St. Gallen, vom 22. – 25. März Hauptstadt des Wortes

Tim Krohn, Jens Steiner, Markus Orths, Anja Kampmann, Dana Grigorcea, Nicol Liubić mit erzählender Literatur sind nur die grossen Namen. Anita Glunk, Ralf Bruggmann, Pascal Beer die kleineren. Poetry Slam, Comic, Kabarett, Musik und Bildkunst runden das breite Angebot der Jubliläumsveranstaltung ab. WORTLAUT ist wort- und bildstark, gibt den Takt an und bezaubert.

KOSOVȄ IS EVERYWHERE – Bern ist überall – Freitag, 23. März im Waaghaus St. Gallen, 19.30

«Bern ist überall» ist eine Gruppe von zwölf Schweizer Autorinnen und Autoren, Musikerinnen und Musiker, die sich mit dem gesprochenen Wort beschäftigen, mündliche Literatur mit Musik verbinden und auf die Bühne bringen. Mit KOSOVȄ IS EVERYWHERE arbeitet das Künstlerkollektiv mit Sprachkünstlerinnen, -künstlern, Musikerinnen und Musikern im Kosovo zusammen. Nach sieben absolvierten Auftritten im Kosovo folgt nun «Le Retour» – sieben gemeinsame Auftritte in der Schweiz mit Premiere am Eröffnungsanlass des 10. Sankt Galler Literaturfestivals Wortlaut.

Die Autorinnen und Autoren aus der Schweiz: Laurence Boissier, Guy Krneta und Gerhard Meister; aus dem Kosovo: Sibel Halimi, Jeton Naziraj und Shpëtim Selmani übersetzen sich gegenseitig, sprechen im Chor oder interpretieren ihre Texte rhythmisch zu Musikbegleitung (Adi Blum, Drin Tashi). Mit deutscher Übertitelung.


Wortlaut St. Gallen: Zum Beispiel Markus Orths und Jens Steiner!

Zwei Autoren, für die es sich schon lohnt, das 10. St. Galler Literaturfestival «Wortlaut» zu besuchen: Markus Orths erzählt in seinem grossen Roman «Max» vom wilden Leben des Malers und Lebenskünstlers Max Ernst, ein Leben in einem wahnwitzigen Jahrhundert in wahnwitziger Leidenschaft. Und Jens Steiner, der stille Grosse der Schweizer Literatur, in „Mein Leben als Hoffnungsträger“ vom kleinen Leben, in dem sich die Welt spiegelt.

Jens Steiner liest samstags um 14 Uhr im Raum für Literatur in der Hauptpost St. Gallen, Markus Orths am gleichen Samstag um 15 Uhr im Waaghaussaal. Zwei Termine, die man sich neben einer Fülle anderer merken sollte.

Ich freue mich auf die beiden Autoren. Aber am meisten freue ich mich auf eine eventuelle Zugabe von Markus Orts. Beim Verlag ars vivendi erschien in diesem Frühjahr das Buch „Aber sonst geht es mir gut“ von Markus Orths. Humoresken aus seinen bisher erschienen Büchern und speziell für dieses absolut lesenswerte Buch verfasste Schmankerl.

In vielen der in diesem Buch versammelten Geschichten erzählt Martin Kranich von seiner Mutter Ilse Kranich. Aber eigentlich schreibt Markus Orths über seine eigene Grossmutter. Ein Frau mit schwarzem Dutt, die den kleinen Markus oft in Schutz nahm, wenn er wieder was anstellte. Ein Frau, die unentwegt erzählen konnte und deren monologisierende Erzählkaskaden einem förmlich zudecken. Eine Frau aus einem anderen, fremd gewordenen Jahrhundert, in dem das mündliche Erzählen noch über lange Abende hinweghalf und einem über das Neueste in der direkten Umgebung auf dem Laufenden hielt. Eine Frau, die mit ihren Geschichten die Erinnerung an Menschen und Situationen lebendig hielt. Eine Frau, die sich noch nicht durch «Social Media» geschlagen geben musste, der man sich ergeben musste, um sich irgendwann wieder frei zu bekommen. Ein Büchlein, das perfekt fürs Nachttischen bestimmt scheint!

Markus Orts las vor ein paar Jahren schon einmal aus seinem Werk. Wer ihn erlebt hat, weiss, wie unterhaltsam, witzig, geistreich und frech seine Darbietungen sind. Obwohl Markus Orths alles andere als ein lustiger Schreiberling ist, weiss er um die Kunst des literarischen Humors. Markus Orths ist ein begnadeter Geschichtenerzähler!

Markus Orths wurde 1969 in Viersen geboren, studierte Philosophie, Romanistik und Anglistik in Freiburg und lebt als freier Autor in Karlsruhe. 2017 erschien sein elftes Buch, der Roman Max. Drei seiner Bücher sind in insgesamt sechzehn Sprachen übersetzt worden. Seine Texte wurden u.a. ausgezeichnet mit dem Telekom-Austria-Preis (2008) in Klagenfurt, dem Niederrheinischen Literaturpreis der Stadt Krefeld (2009) und dem Phantastikpreis der Stadt Wetzlar (2011). In Paris gewann das Stück Femme de Chambre den Prix Théâtre 13 und den Publikumspreis. Im Theater Baden-Baden wurde Die Entfernung der Amygdala uraufgeführt. Der Film Das Zimmermädchen Lynn (nach dem Roman Das Zimmermädchen) kam 2015 in die Kinos. Zudem schreibt Markus Orths Kinderbücher und Hörspiele.

Jens Steiner, 2013 mit seinem zweiten Roman „Carambole“ Gewinner des Schweizer Buchpreises, ist ein stiller Zeitgenosse, ein stiller Beobachter. Ein Beobachter der kleinen, unscheinbaren Dinge, die sich oft auf Nebenschauplätzen abspielen. Mit „Mein Leben als Hoffnungsträger“ verpackt der Autor auf subtile Weise Gesellschaftskritik, seinen ganz eigenen Humor und offenbart Sätze und Textstücke, deren Zauber sich wie guter Wein in Mund und Nase entfaltet.

„Was in die Häuser der Leute alles reinpasst und ständig wieder raus muss. Mein lieber Mann!“

Philipp ist noch jung und für seinen Vater eine Enttäuschung. Er scheint nicht fähig, sich den Anforderungen der Gesellschaft zu stellen, seinen Mann zu stellen. Da nützen auch Zückerchen oder versteckte Drohungen nichts. Und als Philipp seine Lehre als Mechatroniker schmeisst und ihn seine WG-Mitbewohner wegen seines Putzfimmels auf die Strasse spedieren, bleibt wenig. Aber Philipp lässt sich nicht entmutigen. Er hat der Welt nichts angetan. Und die Welt tut ihm nicht weh. Er fröhnt dem Müssiggang, findet Unterschlupf in einer kleinen Bleibe in einem Wohnsilo und verdient das bisschen, das er braucht, bei Gelegenheitsjobs. Eigentlich könnte alles so bleiben.
Bis Uwe ihn auf einer Bank am Ende einer Strassenbahnlinie entdeckt. Und weil es sich Philipp seit seiner Kindheit zur Gewohnheit machte, Silberpapier (Stanniolpapier) zu sammeln, macht Uwe Philipp zu seinem Hoffnungsträger. Zuhause döselt Philipp jedes einzelne Papierchen auf und glättet sie mit dem Fingernagel. Beeindruckend für Uwe, der hinter der Endschleife der Strassenbahn Chef eines städtischen Recyclinghofs ist, ebenfalls eine Endstation. Aber Uwe zweifelt an einer Menschheit, die nur zu kaufen scheint, um sich wenig später davon zu befreien. Der Recyclinghof, ein Ort, wo sich die Menschen ihren Überflüssigkeiten entledigen. Die einen still und schnell, die andern verschämt oder schamlos.
Mit einem Mal tritt Philipp in ein Gefüge aus Mensch und Material. Auf dem Recyclinghof arbeiten auch noch Arturo und João, zwei Portugiesen, der eine störrisch faul, der andere umtriebig und geschäftstüchtig. Philipp hat seinen Platz gefunden. Wieder könnte alles so bleiben.
Aber Philipp gewinnt Nähe, die ihn ins Geschehen und die Leben auf dem Recyclinghof verstrickt. Sowohl als Uwes Hoffnungsträger wie als Verbündeter in den undurchsichtigen Nebengeschäften Joãos. Ein Freilufttheater auf der Bühne eines Recyclinghofs. Während im Hintergrund der Schredder rattert, spitzt sich die Lage zwischen Containern, Mulden und dem mannshohen Zaun, hinter dem Jahrmarktfahrer den Winter verbringen zu. Welttheater zwischen den unnütz gewordenen Errungenschaften der Zivilisation. Spannend wie ein Krimi wird es, weil das Viergespann João aus der Klemme helfen muss.

„Was die Menschen hier wegwerfen würden, sind die Schuttmoränen ihrer Kaufräusche.“

Jens Steiner spart nicht mit mehr oder weniger sachten Seitenhieben an die Pfeiler einer funktionierenden Gesellschaft, die längst nicht mehr weiss, was sie mit all den Insignien von Wohlstand und Konsumkraft anfangen soll. Jens Steiner schreibt aber weder mit Moralkeule noch Drohfinger. Er tut dies mit seiner unaufgeregten, verschmitzten Art. Während Jens Steiner seine Protagonisten das Geschehen im Recyclinghof beschreiben lässt, türmen sich tiefe Eindrücke des Paradoxen auf der Seite des Lesers. Ein grossartiges Buch über die Schieflage der menschlichen Existenz!

Jens Steiner, geboren 1975, studierte Germanistik, Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft in Zürich und Genf. Sein erster Roman „Hasenleben“ (2011) stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2011 und erhielt den Förderpreis der Schweizerischen Schillerstiftung. Jens Steiner wurde 2012 mit dem Preis »Das zweite Buch« der Marianne und Curt Dienemann-Stiftung ausgezeichnet. 2013 gewann er mit „Carambole“ den Schweizer Buchpreis und stand erneut auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Letzter Roman „Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit“ erschien noch bei Dörlemann.

Wortlaute Geburtstage vom 22. – 25. März in St. Gallen

Wortlaut, die St. Galler Litereraturtage, feiern einen runden Geburtstag. Ich gratuliere den Gründern, den Machern, den Organisatoren zu ihrem Mut, ihrem Durchhaltevermögen, damit „Wortlaut“ auch ein 10. Mal durchgeführt werden kann.

Den St. Galler Literaturtagen war es von Beginn weg wichtig, sich ein ganz eigenes Profil zu geben, nicht einfach zu kopieren, was in anderen „Literaturmetropolen“ durchgeführt wird. Im Bewusstsein darum, dass zu einer Stadt wie St. Gallen, einer Bücherstadt seit Jahrhunderten, ein solches Wortfestival gehört. Wie eigentlich auch ein Literaturhaus, eine Institution, die sich um das Kulturobjekt Buch bemüht, weit drüber hinaus, es bloss zu horten und auszuleihen.

„Wortlaut“ verpflichtet sich darum auch nicht einfach dem Buch, sondern dem Wort und wie es sich verlautbart. Es wird während den Festivaltagen weit mehr als bloss gelesen und diskutiert. „Wortlaut“ gibt dem Wort das Wort. Absurdes Cabaret unter einer Autobahnbrücke, ein Künstlerkollektiv, das sich mit Text und Musik lautstark macht, ein Textkiosk, der für Neugierige persönlich zugeschnittene Texte verfasst, Poetry-Slammer aus der Meisterklasse, Illustratorinnen und Comiczeichner mit ihren lauten Bildgeschichten und selbstverständlich das, was Literaturtage braucht: Bücher und ihre Gesichter dahinter.

Grosse Namen in Sachen Belletristik: Nicol Ljubić, Markus Orths, Jens Steiner und Dana Grigorcea. Tim Krohn liest aus seinem Grossprojekt „Menschliche Regungen“, dem dritten Roman „Julia Sommer sät aus“, den Geschichten aus einem Zürcher Mietshaus und seinen bunten Lebensgeschichten darin. Tim Krohns Erzählen ist ein köstlicher Genuss; übersprudelnd, vielfarbig, witzig und mit Tiefgang:
Es geht um Neuaufbau und das Arbeiten an Utopien: Die Schauspielerin Selina May träumt davon, zu ihrer Jugendliebe nach Berlin zu ziehen, und der Forscherdrang des risikofreudigen Studenten Moritz Schneuwly treibt ihn zu immer neuen Experimenten. Seine geliebte Mary ist aus New York zurück, reist aber gleich nach Amsterdam weiter, um dort ein neues Leben als Studentin zu beginnen. Pit aus dem zweiten Stock hat sein Studium abgebrochen und ist fasziniert von der lebensfrohen Mutter seiner Freundin Petzi, die gerade ihr Leben noch einmal neu entwirft und ihn auf eine Reise nach Griechenland mitnimmt.
Beim alten Erich Wyss treibt der Frühling bisweilen seltsame Blüten, und Julia Sommer muss nicht nur sehr um ihr »Gärtlein« kämpfen, sondern plötzlich sogar um ihr Leben. Auch diesmal lässt Tim Krohn seine Figuren und Leser Gefühle aller Couleur durchleben. Und natürlich gärtnert nicht nur Julia Sommer – es wird viel gesät, gejätet, gestutzt und gepflegt in diesem Band: Pflanzen auf Fenstersimsen, Balkonen und in Garten – und Gedanken und Lebensentwürfe in den Köpfen vieler Figuren. (Infos Galiani Verlag)

Anja Kampmann, die nach begeisternden Lyrikveröffentlichungen mit ihrem ersten Roman „Wie hoch die Wasser steigen“, legt einen Roman, der nicht nur inhaltlich überzeugt, sondern mit einer kunstvollen Sprache:
Wenzel Groszak, Ölbohrarbeiter auf einer Plattform mitten im Meer, verliert in einer stürmischen Nacht seinen einzigen Freund. Nach dessen Tod reist Wenzel nach Ungarn, bringt dessen Sachen zur Familie. Und jetzt? Soll er zurück auf eine Plattform? Vor der westafrikanischen Küste wird er seine Arbeitskleider wegwerfen, wird über Malta und Italien aufbrechen nach Norden, in ein erloschenes Ruhrgebiet, seine frühere Heimat. Und je näher er seiner großen Liebe Milena kommt, desto offener scheint ihm, ob er noch zurückfinden kann. Anja Kampmanns überraschender Roman erzählt in dichter, poetischer Sprache von der Rückkehr aus der Fremde, vom Versuch, aus einer bodenlosen Arbeitswelt zurückzufinden ins eigene Leben. (Infos Hanser Verlag)

Oder Lika Nüssli, 2016 Trägerin des „Comicstipendium der Deutschschweizer Städte“, mit der Buchvernissage von „Vergiss Dich Nicht“, einer gezeichneten Erzählung über das Erinnern, das Vergessen und über den Migrationskosmos in Altersheimen:
Die Mutter der Künstlerin Lika Nüssli lebt seit einigen Jahren in einem Heim für demenzkranke Menschen. Als die Besuche bei der Mutter immer schweigsamer werden, beginnt Lika Nüssli die Menschen um sie herum zu zeichnen. Die Künstlerin empfindet die vom Leben gezeichneten Körper als faszinierend und die Gespräche, Sätze, Worthülsen als herrlich absurd. Anfangs ist es ihr schwer gefallen, länger als nötig im Heim zu bleiben. Das hat sich mit dem Zeichnen geändert. (Infos likanuessli.ch)

„Wortlaut“ eröffnet seinen Strauss an Veranstaltungen am Donnerstag, den 22. März, um 21 Uhr in der Grabenhalle St. Gallen mit „Säg rächt!“ einem Dialekt Poetry Slam. Und am Freitag, 23. März um 19 Uhr die eigentliche Eröffnung im Waaghaus St. Gallen mit „KOSOVȄ IS EVERYWHERE – Bern ist überall“.

Mehr Informationen unter wortlaut.ch

Jürg Halter „Mondkreisläufer“, Der gesunde Menschenversand

Jürg Halter dichtet nicht auf dem Standbein und trotzdem aus dem Stand heraus. Jürg Halter ist Dichter und bezeichnet sich zuweilen als Drifter. Ein driftender Dichter ist er sicher. Ein Vorspiegler wörtlicher Tatsachen. Einer, der listig und lustig behauptet, den Dingen aber nie den Ernst nimmt, denn Jürg ist nicht Ernst.

„Mondkreisläufer“ ist fast ein Gespräch, erinnert an den Fragenkatalog von Max Frisch. „Wie oft hast du in deinem Leben etwas getan, wozu du dich entschieden hast? Stehen Fühlen und Denken bei dir noch in einem Zusammenhang? Was für ein Verhältnis hast du zu deiner Machtlosigkeit? Wie lange beweist dich das Spieglein an der Wand noch?“ Jürg Halter fordert heraus. „Mondkreisläufer“ ist kein Roman, keine Erzählung, keine Geschichte. Ein Prosatext, der sich an mich wendet, der mich auffordert, mitzudenken, erst recht mit dem Denken anzufangen.

Als ich Jürg Halter zum letzten Mal zuhörte, war dies an der BuchBasel 2017 an der Greifengasse hinter einem Schaufenster. Er las drinnen als Teil einer Adventsdekoration und ich hörte draussen zu, in der Kälte, angeschupst von Vorbeieilenden. Er hörte mich nicht, ich ihn sehr gut durch einen Lautsprecher vor der Scheibe. „Mondkreisläufer“ ist genau so. Jürg Halter scheint mich zu sehen, aber nicht zu hören. Er scheint zu reagieren, auf mein Nicken, mein Kopfschütteln, mein Schulterzucken.

Die Lektüre flutscht nicht, sie beisst, kratzt und steht quer. In der Literaturlandschaft subversiv. Ein Monolog eines Wahn-sinnigen, der uns mitnimmt auf die Reise zu einer bergenden Mutter. Ein Text, der mich mitnimmt, mit Fragen und Aufforderungen:

Denken ist gefährlich, Denken hat Denken zur Folge, du wirst zum  Gedankenverfolgten, treiben sie dich in die Enge oder an den Rand des Abgrunds, können Gedanken tödlich sein.“

Ursprünglich war „Mondkreisläufer“ als Theaterstück geschrieben. Das Buch ist eine Weiterentwicklung des Theaterstücks in einen schillernden Prosatext, herausgegeben von einem Verlag, der sich wie der Autor Jürg Halter auf neues Terrain begibt.

Jürg Halter ist neben vielen anderen Gast am 3. Lyrikfestival NEONFISCHE 2018 im Aargauer Literaturhaus Lenzburg. Am Wochenende vom 3. und 4. März lesen und performen neben Jürg Halter auch Joachim Sartorius, Robert Schindel, Kathrin Schmidt, Ernst Halter, Raphael Urweider, Frédéric Wandelère, Klaus Merz, Meret Gut, Cornelia Travnicek, Tim Holland sowie die Übersetzerinnen Elisabeth Edl und Marion Graf.

Bild: Corinne Futterlieb

Jürg Halter, geboren 1980 in Bern, lebt meistens in Bern, wo er Bildenden Künste an der Hochschule der Künste Bern in studierte. Jürg Halter ist Schriftsteller, Musiker und Performancekünstler. Er gehört zu den bekanntesten Schweizer Autoren seiner Generation und zählt zu den Pionieren der neuen deutschsprachigen Spoken-Word-Szene. Zahlreiche Buch- und CD-Veröffentlichungen. Auftritte in Europa, Afrika, den USA, Russland und Japan. Zuletzt erschienen: «Wir fürchten das Ende der Musik», Gedichte (Wallstein, 2014) und «Das 48-Stunden-Gedicht» mit Tanikawa Shuntarō (Wallstein, 2016).

Webseite des Autors

„Kids“ ein interaktiver Kurzfilm von Mario von Rickenbach und Michael Frei

Ausstellung im Muda (Museum of Digital Art), Pfingstweidstrasse 101 in Zürich vom 3. Februar bis 4. März 2018

Michael Frei trifft mit seinen hybriden Formen aus Game und Animation einen Nerv der Zeit. Sein neues Projekt «Kids», in welchem er grundlegende Fragen der Gesellschaft behandelt, produziert er zusammen mit Mario von Rickenbach. Es soll im laufenden Jahr als Game auf den Markt kommen. Was an der Ausstellung in Zürich sichtbar wird, ist die Entstehung, das Making-of. Zudem kann das Game sowohl virtuell wie haptisch ausprobiert werden.

„Die Magie des ersten Satzes“ – eine Matinee

Eine literarische Matinee mit acht Autorinnen und Autoren. Kuratiert von Peter Höner und Michèle Minelli.

Die Magie des ersten Satzes. Welches Geheimnis verbirgt er? Wann wird ein Anfang zu einer guten Geschichte? Womit weckt eine Figur vom ersten Auftritt an Interesse? Wie entstehen aus Worten Welten?

Tobias Bonderer, Veronika Bucher, Heike Felber, Hansjürg Geiger, Diana Krüger, Manuela Müller, Johannes Nolte und Roli Trümpi wagen den Sprung ins leere Blatt.

Eine literarische Matinee, die den Anfang ins Zentrum rückt. Lesungen, Intermezzi, Gespräche kuratiert von Peter Höner und Michèle Minelli, Schreibwerk Ost.

Sonntag, 18. Februar, von 10.30 bis 13 Uhr im Bodman-Literaturhaus in Gottlieben TG!

www.schreibwerk-ost.ch

Joachim Sartorius „Für nichts und wieder alles“, Kiepenheuer und Witsch

Joachim Sartorius ist ein Reisender. Seine Gedichte in seinem neusten Band „Für nichts und wieder alles“ sind Reisen weit weg, bis nach Aleppo, Reisen in die Vergangenheit, Reisen in unmittelbare Nähe. Suchbilder mit ungewisser Tiefenschärfe. Meisterhafte Sprachgebilde, die mich warm in die Arme nehmen.

Joachim Sartorius Gedichte sind keine Versuche. Mit scheinbarer Leichtigkeit dichtet er sich in Tiefen, die mir sonst verschlossen bleiben. Es sprudelt Witz genauso wie Weisheit, Gelassenheit und eine Spur Melancholie. Joachim Sartorius experimentiert nicht. Seine Gedichte verbergen nicht, verstören nicht, lassen einem nie ratlos zurück. Vielleicht bleibt eine Spur Zweifel. Genau soviel Zweifel, um das Gedicht noch einmal und noch einmal zu lesen. Seine Gedichte beweisen Schönheit, umgarnen mich. Er nimmt mich mit. Ich werde Sehender durch seine Sprache. Durch seine Präzision des Schauens, den klaren Strich, der Helligkeit des Lichts.

Gross genug, alt genug

Wenn im Holunder die Glühwürmchen
sich öffnen und schliessen, folge diesem Licht,
folge der mit kleinen Sternen verkrusteten Nacht,
unserem einzigen Himmel, folge dem Flackern.
Die Erde ist alt genug, dass man nicht schreien muss.

Nervöses Licht auf den Stufen,
ein Leuchtturm ist dieser Glühwurm, folge seinem
Geflacker, er taumelt, er weiss wohin. Kaum
hat er die glänzenden Flügel aus dem Etui
gezogen, die blaue, laue Luft empfangen,

sich aufgewölbt, sind die Blätter schon hart,
ist er schon angezählt. Drei Nächte, falls kein
Regen kommt. Alt genug jetzt, sendet er dir
sein Licht. Stolpere nach. Schon tanzt, Rauchlocke
über dem schwarzen Waldsaum, dein Alter heran.

Sicellino, Juni 2010

Ich staune und bin tief berührt. Und einmal mehr verblüfft darüber, wie lange es dauerte, bis ich für solche Texte überhaupt zugänglich wurde. Es ist wohl nicht die Reife, die fehlte. Aber mit Sicherheit die Geduld, sich auf Lyrik einzulassen. Den Genuss der Sprache dem blossem Verstehenwollen vorzuziehen.

Peinliche Pilze

Es gibt kein Brot an diesem Tisch.
Um diesen Tisch sitzen Dichter.
Sie sprechen in der Hustensprache,
essen peinliche Pilze, gehen frieren.
Angst nutzen sie als Trampolin.
Ihr Augenschein ist Ohrenschein.

Nacht für Nacht hören sie das Gewicht
der alten Poesie und ihrer vielen Wohnungen.
Ihre Hände waren zu voll und sind
jetzt leer. Sie wissen: Die toten Dichter
halten ihren Schmerz für zu klein,
kläglichen Kram, fast blind, vertrieben

in alle Winkel der lieben Finsternis.

Joachim Sartorius liest neben vielen anderen Gästen am 3. Lyrikfestival NEONFISCHE 2018 im Aargauer Literaturhaus Lenzburg. Am Wochenende vom 3. und 4. März lesen und performen neben Joachim Sartorius Robert Schindel, Kathrin Schmidt, Ernst Halter, Raphael Urweider, Frédéric Wandelère, Klaus Merz, Meret Gut, Jürg Halter, Cornelia Travnicek, Tim Holland sowie die Übersetzerinnen Elisabeth Edl und Marion Graf.

Joachim Sartorius, geboren 1946 in Fürth, wuchs in Tunis auf und lebt heute in Berlin und Syrakus. Er ist Lyriker und Übersetzer amerikanischer Dichtung. Er veröffentlichte sechs Gedichtbände, zuletzt 2008  „Hôtel des Étrangers“, zahlreiche Bücher, die in Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern entstanden, und die Reiseerzählungen. Sein lyrisches Werk wurde in vierzehn Sprachen übersetzt. Er ist Mitglied des PEN und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Informationen zum Lyrikfestival NEONFISCHE

Iris Wolff „So tun, als ob es regnet“, Otto Müller Verlag

Iris Wolffs Sprache schmeichelt einem. Sie mäandert, trägt ganz behutsam Schicht für Schicht ab. Iris Wolff will keine Geschichte zu Ende erzählen. Sie wirft einen Stein in die Geschichte einer Familie und es ziehen Wellen weg vom Zentrum des Geschehens, entschwinden aus Sichtweite, um sich mit anderen Wellen zu kreuzen. Ein schmaler Roman, der ein ganzes Jahrhundert birgt, in einer Sprache erzählt, die fasziniert und in höchstem Masse bezaubert.

«Roman in vier Erzählungen» ist dem Buch vorangestellt und jedem dieser vier Erzählungen, die ganz fein miteinander verbunden sind, durch die Linie einer Familie, diesem Band, wonach man sich sehnt, diesem Band, dass so leicht reissen kann, ein einzelner Satz aus der jeweiligen Erzählung. Ein Satz wie ein Thema. Ein Roman über fast hundert Jahre bis in die Gegenwart, verankert in vier Zeiten, in Momenten, Zwischenzeiten, ausgeleuchtet ein paar Seiten lang, um den Faden viel später wieder aufzunehmen, in ganz anderem Licht. Iris Wolff konzentriert Geschichte genauso wie Sprache. Sie schreibt so, wie Erinnerung geschieht, in Bildern, das eine ausleuchtend, das andere im Dunkeln lassend.

So wie ich mir bei manchen Büchern gewünscht hätte, man hätte sich auf das Wesentliche konzentriert, weniger wäre mehr gewesen, eine Stimme hätte zu Mässigung gemahnt, so gross war das Bedauern darüber, dass das Lesevergnügen nach 163 Seiten schon zu Ende war. Ich hätte der stillen Stimme der Autorin noch lange zugehört und bin mir sicher, dass da etwas Grosses zu wachsen begonnen hat!

Ein junger österreichischer Soldat wird zusammen mit einem Offizier von der winterlichen Front weg in ein Karpatendorf abkommandiert. Weg von der eisigen Kälte, weg vom Tod und der dauernden Angst, hinein in ein Dorf, in eine Familie. Weg vom Grabenkrieg im weiten, waldigen Gebirge in eine warme Stube, ein weiches Bett, an einen reich gedeckten Tisch. Jacob, der Soldat, freundet sich mit der jüngsten Tochter an, erzählt ihr Geschichten, zuletzt auch jene seines Bruders, der weit weg seine Schuhe am Rand einer tiefen Schlucht auszog. Eine Geschichte später, Jahre dazwischen, treffen sich der Grossvater Elemér und seine Enkelin Henriette im Garten, beide schlaflos, von Unruhe gepackt in der «Gesellschaft der Schlaflosen». Eine Familie droht durch die Geschichte zerrissen zu werden und Herniette weiss, dass sie nicht ist, wie die anderen, nicht einmal wie ihre Schwestern. Noch einmal Jahre später, als der Mond durch Amstrong in Besitz genommen wird, Vicco an der Distanz zu seiner Mutter Henriette zu zerbrechen droht, Liane kennenlernt und mit ihr bis zum Schwarzen Meer im Trabi fährt. Und noch einmal Jahre später, Henriette ist als Grossmutter und ganz besondere Frau bloss noch Erinnerung, die junge Hedda auf einer Insel im Meer erfährt, dass ihr Vater Vicco an Krebs erkrankt ist. Hedda beobachtet ein Paar, das in einen Fischerkahn steigt. Ein Boot, das nie zurückkehrt. So wie die Wellen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft.

Man möchte es laut hinausrufen; Hier glänzt Sprache auf, hier schreibt und erzählt jemand in einer Sprache, die poetisch funkelt. Hier ist ein Buch, das man nicht versäumen darf, das man nach der Lektüre für eine Weile an die Brust drückt, weil man es nicht loslassen will. Unbedingt lesen!

Iris Wolff liest aus ihrem Roman am 12. Januar im Bodman-Haus in Gottlieben TG, um 20 Uhr.
Moderiert wird die Lesung von Julia Knapp.

Iris Wolff geboren 1977 in Hermannstadt/Siebenbürgen. Studium der Germanistik, Religionswissenschaft und Grafik & Malerei in Marburg an der Lahn. Langjährige Mitarbeiterin des Deutschen Literaturarchivs Marbach, 2013 Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg. Neben dem Schreiben ist sie am Kulturamt der Stadt Freiburg im Breisgau tätig. Ihr erster Roman „Halber Stein“ erhielt den Ernst-Habermann-Preis 2014.

Webseite der Autorin

Titelfoto: Sandra Kottonau

«Literatur am Tisch» mit Jens Steiner und seinem Roman «Mein Leben als Hoffnungsträger»

Am Montag, 15. Januar 2018, liest und diskutiert Jens Steiner. Alle Interessierten sind zu dieser ganz «privaten» Runde eingeladen. Um 19 Uhr zu Wein, Brot und Käse am grossen Esstisch an der St. Gallerstrasse 21 in Amriswil TG! Einzige Voraussetzung für eine Teilnahme: Sie sollten das Buch gelesen haben! Melden Sie sich an und seien Sie dabei. 30 CHF inkl. Konsumation. info@literaturblatt.ch.

Rezension auf literaturblatt.ch!

Unregelmässig findet an unserem grossen Esstisch «Literatur am Tisch» statt: Eine Autorin oder ein Autor wird zusammen mit seinem neusten Buch zu Tisch geladen, ebenfalls maximal 10 Gäste, die das Buch gelesen haben. Man trinkt ein Glas Wein (oder mehr), geniesst Häppchen aller Art und unterhält sich, setzt sich angeregt und manchmal auch kritisch mit dem Buch, dem Schreiben, dem Lesen und der Literatur auseinander. Kosten für Teilnehmende inkl. Nachtessen und Getränke mind. 30 Fr., Beginn 19 Uhr

«Literatur am Tisch» soll Leserinnen, Leser und Autorinnen und Autoren an einen Tisch bringen, die Möglichkeit bieten, sich in ein echtes Gespräch, einen für beide Seiten zum Gewinn werdenden Austausch einzulassen. Traditionelle Lesungen oder Gespräche lassen Lesende auf Distanz, bieten kaum die Gelegenheit, eigene Lesarten, Gedanken miteinzubringen.»

«Lesungen auf einer Bühne sind das eine. Im intimen Rahmen von Gallus› und Irmgards Literatur-am-Tisch-Abenden ist man der mitdiskutierenden Leserschaft ungleich ausgelieferter, da Künstlergarderobe als Rückzugsmöglichkeit, erhöhte Bühne als distanzschaffendes Element und blendende Scheinwerfer fehlen, welche die Fragestellenden anonymisieren. Im besten Fall – und so einer lag bei meinem Besuch vor – erlaubt so eine Konstellation ein vertieftes Eintauchen, eine angeregte, kritische Diskussion, bei der man als Autor gezwungen wird, sich wieder einmal ganz grundsätzliche Fragen zum eigenen Werk zu stellen. Besonders ergötzlich gestaltet sich so eine Auseinandersetzung bei gutem Essen und feinem Wein am Tisch der Gastgeber in Amriswil.» Frédéric Zwicker

«So eine Literatur am Tisch sollte es überall geben. Meiner Meinung nach schreiben viele Autor/innen genau für sie: Menschen, die sich vertieft und intensiv, mit viel Liebe und Neugier, mit Literatur auseinandersetzen. Der Runde am 17. August war die bei vielen vorhandene jahrelange Erfahrung mit Diskussionen und Reflexion über Texte anzumerken. Mit Sorgfalt bitten die Gastgeber Gallus und Irmgard zu Tisch, und schon ganz bald ist man mitten in publizistischen und literarischen Fragen: Wer bestimmt das Cover eines Buches? Warum trägt es genau den Titel? Wie viel hatte die Autorin dazu zu sagen? Wie ist die Idee zum Text entstanden, wie erlebte ich die Schreibarbeit an einem Thema, das einem wohl nicht anders als unter die Haut gehen muss. Warum diese Erzählperspektive? Und wie spiegeln sich die Leser/innen im Text, den sie lesen? Diese und viele andere Fragen haben wir diskutiert. Dabei war es für mich immer wieder auch spannend, einfach zuzuhören, zu erfahren, wie unterschiedliche Menschen einen Text lesen und darauf reagieren. Ich bin reich beschenkt nach Hause gefahren. Danke!» Bettina Spoerri

Martina Clavadetscher als Drehbuchautorin: „Die Einzigen“

Die Koproduktion von Schweizer Radio und Fernsehen und der Zürcher Produktionsfirma Tilt Production GmbH erzählt von einem jungen Unternehmensberater, der in Muotathal über die Wurzeln seiner Identität stolpert. Dabei kämpft er genauso wie ein mit ihm schicksalshaft verwobenes Gothic-Girl darum, die Enge des Tals aufzubrechen und mit der Vergangenheit Frieden zu schliessen. – Regisseurin des SRF Schweizer Films „Die Einzigen“ ist Maria Sigrist, das Buch stammt aus der Feder von Martina Clavadetscher. Gedreht wurde das Drama, das sich immer wieder an das Genre eines Western anlehnt, zwischen dem 6. Juni und dem 7. Juli 2017 in Muotathal.

Martina Clavadetscher, Nominierte für den Schweizer Buchpreis 2017 und Autorin des Romans „Knochenlieder“, erschienen bei Edition Bücherlese, ist zum ersten Mal Drehbuchautorin eines Langfilms.

Auf seinem Weg von Mailand zurück nach Frankfurt will der ehrgeizige Unternehmensberater Jan Keplitz (Johannes Franke) einen kurzen Pflichtstopp in Muotathal einlegen, um das Erbe seines ihm unbekannten Vaters schnellstmöglich abzuwickeln. Doch nach einem Beinahe-Unfall mit dem stummen Gothic-Girl Tonja Imhof (Annina Walt), der Begegnung mit dem skurrilen Stammtischpersonal des Ortes und einem handfesten Streit mit dem ruppigen Dorfpolizisten Gwerder (Ingo Ospelt) – wie sich bald herausstellt: Jans Onkel – wird schnell klar, dass er aus dieser für ihn so andersartigen Welt erst mal nicht mehr herauskommt.
Jan erfährt bald, dass Tonja seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr redet. Und während die Gerüchteküche im Dorfladen brodelt und sich Judith (Noëmi Steffen), Tonjas ältere Schwester, einschaltet, bewegt er sich mehr und mehr in den Spuren seines Vaters – bald steht er an einem dramatischen Wendepunkt in seinem Leben. „Die Einzigen“ ist ein Film über das Verlassen werden – sei es durch einen Vater, eine Ehefrau oder durch den Tod eines geliebten Menschen. Und er geht darum, wie man diesen Verlust überwindet und wieder ins Leben mit den Anderen zurückfinden kann.

Der Fernsehfilm „Die Einzigen“ wird am Mittwoch, 13. Dezember 2017 um 20.10 auf SRF zwei ausgestrahlt. Danach kann er während 7 Tagen über srf.ch auf dem Mediaplayer abgerufen und nachgeschaut werden.
Die DVD ist ab dem 14. Dezember 2017 im SRF-Shop erhältlich.