«Es tut mir leid, deine Mutter wurde getötet.» (13) #SchweizerBuchpreis 24/08

Lieber Gallus

Nein, «Favorita» von Michelle Steinbeck habe ich bisher nicht gelesen. Meine jetzige Lektüre ist wahrlich ein Gegenpol: «Mitten im Wind» von Thomas Röthlisberger, der vor zwei Jahren mit «Steine zählen» auch für den Schweizer Buchpreis nominiert wurde.

«Mitten im Wind» beschäftigt sich mit den gleichen, inzwischen älter gewordenen Akteuren und spielt ebenso in Finnland. Fast alle Protagonisten blicken zurück auf Lebensabschnitte, wo sie Weichen gestellt und mehr oder wenig überlegte Entscheidungen getroffen haben. Oft folgten unerwartete Schwierigkeiten und drohendes Scheitern. In Kapiteln aus wechselnden Perspektiven erfahren wir, wie Matti mit seiner unerfreulichen Situation, da Märta ihn nach vierzig Jahren verlassen hat, umgeht. Oder wie Pekka auf der Suche nach seinem verschollenen leiblichen Vater in die einsame Gegend im Norden Finnlands aufbricht. Hendrik als Polizeibeamter wagt Beziehungen zum illegalen Pelzhandel an der Grenze zu Russland. Der verkiffte Olli erlebt unerwartet Unterstützung aus unbekannter Hand, um sein Leben zu ordnen. Nach und nach werden Zusammenhänge deutlich. Ein einrahmendes und in mehreren kurzen Einwürfen auftauchendes Auftreten einer schwarzen Katze spiegelt das Leben von Matti, seinen Umgang mit Unerwartetem, Ungerechtem und Verletzendem.

In «Mitten im Wind» bleibt vieles offen, in der Schwebe. Mich hat die melancholische, oft an die Musik von Sibelius anklingende Atmosphäre der abgeschiedenen Landstriche, Häuser und Gasthöfe Finnlands berührt, ich habe das Buch gerne gelesen und ich bin den Schicksalen von Matti, Märta, Olli, Pekka und Henrik (um die Wichtigsten zu nennen) mit Interesse gefolgt.

Insgesamt ein ruhiges, durchaus auch spannendes und lesenswertes Buch.

Hast du das Buch auch gelesen?

Herzlich

Bär

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Lieber Bär

Michelle Steinbeck «Favorita», park x ullstein, 2024, 464 Seiten, CHF ca. 29.90, ISBN 978-3-98816-000-3

Vielleicht liest Du «Favorita» ja doch noch, auch wenn das Buch nicht bloss unterhalten will. Aber ich weiss, dass Du zu den Feinschmeckern gehörst und dass Du daran interessiert bist, beim Lesen neue Welten aufzutun. Michelle Steinbeck tut genau dies. Und zwar weit über die Themen des Buches hinaus. Schon in ihrem Debüt «Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch» schaffte sie es, in einem ganz eigenen Ton zu erzählen. Ein Umstand, der ihr viel Respekt schenkte, es wiederum manchen Leser*innen schwer machte, einen Zugang zu ihrem Buch zu finden. Elke Heidenreich meinte damals im SRF-Literaturclub: Wenn das die neue Generation ist, dann Gnade uns Gott – ein Satz, der dem Buch mit Sicherheit nicht geschadet hat und beweist, dass sich selbst eingefleischte Literaturkritiker*innen ins Offsite manövrieren können. Im Zusammenhang mit einer Buchbesprechung zu ihrem Lyrikband «Eingesperrte Vögel singen mehr» schrieb mir Michelle Steinbeck: Michael Fehr hat mir mal doziert, ich solle in der Lyrik dahin, wo es wehtut. Wo es unangenehm wird. Diese Maxime scheint der Autorin auch in ihrem Roman «Favorita» wichtig gewesen zu sein. Literatur, die nur schmeichelt und in einen leicht entrückten Zustand versetzt, interessiert die Autorin nicht.

«Mitten im Wind» von Thomas Röthlisberger ist eines der Bücher, das ich nicht zu Ende las, das ich weglegte. Wenn ich das schreibe, bedeutet das nicht, dass das Buch kein gutes gewesen war. Die Gründe, warum ich ein Buch weglege, sind subjektiv. Ich weiss aus Erfahrung, dass Bücher bei mir manchmal einfach nicht den richtigen Zeitpunkt erwischen. «Favorita» von Michelle Steinbeck ist das beste Beispiel dafür. Erst beim zweiten Versuch waren meine Geschmacksnerven dafür offen. Erst beim zweiten Mal stiess das Buch auf die Resonanz, die es erzeugen will. Das Buch vor «Mitten im Wind» fand ich äusserst beeindruckend. «Steine zählen» war eine Offenbarung, nicht zuletzt, weil da ein Schweizer fast skandinavisch erzählt. Vielleicht hatte meine Leseblockade auch damit zu tun, dass ich Büchern, die Geschichten einfach wieder aufnehmen, die nach Fortsetzung riechen, nicht traue, auch wenn es Schriftsteller*innen gibt, die ihrem Personal ein Leben lang treu bleiben. Wenn Du schreibst, das Buch hätte dich an die Musik von Sibelius, an die Atmosphäre abgeschiedener Landstriche, Häuser und Gasthöfe Finnlands erinnert, dann ist das genau das, was es braucht. Resonanzräume in der Leserin, im Leser. Und da wir alle so sehr verschieden sind, ist es auch nicht verwunderlich, dass es im Empfinden der Qualitäten eines Buches keine Allgemeingültigkeiten gibt. Ich kenne Menschen, für die ist der Nobelpreisträger Jon Fosse das Mass aller Dinge. Aber ich kenne auch Menschen, die es mehrfach mit Jon Fosse versuchten – und scheiterten. Ich bin kolossal gescheitert an Robert Musils «Der Mann ohne Eigenschaften», würde aber nie und nimmer an den Qualitäten dieses Buches zweifeln.

Liebe Grüsse

Gallus

Michelle Steinbeck «Favorita», park x ullstein #SchweizerBuchpreis 24/09

Eine Geschichte aus Wirklichkeit und Traum, Wahn, Fantasie und Halluzination. Angeschrieben gegen die Realität nicht ernst genommener Femizide, erzählt in einer Sprache, die funkelt und blendet, in Bildern, die sich festsetzen und bleiben. „Favorita“ ist ein literarisches Schwergewicht.

Als hätte Michelle Steinbeck eine Weile an der Seite von Quentin Tarantino geschrieben. Fila, eine junge Frau, die bei ihrer italienischen Grossmutter in der Schweiz aufgewachsen ist, bekommt einen Anruf aus einem Spital in Neapel, dass ihre Mutter getötet worden sei. Sie solle der aufgetischten Diagnose „Schrumpfleber“ nur ja nicht trauen. Fila macht sich auf nach Italien auf der Suche nach Erklärungen, Spuren, Hinweisen über ihre Mutter. Eine Mutter, die nie für sie da war, von der sie und ihre Grossmutter nur hie und da Postkarten von immer wechselnden Grossstädten bekamen, von der die Grossmutter nur immer und immer wieder warnte, sie Fila solle nicht so werden wie die vom Weg abgekommene, gefallene Mutter.

Fila taucht in die Zwischenwelt Neapels, mit der Urne ihrer Mutter. Dort trifft sie im Milieu auf Frauen, die ihre Mutter nicht nur kennen, sondern in ihrem Dienst standen, die Fila ziemlich schnell klar machen, dass ihre Mutter durch die Hände ihres siebten Ehemannes starb und es nur einen Weg zur Klärung geben würde, wenn sich Fila an ihre hochhackigen Fersen kleben würde. Fila taucht in eine Welt der Abgründe. Nach einer wilden Flucht und einem Inferno in einer besetzten, ehemaligen Salamifabrik wird Fila im Auto eines fremden Mannes in ein abgelegenes Dorf gefahren, in ein grosses Haus, in eine Villa, in der sie sich verstecken soll.

Michelle Steinbeck «Favorita», park x ullstein, 2024, 464 Seiten, CHF ca. 29.90, ISBN 978-3-98816-000-3

In jenem Dorf erfährt Fila vom Schicksal einer jungen Frau, die kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einem Wald bei eben diesem Dorf ermordet wurde. Ein kleines, unscheinbares Mahnmal erinnert an den grausamen Tod und an die Tatsache, dass nie abschliessend ermittelt werden konnte, wer der hübschen jungen Frau unmittelbar vor ihrer Hochzeit die Kehle durchgeschnitten hatte. Fila beginnt in den Archiven zu forschen und erfährt von einem Prozess gegen den Verlobten der damals Getöteten, der wohl verurteilt, aber nicht einmal zwei Jahre nach dem Urteil bei Wiederaufnahme des Prozesses aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen wurde. Nicht nur weil die Beweise gegen ihn nicht hieb- und stichfest gewesen wären, sondern weil der Druck der Öffentlichkeit, die nicht haben wollte, dass so ein «armer» Mann im Gefängnis schmort, weil seine Verlobte die Finger nicht von anderen Männern lassen konnte, immer grösser wurde.

Für Fila wird das Schicksal jener jungen Frau untrennbar verwoben mit dem Schicksal ihrer Mutter, denn es wird immer deutlicher, dass ein Mann, der letzte Mann ihrer Mutter, die Ursache für den Tod ihrer Mutter war und man alles daran setzte, diesen Mord zu vertuschen. Fila lässt nicht locker, erst recht nicht, als sich „ihr Vater“, jener Mann im Gefolge eines ganzen Trosses neofaschistischer Gesinnungsgenossen zu einem geheimen Treffen in jener Villa ankündigt, in die man Fila versteckt hatte. Fila wird zum Racheengel. Was sich über 450 Seiten zuspitzt, wird in den letzten Seiten zu einem Finale, an dem auch Tarantino seine Freude hätte.

Das ist die Geschichte, eine Geschichte, für die es aber nicht unbedingt 450 Seiten gebraucht hätte. Da ist auch das mit eingeschriebener Wut gegen eine Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen nicht ernst nimmt, die die Schuld fast reflexartig in den Opfern selbst sieht und Täter nie wirklich zur Rechenschaft zieht. Aber dafür hätte es auch nicht 450 Seiten gebraucht. Was mich diesen Roman über 450 Seiten mit Hochgenuss lesen lässt, und das ist als Mann nicht ganz einfach, ist die Sprache, dieses Mäandern zwischen den verschiedensten Ebenen der Wahrnehmung. Da sprechen Geister, da driftet das Geschehen ins Fantastische ab, da schillern Spiegelungen. Man spürt neben der Wut die Lust. Es knallen die Farben ebenso wie die Dichte überzeugt. Michelle Steinbeck will weder gefallen noch unterhalten. Sie malt ein Sittenbild der Gegenwart, auf das man sich einlassen muss – und für das es sich mehrfach lohnt, 450 Seiten zu lesen!

Michelle Steinbeck, geboren 1990, aufgewachsen in Zürich, schreibt Prosa, Lyrik, und für Theater, Magazine und Zeitungen. Ihr Debütroman «Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch» war nominiert für den Schweizer sowie den Deutschen Buchpreis 2016; 2018 folgte der Gedichtband «Eingesperrte Vögel singen mehr«. Ihre Bücher und Reportagen wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Sie ist Kolumnistin der WOZ – Die Wochenzeitung und Mitbegründerin des Autorinnenkollektivs RAUF in Zürich. Nach längeren Aufenthalten in Rom, Paris, Hamburg lebt sie zurzeit in Basel.

Illustrationen © leale.ch

Die Nominierten des Schweizer Buchpreises im Überblick #SchweizerBuchpreis 24/02

Sie sind da. Die Nominierten zum Schweizer Buchpreis 2024. Drei Titel von vielbesprochenen AutorInnen, ein Debüt und ein Mundartroman, der nicht nur formal aus der Reihe tanzt. Eine illustre Mischung. Eine breite Auswahl mit der nötigen Portion Risiko – und vielen Absenzen.

Mariann Bühler «Verschiebung im Gestein», Atlantis
Lange hat draussen das Schild «Bis auf Weiteres geschlossen» gehangen, bis Elisabeth die Ent­scheidung trifft, die Bäckerei weiterzuführen. Sie allein. Jeden Morgen feuert sie an, rührt den Teig, schiebt die Brote in den Ofen – und überrascht das ganze Dorf und sich selbst dazu. In derselben Gegend Alois’ Hof. Ein Hof, seit Generationen in Familienbesitz, Alois wurde nicht gefragt, ob er ihn übernehmen wollte. Er lebt mit dem Hund, überhört die Erwartung, eine Familie zu gründen – aber etwas schnürt sich zu. Vielleicht hat das mit Camenzind zu tun. Unterdessen kehrt eine junge Frau ins Dorf zurück; die drei Stufen zur Bäckerei laufen sich wie von selbst. Bei den Grosseltern holt sie den Schlüssel zum Sommer­haus, es soll verkauft werden. Sie sieht alles wieder, den Bergkamm, das Tal, den Balkon mit der Zugbrücke. Bald, so scheint es ihr, beginnt das Haus mit ihr zu sprechen.
Der Roman verfolgt drei Figuren, die nichts voneinander wissen und doch verbunden sind – durch die Gegend, das Dorf und die drängende Frage, wie es eigentlich weitergehen soll. Hart­näckig haben sich in ihnen weitläufige Spuren von Vergangenem festgesetzt, aber dann gerät doch etwas in Bewegung. In ihrem sprachlich dichten Debüt beobachtet Mariann Bühler, wie Veränderung sich ihren Weg sucht und Ver­schiebungen passieren, die so nie vorgesehen waren, die zuweilen sogar Berge versetzen.

Mariann Bühler, geboren 1982 in der Nähe von Luzern, hat in Basel und Berlin Englische Literatur­ und Sprachwissenschaft, Islamwissenschaft und Gender Studies studiert. Sie lebt als Autorin, Literaturvermittlerin und Veranstalterin in Basel. «Verschiebung im Gestein» ist ihr Romandebüt; für einen Auszug aus dem Manuskript wurde sie mit dem Zentralschweizer Literaturpreis ausgezeichnet.

Zora del Buono «Seinetwegen», C. H. Beck
Zora del Buono war acht Monate alt, als ihr Vater 1963 bei einem Autounfall starb. Der tote Vater war die grosse Leerstelle der Familie. Mutter und Tochter sprachen kaum über ihn. Wenn die Mutter ihn erwähnte, brach die Tochter mit klopfendem Herzen das Gespräch ab. Sie konnte den Schmerz der Mutter nicht ertragen. Jetzt, inzwischen sechzig geworden, fragt sie sich: Was ist aus dem damals erst 28-jährigen E.T. geworden, der den Unfall verursacht hat? Wie hat er die letzten sechzig Jahre gelebt mit dieser Schuld?
«Seinetwegen» ist der Roman einer Recherche: Die Erzählerin macht sich auf die Suche nach E.T., um ihn mit der Geschichte ihrer Familie zu konfrontieren. Ihre Suche führt sie in abgründige Gegenden, in denen sie Antworten findet, die neue Fragen aufwerfen. Was macht es mit ihr, dass sie plötzlich mehr weiss über ihn, den Mann, der ihren Vater totgefahren hat, als über den Vater selbst? Und wie kann man heil werden, wenn eine Leerstelle doch immer bleiben wird?

Auf der Spur des verlorenen Vaters und seines „Töters“– Deutschlandfunk Kultur, 16. Juli 2024 [12:49min.]

Zora del Buono, geboren 1962 in Zürich. Studium der Architektur an der ETH Zürich, fünf Jahre Bauleiterin im Nachwende-Berlin. Gründungsmitglied und Kulturredakteurin der Zeitschrift mare.


Martin R. Dean «Tabak und Schokolade», Atlantis

Nach dem Tod der Mutter findet der Erzähler in einer Schublade ein Album mit Fotos seiner frühen Kindheit, die er auf der Karibikinsel Tri­nidad und Tobago verbracht hat. Als junge Frau hatte sich die Tochter von «Stumpenarbeitern» aus dem Aargau in ein Abenteuer mit einem Tunichtgut der westindischen Oberschicht gestürzt und ein Kind bekommen. Während die übrige Familie bemüht ist, das Gedächtnis an die Jahre der Mutter bei den «Wilden» aus­zulöschen, macht sich der Erzähler auf, diese Geschichte, die auch seine eigene ist, zu retten.
«Tabak und Schokolade» führt in den tropischen Dschungel einer britischen Kronkolonie der fünfziger und sechziger Jahre. Indem der Er­zähler immer weiter zu seinen indischen Vor­fahren, die als Kontraktarbeiter in die Karibik verschifft wurden, vordringt, legt er nicht nur einen Familienstammbaum, sondern auch ein Stück Kolonialgeschichte frei. Dem gegen­über wird die Erinnerung an das Aufwachsen im «Tabakhaus» der Grosseltern im Aargau gestellt und die Annäherung an eine Mutter, die zu Lebzeiten stets unnahbar erschien.

Podcast – Debatte zu dritt» Wir müssen uns den weissen Blick austreiben« Tim Guldimann diskutiert mit dem Schriftsteller Martin R. Dean und der Rassismus- und Genderforscherin Rachel Huber

Martin R. Dean wurde 1955 in Menziken, Aargau, als Sohn eines aus Trinidad stammenden Vaters und einer Schweizer Mutter geboren, studierte Germanistik, Ethnologie und Philosophie an der Universität Basel, unterrichtete an der Schule für Gestaltung in Basel und am Gymnasium in Muttenz. Dean ist vielfach ausgezeichneter Buchautor. 

Béla Rothenbühler «Polifon Pervers», Der gesunde Menschenversand
In einer beschaulichen Kleinstadt in der Schweiz passiert Erstaunliches: Kaum gegründet, mischen Sabine und Chantal mit ihrem Verein «Polifon Pervers» und einer neuen Vision von «Onderhaltig» die Kulturszene auf. Risikofreudig und clever agierend, steigen sie als Theater-Produzentinnen zu nationalen Grössen auf und scharen eine illustre Runde um sich: vom eitlen Regisseur Lüssiän über den versoffenen Ghostwriter Iiv, den Lebemenschen und DJ Milan und die opportunistische Schauspiel-Grösse Schontal bis zu Jule und seinen Hanf-Bauern, die unversehens als Performance-Künstler brillieren. Dem Erfolg ordnet der Verein für Unterhaltung im Laufe der Geschichte alles unter, und so folgen auf erste Unsauberkeiten schon bald alle möglichen Formen des Betrugs.
Béla Rothenbühler führt in seinem zweiten Roman die Tradition des Schelmenromans fort – für einmal mit Hochstaplerinnen und auf Luzernerdeutsch. Sein ironisch-satirisches Gedankenspiel über Kultur, Unterhaltung und Geld ist selbst grosse Unterhaltungs-Kunst.

Béla Rothenbühler, geboren 1990 in Reussbühl, freischaffender Dramaturg, Bühnenautor, Sänger, Ghostwriter, Gitarrist, Songwriter, Lyriker und vieles mehr. Seit 2016 Teil des freien Theaterkollektivs Fetter Vetter & Oma Hommage. Zudem Gitarrist, Sänger und Songwriter der Band Mehltau und Songtexter für Hanreti.

 

Michelle Steinbeck «Favorita», Ullstein
«Es tut mir leid, deine Mutter wurde getötet.» Mit diesen Worten beginnt Filas Odyssee zwischen Lebenden und Toten: Von der Schweiz, in der sie aufgewachsen ist, nach Italien, das ihre Grossmutter als junge Frau verlassen hat und wohin ihre Mutter verschwunden ist. Fila zeichnet die Wege der beiden Frauen nach, begleitet von den Gestalten, denen sie unterwegs begegnet: revolutionäre Amazonen, faschistische Deserteure und der Geist einer jungen Bäuerin mit durchschnittener Kehle. Der Roadtrip auf den Spuren ihrer geheimnisvollen Mutter führt sie zum mutmasslichen Mörder – und mitten ins Herz des Zirkels, der das Land kontrolliert. Fila sitzt in der Falle. Aber sie ist nicht allein.

Michelle Steinbeck, geboren 1990, aufgewachsen in Zürich, schreibt Prosa, Lyrik, und für Theater, Magazine und Zeitungen. Ihr Debütroman «Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch» war schon nominiert für den Schweizer sowie den Deutschen Buchpreis 2016. Nach längeren Aufenthalten in Rom, Paris, Hamburg lebt sie zurzeit in Basel.

Die öffentliche Preisverleihung findet am Sonntag, 17. November 2024, 11 Uhr im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals BuchBasel im Theater Basel statt.
Der Eintritt ist frei. Die Platzanzahl ist beschränkt. Gratis-Tickets können ab dem 1. Oktober 2024 unter www.buchbasel.ch bezogen werden.

Illustrationen © leale.ch

Internationale Tage für improvisierte Musik und Poesie in St. Gallen? Ein neues Lyrikfestival?

Noch sind die ersten Internationalen Tage für improvisierte Musik und Poesie ein Experiment. Ein Experiment in vielerlei Hinsicht. Nach ersten Erfahrungen mit junger Schweizer Literatur, den Text mit Musik zu vermischen und zu verweben, sowohl dem Text wie der Musik aus dem Moment einen neuen Raum zu erschaffen, wagen wir uns tapfer in eine nächste Runde. Überzeugt davon, dass den klassischen „Wasserglaslesungen“ daraus etwas entgegenzustellen ist, erst recht im Zusammenspiel von Lyrik und Musik, die sich beide ihrer ganz eigenen Instrumente bedienen.

Wer erträgt schon verdichtete Sprache über eine Stunde lang, ein Gedicht nach dem anderen, ein Bombardement von Sinnesspiegelungen, die sich sehr oft einer klaren, ganz einfachen Interpretation entziehen? Aber da es ja sehr oft genau die Art des Schreibens ist, die sich explizit um Klang, Rhythmus, Farbe und Resonanz bemüht, ist es naheliegend, diese zwei Sparten miteinander zu verbinden.

Die Bühne, die wir Lyrik und Musik bieten, ist wenig bespielt. Selbst an grossen Festivals wie den Solothurn Literaturtagen oder dem Lyrikfestival Basel sind Veranstaltungen, die über die klassische Rezitation hinausgehen, selten. Und da erste Erfahrungen, beispielsweise mit der österreichischen Dichterin Margret Kreidl mehr als positiv ausfielen, wagen wir uns in dieses Abenteuer, zumal die im kommenden November eingeladenen KünsterInnen klingende Namen haben: Wolfgang Hermann aus Wien, Michelle Steinbeck aus Hamburg (Basel), Ariane von Graffenried aus Bern und Thilo Krause aus Zürich.

Ob daraus ein Lyrikfestival in eigenem Format mit Tradition wird, entscheiden nicht zuletzt die Kulturinteressierten aus der Ostschweiz, ob sie sich verführen, zu akustischen Abenteuern locken lassen. In einer Zeit, in der man sich um echte Emotionen so sehr bemüht, ist eine Veranstaltung mit Lyrik und improvisierte Musik genau das Richtige. Im Theater 111 in St. Gallen wachsen Welten zusammen!

L111 sind Christian Berger (Sound), Dominic Doppler (Takt), Gallus Frei-Tomic (Konzept) und Flavia Steinlin (Marketing & Kommunikation). Mehr Informationen unter l111.ch oder christianberger.ch.

L111 erstmals im Scheinwerferlicht

Joseph Zoderer wird 85. Andere sind dann alt. Zumindest in seinem Schreiben, in seinem Dichten ist es Joseph Zoderer nicht. Seine Lyrik ist eine glühend heisse Stimme. Die Stimme eines Mannes, der Jahrringe wie Schmuck um sich trägt, Geschichte, Wissen, Erfahrungen, tiefes Empfinden darin verborgen.

Vor einigen Tagen stand ich in einer kleinen Bar zwischen meinen Musikerfreunden Christian Berger und Domonic Doppler, der eine mit seinen Gitarren, der andere hinter seinem Schlagzeug. Zu dritt gaben wir dem vierten eine Stimme, dem Dichter aus Bruneck im Südtirol, dem nie alten Mann, der im kommenden November an einem Sonntag die Stadt St. Gallen besuchen wird, uns und die Stadt mit seiner Dichtung zu beschenken.

Der Abend in der kleinen B-Post-St. Gallen-St. Georgen war die Stimmung da hinein, ein weiterer Schritt in einem Abenteuer, auf einem Tauchgang in Sprachtiefen.
Es begann vor mehr als einem Jahr, als ich wusste, ich würde einen Sommer in Südtirol, in Meran verbringen. Ich würde Zeit haben zu schreiben. Ich deckte mich zu mit Stoff, wenn aus mir nichts gedeihen würde, suchte nach Stimmen aus der Gegend rund um Meran und stiess auf den Dichter, der in einer alten Fabrikantenvilla in Bruneck den Fäden seiner Sprache nachspürt.
Ich las Romane, Erzählungen und irgendwann auch seine Gedichte, die mich trafen wie ein sanfter Blitz, dessen Leuchten blieb, sich der Nachglanz seiner Sprache im Alltag nie ganz verlor.
Ich las seine Gedichte immer wieder, las sie vor, meiner Frau, meinen Freunden und irgendwann den beiden Musikern, bei denen sofort klar war, dass sie der Musik mehr als offen stehen.

Liebesgedichte eines alten Mannes, als wäre alle Liebe in ihm geblieben, voller Sehnsucht und Leidenschaft. Nichts spürbar von abgeklärter Müdigkeit, von vergeistigter Distanz, von sprachlichem Snobismus. Seine Sprachbilder formen mit der Musik der beiden Musiker Räume, die über den Text hinauswachsen.

Joseph Zoderer wollte im kommenden November mit Ariane von Graffenried, Wolfgang Herrmann und Thilo Krause und zusammen mit den Musikern Christian Berger (Gitarren) und Dominic Doppler (Schlagzeug) St. Gallen besuchen. Internationale Tage für Musik und Poesie im Theater 111, an der Grossackerstrasse in St. Gallen. Vier Veranstaltungen, die Lyrik auf ganz besondere Weise performen, vier Stimmen, die sich mit Musik vermählen. Leider ist Joseph Zoderer aber erkrankt und kann die Reise nicht antreten.

Für Joseph Zoderer reist die junge Schweizerin Michelle Steinbeck mit ihrem Gedichtband «Eingesperrte Vögel singen mehr» von Hamburg nach St. Gallen. Seien sie sicher, an diesem Sonntag schlägt Lyrik ein!

Reservieren Sie:
Sonntag, 10. November, 11h: Wolfgang Hermann
Sonntag, 17. November, 11h: Michelle Steinbeck
Donnerstag, 21. November, 20h: Ariane von Graffenried
Sonntag, 24. November, 11h: Thilo Krause

Michelle Steinbeck «Eingesperrte Vögel singen mehr», Volant & Quist

2016 sorgte Michelle Steinbeck mit ihrem Debüt «Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch» für Aufregung, kam damit auf die Listen des Deutschen und Schweizer Buchpreises. Nun erscheint bei Volant und Quist ihr erster Lyrikband. Mit Sicherheit auch dies ein Buch, das aufmischen wird!

Vor längerer Zeit hörte ich Michelle Steinbeck an den Lyrikfestival «Neonfische» in Lenzburg aus ihren Gedichten vorlesen.

Deine Gedichte entsprechen gar nicht dem, was Gedichte sehr oft suggerieren, diesen verklärenden, romantisierenden Blick auf die Welt. Du bist erfrischend „hemmungslos“, ungewohnt direkt. Irgendwie ein Kontrast zu deinem Roman „Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch“, wo die Bilder sehr oft ins Surreale kippen. Willst du “aufmischen»?
Klar, immer aufmischen! Nein im Ernst: Ich habe ein anderes Bild von Lyrik, als du hier beschreibst. Von der zeitgenössischen Szene, aber auch sonst. Was ist denn z.B. mit einer Kaleko? Aber es stimmt: Ich habe mich in diesem Format sehr frei gefühlt. 

wie die grossmutter aufblüht
und rosig wird im Angesicht ihres
urenkels der rot und dünn und
ausgeliefert im licht
der wärmelampe seine unanständig
geschwollenen hoden
dem betrachter entgegenstreckt

fotografier ihn von der
anderen Seite sagt die mutter
die aufgeschnittene
von hier aus
lächelt er

Selbst der Verlag Volant & Quist spielt mit dem Entsetzen der Literaturkritikerin Elke Heidenreich auf deinen Roman und setzt den Satz „Wenn das die neue Generation ist, dann Gnade uns Gott“ auf den Buchdeckel deines Gedichtbands. Wie viel Provokation ist Programm?
Was soll daran provokativ sein? Das ist doch eine Traum-Kritik! Um diesen Satz würde ich jede andere Autorin beneiden. Er hat so was altmodisches, klassisches, als würde er auf einem vergilbten Schinken im Bücherbrocki stehen. Das mag ich daran. (Lustigerweise hat der englische Verlag auf die Übersetzung ohne Absprache dasselbe Zitat auf den Umschlag gedruckt.)

Sonntag

sie bringt das baby vorbei
es schreit krebsroter kopf
dann trinkt es – pappsatt
die zunge hängt ihm aus dem mund so satt

er surft im internet nach der fad und
er googelt sich selber und
er pult an seinem fusspilz

ich grüble an meiner hausaufgabe
kann man wissen was andere fühlen?

Mit Jahrgang 1990 bist du ganz bestimmt die neue Generation. Was soll Lyrik in der Gegenwart?
Ach was, es gibt immer Jüngere. Aber das ist auch gar nicht so wichtig. Lyrik ist meiner Meinung nach die freiste Form des Schreibens. Deshalb die interessanteste. Ich glaube, mit Lyrik kann man Dinge ausdrücken, die in einer prosaischen Sprache unmöglich wären. 

fotos die mir fehlen

du vor einem blinkenden paniniwagen
kramst im bauchtäschlein nach geld

//

strasse mit bestattungsunternehmen
dazwischen einzig ein frisör
wo eine alte unter der haube vergessen
vergilbte klatschhefte liest
während am boden sich zwei kinder winden
schreiend um einen waschkorb streiten

//

am quai
durch die absperrung aufs schiff zu geistert ein alter
dem scheisse das bein runterläuft und wc papier aus der kurzen
hose flattert
er trägt ein ausgewaschenes t shirt darauf steht

GOOD LOOK

Deine Lyrik ist nicht Naturbetrachtung, kein Absinken in Gefühlswelten. Du konfrontierst mich mit dem Blick einer jungen Frau. Manchmal schmerzt dieser Blick fast, machmal greifst du mit Absicht in „Peinlichkeiten“. Wie entstehen deine Gedichte?
Ich bin ein Stadtkind. Aber Gefühle sind doch jede Menge drin! Und auch ein paar Bäume. Und Peinlichkeiten… Ja? Gut! Mein alter Freund Michael Fehr hat mir mal doziert, ich solle in der Lyrik dahin, wo es wehtut. Wo es unangenehm wird. Das fand ich einen guten Rat, daran habe ich manchmal gedacht. Es gibt ja einen Text im Band, der heisst: «Wie ich Gedichte schreibe». Tatsächlich ist jedes anders entstanden. Es sind ganz alte und ganz neue Texte drin. Ich hab mich durch meine Material-Sammlung gewütet. Es war eine schöne Arbeit. 

Michelle Steinbeck, geboren 1990 in Lenzburg, aufgewachsen in Zürich, lebt in Basel. Sie ist leitende Redaktorin der Fabrikzeitung, Kuratorin von Babelsprech.International und Studentin der Philosophie und Soziologie. Sie schreibt Geschichten, Gedichte und Stücke, Kolumnen und Reportagen. Ihr Debütroman «Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch» erschien 2016 im Lenos Verlag und war nominiert für den Deutschen sowie den Schweizer Buchpreis. Ihre literarischen wie journalistischen Texte werden in verschiedene Sprachen übersetzt.

Beitragsbild © Sandra Kottonau

«Schreiben ist praktizierte Utopie.» BuchBasel 2018

Wir brauchen Bücher, die zum Nachdenken bewegen, vielleicht sogar zwingen. Nicht nur blosse Unterhaltung. Während Antisemitismus, Unterdrückung jeglicher Art, Frauenfeindlichkeit und Pöbeleien salonfähig zu werden scheinen, sollen Bücher herausfordern, Texte wachrütteln, Kopf und Herz bewegen. Literatur ist Eingemachtes, Eingekochtes, Konzentriertes, destilliert, handgemacht, authentisch, wenn auch nicht immer leicht verträglich.

Während drinnen zwischen den Vitrinen bloss ein paar schwarze Kabel am Boden verraten, dass dort, wo sie enden, hinter weissen Stehlen, vor den Schaufensterscheiben, Autoren lesen, stehen vor dem Warenhaus drei Reihen Metallstühle mit Kunstfellen und ein Lautsprecher im Strom der Menschen. Michelle Steinbeck ist die erste, die liest. Und sie passt. Sie ist hipp mit ihren knallroten Lippen und den schmalen Fesseln unter dem minimalistischen Tischchen. Schaufensterlesungen!

«Ich wusste gar nicht, dass Schaufensterpuppen lesen können», meint einer der Vorübergehenden, einer derer, die nicht stehen bleiben, sich aber wenigstens hinreissen lassen. Michelle Steinbeck liest aus ihren neuen Gedichten «Eingesperrte Vögel singen mehr», macht die Lesung hinter Glas zur einstudierten Performance, kein Aquarium, aber ein Literarium, für einmal abgetrennt vom Publikum. Sie liest und sieht dabei nur sich selbst im Spiegel der grossen Scheibe in die Schwärze der einbrechenden Nacht, hört nichts, nur sich selbst, nicht einmal den Zwischenapplaus.
Während man aus dem Warenhaus volle Taschen trägt und drinnen im Erdgeschoss an Handgelenken schnuppert, ziert sie sich nicht, scheut sich nicht, durch ein Fenster ins Unbekannte zu schauen, durch ein Fenster, das den Blick nicht freigibt.

Julia von Lucadou, Bild © Christian Werner

Schaufensterlesungen – durchaus ein Gag, aber niemals das, was Literatur will. Literatur selbst ist Schaufenster. Nicht abgenabelt von dem, was auf der Strasse passiert, in keinem Elfenbeinturm entfremdet, von dem Felicitas Hoppe in ihrer Eröffnungsrede erzählt. Gute Literatur hat keine glatte Oberfläche, sie ist nicht durchsichtig, abgeschnitten vom Wahrhaftigen. Das beweisen all die Namen im Programmheft des Internationalen Literaturfestivals, die Schauplätze, an denen Literatur entstanden ist und von denen Literatur erzählt.

Ein paar hundert Stühle zur Eröffnungsfeier im Festsaal des Basler Volkshauses, ganze Batterien von langstieligen Gläsern, die bereitstehen und Publikum, dass sich auf den Füssen steht. Gespräche, wer das Rennen macht, den Schweizer Buchpreis 2018 erhalten soll. Peter Stamm, den man mit Nichtbeachtung vielleicht vergrämen würde, Heinz Helle, der doch schon einmal auf der Liste stand, Vincenzo Todisco, dessen Text beim Lesen schmerzen kann oder die Erstlinge der wilden Jungen, Gianna Molinari und Julia von Lucadou? Ob die Jury das Richtige tut, das Notwendige oder das Mutige?

So hat zumindest die Festivalleitung Mut, weil sie sich mit Literatur einmischen will. Sie beweist, dass sich Literatur in keinen Elfenbeinturm einsperren lässt, dass sie aber sehr wohl weit über Grenzen hinausschauen kann, räumlich und zeitlich. So überzeugen Formationen wie «Kosovë is everywhere», Sprachklangräume mit Dominic Oppliger & Marco Papiro, Klangwortverflechtungen mit DJ Tom Nagy und der Buchpreisnominierten Julia von Lucadou. Literatur ist ganz da!

Michelle Steinbeck mit STORIES (Musik!) am 26. Oktober in Arbon!

Am Freitag, den 26. Oktober, um 19.30 Uhr, in der Galerie Bleisch, Arbon:
Michelle Steinbeck („Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch“) liest aus «Eingesperrte Vögel singen mehr» (Voland & Quist), eingewoben in die Musik von Christian Berger und Dominic Doppler (STORIES).

Michelle Steinbeck, 1990 geboren, ist Redaktorin der Fabrikzeitung (Rote Fabrik, Zürich), Veranstalterin und Mitglied von „Babelsprech, junge deutschsprachige Lyrik“. Sie veröffentlichte Prosa, Lyrik und Szenen in Sammelbänden, Heften, im Rundfunk und auf Theaterbühnen. «Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch» war ihr erster Roman, mit dem sie 2016 sowohl für den Schweizer wie für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Michelle Steinbeck stellt zusammen mit dem Musikerduo Christian Berger und Dominic Doppler Gedichte und Kurzprosa aus ihrem frisch erschienen Gedichtband «Eingesperrte Vögel singen mehr» (Voland & Quist) vor.

«Ihre Gedichte und Geschichten sind ungezähmt, störrisch und kunstvoll arrangiert. Sie drücken und jucken, schreien mal schrill und flüstern mal leise, sie erzählen Märchen, schöne wie schauderhafte, und sie führen ein stets aufmerksam blickendes Ich sowie jede Menge groteskes Personal auf die Bühne der Literatur.»

Neonfische im Aargauer Literaturhaus

Neonfische sind Süsswasserfische, die im Amazonas leben, kleine, bunte Schwarmfische, irisierend leuchtend. Auch im Aargauer Literaturhaus in Lenzburg versammelte sich eine bunte Schar geheimnisvoll schimmernder Autorinnen und Autoren, die während zweier Tage ein konzentriertes Publikum «zum Schweigen» brachten.

Wer glaubt, Lyrik würde kaum mehr jemanden aus der warmen Stube locken, wurde an diesem Festival der Dichterinnen und Dichter Lügen gestraft. Das Haus lebte, der Schwarm war beträchtlich, die Säle voll, dass man zwischendurch «das Wasser wechseln» musste. Es war Musik, es wären Töne, Klänge, Dissonanzen, Bilder, Träume, Blitzlichter und Makroaufnahmen, Horizonte, Landschaften, Gesten und Gefühle.

Da zum Beispiel die 1981 geborene Julia Trompeter, die aus ihrem ersten bei Schöffling und Co. erschienenen Gedichtband «Zum Begreifen nah» vortrug. Mehr als bloss vorlas, denn Julia Trompeter versteht es, ihre Gedichte mit ihrer Stimme zu performen. So bekommen Texte auf dem Papier durch ihre Stimme nicht nur ihre eigene Note, ihren Klang, sondern oft Klarheit, mehr Bedeutung, ein gosses Fenster mehr.

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Julia Trompeters Gedichte sind geistreich, witzig, spielen mit Doppelbödigkeiten, verleiten und verführen. Dass ihre Lyrik mich, wie moderne Lyrik überhaupt, zwingt, den Text immer wieder, laut und deutlich, zu lesen. Das sei die Qualität moderner Lyrik, meinte Manfred Papst, Moderator und Ressortleiter Kultur in der NZZ am Sonntag, unauflösbare Bilder, nicht aufzulösen wie Kreuzworträtsel, unauflösbar zu Diskussion und Interpretation provozierend.

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img_0212Julia Trompeter wurde 1980 in Siegburg geboren. Sie studierte Philosophie, Germanistik und Klassische Literaturwissenschaft in Köln und promovierte in Berlin und Bochum. Seit 2009 tritt sie in dem performativen Projekt Sprechduette zusammen mit Xaver Römer auf. 2010 war sie Finalistin des open mike, 2012 erhielt sie das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln, 2013 für ihren Debütroman eine Förderung der Kunststiftung NRW und 2014 den Förderpreis des Landes NRW für junge Künstlerinnen und Künstler.

Webseite Julia Trompeter & Xaver

(Alle Rechte zur Veröffentlichung der Gedichte liegen beim Verlag Schöffling & Co. literaturblatt.ch dankt für die spezielle Erlaubnis!)