«Welche Frau bin ich dann?» Laura Vogt liest und diskutiert im Literaturhaus Thurgau und an den Weinfelder Buchtagen 2023

Laura Vogt ist mutig. Mutig, wie sie sich mit den Themen ihres neuen Romans «Die liegende Frau» auseinandersetzt, wie sie sich in Untiefen wagt und wie sehr sie sich mit ihrem Buch in meine, in die Intimsphäre von LeserInnen vorwagt. Alle ihre Roman bisher beschäftigen sich mit Familie. In immer neuen Spiegelungen und direkten Konfrontationen setzt sich Laura Vogt mit einem Konstrukt auseinander, ob Familie oder Ehe, dass wie kaum ein anderes Sozialgefüge von tektonischen Verschiebungen betroffen ist.

Selbst Mutter von zwei Kindern weiss sie sehr genau, wie sehr Tradition und Freiheit aneinander reissen.
Dass an diesem Abend eine junge Frau und ein älterer Mann auf der Bühne sassen, hätte einiges an Zündstoff mit sich bringen können. Glücklicherweise knallte es nicht. Ihr Roman tut es aber ganz bestimmt.

Der Titel ihres neuen Romans liess mich, bevor ich das Buch gelesen hatte, mit all den Gemälden aus verschiedenen Epochen assoziieren, auf denen eine mehr oder weniger nackte Frau liegt. In Laura Vogts Roman liegt auch eine Frau, Nora. Sie liegt in ihrem ehemaligen Kinderzimmer, spricht zu Beginn des Romans mit niemandem, hat sich in sich selbst zurückgezogen. Meret, ihre noch ganz kleine Tochter, wird von ihrer Mutter Anni betreut. Ein seelischer Zusammenbruch. Wenn man so will, ein Burnout. Aber ‹Mutter› und ‹Burnout› scheint nicht kompatibel, obwohl Statistiken dagegensprechen. Und schon steckt man mitten in den Zwängen und Festschreibungen von Rollenverständnissen.

„Die liegende Frau“ dreht sich um Romi, ihre Mutterschaft, ihre Beziehungen, ihre Familie, ihre Herkunft. „Die liegende Frau“ dreht sich aber auch um drei Freundinnen; Romi, Nora und Szibilla. Über Romis Lieben zu Phil und Dennis. Schon allein diese Aufzählung macht bewusst, in welch feingliedrigem Netz sich sich die Schriftstellerin bewegt.
Romi ist Mutter und schwanger. Der Vater der beiden Kinder ist Phil. Eine Beziehung, in der ausgesprochen war, dass man nicht mit dem Anspruch beständiger Monogamie leben würde. Der Roman ist die offene Auseinandersetzung mit Beziehungsmustern.
Romi liebt Phil, den Vater ihrer Kinder. Romi liebt aber auch Dennis, den sie noch nicht lange kennt. Phil und Dennis wissen voneinander. Und während Dennis sich nach Romi sehnt, tut das Phil auch, auch wenn in die Menage à trois trotz Offenheit schmerzt.

Den Roman als Roman über den Sinn und Unsinn eines Treueversprechens zu reduzieren, wird dem Roman «Die liegende Frau» bei weitem nicht gerecht. Der Roman ist ein klares Abbild dessen, was ‹Beziehung› heute einschliesst. Wie soll und kann Familie funktionieren, nachdem Rollen über Jahrhunderte fix verteilt waren? Das Aufbrechen dieser Rollen hat die Schwierigkeiten nicht minimiert.


Was mich beeindruckt, ist die Komplexität ihres Romans, der die Komplexität der Themen perfekt widerspiegelt.

„Schön, einen weiteren Abend im Literaturhaus verbracht zu haben, lieber Gallus – es war mir eine Freude, über Gesellschaft zu sprechen, über Rollenbilder und Veränderungen, über Liebe und die Möglichkeiten von Literatur. All das schwingt weiter … Bis bald!“ Laura Vogt

Laura Vogt «Die liegende Frau», Frankfurter Verlagsanstalt

Laura Vogt liest im Literaturhaus Thurgau und an den Weinfelder Buchtagen

Wir alle suchen nach dem Glück. Noch vor hundert Jahren schien das Glück festgeschrieben zu sein. Es war eines, das ganz aus männlicher Perspektive geschrieben war. Wie Familie, Liebe, Karriere und Erfolg auszusehen hatten, war noch bis vor wenigen Jahrzehnten männergeprägt. Laura Vogts neuer Roman ist einer, der aufbrechen will, die Geschichte von Frauen, die nach neuen Lebensentwürfen suchen.

Mit dreissig stehen Romi, Szibilla und Nora mitten im Leben – und doch nicht dort, wo sie ihre Träume hätte hinbringen müssen. Sie sind eingespannt in ein Leben, das von Zwängen, Sackgassen und Vorgegebenem dominiert wird, in atemlosem Takt, turbulent und mit der dauernden Angst, von Konventionen stillschweigend eingefangen zu werden. Drei Freundinnen, zerrieben in längst angezählter Vergangenheit und dem Traum einer Zukunft, in der sie sich endlich der Enge ihrer eingeschriebenen Rollen befreien können.

«Der Mann, die Frau mit Schwangerschaftsbauch und das Kind sitzen auf einem Sofa in einem frisch gestrichenen Wohnzimmer und lächeln, glücklich und gelassen. Aber diese Frau bin ich im Grunde nie gewesen. Welche Frau bin ich dann?»

Eigentlich hätten die drei Frauen gemeinsam ein paar Tage Urlaub machen wollen. Noch bevor Romi ihr zweites Kind zur Welt bringen würde. Aber ihre Pläne werden durchkreuzt, weil es Nora nicht mehr schafft, weil Nora liegen geblieben ist, im Zimmer ihrer Kindheit, einem Ort, den sie eigentlich schon längst hätte hinter sich lassen wollen. Weil sie aus einem Leben fliehen musste, das mit fehlender Perspektive zu ersticken drohte. Aber dort ist Meret, Noras  Tochter, nicht allein, behütet von Noras Mutter Anni. Romi und Szibilla mieten sich in einem schmuddeligen Wellnesshotel ganz in der Nähe ein, warten, dass Nora aus ihrem Dämmerzustand aufwacht und sehen sich im eigenen Dämmerzustand verloren, einem Leben im Dazwischen.

«Warum muss es immer dieses Entweder-oder sein. Warum unbedingt die Monogamie.»

Laura Vogt «Die liegende Frau», FVA, 2023, 320 Seiten, CHF ca. 34.90, ISBN 978-3-627-00314-2

Romi reflektiert. Zum einen weil mit einem weiteren Kind die Pflichten einer Mutter nicht kleiner werden, weil sich Fragen aufdrängen, die seit Jahrzehnten nach Antworten schreien, Ereignisse in ihrer Familie, die sie nicht loslassen, weil Phil, dem Vater von Leon und dem werdenden Kind in ihrem Bauch zuhause die Ungewissheit den Atem nimmt und weil Dennis, ihre neue Liebe ihr genau das zu bieten scheint, wonach sich Romi sehnt. Nora, entflohen aus einer toxischen Beziehung, Szibilla, gepeinigt von Regelschmerzen und dem Unverständnis darüber, in diese Welt Kinder zu setzen und Romi, im Ungewissen, wie sie ihr Leben führen, wieder zurück auf eine Spur kommen will, wie sie all das auf die Reihe bekommen will, das ihr für ihr Leben unausweichlich erscheint – drei Frauen im Sturm dessen, was Aufbruch, Selbstbestimmung und tatsächliche Emanzipation aufwirbelt.

«Früher konnte man sich noch auf die Dinge verlassen.»

Romi liebt Phil. Romi liebt ihren kleinen Jungen Leon. Romi liebt das Kind, das sich im Bauch mit sich trägt. Aber Romi liebt auch Dennis, seine Art, sie ernst zu nehmen, seine Zärtlichkeiten. Und Romi liebt das, was sie als Möglichkeiten in sich trägt, was nach Klärung ringt in einer Welt, die noch immer fest verklebt mit Konventionen ist.

„Die liegende Frau“ ist ein leidenschaftlicher Roman über Weiblichkeit und Rollenverständnis, über kompromisslose Ehrlichkeit und den Wunsch, ein eigenständiges Leben führen zu können, ein Leben ohne Verstümmelungen. Laura Vogt schreibt vielstimmig, ernsthaft darum bemüht, allen Betroffenen Eigenleben zuzustehen. „Die liegende Frau“ ist ebenso fordernd wie herausfordernd, nicht zuletzt für Leser wie mich, die in einem ganz traditionellen Rollenverständnis gross wurden. Laura Vogt stellt Fragen, deren Antworten Konsequenzen fordern.

«Ich will mich häuten, Schicht um Schicht, wenn ich spreche, wenn ich schreibe.»

Laura Vogt, geboren 1989 in Teufen (Schweiz), studierte Kulturwissenschaften in Luzern und Literarisches Schreiben in Biel. 2016 erschien ihr Debüt «So einfach war es also zu gehen», mit dem sie u. a. zu den Solothurner Literaturtagen und zu PROSANOVA – Festival für junge Literatur eingeladen wurde. 2020 folgte der Roman «Was uns betrifft», der ins Englische übersetzt wurde. Sie schreibt neben Prosa auch lyrische, dramatische und journalistische Texte und ist als Schriftdolmetscherin und Mentorin tätig. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Ostschweiz.

Rezension von «Was uns betrifft» von Laura Vogt

Webseite der Autorin

Illustration © leale.ch / Literaturhaus Thurgau

Die Gäste im Literaturhaus Thurgau von September bis Dezember 2023

Liebe Freundinnen und Freunde des Literaturhauses Thurgau, liebe Literaturinteressierte, liebe Leserinnen und Leser dieser Webseite

Mein letztes Programm für das schmucke Literaturhaus am Seerhein, wo ich während dreieinhalb Jahren das Programm gestalten durfte. Schon jetzt melden sich erste Vorboten der Wehmut, weil sich gewisse Arbeiten bereits nicht mehr wiederholen werden. Intendant dieses Hauses zu sein, bedeutet mir sehr viel. Vor vier Jahren wurde ich telefonisch angefragt und es war, als hätte man mich mit einem übergrossen Geschenk beehrt. Eine Aufgabe, in die ich hineinwachsen musste, die mir ganz und gar entsprach; Gastgeber im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben.

Am Samstag, 2. Dezember, 18.00 Uhr: „Frei(ab)gang“ Gallus Frei-Tomic verabschiedet sich mit Gästen: Alice Grünfelder, Urs Faes und die Musiker Christian Berger und Dominic Doppler

In den 40 Monaten unter meiner künstlerischen Leitung werden es 86 Veranstaltungen, rund 120 Künsterinnen und Künstler, Stipendiatinnen und Stipendiaten und Gäste in der Wohnung des Literturhauses, die das Leben in den obersten beiden Stockwerken des Literaturhauses ausmachten, gewesen sein. Lesungen, Performances, Ausstellungen, Konzerte, Diskussionen, Vorträge – ein reiches Programm. 

Im letzten Monat meiner Amtszeit lade ich alle Freundinnen und Freude, alle Zugewandten zu einer ganz besonderen Abschiedsveranstaltung ein.

Gäste sind:

Alice Grünfelder, aufgewachsen in Schwäbisch Gmünd, studierte nach einer Buchhändlerlehre Sinologie und Germanistik in Berlin und China. Sie war Lektorin beim Unionsverlag in Zürich, für den sie unter anderem die Türkische Bibliothek betreute. Seit 2010 unterrichtet sie Jugendliche und ist als freie Lektorin tätig. Alice Grünfelder ist Herausgeberin mehrerer Asien-Publikationen und veröffentlichte unter anderem Essays und Romane. Sie lebt und arbeitet in Zürich. Im Gepäck ihr 2023 erschienener Roman „Ein Jahrhundertsommer“.

Urs Faes, aufgewachsen im aargauischen Suhrental, arbeitete nach Studium und Promotion als Lehrer und Journalist. Sein literarisches Wirken begann er als Lyriker, in den letzten drei Jahrzehnten sind indes eine Vielzahl von Romanen entstanden. Sein Werk, fast ausschliesslich bei Suhrkamp erschienen, wurde mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Schweizer Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. 2010 und 2017 war er für den Schweizer Buchpreis nominiert. Heute lebt Urs Faes in Zürich. Urs Faes nimmt sein neustes Manuskript mit, das in Teilen in Gottlieben entstanden ist.

Christian Berger (Gitarren, Loop, Electronics, Büchel, Sansula, Framedrum) und Dominic Doppler (Schlagzeug, Schlitztrommel, Perkussion, Sansula), zu zweit «Stories», Musiker aus der Ostschweiz, besitzen die besonderen Fähigkeiten, sich improvisatorisch auf literarische Texte einzulassen. Schon in mehreren gemeinsamen Projekten, zum Beispiel mit jungen CH-Schriftstellerinnen und ihren Romanen oder internationalen LyrikerInnen mit lyrischen Texten, bewiesen die beiden auf eindrückliche Weise, wie gut sie mit ihrer Musik Texte zu Klanglandschaften weiterspinnen können.

Abgerundet wird die Veranstaltung durch einen reichen Apéro. Ein Anmeldung ist unbedingt erwünscht!