Urs Faes «Sommerschatten», Suhrkamp

Urs Faes erzählt in „Sommerschatten“ von einem Paar, einer Liebe. Durch einen Unfall sieht er nicht nur das bedroht, was zwischen ihnen war, auch sein Selbstverständnis, das er mit einem Mal kippen sieht. „Sommerschatten“ ist mit derart viel Wärme erzählt, das mich die Sprache umarmt!

Der Erzähler hat sich eine Auszeit in einem kleinen Rebhäuschen im Schwarzwald genommen. Auf dem Weg mit dem Auto dorthin erreicht ihn ein Anruf, Ina, seine Liebe, sei beim Freitauchen lebensbedrohlich verunfallt, sie werde ins künstliche Koma versetzt und niemand könne voraussagen, wie sich der Zustand der Patientin entwickeln werde. Er fährt in die Klinik, darf Ina aber nicht besuchen, muss sich gedulden, weil sie Ruhe brauche. Mit einem Mal ist alles anders. Ausgerechnet sie, die die Aktive, die Fordernde, die Bewegte, die Unruhige in ihrer Liebe war, ausgerechnet sie liegt intubiert auf dem Rücken zur inneren und äusseren Bewegungslosigkeit verdammt. Ausgerechnet zwischen ihnen, denen Sprache, Sätze oder nur ein einzelnes Wort viel mehr waren als blosser Austausch, ist mit einem Mal die gläserne Glocke des Schweigens überstülpt.

„Sommerschatten“ ist der Roman einer Findung, einer Zurechtfindung, einer Sprachfindung für ein Paar, dem man die Stimme genommen hat, beide auf ihre Art zu verstummen drohen, sie durch den Unfall, das künstliche Koma, er durch die Angst, dass es nie mehr so werden würde, wie es einmal war. Und er, weil er sein Gegenüber verliert, ihre Nähe, ihren Blick, die Berührungen, das, was durch ihr Cellospiel, ihr Tanzen, ihren Bewegungsdrang, ihre Freude, ihre Liebe mehr und mehr den Mittelpunkt seines Lebens ausmachte, eines Lebens, das niemals das geworden wäre, hätte er sie damals nicht kennengelernt.

Urs Faes «Sommerschatten», Suhrkamp, 2025, 155 Seiten, CHF ca. 35.90, ISBN 978-3-518-43224-2

Freitauchen oder Apnoetauchen. Ina liebt den Sport. Diesen ganz stillen Weg in die Tiefe oder in die Distanz, in die zeitliche Distanz, dorthin, wo die Zeit aufhört, über die Grenzen des Schmerzes hinaus. Ina ging es nicht bloss um Rekorde, um ein Limit. Ina liebte dieses ganz eigene Eintauchen in ihr Leben, die Stille, das Ausloten, diesen Schmerz, der auf der anderen Seite der Grenze zu Euphorie, zu einem Rausch wird. Sie wusste um das Risiko. Aber sie brauchte diese Portion Risiko, um sich ihrer Lebensfreude zu versichern, um das Auftauchen zu einem Akt des Erwachens zu machen, einem Erwachen drohender Routine. 

Bis zu diesem einen Tag, als man sie aus dem Wasser holte, als die Rettung gerufen werden musste, als jene letzte Grenze für einen Moment zu lange überschritten wurde und es drohte, kein Auftauchen mehr zu geben. Bis Ina aus dem Leben gerissen wurde und sich der Erzähler mit dem grossen Schweigen konfrontiert. 

„Sommerschatten“ ist mehr als eine Geschichte. Wäre es Urs Faes um die „gute Geschichte“ gegangen, hätte man der Story mit Leichtigkeit mehr Pepp beifügen können. Aber Urs Faes geht es, wenn überhaupt um Dramatik, dann um die innere. Urs Faes schreibt ganz nah am Seelenzustand des Erzählers. Und doch weder in einer Nabelschau noch in einem lyrischen Erguss an Seelenbefindlichkeiten. Obwohl der Roman eine stark lyrische Komponente hat, ist es der sprachliche Pinselstrich des Autors, der mich bei der Lektüre berauscht und beeindrukt. Seine ganz eigene Kunst des sprachlichen Freitauchens, manchmal bis an die Schmerzgrenze, wenn Urs Faes formuliert, als gäbe es nur seine Sprache, wenn Klang und Rhythmus das Erzählen bestimmen. In einem Interview erzählt Urs Faes, dass er mehr als ein Dutzend Mal seinen Roman überschreibt, als würde er immer und immer wieder seinen Melodien zuhören, bis jeder Ton sitzt, jeder Rhythmus stimmt. In „Sommerschatten“ malt der Autor, spielt ein ganzes Orchester. Wer sich auf seine Sprache einlässt, wird reich beschenkt. „Sommerschatten“ macht glücklich, legt sich wie eine warme Decke um meine Schultern, ist genau das, was es in einer Zeit braucht, in der uns die Superreichen erklären, dass die Welt mit Empathie nicht zu retten sei.

Urs Faes, 1947 geboren, lebt und arbeitet in Zürich. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Schweizerischen Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. Seine Romane «Paarbildung» und «Halt auf Verlangen» standen auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis.

Urs Faes liest an den Weinfelder Buchtagen.

Urs Faes auf literaturblatt.ch

Webseite des Autors

Beitragsbild © Jürgen Bauer

Im Erzählen das Verlorene wiederfinden, die Zeit, die Liebe … über «Sommerschatten» von Urs Faes, Suhrkamp (20)

Lieber Bär

Seit ein paar Tagen lese ich den neuen Roman von Urs Faes, nachdem ich zusammen mit Dir an der Buchtaufe im Literaturhaus Zürich war, einer bis zum letzten Platz ausverkauften Veranstaltung. Ich lese das Buch in kleinen Häppchen, wurde mir doch schon beim Zuhören in Zürich klar, dass ich dem Buch nicht gerecht werden kann, wenn ich es in meiner sonstigen Manier in grossen Schlucken trinke.

Urs Faes «Sommerschatten», Suhrkamp, 2025, 155 Seiten, CHF ca. 35.90, ISBN 978-3-518-43224-2

„Sommerschatten“ ist ein ganz eigener Roman. Dass der Applaus nach der Lesung in Zürich damals so lang anhaltend war, ist nicht nur dem Roman zuzuschreiben, auch dem eingelösten Versprechen, das jeder Roman von Urs Faes gibt. Man wusste, es würde ein neuer Faes sein, ein Buch in gewohnt hoher literarischer Qualität, wie jedes Buch mit dem Quantum Überraschung, die mit jeder Neuerscheinungen sicher ist. Auch wenn jedes seiner Bücher zu einer Liebeserklärung, einer Liebesgeschichte wird, ist jedes ein Markstein im Faes’schen Kosmos. Einem Kosmos mit einer ganz eigenen Färbung, einer Sprachlandschaft, die in weichen Konturen zeichnet, die alle Sinne anspricht, das Lesen zu einem Tauchgang macht.

Erst recht in diesem Roman, der eine vielfarbige Zwiesprache ist mit einer Frau, die im künstlichen Koma im Spital liegt. In einer Geschichte, in der sich alles in Rückschauen, in Innenwelten, in Selbstbefragungen und Echoräumen abspielt. Ein Mann muss hinnehmen, dass seine Liebe an Schläuchen angeschlossen im Spital liegt, irgendwo zwischen Leben und Tod, zwischen Hoffnung und Angst. Die Zeit steht still, macht Pause, ist hoffentlich nur unterbrochen und nicht abgebrochen. So wie das Leben dieser Frau durch einen Freitauchunfall zum Stillstand gekommen ist, so ist auch das Leben des Erzählers in gewisser Weise unterbrochen.

Wir kennen die Situationen, in denen mit einem Mal, ganz plötzlich alles ganz anders ist, jede Selbstverständlichkeit einstürzt, das Leben den Atem anhält, die Gradlinigkeit verliert, zu taumeln, zu straucheln beginnt. Nur ein Anruf, ein Satz, eine Feststellung, eine Meldung und Uhren ticken nicht mehr, viel schneller oder unerträglich langsam.

Du bist Arzt, warst in deinem Beruf immer wieder Zeuge solcher Momente. Mich bewegt dieses Buch ungemein, weil Urs Faes nur von den Spiegelungen des Erzählers schreibt. Seine Partnerin Ina, die beim Freitauchen schwer verunglückte und im Spital liegt, bleibt auf Distanz, so wie sie für den Erzähler abgetaucht ist und nie mehr aufzutauchen droht. Was Urs Faes sprachlich schafft, gelingt nur wenigen.

Ich bin gespannt auf Deine Leseeindrücke.

Liebgruss
Gallus

© Sandra Kottonau

Lieber Gallus

Du bist gespannt auf meine Leseeindrücke? Da ich deine Würdigung voll unterschreiben kann und sie nicht wiederholen will, hole ich etwas aus:

Markus Bundi
«Einer wie Lenz im Labyrinth», Telegramme, 2022, CHF ca. 19.90,
ISBN 978-3-907198-56-8

Bei einer deiner Hauslesungen erwarb ich das Buch «Einer wie Lenz im Labyrinth» von Martin Bundi, ein Essay über das Werk von Urs Faes. Nach «Untertags», meiner ersten Begegnung mit diesem Autor, tauchte ich mit Freude und Gewinn in dessen Kosmos ein und las vor kurzem angeregt durch diesen Essay auch den Erstling «Webfehler» aus dem Jahr 1983. Persönlich lernte ich Urs Faes in Gottlieben bei deiner Abschiedslesung von der Leitung des Thurgauer Literaturhauses kennen.

«Es geht nicht mit dem Menschen, wir sind eine Fehlkonstruktion……Es muss ein Webfehler sein, der nicht zu korrigieren ist, es sei denn, man zerstört das ganze Gewebe.» Dies ist gemäss Bundi Programm und Schicksal des Werks von Urs Faes zugleich. Ob dieser Webfehler, diese destruktive Kraft, innerlich wirkt wie im ersten Roman, ob sie bedrohlich von aussen kommt wie beispielsweise in «Sommer in Brandenburg» oder durch eine Katastrophe wie in «Sommerschatten», im Menschen kommt es durch Verstrickung, durch ein unerwartetes Ereignis, Schuld und Unvollkommenheit zu Krisen und Herausforderungen. Liebe spielt dabei als existentielle, versöhnende und heilsame Kraft in allen seinen Büchern eine tragende Rolle. 

 «Sommerschatten», das neueste Buch, beginnt mit «Vademecum», einer poetischen dreiseitigen Ouvertüre von packender Dichte und führt unmittelbar auf den Kreuzweg zum Kloster Ottilienberg im Elsass, den der Erzähler und Ina gegangen sind. Sofort nimmt der Autor uns mit (vademecum!) und wir verfolgen gespannt die Ereignisse. Ein Tauchunfall von Ina, der diese ins tiefe Koma stürzt, zwingt ihren Partner zu Fragen der Schuld und Fragen über ihr gemeinsames bisheriges Leben. «Nur im Erzählen kehrt das Leben zurück; nur dort ist auch das Verlorene wiederzufinden, die Zeit, die Liebe, wird wirklich und zu lesen für andere. Auch dein Leben ist das Leben des anderen, die eigene Geschichte ist immer auch die Geschichte des andern». Seinem alle Sinne ansprechenden Schreibstil treu bleibend und doch in neuer, anderer Färbung erscheinend, gelingt Urs Faes ein reifes Werk von grosser Ausstrahlung. Wie wir bei der Buch Vernissage erfahren durften, geht diese Wirkung auch von der liebenswürdigen Persönlichkeit des Autors aus, seiner sorgfältig gewählten Worte und Ausführungen. Er recherchiere immer genauestens und will einen stimmigen Wortklang erreichen:

«Die Geschichte aber, sie ist nicht zu Ende. Noch lange nicht. Hörst du? Erinnern und erzählen, erzählen und erinnern, wir schaukeln uns ein. Atme durch! Wir riechen den Duft der Pinien nach dem Regen und der Kräuter im Klostergarten, sehen die zitternden Bäume und hören das Seufzen im See.»

Dann habe ich mich also dem Erstling zugewendet. 1983 erschienen, ist «Webfehler» auch heute noch mit Gewinn zu lesen, eine Geschichte von zwei jungen Frauen auf der Suche nach einem neuen Leben. Auch hier geht Anne anhand von Erinnerungen dem Leben ihrer Freundin Bettina nach, die nach einem Nervenzusammenbruch in einer Psychiatrischen Klinik sich befindet. «Das Fremde im anderen annehmen, um das Fremde in sich selber zu akzeptieren. Welch andere Chance birgt eine Beziehung» . Das Bewusstsein vom Verstricktsein in Geschichten und die Kraft des Erinnerns und einer zuwendenden Beziehung spielen bereits hier eine wichtige Rolle. 

Mir wurde bewusst, dass ich mich als Hausarzt oft mit «Webfehlern» verschiedenster Art beschäftigt und versucht habe, mit den betroffenen Menschen gemeinsam eine individuelle Lösung zu finden. Makel, Ungenügen machen uns Menschen einerseits aus, andererseits fordern sie uns heraus, uns zu entwickeln, neue Wege zu gehen. So bin ich sehr dankbar, mit den Büchern aus der Feder von Urs Faes auf hohem literarischem Niveau dem Verstehen von Mensch-Sein näher zu kommen.

Herzlich

Bär

Urs Faes, 1947 geboren, lebt und arbeitet in Zürich. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Schweizerischen Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. Seine Romane «Paarbildung» und «Halt auf Verlangen» standen auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis.

Webseite des Autors

25 Jahre Bodmanhaus – Literaturhaus Thurgau

Aus dem Worthaus

Das Literaturhaus Thurgau feiert seinen 25. Geburtstag. Ich gratuliere der Stiftung, dem Haus und allen, die aktiv zum Gelingen des Lebens in diesem Haus beitragen von ganzem Herzen

Dreieinhalb Jahre hatte ich die Ehre und Freude, das Programm des Literaturhauses Thurgau zu kuratieren. In dieser Zeit und lange darüber hinaus wurde dieses Haus zu meinem Herzensort. Dass es nicht nur mir so geht, beweisen die vielen Gästbucheinträge in mein digitales Gästebuch auf literaturblatt.ch:

«Das Publikum im märchenhaften Gottlieben zähle ich ab sofort zum Kalmann-Freundeskreis und schlage eine Partnerschaft zwischen Raufarhöfn in Island und Gottlieben vor. Bis zum nächsten Mal, euer Joachim B. Schmidt» November 2020

Eva Maria Leuenberger und Pamela Mendez

«Danke für die guten Tage im Literaturhaus und das schöne Experiment, danke für deine Offenheit und den Mut, uns einfach mal machen zu lassen! Mit herzlichsten Grüssen, Eva Maria Leuenberger» November 2020

«Ganz Europa befindet sich in einem Corona bedingten Lockdown. Ganz Europa? Nein, ein kleiner Ort am Bodensee lässt sich von keinem Virus der Welt einschüchtern oder unterkriegen und hält fest an der Unverzichtbarkeit lebendiger Autor*innen und lebendiger Zuhörer*innen in den Hallen des Literaturhauses Thurgau, die dort – Corona zum Trotz – sehnsüchtig aufeinandertreffen. Es ist eine Insel des gesprochenen/gehörten Wortes in einem verstummten Ozean, und es war mir eine Freude, gestern Abend auf dieser Insel weilen zu dürfen. Joachim Zelter» Dezember 2020

«Schon der Ort, viel beschrieben, zeigte sich an diesem Septemberdonnerstag von seiner zauberhaften Seite: ein mildes Spätsommerlicht über den Dächern, über dem Wasser, über den Wellen, flockig flatterndes Laub – und die Verzauberung drang durch die offenen Fenster in den Raum unterm Dach, mit dem Duft von Meer und Weite, mit Sonne, die auf die Gesichter sich legte. Wieder Lesung vor Menschen; Gesichter, wenn auch noch unter Masken, die ein Mienenspiel verrieten, ein Nicken, ein unter der Maske scheues Lachen, ein Augenspiel, Blicke, zustimmende Gesten, gehaltene Augenblicke, «gestundete» Zeit – Lesezeit. Ein Wunder nach der Pandemieisolation. Urs Faes» September 2021

Thomas Kunst

«So viele Schwäne wie auf dem Untersee am Bodensee sah ich wohl in meinem ganzen Leben in Deutschland nicht zusammen. Bei siebenhundertzwölf hörte ich auf zu zählen, aber auch, weil das Auto sich an seine Geschwindigkeit hielt, herzlichen Dank für alles. Es war ein Fest bei euch! Thomas Kunst» Januar 2022

«Du hast uns zusammengeführt, am Sommersee und im alte Worthaus. Der Abend hat mich gewärmt, die Worte, die verschiedenen Wortklänge haben mich gewärmt, und auch die langen Gespräche über Worte und zwischen den Worten. Ich habe den hellen Abend mitgenommen, vom See und vom Haus mit mir genommen, und einen Namen für unsere Verbindung auf der Wortbühne gefunden: Wahlverwandtschaften. Peter Weibel» Juli 2022

«Die erste Lesung zum ersten Roman vergisst man wohl nie. Umso schöner ist es, dass meine Erinnerungen daran ein wunderbares Bild ergeben, gestaltet durch die herzliche Gastfreundschaft des Literaturhauses Thurgau, durch die Zimmer aus altem Holz, Holz, das tausend Geschichten erzählt, durch die spannenden Gespräche mit Gallus, durch den Spaziergang am graublauen Rhein, die Seeluft, durch mein allererstes, so freundliches Publikum, den Apéro mit Wein, Zopf, Lachen und Gesprächen. Anja Schmitter» Oktober 2022

«Meinte nicht Robert Walser, jeder Weg sei ein Heimweg? So fand ich mich auch in Gottlieben zu Hause, am Rhein, mit dem Blick auf das Ried, wo ich vor vielen Jahren eine Liebe hatte, und an jenem warmen Februarabend auf eine Gemeinschaft von Lesenden traf, im Bodmanhaus, am Ende der Holztreppe. Danke dafür! Lukas Bärfuss» Februar 2023

Ana Marwan

«Die Anreise per Boot und Zug nach Gottlieben und der wild blühende Baum vor dem Zimmer im Literaturhaus waren ein Anfang, dem der Rest im gleichen Takt folgte. Es war eine wunderbare Lesereise, meine erste in die Schweiz. Danke! Ana Marwan» März 2023

«Nach zehnstündiger Anreise aus Berlin waren die Stunden in Gottlieben wie eine lange Umarmung. Nadja Küchenmeister» Mai 2023

«Es ist, als käme man nach langer Zeit zu Hause an, wenn man die alten knarrenden Stiegen dieses Riegelhauses hinaufsteigt, und zuoberst vom Giebel her hinausblicken kann auf diese uralte Gletscherlandschaft, dieses Gewässer, das nach 4000 Jahren einen Einbaum freigegeben hat, dieses Weltkulturerbe, den Gnadensee. Tabea Steiner» Juli 2023

Jan Wagner

«Noch sitze ich auf dem prachtvollen Holzbalkon des Gästezimmers mitten zwischen den Baumkronen, auf dem ich gestern Nacht, rauchte ich noch, stundenlang hätte rauchen mögen, und trinke einen Kaffee, ergänzt durch ein ofenwarmes Gipfeli aus dem hübschen Laden nebenan. Dauerhaft Wärme spendete allerdings Eure Gastfreundschaft, der herzliche Empfang, der von Euch gestaltete und rundum beglückende Abend; ein bißchen von diesem Wärme- und Wohlgefühl hoffe ich gen Norden, nach Berlin retten zu können. Jan Wagner» September 2023

«Kalt war’s, und schön war’s. Wörter flogen auf, der Himmel segelte übers Wasser, das Ufer wurde unterspült, jemand bekam kaum Luft – Schreiben im Geborgenen, im Getriebenen. Alice Grünfelder» Dezember 2023

«Durch tiefverschneites Land auf langen Umwegen zur Lesung (ein Abschied) gekommen. Atmosphäre über Fluss und Ort und unterm Dach: eine Musik, die trägt; Worte, Bücher, Gesichter, und und noch einmal diese ganz besondere Stimmung, die Gallus schafft: so gerät man ins Gespräch, das tief und leicht zugleich ist, ein Abend, der unverwechselbar und erinnerungsdicht bleibt, eine nachklingende Freude. Urs Faes» Dezember 2023

Illustrationen © Lea Le / Literaturhaus Thurgau

Lesekreis Literaturhaus/2 — Gegenwartsliteratur mit Tine Melzer: «Do Re Mi Fa So» und Urs Faes: «Sommerschatten»

Der LL/2, geleitet von Gallus Frei-Tomic, befasst sich ab Februar 2025 mit Tine Melzers «Do Re Mi Fa So», ab April mit dem neuen Roman von Urs Faes, «Sommerschatten». Start: 4. Februar.

Anmeldungen noch möglich über literaturhaus@wyborada.ch

Lesen ist das eine, aber mit andern unverkrampft über das Gelesene in Austausch treten und sich mit den entsprechendne Schriftstellerinnen und Schriftstellern austauschen ist noch viel, viel intensiver.

In diesem Lesekreis widmen sich die Teilnehmenden sich in fünf Treffen von Februar bis Juli aktuellen Neuerscheinungen. Neben Hintergrundinformationen zu den AutorInnen und ihren Büchern, informiert Gallus Frei-Tomic über weitere Perlen der Gegenwartsliteratur und Literaturrosinen im Veranstaltungskalender.

Das Besondere an diesem Lesekreis: Ein Abend mit der Autorin / dem Autor im kleinen Kreis bietet die seltene Gelegenheit zu einem quasi «privaten» Gespräch über das Buch, ihr Schreiben.

Anmeldung, Teilnahmegebühr:
Um einen intensiven Austausch zu gewährleisten, ist die Anzahl der Teilnehmenden beschränkt (minimum 10 / maximal 12 Personen). Anfragen und Anmeldung über literaturhaus@wyborada.ch. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.

Teilnahmegebühr (5 Termine à 1.5 Std.) Fr. 200.-, zahlbar nach Anmeldung (Überweisung via Einzahlungsschein oder TWINT), vor Ort am ersten Teilnahmetermin oder in der Bibliothek Wyborada zu den Öffnungszeiten.

Termine:
jeweils Dienstags, 19 Uhr im Studio der Bibliothek Wyborada. Ausnahmen: Die Veranstaltungen in Anwesenheit der Autorin, des Autors.

  • 4. Februar
  • 4. März
  • 22. April (mit Tine Melzer, im Bürgerratssaal des Stadthauses)
  • 20. Mai
  • 1. Juli (mit Urs Faes, im Bürgerratssaal des Stadthauses)

Foto Gallus Frei-Tomic: © Yves Noir

Gallus Frei verabschiedet sich mit Gästen im Literaturhaus Thurgau

Und damit endet meine Intendanz am Literaturhaus Thurgau. Nicht weil es mit nicht gefallen hätte, weiterhin die verschiedensten Gäste ins schmucke Gottlieben am Seerhein einzuladen. Aber eine Amtszeit im Literaturhaus Thurgau ist stets zeitlich begrenzt und die Idee, mit jeder Neubesetzung frischen Wind ins Haus zu bringen, eine gute.

Mein Dank an die Bodman-Stiftung für das entgegengebrachte Vertrauen, den Geschäftsstellenleiterinnen der Stiftung Brigitte Conrad und Monika Fischer für die Zusammenarbeit, der Buchbinderin Sandra Merten für die Unterstützung, Sandra Kottonau für die in Freundschaft geschossenen Fotos. Ganz speziellen Dank gebührt Lea Le für all die Illustrationen, die meiner Intendanz ein eigenes Gesicht gaben.

«Lieber Gallus, während dreieinhalb Jahren hast du im Bodmanhaus ein ausserordentlich vielseitiges und spannendes Programm gestaltet. Du hast viele Autorinnen und Autoren eingeladen und das Publikum mit einer grossen Zahl von Büchern bekannt gemacht, die kennenzulernen sich jedes Mal lohnte. Zu Hilfe kam dir bei der Programmgestaltung deine enorme Belesenheit und deine grosse Neugier auf alles, was im Literaturbetrieb geschieht, auch dass du persönlich viele Autorinnen und Autoren kennst und mit vielen auch befreundet bist. Das alles konnte man beobachten in diesen dreieinhalb Jahren, und das Publikum hat davon profitiert. 
Zum Programmgestalten kamen dann auch die Moderationen deiner Veranstaltungen. Dank deiner Feinfühligkeit und Empathie sowohl den Autorinnen und Autoren als auch den Texten gegenüber ist es dir gelungen, jede Lesung zu einem interessanten Gesprächsanlass mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern zu machen, der dem Publikum den jeweiligen Text und die Autorin oder den Autor näherbrachten und zu neuen Einsichten führte. Der Besuch einer von dir moderierten Lesung hat sich immer gelohnt.

Du hast die Programmleitung in einer schwierigen Zeit übernommen. Kaum hast du angefangen, kam die Pandemie, was hiess, dass viele Veranstaltungen abgesagt oder umgeplant werden mussten. Das bedeutete viel Arbeit für dich, zum Teil auch vergebliche. Du hast dich aber nicht unterkriegen lassen. Nach der Pandemie wurde die Welt nicht besser, wie wir leider wissen. Da stellt sich die Frage, welchen Platz die Literatur in diesen Zeiten hat. Durch dein Programm hast du gezeigt, dass sie sehr wohl einen Platz hat, nicht nur in deinem Herzen oder im Bodmanhaus, sondern in der Welt – gerade auch dann, wenn diese aus den Fugen ist.
Für deine grosse Arbeit und dein Engagement für das Bodmanhaus danke ich dir im Namen des Stiftungsrats ganz herzlich. Ich freue mich darauf, dir bei weiteren Literaturveranstaltungen begegnen zu dürfen.» Lorenz Zubler, Präsident der Bodman-Stiftung

Meine Gäste an diesem Abend:

«Kalt war’s, und schön war’s. Wörter flogen auf, der Himmel segelte übers Wasser, das Ufer wurde unterspült, jemand bekam kaum Luft – Schreiben im Geborgenen, im Getriebenen. Darüber sprachen wir, und zum Glück hat Urs Faes all das gesagt, was ich vergaß zu sagen. Gallus Frei Tomic hat’s gebündelt und zu einem guten Ende zusammengeführt.» Alice Grünfelder 

«Durch tiefverschneites Land auf langen Umwegen zur Lesung (ein Abschied) gekommen. Atmosphäre über Fluss und Ort und unterm Dach: eine Musik, die trägt; Worte, Bücher, Gesichter, und noch einmal diese ganz besondere Stimmung, die Gallus schafft: so gerät man ins Gespräch, das tief und leicht zugleich ist, ein Abend, der unverwechselbar und erinnerungsdicht bleibt, eine nachklingende Freude.» Urs Faes

«Seit vielen Jahren sind Dominic Doppler am Schlagzeug und ich an den Saiten mit Gallus unterwegs. Unsere gemeinsame Liebe zum Geschichtenerzählen, sei dies in Worten oder mit Musik, verbindet uns. Der Verabschiedungsabend von Gallus in Gottlieben war wunderbar. Einmal mehr erlebten wir ihn als Menschenfreund, aufmerksamen Zuhörer und intelligenten Fragesteller. Durch seine Moderation erschliessen sich die gelesenen Texte in mehrdimensionaler Form. Das wir einmal mehr mit unserer Musik mit dabei sein durften, macht uns glücklich.» Christian Berger & Dominic Doppler

«Wir sind dir für die vielen Begegnung neben der einzigartigen literarisch-musikalischen Lesung in Gottlieben unendlich dankbar. Schwierig in Worte zu fassen, waren es doch tief beglückende Stunden, in denen alle Sinne angeregt wurden. Wir freuen uns, wenn du weiterhin als «Literaturblatt» am Bücherhimmel strahlst.» der Bär, ein Freund

Beitragsbilder © Sandra Kottonau / Literaturhaus Thurgau

Ich lade Sie ein ins Literaturhaus Thurgau! 2. Dezember 18 Uhr!

In den 40 Monaten unter meiner künstlerischen Leitung im Literaturhaus Thurgau waren es 86 Veranstaltungen, rund 120 Künstlerinnen und Künstler, Stipendiatinnen und Stipendiaten und Gäste in der Autorenwohnung, die das literarische Leben im Bodmanhaus ausmachten. Lesungen, Performances, Ausstellungen, Konzerte, Diskussionen, Vorträge – ein reiches Programm. Im letzten Monat meiner Amtszeit lade ich alle Freundinnen und Freude, alle Zugewandten und Interessierten zu einer ganz besonderen Abschiedsveranstaltung ein. Gäste sind:

Alice Grünfelder, aufgewachsen in Schwäbisch Gmünd, studierte nach einer Buchhändlerlehre Sinologie und Germanistik in Berlin und China. Sie war Lektorin beim Unionsverlag in Zürich, für den sie unter anderem die Türkische Bibliothek betreute. Seit 2010 unterrichtet sie Jugendliche und ist als freie Lektorin tätig. Alice Grünfelder ist Herausgeberin mehrerer Asien-Publikationen („Wolken über Taiwan. Notizen aus einem bedrohten Land“, u. a.) und veröffentlichte unter anderem Essays und Romane. Sie lebt und arbeitet in Zürich. Im Gepäck ihr 2023 erschienener Roman „Jahrhundertsommer“.

Urs Faes, aufgewachsen im aargauischen Suhrental, arbeitete nach Studium und Promotion als Lehrer und Journalist. Sein literarisches Wirken begann er als Lyriker, in den letzten drei Jahrzehnten sind indes eine Vielzahl von Romanen entstanden. Sein Werk wurde mehrfach ausgezeichnet. 2010 und 2017 war er für den Schweizer Buchpreis nominiert. Zuletzt erschienen bei Suhrkamp «Halt auf Verlangen» und «Untertags«. Urs Faes lebt in Zürich. Er nimmt sein neustes Manuskript mit, das in Teilen in Gottlieben entstanden ist.

Christian Berger (Gitarren, Loop, Electronics, Büchel, Sansula, Framedrum) und Dominic Doppler (Schlagzeug, Schlitztrommel, Perkussion, Sansula), zu zweit «Stories», Musiker aus der Ostschweiz, besitzen die besonderen Fähigkeiten, sich improvisatorisch auf literarische Texte einzulassen. Schon in mehreren Projekten bewiesen die beiden auf eindrückliche Weise, wie gut sie mit ihrer Musik Texte zu Klanglandschaften weiterspinnen können. 

Datum: Samstag, 2. Dezember 2023
Zeit: 18.00 Uhr / Türöffnung 17.30 Uhr
Ort: Literaturhaus Thurgau / Bodmanhaus
Eintritt: CHF 15.- regulär // CHF 10.- Freunde des Bodmanhauses // CHF 5.- in Ausbildung und KulturLegi

Hier zur Anmeldung!

Die Gäste im Literaturhaus Thurgau von September bis Dezember 2023

Liebe Freundinnen und Freunde des Literaturhauses Thurgau, liebe Literaturinteressierte, liebe Leserinnen und Leser dieser Webseite

Mein letztes Programm für das schmucke Literaturhaus am Seerhein, wo ich während dreieinhalb Jahren das Programm gestalten durfte. Schon jetzt melden sich erste Vorboten der Wehmut, weil sich gewisse Arbeiten bereits nicht mehr wiederholen werden. Intendant dieses Hauses zu sein, bedeutet mir sehr viel. Vor vier Jahren wurde ich telefonisch angefragt und es war, als hätte man mich mit einem übergrossen Geschenk beehrt. Eine Aufgabe, in die ich hineinwachsen musste, die mir ganz und gar entsprach; Gastgeber im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben.

Am Samstag, 2. Dezember, 18.00 Uhr: „Frei(ab)gang“ Gallus Frei-Tomic verabschiedet sich mit Gästen: Alice Grünfelder, Urs Faes und die Musiker Christian Berger und Dominic Doppler

In den 40 Monaten unter meiner künstlerischen Leitung werden es 86 Veranstaltungen, rund 120 Künsterinnen und Künstler, Stipendiatinnen und Stipendiaten und Gäste in der Wohnung des Literturhauses, die das Leben in den obersten beiden Stockwerken des Literaturhauses ausmachten, gewesen sein. Lesungen, Performances, Ausstellungen, Konzerte, Diskussionen, Vorträge – ein reiches Programm. 

Im letzten Monat meiner Amtszeit lade ich alle Freundinnen und Freude, alle Zugewandten zu einer ganz besonderen Abschiedsveranstaltung ein.

Gäste sind:

Alice Grünfelder, aufgewachsen in Schwäbisch Gmünd, studierte nach einer Buchhändlerlehre Sinologie und Germanistik in Berlin und China. Sie war Lektorin beim Unionsverlag in Zürich, für den sie unter anderem die Türkische Bibliothek betreute. Seit 2010 unterrichtet sie Jugendliche und ist als freie Lektorin tätig. Alice Grünfelder ist Herausgeberin mehrerer Asien-Publikationen und veröffentlichte unter anderem Essays und Romane. Sie lebt und arbeitet in Zürich. Im Gepäck ihr 2023 erschienener Roman „Ein Jahrhundertsommer“.

Urs Faes, aufgewachsen im aargauischen Suhrental, arbeitete nach Studium und Promotion als Lehrer und Journalist. Sein literarisches Wirken begann er als Lyriker, in den letzten drei Jahrzehnten sind indes eine Vielzahl von Romanen entstanden. Sein Werk, fast ausschliesslich bei Suhrkamp erschienen, wurde mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Schweizer Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. 2010 und 2017 war er für den Schweizer Buchpreis nominiert. Heute lebt Urs Faes in Zürich. Urs Faes nimmt sein neustes Manuskript mit, das in Teilen in Gottlieben entstanden ist.

Christian Berger (Gitarren, Loop, Electronics, Büchel, Sansula, Framedrum) und Dominic Doppler (Schlagzeug, Schlitztrommel, Perkussion, Sansula), zu zweit «Stories», Musiker aus der Ostschweiz, besitzen die besonderen Fähigkeiten, sich improvisatorisch auf literarische Texte einzulassen. Schon in mehreren gemeinsamen Projekten, zum Beispiel mit jungen CH-Schriftstellerinnen und ihren Romanen oder internationalen LyrikerInnen mit lyrischen Texten, bewiesen die beiden auf eindrückliche Weise, wie gut sie mit ihrer Musik Texte zu Klanglandschaften weiterspinnen können.

Abgerundet wird die Veranstaltung durch einen reichen Apéro. Ein Anmeldung ist unbedingt erwünscht!

Gekelterte Augenblicke – Buchtaufen mit Jochen Kelter

«Exil ist ein doppelter Grund, nirgendwo einheimisch zu werden», eine Aussage des 75jährigen Dichters Jochen Kelter, die auf viel mehr verweist, als auf das Geographische. Aber wenn Jochen Kelter irgendwo zuhause ist, dann in der Sprache, in der Dichtung, seiner Lyrik.

Schreibe dem Wesen der Dinge
Zeile für Zeile den Ton deiner

Seele ein deiner Zeit und das
Grauen der Macht die allein
sichtbar werden im Licht einer
denkenden Pupille auf dem Papier

(aus «Fremd bin ich eingezogen», Caracol Lyrik, 2020)

Moderator Urs Faes verstand es auf eindrückliche und einfühlsame Weise, das Publikum an die neuen Gedichte Jochen Kelters heranzuführen. Jochen Kelter, der ein Leben schreibt, sein Leben schreibt, auf die Welt und die Zeit mit Dichtung und Sprache reagiert, wohl aus den Momenten heraus, aber immer durch den Filter einer intensiven Auseinandersetzung.

«Wörter sind Zeitritzen.»

Jochen Kelter ist ein Heimatloser, der aber klar und deutlich zu Heimat, Zeitgeschehen, bis hinein in die Politik, Stellung bezieht, sei es in seinen Romanen, Erzählungen, seinen Essays und mit Sicherheit in seiner Lyrik. In diesem und im letzten Jahr gar mit zwei Gedichtbänden, beide im neu gegründeten Caracol Verlag erschienen und arg bedrängt durch die Umstände der Zeit. Umso wichtiger für den Dichter, dem zu seinem 75. Geburtstag das schreibende und mitfühlende Gegenüber seines Dichterfreundes Urs Faes zu einem Geschenk wurde.

Try and catch the wind

Versuch ihn zu fangen den Wind
versuche die Zeit anzuhalten
die Gelegenheit kommt so bald nicht
wieder beim Marsch auf Washington
I had a dream war nie die Chance
so gross die Welt zu verändern einen
Sitz im Bus neben einem Weissen
zu erklimmen die Blechhütten
zu verlassen the times they are
a-changing geht nicht in den Krieg
nach Vietnam für die Kriegsherren
die jedes Mass verlieren auf
euren Knochen sondern help us raise
raise the prisons to the ground
nie sei sie glücklicher sagt Joan Baez
als wenn ihr Einsatz für Menschsein
und die singende Stimme eins würden
Zivilcourage Kunst zu Zivilcourage
wird gesegneter war Amerika nie
seiner hellen schwarzen Seele näher
die Fotografien beinahe vergilbt

(aus «Im Grauschlaf stürzt Emil Zátopek», Caracol Lyrik, 2021)

Das Wunder der Literatur spiegelt sich in der Lyrik des Altmeisters, der in seinen Anfängen auch schon «unter Polizeischutz» aus seinen Büchern vorlas, weil er in seinem Schreiben, selbst in seiner Lyrik, kein Blatt vor den Mund nimmt. Jochen Kelter macht kleine Momente zu grossen Worten, zarte Melodien zu ernsten Themen, gibt pointierten Sätzen leise Sohlen. Es sind Blicke in tiefe Vergangenheit, manchmal warm, manchmal beissend. Blicke auf die Gegenwart ohne Sentimentalität, aber mit der Kraft eines Mannes, der durch den kleinen Augenblick in die Tiefen blicken kann. Flüchtiges wird zu Wichtigem, manchmal sogar durch Bilder und Figuren wie die Engel, die auf den ersten Blick so gar nicht zum Dichter zu passen scheinen.

Jochen Kelter und Urs Faes

«Nur was versehrt ist, spricht wahr.»

Jochen Kelter ist 1946 in Köln geboren. Studium der Germanistik und Romanistik in Köln, Aix-en-Provence und Konstanz. Lebt seit 50 Jahren auf der Schweizer Seite des Bodensees in Ermatingen (von 1993 bis 2014 zudem in Paris). Lyriker, Erzähler, Essayist. 1988 bis 2001 war er Präsident des European Writers’ Congress, der Föderation der europäischen Schriftstellerverbände, und von 2002 bis 2010 Präsident der Schweizer Urheberrechtsgesellschaft ProLitteris. Jochen Kelter hat Lyrik aus dem Italienischen, Französischen und Englischen ins Deutsche übersetzt. Er ist Mitglied des AdS (Autorinnen und Autoren der Schweiz) und des PEN-Zentrums Deutschland.

Einer, der die Sprache sucht – ein Abend mit Urs Faes

«Schon der Ort, viel beschrieben, zeigte sich an diesem Septemberdonnerstag von seiner zauberhaften Seite: ein mildes Spätsommerlicht über den Dächern, über dem Wasser, über den Wellen, flockig flatterndes Laub – und die Verzauberung drang durch die offenen Fenster in den Raum unterm Dach, mit dem Duft von Meer und Weite, mit Sonne, die auf die Gesichter sich legte. Wieder Lesung vor Menschen; Gesichter, wenn auch noch unter Masken, die ein Mienenspiel verrieten, ein Nicken, ein unter der Maske scheues Lachen, ein Augenspiel, Blicke, zustimmende Gesten, gehaltene Augenblicke, «gestundete» Zeit – Lesezeit. Ein Wunder nach der Pandemie-isolation. Und da ist ein Gallus, der heranführt an Buch und Autor, an Stoff und Stern. Sternstunde. Dieser passionierte Leser mit dem Blick für das Wesentliche, für Nuancen und Details, für Laute und Klänge, für Silben und Sonden. Einer, der Bücher liebt, mit Fragen Räume öffnet, Gesprächsräume, Stoffräume, Leseräume, Räume zum Hören und Träumen: Lesetraumraum Gottlieben – und der schmale Spätmond über den Dächern nickt versonnen.» Urs Faes

Bücher werden nicht mit Stiften, weder mit Schreibmaschinen noch mit Computern geschrieben. Urs Faes ist «Schreiben» in Person, ganz Schreiben. Sein neuster Roman «Untertags» hat 15 Jahre Entstehungszeit gebraucht, bis er sich zwischen zwei Buchdeckel kleben liess. So war der Abend mit Urs Faes die Einweihung in seine Geheimnisse!

Urs Faes «Raunächte». Rezension auf literaturblatt.ch

Urs Faes Spur durch die Literatur ist mehr als 45 Jahre lang. Seine ersten Veröffentlichungen erschienen in Zeitungen und Zeitschriften und 1975 sein erstes Buch, sein Gedichtband «Eine Kerbe im Mittag». Nach einem Dutzend Romanen, vielen Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken gehört Urs Faes zu den Säulen der Schweizer Literaturszene. Als Hausautor von Suhrkamp sowieso und geadelt durch zwei Erzählungen, die in der Insel-Bücherei erschienen (2012 «Paris. Eine Liebe» und 2018 «Raunächte»). Dass Urs Faes nach so vielen preisgekrönten Büchern noch immer zu den Geheimtipps gehört und keines seiner Bücher von den Massen gelesen wird, zeigt, dass die Literatur dieses Meisters weder zum Fastfood noch zur leichten Küche gehören. Was Urs Faes in seinem Schreiben auftut, sind sowohl literarische wie thematische Tauchgänge in die Tiefe. «Keine leichte Kost», meinte ein Besucher bei einem Glas Wein im Anschluss an die Lesung im Literaturhaus Thurgau.

Stimmt, sein Roman «Untertags», eine Liebesgeschichte, eine Familiengeschichte, eine Findungsgeschichte, ein Abschiedgeschichte ist keine leichte Kost. «Ich wollte nicht noch ein Buch über Demenz schreiben, noch einen literarischen Erfahrungsbericht. Schon deshalb, weil ich den Begriff nicht mag und er in meinem Buch nicht einmal vorkommt. Demenz kommt von ‹ohne mens’‚ ‹ohne Verstand›. Aber selbst Kleinkinder sprechen wir den Verband nicht ab, auch wenn die Kommunikation ganz anders funktioniert.» Urs Faes begleitete Paare, die mit dieser Krankheit zu kämpfen hatten, bekam schriftliches Material von Betroffenen, erlebte mit, was es heisst, sie zu begleiten. Und so wie seine Recherche eine behutsame, innige und langfristige Annäherung ist, so ist sein Buch «Untertags» eine behutsame, innige Annäherung an eine Liebe, die sich auch durch die Diagnose «Demenz» nicht auslöschen lässt.

Urs Faes «Untertags», Suhrkamp, 2020, 239 Seiten, CHF 32.90, ISBN 978-3-518-42948-8

Urs Faes schildert mit aller Behutsamkeit genau das, was das Erkennen in der Liebe ausmacht. Es ist nicht die bedingungslose Offenbarung, sondern die bedingungslose Hingabe. Was am Anfang zwischen Herta, der Erzählerin und Jakov Blumenthal, dem Mann mit den Cowboystiefeln durchaus ein zweiter Frühling war, wird zu einem langen, gemeinsamen Winter. Schweigen breitet sich aus. «Untertags» ist eine berührende Liebesgeschichte frei von jeder Sentimentalität, eingetaucht in die Ehrlichkeit eines Autors, der nicht beschönigen will und es in seiner ganz eigenen Art schafft, die Liebe in ihrer ganzen Kraft zu besingen.

Urs Faes breitete an diesem Abend seine Welt, sein Denken, sein Handeln, sein Herangehen an die Vielfältigkeit der Themen seines Romans aus. Urs Faes schreibt nicht mit Stift, auch nicht mit Tasten, sondern mit seinem ganzen Sein!

Rezension von «Untertags» mit Interview auf literaturblatt.ch

Gespräch mit Urs Faes über sein Buch «Untertags

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«Die sind aber auch wirklich wunderschön gemacht, war auch einmal Teil davon und sehr begeistert!» Jürgen Bauer

«… und dann schwimmt vor Jahresende noch so eine zauberisches Literaturpost in meine Wohnung . Das ist wirklich eine Besonderheit! Vielen lieben Dank» Katharina J. Ferner

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«Lieber Schweizer Initiator des Literaturblattes, dass es so etwas Schönes und liebevoll Gestaltetes wie das analoge Literaturblatt noch gibt, begeistert mich. Als ich das Literaturblatt sah, war es um mich geschehen. Ich freue mich sehr und denke, die Zusendungen werden Jahreshighlights sein.» Birgitta Nicola, Buchhändlerin und Illustratorin

Für mindestens 50 Fr./€ schicke ich ihnen die kommenden 10 Nummern der Literaturblätter. Die Literaturblätter erscheinen ca. 5 – 6 Mal jährlich.

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