Margret Kreidl & Andrin Uetz «Einleuchtend weiß», eine Performance im Literaturhaus Thurgau

Am letzten Donnerstag im August trafen sich die österreichische Lyrikerin Margret Kreidl und der Musiker und Sänger Andrin Uetz für einen Tag im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben. Um 19.30 wurde dann unter dem Dach des Literaturhauses präsentiert, was aus diesem einen Tag der intensiven gegenseitigen Auseinandersetzung entstand. Eine einmalige Performance – ein künstlerisches Unikat!

Gallus Frei-Tomic, Programmleiter des Literaturhauses, möchte mit diesem  Format, bei dem sich verschiedene Kunstsparten treffen, Grenzen und starre Muster auflösen, im Wissen darum, dass in einem solchen Experiment Neues, Überraschendes entstehen kann, für das Publikum genauso wie für die KünstlerInnen. 

Ein solches Treffen fand nicht zum ersten Mal im Literaturhaus Thurgau statt. 2020 waren es die Lyrikerin Eva Maria Leuenberger und die Musikerin Pamela Méndez, 2022 die Lyrikerin Simone Lappert und der Musiker Andeas Bissig. Veranstaltungen, die bei AkteurInnen und PerformancebesucherInnen ein grosses Echo, viel Begeisterung entfachten.

Die Lyrikerin Margret Kreidl und der Musiker Andrin Uetz kannten sich bis zur Anfrage des Literaturhauses nicht. Grundlage eines solchen Treffens sind bereits bestehende oder neu geschaffene Texte. Auch die MusikerInnen beschäftigen sich im Vorfeld bereits mit den Texten. Ein Abenteuer!

1
Es fängt an.
Ich fange an.
Einatmen.
Eins, zwei, drei, vier.
Atem anhalten.
Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs.
Ausatmen.
Eins, zwei, drei, vier.
Jetzt, hier.

Das Papier: einleuchtend weiß.
Das Wort Nacht: schwarz.
Die Nacht besteht aus Buchstaben.
Buchstabe.
Du Buchstabe.
Nacht.

Wenn ich im Dunkeln atme, ist das Musik?

Margret Kreidl zu ihren Texten: «EINLEUCHTEND WEISS ist ein lyrischer Montage-Text, formal und inhaltlich, was die Bezüge zum Thema „Atem“ betrifft: vom Körperlichen, Leibhaftigen über das Religiöse, das Medi­zinische bis zum Biographischen.
Einige Stichworte: Atmen, singen, Hauch und Hauchung, Dieselabgase, Alkoholfahne, Intubation, Lautgebung, Lachen, Jauchzen, Schluchzen, Summen, Blut-Lungen-Schranke, Membran, Luft, Wolken, Himmel, der geheime Name, der süße Name, der Mutteratem.»

2
Aus einem Schneefeld steigt eine weiß fluoreszierende Linie
in den Nachthimmel auf zu den Kalziumlinien der Sterne und
Lichtjahre entfernt zieht ein Schweif aus Bleistiftstrichen
über ein Blatt Papier.

Feine Striche. Feine Punkte. Dicht beieinander stehende feine 
Striche. Vereinzelte Striche. Streifen. Bänder und Streifen. 
Striche. Die Rückseite ist weiß.
Ist Weiß eine einfache Farbe?
Ist Weiß eine schweigende Farbe?
Ist das Schweigen weiß?

«Die Montage mit ihren Lücken/Leerzeilen soll für die Musik Luft lassen und für das Freisetzen der inhaltlichen Bezüge, für das Netz, dass ich über den ganzen Text gespannt habe.»

3
Etwas bewegt sich.
Bewegte Luft.
Luftzug.
Wind.
Duft.

Duft nach Äpfeln mit einem Einschlag von Dieselabgasen.

Es ist etwas Feineres als Luft.
Ein Hauch.
Ein Hauch, der das Licht aufnimmt.
Ein Hauch, der durchsichtige Räume schafft.
Ein Hauch, der Blüten entfaltet.

Trau den Blüten, auch wenn die Lungen wüten.

Warum summt im Kummer das M?

«Ich habe versucht, eine Spannung zwischen Verdichtung und Luftigkeit zu erzeugen. Der Text besteht aus 21 kurzen Teilen (diese Form habe ich bewusst im Hinblick auf eine Vertonung gewählt) und einer Coda als Abschluss, die man auch wie eine Fussnote zum Text lesen kann. Die Coda stelle ich mir ohne Musik vor, nur als Sprechtext.»

4
Etwas wird sichtbar.
Eine gezackte Linie am Himmel, das M, 
das W,  Lichtwechsel, T-Assoziation,
aufsteigender Ast einer Lichtkurve.

Gelb behält das Feld.
Fünf Äpfel schwarz auf weiß.
Der Schnee ist tot.
Mein Mund wird gelb und heiß.
Die schwarze Zunge.
Die blauen Lippen.
Die Fahne, ausgehaucht.
Mein Großvater ist im Wein ertrunken.

Meine Mutter hat immer mit uns gesungen.
Als Kind war ich schwach auf der Lunge.
Durch das Singen habe ich atmen gelernt.

Wer wird vom Schreien groß?

Jeder der kurzen 21 Textteile endet mit einer Frage. Und es gibt ein Du, das immer wieder angesprochen wird, man könnte auch von einem dialogischen Gedicht sprechen.

5
Etwas, das noch zu entdecken ist:
undurchsichtig
unsinnig
anziehend
vielleicht gewalttätig
etwas Verschleiertes
eine Traurigkeit
erhaben
grundlos.

Die Striche, die vor dir aufleuchten.
Die Striche glühen.

Die Glut wächst.
Weißglut.
Du zitterst.

Während du auf dem Boden liegst,
kämpfst du mit einer fliehenden Frau.

Wer wirft den Vogel in die Luft?

Text © Margret Kreidl

«Lieber Gallus, war das ein schöner Abend, auch mit den Gesprächen, Begegnungen nach unserer musikalischen Lesung! Ich fühle mich hier rund um den See, im Bodmanhaus, schon richtig zuhause. Noch einmal danke für die Einladung, für deine offenen Ohren (in alle Richtungen – du hast wahrscheinlich Fledermausohren)!» Margret Kreidl

«Schön, dass ein Auftritt nicht nur aus einer knappen Stunde auf der Bühne besteht, sondern auch aus Begegnungen und Gesprächen davor und danach. Danke dafür!» Andrin Uetz

(Der hier wiedergegebene Teil aus dem Text «Einleuchtend weiß» ist ausdrücklicher Genehmigung der Autorin hier zu lesen.)

Lyrik und Sound mit Margret Kreidl (Lyrik) und Andrin Uetz (Gitarre) im Literaturhaus Thurgau

am Donnerstag, 31. August 2023 19.30 Uhr

Die österreichische Lyrikerin Margret Kreidl und der Musiker und Sänger Andrin Uetz treffen sich für einen Tag im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben. Am Abend wird dann unter dem Dach des Literaturhauses präsentiert, was aus diesem einen Tag der intensiven gegenseitigen Auseinandersetzung entstanden ist. Eine einmalige Performance – ein künstlerisches Unikat! 

Bei diesem Format treffen sich verschiedene Kunstsparten; Grenzen und starre Muster lösen sich auf, und es kann in einem solchen Experiment Neues, Überraschendes entstehen – für das Publikum genauso wie für die Künstlerinnen und Künstler. Ein Abenteuer! 

Margret Kreidl, Dichterin und Performerin © Sandra Kottonau

Margret Kreidl, geboren 1964 in Salzburg; Studium in Graz; seit 1989 freiberufliche Schriftstellerin (Theaterstücke, Hörspiele, Prosa und Lyrik); seit 1990 Aufführungen im In-und Ausland, zum Beispiel 2016 am Centre Dramatique National de Montpellier. Zahlreiche Hörspiele für den ORF, seit 1995 auch regelmässige Buchpublikationen. Writer in Residence in Deutschland, Serbien und der Schweiz und Gastprofessorin in den USA. Seit 2015 Lehrende für Ästhetik und kreative Schreibwerkstatt an der Musikuniversität Wien. Margret Kreidl lebt in Wien. 

Andrin Uetz ist Musiker, Klanganthropologe, Veranstalter und Journalist. In seiner Dissertation untersuchte er die Soundscapes von Hongkong und entwickelte dabei die Methode der promenadologischen Fieldrecordings. Er interessiert sich insbesondere für Klang und Musik als soziales Phänomen, sowie für ortspezifische Interventionen. 

Die Veranstaltung wird vom Österreichischen Kulturforum in Bern unterstützt.

St. Gallen am 30. August: Margret Kreidl und das Jazzduo STORIES

Als Gast und Stipendiatin der Bodman-Stiftung und der Kulturstiftung Thurgau weilt Margret Kreidl einen weiteren Sommermonat lang im Bodman-Haus in Gottlieben. Zusammen mit den Musikern Christian Berger (Saiteninstrumente) und Dominic Doppler (Schlagzeug), eingeführt von Gallus Frei-Tomic, performte Margret Kreidl ihre Poesie mit Musik.

Margret Kreidl, 1964 in Salzburg geboren und zusammen mit ihrem Lebenspartner Lucas Cejpek aus Wien angereist, ist genau das, was eine von ihrer Leidenschaft durchdrungene Sprach- und Wortkünstlerin ausmacht. Eine, die sich mit unerschöpflicher Kreativität und Virtuosität in vielen Sparten bewegt, sei es als klassische Dichterin, als Theater- oder Hörspielautorin oder als Performerin, die mit ihren Kunststücken die Wirkkraft von Sprache ausschöpfen kann.

Margret Kreidl bringt Ordnung in die Sprache und zerpflückt sie. Sie kostet genüsslich aus und beweist, dass sie in der textlichen Kurzform, im Kontrast zu all der Geschwätzigkeit – auch in der Literatur – in aller Dichte und Kürze episch Leben erzählen kann.

«Der Abend klingt im wahrsten Sinne des Wortes noch in mir nach. Die Performance von Margret Kreidl zusammen mit den beiden Musikern öffneten in mir ganz neue Räume was Sprache, Rhythmus und Musik betrifft. Der Abend hat mich unglaublich inspiriert.» Jacqueline Forster-Zigerli

Margret Kreidl, man wurde im Kultbau St. Gallen Zeuge davon, ist frech, bringts auf den Punkt, fabuliert und kontrastiert, schimpft und schmeichelt. Witz und Schalk in ihren Texten fegen jede Patina, alles, was Staub ansetzen könnte, weg und verleihen der Sprache eine Frische und Unmittelbarkeit, die angesichts aller Instrumentalisierung, der sie ausgesetzt ist, das zurückgibt, was ihr als Stimmmusik ganz eigen ist; Melodie, Klang, Mehrdeutigkeit, die Stimme aller Sinne. In Margret Kreidls Sprachkunst pulst überschäumendes Leben.

An diesem Abend wurde man hineingerissen in ein musikalisches Abenteuer. Margret Kreidl agierte mit dem Gitarristen Christian Berger und dem Schlagzeuger Dominic Doppler so schlaftrunken sicher, dass man hätte meinen können, die Darbietung wäre bis ins kleinste Detail choreografiert. Aber genau dort zeigte sich, dass drei VollblutkünstlerInnen am Werk sind. Musik und Poesie kongenial vereint und verwoben.

«Wer Freude an experimenteller Sprachkunst und ihrer Darbietung hat, wer die Kombination von Poesie und spontaner Musik liebt und am 30. August 2019 sich nicht bei Noisma im Kult-Bau eingefunden hat, der hat definitiv etwas verpasst: Auf höchstem Niveau haben Dominic Doppler (Percussion) und Christian Berger (Gitarren) den roten Teppich für die unverwechselbare Wortkunst von Margret Kreidl ausgebreitet und die österreichische Dichterin hat diesen in vollendeter Selbstvergessenheit und geradezu ekstatischer Performance-Lust betreten: voller Witz, Chuzpe und Charme.»
Florian Vetsch

Margret Kreidl «Hausübungen», Plattform Gegenzauber

Hausübung

Ein Bild ist kein Vergleich. Schreib diesen Satz
auf den Küchentisch. Dann stell eine rote Tulpe
in eine langhalsige Vase. So wird das Licht
nach oben brennen.

Hausübung

Ein Fenster ist keine Tür. Denk über diesen Satz
vor dem Einschlafen nach. Wenn der Wecker läutet,
steh auf. So wirst du vom Hundertsten ins Blaue
kommen.

Hausübung

Ein Stuhl ist kein Auto. Mach aus diesem Satz
ein Gedicht mit vierzehn Zeilen. Lern es auswendig.
So wirst du immer einen Parkplatz finden.

Hausübung

Ein Tisch ist kein Fisch. Sag diesen Satz
im Stehen. Dann wasch dir die Hände.
So wirst du begreifen, was der Fall ist.

Hausübung

Eine Melone ist keine Melone. Wiederhole diesen Satz
hundertmal. Dann trink langsam ein Glas Leitungswasser.
So wirst du die Kerne vergessen.

Hausübung

Rotwein ist kein Orangensaft. Übersetze diesen Satz
ins Französische. Dann putz dir die Zähne. So wirst du
verstehen, was eine Flasche ist.

Hausübung

Eine Frau ist kein Mann. Schau diesen Satz
so lange an, bis du müde wirst. Dann leg dich
ins Bett. So wirst du wieder zum Kind.

(Margret Kreidl, Hausübungen, aus: Jahrbuch der Lyrik 2019, Hg. von Christoph Buchwald und Mirko Bonné, Schöffling Verlag, 2019)

Margret Kreidl performt am 30. August zusammen mit dem Musikduo Stories Texte im Kultbau St. Gallen. Der Abend beginnt um 20 Uhr. Mehr Infos unter kultbau.org.

Margret Kreidl lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Veröffentlichungen, zuletzt: «Einfache Erklärung. Alphabet der Träume», Edition Korrespondenzen Wien 2014. Theateraufführungen, zuletzt: gemeinsam mit Marlène Saldana und Jonathan Drillet: «Grinshorn et Wespenmaler. drames patriotiques», hTh Montpellier 2016. Im Frühjahr 2017 erschien in der Edition Korrespondenzen, Wien: «Zitat, Zikade. Zu den Sätzen» und 2018 beim Berger Verlag «Hier schläft das Tier mit Zöpfen».

SRF: Raoul Schrott erklärt Margret Kreidl

„Hier schläft das Tier mit Zöpfen“

Margret Kreidl: Zettel, Zitat,Ding – Gesellschaft im Kasten

Margret Kreidl «Hier schläft das Tier mit Zöpfen», nicht irgendeine Lesung

Margret Kreidl war und ist für zwei Monate Stipendiatin der Kulturstiftung Thurgau im Bodmanhaus in Gottlieben. Nachdem ein übler Stolperer nur einen Monat am Seerhein ermöglichte, wird Margret Kreidl im Sommer 2019 noch einmal einen Monat im Thurgau leben und schreiben. Anlässlich dieses ersten Teils ihres Stipendiats las die Dichterin in einer sonntäglichen Matinee aus ihren letzten beiden Veröffentlichungen.

Leitsätze

Am Anfang steht der Anleger.
Nach einer Bank kommt eine Bank.
An China führt kein Weg vorbei.
Das Defizit ist weiblich.
Zum Erben muss man geboren sein.
Wer nicht arbeitet, hat keine Freizeit.
Geld ist alles, was der Fall ist.
Die unsichtbare Hand führt uns nach Griechenland.
Inflation muss sein.
Jobs gibt es nur in der Mehrzahl.
Man sollte die Kurse nicht vor dem Abend loben.
Leerverkäufe füllen Taschen.
Der Mittelstand ist ein Angstzustand.
Die schwarze Null ist Glod wert.
Der Osterhase legt alle Eier in einen Korb.
Ein Portfolio kann man nicht essen.
Die Quadratur ist die Krise.
Die Rahmenbedingungen müssen stimmen.
Für den Schweinezyklus braucht man keine Schweine.
Tiger stehen auf tönernen Füssen.
Der Umsatz ist die Summe aller Geschäftsideen.
Vorsorge ist Schicksal.
Morgen weht der Wind von morgen.
Ein X ist ein U, die Wahl hast du.
Wer den Yen nicht ehrt, muss mit dem Dollar rechnen.
Die Zukunft verschwindet in Futures.

(aus «Zitate, Zikaden. Zu den Sätzen, Edition Korrespondenzen, Wien, 2017)

Dass Lyrik nichts Verklärendes haben muss, nicht Romantisierendes, dass Lyrik ganz nah an der Aktualität ist, an den Realitäten, dass Lyrik aufreissen und entblössen kann, dass sie sich nicht ziert und nicht scheut, das alles beweist Margret Kreidl. Die Autorin ist eine Sammlerin. Nicht nur Eindrücke und Zitate aus der Presse (Margret Kreidl ist eine sehr aufmerksame Zeitungsleserin!), sondern Wörter an sich, Wendungen, die aus dem Kontext extrahiert erst recht ihre Wirkung zeigen. So werden wie in den «wirtschaftlichen» Leitsätzen oben, im Alphabet geordnet, aus scheinbarer Wirklichkeit Ausgeschnittenes, zur Paradoxie, ein Gedicht zur Breitseite gegen die Allmacht der Wirtschaft.

Die Kulturstiftung Thurgau gewährte der Dichterin, Hörspielautorin, Dramatikerin aus Wien ein zweimonatiges Stipendium im Bodmanhaus in Gottlieben. Zeit, um neue Ideen wachsen zu lassen, zu schreiben und mit Sicherheit auch das eigene Tun aus anderer Perspektive zu sehen. Für meine Moderation ihrer Lesung im Literaturhaus am Seerhein traf ich die Autorin schon ein paar Wochen zuvor in einem Café am Wasser. Zugegeben, ich war aufgeregt, denn eine Lyrik-Moderation schien mir wesentlich anspruchsvoller als eine, bei der man über einen Roman, eine Geschichte, einen Plot sprechen kann. Aber Margret Kreidl nahm vom ersten Augenblick alles Verkrampfte, alles rein Intellektuelle, zeigte, wie sehr ihre Lyrik nicht nur mit ihrem Blick auf die Unmittelbarkeit verknüpft ist, sondern wie sehr sie Biographisches mit den verschiedensten Stimmen aus der Welt verbindet. Margret Kreidl ist eine Verküpferin, eine sprachliche Verkupplerin.

Sätze im Fluss

Gegen Salzverlust bei großer Hitze
nimm Schwedentabletten und bleib
im Schatten sitzen. Wenn es regnet,
schau aus dem Fenster und schreib
ein Haiku über Pfützen. Mach es wie
die Buddhisten: Sei eine Distelblüte
im Frühlingswind. Lern in Freude
schweben, sagt Walther von der
Vogelweide. Ja, Zitate sind nützlich.
Eine Brücke aus Bleistiftstrichen trägt
die glückliche Leserin: Das bin ich.
Ist Margarethe warm und nass,
gibts viel Frucht und grünes Gras.
Die Schafe reisen auf der Wiese ins
Satte. Ein Esel frisst Rosen. Lies nach
bei Apuleius. Der Hundsstern bringt
die Sätze in Fluss. Ich träume von
Oktobereis in Pfützen und einem
Forellenschluss. Da hast du den Salat:
fest und knackig, aber trotzdem zart.

(aus «Zitate, Zikaden. Zu den Sätzen, Edition Korrespondenzen, Wien, 2017)

«Sätze im Fluss» ist ein dialogisches Gedicht «mit» der Dichterin Zsuzsanna Gahse, mit der Margret Kreidl freundschaftlich verbunden ist.
In «Hier schläft das Tier mit Zöpfen», ihrer neusten Publikation, sammelt Margret Kreidl wieder Gedichte, die um verschiedenste Themen kreisen. Jeder Gedichtband der Autorin ist eine Bibliothek von Namen, eine Ausstellung von Wortbildern. Jedem der Gedichte in «Hier schläft das Tier mit Zöpfen» ist am Seitenende eine Fussnote hinzugestellt, am Schluss ein Hinweis darauf, wo und wie die Autorin das Gedicht an die Wirklichkeit heftet. Eine Fussnote wie ein Türöffner, eine Fussnote, die wie ein Titel wirkt, eine Fussnote, die mich als Leser sehr oft zur Recherche zwang und mit jedem Lesen noch tiefer führte.

Hart
trocken
holzig
zerrieben
Reibefrucht
klein genug
hart genug
Gedicht.

 

Denn das Gedicht ist immer, schreibt Jorge Viegas, der haste Kern einer Revolution.

(aus «Hier schläft das Tier mit Zöpfen. Gedichte mit Fussnoten, Neue Lyrik aus Österreich, 2018)

Margret Kreidl, geboren 1964 in Salzburg, von 1983 bis 1996 in Graz, lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Prosa und Lyrik: Sprachspiele, Lautpoesie, Genretravestien, Mate­rialtexte. Textinstallationen im öffentlichen Raum. Veröffentlichungen seit 1986. Hörspiele, Theaterstücke, Minidramen. Zuletzt erschienen 2017 bei Edition Korrespondenzen der Band «Zitat, Zikade – Zu den Sätzen» und 2018 in der Reihe Neue Lyrik aus Österreich «Hier schläft das Tier mit Zöpfen. Gedichte mit Fussnoten».

literaturblatt.ch dankt den Verlagen für die Genehmigung, Auszüge aus Margret Kredits Werk zu veröffentlichen. Fotos © Lucas Cejpek