Peter Stamm «Das Archiv der Gefühle», S. Fischer

In Kellern lässt sich vieles lagern, verbergen, vergessen. Aber für eine ganz besondere Sorte Mensch kann ein Keller zu einem Lebensraum, einem Lebensspeicher werden, in dem sie horten, schichten, stapeln und selbst in einem scheinbaren Chaos zu ordnen versuchen.

„Das Archiv der Gefühle“ ist ein Roman der Entmaterialisierung, denn was bleibt, ist weder bedrucktes, noch beschriebenes Papier, selbst in der kurzen Einheit eines Lebens. Das einzige, was bleibt, ist der Nachhall von Gefühlen, etwas, das sich weder schichten, stapeln, noch horten lässt. Der Nachhall ist flüchtig.

Man hat den Icherzähler entlassen, nachdem er über Jahrzehnte verantwortlich war über das Recherchearchiv einer grossen Tageszeitung. Einst war er Vorgesetzter einer ganzen Equipe in den Kellerräumen des Unternehmens. Irgendwann war er übrig geblieben, der Letzte, den man entlassen musste. Und weil es in der digitalisierten Gegenwart weder Verwendung für ein Archiv, noch für die Rollregale gibt, liess man das Ganze, nachdem er seinen eigenen Keller im ehemaligen Wohnhaus seiner Mutter geräumt hatte, für wenig Geld und gegen vertraglich abgesicherte Nutzungsbestimmungen in sein Heim abtransportieren. Nicht der letzte Grund, warum ihn seine Frau Anita irgendwann aufgab und verliess.

„Das Archiv verweist nicht nur auf die Welt, es ist ein Abbild der Welt, eine Welt für sich. Und im Gegensatz zur realen Welt hat es eine Ordnung, alles hat seinen festgesetzten Platz…“

Seither spielt sich das Leben des Einzelgängers in den Mauern seines Hauses ab. Was sich nicht durch die wenigen Spaziergänge erledigen lässt, ordert er per Internet. Die Tagesabläufe blieben immer gleich, die Arbeitsstunden am Morgen, das karge Mal zu Mittag, die Arbeitsstunden am Nachmittag, das Buch am Abend.

Peter Stamm «Das Archiv der Gefühle», S. Fischer, 2021, 192 Seiten, CHF 29.90, ISBN 978-3-10-397402-7

Aber so sehr er Hüter seines Archivs ist, Hüter gegen das Vergessen, ein Manischer, der immer wieder neue Dossiers anlegt, beseelt davon, Ordnung in sein Leben zu bringen, wird er bedrängt von seinen Gefühlen, den Erinnerungen, der Ahnung, sein Leben verwirkt, vergeudet zu haben. Damals, noch in der Schule, war Franziska seine Freundin. Eine Freundin, in die er verliebt war, die seine Liebe nie verlor, auch als sie sich aus den Augen verloren und sein Leben den Anschein machte, in geordneten Bahnen zu verlaufen. Aber eine Liebe, der er sich nie offenbarte, die immer in der Schwebe blieb, auch als man sich später immer wieder einmal traf und das eine oder andere Mal geschwisterlich in Hotels ein günstiges Zimmer teilte.

Und als in der Gegenwart das Virus das Leben zeitweise zum Erliegen bringt, er seine Spaziergänge aus den Tiefen seines Archivs wieder länger werden lässt, wird auch Franziska immer mehr zu einer Begleiterin seiner Tage, manchmal so real, dass ihr Abbild beinah greifbar wird. Sollte er noch einmal Kontakt aufnehmen? Nach 40 Jahren?

Peter Stamms schrulliger Einzelgänger wendet sich immer mehr ab von jener Welt, die er zu schützen glaubte, immer mehr zu, jenem Gefühl noch eine letzte Chance haben zu müssen, seinem Leben einen Sinn zu geben. Ich mag ihn. Eigentlich hat er alles richtig gemacht und doch droht er, alles zu verlieren. Der Eigenwillige hat etwas von einem Künstler, einem Kämpfer, der sich nicht um ein Publikum schert.

Aus Franziska wurde Fabienne, ein Name, der sich auf der Bühne als Sängerin besser verkaufen liess. Aber auch ihr Leben ist aus der Spur geraten, vielleicht schon viel länger, als die Berichte in den Medien erahnen liessen. Durch einen ehemaligen Kollegen bringt er den Wohnort seiner ehemaligen Freundin in Erfahrung. Und während sich ihr Abbild immer mehr materialisiert, beginnt sich der Mann von der tonnenschweren Last seines Archivs zu entfernen.

Peters Stamms Sprache ist glasklar, seine Geschichte beinahe schlicht. Es ist das, was er mit seinem Erzählen in mir als Leser auslöst. Was machen Erinnerungen mit mir? Welches Bild von mir und der Welt trage ich in mir? Lebe ich das Leben, dem ich zugesprochen bin? Habe ich die Chancen genutzt, die sich mit stellten? Ist Ordnung alles oder letztlich das, was uns vom Leben trennt? Ergeben wir uns dem Konjunktiv unseres Lebens? Peter Stamms Protagonist lässt sich auf ein imaginäres Gegenüber ein. Dann jeweils kippt die Zeit. Peter Stamms Roman wird einmal mehr polarisieren. Erst recht, weil er so unspektakulär ist. Trotzdem, oder eben darum – ein starkes Buch!

Peter Stamm, geboren 1963, studierte einige Semester Anglistik, Psychologie und Psychopathologie und übte verschiedene Berufe aus, u.a. in Paris und New York. Er lebt in der Schweiz. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor. Er schrieb mehr als ein Dutzend Hörspiele. Seit seinem Romandebüt »Agnes« 1998 erschienen sechs weitere Romane, fünf Erzählungssammlungen und ein Band mit Theaterstücken. «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» wurde ausgezeichnet mit dem Schweizer Buchpreis 2018.

Webseite des Autors

Beitragsbild © leafrei.com / Literaturhaus Thurgau

«Was für ein besonderer Abend», Karl Rühmann mit der Schauspielerin Martina Schütze

Ein General und eine Frau. Ein Soldat und eine Mutter. Karl Rühmann, der 2020 mit seinem Roman «Der Held» auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises stand, performte zusammen mit der Schauspielerin Martina Schütze Passagen aus dem Roman, liess Literatur lebendig werden.

Hintergrund des Romans «Der Held» ist der Bosnienkrieg von 1992 bis 1995. Ein Krieg, dessen Ursprung und Verlauf für viele in vielen Belangen undurchsichtig ist, weil er nicht in Vorstellungen passt. In der Vorstellung, dass Kriege immer solche sind von Angreifern und Angegriffenen, Guten und Bösen, Tätern und Opfern. Die Tatsache, dass in diesem Roman diese Unterscheidung ebenso unmöglich wird, unterstreicht die Verwirrung, die dieser Roman auslösen kann.

General Morodan ist «Der Held», freigesprochen vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Ein Held für sein Volk, sein Land, sein Dorf, die Veteranen seiner Armee. Oberst Bartok ist kein Held, zumindest kein offizieller, nicht freigesprochen, im Gegenteil aller Wahrscheinlichkeit nach ein Verurteilter. Schuldig – unschuldig nach der Rechtssprechung ist ganz etwas anderes als schuldig – unschuldig vor sich selbst und den Mitmenschen.
General Morodan und Oberst Bartok sind beide Insassen dieses Gefängnisses, warten auf ihren Prozess. Sie begegnen sich auf dem Gefängnishof, korrespondieren brieflich, auch nach der Freilassung des Generals. Sie korrespondieren in einer Art und Weise, dass ihnen die Zensur nicht zu Leibe rücken kann, weder dem einen in seiner Freiheit noch dem andern im Gefängnis. Diese Briefe deuten an, verschlüsseln vieles.
Ana, die Haushälterin des Generals ist die eigentliche Erzählstimme im Roman, einem Briefroman zwischen General und Oberst, Freigesprochenem und Verurteiltem. Ana richtet ihre Stimme an ihren toten Mann, einem «gefallenen» Soldaten, der auf der Seite des Generals kämpfte und nicht überlebte. Ana liest als Haushälterin heimlich die Briefe zwischen General und Oberst in der Hoffnung hinter das Geheimnis um den Tod ihres Mannes zu kommen. 

Martina Schütze, Schauspielerin und Bilderbuchautotin

So sassen Schriftsteller und Schauspielerin voneinander abgewandt auf der Bühne, der General und Ana, tauchten ein in Leben, in Rechtfertigung und Schmerz, beide auf der Suche nach ihrer Wahrheit. Dass eine Schauspielerin in eine solche Rolle schlüpfen kann, scheint selbstverständlich. Dass ein Schriftsteller derart überzeugend in die Haut seines Protagonisten schlüpfen kann, ist ausserordentlich. So war es auch nicht erstaunlich, dass man gebannt den beiden Akteueren zuhörte, erst recht, als sie selbst für Fragen in ihren Rollen blieben.

«Die Lesung klingt noch nach, die Fragen über die Wahrheit schwirren noch im Kopf umher. Mir hat das Konzept sehr gut gefallen, gern würde ich es weiterziehen. Wie wertvoll wäre das für Schulklassen.» Martina Schütze 

«Was für ein besonderer Abend: Eine szenische Lesung im Bodmanhaus mit der wunderbaren Martina Schütze. Danke, Gallus, für die Gelegenheit, ein etwas anders geartetes Programm zu wagen, und auch für deine klugen Fragen, die unser Gespräch beflügelt haben. Das Bodmanhaus ist ein besonderer Ort und ein grossartiges Zuhause für Geschichten und für die Fantasie.» Karl Rühmann

Karl Rühmann, Illustration von Lea Frei / leafrei.com

Rezension von «Der Held»

«Der alte Wolf»

Rezension «Glasmurmeln, ziegelrot»

«Ich pass von oben auf dich auf» von Martina Schütze, Herder Verlag

Es rockt im Literaturhaus, am Sommerfest!

Ob Bodman- oder
Literaturhaus, es bleibt
Gott lieb, ganz sicher!
(Heiku von Klaus Merz zum 20-Jahr-Jubiläum des Literaturhauses Thurgau)

Frédéric Zwickers Roman «Radost» ist ein Roadtripp zwischen den Welten. Zwischen der Kleinräumigkeit der Schweiz, der Verlorenheit Sansibars und dem Zauber einer Kulturstadt wie Zagreb. Fabian, ein arbeitslos gewordener Journalist, soll die Biografie von Max schreiben, eines Mannes, den er auf einer seiner Reisen an die Küste Afrikas kennenlernte, dem er wahrschiedlich das Leben rettete, dem er nach Jahren wiederbegegnet und ihm verrät, wie sehr er Gefangener einer Familie und einer Krankheit ist. Fabian beginnt zu schreiben, zu recherchieren, macht sich auf, bei sich und auf dem Rad bis nach Zagreb, auf den Spuren eines Mannes, der ihm immer mehr zum Freund und Spiegel wird.

Frédéric Zwicker brachte aber viel mehr als seinen neuen Roman mit ans Sommerfest in den Garten des Literaturhauses. Seit einem Jahr rockt «Hekto Super» zu den Texten Frédéric Zwickers, zuvor noch unter dem Namen «Knuts Koffer«, lange kroatisch und nun deutsch. «Verzwickte Lyrics mit Ohrwurm-Potenzial, getragen von treibenden Beats, einer Prise Retro-Synthie, knackigen Gitarrenriffs und Bass mit ordentlich Fuzz.» Hinter «Hekto Super» stecken neben Frédéric Zwicker (Gitarre und Gesang), Christoph Bucher (Bass) und die Brüder Florian (Schlagzeug und Gesang) und Tobias Vogler (Keyboard und Gesang). Gemeinsam haben sie mit ihren bisherigen Bands und Projekten tausende Kilometer im Tourbus zurückgelegt, die Bühnen Europas bespielt und über zehn Alben veröffentlicht. Nach vierzehn Jahren mit «Knuts Koffer» bricht mit «Hekto Super» für den Rapperswiler Autor und Musiker Frédéric Zwicker und seine Mitmusiker ein neues Kapitel an.

«Sommerfest hiess es, Sommerfest war es. Eitel Sonnenschein, im Garten Musik, feiner Wein, gutes Essen, gut gelaunte Gäste (auch die Mücken, die sich ganz besonders für das reichhaltige Buffet zu begeistern wussten), bezauberndes «Personal». Herzlichen Dank an Brigitte, Gallus, Karl und alle anderen Beteiligten für einen zauberhaften Abend. Ich wusste von einem früheren Besuch, dass das Bodmanhaus – oder Literaturhaus Thurgau – in Gottlieben ein besonders literarisches Plätzchen ist. Die Qualität des Abends war deshalb nicht überraschend, nur höchst erfreulich. Mit Ausnahme des Spital-Intermezzos unseres tapferen Bassisten genossen wir ein wunderbares Sommerfest. Und auch für mich als Lesenden waren sowohl das Publikum als auch die Moderation durch Gallus auf höchstem Niveau mehr als zufriedenstellend. Herzlichen Dank für die Gastfreundschaft!» Frédéric Zwicker

Aus der Rede:
«Als ich vor einem Jahr hier im Garten zum ersten Mal zum traditionellen Sommerfest begrüsste, schien das ärgste dieser langen Krise, in der wir uns auch ein Jahr danach noch befinden, ausgestanden. Es kam ganz anders. Vier Monate war es im Literaturhaus still. Noch im Dezember, bei der letzten Veranstaltung vor der zeitweiligen Stilllegung, schrieb Joachim Zelter nach seiner Lesung im Literaturhaus: «Ganz Europa befindet sich in einem Corona bedingten Lockdown. Ganz Europa? Nein, ein kleiner Ort am Bodensee lässt sich von keinem Virus der Welt einschüchtern oder unterkriegen und hält fest an der Unverzichtbarkeit lebendiger Autor:innen und lebendiger Zuhörer:innen in den Hallen des Literaturhauses Thurgau, die dort – Corona zum Trotz – sehnsüchtig aufeinandertreffen. Es ist eine Insel des gesprochenen/gehörten Wortes in einem verstummten Ozean.»

Der Geist des Literaturhauses wirkte auch in der Stille. Der Geist eines Ortes, an dem man sich bald wieder begegnete und begegnet; die Kunst den Geniesser:innen, die Literatur den Leser:innen, Klang, Wort und Bild allen offenen Herzen. Man machte mir zwar zwischendurch Mut, mich auch auf die digitale Schiene du begeben, Streaming-Lesungen zu organisieren, den Betrieb zu digitalisieren. Aber das war und sollte das Ding all jener Institutionen bleiben, die ein Budget zur notwendigen Professionalität aufzubringen in der Lage sind.

Das Literaturhaus Thurgau ist trotz aller Einschränkungen ein Bollwerk gegen die Verkleinerung der Welt geblieben. Wer Zeitungen liest, wer Medien konsumiert, muss irgendwann das Gefühl bekommen, die Welt sei auf einige wenige Themen eingeschmolzen. Und um eben diesem Gefühl entgegenzuwirken, braucht es Orte wie dieses Haus, die der Literatur eine Stimme geben. Denn Literatur macht Türen auf, Türen nach Innen und nach Aussen, ins Kleine und ins Grosse. Betrachten Sie das neue Bibliotheksregal im Literaturhaus, das ich zusammen mit Sandra Merten und meinem Sohn bauen durfte. Literatur ist so vielfältig wie die Farben ihrer Buchrücken. Hinter jeder Farbe steckt eine Offenbarung.

Bis vor einem Jahr war ich immer nur Besucher in Literaturhäusern, von Stans bis Hamburg. Aber Literaturhäuser, ob klein oder gross, innovativ oder traditionell, sind viel mehr als Veranstaltungsorte, Hüllen für Lesungen, Ausstellungen oder Konzerte. Literaturhäuser sind Brutstätten. Wissen Sie, dass Peter Stamm vieles aus seinem neuen Roman «Das Archiv der Gefühle» in den Mauern dieses Hauses schrieb? Peter Stamm ist Mitte September Gast im Literaturhaus und wird seine Schweizer Buchtaufe seines Romans hier feiern. Wissen Sie, dass Dorothee Elmiger, die mit ihrem letzten Buch «Aus der Zuckerfabrik», mit dem sie auf der Shortlist des Deutsch Buchpreises stand, hier im zweiten Stock in der Gäste- und Schreibwohnung in und an ihrem Werk arbeitete? Das Literaturhaus Thurgau ist seit Jahrzehnten von Sprache, Schrift und Wort durchtränkt, vom Erdgeschoss, der Werkstatt der Handbuchbinderei von Sandra Merten bis hinauf unters Dach zum Veranstaltungsraum, wo heute Frédéric Zwicker aus seinem Roman «Radost» lesen wird und der Autor selbst als Leadsänger seiner Band «Hekto Super» beweist, dass literarische Texte auch rocken können.

Zudem sehen Sie im Haus auch immer wieder die gezeichneten und signierten Porträts all jener, die im vergangenen Jahr im oder auf Einladung des Literaturhauses Thurgau gelesen haben. Zeichnungen der jungen Illustratorin Lea Frei. Zeichnungen, die aus meiner Sicht repräsentieren, was in einem kleinen Literaturhaus zum Wesentlichen wird; Wir können nicht mit Quantität überzeugen, nicht einmal mit Ausgewogenheit, schon gar nicht mit grossen Namen, die die Massen mobilisieren. Aber wir versuchen sowohl Sie, unsere Gäste, wie auch alle Künstler:innen, die in diesem Haus auf irgend eine ihr eigene Weise zu wirken wissen, mit Nähe, Freundschaft und Herzlichkeit zu begegnen. Die Illustrationen von Lea Frei sind so einzigartig wie das Literaturhaus selbst.

Dass ich als Intendant den Takt dieses Hauses so sehr mitbestimmen kann, freut und ehrt mich sehr. Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Zufriedenheit und Euphorie jede der vergangenen Veranstaltungen erwirken konnte. Nicht nur bei mir natürlich! Dass ein solches Schiff seine Segel setzen kann, braucht es viel mehr als einen Steuermann. Die eigentliche Kapitänin auf diesem Schiff ist seit mehr als zwanzig Jahren Brigitte Conrad. Kein Kapitän, der auf der Brücke steht und schreit, sondern ein Kapitän, der sich in seine Koje im Stillen über Pläne und Berechnungen beugt und nie den Kurs verliert, selbst dann, wenn Gegenwind bläst oder Flaute herrscht. Ich danke Brigitte Conrad von ganzem Herzen, nicht nur in meinem Namen, sondern im Namen aller, denen das Literaturhaus Thurgau über die Jahre zu einem Stück Welt geworden ist.

Ich bedanke mich bei der Bodman-Stiftung, bei der Kulturstiftung unseres Kantons, beim Kulturamt. Ich bedanke mich bei Sandra Merten, die neben der Handbuchbinderei auch die Webseite betreut, Gäste empfängt und immer und immer wieder mit anpackt.

Das Literaturhaus Thurgau bleibt im Sinne Klaus Merz hoffentlich noch lange Gott lieb!»

Beitragsbilder © Sandra Kottonau / Literaturhaus Thurgau

Am «Ort der Erquickung» mit Zora del Bouno

Weil das Literaturhaus im vergangenen Frühling gezwungen war, wegen Corona Veranstaltungen zu verschieben oder gar abzusagen, wurden zwei jener Lesungen ins Kunstmuseum in der Kartause Ittingen verlegt. Ein Glücksfall für die Schriftstellerin Zora del Buono und ihren Roman «Die Marschallin» und ein gutes Zeichen in die Zukunft!

Für einmal hatte der Zwang, sich wegen der Auswirkungen der Pandemie etwas einfallen zu lassen, auch eine gute Seite. Was mit den ersten zwei Veranstaltungen in einer Kooperation von Kunstmuseum und Literaturhaus Thurgau begonnen hat, zeigt alle Vorzeichen, dass daraus eine fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Institutionen werden kann. Zum ersten Mal gastierte «Literatur am Tisch» weder im Wohnzimmer des Intendanten des Literaturhauses noch im Bodmanhaus in Gottlieben selbst, sondern in einem der schönsten Räume, den das Kloster Ittingen zu einem Juwel im Thurtal macht.

Einst war es der repräsentative Speisesaal der Kaurtause, in dem allerdings nur an Sonntagen gespeist wurde. Und weil der Orden der Kartäuser ein eremitischer Orden ist, der sich ganz der Kontemplation und damit dem Schweigen verschreibt, wurde auch an den sonntäglichen Mittagessen geschwiegen, einzig begleitet durch geistliches Vorlesen in Latein. In jenem Raum an der Schmalseite unter dem Kruzifix sass für einmal nicht ein:e Prior:in, sondern die Schriftstellerin Zora del Buono. Um 18 Uhr nicht für eine Lesung in gewohntem Rahmen, sondern mit 11 Gästen zusammen zu Speis und Trank und einer äusserst angeregten Diskussion über ihren aktuellen Roman «Die Marschallin«. 

Im Anschluss daran las die Schriftstellerin im Museumskeller, in jenem Teil, in dem das «Adlerflügelfahrrad mit aufgesetztem Drachendeck», ein Kunstwerk von Gustav Mesmer auf einer hölzernen Rampe steht, als wolle es in den Himmel abheben. Was auf der Rampe im Moment erstarrte, passierte dafür umso mehr auf der Bühne mit der Geschichte um die Grossmutter der Autorin, der Geschichte eines ganzen Jahrhunderts, einer «Unglücksfamilie», einer Familie mit fünf Toten durch «höhere Gewalt», der Geschichte einer aristokratischen Kommunistin. Literatur hob ab!

Zora del Buonos Lesung im Museumskeller, moderiert von Cornelia Mechler

«Kartause Ittingen: Nie zuvor da gewesen (schlimme Bildungslücke), dafür gestern gleich im Doppelpack. Erst Literatur am (wunderbar gedeckten) Tisch mit köstlichem Käse und klostereigenem Wein. Danach die Lesung im Weinkeller (ohne Wein). Die Marschallin selig hätte es gefreut, in so stilvollem Ambiente präsentiert zu werden. Ich habe mich gefreut, von Gallus und Cornelia so munter durch den Abend begleitet zu werden; der Hund hat sich gefreut, von Gallus ausgeführt zu werden (der Weinkeller behagte dem Tier nicht); kurz gesagt: Freude allerseits. Grazie mille.» Zora del Buono

Am 28. Oktober geht im Museumskeller des Kunstmuseums die kleine Reihe aussergewöhnlicher Lesungen weiter. Dann liest Dragica Rajćić Holzner aus ihrem Roman «Liebe um Liebe«. Informationen zu dieser Lesung finden Sie auf der Webseite des Literaturhauses.

Hildegard E. Keller mit «Was wir scheinen» im Literaturhaus Thurgau

Was es bedeutet, wenn Leidenschaft, Feuer und Begeisterung sich von der Bühne in den Zuschauerraum ergiessen, wenn nach einer Lesung alle beseelt und inspiriert den Nachglanz der Veranstaltung geniessen, das erlebte man bei der Lesung von Hildegard E. Keller mit ihrem Roman «Wie wir scheinen» über Hanna Arendt.

Ein letzter Sommer 1975 im Tessin. In Tegna, einem etwas abgelegenen Dorf unweit von Locarno, will Hannah Arendt noch einmal die Ruhe und Abgeschiedenheit in sich aufnehmen. Ausruhen vor der letzten grossen Reise. «Was wir scheinen» ist viel mehr als nur eine Biographie über eine Frau, die sich mit ihren Schriften exponierte und beinahe zerrieben wurde in den Mühlsteinen der Öffentlichkeit. «Was wir scheinen» (Der Titel ist der Anfang eines Gedichts von Hannah Arendt!) ist der Roman über eine Frau, die aufräumt, resümiert, nicht nur in ihren Papieren und Schriften, auch in ihren Erinnerungen, weil sie im Sommer 1975 genau spürt, dass es ihr letzter Sommer sein wird.

Von 2008 bis 2017 war Hildegard E. Keller in den USA, unterrichtete, auch Menschen, die von ehemaligen Flüchtlingen des zweiten Weltkriegs stammten. Zwischen zwei Welten, zwei Sprachen, zwei Kontinenten hat die Autorin über die Philosophin Hannah Arendt zu forschen begonnen und gewagt, der Frau auf dem steinernen Denkmal ihre Lebendigkeit zurückzugeben, einen frischen Blick auf die Frau, die man zu oft bloss auf die eine Schrift, die eine Reise, die eine Begegnung reduziert. Einen Blick auf die Frau, die Denkerin, die Dichterin, Privat- und Ehefrau, auf eine Freundin.

Was war der Preis, den Hannah Arendt zu bezahlen hatte für das Buch «Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen», dass 1963, zwei Jahre nach dem Prozess in Jerusalem gegen den SS-Obersturmbandführer Adolf Eichmann erschienen war, die Reduzierung ihrer Arbeit auf den Begriff der «Banalität des Bösen»? Hildegard E. Keller spürt in ihrem Roman sehr nah der Frau nach, die auf dem steinernen Sockel allzu leicht vergessen wird, einer Frau, die von sich selbst sagte, sie sei eigentlich ein schüchterner Mensch.

Ein starker Abend mit zwei starken Frauen auf der Bühne. Grossen Danke an Hildegard E. Keller und die Moderatorin Cornelia Mechler.

«Der Untersee ist eine glückliche Landschaft. Am 1. Juli durfte ich im Fünfsterne-Literaturhaus meinen Roman WAS WIR SCHEINEN vorstellen, auf dem Podium mit der hellwachen, begeisterungsfähigen Cornelia Mechler. Gallus und Brigitte schmeissen den Laden aufs Allerbeste. Der Abend war unvergesslich, ich danke Gallus und seinem Team von Herzen.» Hildegard E. Keller

Eine klaffende Lücke des Verlusts – Rolf Lappert im Literaturhaus Thurgau

„Nach jedem gelesenen Buch spürte er neben Geborgenheit auch eine klaffende Lücke des Verlusts.“ Bei einem guten Buch geht das auch mir so, mit dem Roman «Leben ist ein unregelmässiges Verb» von Rolf Lappert sowieso. 

In der Abgeschiedenheit einer abgeschotteten Kommune sind die vier Kinder Leser, werden bezaubert von Geschichten aus Büchern, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun zu haben scheinen. Sie wachsen in einer Kommune auf, werden von der Welt draussen, der schlechten, verkommenen Welt ferngehalten. Bis die Behörden eingreifen, den Erwachsenen den Prozess machen und die Kinder «platzieren».

«Leben ist ein unregelmässiges Verb» kreist um ein Paradox; Man befreit die vier Kinder aus scheinbarer Isolation und steckt sie amtlich besiegelt in Isolation. Rolf Lappert beschreibt die vier Leben, wie jene Künstler, die in grossen Hallen Ordnung in die Dinge zu bringen versuchen. Angesichts der immensen Fülle an Stoff, den Rolf Lappert zu einem grossen Panorama verwebt; eine Herkulesaufgabe. Für Leser:innen aber purer Genuss!

 


Zum Beispiel Leander. Er ist einer, den man heute mit dem „Asperger Syndrom“ stempeln würde. Kinder mit Asperger mögen keine Veränderungen, werden durch solche maximal verunsichert. In Winnipeg, im Kapstädter Bruch, in der Kommune hatte er seinen Platz, wie alles seinen Platz hatte. In der Welt draussen versucht ihn alles und jeder in eine Nische zu drängen. 

Manchmal bergen einzelne Kapitel derart viel Intensität, dass sie für sich allein schon Kulisse wären für einen Roman, so wie das Albrecht-von-Bumenthal-Internat, in das man Leander steckt. (Albrecht von Bumenthal, ein Philologen und Nazi, den es wirklich gegeben hat). Lapperts Roman ist ein Füllhorn, ein vielstimmiges Epos, das ebenso tief hineindringt, kolossal unterhält und überbordend sein kann, nicht zuletzt durch seinen Witz.


Eine andere Figur ist Ringo, dessen Nam wirklich etwas mit Ringo, dem Beatles zu tun hat. Er ist ein Held im Feuer, ein Versager im Wasser. Einer, der immer kippt, auf die eine oder andere Seite. Einer, der sich aus der Not unsichtbar machen will?
Die Vier sind dauernd auf der Suche, wenn nicht in Bewegung, dann auf einer Suche nach innen. 

Und nicht zuletzt teilt Lappert mit Ironie gegen sein eigenes Tun aus; dass die Literatur ein Hahn sei, ein aufgeplusterter Gockel, der auf dem Misthaufen der Welt sitze, wichtigtuerisch vor sich hin krähe und voller Selbstgefälligkeit und geheucheltem Mitgefühl auf den jämmerlichen Hühnerhaufen der Menschheit herabblicke, um seine Beobachtungen in bedeutungsschwere Worte zu fassen und zu Geld zu machen, unfähig, jemals ein Ei zu legen, aus dem Leben entstehe.
Oder am Schluss des Buches, wo ein Schriftsteller seinen Auftritt hat. Er sagt: «Romane, dieses Draufloserfinden. Dieser Einfallsreichtum und dessen Zurschaustellung. Dieser Fleiss beim Bündeln rotes Fäden. Die ganze elende Epik. All diese Familien und Krankheiten und nie angekommene Briefe. Es ödet mich an.“ 

vor dem neuen Bücherregal

«Gestern, am Donnerstagabend, hatte ich das Vergnügen, als Gast im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben aus meinem Roman «Leben ist ein unregelmäßiges Verb» zu lesen. Den Anlass moderiert hat der beneidenswert belesene, in Sachen Literatur wahnsinnig engagierte, in jeder Hinsicht professionell arbeitende und stets gut gelaunte Gallus Frei, meiner Ansicht nach einer der tollsten und nettesten Menschen, mit denen man als AutorIn in der Schweiz zu tun haben kann. Alleine seine Vorstellung und die – soweit das überhaupt möglich ist bei fast 1´000 Seiten – Zusammenfassung meines Romans waren eine große Freude! Ach, wenn doch alle ModeratorInnen so gut vorbereitet und mit dem Stoff vertraut wären wie Gallus … Gelacht haben wir auf der Bühne auch viel, und ich denke, das Publikum hatte ebenso viel Spaß an der Veranstaltung wie wir. An dieser Stelle danke ich allen, die diese Lesung ermöglicht haben, und auch allen, die als Gäste ins Bodmannhaus gekommen sind (darunter einige «StammkundInnen» aus dem nahen Deutschland), ganz herzlich! Ich beeile mich mit dem nächsten Roman, damit ich und meine Partnerin bald wieder an den Bodensee fahren und all die wunderbaren Menschen wieder sehen können!» Rolf Lappert, Schriftsteller, Zofingen, und Sonja Maria Schobinger, Künstlerin, Basel

Fotos © Sandra Kottonau / Literaturhaus Thurgau

Rolf Lappert «Leben ist ein unregelmäßiges Verb», Hanser

Rolf Lapperts neuer Roman „Leben ist ein unregelmäßiges Verb“ kann einem erschlagen! Sein Roman ist die Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies und den Lügen des Lebens. Erzählt mit weitem Horizont und der Magie eines Geschichtenzauberers!

Lesung mit Rolf Lappert am Donnerstag, den 3. Juni 2021, um 19:30 Uhr im Literaturhaus Thurgau / Bodmanhaus
Eintritt: CHF 10 // CHF 8 Freunde des Bodmanhauses // CHF 5 ermässigt
Wir bitte Sie um Anmeldung unter diesem Link.

Rolf Lapperts Winnipeg liegt nicht in Kanada, sondern irgendwo in der BRD-Provinz, in Niedersachsen, weit weg von der nächsten Siedlung. Dort versucht sich eine Kommune, abgeschottet von der Aussenwelt, einen eigenen Weg durch das Leben zu bahnen. Bis Ämter und Behörden Wind davon bekommen, dass dort Kinder ohne Schule, ohne Kontakt zur Aussenwelt, fest eingebunden in den Tagesablauf der Selbstversorger zu „befreien“ sind. Die Erwachsenen werden festgenommen, vor Gericht gestellt und verurteilt, die Kinder auseinandergerissen und in Pflegefamilien verteilt.

«Wir waren ein Wesen. Was einer dachte, wussten die anderen, was einer fühlte, empfanden wir alle.»

Rolf Lappert erzählt in „Leben ist ein unregelmäßiges Verb“ vier Leben; von Frida, Ringo, Leander und Linus, jenen vier Kindern, drei Jungs und einem Mädchen, die 1980 aus einer Landkommune behördlich befreit wurden. Damals vier Kinder, bis in die Gegenwart, in der sie sich längst verloren haben, nicht nur einander, sondern auch sich selbst. Was damals die Presse über die Kindheit der vier Kinder schrieb, scheint in keiner Weise mit dem in Verbindung zu stehen, was die vier Kinder in die andere, neue Welt mittrugen. Damals ein Fressen für die Presse. Dabei war es ein Übergriff in das Leben der vier Kinder. Vielleicht sogar die Vertreibung aus dem Paradies.

„Niemand kam auf die Idee, den Zustand ihrer gänzlichen Abgeschiedenheit mit etwas anderem gleichzusetzen als ideologischer Inzucht, Einsamkeit und Verwahrlosung.“

Rolf Lappert «Leben ist ein unregelmäßiges Verb», Hanser, 2020, 992 Seiten, CHF 39.90, ISBN 978-3-446-26756-5

In epischer Länge über fast 1000 Seiten breitet Rolf Lappert vier Leben aus wie jene Künstler, die in riesigen Hallen auf dem Boden eine Ordnung in das zu bringen versuchen, was das Leben anschwemmt. Selbst die vier Protagonisten versuchen Ordnung in ihr Leben zu bekommen, sei es durch einen Neuanfang mit anderem Namen, einer anderen Identität, sei es durch eine lange Suche nach sich selbst, einer Aufgabe, einem Sinn oder dem Wunsch, sich möglichst unsichtbar zu machen, sich zurückzuversetzen an den Ort, an dem man nur sich selbst zu sein brauchte, kein Imago.
Ich als Leser taumle durch diesen Kosmos, berührt, verwundert, überrascht, verunsichert. Selbst ich als Leser versuche zu ordnen, während Rolf Lappert ausbreitet und auslegt, Perspektiven ändert, Textsorten collagiert, in Zustände abtaucht und in langen Sätzen genussvoll mäandert.

„Sie wäre jetzt glücklich, sagte sie sich, wenn nur ihre Welt unentdeckt geblieben wäre, wenn niemand sie weggebracht und ins Leere geworfen hätte wie einen Sack mit neugeborenen Katzen in den Fluss.“

Obwohl sich die vier nach ihrer Umplatzierung nie mehr treffen, bleiben sie einander verbunden, weil jene Jahre im Kampstedter Bruch, jenem Hof in Abgeschiedenheit, so etwas wie ein Nest war, Familie, auch wenn nicht nach amtlichem Muster. Sie taumeln durch eine Welt, die ihnen fremd bleibt, die nie das zu erzeugen schafft, was die vier gemeinsam in ihrer begrenzten Freiheit erlebten.

„Wir sind niemand, wenn wir nicht zusammen sind.“

„Leben ist ein unregelmäßiges Verb“ ist ein grosses Vergnügen für all jene, die wie ich gerne in einem Stoff baden, denen ein Buch, das gefällt und zu einem innigen Begleiter wird, nach der Lektüre nicht einfach so weglegen, in ein Regal hineinschieben oder gleich dem Nachbarn ausleihen. Rolf Lappert gelingt es, ein Meer an Geschichten, Bildern, Dialogen, Ideen, Strängen und Personen auszubreiten. Er breitet eine Welt aus, stösst mich hinein. Zugegeben, die Wellen schwappen hoch, fast immer hoch, aber Literatur ist Konzentrat. 

„Die Welt ist schlecht, sagen sie, und wir haben keine andere Wahl, als ihnen zu glauben.“

In den Roman eingeflochten sind Erinnerungen, das „Winnipeg Logbuch“, Erinnerungen aus der Sicht der Kinder, als sie noch zusammen in der Kommune lebten: Manchmal haben wir ein leeres Marmeladeglas dabei, damit tragen wir Ameisen von einem Haufen zu einem anderen. Dann beobachten wir, wie die Eindringlinge getötet werden. Zum einen eine Erinnerung, zum anderen eine Metapher für all die Geschehnisse, die man ihnen als Kinder androht und die ihnen in gewisser Weise auch geschehen. Der Roman ist ein Roman über das Fremdsein, über die Einsamkeit, der Einsamkeit, in die man die vier Kinder verbannt, die Einsamkeit, mit der jeder in seinem Leben als Individuum zu kämpfen hat.

Ein grosser Genuss bei der Lektüre seines Romans ist die Genauigkeit seines Schreibens, seine Lust des Beschreibens. Als wäre er ein Maler, der mit Pedanterie jeden einzelnen Farbpunkt setzt, immer mit dem Blick auf das Grosse, Ganze. Und doch ist dieses Beschreiben nicht Mittel zum Zweck, nicht bloss Kulisse. Ich bade im Filigranen Lapperts Sprache, Lappert Farben, dem verspielten Mikrokosmos, der seinen Roman nicht einfach dick, sondern mächtig macht.

Rolf Lappert wurde 1958 in Zürich geboren und lebt in der Schweiz. Er absolvierte eine Ausbildung zum Grafiker, war später Mitbegründer eines Jazz-Clubs und arbeitete zwischen 1996 und 2004 als Drehbuchautor (Mannezimmer). Bei Hanser erschienen 2008 der mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnete Roman «Nach Hause schwimmen», 2010 der Roman «Auf den Inseln des letzten Lichts», 2012 der Jugendroman «Pampa Blues» und 2015 der Roman «Über den Winter».

Verlagsinformationen zum Buch

«Das Wunder von Kalifornien» von Rolf Lappert auf Gegenzauber

Illustration © leafrei.com / Literaturhaus Thurgau

 

Franz Hohler bezaubert im Literaturhaus: ein ganz Grosser!

Franz Hohler ging mit mir spazieren. Mit mir und 33 weiteren Glücklichen, die einen Platz im Literaturhaus Thurgau ergattern konnten. Wir waren über eine Stunde unterwegs – durch das literarische Gesamtwerk des Autors.

von Cornelia Mechler

Lebhaft, zurückhaltend, witzig und nachdenklich: Franz Hohler verlieh jedem seiner Texte, die in über 40 Jahren entstanden sind, eine eigene Stimmungslage. Er rezitiert im Stehen, gestenreich, sehr oft auswendig. Als Zuschauer:in ist man gebannt, möchte keine Sekunde verpassen, denn man weiss: So ein Abend bleibt ewig in Erinnerung.

Und man weiss auch: Hier steht ein ganz Grosser auf der Bühne, dem so rasch niemand das Wasser reichen kann. Und wenn sich der Autor dann an den Tisch setzt, um den «Weltuntergang» zu inszenieren und eindrücklich vorherzusagen, dann ist dies so unterhaltsam wie beängstigend zugleich. Das Stück entstand vor mehr als 40 Jahren – und ist doch so aktuell, dass es man es kaum fassen mag. Es folgt noch das «Totemügerli» auf «berndeutsch» und eine Kurzfassung auf «rätoromanisch».

Ach, man möchte, dass dieser Abend niemals enden möge. Als er es dann doch tut, signiert der Autor noch immer bestens gelaunt die vielen Bücher, die ihm gereicht werden. Man geht, geschichtenbepackt und glücklich, nach Hause – und man freut sich auf ein freies Pfingstwochenende. Endlich Zeit, um weiter im Werk von Franz Hohler herumzuspazieren. Aber Achtung, wenn man einmal anfängt, dann könnte es rasch eine Langstreckenwanderung werden!  

noch vor der Veranstaltung, die sich strickt an die Regeln hielt

Programm Literaturhaus Thurgau

Beitragsbilder © Sandra Kottonau / Literaturhau Thurgau

 

Ein literarischer Spaziergang mit Franz Hohler

Am 20. Mai führt uns Franz Hohler durch sein reichhaltiges literarisches Gesamtwerk und damit auch durch die letzten 50 Jahre. In seinen Geschichten löst sich die Wirklichkeit unmerklich auf und macht Ereignissen Platz, die sich unserer kühlen Logik entziehen. Mit ungewöhnlich wachem Blick für beunruhigende Details erzählt er von der Brüchigkeit und der Tragikomik unseres Alltags, aber auch von seiner Poesie. Ein heiterer Abend mit einem hintergründigen Kritiker steht bevor, ein ebenso fröhlicher wie nachdenklicher Spaziergang durch unsere Zeit.

«Gäbe es Franz Hohler nicht, müssten wir uns dringend mit der Aufgabe beschäftigen, ihn zu erfinden.» Emil Steinberger

«Hohler ist ein gewiefter Fabulierer, seiner Phantasie hält unsere Realität nicht Stand.» St. Galler Tagblatt

«Franz Hohler ist ein Reisender in Sachen Literatur, einmal als Minnesänger, dann als Beobachter, als Erzähler, als Mahner, als Unterhalter und nicht zuletzt als eine der Identifikationsfiguren der Schweizer Literatur. In den vergangenen Jahren leuchtete der Stern Franz Hohler immer heller und wurde zu einem Fixstern, unübersehbar, als wäre er schon immer da gewesen.» literaturblatt.ch

Franz Hohler wurde 1943 in Biel, Schweiz, geboren. Er lebt heute in Zürich und gilt als einer der bedeutendsten Erzähler seines Landes. Hohler ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Alice-Salomon-Preis und dem Johann-Peter-Hebel-Preis. Sein Werk erscheint seit über vierzig Jahren im Luchterhand Verlag.

Rezension von «Fahrplanmässiger Aufenthalt» auf literaturblatt.ch

Kurzgeschichte «Enten» auf der Plattform Gegenzauber

Wegen der sehr beschränkten Platzzahl im Literaturhaus Thurgau ist die Veranstaltung leider ausgebucht!

Beitragsbild © leafrei.com / Literaturhaus Thurgau

„Du blaust mir in die Seele“ Bild und Lyrik rund um den Bodensee

Das «Bodenseemeer», wie es oft auch genannt wird, ist bis heute eine der bedeutendsten Kulturlandschaften Europas. Das Redaktionsteam der Literaturzeitschrift orte, vertreten durch Regina Füchslin, Viviane Egli, Erwin Messmer und Cyrill Stieger und vier Autor:innen aus diesem fruchtbaren Kulturraum luden mit Lyrik und Prosatexten, gezielt und charismatisch ausgewählt, zu einer poetischen Segelpartie ein.

Ruth Erat

Einige dieser Texte wurden eigens für diese orte-Ausgabe „Du blaust mir in die Seele“ verfasst und spiegeln die intensive Verbindung der Schreibenden mit dem Bodensee wider. Im Heft mit an Bord sind 16 namhafte Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Für stimmungsvolle Blicke auf den Bodensee in der Mitte des Heftes sorgt der international bekannte Fotograf Bernd Schumacher.

Gemeinsam mit den Dichter:innen Ruth Ehrat CH, Bruno Epple D und Dorothea Neukirchen D und dem Redaktor Erwin Messner aus dem Redaktionsteam der orte Literaturzeitschrift stellten die Schreibenden Texte vor, tauchten ein in die Sprachlandschaft um den Bodensee und diskutierten über ihr Schreiben.

Bruno Epple

So wie es Lyrik auf dem Büchermarkt nicht leicht hat, so unverzagt muss der Einsatz und die Motivation sein, heute und in Zukunft eine Literaturzeitschrift herauszubringen. Verkaufszahlen und Umsatz müssen ausgeblendet werden. Wichtig allein ist das Wort, der Wille, jenen Autor:innen Raum zu geben, denen sonst die Bühne fehlt, die man vergisst. Literaturzeitschriften hatten in der Vergangenheit eine ganz andere Rolle, ein anderes Selbstverständnis als heute. Zeitungen interessieren sich kaum mehr für Lyrik und Verlage, die Lyrik veröffentlichen, mit solchen Büchern finanzielle Experimente starten, tun dies in der Regel nur, um die Lyrik nicht dem Vergessen zu übergeben. Umso verdienstvoller, wenn sich eine Literaturzeitschrift über 200 Ausgaben lang darum bemüht, der Literatur eine Stimme zu geben.

Erwin Messmer

Ruth Erat wuchs auf in Bern und Arbon, wirkte als Lehrerin und Dozentin. Seit 2016 ist sie ausschliesslich als Malerin und Schriftstellerin tätig. 1999 nahm sie am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. Seit 2015 ist sie im Arboner Stadtparlament.

Bruno Epple studierte Philosophie, Germanistik, Romanistik und Geschichte in Freiburg, München und Rouen, war lange Lehrer, zuletzt Gymnasialprofessor. Er ist freier Autor und Künstler, der Bilder malt und Skulpturen schafft.

Dorothea Neukirchen

Erwin Messmer, 1950 in Staad SG am Bodensee geboren, hat Lehr- und Konzertdiplome für Klavier und Orgel. Es folgten intensive Konzerttätigkeiten als Organist sowie Radio- und CD-Aufnahmen. Daneben schrieb er stets Gedichte, Prosaarbeiten, Essays und Buchkritiken.

Dorothea Neukirchen, 1941, ursprünglich Bühnenschauspielerin, dann Filmschauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin. Sie schrieb und inszenierte Kinofilme, Dokumentarfilme, Fernsehspiele und -serien. Neben Prosa schreibt sie auch Lyrik.

«Das Literaturhaus Thurgau war für uns von der orte-Literaturzeitschrift ein ganz wunderbarer Gastgeber und Veranstalter. Wir danken, dass wir unsere Arbeit und namentlich die Bodensee-Ausgabe unserer Literaturzeitschrift an diesem unvergleichlich schönen Ort und einem interessierten, wertschätzenden Publikum im Rahmen einer Sonntagsmatinée vorstellen durften. Das grosse Engagement und die literarische Kompetenz unserer Gastgeber, der rege Austausch und die tolle Organisation haben unsere Bodenseeautorinnen- und -autoren und uns beglückt.» Die orte-Redaktion

«Die Matinee in Gottlieben zum hier buchstäblich naheliegenden Thema, in der wir von der Schweizer Literaturzeitschrift «orte» unsere Bodensee-Nummer vorstellen durften, bleibt in frühlingsheller, positiver Erinnerung. Der Gastgeber des Thurgauer Literaturhauses bewies als Moderator einmal mehr, dass für ihn Poesie nicht toter Buchstabe ist, sondern Lebenselixier. Der Funke sprang sogleich auf die vortragenden Gäste über: auf Ruth Erat, Bruno Epple und Dorothea Neukirchen, und von diesen auf ein aufmerksames und dankbares Publikum.» Erwin Messmer

Webseite der orte Literaturzeitschrift

Beitragsbilder © Cyrill Steiger