einer Geschichte aus der Vergangenheit, einem Einblick, der nur möglich ist, weil ich mich an der Seite des Autors ruhig und unauffällig verhalte. Christoph Schwyzer bedankt sich mit der Verschriftlichung der Geschichten für die vielen Geschenke, die sich nur dann einstellen, wenn den Alten jener Respekt entgegengebracht wird, den das System verweigert.

Geschichten aus einem anderen Jahrhundert, einem anderen Jahrtausend, aus den Tiefen der Vergangenheit, aus einer anderen Welt. Einer Welt, die sich dem Produktiven, Eifrigen, Fleissigen, Zielgerichteten, Gemanagten entzieht. Vom Ende der Zeit, wo Zeit keine Rolle mehr spielt, ausgerechnet dort, an ihren Rändern.

Interview mit Christoph Schwyzer:

Dein Buch ist wie eine Fotoausstellung in einer grossen Galerie. Du gingst mit dem Objektiv ganz nah an die Person, ohne ihr zu nahe zu treten. Die Gesichter erzählten dir Geschichten. Du rahmst sie mit Sprache ein, bannst sie. Ich bleibe als Betrachter stehen, einmal länger, einmal kürzer und staune, wie sehr mich der Blick aus dem Bild berührt. Bist du mehr als Träger dieser Geschichten? 

Jede Figur, die in meinem Buch auftritt, lebt auch ein Stück weit in mir selbst: Der Nörgler, die Schwermütige, die Selbstverliebte, der Büchernarr, der Aufbrausende, die Mitfühlende. Insofern gibt es zu jeder Figur eine Verbindung. Und eigentlich geht es mir als Stadtmensch, als Stadtspaziergänger jeden Tag so: Ich sehe zahllose Menschen, werde von einem Gesicht, einem Blick, einer Stimme, einer Gangart in Bann gezogen; und selbst dann, wenn eine solch zufällige, flüchtige Begegnung eher abstossend auf mich wirkt, ahne ich mehr Verbindendes als Trennendes. „Was du anschaust, schaut zurück. Du wirst ihm wieder begegnen“, lautet eine Gedichtzeile von Max Bolliger.

Sie mahnen nicht direkt. Sie erschrecken nicht. Die suhlen sich nicht. Sie reissen nicht nieder. Sie, die du porträtierst, beschenken dich und du gibst dieses Geschenk weiter. Wie reifen diese Geschichten von der Idee bis um Entschluss, sie in die Sammlung aufzunehmen?

Mein Rohstofflieferant ist mein Tagebuch. Ich halte – regelmässig zwar, aber doch eher anfallsweise – meine Eindrücke fest. Nie aber gehe ich mit der Absicht irgendwohin, auch damals als Altersheimseelsorger nicht, Menschen zu beobachten, Material zu sammeln. Ich bin ja kein Detektiv, der, mit Fotoapparat und Notizblock bewaffnet, den Menschen auflauert. Wegweisend ist für mich die Frage: Welche Bilder und Situationen, welche Erinnerungen tauchen spontan aus dem Meer des Erlebten wieder auf; suchen mich heim, ohne dass ich mich dafür heftig anstrengen müsste? Damit aus einem Eindruck ein Ausdruck auf Papier werden kann, muss dieser noch warm, in Bewegung, formbar sein.

Die Anstrengung beziehungsweise die eigentliche Arbeit beginnt dann, wenn es darum geht, meinen Tagebucheinträgen eine gültige Gestalt zu geben, sie weiterzuspinnen, in eine Geschichte zu verwandeln. Ein Beispiel: Eine Hand, die im übervollen Bus einen Haltegriff umklammert, lässt mich nicht mehr los. Die Finger sind aufgedunsen, goldene und silberne Ringe schneiden sich ins Fleisch ein, der rote Lack der Nägel blättert an den Rändern ab. Tage oder Wochen später sehe ich wieder diese Hand vor mir, nur diese Hand; denn der Körper, das Gesicht zur Hand waren im übervollen Bus nicht zu sehen. Was erzählt mir diese Hand? Wie könnte sie den dazugehörigen Menschen indirekt charakterisieren? Ich versuche eine kleine Geschichte, eine Minibiografie zu entwerfen, schreibe meistens mehrere Versionen, kürzere und längere.

Dein Buch ist nicht das Resultat einer Recherche, sondern Manifestation von Liebe, Respekt und Hochachtung. Angesichts der demagogischen Entwicklung unserer Gesellschaft drängen sich aber durchaus Fragen auf, wie wir in Zukunft mit dem letzten Abschnitt des Lebens umgehen wollen, ob es reicht, chipgesteuerte Kuscheltiere oder sprechende Roboter einzusetzen. Wohin muss es gehen? 

Wir alle, ausnahmslos, sind Sehnsuchtsreisende auf der Suche nach Heimat. Wir kommen auf dieser Welt nie ganz an; immer fehlt etwas zum vollkommenen Glück, zur störungsfreien Zufriedenheit. Aber eines ist offensichtlich: Freundschaften können retten. Wer sich in einer Gemeinschaft von Menschen aufgehoben fühlt, fällt weniger schnell ins Bodenlose. – Weder im Altersheim noch sonst irgendwo bin ich jemals einem Menschen begegnet, der nicht beachtet, geachtet, wahrgenommen werden wollte. Und oft stellt sich heraus, dass diejenigen Menschen, die einem die kalte Schulter zeigen und von sich behaupten: Ich will keinen Besuch, ich brauche keinen Besuch, unglaublich aufblühen, wenn sie dann trotz allem sich öffnen und ins Erzählen kommen. Kein auch noch so ausgeklügelter Roboter kann einem Menschen sein Ohr, sein Herz schenken, ist in der Lage, bloss mithilfe seiner Aufmerksamkeit, eines gütig geduldigen Blicks oder einer Berührung, wortlos zu sagen: Ich bin für dich da. Ich mag dich.

Du gibst jeder Geschichte einen Namen. Manchmal einen Vornamen, manchmal einen Familiennamen. Du änderst auch die erzählende Perspektive. Was entscheidet? 

Jeder Name, ob Vor- oder Nachname, birgt ja schon eine Geschichte in sich, hat seinen eigenen, eigenartigen Klang. Wenn ich „Meier“ durch „Mendes“ ersetze oder „Sepp“ durch „Siegfried“, ändert sich der gesamte Charakter der Geschichte. Dasselbe ist der Fall, wenn ich Requisiten austausche, Möbel. Das Gleichbleibende, die Konstante ist die Einzelzimmersituation.

Ich spiele gerne mit meinen Figuren. Eigentlich ist für mich eine Geschichte nie fertig. Ich habe eine unglaubliche Freude daran zu kneten, zu modellieren, alles zusammenzudrücken und wieder von vorne anzufangen – wie damals als Kind mit meinen Plastilinfiguren. Was passiert, wenn aus einer Frau ein Mann wird? Wie tönt die Geschichte, wenn sie aus dem Mund der betroffenen Person selbst kommt? Wie aus dem Mund einer Tochter, eines Sohnes? Und was ist, wenn die Figur unablässig schweigt, stattdessen aber ein Gegenstand, eine Handbewegung, ein Kleidungsstück vielsagend wird, laut zu sprechen beginnt? – Allerdings ist das übermässige Abändern mit der Gefahr verbunden, nie eine endgültige Form zu finden, gar eine bereits prägnante Geschichte wieder zu verflachen.

Ist da nie die Lust, eines dieser Porträts aus der Ausstellung mit nach Hause zu nehmen, auf den Schreibtisch zu stellen, auf den Tisch vor dem Fenster, um noch viel mehr, viel tiefer zu schauen? 

Meine Landschaften, in denen ich am liebsten spazieren gehe, sind die Menschen, soll ein Grossstädter einmal gesagt haben. Mit mir verhält es sich ähnlich. Insofern taucht in der Tat ab und zu die Idee auf, einer einzelnen Figur mehr Raum zu geben, mich von ihr an der Hand nehmen und über all die noch unentdeckten Lebenswege führen zu lassen, Lebensschicht für Lebensschicht zu erkunden – und vielleicht eine Erzählung zu schreiben.

© Paul Joos

Christoph Schwyzer (1974) lebt mit seiner Familie in Luzern. Er arbeitete an der Volksschule, im Altersheim und bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. Studienaufenthalt in Hildesheim «Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus», Umzug nach Berlin, danach Fußwanderung von Hamburg nach Basel. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit tritt Christoph Schwyzer als Rezitator auf. Für seinen ersten Roman «Wenzel» war er für den Rauriser Literaturpreis 2012 nominiert.

Beitragsbild © Sandra Kottonau

Kjersti A. Skomsvold «Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone», Hoffmann und Campe

Es gibt Bücher, die Geschichten erzählen. Es gibt Bücher, die phantasieren, solche, die entschlüsseln, andere, die verschlüsseln. Kjersti A. Skomsvolds Roman «Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone» ist so eigenartig wie sein Titel. Der Blick einer jungen Frau, einer Mutter, einer Schriftstellerin, einer Geliebten, einer Freundin, einer Ehefrau. Etwas wirr erzählt, als sässe man einer Freundin gegenüber, die nach langer Zeit zu erzählen beginnt, aber eigentlich dem Kind zugewandt, dessen Mutter sie wird.

Kjersti A. Skomsvold erzählt in ihrem Buch, der sich Roman nennt, keine zusammenhängende Geschichte, schon gar nicht chronologisch. Sie schreibt über ihr Leben, wie sie ihren Mann kennen lernte, ihre Familie, die Geburt ihrer beiden Kinder, ihr Schreiben, ihre Ängste, ihre Befürchtungen. Alles Banalitäten, über die andere kein Wort verlieren würden, weil es nach dem Eigenen klingen würde. Andere, die darüber schreiben würden, liessen es zu einer Nabelschau verkommen, einem Wehklagen darüber, wie klein die Welt mit Kindern und Pflichten geworden ist. Bei Kjersti A. Skomsvold liest sich das überraschend anders. Kjersti A. Skomsvold beobachtet sich selbst, lotet sich aus, folgt ihr selbst auf ihrer Spur, ohne den wehleidigen, schmerzerfüllten Blick in einen Spiegel, der nie das zeigt, was man sich erhofft.

«Ich dachte, die Liebe bedeutet, einen neuen Menschen zu entdecken, aber es bedeutet, sich selbst zu entdecken.»

Was sich in den ersten Seiten wie das Protokoll einer schwierigen Geburt liest, bei der man sich bei der Lektüre fragt, ob Mann sich dafür interessiert, weitet sich das Feld aus. Selbst im Moment der Geburt, werden Fragen existenziell. Kjersti A. Skomsvolds Blick auf ihren Ausschnitt der Welt wird zu einem Schaufenster in ein Stilleben der Moderne, in die Zerrissenheit der verschiedenen Gegenwarten, in die Erkenntnis, dass man sich selbst fremd bleibt, selbst dann, wenn aus der Sehnsucht nach Nähe Liebe wird, selbst dann, wenn neues Leben in einem wächst, selbst bei eigen Fleisch und Blut.

«Die Liebe ging schnell, eine dreiköpfige Familie und dann eine vierköpfige zu werden, noch schneller, nur das Schreiben geht unglaublich langsam.»

Sie erzählt von Bo, ihrem Mann, diesem ängstlichen Mann, den sie kennen lernte, mit dem sie zusammen kam, einen Hausstand gründete und irgendwann den gemeinsamen Wunsch, Kinder zu bekommen «in die Tat umsetzte». Beide verletzlich in ihren Ängsten und Befürchtungen. Wie mit den Kindern die Perspektive ändert, man mit einem Mal nicht mehr das Gefühl hat, es reiche, auf den eigenen Beinen zu stehen. Wie Fremde immer vertrauter werden, aber eigentlich doch Fremde bleiben, aussen vor, selbst die Kinder, die einem dirigieren. Bo ist Künstler, sie Schriftstellerin. Er arbeitet mit Gipsplatten, sie mit Worten, die sie in jeder freien Sekunde aufs Papier zu bringen versucht, so wie Per Olov Enquist, der am Tisch schrieb, während das Kind darunter mit seinen Socken spielt.

«Mein eigener Tod ist näher gerückt, seit ich Kinder habe, das Leben wirkt kürzer und länger zugleich. Kürzer, weil mir klar ist, dass ich nicht so wichtig bin, wie ich geglaubt hatte, sondern nur ein kleines Stück von etwas unendlich Grossem.»

«Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone» ist ein eigenartiges Buch, das mich bei der Lektüre hin- und herzerrte zwischen Begeisterung und Unverständnis. Vielleicht ist es die Fähigkeit der Autorin, aus sich herauszutreten. «Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone» ist kein Tagebuch, aber vielleicht ein Spiegelkabinett. Wer in den Spiegel schaut, sieht nicht sich selbst, sondern sein seitenverkehrtes Spiegelbild. Kjersti A. Skomsvold stellt ihren Spiegelgarten so, dass sich ihr Sein und Tun mehrfach spiegelt, dass ich mich selbst in diesen Spiegelungen sehe. Es offenbaren sich Abgründe und Höhen, Selbstzweifel und Euphorie, Leidenschaft und der ganz gewöhnliche Grabenkrieg einer Langzeitbeziehung.

Ein Roman über das Schreiben, von der Macht des Schreibens und der, schreiben zu wollen, um jeden Preis, um sich selbst und manchmal gar andere zu retten.

© Agnete Brun

Kjersti A. Skomsvold, geboren 1979 in Oslo, gilt als die wichtigste Gegenwartsautorin Norwegens. Für ihren Debütroman Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich (Hoffmann und Campe 2011) wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Neben ihren Romanen veröffentlichte sie Lyrik und autobiographische Prosa.

Ursel Allenstein (1978) übersetzt Literatur aus den skandinavischen Sprachen. u. a. Sara Stridsberg und Christina Hesselholdt. 2013 erhielt sie den Förderpreis der Kulturstiftung NRW und 2019 den Jane Scatcherd-Preis.

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Mareike Fallwickl «Das Licht hier ist viel heller», Frankfurter Verlagsanstalt

Es gibt Romane, die einem beim Lesen magisch ins Geschehen ziehen. Es gibt Romane, die verunsichern, alleine lassen. Und es gibt Romane, die einem beim Lesen immer wieder durchbrechen lassen: Man folgt der Handlung, um mit einem Mal in eine Schicht tiefer ein- und durchzubrechen. Man reibt sich die Augen, immer wieder, bis zur letzten Seite.

Hätte mich jemand während der Lektüre von Mareike Fallwickls neuem Roman „Das Licht hier ist viel heller“ gefragt, worum es den geht in dem Buch, hätte ich bei den fast 400 Seiten wahrscheinlich alle 50 Seiten eine völlig andere Antwort gegeben. Das ist Absicht, geniale Konstruktion! Mareike Fallwickl stösst mich in Tiefen, die mich zur Selbstreflexion zwingen. Mareike Fallwickl blendet schonungslos in die Kampfzonen der Gesellschaft, seien es Rollenbilder, Familienstrukturen, Genderisierung und all das, was mit der MeToo-Debatte aus einem modrig-fauligen Untergrund hervorgebrochen ist.

Maximilian Wenger ist Schriftsteller. Allerdings aus der Mode gefallen, von den LeserInnen verschmäht, vom Agenten bedrängt, von der Familie abgehängt. Er siecht in einer kleinen Wohnung vor sich hin, trauert einem Leben nach, das ihn verlassen hat, leckt seine Wunden. Wenger ist aber nicht nur in seiner Existenz als Schriftsteller mehr als nur in Frage gestellt. Seine Frau Patrizia hat ihn vor die Tür gesetzt und durch einen wesentlich Jüngeren, Knackigeren ersetzt. Seine beiden fast erwachsenen Kinder Zoey und Spin langweilen sich seither alle zwei Wochen ein Wochenende lang in seiner kleinen Wohnung, bewegen sich Lichtjahre von seiner eigenen Welt entfernt. Nicht einmal das faltig gewordene Stück Haut zwischen seinen Beinen ist noch aufrichtig genug.

Bis Briefe in seinem Briefkasten landen, die zwar richtig adressiert sind, aber an den Vermieter gerichtet. Wenger öffnet sie, liest sie. Es sind Briefe einer Frau, die sich in San Remo Luft macht. Zornige, wütende Briefe an einen Mann, der sie verraten hat, der ihr nicht zur Seite stand, als andere Männer ihre Existenz vernichteten, so radikal, dass es nur die Flucht gab.
Mit einem Mal weiss Wenger, worüber er schreiben will. Seine wieder aufbrechende Motivation ist derart radikal, dass Wenger in einen Rausch gerät und in eben diesem Rausch nicht merkt, dass die Themen, über die er schreibt, wie eine Tsunamiwelle über ihn schwappen. Aber Wenger schreibt in einem Bunker. Obwohl seine Tochter sich nicht nur äusserlich mit einem Mal vollkommen verändert, ihre Signale weder von der socialmediageilen Mutter noch vom egozentrischen Vater wahrgenommen werden, obwohl sein Sohn in der elterlichen Villa beinahe stirbt, weil Bücher brennen, die sich nicht von selbst entzünden, schreibt er sich weg in einen Rausch. Erst recht, als ihm bewusst wird, dass es genau jener Ton der Frau, deren Briefe er zu Unrecht liest, ist, den es braucht, um zurück ins Schaufenster der Öffentlichkeit zu gelangen.

Spin und seine ältere Schwester Zoey werden Schicksalsgemeinschaft, weil weder der schreibende Vater noch die umtriebige Mutter je die Zeit und Zuwendung hatten, die vonnöten gewesen wäre. „Wir steuern dieses Flugzeug, das nur noch trudelt, aus dem Rauch quillt…, gleich werden wir springen müssen.“ Sie beide werden in Notsituationen gedrängt, aus denen sie sich nur selbst herauswinden können, versehrt, verwundet, verändert und missverstanden.

„Das Licht ist hier viel heller“ ist vieles; ein Familiendrama, ein Roman über die Launen des Literaturbetriebs, ein Roman über Emanzipation und die Befreiung aus festgefahrenen Rollen, aber vor allem ein Roman über die tiefen Gräben in der Gesellschaft, über den Sturm, der über allem fetzt, die Jungen zweifeln lässt, ob es neben Sex Liebe gibt und die Alten, ob der Untergrund fest genug ist, auf dem man sich bewegt.

Mich bewegt der Blick der jungen Autorin, die Klarsicht, das Gespür für die Feinheiten und Details. Mich begeistert die Sprache, der Ton, der sich den verschiedenen Perspektiven perfekt anpasst, die Nähe, die sie zu erzeugen versteht, die in gewissen Situationen körperlich spürbar wird. „Das Licht ist hier heller!“, scheinen alle auszurufen, weil alle nach einem Weg suchen, der sie aus der Schwärze von Schuld und Verletzungen heraushieft.

Unbedingt lesen!

Ein Interview mit Mareike Fallwickl:

Wenn es einen Ort gibt, an dem offene Rechnungen präsentiert werden, an dem sich der Gestank von Verborgenem, Weggeschlossenem und Verdrängtem nicht verbergen lässt, dann ist es „Familie“, jenes zarte, empfindsame Gebilde, jener Sehnsuchtsort, jene Projektionsfläche, die im Brennpunkt ihres Romans steht. Gibt es den Ort, der viel heller ist?
Das stimmt, und das macht die Familie für mich so interessant. Ich versuche, in meinen Romanen zu ergründen, was Eltern und Kinder einander antun, wo Schuld wurzelt und welche Konsequenzen sie hat. Aber: Bei allem Egoismus, aller Vernachlässigung und Lieblosigkeit gibt es auch immer etwas Gutes. In „Das Licht ist hier viel heller“ ist das die Beziehung zwischen Zoey und ihrem Bruder. Sie ist getragen von Zuneigung und Zusammenhalt. Das ist mir wichtig, weil ich zeigen möchte: Selbst wenn du ankaputtet bist, kannst du lieben. Selbst wenn alles andere dunkel ist, kann es irgendwo hell sein.

Die Abstände zwischen den Generationen scheinen immer grösser zu werden, auch wenn die Alten Sneakers tragen und sich zunehmend Junge den «Errungenschaften der Zivilisation“ verweigern. Jede und jeder rennt mit Scheuklappen im Gesicht seinem ganz persönlichen Glück hinterher. Jeder sein eigener Kampfstern?
Ich sehe das nicht so, dass die Abstände zwischen den Generationen größer werden — die sind seit jeher in etwa gleich gross. Eher im Gegenteil: So viel Kommunikation wie heute gab es zwischen den Generationen nie zuvor. Früher wurde den Jungen von den Alten einfach befohlen, was sie zu tun, zu sagen und zu werden hatten. Die Kommunikation ging nur in eine Richtung. Dass die Menschen Egoisten sind: ja, natürlich. Aber auch das ist kein Merkmal unserer Zeit, so waren sie schon immer. Nie in der Geschichte der Menschheit haben wir aufeinander geachtet, sondern stets auf uns selbst. Deshalb sind wir ja auch da, wo wir sind: ziemlich am Ende.

In gewissen Passagen beschreiben sie das Glück des Schreibens und das des Lesens, den magischen Ort einer Buchhandlung und jenen, wenn einem die Muse an der Hand nimmt. Wo sind die Oasen in ihrer Welt und wodurch sehen sie sie bedroht?
Das Lesen ist mit Sicherheit eine Oase, es ist Sucht und Flucht gleichermassen. Wer LeserIn ist, weiss um eine geheime, verborgene Welt in der realen. Wir sind anders, wir leben viele Leben. Bedroht sehe ich diese Oase in keiner Weise. Wer lesen will, wird lesen. Die Sehnsucht nach Geschichten, nach Bildung, nach der Erweiterung des Horizonts ist unabhängig von Zeit und Ort. Ich halte nichts vom Abgesang auf das Buch und von der ewigen Schwarzmalerei. Vieles wird sich verändern, ja. Aber Veränderung ist nichts Negatives.

Die Tatsache, dass ein Vater über genau das einen Roman schreibt, an dem sich seine Tochter verwundet hat, die Tatsache, dass sich der Vater schuldig macht an einem Geschehnis, das sich nur marginal von dem Alp seiner Tochter unterscheidet, macht ihren Roman zu einem Kreiseln, das sich mir als Leser in der Magengrube einlagert. Manifestierte sich der „Kampf“ zwischen den Familienmitgliedern auch während des Schreibens?
Die Perspektive von Zoey ist erzähltechnisch ein Spiegel zur Perspektive von Wenger, und die Briefe vernähen diese beiden Handlungsstränge, die für die unterschiedlichen Sichten auf das Familiengefüge stehen, gleichzeitig aber auch im grösseren Ganzen für die alte und die junge Generation, für das Abdanken und den Aufbruch. Es gibt nur wenige Szenen, in denen Zoey und Wenger tatsächlich miteinander interagieren, deshalb ist es weniger ein „Kampf“ zwischen ihnen, vielmehr kämpfen sie beide an unterschiedlichen Fronten. Und das Tragische ist: Sie kämpfen, obwohl sie Vater und Tochter sind, eben nicht Seite an Seite.

Zoey fotografiert. Ein Projekt, mit dem sie sich für ein Stipendium in der Nähe von Prag erfolgreich bewarb, heisst #distorted. Gilt es nicht endlich zu lernen, zu akzeptieren, dass alle Wahrnehmung distorted, verzerrt ist, auch wenn darin viele Gefahren lauern?
Es gilt vor allem endlich zu lernen, zu akzeptieren, dass es nichts Normatives und keine Standards gibt. Wir Menschen messen, wiegen und vergleichen, weil wir denken, wir müssten bestimmten Kriterien entsprechen, um geliebt zu werden. Wir schliessen einander aus, wir kategorisieren einander anhand von Unterschieden statt Gemeinsamkeiten. Das ist die Botschaft hinter #distorted: Sämtliche oberflächliche Wahrnehmung ist ein Bild, eine Vorstellung, gefiltert durch unsere Sinne, unsere Sozialisierung. Sie sollte nicht die Grundlage für unseren Umgang miteinander sein. Wir sind alle Menschen, wir haben denselben Ursprung, dieselben Ängste, dieselbe Sehnsucht. In Wahrheit gibt es keine Unterschiede.

© Gyöngyi Tasi

Mareike Fallwickl, 1983 in Hallein bei Salzburg geboren, arbeitet als freie Texterin, schreibt für eine Salzburger Zeitung eine wöchentliche Kolumne und betreibt seit 2009 einen Literaturblog. Sie lebt im Salzburger Land. 2018 erschien ihr literarisches Debüt «Dunkelgrün fast schwarz» in der Frankfurter Verlagsanstalt, das von Lesern gefeiert und unter anderem für den Österreichischen Buchpreis sowie das «Lieblingsbuch der Unabhängigen» nominiert wurde.

Beitragsbild © Sandra Kottonau