Wir leben zwar im Zeitalter der Information und Kommunikation und trotzdem leben wir in einem Zeitalter, in dem das Dialogische immer schwieriger zu werden scheint. Ob in der Politik, in Betrieben, in Familien, in Beziehungen, überall. In „Feuerlilie“ von Gianna Olinda Cadonau ist das eines der Themen, die angesprochen werden, aber eben in einer ganz eigenen, sehr oft verschlüsselten Art.
«Gottlieben ist regenverhangen, in der Nacht soll es stürmen. Umso schöner ist es, in dieses alte Haus einzutreten, ins grüne Zimmer hinaufzusteigen, zusammen mit dir, Gallus, und einem sehr aufmerksamen Publikum über die Figuren, die Landschaft und alles Unsichtbare in meiner „Feuerlilie“ nachzudenken. Das Bodmanhaus ist einer dieser Orte, an den ich immer wieder zurückkommen möchte, den ich mitnehme, in meinen Alltag. Danke!» Gianna Olinda Cadonau
Gianna Olinda Cadonau ist in Scuol aufgewachsen, hat in Genf internationale Beziehungen und in Winterthur Kulturmanagement studiert und ist gegenwärtig an der Lia Rumantscha in Chur für die Kulturförderung verantwortlich. Vor ihrem belletristischen Debüt veröffentlichte Gianna Olinda Cadonau bereits zwei Gedichtbände mit den schönen Titeln „Letzte Stunde der Nacht“ und „wiegendes Land“.
Kennengelernt habe ich Gianna Olinda Cadonau an der SAL, der Schule für angewandte Linguistik, in Zürich. Und vor fast einem Jahr lud ich eine kleine Gruppe jener StudentInnen hier ins Literaturhaus ein. Gianna Olinda Cadonau war eine von ihnen.
Heute, nachdem ihr Debüt mit dem Studer/Ganz-Preis ausgezeichnet wurde, liegt ihr erster Roman „Feuerlilie“ auf den Verkaufstischen und ist bereits heftig im Gespräch. „Feuerlilie“ ist ein Buch, dass sich nicht ganz so einfach einordnen lässt. Zum einen wegen seiner Erzählart, aber auch wegen seiner Sprache. Ich würde sogar behaupten, „Feuerlilie“ setzt einiges voraus. Wer bloss in einer konsumierenden Rolle unterhalten werden will, findet den Roman wahrscheinlich ziemlich anstrengend.
Drei Menschen. Die junge Journalistin Vera, die sich ins Engadin, ins Dorf ihrer Kindheit zurückziehen will, um an diesem Ort zu schreiben. Ihre ältere Schwester Sophia, die sie manchmal besucht, auch wenn sie in ihrer ganz eigenen Welt lebt und Kálmán, ein Fremder, der sich dort in einem alten geerbten Haus mit seiner Kriegsvergangenheit auseinandersetzen muss. Ein Berühungsroman, ein Roman um ein empfindliches Gravitationsfeld dreier Planeten, die es aus der Bahn zu werfen droht. Vera flüchtet, wenn auch im „Kleinen“ (vor ihrem Partner, dem Rummel, dem Stress), Sophia vor ihren Schwierigkeiten, ihre Psyche in den Griff zu bekommen, Kálmán vor einer Vergangenheit.
„Feuerlilie“ schert sich in seiner Machart nicht um aktuelle Strömungen, sehr wohl aber in seinen Themen; Isolation, Trauma, Auswirkungen von Gewalt… Cadonau erzählt von der Begegnung dreier Menschen, zweier Schwestern und eines Mannes in einem Ort im Engadin. Es kann nicht einmal gesagt werden, Cadonau erzähle die Geschichten, weil sie in ihrem Roman nicht ausleuchtet, nicht ausbreitet, nicht darlegt. Wer ihr Buch liest, ist bis zum Schluss mit Geheimnissen, Schatten und Leerstellen konfrontiert.
Es sind Räume, Häuser, Zimmer, Türen. Judith Hermann erzählte mir in einem Gespräch, Romane seien Häuser. Manchmal wie Puppenstuben. Mit versteckten, verborgenen Zimmern. Und eine Schriftstellerin jene, die mit Licht gerade soviel erhellt, dass sich Konturen zeigen, sprachliche Konturen. Gianna Olinda Cadonau geht es nicht um Klärung, nicht um Er-klärung, nicht um Durchsicht, nicht einmal um Einsicht.
Vera will sich zurückziehen. Sie braucht Zeit, um in ihrer Arbeit voranzukommen. Und sie braucht Abstand von ihrem Partner. Umstände, die nicht weiter erläutert werden. Aber Umstände, die ausstrahlen. Denn ausgerechnet sie tritt in den Bannkreis eines Mannes, der eigentlich auch nur in Ruhe gelassen werden will.
Ob „Feuerlilie“ auch eine zarte Liebesgeschichte ist, darüber liesse sich diskutieren. Aber zwischen Vera und Kálmán knistert es, wenn auch nur zaghaft, verhalten und durchsetzt von Unsicherheiten, um nicht noch mehr „versehrt“ zu werden.
Es sind Gegensätze; die Idylle eines Engadiner Ortes mit seinen schmucken Häusern, die menschlichen Abgründe, die tiefen Verletzungen, ein Ort in der Schweiz, Sinnbild für Konstanz und Standhaftigkeit, Menschen darin, die hypersensibel festen Untergrund zu finden versuchen. Die Wirkung verstärkt sich so.
Beitragsbilder © Sandra Kottonau