«so viel gefüll» Simone Lappert und Andreas Bissig, eine Performance

Es sollte ein Abenteuer sein, ein Experiment. Ein solches könnte scheitern, das Abenteuer in einem Fiasko enden. Aber da ich sowohl die Lyrikerin Simone Lappert wie den Musiker und Komponisten Andreas Bissig kannte, beide schon erlebt hatte, wusste ich, es würde klappen.

Ich hörte Simone Lappert mit ihrem ersten Gedichtband am Internationalen Lyrikfestival 2022 in Basel. Ich hatte mir ihren Gedichtband «längst fällige verwilderung» schon länger besorgt, wollte mit der Lektüre aber so lange warten, bis ich den Sound ihrer Stimme in meinem Kopf haben würde. Ich wusste, Gedichte und Stimme würden sich unauslöschlich miteinander verzahnen. Was dann auch wirklich geschah, was noch immer geschieht, wenn ich ihren Gedichtband zu Hand nehme und darin lese. Jetzt noch viel mehr, nach mehrmaliger Lektüre, nach einer Performance mit der Bassisten Martina Berther an den Solothurner Literaturtagen 2022 und nun nach der einen im Literaturhaus Thurgau mit dem Saxophonisten Andreas Bissig.

Eindrücke aus dem Prozess:

Simone Lappert beweist, dass Lyrik weit weg sein kann von vergeistigter, intellektuell verstiegener Wortkunst, die sich mehr verschliesst als offenbart. Simone Lappert Gedichte sind Sinn-Bilder, sinnlich im wahrsten Sinne des Wortes, atmosphärisch dicht, mit Worten und Sätzen gezeichnet, die sich wie Fahrten durch innere und äussere Landschaften anfühlen, manchmal gar in Breibandmanier, durch die Waagrechten der Zeit und die Senkrechten des Seins. Bilder voller Leidenschaft, Liebeserklärungen an Sprache, Klang, das Bild, den Moment und das Gefühl.

«Danke für Wortraum und Seewind und Weitsicht und Wein, danke fürs Klangexperiment und einen Ort zum Wiederkehren. Schönste Bühne weitumher.» Simone Lappert

 

lieblingsmensch

ich stürze mich in deinen brombeerblick,
will wurzeln schlagen hinter deinen ohren,
wo du nach katze riechst und sommerfell,
ich will moosraufen und mohnwälzen mit dir
und ohne adresse hausen am hang.
ich will all deine schatten streicheln,
in deinen dunklen ecken singen,
ich will dir sämtliche monde kaufen,
eine veranda und einen schaukelstuhl,
ich will dich einatmen und aussprechen,
mich rau reden an dir.

Die beiden KünstlerInnen Simone Lappert und der Saxophonist Andreas Bissig kannten sich bis zur Begrüssung am Morgen dieses gemeinsamen Tages nicht. Es gab wohl die eine oder andere Absprache. Aber als ich die beiden nach einem Begrüssungskaffee am Seerhein in ihre Arbeit entliess, war es ein Abenteuer, ein Weg ins Unbekannte. 

Andreas Bissig verstand es vorzüglich, den Text mit seiner Musik zu unterstreichen. Sie beide, Simone Lappert und Andreas Bissig, sind keine KünstlerInnen der lauten Töne, sehr wohl aber der feinen Zwischentöne, der Untermalungen, der filigranen Klang- und Wortkasskaden.

«Auszug aus meiner Improvisations-Partitur für den gemeinsamen Auftritt mit Simone Lappert vom 8. Juli 2022: Zeit, dunkel, knacken -> Auto-Groove -> leise, zerzaust, warm -> (stop) -> Moon-Raggae -> Glühmotten -> […] -> Rückblende, optimistisch -> (stille) -> AUSRASTEN […] Herzlichen Dank an alle für die inspirierenden Begegnungen.» Andreas Bissig

 

2013

es ist nur noch ein leises da:
hinter dem zaun das haus und die geschrumpften zimmer,
die hierarchie der birken leicht verschoben,
zwischen den zweigen lücken, die es damals schon gab.
die gerüche im hausflur zerzaust erhalten,
und was kümmert den Hasel sein wachsender schatten,
was die hagebutte der fortgang der zeit,
zwischen den halmen, im flickwerk der felder,
fläzen kinderjahre auf der abgespielten haut.

 

Simone Lappert «längst fällige verwilderung», Diogenes, 2022, 80 Seiten, CHF 27.00, ISBN 978-3-257-07189-4

«In Simone Lapperts Lyrik vermoosen Gedanken und leuchtet der Mond siliziumhell. Die Liebe schmeckt nach Quitte, die Katastrophe nach Erdbeeren, und die Dichterin fragt sich, fragt uns: sag, wie kommt man noch gleich ohne zukunft durch den winter? Gedichte über Aufbrüche, Sehnsüchte, Selbstbestimmung und die fragile Gegenwart. Alle Sinne verdichten sich, aller Sinn materialisiert sich in diesen Texten voller Schönheit, Klugheit und Witz.»

literaturblatt.ch und das Literaturhaus Thurgau danken der Autorin und dem Diogenes Verlag herzlich für die Erlaubnis, zwei Gedichte aus dem Band «längst fällige verwilderung» veröffentlichen zu dürfen.

Beitragsbilder © Sandra Kottonau, Gallus Frei / Literaturhaus Thurgau

„längst fällige verwilderung“ Die Dichterin Simone Lappert und der Musiker Andreas Bissig in einem Experiment

Freitag, 8. Juli, 19.30 Uhr – die Performance im Literaturhaus Thurgau

„Simone Lapperts erster Lyrikband legt einen brodelnden Untergrund frei.“

Simone Lappert (1985) war mit ihrem letzten Roman „Der Sprung“ 2019 auf der Shortlist zum Schweizer Buchpreis. Schon bei den Lesungen zu diesem Roman machte sie auf den Literaturbühnen im In- und Ausland klar, dass es ihr bei der Präsentation ihrer Spracharbeit nicht um blosse Wiedergabe geht. Simone Lappert macht ihre Sprache zu Ausdruck, zu Gestik, zu Lautmusik. Da bringt eine junge Frau Atmosphäre zum Wabern!Schon alleine deshalb konnte man nur gespannt sein auf ihren aktuellen Lyrikband „längst fällige verwilderung“. Und was Simone Lappert schreibt, euphorisiert!

Zusammen mit Andreas Bissig (1985), der sich als Musiker, Komponist, Sound- und Gamedesigner profiliert und seit 2017 an der Hochschule Luzern unterrichtet, experimentieren die zwei einen ganzen Tag im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben. Sie steigen, ohne je miteinander gearbeitet zu haben, in dieses Unternehmen ein und präsentieren abends die Performance! Ein Abenteuer!

«Eine transdisziplinäre Kooperation ist für mich immer auch eine Begegnung, ein künstlerisches Experiment, ein Dialog zwischen verschiedenen Ausdrucksformen. Im besten Fall neugierig und ergebnisoffen.» Simone Lappert

Simone Lappert, Schriftstellerin und Dichterin ist auch Mitorganisatorin der Basler Lyriktage, an denen jedes Jahr der Basler Lyrikpreis vergeben wird. Simone Lappert weiss aus vielfacher Erfahrung sehr genau, was mit solchen experimentellen Gefässen zu erreichen ist. Allen Gästen an diesem Freitag wird ein einmaliges, nicht zu wiederholendes Kunststück der Extraklasse geboten!

Illustration © leafrei.com / Literaturhaus Thurgau

Das neue Programm im Literaturhaus Thurgau

Liebe Freundinnen und Freunde des Literaturhauses Thurgau

Vielleicht können Sie sich eine Vorstellung davon machen, wie viel Freude, Erwartung, Stolz und Leidenschaft die Lancierung eines neuen Programms bedeutet! Neun Autorinnen und Autoren, zwei Musiker, Künstlerinnen und Künstler aus fünf Ländern, aus Weissrussland, Österreich und Tschechien zugleich, Deutschland und der Schweiz. Ein Programm, dass sich mit Prosa, Lyrik, Sachthemen und Musik auseinandersetzt, das Lesungen, Diskussionen, Konzerte, Performances präsentiert, das Literatur in den Mittelpunkt aktueller Auseinandersetzungen führt und zusammen mit einem wachen Publikum zur Konfrontation ebenso wie zum Genuss einladen will.

Liebes Publikum, liebe Stammgäste, liebe Begeisterte für Literatur, Musik und Kunst, Sie sind herzlich eingeladen! Nehmen Sie Freundinnen und Bekannte mit! Zeigen Sie Ihnen das schmucke Literaturhaus am Seerhein! Feiern die mit uns das Sommerfest am 20. August, an dem sie nicht nur musikalisch und literarisch verwöhnt, sondern ebenso zu Speis und Trank eingeladen werden.

Mir freundlichen Grüssen im Namen der Thurgauischen Bodman Stiftung Gottlieben, der seit mehr als zwei Jahrzehnten wirkenden Stiftungssekretärin Brigitte Conrad und des Programmleiters Gallus Frei-Tomic