Vor einem Jahr an den 37. Literaturtagen in Solothurn wurde einer meiner Literaturzirkel zu «Lesezirkel zu Gast» eingeladen. Zusammen mit Martin R. Dean sprachen wir im Palais Besenval über sein Buch «Verbeugung vor Spie
geln». Eine denkwürdige Veranstaltung, ein Gefäss aber, dass trotz Bedauern keinen Platz mehr im neuen Programm fand. Obwohl ich Lesungen schätze, verraten Gespräche viel mehr, sowohl über das Buch wie über Autorinnen und Autoren, erst recht dann, wenn die Beteiligten zur Konfrontation bereit sind.
Im Programm stand; ‹Lukas Bärfuss SRF Live Sendung 52 Beste Bücher›. Aber weil der Wallstein Verlag mich mit Lukas Bärfuss neustem Buch «Hagard» auf «Später» vertrösten musste, liess ich mich gerne von Charles Lewinsky verführen. Charles Lewinsky ist zwar kein Enfant terrible der Schweizer Literatur, aber wie in der Cantino del vino bewiesen durchaus bissig.
Charles Lewinsky lernte sein Schreiben durchs Schreiben. Er mache keinen Unterschied zwischen E und U, ernster und unterhaltender Literatur. Ein Text müsse bloss gut geschrieben sein, seine ganz eigene Form gefunden haben. Lewinsky mag es nicht, wenn Bücher «schwitzen», wenn man ihnen anmerkt, wie schwierig es sein muss, über schwierige Themen zu schreiben. Und seine Geschichte ist «schwierig». Charles Lewinskys neuster Roman «Andersen»
erzählt die Geschichte eines Folterchefs, dem die Fähigkeit zur Empathie gänzlich fehlt. Ein Fehlen, dass diesen zum Meister macht. Andersen ist Geburtshelfer der Wahrheit, weil die Wahrheit stets Last ist, die man mit sich herumträgt und doch viel lieber los sein will. Es sei viel interessanter, eine Figur zu erfinden, die weit von ihm entfernt sei. Der Roman wurde zu einer Versuchsanordnung mit der Frage: Wenn es frühere Leben gibt, was wäre, wenn man sich an sie erinnern würde? Das Böse aus der Geisterbahnperspektive ist interessanter als das Gute. (Der verschmitzt, verschwörerische Blick zu seiner Frau, während der Schauspieler Michael Neuenschwander Passagen aus seinem Roman liest.) Lewinsky spielt mit Bildern, mit dem Schauer des Bösen. «Ganz im Gegensatz zu allen anderen Büchern, die ich schrieb, war die Figur dieses Romans mit einem Mal da und zwang mich zu schreiben. Und mit dem Schreiben entwickelte sich die Geschichte, die keine Botschaft haben muss, beim Leser aber etwas auslösen soll. Was, das kann ich nicht bestimmen, nur hoffen, das es passiert.»
Eine Live Sendung – ein spannendes Gefäss. Ein reibendes Gespräch mit Charles Lewinsky, der der Bücher- und Radiofrau Luzia Stettler unter allen Umständen das Gesprächsruder entreissen will, um nicht zu viel von der Geschichte zu verraten. Für mich als Zuhörer Hochgenuss. (Zur Sendung)
Fazit der Literaturtage in Solothurn: Literatur im besten Licht, nicht nur wegen der Wetterlage. Ganz langsam verabschiedet sich der Traditionsanlass von seinem etwas antiquierten Äusseren. Noch mehr Mut täte gut. Das Lifting bewirkte einiges, wenn auch die eine oder andere Moderatorin sich in ihrem Erscheinen davon zu distanzieren schien. Solothurn war eine gute Mischung zwischen Festival der jungen Frauen und Huldigung grosser Namen. Ich freue mich auf die 39!

Hans-Ulrich Treichels Romane und Erzählungen beschäftigen sich alle unspektakulär mit Verlust und Verlorenheit. Nichts desto trotz sind sie ein Weckruf zur Offenheit, ein Mahnmal für Ehrlichkeit und Offenheit, genau jene Eigenschaften, die unsere Gesellschaft in Zukunft noch viel dringender brauchen wird.
njährige Leonhard allein im Haus seiner Eltern. Am Neujahrsmorgen kommt das Leben dann einfach zu ihm: Eine fremde Frau schläft auf dem Boden in der Diele. In der nächsten Nacht schläft Leonhard mit ihr im Gästezimmer. Emilie und Maria hingegen, beide über siebzig, sind unternehmungslustig, wenn auch den Ereignissen auf ihrer Reise in ein tschechisches Kurhotel nicht mehr ganz gewachsen. War es wirklich ein Klavierlehrer, der sie dorthin fuhr, und hat er tatsächlich betrunken die Nacht im Bett zwischen den alten Damen verbracht?

nder und später die Enkelkinder. Und dann lernt sie Félix kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick, Marthes erste große Liebe. Félix, der Maler ist und noch einmal zehn Jahre älter, wirbelt ihr Leben völlig durcheinander. 600000 Leserinnen und Leser und in Solothurn bei der ersten Lesung unter der Mittagssonne etwas mehr als 20 Aufmerksame. Die Schriftstellerin war so nervös, als wäre sie kurz vor ihrer ersten Verabredung. Im Publikum sass auch Uli Wittman, der Übersetzer und Lebenspartner der Autorin, der neben Noëlle Châtelet andere Grosse ins Deutsche übersetzt: Le Clézio, Michel Houellebecq.
Kamikaze Mozart erzählt von Fumika, einer japanischen Musikstudentin in Berkeley, die sich in den Schweizer Physiker Wolfgang verliebt, der im Team von Robert Oppenheimer an der Atombombe baut. In Japan hat ihre Familie für sie einen Mann bestimmt, den sie noch nie gesehen hat und der Kamikaze-Anwärter bei der Luftwaffe ist. Nach dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbor wird Fumika mit den andern 130 000 «feindlichen Elementen» interniert. In der Wüste von Santa Fe, wo die Internierten beim Bau von Wolfgangs Reaktor eingesetzt werden, sehen sie sich wieder. Wolfgang hat sich inzwischen ganz in den Dienst der «Bombe gegen die Nazis» gestellt, und die Liebe zu einer «Feindin» bringt ihn jetzt in Schwierigkeiten. Schreiben sei wie das Handeln mit Dynamit.
hres bisherigen Lebens auf, reist nach Prizren. Erinnerungen an ihre idyllische Kindheit in der osmanisch geprägten Stadt, die sie im Alter von zehn Jahren mit ihrer Familie verlassen musste, drängen machtvoll in ihre Schweizer Gegenwart. Aber die Welt ihrer Kindheit findet sie nicht wieder in Prizren, und auch sie selbst hat sich verändert. Sie sucht einen Platz in ihrem neuen Land, der neuen Sprache. Die Unselbstständigkeit ihrer einsamen Mutter erträgt sie nur schlecht und mit jedem neuen deutschen Wort wächst die Entfernung zu ihr. Während die Mutter sich zunehmend isoliert, versucht die Erzählerin dem Stillstand zu entkommen.



nd tagebuchartigen Notizen und Erinnerungen mit den Augen des Schriftstellers und Zeichners Frédérik Pajak. Walter Benjamin, der zu Beginn des 2. Weltkriegs vor der faschistischen Welle flieht, aber nirgend mehr Ruhe findet, vielleicht noch am ehesten auf der Mittelmeerinsel Ibiza, die damals noch weit weg war von der Tristess eines verschandelten Touristeninsel. Walter Benjamin war verzweifelt, allem beraubt, nicht zuletzt seiner Hoffnung.
nheit. Auch wenn ich als Leser den Schmerz, etwas versäumt zu haben, mithöre, ist es die Liebeserklärung an eine Mutter, die sich manisch-depressiv immer weiter von den Kindern und der Welt entfernt, auch als ein neuer Mann einen Neuanfang verspricht. Bettina Spoerri schildert die Suche einer Tochter nach Geborgenheit und Halt, nach Liebe und Sicherheit, nach Erinnerung, nach Familie.
Bettina Spoerri ist in Basel aufgewachsen, studierte in Zürich, Berlin und Paris, arbeitete nach einem längeren Aufenthalt in Israel als Assistentin am Deutschen Seminar der Universität Zürich. Ihr erster Roman «Konzert für die Unerschrockenen» erschien 2013 bei Braumüller (Wien). Bettina Spoerri arbeitet heute als freie Autorin, Filmkritikerin, Kulturvermittlerin und leitet das Aargauer Literaturhaus.