Eine klaffende Lücke des Verlusts – Rolf Lappert im Literaturhaus Thurgau

„Nach jedem gelesenen Buch spürte er neben Geborgenheit auch eine klaffende Lücke des Verlusts.“ Bei einem guten Buch geht das auch mir so, mit dem Roman «Leben ist ein unregelmässiges Verb» von Rolf Lappert sowieso. 

In der Abgeschiedenheit einer abgeschotteten Kommune sind die vier Kinder Leser, werden bezaubert von Geschichten aus Büchern, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun zu haben scheinen. Sie wachsen in einer Kommune auf, werden von der Welt draussen, der schlechten, verkommenen Welt ferngehalten. Bis die Behörden eingreifen, den Erwachsenen den Prozess machen und die Kinder «platzieren».

«Leben ist ein unregelmässiges Verb» kreist um ein Paradox; Man befreit die vier Kinder aus scheinbarer Isolation und steckt sie amtlich besiegelt in Isolation. Rolf Lappert beschreibt die vier Leben, wie jene Künstler, die in grossen Hallen Ordnung in die Dinge zu bringen versuchen. Angesichts der immensen Fülle an Stoff, den Rolf Lappert zu einem grossen Panorama verwebt; eine Herkulesaufgabe. Für Leser:innen aber purer Genuss!

 


Zum Beispiel Leander. Er ist einer, den man heute mit dem „Asperger Syndrom“ stempeln würde. Kinder mit Asperger mögen keine Veränderungen, werden durch solche maximal verunsichert. In Winnipeg, im Kapstädter Bruch, in der Kommune hatte er seinen Platz, wie alles seinen Platz hatte. In der Welt draussen versucht ihn alles und jeder in eine Nische zu drängen. 

Manchmal bergen einzelne Kapitel derart viel Intensität, dass sie für sich allein schon Kulisse wären für einen Roman, so wie das Albrecht-von-Bumenthal-Internat, in das man Leander steckt. (Albrecht von Bumenthal, ein Philologen und Nazi, den es wirklich gegeben hat). Lapperts Roman ist ein Füllhorn, ein vielstimmiges Epos, das ebenso tief hineindringt, kolossal unterhält und überbordend sein kann, nicht zuletzt durch seinen Witz.


Eine andere Figur ist Ringo, dessen Nam wirklich etwas mit Ringo, dem Beatles zu tun hat. Er ist ein Held im Feuer, ein Versager im Wasser. Einer, der immer kippt, auf die eine oder andere Seite. Einer, der sich aus der Not unsichtbar machen will?
Die Vier sind dauernd auf der Suche, wenn nicht in Bewegung, dann auf einer Suche nach innen. 

Und nicht zuletzt teilt Lappert mit Ironie gegen sein eigenes Tun aus; dass die Literatur ein Hahn sei, ein aufgeplusterter Gockel, der auf dem Misthaufen der Welt sitze, wichtigtuerisch vor sich hin krähe und voller Selbstgefälligkeit und geheucheltem Mitgefühl auf den jämmerlichen Hühnerhaufen der Menschheit herabblicke, um seine Beobachtungen in bedeutungsschwere Worte zu fassen und zu Geld zu machen, unfähig, jemals ein Ei zu legen, aus dem Leben entstehe.
Oder am Schluss des Buches, wo ein Schriftsteller seinen Auftritt hat. Er sagt: «Romane, dieses Draufloserfinden. Dieser Einfallsreichtum und dessen Zurschaustellung. Dieser Fleiss beim Bündeln rotes Fäden. Die ganze elende Epik. All diese Familien und Krankheiten und nie angekommene Briefe. Es ödet mich an.“ 

vor dem neuen Bücherregal

«Gestern, am Donnerstagabend, hatte ich das Vergnügen, als Gast im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben aus meinem Roman «Leben ist ein unregelmäßiges Verb» zu lesen. Den Anlass moderiert hat der beneidenswert belesene, in Sachen Literatur wahnsinnig engagierte, in jeder Hinsicht professionell arbeitende und stets gut gelaunte Gallus Frei, meiner Ansicht nach einer der tollsten und nettesten Menschen, mit denen man als AutorIn in der Schweiz zu tun haben kann. Alleine seine Vorstellung und die – soweit das überhaupt möglich ist bei fast 1´000 Seiten – Zusammenfassung meines Romans waren eine große Freude! Ach, wenn doch alle ModeratorInnen so gut vorbereitet und mit dem Stoff vertraut wären wie Gallus … Gelacht haben wir auf der Bühne auch viel, und ich denke, das Publikum hatte ebenso viel Spaß an der Veranstaltung wie wir. An dieser Stelle danke ich allen, die diese Lesung ermöglicht haben, und auch allen, die als Gäste ins Bodmannhaus gekommen sind (darunter einige «StammkundInnen» aus dem nahen Deutschland), ganz herzlich! Ich beeile mich mit dem nächsten Roman, damit ich und meine Partnerin bald wieder an den Bodensee fahren und all die wunderbaren Menschen wieder sehen können!» Rolf Lappert, Schriftsteller, Zofingen, und Sonja Maria Schobinger, Künstlerin, Basel

Fotos © Sandra Kottonau / Literaturhaus Thurgau