Am «Ort der Erquickung» mit Zora del Bouno

Weil das Literaturhaus im vergangenen Frühling gezwungen war, wegen Corona Veranstaltungen zu verschieben oder gar abzusagen, wurden zwei jener Lesungen ins Kunstmuseum in der Kartause Ittingen verlegt. Ein Glücksfall für die Schriftstellerin Zora del Buono und ihren Roman «Die Marschallin» und ein gutes Zeichen in die Zukunft!

Für einmal hatte der Zwang, sich wegen der Auswirkungen der Pandemie etwas einfallen zu lassen, auch eine gute Seite. Was mit den ersten zwei Veranstaltungen in einer Kooperation von Kunstmuseum und Literaturhaus Thurgau begonnen hat, zeigt alle Vorzeichen, dass daraus eine fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Institutionen werden kann. Zum ersten Mal gastierte «Literatur am Tisch» weder im Wohnzimmer des Intendanten des Literaturhauses noch im Bodmanhaus in Gottlieben selbst, sondern in einem der schönsten Räume, den das Kloster Ittingen zu einem Juwel im Thurtal macht.

Einst war es der repräsentative Speisesaal der Kaurtause, in dem allerdings nur an Sonntagen gespeist wurde. Und weil der Orden der Kartäuser ein eremitischer Orden ist, der sich ganz der Kontemplation und damit dem Schweigen verschreibt, wurde auch an den sonntäglichen Mittagessen geschwiegen, einzig begleitet durch geistliches Vorlesen in Latein. In jenem Raum an der Schmalseite unter dem Kruzifix sass für einmal nicht ein:e Prior:in, sondern die Schriftstellerin Zora del Buono. Um 18 Uhr nicht für eine Lesung in gewohntem Rahmen, sondern mit 11 Gästen zusammen zu Speis und Trank und einer äusserst angeregten Diskussion über ihren aktuellen Roman «Die Marschallin«. 

Im Anschluss daran las die Schriftstellerin im Museumskeller, in jenem Teil, in dem das «Adlerflügelfahrrad mit aufgesetztem Drachendeck», ein Kunstwerk von Gustav Mesmer auf einer hölzernen Rampe steht, als wolle es in den Himmel abheben. Was auf der Rampe im Moment erstarrte, passierte dafür umso mehr auf der Bühne mit der Geschichte um die Grossmutter der Autorin, der Geschichte eines ganzen Jahrhunderts, einer «Unglücksfamilie», einer Familie mit fünf Toten durch «höhere Gewalt», der Geschichte einer aristokratischen Kommunistin. Literatur hob ab!

Zora del Buonos Lesung im Museumskeller, moderiert von Cornelia Mechler

«Kartause Ittingen: Nie zuvor da gewesen (schlimme Bildungslücke), dafür gestern gleich im Doppelpack. Erst Literatur am (wunderbar gedeckten) Tisch mit köstlichem Käse und klostereigenem Wein. Danach die Lesung im Weinkeller (ohne Wein). Die Marschallin selig hätte es gefreut, in so stilvollem Ambiente präsentiert zu werden. Ich habe mich gefreut, von Gallus und Cornelia so munter durch den Abend begleitet zu werden; der Hund hat sich gefreut, von Gallus ausgeführt zu werden (der Weinkeller behagte dem Tier nicht); kurz gesagt: Freude allerseits. Grazie mille.» Zora del Buono

Am 28. Oktober geht im Museumskeller des Kunstmuseums die kleine Reihe aussergewöhnlicher Lesungen weiter. Dann liest Dragica Rajćić Holzner aus ihrem Roman «Liebe um Liebe«. Informationen zu dieser Lesung finden Sie auf der Webseite des Literaturhauses.

Das 54. analoge Literaturblatt ist versandfertig!

«Die sind aber auch wirklich wunderschön gemacht, war auch einmal Teil davon und sehr begeistert!» Jürgen Bauer

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«Gibt’s denn sowas noch? Handgeschriebene, gezeichnete Buchempfehlungen. Dochdoch, die gibt’s bei literaturblatt.ch!» Joachim B. Schmidt

«Lieber Schweizer Initiator des Literaturblattes, dass es so etwas Schönes und liebevoll Gestaltetes wie das analoge Literaturblatt noch gibt, begeistert mich. Als ich das Literaturblatt sah, war es um mich geschehen. Ich freue mich sehr und denke, die Zusendungen werden Jahreshighlights sein.» Birgitta Nicola, Buchhändlerin und Illustratorin

Für mindestens 50 Fr./€ schicke ich ihnen die kommenden 10 Nummern der Literaturblätter. Die Literaturblätter erscheinen ca. 5 – 6 Mal jährlich.

Für mindestens 100 Fr/€ schicke ich ihnen als Freunde der Literaturblätter 10 Literaturblätter, 5 – 6 pro Jahr. Zudem sind sie auf literaturblatt.ch vermerkt.

Für mindestens 200 Fr./€ sind Sie als Gönner stets eingeladen, als Gönner der Literaturblätter auf literaturblatt.ch vermerkt bekommen 10 Literaturblätter (5 – 6 pro Jahr), also etwa zwei Jahre lang und werden einmalig auf Wunsch mit einem Buch beschenkt.

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Zora del Buono «Die Marschallin», C. H. Beck

Zora del Buono schreibt über Zora Del Buono, ihre Grossmutter. „Die Marschallin“ ist die Geschichte einer Frau, die die Geschicke einer ganzen Sippe durch ein wirres Jahrhundert zu führen versuchte, herrisch und temperamentvoll, in einer Zeit, in der es nicht üblich war, dass sich starke Frauen über Konventionen hinwegsetzten.

Die beiden Veranstaltungen werden auf den 29. Juli 2021 ins die Kartause Ittingen «verschoben». Informationen dazu bald auf den Webseiten vom Literaturhaus Thurgau und dem Kunstmuseum Kartause Ittingen.

Sie schrieb sich das Del in ihrem Namen gross, um sich von einer adeligen Herkunft zu distanzieren. Nicht weil Zora Del Buono eine Frau des Volkes sein wollte, aber weil sie als überzeugte Kommunistin und Verehrerin Marschall Titos an ein Leben glaubte, das sich neu gestaltet, an eine Ordnung, die sich allen feudalen Gesellschaftsformen entgegenstellt. So wie Josip Broz Tito sich selbst ins Zentrum eines ganzen Landes stellte, so unumstösslich sah Zora Del Buono ihre Stellung innerhalb ihrer Sippe. Sie sah sich als Sonne im System. Die Planeten  sollten sich um sie drehen, um dann gegen Ende des Lebens festzustellen, dass sich das System doch nicht um sie allein drehen wollte, dass es Kräfte in Politik, Gesellschaft und der Familie selbst gab, die sich ihrem Diktat verweigerten.
Ganz am Schluss des Romans sitzt die greise gewordenen Zora in einem Altersheim im slowenischen Nova Gorica, an der italienischen Grenze. Von ihrer einstmals grossen Familie ist wenig übrig geblieben; ihr dement gewordener Ehemann Pietro Del Buono in Bari, ganz im Süden Italiens, ist weit weg, zwei ihrer drei Söhne tot, die Welt, auf die sie setzte weggebrochen und untergegangen. Ihr Blick zurück ist ein bitterer geworden, ihr Leben ein einsames, der Stern leuchtet kaum noch.

Zora del Buono, die Enkelin, zeichnet das Panorama eines Jahrhunderts. Einer Frau, die die Weltkriege miterlebte, die im faschistischen Italien mit einer grossbürgerlichen Vergangenheit und Gegenwart an die Ideen des Kommunismus glaubte, die Aufstieg und Niedergang des Duce erlebte, von Benito Mussolini, der ganz offen mit Hitler fraternisierte und Italien zu einem Trümmerfeld machte, die als gebürtige Slowenin mitansehen musste, wie ihre Landsleute in Lager gepfercht wurden und es nur einen einzigen Weg in die Freiheit zu geben schien; den an der Seite Titos, der Jugoslawien zu einem Musterstaat machen wollte, blockunabhängig.

Zora del Buono «Die Marschallin», C. H. Beck, 2020, 382 Seiten, CHF 35.90, ISBN 978-3-406-75482-1

„Die Marschallin“ ist auch der Roman einer Familie, die in den Wirren der Geschichte zerrieben wird, an den fixen Vorstellungen eine Patriarchin. Von einer Familie, die von sich ein Bild erzeugen will, die durch ein Jahrhundert wankt, nicht nur weil die Geschichte verrückt spielt, sondern das Schicksal mit aller Härte genau dort sein Opfer sucht, wo es am meisten schmerzt. Zora Del Buonos Ehe mit dem Radiologen Pietro Del Buono, den sie gegen Ende des ersten Weltkriegs kennenlernt, dem sie nach Bari folgt und zusammen eine Klinik eröffnet, mit dem sie sich den Kommunisten anschliesst, sich ganz nah an den Führungskräften jener Bewegung orientiert und aktiv am Widerstand gegen den grassierenden Faschismus teilnimmt, ist keine leichte. Zora lässt sich weder ein- noch unterordnen. Sie bleibt eigenwillig, so sehr, dass sie einmal sogar die Koffer packt, voll mit Medikamenten aus den Arzneischränken ihres Ehemannes, um den Partisanen in ihrer Heimat in Slowenien zu helfen. So sehr, dass die Jahrzehnte später zusammen mit ihrem Mann aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen wird, weil sie zu einem verbrecherischen Puzzleteil einer Geldbeschaffungsaktion wird.

«Die Marschallin» auf dem 54. analogen Literaturblatt

Das Leben nimmt nicht jenen Verlauf, den Zora ihrem Leben aufdrücken will. Nicht das politische Leben, nicht das gesellschaftliche, nicht einmal das Leben in der Familie. Bis hin zu ihren Enkelkindern. Zora, die Schriftstellerin, erzählt von von ihrer Grossmutter Zora Del Buono, eine Geschichte, in der eine ganze Familie in der Hitze von Gewalt, Krieg und Intrige zu verdampfen droht.

Man spürt als Leser das Feuer in diesem Roman, die Hitze der Leidenschaft; jene der alten Zora in ihrem Tun, jene der jungen Zora in ihrem Erzählen!

Zora del Buono, geboren 1962 in Zürich, lebt in Berlin und Zürich. Studium der Architektur an der ETH Zürich, fünf Jahre Bauleiterin im Nachwende-Berlin. Gründungsmitglied und Kulturredakteurin der Zeitschrift «mare». In der Reihe «Naturkunden» bei Matthes & Seitz veröffentlichte sie den Band «Das Leben der Mächtigen. Reisen zu alten Bäumen».

«Death valley coffee shock» von Zora del Buono auf der Plattform Gegenzauber

Rezension von «Hinter den Büschen, an eine Hauswand gelehnt» auf literaturblatt.ch

Webseite der Autorin

Illustrationen © leafrei.com / Literaturhaus Thurgau