Dein Schatz, mein Schatz, den ich plündern darf!

Liebe Suscka!

Was wäre dieser Blog ohne deine Fotografien? Nichts. Und wenn doch, wäre es um ein Vielfaches schwieriger, Texte mit einem Foto zu verbinden. Fotos sollen nicht einfach bloss illustrieren. Sie sollen etwas von dem wiedergeben, was das besprochene Buch oder der geschriebene Text erzeugen soll. Bilder sollen für sich selbst erzählen, nicht einfach bloss auflockern, bebildern. Und jeder Texter im Netz weiss, a) wie wichtig Bilder sind, um Augen zu bannen und b) wie schnell man sich Ärger mit den „falschen“ Bildern einholen kann.
Seit bald zwei Jahren darf ich deinen Schatz plündern. Am Anfang war eine schüchterne Anfrage. Dann deine Antwort, wie froh du seist, wenn deine Fotos auch ein Publikum bekämen, einen Adressaten, wirklichen Blickkontakt. Was es denn nütze, wenn sich die vielen Fotos nur ansammeln.
So begann ich mich zu bedienen. Am Schluss fast jeden Berichts steht dein Name.

Du bist eine Fotografin voller Begeisterung und Esprit. Auch wenn du wie ich mit deinem Engagement einen Cent, keinen Rappen verdienst. Durch deine Linse spürte ich deine Liebe zu den Dingen, zu Tieren, Pflanzen, Menschen und kleinsten Details, deine Ehrfurcht und die Freude darüber, einen guten Moment erwischt zu haben. Ich weiss auch, wie selbstkritisch du mit deinen Bildern bist. Es geht um Qualität, um Nähe, im doppelten Sinn um Tiefenschärfe.
Du bist keine «Professionelle», tust auch nicht so. Aber wenn du mit deinen Kameras hantierst, wird dein Objektiv zum Auge, das tief blickt, nie aufdringlich, nie pedantisch, mit viel Respekt und noch viel mehr Freundlichkeit.

Vielen Dank, liebe Suscka
Gallus

 

Fee Katrin Kanzler liest, Gallus Frei-Tomic moderiert

am 30. November, 19 Uhr, Raum für Literatur,
Hauptpost / St. Gallen, St. Leonhardstrasse 40 / 3. Stock,
Eintritt 15 CHF / ermässigt 10 CHF / GdSL-Mitglieder gratis

Fee Katrin Kanzlers Sprache pulsiert, strotzt vor Leben. Ihre Geschichte, ihr Plan des Erzählens, erlaubt Wendungen, die Grenzen überschreiten. Ihre beinahe barocke Erzählfreude, die schon mit dem ersten Satz einen Markstein setzt, bezaubert ungemein, selbst wenn die Geschichte an Düsternis zunimmt.

Henry Jean-Toussaint Einstein (Was für ein Name!) lernt auf einer ausufernden Hochzeit ein Mädchen mit wild abstehenden Dreadlocks kennen und lässt sich von ihrem blauäugigen Blick betören. Joe reisst ihn aus seiner Welt. Einer Welt, mit der er sich eingerichtet hatte. Henry, der einmal die Welt retten wollte, um nun in einer Biolimofirma mit Anzug im eigenen Büro zu sitzen. Er, der trotz aller Sehnsucht nach Liebe den Draht zu seiner Frau und erst recht zu seiner dreizehnjährigen Tochter verloren hat. Die draedlockige Joe ist eine Abgewandte, arbeitet in einer Gärtnerei, wo sie mit Grabpflege auf dem Friedhof ihr Lehrlingsgehalt aufbessert. Joe mag den Friedhof, weil sie allein sein will. Joe schenkt Henry etwas von der Nähe, die er zu all jenen verloren hat, die ihm wichtig sein sollten, eine Nähe, die nicht zurückzugewinnen scheint. Dabei sehnt er sich nach nichts mehr, als sein Kind, seine Julia in die Arme zu schliessen.

Und dann reisst es Henry durch das Horn eines rasenden Stiers aus der Welt der Lebenden. Er schwebt wie ein Geist durch die Welt, ohne sich auf sie einzulassen, gleichsam angeekelt und fasziniert. Henry der Vater über die Welt hinaus. Henry als Formation von fliegenden Spatzen, Henry mit einem Mal ganz nah jenen, zu denen er alle Nähe verloren hat.

Fee Katrin Kanzler erzählt auch von Joe, eigentlich Johanna, einer Fünfzehnjährigen, der das Erwachsenwerden zu langsam dauert, die Gegenwart herausfordert, sich nicht weit von ihren in Pflichten eingespannten Eltern in den Dünen am Meer verliert. In den Armen eines deutschen Schriftstellers, Samuel, dem sie vorgibt siebzehn zu sein, in dessen Bett sie schlüpft und verkündet, die Nacht hier mit ihm zu verbringen.

Mag sein, dass der Erzählstrang in Fee Katrin Kanzlers Roman manchmal arg strapaziert wird. Wer sich aber nicht abwimmeln lässt, sich auf die Eigenarten des Textes einlässt, wird reich belohnt. Zum einen auch von der Geschichte, aber noch viel mehr von der Sprache, der unkonventionellen Art, wie sie erzählt. Fee Katrin Kanzler schreibt Perlenketten. An manchen Abschnitten hängt am Schluss ein dunkel schimmernder Edelstein. Es sind Sätze, die man mitnimmt, mit sich herumträgt, die hängenbleiben und eine ganz andere Halbwertszeit besitzen als das Meer der Sprache sonst. Während des Lesens animiert die Autorin eigene Traumbilder, Gefühle, die sich, zumindest bei mir, sonst nur bei Lyrik einstellen. Ihr Roman ist nicht leicht zu verorten. Während des Lesens brechen Bilder aus dem Text, zwingt mich die Lektüre zu einem Halt, als ob ich Luft holen müsste. Wo andere Bücher Sog und Spannung entwickeln, wehen Fee Katrin Kanzlers Bilder zusätzlich wie Böen durch den Kopf. Sie malt mit Sprache; da ein Fleck, eine Kontur, dort eine Linie, eine Textur. Langsam erschliesst sich das Gesamte, mit lyrisch zarten Farben genauso wie mit harten, schroffen Gegensätzen, Überblendungen arrangierend, von denen ich mich gerne verunsichern lasse.

Eine Entdeckung! LESEN und GENIESSEN!

Ein kurzes Interview:

Beim Lesen Ihres Romans passierte bei mir etwas, was sonst nur beim Lesen von Lyrik oder lyrischen Texten geschieht. Bilder, die kamen, waren ganz stark, farbig, manchmal verzerrt, der Realität enthoben. Und trotzdem «glaubte» ich ihrem Text. Ihre Sprache ist so intensiv, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass da jemand schreibt mit einem Glas Wasser nebenbei und sanfter Musik. Wie schaffen Sie es, in ihrem Buch derartige Intensität zu erzeugen?
Tatsächlich meistens ganz schlicht am Schreibtisch mit einem Glas Wasser, Tee oder Kaffee. Manchmal läuft auch wirklich Musik. Sanft ist die allerdings nicht immer. Sprache sehr dicht und bildreich zu weben, auch einem Erzähltext diese musikalisch-lyrische Intensität zu geben, war schon immer mein Ding. Ich feile sehr viel an den Sätzen, justiere, so wie man ein Instrument stimmt. Was dabei vielleicht hilft, ist meine Synästhesie, Wörter sind für mich beinahe wie physische Gegenstände, die Farbe, Klang, Licht, Textur und ähnliche Eigenschaften haben können.

Auf Seite 185 schnüren Sie Ihre Geschichte an einen Fall in einer Ortschaft Markheim, die es nicht gibt, einen Ort, wo sich laut regionaler Presse die Männer mit Stieren anlegen, einer «Torerostadt». Liegt in einer ähnlichen Meldung die Initialgeschichte? Oder was veranlasste Sie, diesen Roman so zu erzählen?
Nein, es gab keine reale Zeitungsnachricht dieser Art. Vielmehr war es die Beziehung zwischen Henry und Joe, aus der sich der Roman entwickelt hat. Der knapp vierzigjährige Verkaufsleiter einer Biolimonadenfirma ist in der Midlife Crisis und trifft das fünfzehnjährige, aufrührerische Gärtnerlehrlingsmädchen. Zwei sehr unterschiedliche Menschen, die allerdings beide im bisherigen Leben enttäuscht wurden, und nun einen Ausbruch hinein in das Leben eines fremden Menschen wagen.

Sie machen es der Leserin oder dem Leser nicht wirklich leicht. Sie springen von Ort zu Ort, von Zeit zu Zeit. Und trotzdem hatte ich nie das Gefühl, etwas zu versäumen, weil immer die Sprache im Vordergrund stand, die Freude darüber, wie da eine junge Autorin fabuliert und zaubert. Hatten Sie einen Plan? Gab es Vorbilder?
Vorbilder kann ich keine nennen. Aber einen Plan hatte ich definitiv. Das ganze Buch ist so aufgebaut, dass langsam und von mehreren Seiten zugleich die Frage gelüftet wird, was zwischen Henry und Joe eigentlich geschehen ist und ob diese beiden Menschen eine Zukunft haben. Stück für Stück lernt der Leser beide Figuren, ihre Lebensumstände, Träume und Probleme kennen und verfolgt, wo ihre Geschichte die beiden hinführt. Das Ganze kulminiert in einer rätselhaften, geradezu überirdischen Erfahrung, die Henry und Joe miteinander verstrickt, und am Ende gibt es eine Auflösung. So viel zur Form. Inhaltlich möchte ich natürlich nicht zu viel verraten.

Fee Katrin Kanzler, 1981 geboren, studierte Philosophie und Anglistik in Tübingen und Stockholm. Sie war Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses, erhielt den Förderpreis für Literatur der Stadt Ulm und das Jahresstipendium für Literatur vom Land Baden-Württemberg. Sie lebt im Süden Deutschlands. Ihr Romandebüt «Die Schüchternheit der Pflaume» (FVA 2012) wurde für den aspekte-Literaturpreis des ZDF nominiert.

Webseite der Autorin

Hurra, ich brenne noch immer!

Anfang 2016 startete das Abenteuer literaturblatt.ch. Im Gegensatz zu Deutschland sind Literaturblogger in der Schweiz ein überschaubares Grüppchen und kaum miteinander vernetzt. Einzelkämpfer wie ich. Ob gut oder schlecht, weiss ich nicht. Vogelfrei, ungebunden, von den Verlagen gleichermassen geschätzt und schlecht einzuschätzen, von den Schreibenden geduldet oder geschätzt.

Jetzt sind es dreihundert Beitrage. Es macht Spass, erfüllt und vertieft meine Beschäftigung mit Literatur, dem Lesen, dem Buch. Was mir fehlt, ist das Gegenüber. Zu Beginn richtete ich meinen Blog so ein, dass man via Kommentar hätte reagieren können. Es kamen tausende von Reaktionen, aber leider nur Müll, Spammails. Dermassen viel und unkontrolliert, dass ich den Hahn zudrehen musste. Trotzdem fehlt eine Reaktion, ein Feedback. Würde ich mir auf mein kleines Jubiläum etwas wünschen, dann konstruktive Kritik, Fragen und Ideen, Lob und Tadel.

Vielleicht machen Sie mir ein Geschenk. Zum Beispiel:

  • Eine Geschichte, ein Text, ein Gedicht für meine „Plattform Gegenzauber“. Einziges Kriterium, dass der Test auf Literaturblatt.ch erscheinen kann: Der Text muss mich ansprechen – nicht unbedingt gefallen – kitzeln, provozieren, locken, wundern…
  • Sie erzählen von einem Ihrer Lieblingsbücher. Ihr Text erscheint in der Rubrik „Mein Lieblingsbuch». Ihr Buch muss kein Aktuelles sein.
  • Sie schenken mir eine ganz persönliche Kritik, eine Anregung, eine Idee. Etwas, was mich in meiner Auseinandersetzung mit „dem Buch“ reicher macht.
  • Sie schreiben in mein „Gästebuch“.

    Bei einer Abonnentin zuhause
  • Fotografieren Sie, was Sie mit den Literaturblättern bei Ihnen zuhause machen. Hängen Sie sie irgendwo auf? Ich bin mehr als nur neugierig!

Vielen Dank! Auch vielen Dank, dass Sie zu meinen Leserinnen und Lesern gehören!

„Ich lese deinen Blog regelmässig. Ohne Deinen Blog würde ich jetzt zum Beispiel nicht «Das schwarze Paradies“ lesen. Es kam auch schon vor, dass ich wegen deines Blogs ein Buch nicht gelesen habe, das eigentlich auf meiner inneren Liste stand. Danke für deine Hinweise.“ K. W.

literaturblatt.ch im ersten Roman von Ingo Schulze

Auf einer Reise mit dem Fahrrad rund um den Bodensee stiess ich in der Inselstadt Lindau auf ein kleines Geschäft in der Lingstrasse 12. „card manufactur & book manufactur“ nennt sich das Lokal und verkauft Handgemachtes aus gebrauchten Büchern. Ich konnte es nicht lassen und bestellte mir eine Spezialanfertigung. Und auch wenn es eine Weile ging, freute mich das heute zugesagte Paket sehr.

Und am kommenden Wochenende treffe ich Ingo Schulze mit seinem neusten Roman „Peter Holtz.
Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“ an der BuchBasel. Ich freue mich!

Webseite des Ladens in Lindau

Mein kleines Jubiläum

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freude, liebe Gleichgesinnte, Bücherwürmer, Leseratten und Kopfcineasten

Jetzt sind es 200. Zugegeben, nicht alle von der gleichen Qualität. Aber alle gleichen Ursprungs, meiner Leidenschaft fürs Buch, fürs gute, besondere Buch. Auch wenn ich weiss, wie sehr die Qualität eines Buches beim Urteil seiner LeserInnen variieren kann. Zumindest behaupte ich; wer sich an meine Lesetipps auf literaturblatt.ch und im Besonderen an die auf meinen Literaturblättern hält, liest gute Bücher, Bücher, die Eindrücke hinterlassen, Bücher, die bewegen, Bücher, die klingen, Bücher, die fesseln.

200 Berichte, 140 Schriftstellerinnnen und Schriftsteller, Veranstaltungen, Hinweise und mehr. Es ist eine Reise durch die Welt, es sind Begegnungen mit vielen Menschen. Ich danke allen, die immer wieder einmal einen Blick auf literaturblatt.ch werfen, den Verlagen, die akzeptieren müssen, wenn ich nicht schreibe und den vielen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die mein Herz bewegen:

Sascha Kokot, Takis Würger, Bernd Schroeder, Martina Clavadetscher, Andreas Neeser, Stephan Lohse, China Miéville, Simone Meier, Michèle Minelli, Peter Höner, Sarah Moss, Eva Roth, Frédéric Zwicker, Joachim B. Schmidt, André David Winter, Tim Krohn, Yves Rechsteiner, Beat Gloor, Herta Müller, Nina Jäckle, Akog Doma, Lukas Hartmann, Urs Richle, Fee Katrin Kanzler, Navid Kermani, Evelina Jecker Lambreva, Steven Millhauser, Markus Werner, Elisabeth Binder, Berni Mayer, Dina Sikirić, Margriet de Moor, Petra Ahne, Raoul Schrott, Reif Larsen, Hannah Dübgen, Quentin Mouron, Petro Lenz, Jonas Karlsson, Julia Trompeter, Guy Krneta, Diana Broeckhoven, Christine Fischer, Anna Mitgutsch, David Wagner, Ralph Schroeder, Patrick Tschan, Christian Kracht, Max Küng, Andreas Meier, Linus Reichlin, Christoph Ransmayr, Klaus Merz, Dominique Anne Schuetz, Esther Kinsky, Franz Dodel, Bodo Kirchhoff, Matthias Brandt, Zora del Buono, Bastian Astonk, Leon de Winter, NoViolet Bulawayo, Bettina Spoerri, Paula Fürstenberg, Jan Philipp Sendker, Matthias Zschokke, Ursula Fricker, Lorenz Langenegger,  Daniela Danz, Alex Capus, David Mitchell, Philipp Blom, Reinhard Kaiser-Mühlecker, Christoph Keller, Rebecca C. Schnyder, Heinrich Kuhn, Florian Vetsch, Peter Weber, Molly Brodek, Delphine de Vigan, Beat Brechbühl, Hanna Sukare, Thommie Bayer, Meinrad Inglin, Kurt Guggenheim, Carlos Peter Reinelt, Klaus Modick, Pablo Bernasconi, Rebecca West, Julia Kissina, Vladimir Sorokin, Urs Mannhart, Loranzo Marone, Judith Hermann, Jens Steiner, Shumona Shina, Anita Siegfried,  Barbara Köhler, Peter Stamm, Philipp Hagen, Erica Engeler, Roland Schimmelpfennig, Monika Maron, Charles Lewinsky, Hans-Ulrich Treichel, Judith Kuckart, Feridun Zaimoglu, Juli Zeh, Noëlle Châtelet, Daniel de Roulet, Meral Kureyshi, Thomas von Steinaecker, Marjleena Lembcke, Frédéric Pajak, Heinz Strunk, Tom Zürcher, Benedict Wells, Ruth Loosli, Rolf Lappert, Brigit Vanderbeke, Heinz Helle, Pierre Jarawan, Radek Knapp, Jakob Hein, Mireille Zindel, Michael Kumpfmüller, Andreas Neeser, Jean Mattern, Hans Platzgumer, Tomas González, Mario Vargas Llosa, Alessandro Baricco, Claudia Schreiber, Anna Galkina, Aline Bronsky, Anthony Doerr.

Über Wortgeschenke freue ich mich sehr!

Frédéric Zwicker am 30. März im Kulturforum Amriswil, Prolog Wortlaut 2017

Das 9. St. Galler Literaturfestival Wortlaut eröffnet seinen Veranstaltungsreigen um 19.30 im Kulturforum Amriswil. «Hier können sie im Kreis gehen» ist der Erstling des jungen Frédéric Zwicker, ein Roman, der mit viel Tiefgang und Witz bestens unterhält. Die Lesung dauert eine Stunde. Anschliessend Barbetrieb und Gelegenheit mit dem Autor in Kontakt zu kommen. Moderation: Gallus Frei-Tomic

Foto: Marlies Scarpino

Johannes Kehr ist 91. Und weil es irgendwann sowieso soweit sein wird, versteckt sich Kehr hinter einer vorgespielten Demenz in einem Pflegeheim der Stadt. „Ich habe das Gericht durch die Hintertür verlassen.“ Nachdem ihm der Tod seinen Sohn, seine Frau und seinen Freund nahm und er dem verbleibenden Rest der Familie nicht zur Last fallen will, verkriecht er sich hinter seinem selbst gewählten Vorhang. Eine letzte Inszenierung, die gar nicht so leicht zu spielen ist, akribische Vorbereitungen verlangte und keinen Fehler erlaubt. Endlich im Einzelzimmer in Ruhe gelassen kommentiert Kehr seine meist unfreiwillig mehr oder weniger anwesenden Mitbewohner und erzählt in kleinen Stücken die Geschichte seines Lebens. Als Waise ungeliebt bei Verwandten aufgewachsen hilft ihm der Zufall, aus den Mühlen von Armut, Stigmatisierung und Einsamkeit zu entfliehen. Er rettet das Leben eines Ertrinkenden, dessen Familie ihn am Ertrinken in seinem Unglück rettet. Er kämpft sich hoch, trotz einer verweigerten und nie überwundenen Liebe, durch ein Leben voller Arbeit und Pflichterfüllung, bis ihm am Ende nur noch Sophie bleibt, seine Enkelin. Aber auch Sophie weiht er nicht ein in seinen letzten Protest, seine Flucht nach innen. Ihr, ihrem Foto im Zimmer auf der Etage, erzählt er, ihr und dem Kater, einem Tier, das sich auch nicht einsperren lässt. „Am Ende bliebst mir nur du, Sophie. Aber ich hätte dir nicht so lange bleiben dürfen. Ich beklage mich nicht, aber das Leben hat mich abgenützt, hat seine Narben hinterlassen. Am Ende war es auch für mich zu viel. Ich habe die Kraft verloren, mich zu wehren. Ich wusste nicht mehr, wozu ich mich noch wehren sollte. Und ich sah keinen Ausweg. Ausser diesem hier.“

Vorverkauf Tickets Bücherladen Brigitta Häderli, Amriswil Webseite

Webseite WORTLAUT

Literaturvorschläge aus dem Turm

Liebe Bücherfreunde

Zusammen mit Elisabeth Berger stellte ich am Nikolaustag im Tröckneturm St. Gallen lesenswerte Bücher vor. Elisabeth Berger sechs – ich ebenso. Bücher, die man schenken kann. Bücher, die sich  lohnen zu lesen. Bücher, die man vorlesen kann. Bücher für viel mehr als ein paar schöne Stunden.

Falls sie noch ein Weihnachtsgeschenk brauchen, vertrauen sie dieser Liste!

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«Die Annäherung» von Anna Mitgutsch für alle, die sich für das vom letzten Weltkrieg dominierte Geschehen eines Jahrhunderts interessieren, für Familiengeschichte mit viel Unausgesprochenem.

«Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück» von Max Küng für Neugierige, die hinter Fassaden schauen wollen, Witziges mögen.

«Schlaflose Nacht» von Margriet de Moor, für jene, die bereit sind, mit der Erzählerin mitten in der Nacht in der Küche zu stehen, um zuzusehen, was der Suizid des Mannes im Gewächshaus hinter dem Haus anrichtet.

«Das achte Leben – für Brilka» von Nino Haratischwili für fleissige LeserInnen, die sich von 1300 Seiten nicht abschrecken lassen und dafür belohnt werden mit einem georgischen Epos in Breitleinwand über beinahe 100 Jahre – ein fantastisches Buch!

«Cox oder Der Lauf der Zeit» von Christoph Ransmayr für jene, die sich vor einer mächtigen chinesischen Kulisse von einem Meister der Sprache in die Fremde entführen lassen wollen.

«Hier können sie im Kreis gehen» von Frédéric Zwicker, die erfahren wollen, warum sich ein alter Mann hinter einer vorgespielten Demenz im Altersheim verstecken will.

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«Bella Mia» von Donatella di Pietrantonio für jene, die sich in eine der vielen Behelfsunterkünfte nach dem grossen Beben 2009 in Italien versetzen lassen wollen, ins Schicksal dreier Menschen, die sich neu erfinden müssen.

«Nora Webster» von Colm Toibin für jene, die sich literarisch entführen lassen wollen in die irische Provinz der 60er Jahre, an einen Ort, wo der Verlust des Mannes die persönliche Katastrophe der hinterbliebenen Frau vervielfacht.

«Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt» von Zora del Buono, für jene, die wissen wollen, was eine unmögliche Liebe bewirkt in einem Land, das von den NSA-Enthüllungen gebeutelt ist.

«Der lange Atem» von Nina Jäckle, die sich auch vor dem Trauma eines erlebten Tsunamis in Japan nicht abschrecken lassen, vom Tod in all den entstellten Gesichtern, im Buch von einer eindringlichen Sprache belohnt.

«Der Hut des Präsidenten» von Antoine Laurain, für jene, die wissen wollen, was ein verlorener Hut des ehemaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand anrichten kann. Heiter!

«Lügen sie, ich werde ihnen glauben» von Anne-Lare Bondouz und Jean-Claude Mourlevat für jene, die sich gerne gut unterhalten lassen von einem E-Mail-Roman voller Witz und Charme.

Zwei Büchermenschen: Gallus Frei-Tomic und Elisabeth Berger

mehr Infos unter lebendiger-advent.ch