Auch wenn ich als Blogger schreibe, besuche ich die Solothurner Literaturtage in erster Linie als Leser, als Büchermensch, als Perlensucher und ewig Erwartender. Solothurn tat genau das, was ich mir erhoffte; es schenkte mir Lesestoff und Begegnungen, die nur in Solothurn stattfinden können, Garanten aus der Vergangenheit und Versprechen in die Zukunft.
Gut, wenn der Erfolg nicht Garantie dafür ist, an den Solothurner Literaturtagen eingeladen zu werden. Dafür gibt es Bühnen genug in den Zentren kulturellen Lebens. Dort schweben sie in unsäglicher Entfernung vom Publikum über Leserinnen und Lesern und pflegen ihr Image als Ikonen der zeitgenössischen Literatur. Hier in Solothurn setzen sie sich an den gleichen Tisch, auf die gleiche Bank; Lukas Hartmann, Ruth Schweikert, Klaus Merz oder Nelly Zink, die auf Lesereise in Europa in Solothurn und Leukerbad Station macht.
Eine der Grossen, die alles versprechen und alles halten, ist Judith Schalansky, mit der ich im letzten Sommer ein Interview in Leukerbad führte und die damals noch in den letzten Arbeiten steckte vor der finalen Fertigung ihres Buches «Verzeichnis einiger Verluste». Judith Schalansky reiste vor Jahren anlässlich eines Stipendiums in die Walliser Alpen, um in der Abgeschiedenheit einen «Naturführer der Monster» zu schreiben, angelehnt an ihren international erfolgreichen Bestseller «Atlas der abgelegenen Inseln», eine aus Fiktion und Fakten gemischte Sammlung fünfzig entlegenster Inseln. Allerdings scheiterte das Schreiben eines «Naturführers der Monster» angesichts der begrenzten Vielfalt menschlicher Vorstellungskraft. Aber es war der Beginn eines viel grösseren Wagnisses, dass schon jetzt seinen sicheren Platz im Kanon zeitgenössischer Literatur gefunden hat. Bestechend allerdings ist nicht nur der Inhalt, die Sprache, der Plan, der dem Buch zugrunde liegt, sondern das Buch als Objekt selbst. Judith Schalansky ist viel mehr als Schriftstellerin. Sie ist Buchgestalterin, Buchkünstlerin, macht aus einem Buch ein Gesamtkunstwerk, durchkomponiert bis zur Art und Weise, wie sie ihre Bücher signiert. Was Judith Schalansky tut ist Offenbarung! (Rezension auf literaturblatt.ch)

Neben Lesungen aller Art von Literatur vielfältigster Couleur ist das Format «Skriptor», bei dem Autorinnen und Autoren zur Textarbeit zusammen über unveröffentlichte Texte diskutieren, ein ganz besonderes Setting. So sassen neben dem Moderator und Schriftsteller Donat Blum, die Schreibenden Viola Rohner, Ruth Schweikert, Micha Friesel, Ralph Tharayil und Rolf Hermann einer zukünftigen Literaturdebütantin gegenüber, die vier Kapitel ihres Romanmanuskripts dem Sextett und dem Publikum zur Diskussion vorlegte. Ein Romanentwurf, der viel verspricht, von Mariann Bühler, die für einmal nicht den gerne kritisierten Schreibschulen der Schweiz entsprang. Ohne viel verraten zu dürfen; auf diesen Namen darf man gespannt sein. Da entsteht ein Roman (Arbeitstitel: Camoghè), der begeistern wird, da wächst eine Schreibe, die viel Talent verspricht. Spannend, wenn man als Leser und Besucher der Literaturtage nicht nur mit fertigen Büchern konfrontiert wird, sondern ungefiltert in Entstehungsprozesse hineinblicken kann, in Auseinandersetzung, in die sonst geschlossenen Räume dessen, was mir Leser verborgen bleiben.
Ebenso vielversprechend, spannend und einmalig war das von Tim Krohn vorgestellte Projekt DuftBar. In Zusammenarbeit mit dem SNF-Projekt «Smelling more, smelling differently» der Berner Fachhochschule schrieb Tim Krohn während der Literaturtage zwei Dutzend Texte zu Düften in kleinen Flakons, die von Duftkünstlern und Meisterparfümeurs zusammengestellt wurden. Immer nach der gleichen Vorgehensweise: Tim Krohn nahm sich einen Duft, schnupperte nach einer Stunde noch einmal an dem Duftstreifen, nach drei Stunden ein weiters und nach acht Stunden ein letztes Mal, weil sich komplexe Düfte mit der Zeit verändern. Aus den Notizen, Assoziationen und aufgestiegenen Bildern schuf Tim Krohn Texte, Kurzgeschichten, Sprachskizzen, die einen ganzen Saal bestens zu unterhalten wussten. Zu wünschen ist nur, dass diese kunstvollen Miniaturen irgendwann einem breiten Publikum zugänglich werden, denn sie beweisen auf eindrückliche Weise, wie einmalig Tim Krohns Fähigkeit ist, aus Bildern Sprache und Geschichten werden zu lassen. So freue ich mich vorerst einmal auf die beiden bei Kampa im kommenden Herbstprogramm erscheinenden Bücher! («Der See der Seelen» und unter dem Pseudonym Gian Maria Calonder «Endstation Engadin»)
Weitere Empfehlungen folgen!
Zeichnungen © Lea Frei (lea.frei@gmx.ch)
Das Zitat im Titel des Artikel entstammt dem neuen Gedichtband «Zwiegesicht» von Ernst Halter

 
	 
	

 
	 Judith Schalansky, 1980 in Greifswald geboren, studierte Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign. Ihr Werk, darunter der international erfolgreiche Bestseller Atlas der abgelegenen Inseln sowie der Roman Der Hals der Giraffe, ist in mehr als 20 Sprachen übersetzt und wurde vielfach ausgezeichnet. Sie ist Herausgeberin der Naturkunden und lebt als Gestalterin und freie Schriftstellerin in Berlin.
Judith Schalansky, 1980 in Greifswald geboren, studierte Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign. Ihr Werk, darunter der international erfolgreiche Bestseller Atlas der abgelegenen Inseln sowie der Roman Der Hals der Giraffe, ist in mehr als 20 Sprachen übersetzt und wurde vielfach ausgezeichnet. Sie ist Herausgeberin der Naturkunden und lebt als Gestalterin und freie Schriftstellerin in Berlin. 
	 sich sowohl für Sachthemen, wie für Kunst und Literatur interessiert. Es sind Bücher, die nicht einfach gelesen in ein Bücherregal verschwinden wollen, aber auch weit davon entfernt, Bestimmungshilfen sein zu wollen. Bücher, die von Innen und Aussen überzeugen. Bücher, denen man die Liebe zum Inhalt genauso ansieht wie die Liebe zum Objekt Buch. Sind das die Gründe für den Erfolg?
sich sowohl für Sachthemen, wie für Kunst und Literatur interessiert. Es sind Bücher, die nicht einfach gelesen in ein Bücherregal verschwinden wollen, aber auch weit davon entfernt, Bestimmungshilfen sein zu wollen. Bücher, die von Innen und Aussen überzeugen. Bücher, denen man die Liebe zum Inhalt genauso ansieht wie die Liebe zum Objekt Buch. Sind das die Gründe für den Erfolg? Annie Dillards ›Pilger am Tinker Creek‹ von 1974 ist einer meiner Lieblingstexte des Nature Writings geworden. Es geht darin um nichts geringeres als die Schöpfung, und das Ringen um eine Sprache für ihre ungeheuerliche Schönheit. Ein Buch des Lebens, ein Lebensbuch, in dem die Gesetze der Physik und die Fragen der Metaphysik mit den Mitteln der Poesie verhandelt werden. Ich habe nicht aufgehört, darin zu lesen.
Annie Dillards ›Pilger am Tinker Creek‹ von 1974 ist einer meiner Lieblingstexte des Nature Writings geworden. Es geht darin um nichts geringeres als die Schöpfung, und das Ringen um eine Sprache für ihre ungeheuerliche Schönheit. Ein Buch des Lebens, ein Lebensbuch, in dem die Gesetze der Physik und die Fragen der Metaphysik mit den Mitteln der Poesie verhandelt werden. Ich habe nicht aufgehört, darin zu lesen. Formate. Heute bespielen wir nur noch unregelmäßig dieses Format.
Formate. Heute bespielen wir nur noch unregelmäßig dieses Format. Ausgehend von verlorengegangenen Natur- und Kunstgegenständen wie den Liedern der Sappho, dem abgerissenen Palast der Republik, einer ausgestorbenen Tigerart oder einer im Pazifik versunkenen Insel, entwirft sie ein naturgemäß unvollständiges Verzeichnis des Verschollenen und Verschwundenen, das seine erzählerische Kraft dort entfaltet, wo die herkömmliche Überlieferung versagt. Die Protagonisten dieser Geschichten sind Figuren im Abseits, die gegen die Vergänglichkeit ankämpfen: ein alter Mann, der das Wissen der Menschheit in seinem Tessiner Garten hortet, ein Ruinenmaler, der die Vergangenheit erschafft, wie sie niemals war, die gealterte Greta Garbo, die durch Manhattan streift und sich fragt, wann genau sie wohl gestorben sein mag, und die Schriftstellerin Schalansky, die in den Leerstellen ihrer eigenen Kindheit die Geschichtslosigkeit der DDR aufspürt.
Ausgehend von verlorengegangenen Natur- und Kunstgegenständen wie den Liedern der Sappho, dem abgerissenen Palast der Republik, einer ausgestorbenen Tigerart oder einer im Pazifik versunkenen Insel, entwirft sie ein naturgemäß unvollständiges Verzeichnis des Verschollenen und Verschwundenen, das seine erzählerische Kraft dort entfaltet, wo die herkömmliche Überlieferung versagt. Die Protagonisten dieser Geschichten sind Figuren im Abseits, die gegen die Vergänglichkeit ankämpfen: ein alter Mann, der das Wissen der Menschheit in seinem Tessiner Garten hortet, ein Ruinenmaler, der die Vergangenheit erschafft, wie sie niemals war, die gealterte Greta Garbo, die durch Manhattan streift und sich fragt, wann genau sie wohl gestorben sein mag, und die Schriftstellerin Schalansky, die in den Leerstellen ihrer eigenen Kindheit die Geschichtslosigkeit der DDR aufspürt.
 wetteifert er an Heisshunger, der selbst dem schlechtesten Hasen gierig nachstellt, an Tücke, Perfidie, während er dabei keine Spur vom Edelmuth des Löwen, von der frischen Tapferkeit des Eisbärs, vom Humor des Landbärs, von der Anhänglichkeit des Hundes hat.» Aber so sehr man den Wolf damals mit den Charakterzügen des Menschen beschreibt, so sehr ist der Wolf auch heute Sinnbild einer menschlichen Sehnsucht. Einst die Angst verkörpernd, die Angst vor der Unberechenbarkeit der Natur, ist der Wolf heute «personifizierte» Sehnsucht nach unmittelbarer Nähe zur Natur. Der Wolf als Medium.
wetteifert er an Heisshunger, der selbst dem schlechtesten Hasen gierig nachstellt, an Tücke, Perfidie, während er dabei keine Spur vom Edelmuth des Löwen, von der frischen Tapferkeit des Eisbärs, vom Humor des Landbärs, von der Anhänglichkeit des Hundes hat.» Aber so sehr man den Wolf damals mit den Charakterzügen des Menschen beschreibt, so sehr ist der Wolf auch heute Sinnbild einer menschlichen Sehnsucht. Einst die Angst verkörpernd, die Angst vor der Unberechenbarkeit der Natur, ist der Wolf heute «personifizierte» Sehnsucht nach unmittelbarer Nähe zur Natur. Der Wolf als Medium.
 
	 m der Stempel wieder. Obwohl eine ganze Reihe mehr oder weniger geduldig Wartender in der Reihe stand, polierte Judith Schalansky in aller Ruhe und Akribie den von mir aus einer Schachtel ausgewählten Stempel und drückte ihn vorsichtig in ihr Buch. Selbst die Signatur sollte stimmen.
m der Stempel wieder. Obwohl eine ganze Reihe mehr oder weniger geduldig Wartender in der Reihe stand, polierte Judith Schalansky in aller Ruhe und Akribie den von mir aus einer Schachtel ausgewählten Stempel und drückte ihn vorsichtig in ihr Buch. Selbst die Signatur sollte stimmen. 
         