Christine Fischer, Nacht-Denken

Anlässlich einer Finissage las die St. Galler Schriftstellerin Christine Fischer im Kunstraum des Kornhauses in Rorschach unveröffentlichte Texte. Was sonst vielleicht nie an die Öffentlichkeit kommt, verzückte im hellen Raum am See eine aufmerksam zuhörende Schar Zuhörerinnen und Zuhörer. Christine Fischer zeigte, was sonst nie an die Oberfläche kommt: Arbeitshefte, Tagebücher, Notizensammlungen, Arbeitsbücher, kleine Notizblöcke und sogar den ersten «Roman», den sie mit zehn Jahren in ein Schulheft schrieb.

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Angesprochen darauf, was nun mit solchen Texten geschieht, schickte mir Christine Fischer eine Auswahl kurzer Texte zu. Kombiniert mit Bildern, Skizzen und Zeichnungen von Philipp Frei werden diese Texte in unregelmässigen Abständen auf dieser «Plattform» erscheinen.

Nacht-Denken

Aus der Nacht ergibt sich ein Tag und aus dem Tag ergibt sich ein Wort, ein neues Wort. Aus dem neuen Wort ergibt sich ein Anfang und aus dem Anfang eine Fortsetzung. Aus der Fortsetzung ergibt sich eine Abfolge und aus der Abfolge eine Menschheitsgeschichte das ist schon krass. Aus der Menschheitsgeschichte ergibt sich ein Gewicht und aus dem Gewicht ein Ort. Aus dem Ort ergibt sich eine Grenze und aus der Grenze eine Angst so ist es immer. Aus der Angst ergibt sich eine Abwehr und aus der Abwehr eine Notwehr. Aus der Notwehr ergibt sich eine Zerstörung und aus der Zerstörung ein Leid, so gross wie der Erdball.

Aus der Nacht ergibt sich ein Tag und aus dem Tag ergibt sich eine Stunde und aus der Stunde ergibt sich eine Zeit. Aus der Zeit ergibt sich eine Entwicklung und aus der Entwicklung eine Erkenntnis wenn’s hoch kommt. Aus der Erkenntnis ergibt sich ein Kopfschütteln und aus dem Kopfschütteln ein grosses Gelächter. Aus dem Gelächter ergibt sich eine Freude und aus der Freude ein Fest. Aus dem Fest ergibt sich eine Nähe und aus der Nähe ein Vertrautsein, klein wie eine Kaffeebohne. Aus der Kaffeebohne ergibt sich ein Getränk, das alle Völker verbindet und aus der Verbindung ergibt sich ein Werk und aus dem Werk ergibt sich das Vergehen dieses Werks so ist es immer. Aus dem Vergehen dieses Werks ergibt sich ein neues Wort in einer neuen Zeit am alten Ort das wünsch ich mir.

Christine Fischer