Joachim B. Schmidt «Tell», Diogenes

Tell revisited

In seinem neuen Roman Tell kreiert Joachim B. Schmidt eine alternative Erzählung des Tellmythos, die mit dem Altbekannten nur wenig zu tun hat. 

Gastbeitrag von Sophie Waldner
Sophie Waldner studiert an der Universität Basel Deutsche Philologie und Mathematik. Literatur und was man mit ihr machen kann, fasziniert sie schon immer. Dieses Seminar war ihre erste Berührung mit Literaturkritik, aber bestimmt nicht ihre letzte.

Düster, eigensinnig, einzelgängerisch, so wirkt Joachim B. Schmidts Wilhelm Tell. Tatsächlich hat seine Version kaum Gemeinsamkeiten mit Friedrich Schillers Werk. Während bei Schiller die Befreiung der Schweiz eine essenzielle Rolle spielt, konzentriert sich Schmidt in seiner Erzählung vielmehr auf die Schicksale der einzelnen Charaktere.

Schiller und Schmidt stimmen bei den Hauptfiguren und der Erzählung des traditionellen Mythos überein. So finden sich bei Schmidt natürlich auch Hedwig, Tells Frau, Walter, ihr Sohn, und Gessler, der Landvogt, wieder. Auch muss Tell einen Apfel von Walters Kopf schiessen, weil er sich nicht vor Gesslers Hut verbeugt und wird anschliessend verhaftet. Er kann sich mitten im Sturm vom Boot retten und rächt sich schliesslich an den Habsburgern.

Doch die Dynamik ist eine neue. Ganz anders als Schillers Helden, meiden die Leute Schmidts Tell. Selbst die Tiere weichen ihm aus, machen einen Bogen um ihn, beobachtet der kleine Walter. Die Menschen fürchten ihn: Es jagt mir jedes Mal einen Schauder über den Rücken, wenn ich diesen Burschen zu Gesicht bekomme.

Joachim B. Schmidt «Tell», Diogenes, 2022, 288 Seiten, CHF 32.90, ISBN 978-3-257-07200-6

Episodenweise beschreibt Schmidt die Gedanken und Motivationen aus der Perspektive verschiedener Figuren. Nach und nach setzt sich ein Bild von Wilhelm Tell zusammen, das wahrlich tragisch ist. Von insgesamt 87 solcher Unterkapitel sind nur drei aus Tells Sicht verfasst, alle seine Gedanken richtet er an Peter, seinen Bruder. Dieser ist auf einer gemeinsamen Wanderung in den Bergen verunglückt. Danach hat Willhelm die Aufgaben seines Bruders übernommen, ist in dessen viel zu grosse Fussstapfen getreten. Dabei geht es in erster Linie um die Arbeit auf dem Tellhof. Zudem kümmert er sich um die bereits schwangere Hedwig und heiratet sie noch vor der Entbindung.

Auch Gessler gleicht kaum dem herrischen, boshaften Landvogt aus Schillers Drama. Die Brutalität meiner Männer stösst mich ab. Er sehnt sich viel mehr nach seiner Frau und seiner Tochter, welche erst nach seiner Abreise auf die Welt gekommen ist.

Der legendäre Apfelschuss ist einzig darin zu begründen, dass Gessler unglücklicherweise gerade anwesend ist, als Tell vor dem Hut stehen bleibt, ohne sich zu verbeugen – also muss Gessler sein Gesicht vor den Soldaten wahren. Nur weil zwei Männer zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sind, nimmt die Geschichte ein tragisches Ende.

Die Sprache ist einfach und unverblümt. So denkt einer der Soldaten bei sich: Er glaubt wohl, der Allvater dieser dreckigen Meute zu sein. So ein Mondkalb!. Schmidt tabuisiert auch nichts. Vergewaltigung und Kindsmissbrauch sowie deren Folgen sind genauso Thema wie der brutale Kampf zwischen Tell und einem von Gesslers Männern.

Die unterschiedlichen Perspektiven erinnern durchaus an Szenenwechsel in einem Blockbuster, mit dem Tell auf dem Einband verglichen wird. Ob dies jedoch tatsächlich ein Gewinn ist, ist fragwürdig.

Zwar lassen die Episodenhaftigkeit und deren Kürze nicht zu, dass während der Lektüre Langeweile aufkommt. Doch die Häufigkeit der Wechsel und die Anzahl der Protagonisten nehmen dem Buch wieder einiges an Schwung. 20 Figuren erzählen aus ihrer Sicht, wobei die Hälfte völlig ausgereicht hätte. Sie alle brauchen eine Hintergrundgeschichte, um ihren Auftritt zu rechtfertigen. Dass die Perspektive alle zwei bis drei Seiten wechselt, macht es des Weiteren etwas schwierig, im Blick zu behalten, welche Sicht gerade eingenommen wird.

Dennoch ist Schmidts Grundidee, Tell als einen von Schicksalsschlägen geprägten Charakter darzustellen, erfrischend. Sie passt hervorragend zum Puls der Zeit: Männer, insbesondere Helden, auch einmal von einer verletzlichen Seite zu zeigen. Tell ist eine geeignete Lektüre für alle, die offen für einen Bruch mit der traditionellen Tellerzählung sind und am Abend mal ein paar Stunden freihaben. Denn das Buch aus der Hand zu legen ist schier unmöglich.

(Dieser Text entstand im Rahmen eines Seminars zur Literaturkritik im Frühjahr 2022 an der Uni Basel, Seminarleitung: Daniel Graf, Literaturkritiker beim Republik Magazin.)

Joachim B. Schmidt, geboren 1981, aufgewachsen im Schweizer Kanton Graubünden, ist 2007 nach Island ausgewandert. Seine Romane «Tell» und «Kalmann» waren Bestseller; mit «Kalmann» erreichte er den 3. Platz beim Schweizer Krimipreis und erhielt den Crime Cologne Award. «Tell» war auf Platz 1 der Schweizer Bestsellerliste. Der Doppelbürger lebt mit seiner Frau und zwei gemeinsamen Kindern in Reykjavík.

Webseite des Autors

Beitragsbild © Eva Schram

Anna Jagdmann «Itzhoe», Plattform Gegenzauber

Zum wiederholten Mal hat das Literaturfestival Literaare Thun den länderübergreifenden Wettbewerb für Lyrik und Spoken Word TEXTSTREICH ausgeschrieben. Dieses Jahr in Kooperation mit dem Literaturmagazin Manuskripte aus Graz und dem Haus für Poesie in Berlin. 

«Itzhoe» ist nicht der Wettbewerbstext, der exklusiv in der Literaturmagazin Manuskripte erscheint, aber ein freundlicherweise an literaturblatt.ch freigegebener Text, der auch auf ihrer Webseite gelesen werden kann.

Jugend

Ich zockele zum Schwimmbad.
Die Sonne prickelt wie die Brausetabletten,
die meine Zunge bunt färben.
Dann blenden Wolken den Nachmittag ab.
Selbst die Wespen summen leiser.
Am Preisplakat pappen mit Paprikapulver panierte Pommes.


Langeweile

Center-Nachmittag.
Grässliche Blusen,
groß oder klein gemustert.
Kauf niemals sowas!
Und auch keine Übertöpfe,
Fototassen, Kaffeemaschinen, Motivkissen, Duschhauben, Wasserverdunster, Gesichtsbürsten, Toilettensteine.


Nachts

Die Taschenlampe wandert über die Landkarte.
Der Strahl bleibt bei Libyen hängen.
Rosa Pünktchen bedeuten den Sand.
Ich rolle mich ein wie ein Fennek.
Später treibt mich nächtlicher Durst in die Küche.
Vielleicht ist das Glas aus Wüstensand gemacht.

Anna Jagdmann, Geburt im Jahr des Eisvogels, Kindheit in einer deutschen Kleinstadt nördlich der Elbe, Geistes- und sozialwissenschaftliches Studium in Berlin, diverse Aufenthalte in Lateinamerika. Promotion an der FU mit einer Arbeit über Nation Building und Geografie in Kolumbien, seitdem Tätigkeit als Übersetzerin, Schreiberin und Papierwerkerin.

Literaare 2022 Thun

Webseite der Autorin

Das 58. Literaturblatt entsteht.

«Wie ungewöhnlich, und was für eine Ehre, in diesem feinen handschriftlichen Blatt eine kurze, dafür bemerkenswert durchdachte und sensible Rezension meines Romans «Kreisläufe» zu finden. Danke, Gallus, und ja, es ist auch eine Befreiungsgeschichte. Du hast es auf den Punkt gebracht. Danke dafür.» Andrea Scrima

«Bin beeindruckt, wie viel Arbeit und liebevolle Mühe Sie da reinstecken. Sehr toll!» Didi Drobna

«Sie wissen, wie aufrichtig ich Ihre grafischen Literaturblätter bewundere! Nicht allein der klugen Kurzrezensionen wegen – denen mein Buch ja die allerschönsten Kommentare verdankt – sondern auch als Einübung ins Langsamlesen, das unsereinem durch Internetkonsum systematisch abtrainiert wird (ich weiss: selber Schuld!).» Beatrix Langner

«Die von Hand geschriebenen und gezeichneten Literaturblätter von Gallus Frei-Tomic sind etwas ganz Besonderes. Eine grosse Bereicherung, die ich nicht missen möchte.» Ruth Geiger, Diogenes

Für mindestens 50 Fr./€ schicke ich ihnen die kommenden 10 Nummern der Literaturblätter. Die Literaturblätter erscheinen ca. 5 – 6 Mal jährlich.

Für mindestens 100 Fr/€ schicke ich ihnen als Freunde der Literaturblätter 10 Literaturblätter, 5 – 6 pro Jahr. Zudem sind sie auf literaturblatt.ch vermerkt.

Für mindestens 200 Fr./€ sind Sie als Gönner stets eingeladen, als Gönner der Literaturblätter auf literaturblatt.ch vermerkt bekommen 10 Literaturblätter (5 – 6 pro Jahr), also etwa zwei Jahre lang und werden einmalig auf Wunsch mit einem Buch beschenkt.

Kontoangaben: (neu)
Literaturport Amriswil, Gallus Frei-Tomic, Maihaldenstrasse 11, 8580 Amriswil
Raiffeisenbank, Kirchstrasse 13, 8580 Amriswil
CH05 8080 8002 7947 0833 6
ID (BC-Nr.): 80808
SWIFT-BIC: RAIFCH22

Seit Januar 2022 ist das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar prominenter Abonnement des Literaturblatts!

„Das Blatt macht mich platt.“ Christian Futscher

Silvia Tschui «Vögel, frittiert»

Bei 36 Grad fallen einem Vögel tot vor die Füsse. Wenn einem wieder mal ein Vogel vom Himmel tot vor die Füsse fallen würde, denkt man, das wäre schön. Das wäre schön, denkt man, während man neben dem Grab eines Schriftstellers sitzt und auf die Hitze wartet, weil man dann am Anfang der ganzen Misère stünde. Und man wüsste noch nicht, was kommen wird, und man würde denken, oh, seltsam und irgendwie apokalyptisch, ein Vogel fällt tot vom blauen Himmel vor meine Füsse, und es würde einen nur ein leichtes Grauen befallen, statt dass es sich einem längst in jeden Knochen und jede Zelle gebohrt hätte. Und man würde nicht da sitzen und auf die letzte Hitze warten. Bei 27 Grad beginnt man schon leicht zu schwitzen. Und man hätte in diesem Moment vielleicht noch etwas tun können, wirklich etwas tun.

Und ausserdem hätte man etwas Frisches zu essen, so wie die Libanesen und Italiener in ihren Wäldern die da jeweils sassen, auf so Hockern, mit ihren Luftgewehren und auf alles schossen, was sich bewegte, also in der Luft, klitzekleine Singvögelchen, die sie dann frittierten. Wenn man etwas frittiert, binden sich die Proteine, und mit Haut und Haar, nein mit Schnabel und Feder frassen sie sie auf, zuhauf, und man hat sich damals, als man noch reiste, gefragt, weshalb die das tun, weshalb die so stolz ihre Gewehre schwangen, weshalb die das tun, so zum stupiden Sport, und man hat sie verachtet. Wenn doch die Supermärkte voll sind, mit Fleisch und Tomaten und Gurken und Wassermelonen.

Auch Jahre später, als einem ein Vögelchen nach tagelanger Hitze tot vor die Füsse fällt, sind die Supermärkte voll mit Tomaten und Gurken und Wassermelonen unter Neonlicht, und es packt einen eine Ahnung dieses Grauens, draussen dörren Felder unter blauem Himmel vor sich hin, wochenlang schon, und Bauern erschiessen sich und der hartbackende Boden zeigt Risse wie man sie früher auf Hungerbildern in Äthiopien auf diesen Hilfekatalogen gesehen hat, die zu Weihnachten in Unmengen unsere Briefkästen fluteten, erst hochglanz, später politisch korrekter auf mattem Papier, draussen hat es geschneit und jetzt gibt es keine mehr.

Keine Post, bestimmt keine Äthiopier, wahrscheinlich kaum mehr Italiener und Libanesen, keinen blauen Himmel, keine kleinen Singvögelchen, die sangen vorher schon kaum mehr, frittiert haben sie sie, trotz Tomaten, Wassermelonen und Gurken in Supermärkten und ich habe mich gefragt warum nur, und sie verachtet, und später im Supermarkt ein Huhn gekauft, mit Zitronen, die es nicht mehr gibt und Tomaten, die es nicht mehr gibt, und Oliven, die es auch nicht mehr gibt, in einem Ofen gebacken, und später war man froh, wenn die Temperatur Abends unter dreissig Grad gefallen ist, und hat darauf mit Weisswein auf einer Terrasse unter blauem Himmel angestossen, und auf das Huhn, und war guter Dinge und hat Musik gehört und Geschichten erzählt und in die blauen Augen von einem Mann geschaut, hinter ihm der See, so dass man dachte, man schaue durch diese Augen dieses Mannes direkt in die grosse Abendbläue, und das war schön.

Als es die Farbe Blau noch gab, blau, ein Wort, das die Jüngeren nicht mehr kennen, genausowenig wie grün, als die Sonnenuntergänge zuerst so richtig kitschig schockpinkorange rot wurden und man das noch schön fand, bevor sich auch tagsüber zunehmend eine Art bräunlicher Schleier über den zunehmend nicht mehr so blauen Himmel legte, das Methan, sagten die Zeitungen, und einige Zeit lang gab es dann diese Vollspektralglühbirnen, dass man den Kindern immerhin in Bilderbüchern zeigen konnte, wie das Meer und der Wald einst ausgesehen hatten und man hat ihnen vorgeschwärmt, wieviele Abstufungen von Blau und Grün es gegeben habe, Türkis und Moosgrün und Petrolgrün und Flaschengrün und Apfelgrün und Ceruleumblau und Ultramarin wie nur schon der See, an dem man wohnt, jeden Tag eine andere Farbe gehabt habe und wie schön das ausgesehen hat im Frühling mit dem blauen See unter dem blauen Himmel hinter dem unglaublich frischen Grün dieser Bäume, deren Namen man vergessen hat, diese Bäume, die einst das ganze Mittelland bedeckten, und dass der See eigentlich blau war, und nicht braun, dass der Himmel blau war und die Sonne gelb, dass Wolken weiss waren, und jetzt kennen die Kinder unserer Kinder die Wörter «blau» und «grün» nicht mehr, weil es auch diese Vollspektrallampen längst schon nicht mehr gibt, schon bevor es auch keine Elektrizität mehr gab, und wir haben aufgehört zu erzählen, von Meer und blauem Himmel und Vögeln die flogen, als wären sie schwerelos, weil die Wörter den Jüngsten nichts mehr bedeuten, sie können sie nicht fassen, und uns schmerzen sie zu sehr, und man lacht, wenn auch bitter, man lacht sowieso oft nur noch bitter, wenn man daran denkt, wie man sich
über Konnotationen und Denotationen von Wörtern gestritten hat in Seminaren und wofür das Wort blau alles stand, und wie ist etwa der grösste Teil deutscher Dichtung noch verständlich wenn es etwa keine blauen Blumen mehr gibt?

Wie sie etwa der Schriftsteller beschrieben hat, neben dessen Grab man jetzt sitzt, ohne Gewehr, man braucht es nicht mehr, und auf die letzte Hitze wartet, sonst wären sie nie gegangen, die Kinder, die keine mehr sind, und deren Kinder, die die Wörter «grün» und «blau» nicht mehr kennen, und für die die Konserven nun vielleicht reichen bis in den Norden, wo es noch regnen soll, sagt man sich, und den man vielleicht erreicht, wenn man nur nachts wandert und tagsüber einen Unterschlupf findet, denn ab siebenunddreissig Grad verlangsamt sich der Herzschlag und man kann nicht für längere Zeit wandern, ohne sich der Gefahr eines Hitzschlags auszusetzen.

Man wartet auf die Hitze unter einem beigen Himmel, neben dem Grab des Schriftstellers, der die blaue Blume beschreiben hat, sie stand für Sehnsucht, und man hatte nie eine Chance, wir hätten nichts tun können, in einem System, das auf Fressen ausgelegt ist, mit endlichen Grundstoffen, auf kleinster biologischer Ebene schon, jeder Mikroorganismus, der einen anderen frisst, hat einen Vorteil, und dann entwickeln sich Belohnungswechselwirkungen in Hirnen, die einem Glückshormone verschaffen, wenn man ein Vögelchen vom Himmel schiesst, oder die Zähne in einen Hühnerschenkel rammt, und man hat noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei, bei 39 Grad erweitern sich die Blutgefässe, man hatte keine Chance, weil man sich wahlweise gute oder rachevolle Überväter ausdenkt, die einem vom blauen Himmel herunter lächelnd zunicken und sagen, jaja, macht Euch die Erde untertan, denn inmitten aller kreisenden, glühenden oder längst toten Sterne und Nebel und Planeten ist es wichtig, dass Du, genau Du unter einem blauen Himmel deine Zähne in einen Hühnerschenkel rammst, und bei vierzig Grad beginnen bald Halluzinationen. Und man denkt nicht, wenn sich einer so eine Scheisse ausgedacht hätte, so ein krasser systemimmanenter Fehler, gehörte der gefoltert, bis ans Ende der Zeit gefoltert, weil die Wahrheit ist: Man hätte nichts tun können, nichts, man hatte nie eine Chance, mit Belohnungssystemen im Hirn, die und auf die Schulter klopfen wenn wir Vögelchen vom Himmel schiessen, und satt werden wir doch nie, ab einundvierzig Grad beginnen die Eiweisse in unseren Körpern sich zu binden, und da steht der Mann, seine Augen sind blau, ich sehe durch seine Augen direkt in die grosse Abendbläue, Ceruleum und Ultramarin und Türkis, und das ist schön, und die Kinder werden in der Nacht losgehen, nach Norden, der Schriftsteller steht daneben und sie nicken mir zu und niemand hätte rein gar nichts tun können und die Felder sind grün, moosgrün, apfelgrün, flaschengrün, ich bin ein Vogel, ich bin ein Vogel und ich fliege und ich singe und das ist schön.

(Originaltext erstmals erschienen 2022 in «20/21 Synchron» von Charles Linsmayer. Ein Lesebuch zur Literatur der mehrsprachigen Schweiz von 1920 bis 2020. Reprinted by Huber Bd. 40)

Silvia Tschui wird im August zusammen mit dem Musiker Philipp Schaufelberger (Gitarre) Gast beim Sommerfest des Literaturhauses Thurgau sein!

Silvia Tschui wurde 1974 in Zürich geboren. Sie studierte ein paar Semester Germanistik, absolvierte die Fachklasse Visuelle Gestaltung an der ZHdK und erwarb 2000 das Lehrdiplom Oberstufe. 2003 machte sie ihren Bachelor in Grafikdesign und Animation an Central St. Martins College in London und arbeitete vier Jahre als Animationsfilm-Regisseurin bei RSA Films in London. 2004 wurde ihre Arbeit für den British Animation Award nominiert. Zurück in der Schweiz arbeitete sie als Grafikerin, Journalistin und Redaktorin und schloss 2011 ihr Studium am Institut für literarisches Schreiben mit dem Bachelor ab. Zurzeit arbeitet sie als Redaktorin in Zürich bei Ringier.
Ihr erster Roman «Jakobs Ross» wurde mit dem Anerkennungspreis des Kantons Zürich ausgezeichnet und von Peter Kastenmüller fürs Theater Neumarkt adaptiert. Eine Verfilmung des Stoffs ist bei der Produktionsfirma Turnus Films in Arbeit. Ihr zweiter Roman «Der Wod» wurde von der Stadt Zürich 2017 mit einem halben Werkjahr gefördert. 2019 war sie damit für den Ingeborg Bachmann Preis nominiert (Videoportrait).

Beitragsbild © leafrei.com / Literaturhaus Thurgau

Das 57. analoge Literaturblatt ist per Post auf dem Weg zu Ihnen!

«Geschichten finden oder meinetwegen erfinden ist eine Seite. Aber sie müssen gefunden und also noch einmal er-funden werden, um zur Welt zu kommen. Das Glück eines solchen Finders, lieber Gallus, ist unser aller Glück!» Anna Baar

«Mit einer sprachsensibel nuanciert verfassten Rezension gewürdigt und mit einem personifizierten Literaturblatt im wahrsten Sinn des Wortes beschenkt: ein nachhaltiges Begegnen mit einem leidenschaftlichen Buchmenschen und Botschafter. Danke, lieber Gallus Frei, fürs Aufeinandertreffen zum angeregten Gespräch!» Flavio Steimann

«Die Blätter sind sehr schön, schöne Schrift auf tollem fetten Papier. Bin gespannt aufs Lesen, noch keine Musse gehabt. Und diverse werden an die Wand gehängt werden, ganz zu schweigen von den Büchern, die es dann zu lesen gibt. Am besten Job an den Nagel hängen!» B. Gers

Für mindestens 50 Fr./€ schicke ich ihnen die kommenden 10 Nummern der Literaturblätter. Die Literaturblätter erscheinen ca. 5 – 6 Mal jährlich. Infos

«Ein verinnerlichtes Buch» Meinrad Inglin in der orte-Literaturzeitschrift

Rechtzeitig zum 50. Todestag des Schriftstellers Meinrad Inglin finden nicht nur verschiedene Gedenkanlässe statt und gab sich die Meinrad Inglin-Stiftung ein neues Gesicht, es erscheint im appenzelleschen Schwellbrunn auch eine neue Ausgabe der Literaturzeitschrift orte, die sich ganz dem grossen Schweizer Autor widmet. Meinrad Inglin ist eine Entdeckung wert!

 

zur Literaturzeitschrift orte

Beitragsbilder mit freundlicher Genehmigung der Meinrad Inglin-Stiftung

Bei Joachim B. Schmidt braut sich was zusammen.

Winterschlaf? Joachim B. Schmidt hat ihn sich redlich verdient. Am 23. Februar nächsten Jahres erscheint sein nächster Roman «Tell», Nach «Kalmann» sein zweiter, bei Diogenes erscheinender Roman.

Aus der Vorschau des Verlags:
Joachim B. Schmidt schreibt Geschichte neu. In seinem fulminanten Roman wird die Tell-Sage ein Pageturner, ein Thriller, der an moderne Netflix-Serien erinnert. Beinahe 100 schnelle Sequenzen, erzählt von 20 verschiedenen Protagonisten, rasen wie an einer Lunte auf einen überwältigenden Showdown zu, der sich nicht vor denen grosser Blockbuster verstecken muss. Schmidts Fiktion, seine Vision des Tell machen die Erzählung so einzigartig, frisch und zwingend. Die moderne Erzählweise hat er sich bei einem der grossen isländischen Erzähler abgeschaut: Einar Karáson, der die Sturlungen-Saga neu erzählte. Hier wie dort sprechen die Protagonisten, was dem Text Gegenwärtigkeit und Authentizität verleiht. Im Zentrum von Schmidts Erzählung steht der ›Mensch‹ Wilhelm Tell – ein Wilderer und Familienvater, ein Eigenbrötler und notorischer Querulant; ein Antiheld, einer, der überhaupt kein Held sein will, der eigentlich nur seine Ruhe, genug zu essen und seinen Leiterwagen haben will. Und eine Kuh verkaufen. Immer näher kommen ihm die verschiedenen Stimmen und erkunden, wie eine einzige Gewalttat grössere und grössere Kreise zieht. Schmidt bringt uns die Figuren des Mythos nahe und erzählt eine unerhört spannende Geschichte – auch für diejenigen, die noch nie etwas von Wilhelm Tell gehört haben.

Joachim B. Schmidt, geboren 1981, stammt aus Graubünden und lebt seit über zehn Jahren mit seiner Familie in Reykjavik. Er ist Autor mehrerer Romane und diverser Kurzgeschichten. Ausserdem betreibt er einen Reiseblog und arbeitet als Touristenführer in Island.

«Einsame Weihnachten in Island» Kurzgeschichte auf der Plattform Gegenzauber

“Kalmann“, „Mossflüstern“, Rezensionen auf literaturblatt.ch

Kristín Elva Rögnvaldsdóttir

Joachim B. Schmidt

Literaturtage Zofingen mit Pascal Janovjak und «Der Zoo in Rom»

Rolf Lappert, Regina Dürig, Silvia Tschui, Beat Sterchi, Philipp Tingler, Michèle Minelli oder Pascal Janovjak – um nur einige der vielversprechenden Namen aufzuzählen, die das Programm der diesjährigen Literaturtage Zofingen auszeichnet. «Der Zoo in Rom», mit dem Pascal Janovjak höchst verdient mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet wurde, war ein erster Höhepunkt.

Pascal Janovjak, der schon länger in Rom lebt, macht den Zoo in Rom zu einem Ort, der seine hundertjährige Geschichte erzählt. Die Geschichte der Tiere, der Menschen und des Ortes selbst. Auch wenn Tiere im Zoo auf den ersten Blick keine Geschichten erzählen, erzählen sie doch, durch ihren starren Blick, in den sich unsäglich viel hineininterpretieren lässt. So wenig, wie ein Zoo die Tiere «brauchen» sollte, so wenig sollte es die Literatur tun, nicht einmal als Träger für all die menschlichen Untaten, die an den Tieren begangen werden. «Der Zoo in Rom» ist eine Liebeserklärung. Weniger an die Institution Zoo, sondern an das Bemühen, dem Tier mit dem ihm gebührenden Respekt zu begegnen.

Clarissa John (Dolmetscherin), Pascal Janovjak und Moderator Hanspeter Müller-Drossaart

«Der Zoo in Rom», der vieles dokumentarisch erzählt, ist auch eine Kulturgeschichte des Zoos. Einer Institution, die noch vor wenigen Jahrzehnten Menschen- und Völkerschauen inszenierte, um Publikum zu generieren, einen finanziellen Gewinn, der niemals bis zu den Ausgestellten weiterging. Menschen und Tiere als Ware, austauschbar. Obwohl die Sensibilität heute eine ganz andere ist und man sich für einen Zoobesuch beinahe erklären muss, fasziniert die Institution und gleichermassen seine Geschichte. «Der Zoo in Rom» ist ein Fest der Tiere, nicht zuletzt weil der Autor sich die Freiheit nahm, Tiernamen zu erfinden, so wie es der Mensch über Jahrhunderte tat, damals als Zeichen der Unterwerfung, heute mehr und mehr im Bewusstsein einer Endlichkeit.
Zoos bleiben Gefängnisse, auch wenn ihre Absperrungen immer geschickter in der inszenierten Umgebung verborgen werden. Zoos sollen Abbild sein, damals ein Garten Eden, ein Stück Paradies, heute ein künstlicher Lebensraum. Selbst die Tierwelt, die Natur ist zu einem Bild, einem Mythos geworden, eine «reine, schöne Landschaft», die mit der Realität immer weniger zu tun hat. Erst wenn es dem Menschen gelingt, so der Autor, mit der Natur, den Tieren respektvoll, symbiotisch umzugehen, ist die Existenz der Natur gesichert. 

«Der Zoo in Rom» ist ein Kunstwerk erzählter Menschheits- und Tiergeschichte. Eine Geschichte im Hin-und-Her zwischen absoluter Respektlosigkeit und der feinen Berührung zweier Lebewesen auf Augenhöhe.

Besuchen sie Zofingen! Die Literatur lockt!

Rezension von «Der Zoo in Rom» auf literaturblatt.ch

56. Literaturblatt – «Liebe Freundinnen und Freunde»

Ich habe vor mehr als zehn Jahren mit den «analogen Literaturblättern» begonnen, weil ich nicht nur ein paar gute Buchtitel auf einem Zettel notieren wollte, sondern, weil ich meine Empfehlungen zu einer Mission werden lassen wollte. Weil ich mit meinen Literaturblättern allen Autor:innen, allen Schriftsteller:innen und Dichter:innen meinen Respekt zollen will. Weil Literatur Sprache gewordene Sorgfalt ist, die Mission, den Menschen die Welt öffnen zu wollen, auch in Richtungen, die unbequem sind.

Mittlerweile abonniert ein schönes Schärchen meine von Hand, mit Kugelschreiber gezeichneten und geschriebenen Literaturblätter, einige schon seit Beginn dieses Unternehmens. Dafür bin ich dankbar, das macht mich stolz.

Aber diese Literaturblätter sind neben meinen Einkünften als Moderator und Veranstalter die einzige Geldquelle in Sachen Literatur. Mein Schreiben für die Literatur sonst bringt kaum etwas ein. Das ist nicht weiter schlimm. Aber was mit die Abonnent:innen der Literaturblätter mit ihrer finanziellen Abgeltung ermöglichen, fliesst auf ein Konto, das mir die Freiheit gibt, mich weiterhin grenzenlos und manchmal auch erfrischend hemmungslos auf meiner Mission der Literaturvermittlung weiterzubewegen. Wer das Literaturblatt abonniert, unterstützt meine beiden Webseiten literaturblatt.ch und gegenzauber.literaturblatt.ch, mein Engagement weit über das Zeichnen, Schreiben und Gestalten hinaus.

10 Literaturblätter, die sich auf mindestens zwei Jahre verteilen, kosten Sie 50 Franken oder Euro. Mit diesem Beitrag unterstützen Sie nicht nur mich, sondern den ganzen Literaturbetrieb. In einer Zeit, in der dieser immer mehr vom Engagement einzelner abhängig ist, seit Corona erst recht. In einer Zeit, in denen es in den offiziellen Medien immer weniger Platz für die Literatur gibt, in der die Auseinandersetzung mir ihr immer fadenscheiniger wird.

„Literarische Blogger und -innen gibt es zuhauf, auch wenn kaum mal einer oder eine ein Buch aus dem Verlag hier hinten am Horizont in die Hände bekommt. Macht nix, Hauptsache Long John Silver liest unsere Preziosen. Nun ist es so, dass auch die Welt der Blogs eine der Superlative ist und wen wundert es, dass die Suche nach dem Besten, Schönsten und Weitvernetztesten im Gange ist. Mir persönlich ist nur einer bekannt; ein wenig verrückt ist er, – wie könnte ich ihn sonst kennen –, publiziert er doch seine immer eigenwillig geschriebenen Buchrezensionen – davon kann man sich jederzeit selbst überzeugen – nicht nur auf seinem Blog, sondern schreibt diese zusätzlich und von Hand mit Kugelschreiber wie in ein (B)Logbuch, druckt das Ganze auch noch auf Papier und verschickt diese Flaschenpost, die LITERATURBLATT heisst, per Post, mit Briefmarke und allem, was dazu gehört.“ Ricco Bilger, Verleger

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Vielen, vielen Dank!
Und herzliche Grüsse
Gallus Frei-Tomic

PS Lesen hilft immer!