Nachdem Peter Handke 2019 für seine Literatur wohlverdient den Nobelpreis erhalten hatte, es aber nicht vermeiden konnte, dass sich der Fokus der Öffentlichkeit auf all die Nebenschauplätze richtete, war ich wie immer gespannt, was Neues vom dem Dichter mit königlichen Ehren zu erwarten war.
Peter Handke wäre nicht Peter Handke, hätte er mit seinem neuen Buch in der Bibliothek Suhrkamp nicht überrascht. Wer auf den vergrämten Missverstandenen spekulierte oder den in sich Gekehrten, Trotzigen erwartete, wurde ebenso überrascht wie ich, der ich auf einen «Handke wie immer und nie» hoffte und mit seinem neuen Buch „Mein Tag im anderen Land“ so völlig überrascht und verblüfft wurde. Klar, auch ich lese jeden geschliffenen Satz aus dem Kosmos Handke in der Erwartung, Spuren, Hinweise und Rückschlüsse ziehen zu können, was der Text hinter den Sätzen verborgen mitteilt. Und „Mein Tag im anderen Land“ bietet dafür Breitseite genug. Die „Dämonengeschichte“, wie Peter Handke sein Buch untertitelt, ist alles; ein grosses Rätsel, ein verschlüsseltes Gleichnis, ein heller Traum, ein Tag in einer Zwischenwelt.
Ein Mann wandelt durch einen Tag. Manchmal in einer realen Welt, manchmal im Dazwischen, zwischen Traum, Wahn, Fata Morgana und Realität. Von sich selbst und seiner Schwester begleitet, manchmal ganz nah, manchmal weit abdriftend. Er geht durch einen Ort, einen Ort, ebenso unbekannt wie vertraut. Geht wie von Sinnen und doch mit ganz scharfem Gespür für das, was sich neben der Realität offenbart. Er redet mit lauten Zungen, schwadroniert, schreit und gebärdet sich wie ein Entfesselter, verbreitet Schrecken und Verunsicherung, um dann mit einem Mal wieder der ganz Sanftmütige und Ruhige zu werden. Vielleicht erkennt man dort den Autor selbst, wenn man sich erinnert an seine selbstvergessenen literarischen Erkundungen, seine ruhigen Worte in der lichtdurchfluteten Schreibstube seines Hauses, in den Betrachtungen in seinem verwachsenen Garten. Aber ebenso in der verbalen Entgleisung, wenn man Handke zu reduzieren versucht, wenn man ihm auf die Pelle rückt.
Das Buch ist eine Aufzeichnung. Der Mann schreibt, was ihn durch den Tag begleitet hat. Das Buch beginnt: „In meinem Leben gibt es eine Geschichte, die ich noch keinem Menschen erzählt habe.“ Es ist ein Gang in eine Welt gleich daneben. Als wäre der Mann auch einen langen Wachtraum gegangen. Er spricht mit Menschen, Tieren und Dingen. Manchmal laut, manchmal leise. Manchmal in einer Sprache, die niemand zu verstehen weiss, die sich allen Deutungen entzieht. Einen Tagtraum, aus dem er nicht zu entfliehen weiss, an dem er leidet, von dem er gerne erlöst werden würde; „Dass mich doch endlich einmal der Blitz träfe. Dass einer ein Messer zöge und es mir in das Herz stiesse.“ Bis er um die Stunden der Mitternacht sogar seine Zukünftige trifft, die ihn mit „He, Seltsamer!“ anspricht.
So seltsam die Erzählung, so seltsam die Sprache. Peter Handke bedient sich einer Sprache, die wie die Geschichte selbst leicht daneben klingt, ebenso wie die Geschichte entrückt, nicht der Welt hier und der Zeit jetzt entsprechend. Eine Sprache, die beinah singt, die Haken schlägt und Kringel zeichnet, die anders ist als das, was der Realität entspricht, die mich wegzieht, meinen Blick verbaut.
Ich las „Mein Tag im andern Land“ auf seltsame Weise berührt, verzückt und verunsichert. Ein Handke eben doch!
Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Die Familie mütterlicherseits gehört zur slowenischen Minderheit in Österreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach Kärnten gekommen. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studiert er in Graz Jura. Im März 1966, Peter Handke hat sein Studium vor der letzten und abschliessenden Prüfung abgebrochen, erscheint sein erster Roman «Die Hornissen». Im selben Jahr 1966 erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legendären Theaterstücks «Publikumsbeschimpfung».
Seitdem hat er mehr als dreissig Erzählungen und Prosawerke verfasst. Sein Werk wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, 2019 mit dem Literaturnobelpreis.
Philipp Frei, geboren 1965 in St.Gallen, Malerei und Zeichnung, lebt und arbeitet in Zürich und Küsnacht, Atelier in Zürich.
Beitragsbilder © Philipp Frei