Wolfram Schneider-Lastin (Hrsg.) «Fragen hätte ich noch. Geschichten von unseren Grosseltern», Rotpunktverlag

30 Autorinnen und Autoren aus der Schweiz, Deutschland und Österreich erzählen von ihren Grosseltern, Geschichten bis nach Italien, Frankreich, Polen, Tschechien, Ungarn, der Ukraine, Israel, Pakistan und der DDR. Geschichten von Berührten, Geschichten, die berühren.

Auf einem meiner Regale steht ein eingerahmtes, sepiafarbenes Foto. Ein Mann in Anzug und Kravatte sitzt in einem Korbstuhl neben einem Tischchen mit Spitzendecke. Mein Grossvater. Er war Tischler, Schreiner. Auf dem Foto hatte er etwas zu repräsentieren. Dazu gehören wohl auch die Bücher auf der Ablage unter dem Tischchen und das offene Buch mit Stift auf dem weissen Tischtuch. Mein Grossvater starb, als ich ein Jahr alt war. Meine Mutter erzählt, er habe mich, schon gezeichnet von seiner Krankheit, noch in Händen gehalten. Er wurde nicht alt, aber von meinem Grossvater gibt er Zeugnisse, die noch immer an den Wänden im Haus meiner Mutter und meiner Tante hängen; Aquarelle und Ölbilder, von naturalistisch bis abstrakt. Mein Grossvater war begabt und hätte sich wohl viel lieber als Künstler gesehen, statt als Handwerker, der nur mit grösster Anstrengung dem nachgehen konnte, was seiner Leidenschaft entsprach. Aus Geldknappheit und weil meine Grossmutter wohl alles andere als glücklich darüber war, dass ihr Gemahl Geld für Ölfarben ausgab, bemalte er seine Leinwände gar beidseitig, sodass man sich später, als man dann doch das eine oder andere Bild einrahmte, sich stets für das eine oder andere entscheiden musste, im Wissen darum, dass das verborgene Bild Schaden nehmen würde. Die Begabung meines Grossvaters setzte sich in meiner Mutter, die auch heute noch mit über achtzig malt, meinem Bruder, der in Zürich seit Jahrzehnten ein Atelier führt und meinen Kindern fort. Eine Begabung, die mich stets in die Nähe der Kunst führte, gepaart mit dem ewigen Zweifel, der mit Sicherheit auch meinen Grossvater begleitete, denn nach seinem Tod sah man an den Wänden meiner zur Witwe gewordenen und wieder verheirateten Grossmutter nie ein gemaltes Bild meines Grossvaters. 

«Schon lange wollte ich meine Beziehung zu meinem Grossvater in einer Erzählung festhalten. Mir war klar, dass mir das einiges abfordern würde. Vielleicht hatte ich sie deshalb noch nicht zu Papier gebracht, als die Einladung mit der Frage kam, ob ich einen Text beisteuern möchte für ein Grosseltern-Buch. Ja, natürlich, das war mein erster Gedanke. Und doch zögerte ich ein paar Wochen lang, bevor ich zusagen konnte, denn ich wusste: Über meinen Grossvater schreiben bedeutet über mich schreiben. Und das heisst: rausrücken mit dem, was ich für sehr privat halte. Das war und ist schwierig für mich, denn ich leide durchaus nicht unter Bekenntiszwängen. Nun bin ich aber überglücklich, es gewagt zu haben, über diese Geschichte entspannen sich neue Beziehungen, auch in der Familie, ich stehe neu mit zwei Cousins in intensivem Kontakt, ich erfuhr so viel mehr über meinen Grossvater und meine Herkunft. Die Geschichte ist noch lange nicht auserzählt. Und nicht zuletzt: Die Geschichte meines Grossvaters verbindet sich mit allen Geschichten und mit allen Grosseltern im Buch. Und auch die Autorinnen und Autoren haben – so behaupte ich – einen neuen und vertieften Zugang zueinander. Das hat grosse poetische Kraft.» Romana Ganzoni

Wolfram Schneider-Lastin «Fragen hätte ich noch. Geschichten von unseren Großeltern», Rotpunkt, 2024, 256 Seiten, CHF ca. 32.00, ISBN 978-3-03973-039-1

Vielleicht ist genau das die grosse Tür, die sich auftut, wenn man die Geschichtensammlung „Fragen hätte ich noch“ liest. Das Buch lädt ein, sich mit den eigenen Grosseltern zu befassen, sich zu fragen, was denn an Erinnerungen, an Wissen, an Persönlichem noch da ist. Wer sich nicht aktiv mit seinem Stammbaum, seiner Herkunft befasst, weiss vielleicht nur wenig, vor allem von dem, was Fotografien nicht erzählen. Urgrosselten und ihre Vorfahren verschwinden im Vergessen. So wie die meisten von uns in 100 Jahren vergessen sein werden. Meine Mutter ist weit über achzig. Wenn ich sie noch einmal fragen möchte, dann wäre es jetzt an der Zeit. Wer war meine Grossmutter? Warum habe ich von ihr ein derart nüchternes Bild? Warum empfinde ich meinem Grossvater gegenüber derart viel Wärme und Sympathie, obwohl ich ihn nie wirklich erleben konnte.

«Einige der Geschichten im Buch rufen in Erinnerung, dass Europa in der Weltgeschichte eine ebenso verdienstvolle wie zerstörerische Rolle spielt. Von hier gingen ja auch vielfältige Brutalitäten aus, die sich vor, während und nach den beiden Weltkriegen zugetragen haben, etwa die Gründung der Staaten Israel, Indien und Pakistan, oder die Zerstückelung ganzer Kontinente. Die meisten meiner Vorfahren – aber nicht alle von ihnen – entkamen der Vergewaltigung, Enteignung und Entwurzelung durch die europäischen Kolonialmächte. Durch eine postkoloniale Fügung des Schicksals bin ich in der Schweiz aufgewachsen: Mein Vater war Bankier.» Waseem Hussain

Wolfram Schneider-Lastin, der Herausgeber und Mitverfasser des Buches, schildert in seinem knappen Vorwort die Entstehungsgeschichte des Buches, wie er während der Pandemie begann, die Geschichte seiner Grossväter aufzuschreiben, sie an Freunde weitergab und Lektüre und Reaktionen eine wahre Welle auslösten. Entstanden ist eine erstaunliche Sammlung von Geschichten, von Frauen und Männern im 20. Jahrhundert, die sich ganz verschieden durch ein Jahrhundert der Kriege und Umwälzungen stemmten. Geschichten von Liebe und Hass, von Ernüchterung und Enttäuschungen, vom grossen Schweigen und dunklen Geheimnissen, von tiefer Verbundenheit und schmerzhaftem Ekel.

«Dass sich meine Grosseltern krumm und bucklig gearbeitet haben, dass vor lauter Arbeit kein Denken möglich war, das kam nochmals stärker durch. Und ist damit übertragbar auf Menschen, die eben am Rand und «unten» wie blöd und hart arbeiten, dass nichts anderes mehr möglich ist. (s.a. «Jahrhundertsommer»). Und – das ist mir im Vergleich mit den anderen Geschichten aufgefallen – dass es von meiner Oma nur überhaupt zwei Fotos gibt, denn niemand hatte einen Fotoapparat und auch keine Zeit für so etwas, dass sie auch kein Auto hatten, vor dem man sich hätte fotografieren lassen können, dass sie auch nie in Urlaub fahren konnten, von dem es Fotos hätte geben können, dass sie arm waren, ohne dass sie je von sich gedacht hatten, arm zu sein. (Und meine andere Seite der Familie war noch sehr viel ärmer.) D.h. die Klassenfrage, die Frage nach der Herkunft, drängt bei jedem weiteren Schreiben und im Alter immer stärker durch.» Alice Grünfelder

Ein wunderbares Buch, eine Einladung, ein Zeitdokument.

Wolfram Schneider-Lastin, geboren 1951 in Schwäbisch Gmünd, studierte Schauspiel, Germanistik, Geschichte, Altphilologie und Kunstgeschichte an den Hochschulen Stuttgart, Tübingen, Wien und Rom. Seit 1988 lebt er in der Schweiz, wo er seine wissenschaftliche Karriere – nach der Promotion über Johann von Staupitz – an verschiedenen Universitäten und als Redakteur der Zeitschrift Librarium fortsetzte. Als Schauspieler hat er sich vor allem mit literarischen Lesungen einen Namen gemacht.

Die Autorinnen und Autoren: Fabio Andina (CH), Esther Banz (CH), Nelio Biedermann (CH), Sabine Bierich (D/CH), Zora del Buono (CH/D), Alex Capus (CH), Verena Dolovai (A), Daniela Engist (D), Oded Fluss (ISR/CH), Romana Ganzoni (CH), Roswitha Gassmann (CH), Alice Grünfelder (D/CH), Gottfried Hornberger (D), Waseem Hussain (PAK/CH), Markus Knapp (D), Andreas Kossert (D), Martin Kunz (CH), Hanspeter Müller-Drossaart (CH), Christa Prameshuber (A/CH), Helmut Puff (D/USA), Klemens Renoldner (A), Christian Ruch (D/CH), Ariela Sarbacher (CH), Thomas Sarbacher (D/CH), Herrad Schenk (D), Gerrit Schneider-Lastin (DDR/CH), Wolfram Schneider-Lastin (D/CH), André Seidenberg (CH), Ruth Werfel (CH), Anke Winter (D/CH)

«Ich wundere mich über die historische Amnesie in Jurys, Feuilletons, sogenannten Kulturkreisen, wie wenig von diesem Wissen vorhanden ist, wie wenig diese Leute in diesen Bubbles selbst von anderen Kreisen wissen, in denen sie sich nicht bewegen, wie viel für «alt» gehalten wird und noch lange nicht überwunden ist – und wie viel Kraft es kostet, diese Vergangenheit und auch Krisen anderswo wieder und wieder gegen den Mainstream in Erinnerung zu rufen.» Alice Grünfelder

Illustration © Hannes Binder

Tine Melzer «Do Re Mi Fa So», Jungundjung

Diogenes sass in seinem Fass, bei Italo Calvino der Baron auf einem Baum. Bei Tine Melzer bleibt ein Mann in seinem Badezimmer, verlässt es nicht mehr, zieht sich zurück, kapselt sich ab und fröhnt dem süssen Nichtstun, auch wenn sich zusehends Bitternis einmischt. Nach ihrem furiosen Debüt „Alpha Bravo Charlie“ wagt Tine Melzer mit „Do Re Mi Fa So“ ein fast barockes Sprachabenteuer.

Tine Melzer ist nicht einfach Autorin. Sie schreibt nicht einfach Geschichten, will nicht bloss unterhalten. Tine Melzer ist Künstlerin. Die Sprache selbst muss Kunstwerk sein. Die Geschichte ist das Konstrukt, das das Kunstwerk trägt. Aber selbst das Konstrukt, die Partitur dieses Kunstwerks, der Plan, ist Wagnis, Experiment, vielleicht eine Spur Provokation, aber ganz gewiss die Aufforderung, mir selbst den Spiegel vorzuhalten.

„In jeder Rekapitulation steckt eine Kapitulation.“

Sebastian Saum ist erfolgreicher Sänger, ein gefragter Bariton. Er wohnt schon seit Jahren in Symbiose zusammen mit seinem Freund Franz Gold in einem grossen Haus, Franz unten, er oben. Auf der Klingel am Eingang steht Gold Saum. Das Haus ist geerbt. Sebastians Leben läuft in festen, geordneten Bahnen. Er hält sich die Welt auf Distanz.

Eines Morgens, nach einem Bad, beschliesst er, nicht mehr aus der Wanne aufzustehen, liegenzubleiben, zumindest das Bad mit Toilette und Fenster nicht mehr zu verlassen. Eine Laune. Vielleicht der Entschluss, seinem Leben im Stillstand eine neue Richtung zu geben; minimales Risiko mit maximalem Erfolg. Franz hilft ihm dabei, liefert an Decken, Kissen und Fellen, was er braucht, um sich in der Wanne niederzulassen, trägt ihm auf einem Serviertablett Essen und Getränke in die kleine Kammer und nimmt fürs erste hin, was nichts anderes als eine Marotte, eine Verstimmung, vielleicht ein Mini-Burnout sein kann. 

„Fanz ist in perfektem Alter. Wäre er ein Brot, müsste man ihn jetzt aus dem Ofen nehmen.“

Sebastian bleibt nackt. Er gedenkt nicht mehr, sich zu kleiden, zu verkleiden, auch wenn ihm und seinem Freund die Garderobe bisher sehr viel bedeutete, vielleicht gar etwas davon ausmachte, was er als Künstler zu repräsentieren hatte. Zwar liegt da ein Laptop und ein Telefon, aber Sebastian hängt fast immer seinen Gedanken nach. Gedanken, die sich erstaunlich wenig um sich selbst drehen, viel mehr das Nachdenken darüber sind, was sein Leben bisher ausmachte.

Tine Melzer «Do Re Mi Fa So», Jung und Jung, 2024, 192 Seiten, CHF ca. 32.90, ISBN 978-3-99027-406-4

Das Badezimmer wird zur Inszenierung. Zu einem Protest seinem eigenen Dasein gegenüber. Auch wenn er sich immer mal wieder um seinen Freund sorgt, ob er auch weiterhin auf die Hilfe seines Mitbewohners zählen kann. Wir, die wir Leben und Existenz mit aller Selbstverständlichkeit stets mit Leistung, Fleiss und Erfolg koppeln, werden Zeuge eines Selbstexperiments, einer stillen Demonstration, einer Inszenierung, die sich gegen gesellschaftliche Zwänge wendet, wenn auch nicht gegen aussen. Sebastian denkt nach, macht Listen, über die Kleider in seinen Schränken, über die Tode jener Menschen, die in den letzten Jahren starben, über die schlechte Angewohnheit des Pfeifens, über all die Lieder in seinem Kopf, über Redundanz, über all die Menschen, Freundinnen und Freunde, die er aus den Augen verloren hat. Seltsame Listen, die das Aussen nach innen holen.

„Perfektionismus ist eine Sache von Leuten, die sich ihrer Sache nicht restlos sicher sind.“

Gleichzeitig nagt der Zweifel, klopft der Wahn. Vor der Tür hört er seinen Freund telefonieren, meist mit seiner Schwester. Irgendwann bekommt Sebstian trotz Protest Besuch von einer Frau, die sich im Bad auf den Klodeckel setzt und verkündet, man müsse mit Hilfe von Chemie ein Lösung finden.

„Do Re Mi Fa So“ ist maximal entfernt von autofiktionalem Schreiben. Dieser Roman ist eine Inszenierung. Ähnlich eines begehbaren Bildes. Ich sehe Sebastian Saum in seiner übergrossen Wanne, inmitten von Kissen und Decken liegen, eine Hand lässig über dem Wannenrand, ein Glas Wein auf dem Toilettendeckel. Die Welt kommt nur durch seinen Kopf in diese kleine Kammer, auch wenn das Fenster das eine oder andere Mal offen ist und Sebastian bei seinen zaghaften Turnübungen den Bauer aus der Nachbarschaft arbeiten sieht. Auch hier maximale Gegensätze.

„Das mit der Nähe ist so eine Sache – wer nicht aufpasst, dem drängt sie sich auf.“

Und dann die Opulenz, die Kraft der Farben. Tine Melzers ganz eigenes Gespür für Textilien, Oberflächen, die Haptik. Das Skurrile dieser Inszenierung. Auch hier die maximale Entfernung von einer Welt, die wuselt und stampft. Die maximale Entfernung von dem, was ich als Leser selbst unter Rückzug und Reflexion verstehen würde. „Do Re Mi Fa So“ ist Kunst. Ein Buch, dass es verdient hätte, auf der Liste der Nominierten zum Schweizer Buchpreis zu erscheinen!

© Tine Melzer I Have Changed My Mind 2005 Mann

Interview (mit Arbeiten der Künstlerin Tine Melzer)

Ich las dein Buch ausgesprochen gerne. Nicht zuletzt, weil es sich gleich vielfach von den meisten anderen Büchern, die sich anbieten, unterscheidet.

Danke!

Sebastian Saum ist ein satter Zeitgenosse. Man muss es sich leisten können, für eine unbestimmte Zeit weich gepolstert in seinem Badezimmer abzutauchen, mit Aussicht auf die Wiesen und Felder jener, die eine derartige Pause wohl gar nie verstehen würden. Dabei trägt wohl fast jede und jeder diesen Wunsch mit sich herum, für einmal einfach alles sein zu lassen, die Welt draussen zu lassen, nur seinen Gedanken nachzuhängen. Aber wir leben in einer Gesellschaft, die sich über Leistung definiert, über Erfolg und Resonanz. Die Kunst genauso. Wie weit ist dein Roman eine Versuchsanordnung?
Eine Versuchsanordnung prüft eine Hypothese; in manchem versucht der Roman so etwas. Was wird geprüft? Unser Verantwortungsgefühl, Fragen der Freundschaft und Treue. Mechanismen der Verdrängung und Scham, der Roman ist also auch eine Kritik. Saum ist zwar aus einer Laune in der Wanne gelandet, kommt dann aber nicht mehr so leicht heraus. Er geht von sich selbst aus und landet in einem Karussell der Erinnerungen und Beziehungskonstellationen. Es geht also auch um Entscheidungen und Bedingungen. Er kann es sich leisten, trotzdem läuft er Gefahr, darüber verrückt zu werden, oder depressiv.

Klar, du erzählst eine Geschichte. Sie bleibt seltsam kühl und distanziert. Das Drama, das sich dabei abspielen könnte, ist in den Decken und Kissen in der Badewanne abgefedert. Wer weiss, wäre Sebastian nie mehr aufgestanden. Was wäre geschehen, hätte ihn sein ergebener Freund nicht so fürsorglich unterstützt. Mir scheint, es ging dir gar nicht so sehr um das Drama. War es das Bild, das dich faszinierte, das Gedankenexperiment? Der Typus Mensch, der seine Gedanken in Richtungen schweifen lässt, die überraschend sind? Ging es um die Sprache, die Beschreibungen, die in dem begrenzten Bild des Badezimmers einen ebenso begrenzten Raum benötigen?
Sein Freund rettet ihn zunächst durch seine Bewirtung, versucht immer wieder neue Tricks ihn herauszulocken, ist ohnmächtig und gefangen in dieser neuen Abhängigkeit. Schliesslich rettet er ihn mit dem letzten Mittel, ihn (vorübergehend?) zu verlassen. Das ist natürlich ein Spoiler, nicht verraten. Es geht mir um das Drama, das einsetzt, sobald wir uns mit unseren Zweifeln auseinandersetzen und dadurch die Welt schrumpft oder bedrängend wird. Das steht nicht nur einem bestimmten Typus Mensch zu, alle Privilegierten könnten das, um andere Entscheidungen zu treffen. Und um das Drama, verstanden werden zu wollen. Das Badezimmer ist der ideale (Rückzugs-)Ort dieses Kammerspiels, durch seine Kühle und zugleich Intimität ein passender Ort für diese Parabel, diese Übertreibung. Die Nacktheit ist nicht nur konkret, sondern auch im übertragenen Sinn das, was ihn verletzlich macht.

© Tine Melzer 2018 Protest Nudelhölzerr

Dein Roman ist ausgesprochen stofflich, mehrdeutig gemeint, textil, voll von sinnlichen Beschreibungen. Sprache ist auch ein Stoff, mal seidenweich, mal bretthart, aschfahl oder grell bunt. Dein Erzählen lebt von Listen, Aufzählungen, die sich wie Kaskaden lesen. Faszinierend, aber wohl für viele „Unterhaltungsleser*innen“ fremd. Ist dein Schreiben für dich einfach der sprachlicher Ausdruck deiner Kunst, eine Art Malerei mit Sprache?
Vergleiche, Listen und Ähnlichkeiten sind gute Methoden, um Bedeutungs-Varianten zu zeigen, Verwandtschaften und Gegensätze. Ich suche Pluralität und Mehrdeutigkeit. Auf meinem beruflichen Hintergrund untersuche ich seit langem in verschiedenen Kontexten die Zusammenhänge zwischen verbaler und nonverbaler Sprache, also Bilder in der Sprache. Weniger die Malerei, als die Auffassung von Sprache als (konkretes) Material hat mich zur Literatur geführt. Dort ist die Schrift das Medium, in jedem Satz wird neu verhandelt, wie wir die Sprache als Gewebe zwischen einander nutzen, verstehen, verschieben können. Die Sprache verbindet und trennt gleichzeitig; wo Saum sie wörtlich nimmt, scheinen Bilder darin auf. Die Sprache enthält unser Weltbild. Also sind es eher mentale Bilder, Aha-Erlebnisse, die ich ‘male’. Und die plötzlich nicht nur die Figur betreffen oder treffen.

Ich bewundere Sebastians Freund Franz, der mit ihm unter dem gleichen Dach wohnt, wie lange er mit stoischer Geduld die Eskapde seines Freundes trägt, wie er ihn mit dem Nötigsten versorgt, ihn kulinarisch verwöhnt, bis ihm dann doch ziemlich deutlich der Kragen platzt: „Ich ziehe dich nur nutzlos herum, wie einen toten Elefanten.“ Doch auch ein Satz, der sehr gut ins Argumentarium kulturkritischer Kreise passen würde!
Beide nehmen mehr oder weniger offensichtlich Bezug auf die Rolle der Kunstschaffenden und deren Wert für die ‘Gesellschaft’, die beide alimentiert. Das Essen spielt im Roman eine zentrale Rolle, es verbindet den Menschen mit einem Grundbedürfnis und macht ihn tierähnlich, es ist auch Analogie zur Ermöglichung von Kunst. ‹Aus der Badewanne kann niemand die Welt retten›, ausser es wird darin ordentlich sublimiert, so die Erwartung. Ich schätze Kunst, die aus existentiellen Beweggründen gemacht wird oder unterstützt. Für undogmatische Vielfalt. Und gegen das kollektive Wegschauen. Saum hat also nicht nur Gelegenheit, ’seinen Gedanken nachzuhängen›, sondern gerät an unangenehme Zusammenhänge zwischen sich selbst und der Welt.

Ich liebe dein Buch aus vielerlei Gründen. Nicht zuletzt darum, weil sich in deinem Buch Sätze finden, die ich am liebsten gross an eine Wand schreiben würde. Sätze, die wie Türen wirken, an denen ich kurz verweilen musste, um hineinzusehen oder hineinzugehen. Ist dein Schreiben mehr Lust oder harte Arbeit? Was passiert mit Tine Melzer, wenn sie schreibt?
Die grösste Lust ist das Zusammensetzen der Texte zu einem Gesamtbild. Das Buch ist dann eine Komposition, eine Zusammensetzung wie ein Stück, das dem Publikum überlassen wird, und zugemutet. Ich schreibe nicht ‘plotgesteuert’, ich weiss anfangs nicht, wie sich die Figuren oder deren Handlungen entwickeln werden. Ich folge der Sprache und schaue ihr dabei zu, wie sie sich durchsetzt, sich behauptet, manchmal ‘gegen’ eine Idee oder Geschichte. Wenn ich schreibe, umschwirren mich manche Worte wie Fliegen, die ich aufschreiben muss, damit sie mich in Ruhe lassen. Ich vertraue der Sprache, ja, als Stoff, nehme Worte buchstäblich, folge dem Credo Wittgensteins, dass manches sich sagen lässt, anderes zeigen. Das Schreiben sucht die Grenzen der gewohnten Sprache auf, u.a. weil es materialisiert, wovon wir sonst wenig Zeugnis haben oder ablegen. Die harte Arbeit ist es, den Tag zu überstehen und diszipliniert Nischen zu finden, in denen ich schreiben kann.

© Tine Melzer Dictators 2012

Tine Melzer, geboren 1978, lebt und arbeitet in Zürich. Sie studierte Kunst und Philosophie in Amsterdam, promovierte in Plymouth über Ludwig Wittgenstein und Gertrude Stein und ist Dozentin an der Hochschule der Künste Bern. Ihr 2023 erschienener Debütroman «Alpha Bravo Charlie» wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Franz-Tumler-Literaturpreis, und war für den Rauriser Literaturpreis nominiert.

Webseite der Autorin / Künstlerin

Beitragsbild © Jakub Kovalík

Hauslesung in Amriswil mit Peter Weibel «Kaltfront», edition bücherlese

am 26. Oktober, 18 Uhr, an der Maihaldenstrasse 11 in Amriswil

wegen beschränktem Platz unbedingte Anmeldung bis 20. Oktober unter: info[at]literaturblatt.ch oder 076 448 36 69 (Nur noch ganz wenige Plätze!)

Eintritt, inklusive Konsumation CHF 30

Voller Idealismus nimmt Vera, eine junge Ärztin, ihre Tätigkeit in einer Landpraxis auf. Überzeugt, dass sie hier ihren Bestimmungsort gefunden hat, begreift sie ihren Beruf als Mission. Schon im zweiten Praxisjahr taucht ein unbekanntes Virus auf, das Verunsicherung, Krankheit und Tod mit sich bringt. Tag und Nacht ist Vera im Einsatz und unwillkürlich zieht sie Parallelen zu den Geschehnissen in Albert Camus Roman Die Pest. Sie wird, nach anfänglicher Verstörung, zur obsessiven Kämpferin für die Rettung von Menschen, gegen den Zerfall der Solidarität, für die richtigen Antworten in einer Zeit, wo es nur offene Fragen gibt. Die Angriffe auf ihre Person machen sie einsam. Und radikal, obwohl sie das nie gewollt hat – nur noch richtig oder falsch gibt es für sie, das gilt auch für ihre Gegner. Zerbricht sie an sich selbst oder an der Wucht der Feindschaft?

Basierend auf einer wahren Begebenheit zeigt Peter Weibel präzise und einfühlsam die Zerrissenheit der Ärztin in der Krisensituation und zeichnet das Bild einer Gesellschaft, die es verlernt hat, Ungewissheiten auszuhalten, und die durch Verunsicherung und kollektive Bedrohung auseinanderzubrechen droht.

Peter Weibel schreibt, aquarelliert und zeichnet. Seit über vierzig Jahren veröffentlicht er Texte in Prosa und Lyrik, oft mit Cover und Illustrationen aus eigener Hand. In der edition bücherlese erschienen bisher fünf Prosabände, zuletzt die Erzählung «Akonos Berg» (2022). Für seine Werke wurde er verschiedentlich ausgezeichnet, unter anderem mit einem Buchpreis des Kantons Bern für den Erzählband «Die blauen Flüge»l (2013) und für «Mensch Keun» (2017) mit dem ersten Kurt Marti Literaturpreis. Peter Weibel, geboren 1947, studierte Medizin und arbeitet seit vielen Jahren als Allgemeinpraktiker und in der Geriatrie. Er lebt und arbeitet in Bern.

Marianna Kijanowska «Babyn Jar. Stimmen», Suhrkamp

Kann man den Schrecken, das Grauen in Worte fassen? Die ukrainische Dichterin Marianna Kijanowska kann es, auch wenn sie angesichts des Grauens ihrer Gegenwart darauf hoffen muss, dass Leserinnen und Leser verstehen und sehen. «Babyn Jar. Stimmen», ihr erster auf Deutsch erschienener Gedichtband ist ein Mahnmal.

Vor dem zweiten Weltkrieg lebten über 200 000 Juden in der Stadt Kiew, die grösste jüdische Gemeinde in der Ukraine. Noch vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht flohen die meisten, aber viele Frauen, Alte, Kranke und Kinder blieben. Kaum war die Wehrmacht in der Stadt, begann das grosse Quälen, Drangsalieren und Morden, mitten auf den Strassen der Stadt, unter dem Beifall vieler Einheimischer. Nur wenige Tage nach dem Einmarsch beschlossen die Besatzer die «Evakuierung der Juden». Am 28. September 1941, das Tausendjährige Reich schien beinahe ungehindert auf Expansionskurs, wurde der verblieben jüdischen Bevölkerung bekanntgegeben, sich am darauffolgenden Tag mit wenig Gepäck zur Aussiedlung in den Westen in bereitstehende Züge aufzumachen. Mehr Juden als erwartet folgten dem Befehl, die meisten nichts Gutes ahnend. Im Norden der Stadt, am Eingang zu einem schmalen Tal, einer Schlucht ähnlich, nahm man den ankommenden Juden alles weg, trieb sie in die schmale Schlucht und erschoss alles, was sich bewegte. Am 29. und 30. September 1941 wurden mehr als 33 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordet, das grösste «einzelne» Massaker an der jüdischen Bevölkerung während des zweiten Weltkriegs.

Als mehr als zwei Jahrzehnte später einer kleinen Gruppe Deutscher in Darmstadt der Prozess gemacht wurde, waren die Männer, die als Angeklagte vor dem Richter standen, ganz unscheinbare Prokuristen, Buchhalter und Bankangestellte, Ehemänner und Familienväter, Einfamilienhausbesitzer und rechtschaffen. Sie wurden zu kurzen Haftstrafen verurteilt, meist früher entlassen, einige straffrei freigelassen. Polizisten, die damals schossen, waren nach dem Krieg weiter Polizisten.

Lange Jahre war das Gedenken an jenes Massaker ein Tabu, auch die fleissige Mithilfe der nichtjüdischen Kiewer Bevölkerung. Es brauchte Jahrzehnte, bis an den Orten des Grauens Gedenkstätten errichtet wurden.

«Babyn Jar. Stimmen» ist der erste Band einer geplanten Trilogie. Der zweite Band erschien in der Ukraine 2023 unter dem Titel „Der Blitz begegnet Wind und Wasser“ und handelt vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der dritte Band soll die zersetzende Wirkung des Krieges auf alle Lebensbereiche thematisieren.

Marianna Kijanowska «Babyn Jar. Stimmen» Gedichte, ukrainisch und deutsch, aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe, mit einem Nachwort der Übersetzerin, 155 Seiten, CHF ca. 34.90, ISBN 978-3-518-43176-4

«Babyn Jar. Stimmen» sammelt 67 Stimmen von Menschen zur Zeit ihres gewaltsamen Todes. Marianna Kijanowska beschäftigt sich aber nicht nur mit den Mechanismen der Gewalt. Sie gibt den vergessenen Stimmen eine Spur, eine Art Tonspur. Jedes Gedicht ist eine Stimme, Stimmen von Kindern, Erwachsenen auf dem Weg in die Schlucht. Stimmen, die nachvollziehbar nicht in Sprache fassen können, was ihnen bevorsteht. Stimmen, die die Angst zudecken, sich selber trösten, das Unaussprechliche ausblenden.

Das Morden unter dem Deckmantel einer Ideologie, als blosse Ausführung von militärischen Befehlen hat in der Ukraine noch immer kein Ende. Die 67 Gedichte in «Babyn Jar. Stimmen» lesen sich wie Meditationen. Sie helfen nicht zu verstehen. Sie trösten nicht. Aber sie streuben sich gegen das Schweigen, gegen das Vergessen, gegen die systematische Tilgung von Erinnerungen.

 

наповнити очі такими сльозами щоби не текли
солонішими аніж сіль кам’янішими аніж камінь
і дім збудувати з усього що всюди й не знати коли
було у дитинстві у небі в пісочниці і під руками
придумати маму нехай буде хаву таку щоб була моя
щоби голову мила мені щоб була чи просто була зі мною

називаючи речі в крамниці де хліб молоко але ще по краях

вітрини багато зимового з ковзанки щастя і сухостою

мене уже не рятує ніщо чи ніщо крім можливо сліз
які проламують тло поверхню і дещицю решти тіла

щоби не вмерти я мушу мати в судинах на дні і на дні валіз

важкі механізми придумувань витіснень крила крила –

***

die augen mit tränen füllen die nicht fließen
salziger als alles salz steiniger als aller stein
ein haus bauen aus allerlei von überall ohne zu wissen
war es als kind im himmel in der sandkiste unter den händen
eine mama ersinnen eine chava müsste es sein die meine ist
die mir das haar wüsche die da wäre oder einfach mit mir zusammen

die dinge im laden beim namen nennt da das brot die milch doch an den rändern

des schaufensters ist auch viel winter eisbahn glück und tote bäume

nichts kann mich mehr retten oder nichts als die tränen
die den grund die fläche das quäntchen die reste des körpers durchbrechen

um nicht zu sterben brauche ich auf dem boden der gefäße und auf dem boden der koffer

schweres gerät aus erfindungen verdrängungen flügel flügel –

 

Marianna Kijanowska, 1973 in Schowka bei Lemberg/Lwiw geboren, debütierte 1997 als Lyrikerin. Übersetzerin aus dem Polnischen, Russischen und Englischen. Für ihren Gedichtzyklus «Babyn Jar. Stimmen» wurde sie 2020 mit dem Taras-Shevchenko-Preis ausgezeichnet. Sie lebt zur Zeit in Krakau.

Claudia Dathe , geboren 1971, übersetzt Literatur aus dem Russischen und Ukrainischen, u.a. von Andrej Kurkow, Serhij Zhadan, Ostap Slyvynsky und Yevgenia Belorusez. 2020 wurde sie zusammen mit Yevgenia Belorusez für das Buch «Glückliche Fälle» mit dem Internationalen Literaturpreis und 2021 für die Übersetzung von Serhij Zhadans Gedichtband «Antenne» mit dem Drahomán-Preis ausgezeichnet.

Beitragsbild © Wissenschaftskolleg Maurice Weiss

Helena Adler «Miserere», Jungundjung

Helena Adler starb Anfang 2024 an einem Hirntumor, nicht einmal 40 Jahre alt. Sie war verheiratet, Mutter eines Sohnes – und begnadete Schriftstellerin. Vielleicht eine der vielversprechendsten im deutschsprachigen Raum, eine der innovativsten, mutigsten. Nach nur drei Romanen brach etwas ab, was grossartig und bahnbrechend immer neue Blüten getragen hätte.

Helena Adler, eigentlich Stephanie Helena Prähauser, war Schriftstellerin und Malerin. 2018 erschien ihr Debüt „Herz 52“, der auf jenen „Hertz 52“ genannten Wal anspielt, der aufgrund seiner falschen Tonhöhe beim Singen von seinen Artgenossen keine Antwort erhält und deshalb völlig einsam ist. 2020 dann ihr vielbeachteter und hochgelobter Roman „Die Infantin trägt den Scheitel links“ und zwei Jahre später „Fretten“, beide beim Verlag Jungundjung. „Die Infantin trägt den Scheitel links“ und „Fretten“ sind Unikate der deutschsprachigen Literatur. Obwohl es in Österreich eine regelrechte Tradition des Wutromas gibt, die mit Thomas Bernhard eine unvergessliche „Leitfigur“ hervorbrachte, sind die beiden Romane Helena Adlers viel mehr. Sie sind sprachliche Feuerwerke, wilde Fahrten, Lichtspiele.

Sie kennen das Gefühl, in ihrem Leben das eine oder andere versäumt zu haben? Vorsätze, die sie nie umsetzten, die ins Leere liefen, die nie mehr nachzuholen sind, weil etwas abgerissen ist? Als ich von Helena Adler ihren zuletzt erschienenen Roman „Fretten“ gelesen hatte, nahm ich Kontakt mit der Autorin auf und bat sie um ein Mailinterview. Daraus wurde ein kleiner Mailverkehr, bei dem sie mir auch ein paar Fotographien ihrer Gemälde zusandte, Bilder die man bei meiner Rezension noch immer entdecken kann, Bilder, die wie ihr Schreiben aufs Ganze gehen und gar nichts mit Schmuck zu tun haben. Schreiben und Malen waren ultimativ, griffen bis aufs Mark, kompromisslos und schonungslos ihrem eigenen Selbst gegenüber. Damals versprach ich ihr, auf einer meiner nächsten Reisen nach Kärnten, ins Heimatland meiner Frau, in ihrem Atelier einen Besuch abzustatten. Ein paar Monate später erhielt sie die Diagnose Hirntumor. 

Die Künsterin, die wie manch andere Schriftsteller*innen auch der Malerei zugewandt war, schrieb auf die Frage, was in ihrem Fall das Malen vom Schreiben unterscheide: „Das Schreiben verlangt mehr ab, hinter der Leinwand kann ich mich besser verstecken. Beim Schreiben bin ich viel ausgesetzter. Das Schreiben ist mein Hirn und Herz, das Malen mein Körper.“

Helena Adler «Miserere», Jungundjung, 2024, 72 Seiten, CHF ca. 24.90, ISBN 978-3-99027-407-1

Im Sommer 2023 war Helena Adler zum Bachmann-Preislesen in Klagenfurt eingeladen, musste diesen Auftritt aber wegen ihrer Diagnose absagen. Nun legt Jungundjung mit „Miserere“ drei Texte vor, die für die Autorin als abgeschlossen galten, aber nie in ein Buch Einzug hielten. Der längste der drei Texte „Miserere Melancholia“ wäre Helena Adlers Beitrag in Klagenfurt zum Bachmannpreislesen gewesen, eingeladen vom Juroren Klaus Kastenberger. Drei Texte, die das konzentrieren, was die Besonderheiten Helena Adlers Schreiben ausmachen. Die Intensität, die pralle Bilderflut und die opulenten Satzkaskaden, die von kaum zu bändigender Musikalität sprühen. „Miserere Melancholia“ hätte mit Sicherheit eingeschlagen und Helena Adler zu noch viel mehr Aufmerksamkeit verholfen, einer Aufmerksamkeit, nach der sie nicht suchte, die ihr aber gebührt hätte.

Im Mailinterview zu ihrem Roman „Fretten“ schrieb die Autorin auf die Frage, was ihr das Schreiben bedeute: „Für mich ist das ganze Leben ein einziges Gfrett. Ein Passionsweg. Ein ständiges «Sichabmühen und Durchwursteln, ein Über-Abhänge-hangeln, ein unentwegtes Luftanhalten, eine Aneinanderreihung von Augen-zu-und-durch-Momenten, ein andauerndes Aushalten, Überwinden und Fortschreiten ohne Rast.“
Diese Aussage passt mit Sicherheit auch zu dem schmalen Band „Miserere“ (lateinisch ‚Erbarme dich‘). „Miserere Melancholia“, der eigentliche Kerntext des Buches, ist ihre Auseinandersetzung mit der Melancholie, der Schwermut, der Depression, dem Selbstzweifel, manchmal monologisch, manchmal im Dialog mit dem Gnom, dem Mistkerl, der Ausgeburt. Der Text sprüht, badet in Metaphern. Nicht zuletzt beschreibt Helena Adler darin auch ihren Kampf im Schreiben: „Jeder Morgen ein Grauen, in dem es mir dämmert, dass es in mir dämmert“. Helena Adler schrieb nicht, um Geschichten zu erzählen, schon gar nicht zur Unterhaltung. So wie ihre Bilder nie Schmuckstück und Zierde sein sollten. Helena Adlers Texte sind Sprachkunst gewordene Auseinandersetzung, die Spur durch eine gebeutelte Seele. Ein Denk- und Mahnmal dafür, was Kunst sein muss und kann.

Wer sich traut, liest Helena Adler!

Helena Adler, geboren 1983 in Oberndorf bei Salzburg, starb am 5. Januar 2024 an einem Hirntumor. Helena Adler ist eine der wesentlichen Stimmen der jüngeren deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Die Autorin und Künstlerin studierte Psychologie und Philosophie an der Universi-tät Salzburg sowie Malerei am Salzburger Mozarteum und debütierte 2018 mit dem Roman „Hertz 52“. Helena Adlers schwarzhumoriger, sprachkünstle-rischer Anti-Heimat-Roman „Die Infantin trägt den Scheitel links“ gelangte 2020 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises und auf die Shortlist des Österreichischen Buchpreises. Im August 2022 erschien im Verlag Jung und Jung ihr Roman „Fretten“, der für den Österreichischen Buchpreis 2022 nominiert wurde.

«Fretten» Rezension mit Interview auf literaturblatt.ch (mit Bildern der Malerin Helena Adler)

Beitragsbild © privat

Daniel Gräfe «Wir waren Kometen», Danube Books

Liebesgeschichten und „ernsthafte Literatur“ scheinen sich fast auszuschliessen. Die Gefahr, in Kitsch und Sentimentalität zu kippen, ist gross. Die Vergleichswerte an den ganz grossen Liebesgeschichten der Weltliteratur sind hoch gesteckt. Daniel Gräfe hat es gewagt – und gewonnen. Auch wenn in seinem Debüt der Bogen bis an die Grenzen gespannt ist, überzeugt sein Roman mit viel Intimität, grossen Gefühlen, reichen Bildern und überraschenden Sätzen. Auf jeden Fall ein Gewinn!

Zwischen der deutschen und der rumänischen Grenze liegen nicht einmal tausend Kilometer. Und trotzdem sind es Welten. Beide Länder kauen bis in die Gegenwart am Erbe einer menschenverachtenden Diktatur, auch wenn zwischen dem Suizid Hitlers und der Erschiessung Ceaușescus fast ein halbes Jahrhundert liegt. Während die Schatten des Dritten Reiches immer matter werden und man in Deutschland unter einem kollektiven Vergessen leidet, sind viele der rumänischen Schergen von damals noch immer da.

Luba hat es in ihrem rumänischen Dorf nicht mehr ausgehalten, nicht zuhause, nicht in der Schule, schon gar nicht in ihrer gesellschaftlichen Isolation. Im Streit, verraten und enttäuscht verlässt sie Rumänien, mit wenig Gepäck Richtung Deutschland, in der Hoffnung ihr Studium an der Hochschule der Bildenden Künste abschliessen zu können. Aber Geldsorgen zwingen die junge Frau, ihr Studium aufzugeben. Luba streunt durch Berlin, immer auf der Kippe zwischen Sehnsüchten und Hoffnungslosigkeit. Aber der Sommer 2007 soll eine Wende in ihrem Leben bringen. Auch im Leben von Lukas, einem erfolglosen Schreiberling, der sich mehr schlecht als recht in einer Werbeagentur über Wasser hält.

„Sie nickt. Schüttelt den Kopf, schaut aus dem Fenster, doch ihre Pupillen bewegen sich nicht.“

Daniel Gräfe «Wir waren Kometen», Danube Books, 2024, 248 Seiten, CHF ca. 35.90, ISBN 978-3-946046-41-7

In eben diesem Sommer rettet Lukas Luba durch unerklärliche Entschlossenheit und Mut, der sonst so gar nicht seine Sache ist. Die beiden, eine Schicksalsgemeinschaft Gestrandeter, verbringen einen Sommer der zaghaften Annäherung. Vor allem Luba ist eine Gezeichnete. Was sie in Rumänien erleben musste, will sie um jeden Preis hinter sich lassen, irgendwann nach Italien ziehen, ins Land ihrer Sehnsüchte. Lukas verliebt sich in die fahrige junge Frau. Luba hat, was ihm fehlt; Entschlossenheit und Kompromislosigkeit. Er dümpelt in einem Leben, das nicht in die Gänge kommt und Luba weckt in ihm, was beinahe erloschen wäre.

Aber trotz aller Leidenschaft und Liebe scheitert, was so wundersam begonnen hatte. Sie will weg, weiter, dorthin, wo all ihre Träume in Erfüllung gehen sollen, er traut sich nicht, den Anker aus dem Schlamm zu ziehen. Sie trennen sich, auch wenn die Liebe nicht erloschen ist. Sie reist ab nach Italien, er bleibt. 

„Ich möchte , dass mein Leben kein Missverständis war.“

Jahre später meldet sie sich wieder, ernüchtert, ohne Geld und Aussichten, gestrandet bei einer Freundin. Und weil alle Stricke gerissen sind, reisst Luba zurück in ein Land, dass sie nie mehr betreten wollte. Lukas zu allem entschlossen mit seinem alten Fiesta macht sich auf den abenteuerlichen Weg auf die Suche nach einer Verlorenen. Ein Roadtripp durch die rumänische Pampas, mitten in ein Leben, das von seinem Alltag ebenso weit entfernt ist wie der leidenschaftliche Sommer damals mit Luba.

Kometen kreisen in ganz eigenen Bahnen, scheinen nicht den üblichen Gesetzen zu folgen. Und trotzdem sieht man von ihnen nur den Schweif, das, was sie hinter sich herziehen. Daniel Gräfes Debüt „Wir waren Kometen“ ist mit erstaunlicher Leichtigkeit geschrieben, unverkrampft und erfrischend. Ein vielschichtiger Roman über zwei Leben, die die Gravitation ihrer Vergangenheit auseinandereisst, über Verwundungen, die nie wirklich vernarbten.

© Daniel Gräfe

Interview

Rumänien und seine Geschichte spielen in ihrem Buch eine zentrale Rolle. Was verbindet sie mit diesem Land.
Reisen. Menschen, die ich kennengelernt habe, manche, die mir zu Freund*innen wurden. Eine Liebesbeziehung. Ich mag die Kontraste, das Brüchige und Unfertige des Landes, in das man sich sprichwörtlich noch selbst einschreiben kann. Ich mag den Witz und die Bodenständigkeit vieler Menschen.

Luba und Lukas tragen in ihren Namen zwar die ersten beiden Buchstaben gemeinsam, aber sonst trennen die beiden Welten. Eine der Gemeinsamkeiten, die sie aber doch verbindet, wenn auch zuerst verborgen, sind ihre Verwundungen. Eigentlich ist ihr Roman nicht zuletzt die Aufmunterung, in einer Liebe mit wirklich offenen Karten zu spielen, sich ganz zu öffnen, weil die dünne Haut dieser Vernarbungen doch irgendwann reissen kann.
Zu lieben heisst für mich auch, sich in seiner Verletzbarkeit und Imperfektion zu zeigen und den anderen so liebevoll zu sehen. Sich selbst so anzunehmen und lieben zu lernen, ist die Voraussetzung dafür. Wäre das bei Luba und Lukas bereits so, wäre es für den Roman völlig langweilig. Deshalb verbergen Lukas und Luba nicht nur ihre Verwundungen, sondern kommen selbst nicht mit ihnen zurecht. Dafür projizieren sie, als sie sich ineinander verlieben, ihre Sehnsüchte und Wünsche auf den anderen. Diese liebevoll-brutale Vereinnahmung muss natürlich scheitern. So gebe ich ihnen zwei Drittel des Romans Zeit, selbst ihren Weg zu suchen und den anderen in einem zweiten Anlauf verstehen und kennenzulernen. Ein Prozess, der nie zu Ende ist, aber der richtige Anfang. Ich mag, dass die beiden sich in einem zweiten Anlauf zu finden suchen. Der Roman beginnt dort, wo das Happy End gemeinhin endet.

Luba und Lukas sind nicht dort, wo sie sein wollen. Auch am Schluss des Romans sind sie es nicht. Sie sind noch immer in einem Dazwischen. Zwischen Traum und Realität klafft allzu oft ein tiefer Graben. Luba möchte zeichnen, Lukas schreiben. Beiden droht die Realität, den Traum zu zerstören. Warum ist das ewige Hinterherrennen ebenso zerstörerisch wie der nie gewagte Versuch?
Träume tragen immer auch etwas Radikales in sich – zum Beispiel das Versprechen, eine Version seiner selbst zu sein, die man selbst gestalten darf. Das ist nichts, das man in Gleichmut betrachtet: Man will es unbedingt schaffen oder zaudert ob der Grösse der Aufgabe. Beides bringt einen nicht in den Fluss und Flow, den der Traum in der Realität benötigt. Es braucht die kleinen, konkreten Schritte, die Gelassenheit – aber das ist nur meine Sicht darauf.

© Daniel Gräfe

Im ersten Teil ist Berlin der Schauplatz, ein flirrender Sommer 2007, im zweiten Teil ein abenteuerlicher Roadtripp durch Rumänien und im letzten ein Finale in der Wildnis des Donaudeltas. Dazwischen immer wieder Rückblenden in die Leben der beiden Protagonisten und Auszüge aus Lubas Tagebuch. Wann wird im Schreibprozess klar, wie der Roman gebaut sein muss?
Beim Schreiben muss ich den Moment spüren, warum ausgerechnet dieses Buch auf diese Weise geschrieben werden muss. Ein gutes Zeichen ist, wenn ich mich der Figur und ihrer Besonderheit ganz nah fühle, und wenn ich so konkret zu schreiben beginne, dass im Kleinen ein Metathema auf leichte Art mitschwingt. Wenn das stimmt, kann ich den Roman bauen – und das auf unterschiedliche Weisen. Bei „Wir waren Kometen“ war mir wichtig, dass der Bau Imaginationsräume für die Leser*innen schafft, die sie selbst erkunden müssen, der Roman aber auch spannend bleibt. Ich habe aber auch gemerkt, dass ich meiner zweiten Hauptfigur Luba noch mehr Platz einräumen muss und lasse sie deshalb zeichnen, Tagebücher und Mails schreiben, dass man sie ungefiltert sieht.

Ist „Wir waren Kometen» ein Komet im Leben Daniel Gräfe?
Der Roman ist ein sehr wichtiges Buch für mich, weil auch viele eigene Erfahrungen darin stecken und Themen wie Reisen, Ost-West, Kulturaustausch oder der Culture Clash in der Liebe auch meine eigenes sind. Und natürlich ist er ein dicker Brocken, weil ich einen halben Roman aus ihm herausgeschrieben habe, um ihn trotz der Vielschichtigkeit einfach zu halten, und es bis zur Veröffentlichung so lange dauerte. Aber gerade deshalb hoffe ich, dass sich „Wir waren Kometen“ auch in zehn Jahren noch gut lesen lässt und damit in der Umlaufbahn bleibt.

© Daniel Gräfe

Was mich sehr beeindruckte, waren die kleinen Geschichten in der grossen Geschichte. Manchmal auch bloss einzelne Szenen oder Sätze. Sind Sie im Schreiben ein Sammler oder ein Jäger?
Jäger wissen, was sie jagen und erlegen wollen, das scheint mir zum Schreiben nicht zu passen, so ein Buch wäre vorhersehbar und die Spannung nur behauptet. Ich bin vor allem ein Beobachter, der Eindrücke sammelt, Dinge erst einmal für sich stehen und gelten lässt. Und ich bin ein Empfindender, der Beziehungen herstellt, die eigenen Erfahrungen verknüpft und hinterfragt, sich abermals herantastet, im besten Fall auszusetzen sucht, dass mir der Schreibprozess auch persönlich mehr abverlangt, als ich anfangs zu geben bereit bin. Erst dann würde ich es schreiben nennen.

Daniel Gräfe, geb. 1971 in Biberach, arbeitete in sozialen Projekten in den USA und Ägypten und bereiste nach dem Studium in London recherchierend und schreibend Afrika, Asien und den Nahen Osten. Er arbeitete als Kultur- und Wirtschaftsredakteur in Ost und West und ist Reporter der Stuttgarter Zeitung. Seine Erzählungen, Reportagen und Lyrik wurden mehrfach ausgezeichnet.

Beitragsbild © Dominique Brewing

Mariann Bühler «Verschiebung im Gestein», Atlantis

Angesichts unserer eigenen Endlichkeit erscheint das, was wir an Welt wahrnehmen, in eine Ewigkeit getaucht, unverrückbar, „in Stein gegossen“. Aber selbst das, was fest erscheint, ist einem Fliessen unterworfen. Mariann Bühler beschreibt drei Leben, die aufbrechen, zu fliessen beginnen, die sich verschieben, eine neue Richtung bekommen. Mariann Bühler tut dies derart souverän, dass das Staunen zum Schaudern wird!

„Verschiebung im Gestein“ ist Mariann Bühlers Debüt. Debüt ja, aber bereits ein Meisterstück! Mariann Bühlers Roman besticht vielfach; zum einen die Konstruktion, das Übereinanderschichten verschiedener Leben, weiter die Sprache, die sich einer ganz feinen Beschreibung zuwendet, nichts Reisserisches braucht und mit grosser Empathie und mit fein ziselierten Schilderungen glänzt und einer maximalen Nähe zum Geschehen. Es sind die Geschichten von Suchenden, die auf ganz unterschiedliche Weise durch die Sedimente des Lebens geführt, geschoben und gezogen werden. Mariann Bühlers Roman ist Lesegenuss der Extraklasse. Ein Versprechen!

Mariann Bühler «Verschiebung im Gestein», Atlantis, 2025, 208 Seiten, CHF ca. 32.90, ISBN 978-3-7152-5040-3

Elisabeth lebt und arbeitet in einem Dorf. Der Tod ihres Mannes bringt sie gänzlich aus dem Trott, lässt sie taumeln, obwohl die Ehe mit ihm nicht das gebracht hatte, was sie sich noch zu Beginn erhofft hatte. Sie führten über Jahrzehnte die Bäckerei im Dorf, ein Geschäft, das Jakob so wie immer führen wollte und die vorsichtigen Änderungs- und Anpassungsvorschläge seiner Frau stets mit Trotz und aufbrausenden Drohungen quittierte. Drohungen, die Jakob mitunter auch mit Schlägen verdeutlichte. Elisabeth, ein halbes Leben in die Pflichten einer Familienfrau, Mutter, Ehefrau und „Angestellte“ eingebunden, muss sich nach dem Auszug ihrer Tochter und dem Tod ihres Mannes neu aufstellen. Das alte Leben soll enden, auch die Rolle, die Elisabeth im Dorf einzunehmen hatte. Nach Wochen, in denen die Notiz an der Eingangstür zur Bäckerei langsam zu vergilben begann, öffnet Elisabeth wieder die Tür zur Bäckerei. Nur mit dem Unterschied, dass sie es ist, die nun den Lauf der Dinge bestimmt.

Alois ist Bauer. Ob er den Hof damals hätte übernehmen wollen, stand nie zur Frage. Er wuchs über die Jahre in diese Rolle hinein. So wie seine Eltern alt und gebrechlich wurden und mit der Zeit die Kraft nicht mehr hatten, so gab er sich immer mehr in die Aufgaben des Bauern hinein. Eine Aufgabe, die mehr und mehr zu seiner wurde, eine Selbstverständlichkeit, ein Naturgesetz. Aber in Alois stiller Ergebenheit blieb stets ein Rest Zweifel. Sollte es das gewesen sein? Nur schon die dauernden Sticheleien der Eltern, weil sich keine Bäuerin finden wollte, oder die Erzählungen im Musikverein von grossen Abenteuern, stellen Alois Innenleben auf eine harte Probe. Selbst seine Schwester, die mit ihrer Familie im gleichen Dorf lebt, spürt, dass da etwas ist, was ausbrechen will. Bis sich Jakob entschliesst, den Hof zumindest für ein Jahr zu verpachten und reissaus zu nehmen, all die Pflichten hinter sich zu lassen.

Und da ist Ruth, von der Mariann Bühler manchmal in der dritten Person, als Ruth erzählt, und manchmal in der Du-Form, als wäre die junge Frau gleich neben der Erzählstimme, würde sie sie durch das Geschehen schieben. Die junge Frau kehrt ins Dorf zurück, holt sich die Schlüssel für das schon lange unbewohnte Ferienhaus hoch über dem Dorf. Einem kleinen Haus, in dem die Zeit still gestanden ist, die Luft sich über Jahre nicht bewegte. Das Haus soll verkauft werden. Ruth trägt ihr Leben hinauf in dieses Haus, die Suche nach ihrem Platz, die Bilder und Stimmen aus ihrer Vergangenheit, einer Familie, in der sich der Schmerz tief eingegraben hatte.

Mariann Bühler erzählt von drei Leben, die sich erst nach und nach miteinander verweben. Drei Leben, die sich über- und untereinder verschieben, aufeinanderstossen und sich aufwerfen wie tektonische Platten. Erst über die Zeit wirksame Kräfte, die an ihren Rändern brechen und Abgründe sichtbar machen. Ein beeindruckendes Kunststück! Ein Buch, dass das Herz öffnet.

Interview

Nun ist er draussen, Dein erster Roman, an dem Du ganz offensichtlich sehr lange und intensiv gearbeitet hast. Was bis vor kurzem noch ganz Dir gehörte, liegt nun auf Tischen in Buchhandlungen zum Kauf bereit, wartet auf Nachttischchen und in Bücherstapeln auf die Lektüre und auf den Schreibtischen der Rezensenten auf Zuspruch oder Ablehnung. Wie sehr verändert die Veröffentlichung Deines Buches Dein Leben, oder zumindest die zeitliche Ausrichtung?
Diese Frage würde ich in einem Jahr vermutlich anders beantworten, jetzt, kurz nach Erscheinen des Buches beantworte ich sie so: Ich freue mich darüber, dass ich diesen Text und seine Figuren nun mit allen, die ihn lesen wollen, teilen kann. Und ich freue mich auf die Reaktionen darauf – darauf, dass ich dank den Leser*innen den Text selbst noch einmal mit neuen Augen sehen kann. Ich bin gespannt, was auf mich zukommt, welche Wege dieser Roman nehmen wird. Und wie das weitergeht mit meinem Schreiben. 

© Mariann Bühler

Die Menschen, von denen Du erzählst, sind Gefangene. Sie alle versuchen auf die eine oder andere Weise auszubrechen, geschoben oder gezogen. Ich bin sicher, dass Du mit dem Thema Deines Romans eine menschliche Ursehnsucht ansprichst, seien es nun kleine oder grosse Ausbrüche, haben wir Menschen doch wie kein anderes Lebewesen die Fähigkeit, uns selbst zu fesseln, zu blockieren – bis zur vollkommenen Lähmung?
Wir alle sind Teil eines Gefüges – da sind zwischenmenschlich Beziehungen, die über Jahre wachsen und uns prägen, ein soziales, berufliches, familiäres Umfeld, das uns ebenso formt wie wir unseren Platz in der Welt mitformen. In manchen Situationen verspricht das Verharren im Bekannten mehr Sicherheit als eine Verschiebung ins Unbekannte. Gleichzeitig geschehen manche Veränderungen, ob wir wollen oder nicht. Auch wenn die Situation eng aussieht, wenn es scheint, dass alles stillsteht, gibt es einen kleinen Spielraum. Ich mag das englische Wort für Spielraum, «wiggle room», wiggle heisst wackeln oder schlängeln, ich stelle mir einen ganz kleinen Raum vor, der sich durch konstante, kleine Bewegungen verändern und erweitern lässt. Ich mag dieses Bild, darin ist eine Zuversicht. 

Warum schaffen wir es nicht, Veränderungen selbst zu provozieren? Warum gelingt uns eine Veränderung meist erst dann, wenn wir sie im Windschatten anderer Ereignisse vollziehen können, wenn das Beben bereits stattgefunden hat, wenn die Risse in den Versteinerungen aufgebrochen sind?
Wir können alle nicht aus unserer Haut. Unser bisheriges Leben hat sich in uns eingeschrieben, hat unsere Möglichkeiten und Grenzen geformt. Tiefgreifende Veränderungen geschehen nicht notwendigerweise mit Pauken und Trompeten und einem einzigen umgelegten Hebel, sondern leise, über eine lange Zeit, unter der Oberfläche. 
Für meine Figuren kommt das Beben nicht plötzlich. Auf den ersten Blick vielleicht, aber bei genauerem Hinsehen wird klar, dass sich das schon lange angebahnt hat. Wie die tektonischen Verschiebungen, die lange bevor wir sie begreifen konnten, stattgefunden haben, braucht es manchmal Zeit, die Risse, die Aufbrüche als solche wahrzunehmen. 

Ich bin tief beeindruckt von der Sprache und der Erzähltechnik Deines Romans. Wie weit bist Du Deiner Intuition gefolgt? Oder war da eine Strategie, ein Plan? Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Roman das Resultat eines chronologischen Schreibens sein kann. Viel mehr macht er den Eindruck, als wäre es der Sud eines langen Entstehungsprozesses, ohne dass der Roman dabei seine Leichtigkeit eingebüsst hätte.
Der Entstehungsprozess war alles andere als geradlinig. Ich bin im Arbeitsleben die, die für alles eine Liste und einen Plan erstellt. Im Schreiben funktioniere ich offenbar anders. Erst ganz am Schluss gab es eine Liste, die mir den Überblick über die Kapitel erleichterte und die Struktur, die Schichtung, zeigte. 
Davor war alles in Bewegung. So viel in der Schwebe zu halten, war manchmal schwer erträglich, im Nachhinein aber wichtig: Ich konnte Szenen, die nicht funktionieren wollten, an einen anderen Ort schieben, in ein anderes Lebensalter der Figur – oder sie einer ganz anderen Figur zuordnen. So wurde manchmal ein scheinbar unwichtiges Motiv, von dem ich mich nicht recht trennen konnte, wie die Narbe an Alois’ Finger, zentral. Bei jeder Figur gab es einen – manchmal ziemlich ausgedehnten – Moment, wo es nicht weiter ging, wo sich etwas in meiner Wahrnehmung verschieben musste, damit etwas, das ich nicht geplant und manchmal nicht einmal geahnt hatte, Form annehmen konnte. Auf das Geologische bin ich per Zufall gestossen. Ich bin staunend in diese Sprache eingetaucht, die mir genau die Bilder und Prozesse geliefert hat, die mir fehlten. 
Der Text hat die lange Gärphase gebraucht, ich habe sie gebraucht, um besser zu verstehen, was ich schreibe und wie ich schreibe. Welche Möglichkeiten ich habe und wie ich sie nutzen kann. Dem Prozess zu vertrauen und nichts voreilig festzumachen. 

© Mariann Bühler

Da gibt es Szenen in der Backstube oder im Stall, die unmöglich ohne persönliche Erfahrungen hätten entstehen können. Ganz offensichtlich wolltest Du nicht nur bei deinen ProtagonistInnen nah rangehen, sondern auch in dem, was sie tun. Kannst Du melken und grosse Mengen Brot backen?
Mir war es wichtig, diese Arbeitsprozesse abzubilden, weil sie viel über die Figuren erzählen und auch als Gegenstück zu den geologischen Verschiebungen. Das Backen und Melken sind auf den ersten Blick repetitive Arbeiten, die jeden Tag gleich geschehen. Gleichzeitig verändern sie sich dauernd: Wer backt oder melkt, braucht ein grosses Erfahrungswissen und ist sich einer Vielzahl von Faktoren bewusst, trifft dauernd kleinste Entscheidungen, um den Prozess an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen, führt also dauernd die für das Gelingen nötigen Veränderungen herbei. So durch und durch gekonntes Handeln finde ich sehr schön – fast wie ein Tanz. 
Ich habe selbst zwar einmal gelernt, ein Melkmaschinenaggregat an ein Euter zu hängen, und würde von Hand etwas Milch aus einer Kuh bekommen, aber wirklich melken kann ich nicht. Beim Backen ist es ähnlich, ich backe gerne mal einen Zopf, aber in grossen Mengen Brot backen, das kann ich nicht. Da war ich beim Schreiben auf das Wissen anderer angewiesen. Ich habe zum Beispiel eine Bäuerin besucht, die jede Woche aus mehreren hundert Kilo Mehl Brot backt, konnte ihr bei der Arbeit zuschauen und Fragen stellen. Das war sehr wichtig: Den blossen Ablauf dieser Arbeit hätte ich aus Texten und Videos zusammenschustern können, aber beim Beobachten wurden die Bewegungen, Konsistenzen, Materialitäten, das ganze verkörperte Wissen, wahrnehmbar. 
Beim Melken und auch beim Holzen war es ähnlich: Die Bewegungen und Körperhaltungen kenne ich seit meiner Kindheit, meinte, mich an die Abläufe erinnern zu können – und musste dann feststellen, dass meine Erinnerung ungenau war. Zum Glück hatte ich einen Testleser für die landwirtschaftlichen Dinge, der mir Reihenfolgen und Aufgabenteilungen geradegerückt hat. Das lässt sich nicht googeln, um das zu vermitteln braucht es Menschen mit entsprechendem Wissen. 

Was mich ebenfalls beeindruckte, sind beschriebene Stimmungen. Seien es Stimmungen in Szenerien oder solche in den Innenwelten deiner ProtagonistInnen. Klar ist Empathie eine Voraussetzung, um sich in solche Innenwelten hineinzubegeben. Wann merkst Du, dass das Gleichgewicht zwischen Nähe und der nötigen Erzähldistanz erreicht ist?
Da muss ich nachdenken. Die Stimmungen waren mir wichtig, vielleicht, weil sich damit manchmal die Innenwelten nach aussen übersetzen lassen, wenn den Figuren nicht nach Reden ist. Die können und wollen nicht alles in Worte fassen, was in ihnen vorgeht. Da habe ich versucht, ihre Umgebung so zu beschreiben, dass nachvollziehbar wird, was in den Figuren vorgeht. 
Ich glaube, bei den Figuren entsteht das Gleichgewicht in der Bewegung, im Wechsel zwischen Nähe und Distanz. Die richtige Erzähldistanz zu finden war nicht ganz einfach. Der Vorteil war, dass ich zwischen den Strängen hin und her wechseln konnte. Wenn ich bei Elisabeth nicht weiterkam, konnte ich beispielsweise zu Alois wechseln und schauen, ob der gerade gesprächiger ist. Das brauchte Geduld: So, wie wir anderen Menschen nicht im ersten Gespräch unsere tiefsten Geheimnisse verraten, musste ich die Figuren erst kennenlernen, langsam erarbeiten, was sie umtreibt und mich manchmal ebenso selbst überraschen lassen wie auch mal einzugreifen als Autorin, bewusst eine Weiche stellen im Text. 
Die Distanz zu den Figuren verändert sich noch immer: Anfangs war es nicht leicht, ihnen nah genug zu kommen. Kurz vor dem Ende der zweiten Fassung waren sie mir so nah, dass ich abends nicht einschlafen konnte vor Sorge um sie, ob das alles gut kommt – eigentlich absurd, schliesslich gab es sie nur in meinem Kopf und in einer Datei. Und jetzt, wo das Buch da ist, gehen sie ihre eigenen Wege. 

Mariann Bühler, geboren 1982 in der Nähe von Luzern, hat in Basel und Berlin Englische Literatur­ und Sprachwissenschaft, Islamwissenschaft und Gender Studies studiert. Sie lebt als Autorin, Literaturvermittlerin und Veranstalterin in Basel. «Verschiebung im Gestein» ist ihr Romandebüt; für einen Auszug aus dem Manuskript wurde sie mit dem Zentralschweizer Literaturpreis ausgezeichnet.

Webseite der Autorin

Beitragsbild © Ayse Yavas

Katharina Winkler «Siebenmeilenherz», Matthes & Seitz

Statistisch wurden 2023 in Deutschland über 18000 sexuelle Übergriffe an Kindern polizeilich erfasst. Über eine Million Deutsche erlebten im Laufe ihres Kindseins einen sexuellen Übergriff. Wie kaum eine andere Kunstgattung nimmt sich die Literatur dieser heiklen Thematik an – und Katharina Winkler mit unsäglich tiefgreifender Empathie!

Nicht auszudenken, wie hoch die Dunkelziffer sein wird. In der Schweiz erlebt rund jedes siebte Kind mindestens einmal sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt durch Erwachsene oder ältere Kinder. Ungeheuerliche Zahlen, von denen niemand gerne spricht, am wenigsten die Politik, werden doch die meisten Übergriffe von Familienmitgliedern begangen. Monströse Zahlen und ebensolche Vorstellungen, wie all die Kinder und all die Erwachsenen, die solches als Kinder über sich ergehen lassen mussten, mit dem umgehen sollen. Ein Alp, bei dem weder Justiz, Medizin noch Psychologie heilen können, weil die Betroffenen mit dem Erlebten weitgehend alleine bleiben und sich die offenen Wunden über Jahre und Jahrzehnte tief in die Seelen fressen.

«Hast du Papa lieb?
Ja»

Katharina Winkler «Siebenmeilenherz», Matthes & Seitz, 2024, 240 Seiten, CHF ca. 32.00, ISBN 978-3-7518-0961-0

Einen Roman darüber schreiben? Schon alleine das Risiko, nach der Veröffentlichung permanent der Neugier der Leserinnen und Leser ausgesetzt zu sein, ob das Erzählte autobiografisch sei, könnte abschrecken. Nicht weniger der potenzielle Vorwurf, doch gar nicht in der Lage zu sein, ohne eigene Erfahrung solches glaubhaft erzählen zu können. Literarischer Treibsand! Aber Katharina Winklers Roman „Siebenmeilenherz“ entzieht sich diesen Risiken, weil seine sprachlichen Qualitäten alle Risiken überstrahlen. Weil er in seiner Form so geschrieben ist, dass er sich so weit wie möglich von Betroffenheitsliteratur unterscheidet. Wer das Buch aufschlägt, glaubt in einem Gedichtband zu lesen, was in gewisser Weise auch stimmt, denn „Siebenmeilenherz“ erzählt lyrisch, manchmal in ganz kurzen Zeilen, manchmal repetitiv, wie ein Lied, ein Aufzählvers, ein Gebet.

«Ich bin vom Erdboden verschluckt.
Niemand sieht mich.
Niemand weiss.
Ich hoffe, ich bleibe für immer verborgen.»

Ganz zu Beginn des Buches ist die Erzählstimme die eines kleinen Mädchens, das ganz und gar nicht versteht, wie ihr geschieht, das verzweifelt nach Liebe und Geborgenheit sucht, sei es bei ihrem Vater, der sie zu seiner Prinzessin erhebt, einen Geheimbund mit ihr schliesst, nachts am Bett jede erdenkliche Grenze überschreitet – und einer Mutter, die in kalter Distanz und Abweisung wohl einfach nicht wissen und sehen will. Im Laufe des Buches wird die Stimme älter, reifer, wissender, aber auch verzweifelter, weil die junge Frau keine Möglichkeit sieht, ihrem Alp zu entfliehen, obwohl da immer wieder einmal eine Hand wäre, die sich ihr anbietet. Aber wer verrät schon seine Nächsten. Woher die Kraft, vom Opfer zur Anklägerin zu werden, sich zu erheben und den Vater zu konfrontieren. Sie ist alleine, erst recht, als da ein Mann ist, eine Liebe, irgendwann gar ein Kind in ihrem offenen Bauch. Wird man irgendwann sehen, was sie erdulden, über sich ergehen lassen musste.

«Widerhaken, die sich im Kopf verfangen
und sich nicht verflüchtigen.»

Die suchende Sprache des Kindes im ersten Teil des Buches, die Unfähigkeit des Benennens, des Nicht-Einordnen-Könnens schmerzt förmlich bei der Lektüre, ebenso die Ausweglosigkeit, die alles einnehmende Einsamkeit der jungen Frau, die scheinbar unrettbar verloren ist im Gefängnis ihrer Erinnerungen, ihres Schmerzes, ihrer Versehrtheit. «Siebenmeilenherz» ist ein buchlanges Selbstgespräch, der verzweifelte Versuch eines Auf- und Ausbruchs.

Ich las „Siebenmeilenherz“ mit angehaltenen Atem, voller Scham, voller Angst, auch in meiner Umgebung Zeichen nicht zu sehen, unangemessen zu reagieren.

Phantastisch ist Katharina Winklers Sprache, die Form, mit der sie auf ganz eigenwillige Weise dem Schrecken nicht bloss begegnet, sondern sich ihm mit einer ungeheuren Direktheit aussetzt. Da hat sich eine Autorin ein Herz genommen, um mit Siebenmeilenstiefeln ins Herz dieses Sturmes, ins windstille Auge der Tornados zu rennen.

Interview

Was dem Mädchen in seiner Familie widerfährt, sei es die Übergiffigkeit ihres Vaters oder die Kälte ihrer Mutter, was sie als Jugendliche, als Liebende, als werdende Mutter, als Verwundete und Gezeichnete ausstehen muss, ist höllisch. Und dieser Schwarm an Fragen, Selbstbezichtigungen, Schuldgefühlen, ein Trommelfeuer, dem sie nicht entfliehen kann. Ich selbst bin auch Vater. Was der Protagonistin geschieht, ist hunderttausendfach erlittenes Schicksal. Warum tut sich die Gesellschaft derart schwer hinzuschauen? Warum spüre ich selbst bei mir diesen Schauer, wenn ich darüber lese, schreibe oder spreche?
Diese Wirksamkeit ist das Wesen des Tabus. 
Sexueller Missbrauch in der Familie ist eines der letzten grossen Tabus. 
Der Tabubruch stösst naturgemäss auf Widerstand und ist schmerzhaft.
Ein Tabu entsteht, um Schmerz und Überforderung von der Gesellschaft abzuspalten. 
Es ist eine gesellschaftliche Übereinkunft, ein stillschweigend praktiziertes Regelwerk, unhinterfragt, strikt, bedingungslos, universell und ubiquitär. Wir sind darauf konditioniert. Ein Tabubruch fällt uns entsprechend schwer. Wir handeln gegen die Regeln des Kollektivs, gegen unsere eigene Konditionierung. Und wenn wir das Tabu brechen, bricht auch der darin gebundene Schmerz auf und die akute Überforderung.
Aber wenn wir das Tabu unangetastet lassen, manifestieren wir es – und damit auch den entsprechenden gesellschaftlichen Status quo. In unserer Gesellschaft bleibt sexueller Missbrauch in der Familie dann unangetastet und unverändert. 

Sie hätten einfach eine Geschichte erzählen können. Aber ganz offensichtlich reichte das nicht. Sie wählten eine ganz spezielle Form. Eine Art innerer Monolog, gespickt mit Textstellen, die an Lieder, Gebete, Märchen… erinnern. Wie kamen Sie zu dieser Form? War die Form schon von Beginn weg klar? Musste sie es sein, um darüber schreiben zu können?
Ich musste diese Geschichte aus der Innenperspektive erzählen. Ich wollte keinen Blick von aussen, jeden voyeuristischen Blick verhindern. Das Buch soll dem Leser ausschliesslich das Erleben aus dem Inneren der Figur ermöglichen. Denn ich wollte eine intensive Empathie des Lesers mit der betroffenen Figur, dafür musste ich den Leser so nah wie möglich an die Figur heranführen.  
Die gedicht-, lied- und märchenhaften Elemente in der Sprache sind der kindlichen Figur im ersten Teil geschuldet, in dem man erlebt, wie ein Kind in das von den Eltern dargebotene Weltbild wächst – ohne Möglichkeit zu hinterfragen oder zu relativieren. 
Dass diese Kindersprachenelemente auch im zweiten Teil präsent sind, in dem die junge Erwachsene geschildert wird, verdeutlicht, wie die kindliche Erfahrung das weitere Leben prägt. 

Auch die Zeichensetzung setzen Sie manchmal ausser Kraft. Warum?
Der Umgang mit der Zeichensetzung ist für mich eine ständige Gratwanderung. 
Meine Sprache ist sehr musikalisch gedacht. Leider ist das System zur Verschriftlichung von Sprache aber nicht so präzise wie die Notenschrift. Die Melodie, die ein Satz in meinem Kopf hat, ist manchmal gegenläufig zu der Melodie, die die grammatikalisch korrekten Interpunktionszeichen dem Leser nahelegen. 
Die Melodie der Sprache prägt die gedankliche Dynamik. Ein Punkt provoziert zum Beispiel den Abschluss einer Melodie und damit den Abschluss eines Gedankens, obwohl ich es oft wichtig finde, Melodie und Gedanke offen ausklingen zu lassen, damit sie weiter wirken und sich weiter entwickeln können. An entscheidenden Stellen verzichte ich deshalb manchmal auf den Punkt. 

Nichts ist so diffizil wie der Kosmos Familie. In keinem Gefüge ist so viel Liebe, Zuwendung, Zärtlichkeit und Nähe wichtig und Teil dieses Kosmos. Ausgerechnet in dieser ultimativen Intimität geschehen Übergriffe, die Wunden verursachen, die nie vernarben. Als ich das Abenteuer „Familie“ startete, war ich 23, meine Frau 21. Aus heutiger Sicht erscheint das beinahe fahrlässig, denn fast alles, was wir taten, geschah aus Intuition. In der Schweiz gibt es Ehevorbereitungskurse. Müsste es nicht viel mehr Familienvorbereitungskurse geben?
Eine optimale Vorbereitung auf das Leben ist eine schöne Idee und unbedingt zu verfolgen! Aber das Leben ist zu gross, zu kräftig, zu unberechenbar, um es in seiner Vielfältigkeit zu erfassen, geschweige denn zu antizipieren. Und Erfahrungen sind schwer vermittelbar. So stolpern wir im Grunde alle mehr oder minder unvorbereitet und oft auch stümperhaft durchs Leben. Als Individuum wie als Gesellschaft. Wir sind alle nicht vorbereitet auf ein Leben im 21. Jhdt.

Beklemmend bei der Lektüre ist die Einsamkeit der Protagonistin. Ich nehme an, dass sie in der Recherche mit vielen Betroffenen gesprochen haben. Wie schafften diese es, aus dem Bannkreis des Schweigens herauszutreten?
Durch die Tabuisierung des Themas spalten wir auch die Betroffenen von der Gesellschaft ab. 
Verschwiegene Geschichten trennen. Erzählte Geschichten verbinden. 
Die Erzählung ist der Weg aus der Isolation. 

Die Liebe zwischen Kindern und Eltern, Eltern und Kindern ist eine ganz eigene. Kinder überhöhen ihre Eltern, Eltern kompensieren durch ihre Kinder. Würde man in ihrem Buch alle unguten Szenen schwärzen, käme erst im zweiten Teil ein kritischer Blick zum Vorschein. Kinder lieben bedingungslos. Und ausgerechnet diese kindliche Bedingungslosigkeit wirkt bis ins Erwachsensein. Die Vertreibung aus dem Paradies?
Im Laufe des Individuationsprozesses muss jeder reflektierte Mensch sicher gehen, nicht nur ein Märchen zu sein, das die eigenen Eltern ihm erzählt haben. Und er muss die Welt auf dasselbe überprüfen. 
In Fällen glücklicher Kindheiten mag dies einer Vertreibung aus dem Paradies gleichkommen. 
Eine Desillusionierung ist es jedenfalls. 
Aber in vielen Fällen ist es wohl auch die Eröffnung neuer, besserer Welten. 

Katharina Winkler, 1979 in Wien geboren, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft. Mit «Blauschmuck» (Suhrkamp) erschien 2016 ihr vielfach ausgezeichneter Debütroman. Das Buch wurde in sechs Sprachen übersetzt und erhielt u. a. den baskischen Buchpreis Premio Euskadi de Plata für den besten deutschsprachigen Roman sowie den französischen Prix du premier roman étranger 2017, den Preis für das beste fremdsprachige Debüt. 

Beitragsbild © Bernhard Schir

Tarjei Vesaas «Die Vögel», Guggolz

Tarjei Vesaas ist einer der Grossen der norwegischen Literatur. Aber vielleicht ist Tarjei Vesaas mehr. Karl Ove Knausgård bezeichnete „Die Vögel“ einmal als den besten norwegischen Roman, der je geschrieben wurde. Dass der Guggolz Verlag die Romane Tarjei Vesaas in so wunderbaren Ausgaben, meisterhaft übersetzt und wunderschön als Buch, verdienstvoll herausbringt, ist ein grosses Glück – und „Die Vögel“ eine Offenbarung.

Nach seinem Tod 1970 geriet Tarjei Vesaas international in Vergessenheit, obwohl man ihn zu Lebzeiten immer wieder als Anwärter für den Nobelpreis machte. Vielleicht liegt unser Glück darin, dass Karl Ove Knausgård den Autor immer und immer wieder auf einen Sockel stellte, oder in der Tatsache, dass sich seine Romane um das Archaische drehen, so gar nichts mit dem flirrenden Zeitgeist zu tun haben und sich doch um urmenschliche Gefühle und grundlegende Fragen drehen. Vielleicht liegt die Faszination dieser Romane auch in der Nähe zur Natur, in einer Sehnsucht, die angesichts der menschgemachten, klimatischen Bedrohungen immer deutlicher nach Nahrung sucht. Aber vielleicht ist es auch ganz einfach die unbestreitbare Fähigkeit des Autors, in unnachahmlicher Weise Beziehungen, Szenerien und Innenwelten zu beschreiben.
„Die Vögel“ schreibt sich in die Welt eines noch jungen Mannes, der sich in seiner begrenzen Welt mehr und mehr an den Rand, an den Abgrund gedrängt fühlt. Ein Mann, dessen Welt abdriftet, eine Welt, die sich mit der aller anderen streitet, nichts Gemeinsames mehr findet. Tarjei Vesaas beschreibt einen Zustand, der seit der Pandemie auch in der Gesellschaft grassiert.

Tarjei Vesaas «Die Vögel», Guggolz, 2020, aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel, mit einem Nachwort von Judith Hermann, 275 Seiten, CHF ca. 31.90, ISBN 978-3-945370-28-5

Mattis lebt mit seiner älteren Schwester Hege allein in einem kleinen Haus irgendwo in Norwegen, über einem See, nicht weit vom Wald, aber abgeschottet vom nahen Dorf. Mattis ist anders. Seine Welt ist klein. Im Dorf schimpft man ihn einen Dussel. Einer festen Arbeit geht er nicht nach. Vielmehr versinkt er immer wieder in stillen Versuchen, eine Antwort auf seine ganz eigenen Fragen zu finden. Hege, nach dem frühen Tod ihrer Eltern, sorgt für ihn, verdient das wenige Geld, das sie über Wasser hält mit Strickarbeiten. Hege ist hängen geblieben; das kleine Haus, die Abgeschiedenheit, die tägliche Sorge um ein Auskommen und Mattis. Manchmal taucht Mattis im Dorf auf, kauft sich im Kaufhaus Bonbons oder sucht nach den Ermahnungen seiner Schwester Arbeit, die ihn aber meist überfordert, auch wenn ihn der eine oder andere Bauer ein paar Stunden gewähren lässt.

Dafür sitzt Mattis viel am See oder in seinem alten Ruderboot und denkt nach, versucht seine Welt zu ergründen und jene seiner Schwester Hege – eine kleine Welt mit grossen Fragen. Mattis sieht und hört aber auch die Stimmen und Zeichen der Natur. Zuallererst die Vögel, Schnepfen, die in diesem Jahr viel früher ihre Bahnen übers Haus ziehen. Er versteht den jungen Jäger aus dem Dorf nicht, der eine dieser Schnepfen vom Himmel schiesst. Mattis fürchtet sich vor Gewittern, dem Blitz, der eines Tages einen der beiden verdorrten Bäume nicht weit vom Haus zerschlägt, zwei Bäume, die man bis ins Dorf Mattis-und-Hege nennt. Mattis ist überzeugt, dass eine neue Zeit angebrochen ist, dass sich die Dinge verändern werden. Und es wächst die Angst, dass alles, was sich verändert, zu seinen Ungunsten sein könnte, allein schon deshalb, weil niemand verstehen will, nicht einmal Hege.

Nach seinem Entschluss, nun doch Fährmann über See zu werden, auch wenn niemand darauf gewartet hat, und tatsächlich ein erster Gast auftaucht, der nach seinen Diensten fragt und nach nasser Überfahrt nach einer Unterkunft fragt, nachdem ihn zwei junge Mädchen von der Insel retten und diese Rettung zur triumphalen Einfahrt in den Dorfhafen wird, scheint sich für Mattis alles zum Guten zu wenden. Wenn nur Jørgen, der Holzfäller, den er über den See brachte, sich nicht im Zimmer unter dem Dach einquartiert hätte.
Mit einem Mal glaubt Mattis, die Zeichen stehen gegen ihn, Hege würde sich von ihm abwenden, gegen ihn entscheiden.

Was Tarjei Vesaas an Atmosphäre in diesen Roman hineinbringt, wie gut er sich in Mattis, einen Dussel, seine Welt, seine Sicht, seine Gefühle hineinversetzen kann, wie nah er sich in diesen Dussel hineinversetzt, ohne nur in einem Nebensatz einen solchen aus ihm zu machen, wie perfekt er die Dramatik in seiner Geschichte wachsen lässt, ist ausserordentlich. Mattis versucht seine Welt zu lesen, er sucht nach Erklärungen. Hege, seine Schwester, lebt unter dem gleichen Dach, auf der Schwelle zu einer ganz anderen Welt. Und die Tatsache, dass sie die Welt ganz anders liest, schmerzt Mattis bis aufs Mark.

Ein aussergewöhnliches Buch eines aussergewöhnlichen Dichters!

Tarjei Vesaas (1897–1970) war der älteste Sohn eines Bauern in Vinje/Telemark, dessen Familie seit 300 Jahren im selben Haus lebte. Vesaas wusste früh, dass er Schriftsteller werden wollte, verweigerte die traditionsgemässe Übernahme des Hofes und bereiste in den 1920er und 1930er Jahren Europa. 1934 heiratete er die Lyrikerin Halldis Moren und liess sich bis zu seinem Tod 1970 in der Heimatgemeinde Vinje auf dem nahe gelegenen Hof Midtbø nieder. Vesaas verfasste Gedichte, Dramen, Kurzprosa und Romane, die ihm internationalen Ruhm einbrachten. Er schrieb seine Romane auf Nynorsk, der norwegischen Sprache, die – anders als Bokmål, das »Buch-Norwegisch« – auf westnorwegischen Dialekten basiert. Abseits der Grossstädte schuf Vesaas ein dennoch hochmodernes, lyrisch-präzise verknapptes Werk mit rätselhaft-symbolistischen Zügen, für das er mehrmals für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde. Als seine grössten Meisterwerke gelten «Das Eis-Schloss», für das er 1964 den Preis des Nordischen Rats erhielt, und «Die Vögel», das Karl-Ove Knausgård als «besten norwegischen Roman, der je geschrieben wurde» bezeichnete.

Hinrich Schmidt-Henkel, geboren 1959 in Berlin, übersetzt aus dem Französischen, Norwegischen und Italienischen u. a. Werke von Henrik Ibsen, Kjell Askildsen, Jon Fosse, Tomas Espedal, Louis-Ferdinand Céline, Édouard Louis und Tarjei Vesaas. Für seine Arbeit wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. (gemeinsam mit Frank Heibert) mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW und zuletzt 2018 mit dem Königlich Norwegischen Verdienstorden.

Tarjei Vesaas «Boot am Abend. Nimm meine Hand. Der wilde Reiter», Rezension auf literaturblatt.ch

Beitragsbild © Rolf Chr. Ulrichsen

Anna Katharina Fröhlich «Die Yacht», Friedenauer Presse

Wenn ein schmales Buch mit „Eine Sommernovelle“ untertitelt ist, ist man versucht, es für ein flockig leichtes Geschichtchen zu nehmen. Was in seiner Tonalität ein bisschen verklärt und fast antiquiert daherkommt, offenbart Tiefen, die überraschen. „Die Yacht“ ist ebenso melancholisch wie tiefgründig. Anna Katharina Fröhlichs Novelle mahnt zur Ehrlichkeit.

Anna Katharina Fröhlich lebt in Italien. Sie kennt das Licht, die Gerüche und Geräusche, den Geschmack und den Duft. Wer „Die Yacht“ liest, taucht, nimmt all dies mit, taucht ein in eine Welt, die zumindest ich, nur von Urlauben kenne. Und Anna Katharina Fröhlich beherrscht in ihrer Sprache eine Kunst, die mich staunen lässt, etwas, was mich auf den ersten Seiten misstrauisch machte, weil ich mich selbst beim Schreiben davor hüten würde; Anna Katharina Fröhlich mischt in ihre Novelle Adjektive derart üppig, dass ihre Sprachmelodie im ersten Moment fast aufgeblasen scheint. Aber ihr grosszüger Umgang mit dieser Wortart korrespondiert mit der Welt, die sie beschreibt. Auf der einen Seite lebt dieses Buch von sinnlichen Eindrücken, zum andern beschreibt sie sehr genau die Oberfläche, sei es die der Dinge, der Menschen und der Innenwelten.

„Hinsehen ist besser als denken, weil sehen auch erschaffen bedeutet.“

Martha Oberon ist eine junge Frau, die in einer italienischen Kleinstadt nicht nur die Ruhe, die Distanz, Antworten und eine Richtung sucht, sondern sich selbst. Ausgebrochen aus der Enge ihres Elternhauses und den Verwirrungen ihrer Gegenwart will Martha herausfinden, wie sie dorthin gelangt, wo sie einst ihr Grossvater hinsteuern wollte. Marta zeichnet. Sie besucht in der kleinen Stadt in Italien einen Malkurs. Aber sie will mehr. Sie will Wegweiser.

Anna Katharina Fröhlich «Die Yacht», Matthes & Seitz, 2024, 164 Seiten, CHF ca. 26.90, ISBN 978-3-7518-8012-1

Sie lässt sich ein in das Leben dieser Stadt. An einem Sonntagmorgen lernt sie in einer Bar einen Mann mit einer Rose im Knopfloch kennen. Salvatore Spinelli. Ein seltsam aus der Zeit gefallener Herr, auf den ersten Blick mit gediegener Eleganz, bei genauerem Hinschauen; geflickte Löcher in seinem weissen Hemd, ein Riss im Ärmel seiner Leinenjacke. Sie kommen ins Gespräch und Martha fühlt, bei ihm etwas gefunden zu haben, wonach sie schon so lange gesucht hatte. Spinelli zeigt ihr jeden Winkel der Stadt. Jeder und jede kennt ihn, weiss von seiner Armut, seiner Offenherzigkeit, seinem Charme. Er ist ein Teil dieser alten Mauern, ein Überbleibsel einer Welt, die sich im Bann moderner Kommunikationsmittel und dem Stress der Gegenwart zu verlieren droht. Spinelli öffnet sie in eine Welt, von der sie mit ihrer Art des Zeichnens ahnte. Mit einem Mal scheint sich aufzutun, was ihr bisher verschlossen blieb.

„Spinelli war der einzige Mensch, den sie kannte, der keinen Beruf, keine Versicherung, keinen Status, kein Bankkonto, keine Frau und keine Kinder hatte, in denen er das Erbe seines Wesens hätte sichern können. Er vertrat nichts und niemanden mehr ausser sich selbst.“

Spinelli lädt sie ein zu einer Reise in den Süden, nach Sizilien. Dort kennt er die Tabarins. Ein Paar, das in einem weissen Haus auf einem Felsplateau über dem Meer wohnt, das es vor Jahren im Zuge einer Kunstvermittlung kennengelernt hatte. Dort residiert man, von Bediensteten umgarnt, lädt andere Reiche ein, tummelt sich in der Gewissheit, dass einem die Welt gehört. Martha, gleichsam fasziniert wie verunsichert lernt die Malerin Mrs Moore kennen, eine alte Bekannte von Spinelli. Die eigenwillige Künstlerin macht ihr das Angebot, sie zu malen und sie in ihre Kunst einzuführen. Ein Angebot, das für Martha nach Erfüllung riecht und ihrem Leben mit einem Mal Richtung gibt.

Bei einer der Fahrten mit der Yacht der Tabarins, der Devil’s Kiss, lernt Martha den in Tabarins Diensten stehenden Balthasar kennen, der eigentlich Griša Pavloviç heisst und mit dem Namenswechsel seiner Herkunft zu entfliehen versucht, ein Verbündeter, später ein Geliebter. Aber Martha muss schmerzhaft erfahren, dass die Welt im weissen Haus über dem Meer und der mit allem Luxus ausgestatteten Yacht, wie alles eine Welt des Scheins, eine perfekt inszenierte Kulisse ist.

„Den wahren Träumer sehe ich als Jäger, der in dem unergründlichen Dickicht des eigenen Bewusstseins Jagd auf etwas Fliehendes macht, das seine Existenz auf dieser Welt rechtfertigt.“

Anna Katharina Fröhlich konfrontiert ihre Protagonistin Martha durch eine eigentliche Schule des Sehens mit den Untiefen des Lebens. Einziger Leuchtturm ist Salvatore Spinelli, ein Mann, der sich aus allem herauszuhalten scheint, es aber versteht, den kleinen Geheimnissen des Lebens gegenüber offen zu sein. Ein Mann, der sich der Moderne verweigert. Ein Mann sich in einer Unmittelbarkeit dem Leben stellt, die ihn seltsam fremd und dafür umso faszinierender macht.

Anna Katharina Fröhlich, 1971 geboren, wuchs in Frankfurt a. M. und München auf. Sie veröffentlichte bisher die Romane «Wilde Orangen», «Kream Korner», «Der schöne Gast» und «Rückkehr nach Samthar». Zuletzt erschien ihr Roman «Die Yacht» in der Friedenauer Presse. Sie lebt als Gärtnerin und Vorstandsmitglied des italienischen Verlags Adelphi zwischen Mornaga am Gardasee und Mailand.

Beitragsbild © privat