Daniel Magariel «Einer von uns», C. H. Beck

Familie kann zur Hölle werden. Aber Familie ist Familie. Vater bleibt Vater. Bruder bleibt Bruder. Und wenn der Hass auf die Mutter und Ex-Frau, die Angst vor der Polizei den Ort der vermeintlichen Sicherheit zum Gefängnis macht, werden aus Banden Fesseln, aus Verzweiflung Resignation. Trotzdem strotzt der Roman «Einer von uns» von Kraft – nicht zuletzt von der Kraft der Sprache.

«Einer von uns» ist keine leicht verdauliche Kost. Es schnürt einem während des Lesens die Kehle zu. Nicht nur wegen der über zwei Brüder hereinbrechenden Gewalt eines drogensüchtigen, vollkommen unberechenbaren Vaters, sondern weil eine ungebrochene fatale Sehnsucht nach Sicherheit, Geborgenheit und Liebe die beiden Brüder aushalten lässt, was für mich als lesenden Zeugen beinahe unerträglich ist. Genau das ist die literarische Qualität dieses Romans. Nicht der Voyeurismus, nicht der Rapport eines Martyriums, sondern die feine, exakte Beschreibung jener hellen und finsteren Zwischenräume inmitten absoluter Verzweiflung, familiärer Apokalypse und kindlicher Freude, wenn zwischen all den Ausbrüchen Momente der Entspannung, naiver Hoffnung aufblitzen.

Der eine Bruder, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, ist zwölf. Sein älterer Bruder ein paar wenige Jahre älter. Gerade so alt, dass er mit dem Geld, das er im Supermarkt verdient, die Familie über Wasser halten kann. Eine Familie, die vom Hass auf Mutter und Ex zusammengehalten wird. Von einem Hass, der immer wieder vom Vater geschürt wird. Ein Hass, der die Brüder bei der Kampfscheidung die Mutter mit Falschaussagen um das Sorgerecht brachte. Ein Hass, der alles zerstören sollte, was die beiden Brüder zurück zur Mutter bringen könnte. Hass geschürt von einem Vater, der mit seinen Jungs alles hinter sich zurücklässt, von zuhause aus zu arbeiten versucht und nicht davon zurückschreckt, seine Söhne für alles Mögliche und Unmögliche zu instrumentalisieren.

Obwohl der Vater zwischendurch alles tut, um Zweckoptimismus zu erzeugen und sich Momente scheinbarer Idylle wie Hoffnungsschimmer abzeichnen, werden die Ausbrüche und Übergriffe des Vaters immer unberechenbarer, immer einschneidender, immer zwiespältiger. Daniel Magariel zeigt, dass Familienbanden fatalistisch zusammenschweissen können, dass die Angst vor dem Verrat, die Ungewissheit einer leeren Zukunft bewegungsunfähig macht. Die Brüder sind mehr als nur Leidensgenossen. Sie sind allein, von der Welt abgeschlossen, angekettet von einem Vater, der seine Söhne zu Komplizen macht, sie bei der Scheidung zu Falschaussagen zwang, die ihm das Sorgerecht brachten, den Söhnen aber immer wieder aufbrechendes Schuldgefühl und die Unmöglichkeit einer Rückkehr.

© Foto: Lucas Flores Piran

Daniel Magariel stammt aus Kansas City. Er hat einen B.A. von der Columbia University und einen M.F.A. von der Syracuse University, wo er Cornelia Carhart Fellow war. Er hat in Kansas, Missouri, New Mexico, Florida, Colorado, und Hawaii gelebt. Derzeit lebt er zusammen mit seiner Frau in New York. «Einer von uns» ist sein erster Roman.

Der Übersetzter Sky Nonhoff ist Kulturjournalist, Autor («Die dunklen Säle», «Don’t Believe the Hype») und Kolumnist beim MDR. Er hat u. a. Romane und Erzählungen von Jonathan Coe, Gay Talese und Dennis Lehane ins Deutsche übertragen. Für C.H.Beck übersetzte er u. a. Caitlin Doughtys «Fragen Sie Ihren Bestatter» (2016) und Souad Mekhennets «Nur wenn du allein kommst».

Titelfoto: Sandra Kottonau