Liebe Manu, lieber Gallus, Teil 2 #SchweizerBuchpreis 21/10

Liebe Manu
Ein «fresh-up»? Da ist der Schweizer Buchpreis noch nicht einmal 15 Jahre alt und schon sollte man ihn aufhübschen? Noch nicht einmal volljährig und schon ein Lifting? Der Nobelpreis für Literatur ist 120 Jahre alt. Ein greises Ding! Kein Wunder sind dort die Strukturen wacklig und Stimmen laut, die nach Erneuerung rufen. Klar, die beiden Preise sind in nichts zu vergleichen, zumal beim Nobelpreis ein Name gefeiert wird und beim Schweizer Buchpreis ein Buch, das sollte so sein. Wahrscheinlich liegt genau dort die Schwierigkeit des Buchpreises. Hinter jedem Buch steht ein Name. Und Namen von Schwergewichten in der Literaturszene wiegen eben doch viel mehr.
Und doch hätte auch ich „Verbesserungsvorschläge“, auch wenn mich niemand danach fragt (ausser du). Beim Österreichischen Buchpreis gibt es neben dem eigentlichen Buchpreis einen Debütpreis. Das entschärft das Nebeneinander von Schwergewichten und Einsteiger:innen doch beträchtlich. Zudem finde ich eine Shortlist mit nur 5 Namen kläglich. Im Vergleich zu unseren Nachbarn macht das den Eindruck, als hätten wir nicht mehr zu bieten. Ist das helvetische Bescheidenheit oder die Schüchternheit der Neutralen? Der Jahrgang hätte noch mehr zu bieten gehabt? Was meinst du?
In ein paar Tagen mache ich eine Auszeit in einem kleinen Häuschen im Misox. Ich werde lesen und schreiben. Hoffentlich auch unter der Sonne. Besuchst du mich?
Liebe Grüsse Gallus

Lieber Gallus,
vorneweg, nichts täte ich gerade lieber, als mit dir im Misox dem Verfärben der Natur zuzuschauen. Ich habe gerade viele Auftritte zum Glück, daher kann ich nicht einfach die Koffer packen und auch der Schulbetrieb der Kinder verlangt mir einiges ab. Was du schreibst, gefällt mir, einen Debütpreis würde ich absolut begrüssen.
Von wegen Debüts, ich habe nun den Duarte wie die Sutter gelesen und gestehe, ich bin beeindruckt. Welchen Eindruck hast du von Duartes Erzählperspektive? Eine Buchhändlerin, welche schreibt, gab es schon oft, aber Veronika Sutter wagt sich sogar an Geschichten und verwebt diese gleich untereinander, gelungen? Ich möchte bald die Besprechung zu «Grösser als du» schreiben, aber je länger ich mich mit Büchern beschäftige, desto schwieriger gestaltet sich das für mich, ich befürchte immer, den Werken auch nicht nur annähernd gerecht zu werden. Du klingst immer so souverän, wenn du schreibst, lieber Gallus, fliesst deine Feder leicht oder haderst du auch manchmal?
Sonst denke ich, ist der Schweizer Buchpreis selbstbewusst und gelassen aufgestellt, er zieht sein Ding durch und kann sich sehen lassen neben den «grossen» Nachbarn. Ich freue mich auf deine Antwort, beame mich in Gedanken mal eben zu dir und hirne daran herum, ob wir uns nicht doch noch real treffen könnten vor der Verleihung …
Herzlich Manu

Liebe Manu
Das Tessin ist leider schon längst Geschichte. Aber es waren wunderschöne Tage, eingetaucht in Literatur, ins Schreiben und die Lektüre. Wir beide sind Streiter (*) für das gute Buch, Missionare in Sachen Literatur. Aber so wie Lucky Luke bei seinen Abenteuern stets alleine in den Sonnenuntergang reitet, so ist man es auch in Sachen Literatur. Seien es die Schreibenden, die in ihren Stuben, an ihren Tischen, mit Griffel oder Tasten an ihren Texten schleifen, seien es jene, die die Fanfaren blasen, die Tafeln hochhalten. Leider demonstrieren die Menschen nicht für das gute Buch, für den heissen Atem der Kultur. Was wird dereinst bleiben in der Zukunft? Woran erinnern wir uns? Was von der Vergangenheit wird bleiben? Die Kultur!
Ich hadere nicht beim Schreiben. Je länger ich es tue, umso leichter scheint es mir zu fallen. Ich hadere viel mehr mit mir selbst. Vor allem dann, wenn mich Freunde auf mein Schreiben ansprechen und nicht verstehen können, was ich an dem „Schund» so gut finde. Ich habe einen Sohn, der fast ausschliesslich russische Klassiker liest und für das, was ich lese, nur ein müdes Lächeln übrig hat. Ich hadere, wenn ich mit Schreibenden zusammensitze und sie mich bitten, jetzt mal ganz ernsthaft zu erklären und zu erläutern. Ich hadere manchmal, wenn ich eine Lesung organisiere von Schreibenden, die mir am Herzen liegen, alles da ist und fast niemand kommt. Ich hadere manchmal, wenn ich ein Buch nach 50 Seiten resigniert zur Seite lege und Tage später eine hymnische Rezension lese. Doch, doch, ich hadere oft.
Aber letzthin lud mich ein schreibender Freund in die Kronenhalle in Zürich zum Essen ein. „Für all das, was du für die Literatur tust“, meinte er. Da haderte ich nicht.
Bei der letztjährigen Buchpreisrunde staunte ich über die Experimentierfreude der beiden Frauen bei den Nominierten, über die Bücher von Dorothee Elmiger und Anna Stern. Und prompt erhielt Anna Stern den Preis, was mich zum einen überraschte und zum andern für den Preis einnahm. Gemessen an der Experimentierfreude müsste Thomas Duarte den Preis bekommen. Aber diese eine Qualitätsmerkmal kann wohl nicht jedes Mal das Zünglein an der Waage sein. Vielleicht ist es dieses Mal die Farbenfreude!
Wir treffen uns bald. Und dann stossen wir an; auf die wackeren Streiter:innen für die Literatur!
Herzlich Gallus

Lieber Lucky Luke, lieber Gallus,
wir haben uns kürzlich getroffen, das war wunderschön, dich einmal näher kennenzulernen und beisammen sein zu dürfen. Deine Texte haben für mich einen absolut literarischen Sound und ich könnte mir gut vorstellen, ein Buch von dir in den Händen zu halten, und ich wäre gewiss nicht die einzige Leser:in. Wirst du das auch oft gefragt, ob du nicht ein Buch schreiben willst? Mich fragen das die Leute fast wöchentlich und ich winde mich dann immer ein wenig um eine klare Antwort herum. Gewiss habe ich seit Kindesbeinen an bereits eine beachtliche Anzahl von Büchern geschrieben. Die meisten zum Glück für die Umwelt nur in meinem Kopf, einige wenige fürs Altpapier. Jetzt ist eine Buchhändlerin mit ihrem ersten Wurf für den Schweizer Buchpreis nominiert – nicht schlecht, so durchstarten zu dürfen. Aber so geht es ja auch Herr Duarte. Bald sehen wir uns und wir werden wissen, wer den Preis bekommt. Ich war in ein paar Buchhandlungen unterwegs und traf auf wenig bis gar keinen Raum für die Nominierten, dies hat mich doch erstaunt und ich denke an deine Zeilen, es ist tatsächlich oft eine krass einsame Sache für Literatur einzustehen. Dabei finde ich die vier Werke wirklich allesamt herausragend und absolut lesenswert wie auch lesbar für eine breite Leserschaft. Ich darf ja seit einiger Zeit noch alle zwei Monate eine Radiosendung rund ums Buch für ein digitales Radio liefern, jetzt ist dieser Kanal beachtet und wirft sogar etwas ab, Leidenschaft des Gründerpaares trägt Früchte, leider aber müssen diese Gründer nun aus gesundheitlichen Gründen ihre Arbeit und ihr Radio aufgeben. Ich werde vielleicht im Dezember meine letzte Sendung für den Kanal machen und habe beschlossen, die vier Nominierten dann vorzustellen. Vielleicht passiert ja noch ein Wunder und es übernimmt jemand den Radiokanal.
Gallus, noch ein paar «heisse» Fragen im Endspurt um den Schweizer Buchpreis an dich: Was stört dich an Helvetismen im Buch einer Schweizer Autorin? Was würdest du tun, wenn man dich in die Jury bitten würde nächstes Jahr? Kannst du ein Werk nennen, das anstelle von Krachts Platz nominiert hätte sein sollen? Es gibt ja eben keine Verlierer am Sonntag in Basel, hoffen wir auf viele Besucher:innen und eine eindrückliche Veranstaltung. Ich freue mich auf Basel!
Herzlich, Manu

Liebe Manu
Ob ich ein Buch schreiben könnte? Die Frage ist, ob ich ein Buch schreiben sollte. Ich denke nicht. Ich weiss sehr gut, wo meine Grenzen liegen. Ich lese immer wieder Bücher, die mir mehr als deutlich vor Augen führen, wo meine Fähigkeiten aufhören würden, dass es mir schlicht am Talent fehlt, oder zumindest an der Überzeugung, ich hätte welches. Klar, ich schreibe auch. Klar war da einmal vor vielen Jahrzehnten ein Wunsch, eine Sehnsucht. Aber lieber kein Buch als eines, für das ich mich schämen müsste. Und lieber kein Buch, als um jeden Preis (wörtlich) ein Konstrukt zum Erscheinen bringen. Es gibt genüg Bücher, auf die die Welt verzichten könnte. Ich bin Leser, das genügt, braucht es doch neben jenen, die schreiben, auch jene die lesen. Es sollten ja auch nicht alle reden. Es braucht Zuhörer:innen – und zwar gute, aufmerksame.
Was mich an Helvetismen stört? Nichts. Sie stören mich nur dann, wenn sie zufällig auftauchen, wenn ich das Gefühl habe, sie sind durch ein Lektorat geschlüpft, wenn sie nicht Programm, klare Absicht sind.
Juryarbeit für den Schweizer Buchpreis? Eine solche Anfrage würde mich durchaus reizen. Vor allem die Diskussionen in der Jury, die Art und Weise, wie andere an ein Buch herangehen, schmecken, riechen und kosten. Aber ich glaube, dass ich absagen müsste. Es würde meine Kapazitäten wohl übersteigen, lese ich doch als Webseitenbetreiber und Veranstalter schon einiges neben einem Brotberuf, der auch nach 37 Dienstjahren nicht ohne grosses Engagement zu leisten ist.
Ein fünftes Rad am Wagen? „Offene Fenster, offene Türen“ von Hansjörg Schertenleib wäre … hätte, hätte, Fahrradkette
Auf, auf, an die BuchBasel!
Gallus