Pascal Janovjak «Der Zoo in Rom», Lenos

Zoos sind Spiegel ihrer Gesellschaft. In Zoos sind nicht einfach nur Tiere zur Besichtigung eingesperrt. Zoos sind viel mehr. Ein Zoo ist ein künstlicher Kosmos. Und dass man in einem solchen gänzlich abtauchen kann, davon erzählt Pascal Janovjak in seinem preisgekrönten Roman „Der Zoo in Rom“.

Dass es Zoos in der Gegenwart immer schwerer haben, wenn sie sich nicht ganz offensiv das Mäntelchen des aktiven Tierschutzes, des Bewahrers bedrohter Arten überstreifen, ist spätestens dann klar, wenn man als Besucher:in sieht, wie stark Zoos gezwungen sind, in möglichst artgerechte Haltung möglichst viel zu investieren. Je mehr Lebensraum unersetzbar zerstört wird, desto mehr werden Zoos zu Archen. Noch immer sind Zoos Visitenkarten, Prestigeobjekte. Aber was in den vergangenen hundert Jahren in und um Zoos passiert ist, ist eine eigentliche Kulturgeschichte. Die Kulturgeschichte des Objekts „Tier“, dass vom reinen Material, das einzig und allein der Huldigung menschlicher Vermessenheit diente zum geduldigen „Objekt“ selbst wurde. So wie einst das Tier zu dienen hatte, dient heute der Mensch – verspricht es zumindest.

Pascal Janovjak «Der Zoo in Rom», Lenos, 2021, 232 Seiten, CHF 32.00, ISBN 978-3-03925-003-5

Pascal Janovjak will viel mehr als die Geschichte eines Zoos erzählen, die hundert Jahre des Zoos in Rom, von seiner Gründung 1911 bis in die Gegenwart. Pascal Janovjak erzählt die Geschichte eines Biotops, jener Menschen und Tiere darin, die sich hinter Gitter oder Glas, von Gräben getrennt gegenüberstehen. Und die Geschichte einer jungen Frau und eines jungen Mannes, die sich in diesem Geviert zaghaft zu lieben beginnen und sich wieder verlieren, alle beide auf die ihr ganz eigene Art und Weise. Hundert Jahre nach seiner Gründung soll die neue Kommunikationschefin Giovanna für den Zoo eine PR-Strategie entwerfen, um den sinkenden Einnahmen durch sinkende Besucher:innenzahlen entgegenzuwirken. Gleichzeitig streift im Zoo der junge algerische Architekt Chahine herum, der eigentlich einen baulichen Auftrag hätte, sich aber vielfach fasziniert in den Wegen des Zoos verliert. Schlussendlich ist es der letzte einer Ameisenbärenart, der die beiden bindet, aber nicht nur die beiden, sondern mit einem Mal überrennen Besuchermassen den Zoo, weil man Zeuge sein will eines letzten Überlebenden, des Dramas des Aussterbens.

In seinem Erzählen stösst Pascal Janovjak tief in den feuchtheissen Kosmos jenes Zoos ein, der vor hundert Jahren nicht nur Tiere vorführte, koste es was es wolle, sondern auch Menschen, ganze Dörfer, die in Kulisse vor kultivierten Besucher:innen zeigen sollten, wie weit man von den Primitiven entfernt ist. Eskimos neben Damwild, Nubier neben Antilopen und Tigern, perfekt inszeniert, auch wenn mit Verlusten gerechnet werden musste. Eine Landschaft wie auf einer lebendigen Postkarte. Tiere wurden von überall her eingefangen, hergekarrt, verschifft und transportiert, auch wenn nur eines von fünf Tieren die Strapazen überlebte. An den Ufern des Tibers muss es mordsmässig gestunken haben, nach Kot, Urin und Verwesung, als man in Empfang nahm, was jämmerlich überlebte.
Pascal Janovjak schildert, als ob er dabei gewesen wäre. Ein Zoo, der hundert Jahre zwischen Konkurs und Euphorie schwankt, immer wieder, je nachdem woher wirtschaftlich und politisch der Wind wehte.
Die Düfte scheinen aus den Seiten aufzusteigen und sich um die eigenwillige Liebesgeschichte zwischen Giovanna und Chahine zu ranken, so sehr, dass sich Chahine in den Dünsten verliert, nicht nur seinen ursprünglichen Auftrag, nicht nur seine Liebe, sondern auch sich selbst.

„Der Zoo in Rom“ ist unschweizerisch opulent erzählt, als hätte der Autor ein südamerikanisches Erzähl-Gen. Und dazwischen der Ameisenbär, ein Tier aus tiefster Vergangenheit, ein Wesen, das sich aufmacht zu verschwinden.

© Laura Salvinelli

Pascal Janovjak, geboren 1975 in Basel als Sohn einer französischen Mutter und eines slowakischen Vaters, studierte Komparatistik und Kunstgeschichte in Strassburg. Er lehrte Französisch an der Universität Tripoli (Libanon), leitete 2002–2005 das Büro der Alliance française in Dhaka (Bang­ladesch) und unterrichtete anschliessend Literatur in Ramallah (Palästina). 2011 Schreibaufenthalt am Istituto Svizzero di Roma. Seither lebt er in Rom. «Le Zoo de Rome» ist sein dritter Roman. Er wurde mit dem Schweizer Literaturpreis, dem Publikumspreis von Radio Télévision Suisse und dem Prix Michel-Dentan ausgezeichnet.

Lydia Dimitrow, geboren 1989 in Berlin. Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, der französischen Philologie und Neueren Deutschen Literatur an der Freien Universität Berlin und an der Université de Lausanne. Übersetzt aus dem Französischen und dem Englischen, schreibt Prosa und Szenisches. Moderiert Veranstaltungen und ist Mitglied der Theaterkompanie mikro-kit.

Beitragsbild © Guy Buchheit