Mit „Kraft“ zum Sieg! Jonas Lüscher ist Träger des Schweizer Buchpreises 2017.

Ein Fest des Buches, literarische Feinkost, leise Stimmen und sprachliches Trommelfeuer, unüberhörbare Gehässig- und Peinlichkeiten, Musik in der Sprache und Besucher, die sich begeistern liessen – das war die BuchBasel 2017. 


Was zu einer Jubiläumsveranstaltung hätte werden sollen, begann schon am Abend vor der Verleihung des Schweizer Buchpreises 2017 zu stolpern. Mit einem Mal gerieten das Buch, die Literatur, das Lesen, die Autorinnen und Autoren, ihre Verlage und die Absicht, das Buch mit all der Medienpräsenz in den Blick der Öffentlichkeit stellen zu wollen in den Hintergrund. Man liess sich zu Emotionen hinreissen, hätschelte die eigene Empörung. Ausgerechnet in der Literatur, bei der man sich sonst gerne „in der höheren Warte“ weiss, bei der man sich sonst gerne eloquent und wissend gibt, ausgerechnet an einem Fest, das man mit Würde hätte feiern sollen.

Jonas Lüscher ist verdienter Preisträger des 10. Schweizer Buchpreises. Ich gratuliere ihm nicht nur zu seinem Preis, auch für sein literarisches Schaffen und nicht zuletzt für die würdige Art, wie er den Preis entgegengenommen hat. Sein Buch „Kraft“, ein literarisches Schwergewicht, hat alles, was ein Buch für einen solchen Preis braucht; eine bestechende Sprache, eine intelligente Geschichte, den Blick in ein „fremdes Land“, Mehrbödigkeit und genug Fleisch, um sich daran die Zähne auszubeissen.

Speziell hervorheben möchte ich zwei Namen; einen, den ich schon lange kenne und der mich mit nicht nur überraschte, sondern mit seiner Art des Erzählens förmlich verzückte – und eine, deren Namen ich bislang nicht kannte, einen Namen, den es aber unbedingt zu entdecken gilt.

Der 1962 in Dresden geborene und in Berlin lebende Ingo Schulze, schon lange eine Grossmacht in der deutschen Literaturszene, schrieb mit seinem neusten Roman „Peter Holtz – Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“ die Geschichte eines reinen Tors. Peter Holtz ist einer, der das Gute will, nur das Gute. 1974, kurz vor seinem 12 Geburtstag haut er ab aus einem sozialistischen Kinderheim auf der Suche nach der besseren Welt, auf der Suche nach Menschen wie ihm, die ungebrochen an den real existierenden Sozialismus glauben. Der überaus witzige und tiefsinnige Roman erzählt in einem langen Bogen bis ins Jahr 1998, als aus dem bettelarmen Jungen ein wider Willen schwerreicher Mann geworden ist, dessen Tun und Lassen sich ohne Absicht in Gold und Geld verwandelt. Ingo Schulzes Roman beschreibt die Wendezeit der deutschen Geschichte. Er erzählt aber nicht bloss, sondern stellt mit seinem Erzählen ganz grundsätzliche Fragen. Ingo Schulze erzählt leicht, lädt mich ein, an der Seite eines Andersartigen die Suche nach dem Glück aufzunehmen. Lesen!

Und Rosa Yassin Hassan, eine aus Syrien geflohene Schriftstellerin und Bloggerin, die seit 2012 in Hamburg lebt und arabische Literatur unterrichtet. Vom Schriftsteller Yusuf Yeşilöz im Namen des DeutschSchweizer PEN Zentrums eingeladen ist Rosa Yassin Hassan auf einer Lesereise mit ihren Romanen „Ebenholz“ und „Wächter der Lüfte“. Am 15. November, am Writers in Prison Day wird in vielen Ländern verfolgter Schriftstellerinnen und Schriftsteller gedacht. Wäre Rosa Yassin Hassan 2012 nicht aus Syrien geflohen, wäre sie wegen ihrer ganz offenen Kritik in ihrem Blog an der Syrischen Regierung und ihrem Diktator Baschad al-Assad mit Sicherheit eingesperrt und gefoltert worden, wie viele ihrer Freunde, Verwandten und Gesinnungsgenossen. „Schreiben ist meine Krankheit und meine Therapie, die Erinnerung eine tödliche Last“, verrät die Autorin im Interview mit Michael Guggenheimer, Schriftsteller und Journalist. Rosa Yassin Hassan will eine Brücke sein zum Verständnis der arabischen Kultur, die alles andere als deckungsgleich mit islamischer Kultur ist. Sie schreibt und spricht über Tabus; Religion, Politik und nicht zuletzt über Sex. Schreiben in einer Umgebung, die in Europa vollkommen anders ist als in ihrer Heimat Syrien, einem Land, dessen Infrastruktur heute zu 70% zerstört ist. Die Autorin entschied wie viele andere, die aus Syrien flohen, nie, Flüchtling zu werden. Sie sei schlicht zur Flucht gezwungen worden, aus einem Land, in dem nichts mehr funktioniert, in dem man in jedem Augenblick mit dem Tod bedroht ist. Was im Büchlein „Eine fatale Sprayaktion – Die Geschichte dreier Freunde in Syrien“ als Revolution die Welle zum Überschwappen brachte, ist längst zu einem verlorenen Bürgerkrieg geworden. Rosa Yassin Hassan kämpft mit Worten weiter.

Illustration von Benjamin Güdel zum Büchlein „Eine fatale Sprayaktion – Die Geschichte dreier Freunde in Syrien“ SJW 2544 von Rosa Yassin Hassan

Webseite von Ingo Schulze
Webseite des Illustrators Benjamin Güdel

Titelfoto: Werner Biegger

Wort – Laut und Luise, Lechts und Rinks 2017

Die 9. St. Galler Literaturtage WORTLAUT 2017 sind Erinnerung. Laute und leise Töne mit wenig und viel Publikum. Markige Sprüche, freche Zeichnungen, durchscheinende Lyrik und rundum Gespräche über Bücher und Literatur, Text und Kontur. Aber was blieb in Erinnerung? Was hat bewegt?

„Warum ist die Welt in Büchern nicht eine bessere als in der wirklichen Welt?“

Mein ganz persönliches literarisches Jahr beginnt mit den St. Galler Literaturtagen – jedes Jahr. Im Vorsommer dann die Solothurner Literaturtage, die Nabelschau der CH-Literatur und im Sommer dann das Literaturfestival in Leukerbad mit einem literarischen Blick weit über die Landesgrenzen hinaus. Es sind aber wie in jedem Bücher- und Literaturfest nicht so sehr die Bücher, die mich locken, sondern die Schöpferinnen und Schöpfer selbst. Vor allem jene, bei denen ich spüre, wie neugierig sie sind, was ihre Bücher mit mir machen.

„Warum hat die Literatur so viel Lust, den Antihelden scheitern zu lassen?“

Die diesjährigen Literaturtage begannen in der Provinz, mit einer Prologlesung des jungen Schriftstellers und Journalisten Frédéric Zwicker im Kulturforum Amriswil. Der Autor las aus seinem ersten Roman „Hier können sie im Kreis gehen“, der Geschichte des 91jährigen Johannes Kehr, der sich im Altersheim hinter einer vorgetäuschten Demenz vor den Menschen versteckt. Sein ernst zu nehmender Roman über den letzten Lebensabschnitt vieler Menschen, den man aber gerne verdrängt, mit dem man sich selbst meist erst kurz davor und nur ungerne auseinandersetzt. Die Geschichte eines alten Mannes, die erklären soll, warum sich jemand hinter einer vorgespielten Demenz vom Leben distanzieren will. Ein Unterfangen, das mit Bedacht und Vorbereitung angegangen werden muss, wenn Kehr sich nicht durch die Wirkung eines Medikaments oder einer unglücklichen Äusserung verraten will. Ein Abenteuer, das ihm ungeahnte Freiheiten eröffnet, weil niemand, nicht einmal seine Enkelin, deren Foto er seine Geschichte erzählt, sein Doppelleben erahnt. Eine Lesung, ein Gespräch, das sich mit vielen wichtigen Fragen auseinandersetzte; Was tun, wenn einem nichts mehr am Leben hält? Wie viel Freiheit braucht der Mensch, selbst dann, wenn er unberechenbar wird?

„Literatur mag Personal, das etwas riskiert.“

Bei der offiziellen Eröffnungsveranstaltung las Max Küng, bekannt durch seine Kolumnen im Tages-Anzeiger Magazin, ein letztes Mal aus seinem Roman „Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück“. Ein Roman darüber, was hinter der Fassade eines Zürcher Stadthauses passiert, wenn alle im Haus gleichzeitig die Kündigung ihres Mietverhältnisses zugeschickt bekommen. Max Küng ist gewiefter Beobachter, Journalist und Schriftsteller. Max Küng tut, was er wirklich kann. Er blickt mit dem Brennglas auf Grossstadtmenschen, Menschen, die nur dort leben können, bunte Kampffische im Aquarium. Ganz offensichtlich verlief die Dernière mehr nach den Vorstellungen des Autors als die Buchtaufe im vergangenen Herbst auf dem Dach seines Zürcher Verlags. Damals ass man Biosandwiches unmittelbar unter der Sonne, ein kleiner Haufen. Das Buch kam unter all den Kulturlöwen kaum zu Wort.

„Figuren die allzu positiv besetzt sind, interessieren die Literatur nicht.“

Und am Samstag, dem eigentlichen Haupttag des Festivals, waren es nicht die grossen Namen, die mich überzeugten. Dafür umso mehr jene, die es verstehen, aus Beobachtungen fein ziselierte Literatur zu schaffen. Die noch junge Franziska Gerstenberg, die über ihrem Erzählband „So lange her, schon gar nicht mehr wahr“ sagt: „Die Figuren sind alle ich, mit allen Fragen, allen Zweifeln.“ Sie gehe langsam vor, versuche sich psychologisch anzunähern, hineinzuhören, nicht auszuleuchten, nicht gewillt einer Pointe nachzurennen. Es reize sie, die Perspektive zu wechseln und sich nicht wie bei Romanen über Jahre mit dem gleichen Personal herumschlagen zu müssen. Franziska Gerstenberg , zierlich, fast zerbrechlich, las in Lederstiefeln mit drei grossen Schnallen übereinander, als müsse sie wenigstens in ihnen Halt finden. Sie las von Menschen in Not, wie dem stillen Dichter Stoll, der in der Orangerie an der Kasse hinter der Theke sitzt und mit seinem Lächeln auf Besucher wartet. Stoll, der in seinem Schreibzimmer zuhause den einzigen Ort besitzt, in dem und für den es sich zu leben lohnt.
Die noch immer junge Anna Weidenholzer: In ihrem neusten Roman „Weshalb die Herren Seesterne tragen“ erzählt sie von Karl. Karl fährt weg in einen Winterort ohne Schnee. Ein Mann, der nur forschen will und kann, sich auf dieser Reise ganz vom Zufall leiten lässt, davon überzeugt, dass es für alles und jedes mindestens zwei Möglichkeiten gibt. Bloss nicht für die Stimme in seinem Kopf, für die Stimme seiner Frau, die alles kommentiert, von der er stets weiss, wie und was sie sagen wird, wenn er etwas tun oder sagen will. Eine Stimme, die immer nur das „Richtige“ kennt. Anna Weidenholzer webt in ihren Roman Sätze, die haften bleiben, Sätze wie Schnappschüsse einer Meisterfotografin. Sätze, die klingen, Sätze, die man irgendwie kennt. Johannas Kehr bei Frédéric Zwicker, Stoll bei Franziska Gerstenberg und Karl bei Anna Weidenholzer; Männer, die zu verschwinden drohen.

„Wir leben in einer postheroischen Gesellschaft.“

Und dann noch Nico Bleutge, ein Dichter aus dem Norden, aus Berlin, den ein Stipendium nach Istanbul am Bosporus schickte, eine Stadt, die er bereits aus früheren Besuchen kennt, eine Stadt, in der es brennt. Eine Stadt zwischen Zeiten, Fronten und Kulturen. Nico Bleutge schreibt Lyrik in langen, farbigen Bändern, in „Nachts leuchten die Schiffe“ Wortgemälde mit Sicht auf die grossen Kähne, die durch die Meerenge ziehen. Auch wenn zu dieser Lesung in dem sonst gut besetzten „Raum für Literatur“ in der Hauptpost nur wenige Neugierige dem Dichter ihre Aufmerksamkeit schenkten, galten für mich diese 45 strahlenden Minuten als einer der Höhepunkte der diesjährigen St. Galler Literaturtage.
Was bleibt? Ich hörte zu und es taten sich Horizonte auf!
(Die eingefügten Zitate sind Fetzen eines sonst missratenen Literaturgesprächs zwischen Sabine Gruber, Jonas Lüscher und Andrea Gerster.)

Zora del Buono in Amriswil, «Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt»

Zora del Buono beehrte Amriswil, las an der St. Gallerstrasse aus ihrem neusten Roman «Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt» und ihrem Baumgigantenbuch «Das Leben der Mächtigen» vor. Eine Matinee vor ausgesuchtem Publikum, an einem wunderschönen Sonntag. Genuss pur!

«Einen besseren Start in den Frühling könnte man sich gar nicht wünschen: Eine bezaubernde Fahrt durch den Thurgau, eine handschriftlich verzierte Mauer, ein Haus, dekoriert wie eine Wundertüte, gefüllt mit netten Leuten, die zu aufmerksamen Zuhörern werden. Dazu noch Traubensaft, Wein und Käse. Und als Krönung jede Menge gute Gespräche. Das war ein wirklich schöner Anlass. Vielen Dank.» Zora del Buono

mit der Schriftstellerin Marianne Künzle

«Manchmal, je nach Tagesverfassung, befällt einen die Schüchternheit, in sehr kleinem Rahmen unter Menschen die man nicht kennt. Nicht bei Irmgard und Gallus, wo Gespräche entstehen, Begegnungen – einfach so!» Marianne Künzle

mit dem Musiker und Komponisten Daniel Schneider

Diane Broeckhoven «Was ich noch weiss», C. H. Beck

Es gibt Bücher, die sich aus nicht immer erklärbaren Gründen tief in mein Gedächtnis eingraben. Bücher, die bleiben werden, sowohl inhaltlich wie die Eindrücke aller Gefühle, mit denen ich das Buch am Ende der Lektüre ins Regal reihte. Bücher, die mich zu einem treuen Begleiter der Autorin oder des Autors werden lassen, jedes Mal beschenkt, wenn ein Neues in den Buchhandlungen aufliegt.

9783406529757_large2005 erschien der schmale Roman «Ein Tag mit Herrn Jules» der Niederländerin Diane Broeckhoven. Der letzte gemeinsame Tag eines alten Ehepaars, von Alice und Jules. Jules steht wie jeden Morgen etwas früher auf als seine Frau, lässt die Filterkaffeemaschine an und setzt sich in seinen Sessel im Wohnzimmer. Als Alice wenig später vom Duft des Kaffees geweckt wird, muss sie feststellen, dass es das Letzte war, was ihr Mann in seinem Leben tat. Alice beschliesst, diesen einen, letzten Tag mit ihrem toten Mann alleine zu verbringen, die Maschinerie des letzten Gangs noch aufzuschieben. Sie will Abschied nehmen und «aufräumen». Wer «Ein Tag mit Herrn Jules» noch nicht gelesen hat, sollte es nachholen!

Der Roman «Was ich noch weiss» geht der Frage nach, was Familie ausmacht, Jenes scheinbar so wichtige, tragende Gefüge, das die einen als Grundfeste beschwören, die andern als Schmelztiegel aller Enge und Probleme erleben. Dabei ist Familie wie alles andere Menschliche ein vorübergehendes Ensemble mit längeren Phasen der Stabilität, die aber niemals darüber hinwegtäuschen, wie schnell «Unfälle aller Art» Familie verändern und destabilisieren können.

9783406696787_large«Was ich noch weiss» ist die Geschichte einer solchen Familienkonstellation. Eines Tages muss Peter, der Sohn der Familie, feststellen, dass Manon, seine Mutter, nicht die einzige Frau im Leben seines Vaters ist. Obwohl dieser Peter zu seinem Komplizen machen will, eine ebenso unmögliche Konstellation, bricht die Familie auseinander. Jahre später, verlassen von Ehemann und Sohn, erleidet Manon einen Schlaganfall, just an dem Tag, an dem ihr Sohn Peter Rebecca, seiner grossen Liebe, vor Publikum den offiziellen Heiratsantrag machen will, ein Wiedereintritt in die Familie. Manon rutscht ins Koma und wacht erst Monate später langsam in einem anderen Leben wieder auf, um festzustellen, dass das Leben sich ohne sie von ihr entfernte.

Das Buch hat zwei Stimmen, jene von Manon, die am Schluss des Buches notiert, «was sie noch weiss» und jener von Peter, einem Mann zwischen Frauen. Heimlicher Protagonist des Romans ist aber jener rote Ohrensessel, den sich Manon in der Zeit als Familienfrau als Zufluchtsort und Privatinsel, für Unbefugte verboten, kauft. Jenen Sessel, der Jahrzehnte später in der grell ausgeleuchteten Lagerhalle eines «Sozialkaufhauses» steht und zum zweiten Mal von der wiederauferstanden Manon erstanden wird.

Auf eine Mail, in der ich Diane Broeckhoven frage, wie sie denn zu dieser Geschichte kam, schrieb sie zurück: «Die Geschichte in «Was ich noch weiss» ist fiktiv, obwohl natürlich kleine Geschichten und Details aus meinem eigenen Leben kommen könnten. Ich habe zwei Söhne und eine Tochter. Ich weiss, wie junge Leute reagieren können. Ich weiss auch aus eigenen Erfahrungen wie es ist, wenn sich einst Liebende trennen und wie Kinder sich dann fühlen können. Die initiale Geschichte/Basis – eine Frau, die ihre Möbel und persönlichen Besitztümer in Flöhmarkten sucht – habe ich einmal am Fernsehen gesehen. Ihre Kinder hatten alles verkauft, um Geld für ihre letzten Lebensmonate zu sammeln. Dieses Bild war zuerst da. Das hat mein Herz berührt. Ich habe die ganze Geschichte von Manon und ihren Kindern um dieses Thema gebaut.»

diane_broeckhoven1-199x300Diane Broeckhoven, 1946 geboren, hat zahlreiche, vielfach ausgezeichnete Kinder- und Jugendbücher geschrieben. Unter ihren Romanen für Erwachsene, etwa «Eine Reise mit Alice» und «Herrn Sylvains verschlungener Weg zum Glück», wurde «Ein Tag mit Herrn Jules» zu einem Bestseller. Das Buch ist inzwischen in sechzehn Ländern erschienen und wurde über 250.000 Mal verkauft. Diane Broeckhoven lebt in Antwerpen.

Die Übersetzerin Isabel Hessel, 1973 geboren, erhielt 2003 das Stipendium des LCB für Literaturübersetzer. Sie lebt und arbeitet in Antwerpen und übersetzte schon mehrere Bücher von Diane Broeckhoven für C.H.Beck. Ihre Spezialität sind flämische Autorinnen.

Zora del Buono «Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt», C. H. Beck

Schon beeindruckend, was Zora del Buono mit ihrem neuen Roman auf 170 Seiten an Vielschichtigkeit, Themen und Klugheit vor mir ausbreitet, ohne in Oberflächlichkeit oder ideologischen Snobismus zu verfallen. Zora del Buono verdichtet nicht nur das Geschehen, genauso die Sprache und die Nähe zur Protagonistin; sie ist nie geschwätzig. «Hinter Büschen, an eine Wand gelehnt» so auf die Schnelle einzuordnen, ist gar nicht so leicht und beweist die Meisterschaft dieses Romans, seine Architektur.

Zum einen erzählt die Autorin von einem Sommer an einem amerikanischen Ostküsten-College, wo die Protagonistin als deutsch sprechende Europäerin im universitären Treibhaus einen Sommerkurs in Journalismus gibt. Die Erzählerin der Geschichte, so alt wie die Autorin der Buches (Jahrgang 1962), verliebt sich in einen der Studenten, einen um 30 Jahre jüngeren Wilden mit pechschwarzen, schulterlangen Haaren, Kinnbart, Schnauz, unrasiert. Eine unmögliche Campusliebe, die nicht verborgen bleibt. Erst recht nicht, als sich in die Liebe Verzweiflung mischt. Während man der Dozentin deutlich die Unmöglichkeit zu verstehen gibt, rutscht Zev, der junge Wilde, bei seinen journalistischen Gängen immer tiefer in die im gleichen Sommer grassierende Angst, von Geheimdiensten und Regierungen vollkommen kontrolliert und überwacht zu sein. Während Edward Snowdens Enthüllungen den Geheimapparat NSA entblössen und 9783406696909_largeRegierungen zu allerlei Beschwichtigungen zwingen, wird Zevs Angst zur lähmenden Paranoia. Die zunehmende Angst, was ein Satz auszurichten vermag, ein Anruf, eine Mail, selbst das geflüsterte Wort, das zu einem Dröhnen werden kann. Die Angst, jeden Satz bei jeder Gelegenheit abwägen zu müssen, weil unsichtbare Ohren zuhören, zerreisst den jungen Zev. Die Angst verändert auch das, was im Verlaufe der Sommerwochen eine Liebe wird. Zora del Buono offenbart in ihrem Roman aber noch viel mehr; den Klassenkampf zwischen Studenten und Dozenten, die allgegenwärtige Angst der amerikanischen Gesellschaft, nicht nur vor Terror, das Leben in der Wattewelt der Universitäten und die Unmöglichkeit einer Liebe zwischen einer «älteren» Frau und einem jungen Mann, ganz im Gegensatz zu deren Umkehrung. Das grosse Thema aber ist die Angst: «Vor einer Woche war mein Leben noch in Ordnung, ich bin jung, meine Zukunft war offen. Jetzt habe ich Angst. Ich leide an Lähmung durch Angst. Ich weiss zu viel über sie. Und sie wissen zu viel über mich.» Und nicht zuletzt ist der Roman das Protokoll des Sommers 2013, als die Welt aus ihrer lethargischen Naivität von mutigen Menschen wie Edward Snowden aufgeschreckt wurde. Das Protokoll einer «unmöglichen» Liebe aus der Sicht einer Frau für einen jungen Mann, «in dessen Nähe ich mich in Sicherheit fühlte, eigenartig geborgen, ich, die Vaterlose, die sich nie im Leben von einem Mann hat beschützen lassen wollen, die sich ins Bodenlose geschämt hätte, wenn sie auf einem Motorrad die Sozia hätte sein sollen, gelehnt an einen Mann, undenkbar…»
Ein wahrhaft vielschichtiger Roman, stark in seiner Wirkung, dicht und spannend bis zum allerletzten Satz. Bestimmt ein Buch über die Liebe, die sich aller Kontrolle entzieht, auch vor der eigenen.

zoradelbuono3Zora del Buono, geboren in Zürich, lebt in Berlin und Zürich. Sie studierte Architektur an der ETH Zürich und der HdK Berlin, arbeitete vier Jahre als Architektin und Bauleiterin und war Gründungsmitglied der Zeitschrift «mare». Im mareverlag sind ihre Romane «Canitz’ Verlangen» (2008) und «Big Sue» (2010) erschienen sowie «Hundert Tage Amerika. Begegnungen zwischen Neufundland und Key West» (2011), bei Matthes & Seitz in der Reihe «Naturkunden» ihr Band «Das Leben der Mächtigen. Reisen zu alten Bäumen» (2015).

Zora del Buono liest am Sonntag, den 12. März 2017  in Amriswil bei uns an der St. Gallerstrasse! 11 Uhr! Vormerken! Die 10. Hauslesung! Unser kleines Jubiläum!

Webseite der Autorin

(Titelbild: Sandra Kottonau)