Für einmal Abenteuer im Kopf in der Turnhalle – Eva Roth liest.

Eva Roth las viermal hintereinander den Kindern aus dem Amriswiler Schulhaus Kirchstrasse aus ihrem aktuellen Roman „Lila Perk“, die Geschichte eines mutigen Mädchens. Wer das Buch liest, hört den Fluss, riecht den Wald und das Feuer und spürt von der verzweifelten Liebe eines verunsicherten Mädchens!

„Setz dich ans Steuer“ ist eigentlich keine Aufforderung, die einem verunsichern könnte, von der man glauben könnte, sie entspringe ein Verrücktheit. Ausser man ist nicht einmal zwölf und der, der die Aufforderung ausspricht, der Vater. Lila staunt über ihren Vater, weil er so plötzlich in die Ferien fahren will, weil er seit ein paar Tagen ein Auto besitzt, weil er nach dem Tod seiner Frau, von Mama, wieder zu sprechen beginnt, nachdem er über Monate mit grau gewordenem Gesicht dahinvegetierte. “Du musst fahren können, wenn mir etwas passiert.“ Und so sitzt Lila hinterm Steuer , übt zu sammeln mit ihrem Vater und fährt, meist nur nachts. Aber was passiert, wenn man sie sehen würde? Wenn jemand dahinter käme, dass ein Vater seine Tochter auffordert, Auto zu fahren?

„Überlebt in der Wildnis – alle wichtigen Tipps“ heisst das Buch, das der Vater über den Tisch schiebt, als er Lila erklärt, dass es an der Zeit wäre, gemeinsam Ferien zu machen. Ein Buch, dass eigentlich so gar nicht zu ihrem Vater passt, der sich bisher kaum für die Natur zu interessieren schien. Eine verrückte Idee. Nicht die gemeinsamen Ferien, aber die Absicht, daraus einen Tripp in die Wildnis zu machen, denn eigentlich wäre Lila viel lieber wie die Jahre zuvor mit ein oder zwei Freundinnen mit Oma und Opa Perk nach Kroatien gefahren. Schwimmen am Meer, Badeferien am Strand.

Aber Lilas Vater hat einen Plan und Oma und Opa Perk müssen verzichten. Was sie stirnrunzelnd tun, denn selbst die Grosseltern spüren, dass es gut sein würde, wenn Vater und Tochter für ein paar Wochen in die Ferien fahren, wenn sie ganz füreinander dasein würden. Und dann gehts tatsächlich los. Mit Zelt, Schlafsack, Vorräten und all dem, was Papas Buch „Überlebt in der Wildnis – alle wichtigen Tipps“ auflistet. Weit weg, in ein Tal hinter dem letzten Dorf, an einen Fluss, über dem der Schotterweg gerade genug Platz fürs Auto lässt. Eine Reise ins Ungewisse, Vater und Tochter ganz alleine. Eine abenteuerliche Reise weit weg, während sich Tochter und Vater ganz nahe kommen.

Eva Roth, die neben Kinderbüchern auch Romane für Erwachsene und Theaterstücke schreibt und als Lektorin in einem Verlag arbeitet, weiss als ehemalige Lehrerin sehr genau, wie sie mehrere Klassen gleichzeitig in einer Turnhalle mit ihrer Geschichte fesseln kann. Jungs und Mädchen von der ersten bis zur sechsten Klasse lauschen gebannt, Kinder, denen es im Unterricht oft schon schwer fällt, zehn Minuten an der gleichen Arbeit zu bleiben, klebten an ihren Lippen, erliegen den Bildern, die die Schriftstellerin zu kreieren weiss.
Das ist Sprachförderung, ein Bad in Geschichten und Sprache, Kopfkino für ein Publikum, dass hungrig ist auf Geschichten mit Tiefenschärfe!

«Eine Turnhalle. Ein rotes Feld und ein blaues Feld, Sitzkissen. Ein Stapel Bücher und ungefähr 160 freundliche, aufmerksame, neugierige und top vorbereitete Kinder: Die Lesungen im Schulhaus Kirchstrasse sind unvergesslich. Wie schön festzustellen, dass der Funke springt – hin und her!» Eva Roth

Rezension «Lila Perk» auf literaturblatt.ch

Eva Roth «Lila Perk», Jungbrunnen, Kinderroman

Eva Roths erster Kinderroman „Lila Perk“ ist pures Abenteuer. Keine Fantasiegeschichte, aber fantastisch erzählt: „Nach allem, was in den letzten Stunden passiert war, glaubte ich nicht mehr, dass der Bär die grösste Gefahr für uns darstellte. Es gab noch viel Gefährlicheres!“

Nominiert für den Schweizer Kinder-und Jungendbuchpreis 2021!

Lila hats nicht leicht. Ihre Mutter ist vor einem Jahr gestorben und ihr Vater ist seither in einer Zwischenwelt abgetaucht. Nicht da und nicht dort. Auch in der Schule ist es nicht leicht; ein Wechsel in eine höhere Schule, unsichere Sommerferien und Freundinnen, die sich für alles andere interessieren als das, was sie mit sich herumschleppen muss. Und dann sind da auch noch Aurel und die Walze. Aurel ist ein bisschen älter als sie, einer von den Schwierigen, einer, der sogar in den Sommerferien bei der Walze antreten muss. Die Walze ist Frau Stieger, bis zu den Sommerferien Lilas Lehrerin, vor ein paar Jahren auch Aurels Lehrerin.

Aber noch in den Tagen vor den Ferien bricht mit einem Mal der Trott zwischen Grau und Trauer. Lilas Vater hat sich ein Auto gekauft, einen Geländewagen, ein Survivalbuch, allerlei Zeug, um in der Wildnis zu kampieren und gesagt, sie solle sich ans Steuer setzen: „Wenn mir irgendwo im Nirgendwo etwas passiert, musst du mit dem Auto Hilfe holen.“ Mit einem Mal spricht ihr Vater wieder, nachdem er Monate lang schweigend am Tisch neben ihr gesessen hatte. Mit einem Mal ist etwas von dem zurück, von dem Lila glaubte, sie hätte es verloren. Mit einem Mal scheint sich sogar Aurel für sie zu interessieren, nachdem er sie hinter dem Steuer neben ihrem Vater gesehen hatte. „Einen coolen Vater“, nennt Aurel Lilas Papa. Auch wenn Lila viel lieber mit einer ihrer Freundinnen in den Urlaub gefahren wäre oder zu Oma und Opa Per ans Meer, als mit Papa ins Ungewisse, lässt sie auf Papas Geheiss alles Unnötige zuhause zurück und steigt ins Auto, ab ins Ziellose.

Eva Roth «Lila Perk», empfohlen ab 10 Jahren
Verlag Jungbrunnen, 160 Seiten, CHF 23.90, ISBN 978-3-7026-5948-6

Nachdem ihnen im Westen, in Frankreich ziemlich schnell klar wird, dass wildes Kampieren schwierig werden kann, fahren sie nach Osten, durch Österreich und die Slowakei hindurch, bis die Autobahnen aufhören, die Strassen immer schmaler werden und sogar der Zug endet, bis zu einem kleinen Nest namens Miesto Sliviek und noch weiter. Bis die Strasse aufhört und nur noch der Fluss und die Vögel zu hören sind. Dort bauen sie ihr Zelt am Ufer des Wasser auf und erleben eine Nacht, die ihnen beinahe das Leben kostet.

Lilas Reise mit ihrem Vater wird eine Reise an die Grenzen. Und wenn der Akku vom Mobiltelefon seinen Geist aufgibt und der Tank leer ist, wenn die Walze sich bis in den letzten, hintersten Winkel ihres Lebens einmischt, wenn sich Lila eines Nachts ganz alleine ins Auto setzt und es stehen lassen muss und wenn sie in Miesto Sliviek strandet, im letzten Dorf am Ende der Welt, dann wird der Urlaub in der Wildnis zum wirklichen Überlebenstripp. Das bisschen Normalität, das ihr geblieben ist, droht im Chaos zu ertrinken. Der Fluss der Ereignisse droht alles wegzureissen.

Eva Roth schildert die Unberechenbarkeit des Lebens, wie sehr sich Lila der scheinbaren Willkür der Erwachsenenwelt ausgeliefert fühlt, wie sich in unverdautem Schmerz der Zorn einnisten kann. „Lila Perk“ ist die Geschichte von einem Mädchen und ihrem Vater, die sich in ihrem Schmerz beinahe verloren haben, die sich an einem ganz anderen Ort wiederfinden, denen Menschen zur Seite stehen, von denen Hilfe nicht zu erwarten ist.

„Lila Perk“ ist fein erzählt, nicht unnötig aufgeblasen, ganz nah an der Seite eines mutigen Mädchens. Wer das Buch liest, hört den Fluss, riecht den Wald und das Feuer und spürt von der verzweifelten Liebe eines verunsicherten Mädchens!

Eva Roth, geboren 1974, ist in Schwellbrunn AR aufgewachsen. Sie schreibt Prosa und Theaterstücke für Kinder und Erwachsene. Von 1997 bis 2014 arbeitete sie als Primarlehrerin im Kanton Thurgau und in Zürich. Heute ist sie Lektorin in einem Kinderbuchverlag. Neben ihrem ersten Kinderroman „Lila Perk“ sind 2021 zwei Stücke für die Uraufführung geplant: „Streuner“ am Theater Winkelwiese (Regie: Mélanie Huber) und „Falls China kommt“ am Sogar Theater (Regie: Jonas Darvas).
Eva Roth ist auch für den Retzhofer Dramapreis 2021 in der Sparte Kindertheater nominiert.

Eva Roth «Zur Unzeit» auf literaturblatt.ch

Webseite der Autorin

Beitragsbild © Jürg Obrist

Eva Roth «Zur Unzeit»

.
die Monduhr zählt​​​​​
die verreckte Zeit die verzehrte
Zeit die vergangene
Zeit auf nicht mal einem
halben Kreis

.
wie verdrehtes Reh liege ich
Vorderläufe und Hinterläufe
von mir gestreckt
den Kopf im Himmel
und erwarte Morgen

.
meine Mulde dreht
die Matte dreht
die Ebene kippt
die Südkette dreht
die Glocke dreht
das Silber dreht
es zieht das Segel

das Zelt
flattert

ich ziehe hinaus
ich drehe
Punkt

.
schön
wenn der Schlaf mich entlässt wie das Meer
wenn eine Welle ein Stück
Holz auf den Strand schiebt
aber
legt der Schlaf mich bloss auf die Schwelle
wie die Katze eine Maus –

.
Blaulicht
schreit durch deinen Schlaf
deine Wände zucken
dreh dich um
verschliess dein Ohr
lass uns
das Unerhörte suchen

Eva Roth, 1974 im Appenzellerland geboren, lebt und arbeitet mit ihrer Familie in Zürich. 2015 erschienen zusammen mit dem Illustrator Artem Kostyukewitsch das Bilderbuch «Unter Bodos Bett» und im gleichen Jahr ihr erster Roman «Blanko» bei der edition 8:
Ayleen ist an einem Wendepunkt in ihrem jungen Leben; der Kindheit entwachsen, auf dem Weg, sich abzunabeln. Aber wovon? Ihre Mutter Silvia gab die Vergangenheit nie preis, obwohl sie sich in keinem Augenblick leugnen liess, denn Ayleen hat dunkle Haut und schwarzes, krauses Haar. Ayleen macht sich auf gegen das Schweigen, auf die Suche nach ihren Wurzeln, nach Familie und Herkunft. Es werden Schichten abgetragen, Proben aus der Vergangenheit analysiert, genau wie bei der Tiefenbohrung, einer Arbeit, bei der Ayleen während der Ferien ihr Taschengeld aufbessert. Und weil das Erkunden der eigenen Herkunft kein lineares Entdecken ist, sich auch im Erdinnern Schichten überlagern, ist Eva Roths Roman kein lineares Erzählen. «Blanko» ist ein Roman mit Tiefenwirkung, erstaunlich reif und kunstvoll konstruiert.

«Literatur am Tisch» mit Eva Roths «Blanko»

DSCN1140Eva Roth «Blanko», Edition8

Ein Buch lesen und dann ins Regal stellen? Erst recht nicht bei einem guten Buch! Und wenn dann auch noch die Autorin daran interessiert ist, sich mit neuguerigen Leserinnen und Lesern auszutauschen, dann kann ein solcher Abend nur zum Erlebnis werden, für beide Seiten, selbst dann, wenn es nach der Lektüre zu kritischen Bemerkungen kommen könnte.
So nicht bei Eva Roth, die ihren ersten Roman «Blanko» bei Edition8 veröffentlichen konnte und bis jetzt immer noch auf ein überregionales Echo wartet. Zu Unrecht, wie das einhellige Urteil der Runde ausfiel. Der Roman mag für den Gelegenheitsleser anspruchsvoll sein, in seiner Vielschichtigkeit und Vielsinnigkeit ist er aber ein echter Genuss.
Am Schluss des gemeinsamen Abends versicherte Eva Roth, es sei für sie eine Bereicherung gewesen, in dieser Runde über ihr Buch und ihr Schreiben zu diskutieren, mit Menschen, die sich wirklich mit dem Roman, den Geschichten, den Feinheiten bis hin zur Sprache beschäftigt haben.
So sassen am Tisch mit Eva Roth 7 LeserInnen mit der einhelligen Meinung, ein besonderes, absolut lesenswertes Buch diskutiert zu haben, ein Buch, das es verdient, viel mehr Aufmerksamkeit zu gewinnen als der kleine Verlag am Zürichsee versprechen kann.

Rezension in «Saiten»
Rezension in der NZZ
Rezension in der «Thurgauer Zeitung»
Edition8