Peter Höner «Rocha Monte», Septime

Peter Höner zu Gast im Literaturhaus Thurgau

Zwanzig Jahre lang bleibt Aurélio Fuertes der Wächter eines verlassenen Hotels. Während dieser Zeit verliert der Mann fast alles, nur seine Prinzipien nicht. Peter Höners Roman ist die faszinierende Geschichte des Verschwindens. Aber auch eine Parabel über den Zustand der Welt.

Leben Sie Prinzipien? Halten sie sich an Dinge, die Sie einstmals versprachen? Wenn es mit Prinzipien und Versprechen so steht wie mit den „ewigen Treueschwüren“, bis dass der Tod sie scheide, dann sind Menschen, die sich bis zur letzten Konsequenz an ihre Prinzipien, ihre Versprechen halten, wohl eher eine Ausnahme. Wer will sich schon festlegen. Mal schauen, ob sich der Wind nicht dreht. Was geschieht mit Menschen, die mit absoluter Konsequenz festhalten, die nichts und niemand erweichen kann? Sind das Helden oder nicht einfach unsäglich sture, unflexible Zeitgenossen? Leben wir doch in einer Welt, die uns an Flexibilität alles abverlangt. Was heute zählt, wichtig ist, unumgänglich, unumstösslich, ist übermorgen vielleicht schon kalter Kaffee.

Peter Höner erzählt in seinem Roman „Rocha Monte“ die Geschichte eines Unerschütterlichen. Aber Peter Höner erzählt auch die Geschichte vom Verschwinden, eines Mannes, der sich zuerst gegen das Verschwinden eines Traumes wehrt, einer Hoffnung, eines Versprechens. Vom Verschwinden der Liebe, Freundschaft. Und am Schluss verschwindet er selbst. Wobei auch die Raupe verschwindet, die Puppe mit einem Mal leer ist und der Schmetterling ausgeflogen.

Aurélio Fuertes ist Haustechniker im Hotel Rocha Monte, dem ersten Haus auf dem Archipel, hoch über dem Meer mit Aussicht auf die Vulkanlandschaft der Insel. Doch schon nach seiner ersten Saison droht dem Hotel das Aus, oder zumindest umwälzende Veränderungen, denn das Hotel wurde an einem Ort gebaut, an dem während 220 Tagen im Jahr der Nebel hängt, auf einer Insel, auf der sonst eigentlich fast jeden Tag während einiger Stunden die Sonne scheint. Während einer „feierlichen“ Übergabe verpflichtet man Aurélio Fuertes bis zur Neueröffnung mit anderm Besitzer mit Unterstützung des Chauffeurs José Dante Barosa auf das Anwesen aufzupassen. Und weil Aurélio glaubt, als Haustechniker in dem Hotel seine Lebensstelle gefunden zu haben, ein sicheres Fundament für seine Frau und seine beiden Kinder, nimmt er den Auftrag an, verspricht, so lange zu bleiben, bis die Tore wieder öffnen, so lange die Haare nicht mehr zu schneiden, bis wieder Leben in die Mauern des Luxushotels einkehrt. Aber aus Monaten werden Jahre, aus Jahren Jahrzehnte. Zu Beginn feiert man ihn noch als standhaften Helden, auch wenn seine Frau Lucia, schwanger mit dem dritten Kind, der Standhaftigkeit ihres Mannes nichts abgewinnen kann.

Peter Höner «Rocha Monte», Septime, 2023, 264 Seiten, CHF ca. 29.90, ISBN 978-3-99120-020-8

Aurélio merkt sehr bald, dass das Hotel nicht nur am falschen Ort, sondern auch mit einem ganzen Arsenal an Fehlplanungen gebaut wurde. Rechnungen wurden nicht bezählt, Gläubiger vertröstet, bis er mit Hilfe der ehemaligen Rezeptionistin Immaculata herausfindet, dass es nur schon wegen der angehäuften Schulden unwahrscheinlich sein wird, dass jemals wieder solvente Gäste die Zimmer beziehen. Aber Aurélio hat ein Versprechen gegeben. Ein Versprechen, den damaligen Betreibern gegenüber, ein Versprechen gegenüber seiner Familie und Verwandtschaft, aber vor allem ein Versprechen sich selbst gegenüber. Aurélio wird zum Wächter eines dahinsiechenden Betonkolosses. Nach und nach wenden sich die Menschen von ihm ab, heissen ihn stur, unnachgiebig, verbohrt. Irgendwann lässt sich gar Lucia von ihm scheiden, verwehrt ihm den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern. Schlussendlich verlässt ihn sein Gefährte José mit seiner Frau Pineda. Was ihm bleibt, ist das Haus, seine Pflanzen, die Musik und sein Hund Kuno. 

Zwei Jahrzehnte lang haust der Mann in dem feuchten Betonhaufen, stemmt sich mit all seiner Kraft dem totalen Zerfall des Hauses entgegen, bleibt seinem Versprechen treu. Bis auch Kuno, der Hund, stirbt und Nevio, der Sohn, der heimlich mit ihm Kontakt hielt, von der Insel wegzieht. Bis er mehr und mehr in den Mauern, zwischen den wuchernden Pflanzen entschwindet und eines Tages ganz.

der Autor auf Recherchereise

Es gibt dieses Hotel auf den Azoren, das Hotel Palace. Peter Höners Roman ist gespickt mit Seiten aus den fiktiven Aufzeichnungen von Aurélio Fuertes, Aufzeichnungen, die dem Roman etwas ungeheuer Authentisches geben. Man spürt die Faszination dieses Ortes, die auf den Schriftsteller übergesprungen sein muss. Aber nicht jene des Ortes, sondern jener der Person des Wächters. Zum einen die Faszination einer vielleicht aussterbenden Gattung Mensch, jener, die um jeden Preis den Prizipien treu bleibt. Die Faszination des Eigenbrötlers, denn die Geschichte hat etwas robinsonhaftes. Aurélio lässt sich auf eine verlassene Insel abdrängen. Ein Hund, seine Pflanzen, seine Bücher und die Musik sind seine letzten Begleiter.

Man liest dieses Buch gleichsam fasziniert und atemlos. Peter Höner ergründet kein Geheimnis. Aber er wird zum feinsinnig, stillen Begleiter eines Menschen, der sich nicht abbringen lässt. Die Art seines Erzählens ist gezollter Respekt. „Rocha Monte“ ist ein unaufgeregtes Meisterwerk!

Peter Höner, geboren 1947 in Eupen/Belgien, freischaffender Schriftsteller und Schauspieler, lebt und arbeitet auf dem Iselisberg im Kanton Thurgau. Nach Schauspielstudium und verschiedenen Enngagements als Theaterautor, Regisseur und Schauspieler und einem vierjährigen Afrikaaufenthalt veröffentlichte Peter Höner Romane, Theaterstücke und Hörspiele. Seit 2004 wohnhaft auf dem Iselisberg. Auf dem Iselisberg gründete er zusammen mit der Schriftstellerin Michèle Minelli die Schreibwerkstatt Schreibwerk Ost.

«Kenia Leak», Rezension auf literaturblatt.ch

„HG NEUNZEHN Der sonderbare Ausflug des Salvador Patrick Fischer in die analoge Welt“, Rezension auf literaturblatt.ch

Webseite des Autors

Die Gäste im Literaturhaus Thurgau von September bis Dezember 2023

Liebe Freundinnen und Freunde des Literaturhauses Thurgau, liebe Literaturinteressierte, liebe Leserinnen und Leser dieser Webseite

Mein letztes Programm für das schmucke Literaturhaus am Seerhein, wo ich während dreieinhalb Jahren das Programm gestalten durfte. Schon jetzt melden sich erste Vorboten der Wehmut, weil sich gewisse Arbeiten bereits nicht mehr wiederholen werden. Intendant dieses Hauses zu sein, bedeutet mir sehr viel. Vor vier Jahren wurde ich telefonisch angefragt und es war, als hätte man mich mit einem übergrossen Geschenk beehrt. Eine Aufgabe, in die ich hineinwachsen musste, die mir ganz und gar entsprach; Gastgeber im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben.

Am Samstag, 2. Dezember, 18.00 Uhr: „Frei(ab)gang“ Gallus Frei-Tomic verabschiedet sich mit Gästen: Alice Grünfelder, Urs Faes und die Musiker Christian Berger und Dominic Doppler

In den 40 Monaten unter meiner künstlerischen Leitung werden es 86 Veranstaltungen, rund 120 Künsterinnen und Künstler, Stipendiatinnen und Stipendiaten und Gäste in der Wohnung des Literturhauses, die das Leben in den obersten beiden Stockwerken des Literaturhauses ausmachten, gewesen sein. Lesungen, Performances, Ausstellungen, Konzerte, Diskussionen, Vorträge – ein reiches Programm. 

Im letzten Monat meiner Amtszeit lade ich alle Freundinnen und Freude, alle Zugewandten zu einer ganz besonderen Abschiedsveranstaltung ein.

Gäste sind:

Alice Grünfelder, aufgewachsen in Schwäbisch Gmünd, studierte nach einer Buchhändlerlehre Sinologie und Germanistik in Berlin und China. Sie war Lektorin beim Unionsverlag in Zürich, für den sie unter anderem die Türkische Bibliothek betreute. Seit 2010 unterrichtet sie Jugendliche und ist als freie Lektorin tätig. Alice Grünfelder ist Herausgeberin mehrerer Asien-Publikationen und veröffentlichte unter anderem Essays und Romane. Sie lebt und arbeitet in Zürich. Im Gepäck ihr 2023 erschienener Roman „Ein Jahrhundertsommer“.

Urs Faes, aufgewachsen im aargauischen Suhrental, arbeitete nach Studium und Promotion als Lehrer und Journalist. Sein literarisches Wirken begann er als Lyriker, in den letzten drei Jahrzehnten sind indes eine Vielzahl von Romanen entstanden. Sein Werk, fast ausschliesslich bei Suhrkamp erschienen, wurde mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Schweizer Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. 2010 und 2017 war er für den Schweizer Buchpreis nominiert. Heute lebt Urs Faes in Zürich. Urs Faes nimmt sein neustes Manuskript mit, das in Teilen in Gottlieben entstanden ist.

Christian Berger (Gitarren, Loop, Electronics, Büchel, Sansula, Framedrum) und Dominic Doppler (Schlagzeug, Schlitztrommel, Perkussion, Sansula), zu zweit «Stories», Musiker aus der Ostschweiz, besitzen die besonderen Fähigkeiten, sich improvisatorisch auf literarische Texte einzulassen. Schon in mehreren gemeinsamen Projekten, zum Beispiel mit jungen CH-Schriftstellerinnen und ihren Romanen oder internationalen LyrikerInnen mit lyrischen Texten, bewiesen die beiden auf eindrückliche Weise, wie gut sie mit ihrer Musik Texte zu Klanglandschaften weiterspinnen können.

Abgerundet wird die Veranstaltung durch einen reichen Apéro. Ein Anmeldung ist unbedingt erwünscht!

Peter Höner «HG NEUNZEHN Der sonderbare Ausflug des Salvador Patrick Fischer in die analoge Welt», Edition Howeg

Der neue Roman „HG NEUNZEHN Der sonderbare Ausflug des Salvador Patrick Fischer in die analoge Welt“ von Peter Höner ist ein gewagter, frivoler und sehr eigenwilliger Roman eines Autors, der sich weder schubladisieren noch von den gegenwärtigen Strömungen beirren lässt. Ein irisierendes Kunstwerk, das tut, was nur Kunst kann; imaginieren!

Salvador hat die Pflichtschulzeit hinter sich und erst einmal genug von Zwängen, Stundenplänen und Pflichten. Er sitzt zuhause in seinem Zimmer, nur durch eine Tür von seiner Mutter entfernt und huldigt seiner Spielleidenschaft an Tastatur und Konsole. Bis sich HG neunzehn meldet, die Stimme aus dem Off, und ihn nach Frankreich auf ein Schloss lockt. Eine Reise beginnt, eine Reise zwischen die Wirklichkeiten.

Dem Roman vorangestellt ist die Frage «War ich jemals wirklich wach?». Liest man Peter Höners neusten Roman mit dieser Frage im Kopf, ist der Text genau das: die dauernde Suche nach den Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen analog und digital, zwischen real und künstlich. Salvador, der Gamer, hat ganz offensichtlich Mühe, die verschiedenen Welten auseinander zu halten. Sind es Traumzustände, die ihn halluzinieren lassen oder spielt die Realität Katz und Maus mit einem der nicht mehr zu unterscheiden weiss? Wer ist der geheimnisvolle Absender HG neunzehn, der stets zu wissen scheint, wo Salvador ist, der ihm stets so viel digitale Brosamen vor die Füsse wirft, dass Salvador die Flinte an diesem rätselhaften Ort nicht ins Korn wirft.

Seltsame Figuren begegnen ihm, ein Schloss voller Figuren, manchmal real, manchmal in seltsamer Ferne, manchmal von einer anderen Welt. Auf dem Nachbargrundstück, das hinter einer hohen Mauer nur durch eine verborgene Lücke zu erreichen ist, tummeln sich noch viel fremdere Gestalten; Kleinwüchsige mit putzigen Kappen, eine junge Frau mit langen, schwarzen Haaren oder grosse Hunde mit rollenden Augen, auf denen man reiten kann.

Nach seinem beim Limmat Verlag erschienen Krimi «Kenia Leak» bewegt sich Peter Höner in einer diametral anderen Ecke des Erzählens. Was im Krimi einer Logik zu folgen hat, sprengt in seinem neuen Roman fast alle Grenzen. Was im Krimi nie über die Grenzen der vorstellbaren Realität hinauswachsen sollte, ist in HG neunzehn völlig losgelassen. Peter Höner fabuliert, schwadroniert und legt ebenso verwirrende Fährten wie HG neunzehn mit seiner digitalen Schnitzeljagd. Wer bereit ist, sich bei seiner Lektüre auf ein Abenteuer einzulassen, ist bestens unterhalten, reichlich belohnt.

Peter Höner schwelgt in Bildern, so als hätte er für dieses Buch allein einer Gamewelt erschaffen; klar realistisch erscheinende Bilder, die sich mehr und mehr von der Wirklichkeit entfernen. Nicht einmal die Grenzen des Lebens, das Sterben und der Tod sind für diesen Ritt von einem «Level» zum nächsten unüberwindbar. Es wird in kleinen und grossen Toden reichlich gestorben, üppig und cineastisch. Da stellt sich die Frage durchaus, ob man je wach war, er während des Schreibens, ich während des Lesens, wir während des Lebens. Aber Literatur soll und muss sich nicht begrenzen lassen, darf Grenzen lustvoll überschreiten. Und das tut Peter Höner in jugendlicher Frische, als hätte er in dieses Buch alles hineinbringen wollen, was er schon längst einmal beabsichtigte; grenzenloses Sprachspiel.

Ein paar Fragen an den Autor:

In einem Alter, in dem sich andere Autoren in ihrem „Spätwerk“ noch einmal von grossen Gefühlen einholen lassen, tust du das auch. Aber ganz anders. Zumindest ich spüre bei der Lektüre deine Lust, deine Schreibfreude, deinen Schalk und deine Absicht, jetzt erst recht mit der „grossen Kelle“ anzurühren. War dieser Roman auch eine Befreiung?

Die Befreiung besteht wohl in erster Linie darin, dass die Geschichte von Salvador erzählt und geschrieben ist. Ich habe mehr als zwanzig Jahre daran gearbeitet, nicht ununterbrochen, in den zwanzig Jahren sind ja noch andere Bücher entstanden, aber immer wieder, weil mich der Stoff nicht losgelassen hat, weil ich dem Schelm Salvador nicht Meister wurde.

Salvador Patrick Fischer ist jung, hormongesättigt und lebt in einer Welt zwischen Realität und Digitalem. Der Mutter gelingt es längst nicht mehr, den Sohn von der Konsole zu locken. Als Schriftsteller mit Jahrgang 47 nicht unbedingt jene Welt, die man ihm am nächsten stellt. Steckt da eine Spielernatur oder ist dieses Buch nach langer Recherche durch die digitale Welt entstanden?

Vor zwanzig Jahren haben mich die Bilder und Welten der frühen Computerspiele tatsächlich zum Spielen verleitet, ich wollte dahinterkommen, wie so etwas gemacht wird, und ich fand dieses interaktive Geschichtenerzählen so spannend, dass ich es gern beherrscht hätte. Mit ein paar Schriftstellerkollegen habe ich 2002 sogar ein Projekt für die Schweizerische Landesausstellung eingegeben, in dem die Besucher als Avatare mitspielen konnten. Eines der vielen Projekte, das dann aber nicht realisiert wurde.

Noch vor zwei Jahrzehnten hätte ein Buch „Der sonderbare Ausflug in die digitale Welt“  geheissen. Dein Roman ist ein Roadtripp über die Realität hinaus, die Reise eines Nerds weg von der Konsole, begleitet nur von Herbert, seinem personifizierten Mobilephone. Dein Roman ist keine Warnung über die Auswirkungen von Spielsucht oder Weltentfremdung. Was war die Urmotivation, dieses Buch zu schreiben?

1998 besuchte ich meinen Cousin in Frankreich, der sich vorgenommen hatte, einen überwucherten Park eines Schlosses zu restaurieren. Doch  Schloss, Park, Ruinen, Orangerie, alles, was zu diesem Schloss gehörte, waren Träume eines Neureichen, der sich einen Adelssitz bauen liess, um mehr zu scheinen, als er war. – Doch von diesen Scheinwelten zu Salvadors sonderbarem Ausflug gab es mehr als einen Umweg.

So wie die digitale Welt Bilder erzeugt, tat es auch immer wieder die Kunst, die Literatur, die Malerei. In deinem Roman werden sogar Bilder lebendig, so wie „Die Sünde“ von Franz von Strunk, eine Femme fatale mit grossen Augen und viel reizender Haut. Eine Frauenfigur, die dem umherirrenden Salvador Patrick Fischer rätselhafte Begleiterin ist. Du reisst alle Grenzen nieder, machst dich auf in eine Welt zwischen Wachtraum, Realität und Künstlichkeit. Du schreibst auf einem Berg, über allem, mit Sicht bis weit in die Berge. Abgehoben?

Nein, abgehoben ganz bestimmt nicht. Salvador ist weder überheblich, noch besonders brillant, ein Schelm, unerfahren, neugierig und mit einer Aufgabe überfordert, die er erst im allerletzten Moment versteht. Ein Opfer dieses rätselhaften HG 19.

Das Buch ist nicht nur inhaltlich eine Besonderheit, sondern auch optisch und haptisch: Mehrfarbig gesetzt, mit blauer Fadenheftung gebunden, das Cover von einer eigenwilligen Künstlerin (Manuela Müller) illustriert. Warum nicht mehr bei deinem Stammverlag?

Eine der Geschichten, die im Roman vorkommen, wurde schon unter dem Titel „Die indische Prinzessin“ in der Edition Howeg veröffentlicht, da war es naheliegend mit dem Roman bei Thomas Howeg anzuklopfen, gerade weil sein Verlag für Besonderheiten, respektive schöne Bücher, berühmt ist. 

Peter Höner, 1947 in Winterthur geboren, studierte an der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Hamburg, war Schauspieler u.a. in Hamburg, Bremen, Berlin, Basel, Mannheim und Baden. Seit 1981 ist er freischaffender Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur. 1986 bis 1990 Afrikaaufenthalt, 1997 – 2000 Präsident der Gruppe Olten, von 2000 bis 2004 wohnhaft in Wien, seit Mai 2004 wieder in der Schweiz. Autor von Theaterstücken, Hörspielen und Büchern fast ausschliesslich im Limmat Verlag erschienen.

Ich danke der Künstlerin Manuela Müller für die Erlaubnis, das von ihr geschaffene Coverbild verwenden zu dürfen. Webseite der Künstlerin

Webseite des Autors

«Aufs Land gezogen» von Michèle Minelli und Peter Höner auf der Plattform Gegenzauber

Rezension zu «Kenia Leak» auf literaturblatt.ch

Beitragsbild © Sandra Kottonau

literaturblatt.ch an der 1. Kulturnacht Amriswil

Amriswil geht ein Licht auf!

Am 22. September bricht sie an, die 1. Kulturnacht Amriswil. An über dreissig Standorten, in Geschäften, Ateliers, in Galerien, Stuben und Sälen, auf Plätzen und in Kirchen, in Bars und Restaurants pulst Kultur bis in den Morgen. Über dreissig weisse Farbeimer leuchten in dieser Nacht und locken neugierige Amriswiler, wenn Amateure und Vollprofis in Sachen Kultur zeigen, was das Jahr über ihre Seele bewegt. Die weissen Maleimer sind mit Licht gefüllt, wenn sie an Türen, Ampeln, an Wänden und auf dem Boden den Weg weisen. Vielleicht bleibt ja etwas von dem Licht, weil Kultur meist dort geschieht, wo Uhren anders ticken, Pflichten fast verschwinden, das Licht sich anders bricht und wie einst ein Bundesrat feststellt „Freude herrscht“. Vielleicht ist das Licht mehr als ein Schein, sondern ein lebendiger Beweis dafür, dass Amriswil sich mit Recht einst den Slogan gab „Leben mit Kultur“. Die Eimer sind leer, mit Licht gefüllt, das ausfliessen und sich in seine Farben verteilen soll. Amriswil wird am 22. September ein Licht aufgehen!

Peter Höner, Schriftsteller und Schauspieler, liest anlässlich der 1. Amriswiler Kulturnacht aus seinem Krimi „Kenia Leak“ in der Aula der Polizeischule Amriswil. Die Lesung mit Apéro und Büchertisch beginnt um 18.45 Uhr und dauert eine Stunde. Der Eintritt ist kostenlos!

Ein kenianischer Clan, der bis nach Europa operiert, ein blinder, kenianischer Ermittler im Ruhestand mit einer brisanten CD, eine afrikanische Liebesgeschichte in der Schweiz, eine Freundschaft alter Männer, die an den Grenzen der Legalität zu zerschellen droht, ein Flüchtlingsheim, in dem die Hoffnung strandet und veritabler Fremdenhass.

Rezension «Kenia Leak» auf literaturblatt.ch

Webseite des Autors

Lea Frei, angehende Illustratorin, zeigt am Buchladen Brigitta Häderli in Amriswil am 22. September erstmals ihre Schnellporträts von verschiedenen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, gezeichnet am Wortlaut-Literaturfestival in St. Gallen und an den Solothurner Literaturtagen.

Lea Frei wird an diesem Abend nicht nur ihre ausgestellten Zeichnungen präsentieren, sondern weitere Einblicke in ihr Schaffen zeigen und spontan zum Stift greifen. Im zweiten Teil des Abends wird aus verschiedenen Werken der portraitieren Autorinnen und Autoren vorgelesen. Literatur zum Sehen und Hören! Literatur zum Geniessen! für Speis und Trank ist gesorgt!

Webseite von Lea Frei

André David Winter „Immer heim“, edition bücherlese

Bilder, die sich einbrannten. Zu einen das grossformatige Bild „Die Lebensmüden“ von Ferdinand Hodler in der Pinakothek in München. Zum andern die Schlussszenen im Film „Das gefrorene Herz“ mit dem Schauspieler Sigfrid Steiner, der als Korber in Schnee und Eis seine Ruhe findet. André David Winter schrieb mit seinem Roman „Immer heim“ eine Geschichte aus der Vergangenheit, über alte Menschen, „Verwärchete“, die ihren Platz in der Gesellschaft verloren haben.

Dem Roman vorangestellt ist ein Zitat von Novalis „Wohin gehen wir? Immer heim.“ und auf den letzten Seiten angefügt: „Ein grosser Dank geht an Otto S. und René F. für ihre wertvollen Erinnerungen. „Immer heim ist ein Buch der Erinnerungen. Zurückgesetzt in eine Zeit, die längst vergangen scheint, von Menschen, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts gross wurden. Ein Erinnerungsbuch an Schicksale, die noch viel fester mit der Natur und den Mühen der Arbeit verflochten waren, ein Erinnerungsbuch zwischen dem verklärten Blick eines Ankerbildes und der entblössenden Strenge eines Ferdinand Hodlers.

Joseph Bitzi wird nach einem Leben als Knecht vom Hof der Mugglis gegen seinen Willen ins Heim geschickt. Dem Jungbauer war der knorrige, eigenwillige Knecht mehr Last als Kraft und so schnell entsorgt. Aber was tut ein Mann, der ein Leben lang mit seinen Händen anpackte mit einem verordneten Leben im Ruhestand? Unter all den anderen Alten, die nur noch warten, auf das nächste Essen, die Schwester, den Besuch, die Nacht, den Schlaf, den Tod? Einer von denen werden, die sich abgefunden haben und vor sich hin dämmern?

Joseph bäumt sich auf. Er hat einen Plan. Nachdem er ein Leben lang einstecken musste, soll das letzte Stück nach seinem Sinn verlaufen. Er, den man nicht erst jetzt nicht mehr will, bäumt sich auf, stellt sich quer.

“Manchmal fragte er sich, ob nicht alle, die hier wohnten, weggeworfen worden waren wie er.“

Aus dem Aufbäumen des ausrangierten Knechts wird eine richtige Bewegung. Der stumme Alfred, sein Zimmergenosse, den Parapluie, der einst als Schirmflicker von Haus zu Haus hausierte, die böse Anni, die uralt noch immer nachts im Traum schreit aus Angst, ihr Mann komme sie holen, oder Rottannli, den ehemaligen Knecht und Melker, der von Stimmen heimgesucht wird und am liebsten sein Leben mit Feuer löschen würde. Sie alle wachen noch einmal auf, ergeben sich nicht.

“Ihr müsst uns beschäftigen, sonst beschäftigen wir euch.“

Auch Geld hilft ihm, Geld, von dem er wusste, das nie gebraucht wurde, das versteckt auf dem dahinsiechenden Hof liegt, auf dem er zur Welt kam, Geld, das ihm Kraft und Macht geben würde, auch über die Lästerer im Gasthaus im Dorf, die nur darauf warteten, ihn noch einmal und noch einmal mit ihrem Lachen durch den Dreck zu ziehen.

Joseph, dem es in seinen unglücklichen Liebesgeschichten nie gelang, sich als der zu zeigen, der er war, der als Knecht immer Knecht blieb, mischt als „Verwärcherter“ ein Altenheim auf. Mag sein, dass die Szenerie manchmal hart an der Grenze zur Glaubwürdigkeit schrammt. Aber genau das darf Literatur. Literatur muss nicht abbilden, darf Geschichten erzählen. Und André David Winter tut dies mit kräftigen Farben und klaren Strichen.

André David Winter liest am 30. November 2018 an einer „Ofenlesung“ im Haus der Schriftstellerpaars Michèle Minelli und Peter Höner in Iselisberg bei Frauenfeld TG. Weitere Informationen folgen!

André David Winter, geboren 1962 in der Schweiz. Seine Kindheit verbrachte er bis zum achten Lebensjahr in Berlin. Mit vierzehn verlor er seine Mutter. Nach Abbruch einer Lehre arbeitete er auf Bauernhöfen in der Schweiz und in Italien. Es folgten die Ausbildung in der Psychiatrie und die Arbeit in der Notschlafstelle und in einem rumänischen Kinderheim. 2008 erschien sein Roman „Die Hansens“ im Bilger Verlag, 2012 folgte „Bleib wie du wirst. Deine Demenz, unser Leben“. In der edition bücherlese erschien 2015 der Roman „Jasmins Brief“.

Titelbild: „Die Lebensmüden“, 1892, Ferdinand Hodler, Ausschnitt

„Die Magie des ersten Satzes“ – eine Matinee

Eine literarische Matinee mit acht Autorinnen und Autoren. Kuratiert von Peter Höner und Michèle Minelli.

Die Magie des ersten Satzes. Welches Geheimnis verbirgt er? Wann wird ein Anfang zu einer guten Geschichte? Womit weckt eine Figur vom ersten Auftritt an Interesse? Wie entstehen aus Worten Welten?

Tobias Bonderer, Veronika Bucher, Heike Felber, Hansjürg Geiger, Diana Krüger, Manuela Müller, Johannes Nolte und Roli Trümpi wagen den Sprung ins leere Blatt.

Eine literarische Matinee, die den Anfang ins Zentrum rückt. Lesungen, Intermezzi, Gespräche kuratiert von Peter Höner und Michèle Minelli, Schreibwerk Ost.

Sonntag, 18. Februar, von 10.30 bis 13 Uhr im Bodman-Literaturhaus in Gottlieben TG!

www.schreibwerk-ost.ch

Peter Höner „Kenia Leak“, Limmat

Ein kenianischer Clan, der bis nach Europa operiert, ein blinder, kenianischer Ermittler im Ruhestand mit einer brisanten CD, eine afrikanische Liebesgeschichte in der Schweiz, eine Freundschaft alter Männer, die an den Grenzen der Legalität zu zerschellen droht, ein Flüchtlingsheim, in dem die Hoffnung strandet und veritabler Fremdenhass.

Peter Höner ist Wiederholungstäter. „Kenia Leak“ ist der fünfte Teil einer Krimireihe um Jürg Mettler, ehemaliger Hotelier in Afrika, heute Dolmetscher im nahen Flüchtlingszentrum und Robinson Njoroge Tetu, einen kenianischen Ermittler im Ruhestand. Die beiden hatten sich nach ihrem letzten ermittlerischen Debakel aus den Augen verloren. Und nun, nach 20 Jahren, taucht Tetu zusammen mit seiner Enkelin auf, um sich mit Mettlers Hilfe von seinem Augenleiden zu befreien. So plötzlich, aus dem Nichts, obwohl Tetu genau dieses Angebot Jahrzehnte ablehnte. Die Ahnung Mettlers bestätigt sich bald. In Tetus Gepäck sind 4 CDs, die die schmutzigen Geschäfte eines der wichtigsten Clans in Kenia dokumentieren sollen. Daten, die in die Hände,der Richtigen kommen sollen, Daten, die den Clan des kenianischen Finanzministers Kimele endlich in die Knie zwingen sollen. Aber die Ungeduld der beiden alten Männer und die Tatsache, dass auf den Namenslisten in den Dateien auch Mettlers Name auftaucht, sähen Gift in die so schon fragile Altmännerfreundschaft – und rufen die langen Arme des Clans auf den Plan. Und als Naomi, Tetus Enkelin, mehr als nur ins Visier der Schergen des Clans gerät und Moody, Mettlers Enkel in Liebe entbrannt, die Fassung verliert, droht die Situation zur ausgewachsenen Katastrophe zu werden.

Endlich hob Mettler den Kopf und sagte: „Ich habe nichts damit zu tun.“ „Das ist immer die erste Antwort“, stöhnte Tetu. „‚Ich habe damit nichts zu tun‘ war schon immer der erste Schritt zum Geständnis.“

Bei der Buchpremière gefragt, warum es denn ein Krimi sein müsse, erzählte Peter Höner, er habe mit dem ersten seiner Krimis ein interkulturelles Ermittlerpaar erfinden wollen. Damals habe er als Begleitung seiner Frau, die Korrespondentin in Kenia war, in diesem Land gelebt und sah am Strand all die Touristen, die Krimis lasen, die mit dem Land und dem Sand, auf dem sie lagen, so gar nichts zu tun hatten. Genau das macht den Reiz dieses gut inszenierten Krimis aus. Peter Höner spielt mit den kulturellen Gegensätzen, mit zwei komplet verschiedenen Wahrnehmungen und Perspektiven. Tetu ist konservativ, straforientiert, Mettler viel eher der Psychologe. Tetu versteht die Welt in der Schweiz nicht, weder die Kamele, die durch die Weinberge schreiten noch das satte Grün links und rechts der Autobahnen und all das Brennholz für das sich niemand zu interessieren scheint. Aber er versteht auch seine Enkelin nicht, die in diesem Land innert Tagen zu vergessen scheint, woher sie kommt. Und er versteht die Menschen im Asylzentrum nicht, die den ganzen Tag warten und nicht sind, wo man sie brauchen könnte. Und Mettler versteht die Welt nicht mehr, die plötzlich Kopf steht und die Idylle im Haus über der Thur, zwischen Rebbergen und sanften Hügelzügen durcheinander bringt.

Peter Höners Krimi ist kein Buch, das Missstände aufdeckt oder Blut in Strömen fliessen lässt. Peter Höners Krimi lebt von der Psychologie, der Dramaturgie und den Dialogen, denen man sehr wohl anmerkt, dass der Autor über Jahrzehnte auf der Bühne agierte. Sympathisch werden die beiden alten Ermittler darum, weil ihnen der Fall schnell über den Kopf wächst, weil sämtliche Fälle in den fünf Krimis stets eine Nummer zu gross waren. Zu gross, um wirklich als Sieger aus einer Ermittlung aufzutauchen.

In Zeiten von Panama-Leak und den Paradise Papers aktueller denn je!

Peter Höner, geboren 1947 in Eupen, ­aufgewachsen in Belgien und der Schweiz, Schauspielstudium in Hamburg und Schauspieler u. a. in Basel, Bremen und ­Berlin. Seit 1981 freischaffender Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur, 1986 – 1990 Afrikaaufenthalt. Autor von Theaterstücken, Hörspielen und Büchern. Lebt und schreibt zusammen mit seiner Frau Michèle Minelli.

Webseite des Autors 

Titelbild: Aus dem Manuskript des Autors

Krimi-Vernissage «Kenia Leak» von Peter Höner, Limmat

31. August, 2017, 19.30 Ihr: Lesung und Gespräch mit dem Schriftsteller Peter Höner und seinem Verleger Erwin Künzli in der Kantonsbibliothek Frauenfeld, an der Promenadenstrasse 12. Der fünfte Fall des Ermittlerduos Mettler und Tetu.

Damit hat Jürg Mettler nicht gerechnet. Sein Freund Tetu, der pensionierte und erblindete Polizist aus Kenia, kommt zu Besuch. Er will in der Schweiz seine Augen operieren lassen. Ein Vorwand. Was will der Alte wirklich?

Eine alte Freundschaft auf dem Prüfstand

Nach zwei Wochen, als er wieder sehen kann, gesteht ihm Tetu endlich den wahren Grund: Ihm ist eine heisse CD zugespielt worden, auf der offenbar Belastendes über den Clan des kenianischen Finanzministers Kimele gespeichert ist. Tetu braucht die Hilfe seines Freundes. Aber warum lässt der Rentner nicht einfach die Finger davon? Schon einmal hatten die beiden gegen Kimele ermittelt und es nur knapp überlebt. Widerwillig lässt sich Mettler, der heute als Betreuer Asylsuchender arbeitet, darauf ein. Als erstes stossen sie auf Dokumente, die ausgerechnet Mettler in ein schiefes Licht rücken. Dieser behauptet, die Dateien seien gefälscht. Aber woher hat Mettler das Geld, mit dem er sich das Haus auf dem Iselisberg gekauft hat? Tetus Misstrauen dem ehemaligen Freund gegenüber wächst mit jedem Erklärungsversuch Mettlers. Auch mit der Technik sind die alten Herren überfordert, und so weiss Kimele schon bald, wo er seine Daten suchen muss…

«Dieser fünfte Krimi ist zugleich mein persönlichster – spielt er doch auf dem Iselisberg, wo ich zuhause bin.» 

«Seit bald dreissig Jahren begleiten mich die Figuren Mettler und Tetu. Als mein alter Ego entstand zwischen 1986 und 1999 der Privatdetektiv Jürg Mettler, der gemeinsam mit dem Polizeichef von Lamu, Robinson Njoroge Tegu, in drei Romanen auftritt. Nicht immer einer Meinung und auch nicht als Partner. Trotzdem würde zumindest Mettler behaupten, der Kenianer sei sein Freund. Nun sind beide alt geworden und ihre Geschichte spannt sich über fünf Romane, und darum ist dieser letzte Kriminalfall, der Tetu in die Schweiz lockt, denn auch mehr als ein Krimi. Er wird überdies zu einer Familiensaga – drei Generationen Mettler – und zur Geschichte einer aussergewöhnlichen Freundschaft.»

Aus Winterthur, geboren 1947, Schauspielstudium an der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Hamburg, Schauspieler u.a. in Hamburg, Bremen, Berlin, Basel, Mannheim und Baden. Seit 1981 freischaffender Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur. Von 1986 bis 1990 Afrikaaufenthalt. 1997 – 2000 Präsident der Gruppe Olten. Von 2000 bis 2004 wohnhaft in Wien, seit Mai 2004 wieder in der Schweiz. Autor von Theaterstücken, Hörspielen und Büchern.

Michèle Minelli & Peter Höner „Aufs Land gezogen“

Dialoge

1 Aufs Land gezogen

Grauenhaft, dieses Wetter. Hochnebel, Regen, ein eisiger Wind. Und das schon den dritten Tag.
Stinklaune?
Ach, was. Stinklaune, Stinklaune. Mir fällt die Decke auf den Kopf.
Kino? – Wir könnten ins Kino gehen. Ins „Luna“ kann man immer, die zeigen nur gute Filme.
Ach ja?
Wir waren schon Ewigkeiten nicht mehr im Kino.
Kino. – Und nachher liegt Schnee, und die Strassen sind vereist.
Seit wann hast du Angst vor dem Winter?
Hab ich nicht. Trotzdem. Das geht nicht.
Warum nicht?
Sommerreifen.
Was, Sommerreifen?
Sommerreifen. Und dann kommen wir hier nicht mehr hoch.
Du wirst doch nicht, ich meine… Du fährst immer noch mit Sommerreifen? Bist du blöd, vor einem Monat habe ich dir gesagt, du sollst die Reifen wechseln…
Nun schrei hier nicht rum. Letzten Winter gab es nicht einen Tag, an dem wir Winterreifen gebraucht hätten.
Dann nehmen wir den Bus.
Nach dem Kino kannst du fast zwei Stunden warten, in einer Beiz neben dem Bahnhof, Soldaten und Besoffene, Rentner mit ihren Geschichten, die kaum auszuhalten sind, Ausländer …
Du solltest dich einmal hören…
Was sollte ich?
Ja, du solltest dir einmal zuhören müssen, was für einen Stuss du daher schwafelst. Hock dich an einen Stammtisch, im Frohsinn, in der Traube, im Hecht. Vom Wetter zu den Ausländern! Da bist du zumindest in Gesellschaft.
Du weisst genau, dass wir mit Sommerreifen… Das Risiko ist einfach zu gross. Und: Einen ganzen Abend unter Leuten ohne ein Bier, ein Glas Wein, ohne einen Schnaps, das hält man doch gar nicht aus.
Man?
Und dann stehen wir da kurz vor Mitternacht an der Abzweige und haben noch einmal eine halbe Stunde, bis wir zu Hause sind. Ich meine, damit wird das ganze Elend ja geradezu auf die Spitze getrieben. Im Kino friert man, weil es schlecht besucht ist, und sie an Heizung sparen, oder man sitzt neben jemanden, der ohne Schirm durch den Regen gelaufen ist. Und dann immer diese Pause, entweder soll ich ein Eis fressen oder ihren billigen Wein trinken, das hat doch keine Atmosphäre, auf jeden Fall, nachdem sie diesen schrecklichen Neubau gleich nebenan hochgezogen haben. Und immer kennt man jemanden, mit dem man reden sollte. Ich will doch nicht reden müssen, wenn ich nichts zu sagen habe. Übers Wetter? Über den Film? Sicher nicht. Dass sie nichts verstehen, merkt man ja schon an ihren Reaktionen, wo und warum die Leute immer lachen, das möchte ich auch gerne einmal wissen. Ich meine, dieses ländliche Publikum. Die lachen doch immer an den falschen Stellen. Wenn überhaupt. Wo sie nichts verstehen, über Dinge, von denen sie keine Ahnung haben. Dafür umso lauter. Als müsste ihr Lachen Verstärkung einfordern. Es gibt eben keine Filme über Traktoren, Düngemittel und Zuckerrüben. Gibt es nicht. Und die Stadt. Wie, wo oder was? Was ist eine Stadt? Einmal im Jahr Konstanz und einmal Winterthur. Bertheli habe ich gefragt, wann sie das letzte Mal in Zürich war? Zürich? Hat sie gefragt? Was soll ich denn in Zürich? – Haben wir eigentlich noch Schokolade?
Schokolade? Hast du vergessen, dass wir einen Garten haben?
Ich kann doch nicht, immer nur Quitten… Roh gelten sie sowieso für ungeniessbar. – Was ist jetzt? Gehen wir jetzt ins Kino, oder willst du hier versauern?
In ein Auto ohne Winterreifen? Ohne mich, da setz‘ ich mich nicht rein. – Überhaupt hast du das Wasser abgestellt, die Leitungen geleert, sind die Dachfenster zu? Das letzte Mal hat es voll in meine alte Schallplattensammlung geregnet. Ist der Sonnenschirm im Haus, die Gartenstühle? Die neuen Tulpenzwiebeln sind auch noch nicht im Boden. Und hast du nun endlich meinen Löwenzahnstecher gefunden. Ein Glück gibt es dieses Jahr keine Nüsse…
Kino, Sommerreifen, Wintergemüse! Vergiss es. Los komm! Annis Rinder sind wieder einmal durch den Hag in unseren Garten gebrochen.

2 Besuch

Wie schön ihr es hier habt! So ein prächtiger Garten! Und dann diese Aussicht!
Naja, das Restaurant ist öfter geschlossen als offen.
Wie meinst du?
Das Restaurant. Die Aussicht. Sie ist nur an knapp drei Tagen die Woche geöffnet.
Aber ihr ernährt euch doch ohnehin aus dem eigenen Garten? Also wenn ich einen solchen Garten hätte – schau nur, das Werk lobt seinen Schöpfer!
Ist das ein Zitat?
Wie du willst. – Ich habe noch nie so dralle Tomaten gesehen. Und das im November. Ein Wunder.
Ah, die Tomaten. Das war ein Kampf, sag ich dir, zuerst die Rinder, die durch den Zaun brechen, und dann die Braunfäule…
Oh, und diese Feigen! Da nehme ich mir gleich zwei, gell, ich darf mich doch bedienen? Feigen, das ist ja das reinste Paradies hier!
… hat fast alles befallen.
Was seh ich da: Letzte Himbeeren! In dieser Jahreszeit!
Ja. Himbeeren im November.
Das wäre doch ein wunderhübscher Buchtitel? Himbeeren im November. – Hier oben schreibt sich bestimmt ganz herrlich. All die kleinen Plätzchen…
Die gejätet werden müssen.
… die ihr habt. Die hat alle Peter gemacht, ja? Die Trockenmäuerchen, die lauschigen Eckchen, die poetischen Nischen?
Äh, nein, ich werkle da…
Ein Multitalent!
… wacker mit.
Wo man hinblickt, ist Idylle. So, so schön, dass du es so schön hier hast, Michèle, macht mich ganz froh. Du schreibst bestimmt in einem Mordstempo an deinem nächsten Roman, das kann ich gut verstehen, bei dieser Lage, dieser Stimmung, da kommt man unweigerlich in den Flow, das flutscht doch nur so hier, sieh nur, dort drüben das Abendrot, nein, wie schön aber auch, einfach nur schön, sag ich.
Hm, schön schon, ja.
Wann bist du fertig?
Womit? Dem Abräumen im…
Deinem Roman, womit denn sonst?
… Garten?
Garten? Einen Gartenroman! Wie schön, wann feierst du Vernissage, wann kann ich es lesen?
Lesen? Ich weiss nicht.
Wie, du weißt nicht? Wie heisst es denn, das neue Werk?
Hm. Lass mich überlegen.
So schön hier!
Vielleicht nenne ich es….
Gell, ich darf doch noch einmal, die schmecken alle so köstlich!
… Himbeeren im November.

3 Sonntag früh im Bett

Komm, machen wir das Fenster auf.
Hmm?
Hörst du den Regen?
Wmkissen?
Küssen?
Wo ist mein Kissen?
Warte, ich werde dein Kissen sein. So. Liegst du gut?
Hmm.
Hörst du wie er prasselt?
Ichhrnero.
Hm?
Ich höre nur Nero.
Ach der. Lass doch den Stier.
Sinddkatzndrn?
Hm?
Sind die Katzen drin?
Hm, hab sie vorhin gesehen, als ich aufs Klo ging. Alle drei.
Wmstduheute?
Hm?
Was machst du heute?
Heute?
Schreibst du?
Jetzt liege ich erst noch ein bisschen.
Schrbnleben.
Hm?
Wir wollten doch fürs Schreiben leben?
Ja, schon, aber… Hörst du, wie schön der Regen prasselt?
Michèle Minelli, geb. 1968 in Zürich, freischaffende Schriftstellerin, lebt und arbeitet auf dem Iselisberg. Verschiedene Auszeichnungen und Stipendien. Zuletzt erschienen „Die Verlorene“, ein historischer Roman über das Leben der Thurgauerin Frieda Keller, Aufbau Verlag 2015. 2017 erscheint die Publikation „Schreiblexikon, das:“, für das Minelli zusammen mit Peter Höner als Herausgeber zeichnet.
Peter Höner, aus Winterthur, geboren 1947 in Eupen/Belgien, freischaffender Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur, lebt und arbeitet auf dem Iselisberg im Kanton Thurgau. 2017 erscheint im Limmat Verlag der fünfte und letzte Kriminalroman Kenia Leaks mit den beiden Ermittlern Mettler und Tetu. Und der Schelmenroman Der seltsame Ausflug des Salvador Patrick Fischer in die analoge Welt.

Schreibwerk Ost «Schreiblexikon, das», Michèle Minelli & Peter Höner

Schreiben ist keine Glücksache. Schreiben muss mit Sicherheit Talent sein, vorallem dann, wenn das Geschriebene verkauft und gelesen werden soll. So schiessen Schreibstuben wie Pilze aus dem Boden. Solche, die in blumigen Versprechen den Erfolg versprechen. Als wäre ein Buch zu schreiben nur eine Frage der richtigen Einstellung und dem entsprechenden Support.

«Schreibwerk Ost» nennt sich, was sich hoch über der Thur auf dem Iselisberg zusammen mit den Schriftstellern Michèle Minelli und Peter Höner formierte. Ein Schriftstellerpaar, das nicht bloss einfach sehnsüchtig Schreibende zu SchriftstellerInnen machen will, sondern das Schreiben institutionalisieren. Zwei Engagierte, die keine falschen Versprechungen machen! Entstanden ist dabei nicht nur eine Startrampe für das eigene Schreiben, sondern ein Buch über das Schreiben. 680 Begriffe sollen zeigen, wie das Autorenleben wirklich ist. «Das Schreibuniversum von A bis Z. Schlicht alles, was es braucht, um glücklich zu sein.»

Buchdeckel, der: Der Name ->Name B. ist eine Aufforderung zur Rebellion. Dieser Deckel will geöffnet werden. Peter Höner

Schreiben ist Privatsache. Aber einmal geschriebene Texte grösstenteils nicht mehr, ausser sie sind unter Verschluss. Texteaber sind der Öffentlichkeit ausgesetzt. Schreibwerk-Ost zeigte, wie Texte entstehen, worauf sie gründen, was sie wollen. 20 Frauen und ein Mann stellten zum einen eigene Texte aus ihrem eigenen Schaffen vor, Texte, die an diesem Sonntag direkt entstanden und das Buch «Schreiblexikon, das», das von Michèle Minelli und Peter Höner herausgegeben wurde. «Autorinnen und Autoren sagen, wie es wirklich ist.» – Ein Standartwerk mit Prädikat «unverzichtbar»!

Buchstaben (Pl.): Wenn man bedenkt, dass fast alles Geschriebene aus B. besteht, dann stellt man fest, dass B. schon seit langer Zeit domestizierte Begleiter des Menschen sind. Wölfe hat man auch domestiziert, damit sie zu Hunden werden. B. -gruppen, die zu wild sind, werden umgeformt. Man mag sie treu und loyal. Hunde werden im Alter oder wegen schlechter Behandlung launisch, bösartig, bissig. Also Vorsicht beim Domestizieren. Francine Vonderhagen

Seit vielen Jahren unterrichten Michèle Minelli und Peter Höner «Literarisches Schreiben» auf dem Iselisberg, hoch über der Thur. Michèle Minelli, zuletzt mit dem Roman «Die Verlorene» aufgefallen und Peter Höner von dem im kommenden Herbst beim Limmat Verlag ein neuer Krimi erscheinen wird. Zusammen mit den beiden Initianten, Organisatoren, Beflügler zeigten mehr als zwei Dutzend Autorinnen und Autoren unter dem Dach des Bodman-Literaturhauses in Gottlieben wie lebendig, witzig, mitreissend, spontan und ernsthaft Literatur sein kann und muss. Wie wertvoll in einem kleinen Kanton am Rande der Schweiz, dem sonst schnell Literarische Provinzialität angelastet werden kann, gäbe es dieses Literaturhaus nicht. Michèle Minelli und Peter Höner zeigten im Kollektiv, was Schreiben bedeuten kann; ganz eigene Perspektiven, genaue Recherche, tiefes Rollenbewusstsein, im Spannungsfeld zwischenDistanz und Nähe.

Dichten, das: Beim D. trete ich mit meinen Worten ganz bewusst in meine eigenen Fussabdrücke im Schnee der Vorstellungskraft – wo auch immer diese Spur mich hinführt, dort begegne ich mir selbst. Sarah Elena Neukom

Für einmal war bei einer literarischen Veranstaltung nicht der bereits gedruckte Text, das Buch im Vordergrund, sondern die Kunst des Ausdrucks, unmittelbar mit eben entstandenen Texten, eine Performance der Extraklasse. Texte über das Beben, Texte, die zum Beben brachten, Texte voller Leidenschaft, die sich unters Publikum mischten. Mit Sicherheit nicht untypisch, dass sich unter all den Autorinnen nur ein einziger Autor traute, seine Texte vorzutragen. War beim Battle noch die Genderproblematik im Vordergrund, hätte die wirkliche Frage lauten sollen, ob und warum Literatur immer mehr zur Frauensache wird. Wer liest, ist meist weiblich. Wer unterbezahlt in vielen kleinen Verlagen die grosse Arbeit verrichtet, ist mehrheitlich weiblich. Nur Preise werden gern von Männern abgeräumt, die sich dann gerne von ihren männlichen Verlagsbossen umarmen lassen. Und noch eine Frage: Warum fehlt es am Selbstvertrauen, das Schreibende ihre Texte nicht häufiger aus dem geschützen Rahmen treten lassen? Warum liest niemand laut in Wartezonen von Flughäfen? Warum ist es bloss Franz Hohler, der an einem Stand seine Prosa zum besten gibt, nur Adolf Muschg, der sich einsam traut, sich in TV-Politsendungen in Nesseln zu setzen, nur Pedro Lenz, der mit seinen Texten eine ganze Klosterkirche füllt? Wo sind die Frauen?

Musenkuss, der: Ein Kuss, den man nicht erzwingen kann. Die ->Muse ist eine ->Diva, die nur küsst, wen sie möchte, wenn es am wenigsten erwartet wird. Ein heftiger M. zwingt den ->Autor dazu, sofort alles stehen und liegen zu lassen und sich der ->Muse hinzugeben. Wogegen ein leichter, kaum spürbarer M. dem ->Text dabei hilft, vorwärts zu fliessen. Monica Heinz

Die Veranstaltung «Schreibwerken 2017» wollte keine Antworten geben. Dafür präsentierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller, arrivierte neben Neulingen ihre Texte, liessen sich über die Schulter gucken, offenbarten, wie sie handwerklich vorgingen, wie sie Spannung erzeugen, Reize im Publikum wachkitzeln, kurz: wie sie schreiben.

Mitwirkende Autorinnen und Autoren: Jürg Ackert, Jeanette Bergner, Sandra Böni, Margrit Brunner, Milena Caderas, Carolina Caroli, Doris Condrau, Heidi Dällenbach, Barbara Fischer, Maja Gruss, Brigitte Guggisberg, Monica Heinz, Marie-Luise Hermann, Chantal Kämpfen, Stephanie Kohler, Ruth Loosli, Gabriele Meseth, Ruth Müller, Sarah Elena Neukom, Gisela Recke, Lea Reichmuth, Manuela Rüeger, Nicole Sauerländer, Bettina Scheiflinger, Eva Waiblinger und Christine Zureich.

Das Buch «Schreiblexikon, das» ist in jeder guten Buchhandlung zu bestellen. Direkt auch unter der Homepage von Michèle Minelli oder mit der ISBN 978-3-033-06042-5.

Webseite Schreibwerk Ost