«Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tod keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken», über «Der Zauberberg» von Thomas Mann (24)

Lieber Gallus, liebe Leser*innen, die sich noch nicht hinauf auf den Zauberberg trauten

Ähnlich dem «Berghof» in Davos mit seiner abgeschiedenen Atmosphäre las ich Thomas Manns Werk in luftiger Höhe über dem Vierwaldstättersee. Was für ein gewaltiges und nachhaltig wirkendes Buch. Ich bin tief beeindruckt und wunderbar angeregt, masse mir aber keineswegs an, diesen Roman vollumfänglich verstanden zu haben. Du hast dieses Buch noch nicht gelesen. Ich versuche, dir ein paar Eindrücke zu schreiben, gespickt mit Originaltexten. Kein einfaches Unternehmen!

Vor hundert Jahren vollendet ist dieser Roman top aktuell und unbedingt lesenswert. Über tausend Seiten! In einer sehr genauen, bildhaften, zuerst gewöhnungsbedürftigen Sprache geschrieben, mit tiefgreifenden Dialogen und teils märchenhaften Stellen. Wie Thomas Mann die Natur und die Menschen beschreibt, ist einzigartig. 

Neben ihm auf der Bank lag ein broschiertes Buch namens «Ocean steamships», worin er zu Anfang der Reise bisweilen studiert hatte; jetzt aber lag es vernachlässigt da, indes der hereinstreichende Atem der schwer keuchenden Lokomotive seinen Umschlag mit Kohlenpartikel verunreinigt.

Der gesunde Hans Castorp wird von diesem morbiden Sanatorium Milieu so beeinflusst, dass aus dem kurzen Besuch seines Vetters ein siebenjähriges Leben in der Horizontalen wird. Die Auseinandersetzung mit Krankheit, Mensch-Sein, Religion, Aufklärung, Politik und Liebe findet im sehr speziellen Mikrokosmos des «Berghofs» statt. Der Tod ist allgegenwärtig, begegnet Hans Castorp am ersten Tag, als er erfährt, dass im frisch für ihn zubereiteten Gästebett gestern eine Amerikanerin gestorben ist. Unzählige interessante Männer und Frauen werden geschildert, wie sie neben vorgeschriebenem Liegen, Temperaturmessen und Essen ihr Kranksein sehr unterschiedlich gestalten.

Beschaulichkeit, Abgeschiedenheit. Es hat was für sich, es lässt sich hören. Wir leben ja ziemlich hochgradig abgeschieden, wir hier oben, das kann man sagen. Fünftausend Fuss hoch liegen wir auf unseren Stühlen, die auffallend bequem sind, und sehen auf Welt und Kreatur hinunter und machen uns unsere Gedanken. Wenn ich mir’s überlege und soll die Wahrheit sagen, so hat das Bett, ich meine damit den Liegestuhl, verstehen Sie wohl, mich in zehn Monaten mehr gefördert und mich auf mehr Gedanken gebracht, als die Mühle im Flachlande all die Jahre her, das ist nicht zu leugnen. (Castorp)

Zwei Gestalten beeinflussen Hans Castorp besonders: Einerseits Ludovico Settembrini, Literat, der Vernunft und Freiheit als Leitmotiv für den Menschen sieht, andererseits Leo Naphta, ein kommunistischer Jesuit, der einen strengen Gottesstaat befürwortet, wo Gut und Böse klar getrennt sind. Gegen Ende des Romans gipfelt die Auseinandersetzung im Duell.

Ah, nein, ich bin Europäer, Okzidentale. Ihre Rangordnung da ist reiner Orient. Der Osten verabscheut die Tätigkeit. Lao Tse lehrte, dass Nichtstun förderlicher sei als jedes Ding zwischen Himmel und Erde. Wenn alle Menschen aufgehört haben würden, zu tun, werde vollkommene Ruhe und Glückseligkeit auf Erden herrschen. Da haben Sie Ihre Beiwohnung. 

Wie oft habe ich Ihnen gesagt, dass man wissen sollte, was man ist, und denken, wie es einem zukommt! Sache des Abendländers, trotz aller Propositionen, ist die Vernunft, die Analyse, die Tat und der Fortschritt, – nicht das Faulbett des Mönchs. (Settembrini)

Des Mönchs! Man dankt den Mönchen die Kultur des europäischen Bodens! Man dankt ihnen, dass Deutschland, Frankreich und Italien nicht mit Wildwald und Ursümpfen bedeckt sind, sondern uns Korn, Obst und Wein bescheren! Die Mönche, mein Herr, haben sehr wohl gearbeitet.

Ich bitte. Die Arbeit des Religiösen war weder Selbstzweck, das heisst Betäubungsmittel, noch lag ihr Sinn darin, die Welt zu fördern oder geschäftliche Vorteile zu erlangen. Sie war reine asketische Übung, Bestandteil der Bussendisziplin, Heilsmittel. Sie gewährte Schutz gegen das Fleisch, diente der Abtötung der Sinnlichkeit. (Naphta)

Und nun zur wichtigsten Frauenfigur:

Erstens fiel wieder die Glastüre zu, – es war beim Fisch. Hans Castorp zuckte erbittert und sagte dann im zornigen Eifer zu sich selbst, dass er unbedingt diesmal den Täter feststellen müsse. Natürlich ein Frauenzimmer! dachte er und murmelte es ausdrücklich vor sich hin, so dass die Lehrerin, Fräulein Engelhart, verstand, was er sagte. «Das ist Madame Chauchat», sagte sie, «Sie ist so lässig. Eine entzückende Frau». 

Diese Frau spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Hans Castorp. Sie erinnert ihn an einen Mitschüler, in den er verliebt war. Bei einem Fasnachtsanlass im Sanatorium, «Walpurgisnacht», erklärt er ihr seine Liebe, zu spät: Frau Chauchat reist anderntags ab. Sie ist verheiratet mit einem Mann in Dagestan, lebt aber ohne Bindungen völlig frei. Der lange Dialog zwischen beiden ist in französischer Sprache geschrieben.

Frau Chauchat kommt dann wieder ins Sanatorium, zur Enttäuschung von Hans Castorp nicht allein, sondern in Begleitung von Mynheer Peeperkorn, was ihn aber zwingt, sich mit diesem Genussmenschen auseinanderzusetzen.

Ein Winter war sehr sonnenarm, alle beklagten sich und viele wollten Schadenersatz (schon damals!). Ein neuer Apparat, die «Höhensonne» wurde angeschafft, da die zwei bisherigen nicht ausreichten. Im Original: «Mein Gott!» sagte Frau Schönfeld, indem sie den Enseigne de la Marine allemande gierig betrachtete, «wie herrlich braun er ist von Höhensonne! Wie ein Adlerjäger sieht er aus, dieser Teufel!» – «Wart, Nixe!» flüsterte er im Lift an ihrem Ohr, sodass eine Gänsehaut sie überlief, «Sie werden mir büssen müssen für Ihr verderbliches Augenspiel!» Und über die Balkons, an den gläsernen Scheidewänden vorbei, fand der Teufel und Adlerjäger den Weg zur Nixe…»

«Statt der Sonne gab es Schnee, Schnee in Massen, so kolossal viel Schnee, wie Hans Castorp in seinem Leben noch nicht gesehen…Um zehn Uhr kam die Sonne als schwach erleuchteter Rauch über ihren Berg, ein matt gespenstisches Leben, einen fahlen Schein von Sinnlichkeit in die nichtig- unkenntliche Landschaft zu bringen. Doch blieb alles gelöst in geisterhafter Zartheit und Blässe, bar jeder Linie, die das Auge mit Sicherheit hätte nachzeichnen können.» In Aufbruchstimmung verlässt Hans Castorp mit Schneeschuhen das «Berghaus», geht immer tiefer und weiter in die Bergwelt, gerät in einen lebensbedrohlichen Sturm, trinkt erschöpft in einer Hütte etwas Portwein, schläft sofort ein und träumt. Die verschiedenen mystischen Bilder des Traumes muss man gelesen haben. Hier wird der Roman märchenhaft und symbolisch. Am Ende des Traums will der Protagonist dem Tod keine Herrschaft über seine Gedanken mehr geben. Hans Castorp vergisst diesen Traum bald, dem Leser bleibt er aber unvergesslich. Dieses Kapitel «Schnee» ist für sich ein literarisches Highlight.

Was war also das Leben? Es war Wärme, das Wärmeprodukt formerhaltender Bestandlosigkeit, ein Fieber der Materie, von welchem der Prozess unaufhörlicher Zersetzung und Wiederherstellung unhaltbar verwickelt, unhaltbar kunstreich aufgebauter Eiweissmolekel begleitet war. Es war das Sein des eigentlich Nicht-Sein-Könnenden…Es war nicht materiell, es war nicht Geist. Es war etwas zwischen beidem.

Der Roman endet mit dem Beginn des ersten Weltkriegs, wo Hans Castorp als freiwilliger Soldat ins Schlachtfeld zieht, wo Tausende sinnlos ihr Leben verlieren:

Ehrlich gestanden, lassen wir ziemlich unbekümmert die Frage offen. Abenteuer im Fleische und Geist, die deine Einfachheit steigerten, liessen dich im Geiste überleben, was du im Fleische wohl kaum überleben sollst. Wird auch aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmen Fieberbrunst, die rings den regnerischen Abendhimmel entzündet, einmal Liebe steigen?    

Zusammenfassend erfahren wir viel über: Woher wir kommen, wohin wir gehen, wer wir sind.

Mit diesen Gedanken und Text-Beispielen möchte ich dich zur Lektüre des «Zauberbergs» ermuntern. Ob ich der Empfehlung Thomas Manns folge, ist durchaus möglich: «Wer aber mit dem «Zauberberg» überhaupt einmal zu Ende gekommen ist, dem rate ich, ihn noch einmal zu lesen, denn seine besondere Machart, sein Charakter als Komposition bringt es mit sich, dass das Vergnügen des Lesers sich beim zweiten Mal erhöhen und vertiefen wird, – wie man ja auch Musik kennen muss, um sie richtig zu geniessen.» (Einführung des Autors für Studenten der Universität Princeton)

Ich bin gespannt, was du mir schreiben wirst!

Herzlich

Bär

***

Lieber Bär

Es beschämt mich etwas, dass ich Dir nicht meine Leseeindrücke schildern kann – vielleicht auch nicht will. Ich bin einer der Sorte Leser, die sich nur ganz selten an die Klassiker trauen und immer dann staunen, wenn andere mit klugen Verweisen zu den Grossen der Weltliteratur Bezug nehmen können, wenn ihnen eine Parallele zu Werken der Gegenwart auffällt. Die Liste der Klassiker, die ich nicht gelesen habe, ist unsäglich lang, schon jene, die ich mir noch zu lesen vorgenommen habe. Aber der Berg jener Bücher, die auf mich warten, wächst mit jedem Tag. Ich lese, was mir die Zeit in die Hände spült und sehe, was an Werken vor meiner Türe Schlange steht.

Von Thomas Mann las ich vor langer Zeit «Buddenbrooks», weil ich das Buch von meiner ehemaligen Herzensbuchhändlerin geschenkt bekam, ein am 5. August 1947 signiertes Exemplar, das Thomas Mann damals bei einem Besuch in Amriswil mit seiner Unterschrift markierte. Er war Gast des Schriftstellers Dino Larese (1914 – 2001), einem aus Italien stammenden Autors, der sich am Bodensee in Kreuzlingen zum Primarlehrer ausbilden liess und in genau jenem Schulzimmer in Amriswil unterrichtete, in dem ich seit einem Jahrzehnt unterrichte. Sie drückte mir damals das Buch mit den Worten in die Hand: Das ist bei dir besser aufgehoben. Ich las es unmittelbar danach und war fasziniert und schwer beeindruckt. In der Folge las ich noch «Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull», ein Spätwerk Thomas Manns. Ein völlig planloses Lesen – zuerst das Frühwerk, mit dem Mann in den Himmel der Literaten stieg und dann ein Spätwerk, das Thomas Mann zwischen «Buddenbrooks» und «Der Zauberberg» begann und erst kurz vor seinem Tod vollendete.

In der Folge kaufte ich mir auch «Der Zauberberg», legte das Buch aber verwirrt und verunsichert wieder weg, liess es im Bücherregal stehen, bis man das Jahr 2025 zum Thomas-Mann-Jahr erklärte, den 150. Geburtstag noch immer feiert und mit allerlei Sekundärliteratur das Jubiläum flutet. Ich nahm das Buch wieder aus dem Regal, besuchte gar einen Vortrag des Mann-Kenners Dr. Philipp Theisohn, in der Hoffnung, die Tür zur damaligen Begeisterung würde sich wieder auftun. Mein Versuch, eine alte Liebe aufzufrischen, scheiterte. «Der Zauberberg» wanderte zurück ins Regal. Vielleicht fehlt es an meiner Geduld, meiner Reife, meiner Offenheit. Irgendwann versuche ich es noch einmal. Versprochen.

Danke für Deine Schilderungen der Reise auf den Zauberberg. Vielleicht buche ich einmal eine Woche im Hotel Schatzalp über Davos, das Thomas Mann Modell stand, als er «Der Zauberberg» schrieb. Vielleicht dann, mit Aussicht, Liegestuhl und einer Wolldecke auf meinen Beinen.

Liebgruss

Gallus 

Nichts läuft je ins Leere, alles hängt zusammen … über «Der Schrecken der anderen» von Martina Clavadetscher, C. H. Beck (24)

Lieber Gallus

Voll Freude ging ich an die Lektüre des neuen Romans dieser von mir geschätzten Autorin. Ich habe das Buch mit Fieber, Gliederschmerzen und Husten im Rahmen einer Sommergrippe gelesen. Vielleicht sind meine Eindrücke dadurch beeinträchtigt.
Kurz zusammengefasst hat mich dieses Buch ratlos und verwirrt nach der Lektüre zurückgelassen. Was ist die Aussage, was will die Autorin mir vermitteln?
Es gibt historische Hinweise, eher angedeutet, zwei Hauptstränge; Archivar Schibig und die «Alte» einerseits, dann Herr Kern und dessen fast 100jährige Mutter. Das Buch beginnt mit einem Toten in einem zugefrorenen See, wie ein Krimi. Dunkle Machenschaften um Geld und Macht. Nichts läuft je ins Leere, alles hängt zusammen, so die «Alte», hat mir nicht geholfen.
Ich bin sehr gespannt, wie du die Lektüre erfahren hast. Wirf mir den erhellenden Anker!

Herzlich
Bär

***

Lieber Bär

Als das Buch zu mir nach Hause kam, schnappte es sich zuerst meine Frau. Schon an ihren nonverbalen Verlautbarungen während der Lektüre spürte ich, wie sehr sie das Buch packte. Kaum hatte sie es zu Ende gelesen, machte ich mich daran. Zugegeben, wenn ich von Schriftsteller*innen lese, die ich persönlich kenne, mit denen ich schon bei Lesungen oder ähnlichen Veranstaltungen mitdiskutierte, mag die Objektivität über das Gelesene beeinflusst sein, vielleicht sogar eingeschränkt. Einmal mehr liess ich mich begeistern. Dein Urteil überrascht mich nicht wirklich, weil ich der Überzeugung bin, dass das nicht das erste Buch der Autorin ist, das ein prägnantes Urteil provoziert. Das mag an der Art liegen, wie sie mit ihren Themen umgeht, wie sie die Geschichten, das Personal spielen lässt. Das mag auch daran liegen, dass Martina Clavadetscher von Leser*innen einiges abverlangt. Ihre Bücher sind keine offenen Schaukästen. In jedem ihrer Bücher lädt sie mich ein, weiterzudenken, weiterzuforschen. Türen bleiben verschlossen, wenn man sich nicht selbst daran macht, sie zu öffnen.

Martina Clavadetscher «Die Schrecken der anderen», C. H. Beck, 2026, 333 Seiten, CHF 34.00, ISBN 978-3-406-83698-5

Immer wieder drückt Geschichte durch die Bücher von Martina Clavadetscher. Diesmal ein Stück Vergangenheit – scheinbar. Denn die Vergangenheit zieht ihre Fäden bis in die Gegenwart. Was im Mai 1945 mit der Kapitulation Nazideutschlands ein Ende fand, war damals nicht wirklich zu Ende. Nur wenige der faschistisch gesinnten Entscheidungsträger damals wurden gerichtlich zur Verantwortung gezogen. Ganz viele tauchten unter, nahmen eine neue Identität an, flohen ins Ausland. Nicht wenige von diesen glaubten, ihre Ideen würden dereinst wieder auferstehen, finanziert von Bankkonten, die man als harmlose, menschenfreundliche Kassen getarnt hatte. Geld all jener, mit denen man im und mit dem Krieg Geld verdient hatte. Geld all jener, die man während der Macht der Faschisten enteignet, eingesperrt und umgebracht hatte. Und wer heute offenen Auges in die aktuelle Politik sieht, reibt sich immer wieder die Augen, wie etabliert gewisse Ideen, Äusserungen und Absichten wieder geworden sind, wie offen man 80 Jahre nach der Kapitulation wieder seine faschistische Gesinnung zeigen kann. Diese Thematik ist in Martina Clavadetschers Buch unüberhörbar.

Aber noch viel mehr. Auch das nicht zu tilgende Lebensmotto „Der Zweck heiligt die Mittel“. Oder der Glaube daran, dass eine Stammlinie in der Familientradition um jeden Preis weitergeführt werden muss. Dieses völlig antiquierte Verständnis von Familie. Herrlich, wie die greise Matriarchin unter dem Dach der Villa noch immer versucht, mit allen nur erdenklichen Mitteln die Geschicke der Familie zu leiten. Dass Familie doch eigentlich etwas ganz anderes ist, ist weit davon entfernt. Und dann der „arme“ Herr Kern; lendenlahm, sehbehindert, diktiert von seine Mutter, herablassend behandelt von seiner Frau Hanna, instrumentalisiert von seiner elitären Clique. Der alte Mann – ein armes Schwein. Ich habe mich auf seine Kosten köstlich amüsiert. Hier spürt man die Theaterfrau. Ich sehe die Kern’sche Villa wie ein offenes Puppenhaus, in dem sich existenzielle Dramen abspielen.

Und dann noch Schibig und die «Alte»…

Lieber Bär, nicht immer trifft ein Buch meinen Nerv. Nicht immer deinen Nerv. Deine Ratlosigkeit bescheinigt dem Buch immerhin, dass es nicht nur einfach unterhalten will.

Liebgruss
Gallus

© Ingo Höhn

Martina Clavadetscher geboren 1979, ist Schriftstellerin und Dramatikerin. Nach ihrem Studium der Deutschen Literatur, Linguistik und Philosophie arbeitete sie für diverse deutschsprachige Theater, war für den Heidelberger Stückemarkt nominiert und zu den Autorentheatertagen Berlin 2020 eingeladen. Für ihren Roman «Die Erfindung des Ungehorsams» wurde sie 2021 mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. Sie lebt in der Schweiz.

Literaturhaus Zürich

Nicht Alleinsein, sondern allein Sein… über «Samota» von Volha Hapeyeva, Droschl (23)

Empathie ist wirklich eine komplizierte Charaktereigenschaft. Man kann immer Argumente dafür und dagegen finden und auf dieser feinen weissen Linie stehen bleiben, die das eine vom anderen trennt.

Lieber Gallus

Die weissrussische Autorin Volha Hapeyeva war für mich ein Glanzlicht an den diesjährigen Solothurner Literaturtagen. Ihr neuestes Buch «Samota» ist ein faszinierendes Werk über Einsamkeit, Alleinsein und Empathie. Für mich ein Buch voller Liebe zur Schöpfung und ein Hoffnungsschimmer in einer Welt voller Kriege und Umweltproblemen. Geschrieben in einer lyrischen Sprache, bei der wissenschaftliches auf magisches Denken trifft, Orte und Zeiten in der Schwebe gehalten werden.

Ich begegne zwei Frauen und drei Männern als Hauptfiguren in einer Welt von Tieren, Menschen und Vulkanen. Neben dem eigenen Überleben geht es ums Überleben von Werten, für eine Welt, in der Empathie eine wichtige Rolle spielt.

Nur wenige Menschen wissen, wie man sich an dem freut, was einen umgibt, was man bereits hat. Wobei die grössere Freude nicht davon kommt, was du hast, sondern vom Sein.

Das Frühstück im Hotel als Miniaturbild der Gesellschaft, der Besuch in der Apotheke als Auseinandersetzung mit Kranksein oder die gefährliche Befreiung eines zur Verarbeitung gefangenen Wolfswelpen als Ausdruck von Empathie; ich werde zum Nachdenken über unsere Gesellschaft, unsere Beziehung zur Umwelt und unsere Werte angeregt. Dies in einer poetischen Sprache und mit Tiefgang. Es geht um unsere Existenz auf der Erde.

Traurigkeit samt Melancholie, Stille und Heiterkeit, das Gefühl der Zugehörigkeit zum Universum, zu den Bäumen, den Vögeln, Insekten und Kräutern, das Aufgehen im Abendlicht, sodass man nichts und niemanden mehr braucht, erfüllte Existenz. Nicht Alleinsein, sondern allein Sein. Nicht einsam sein, sondern eins sein. Allsein.

Wie haben die Begegnung mit der Autorin und dieses Buch auf dich gewirkt?

Herzlich

Bär

***

Lieber Bär

Er hat lange gedauert. Es ist schon einige Monate her seit den Solothurner Literaturtagen. «Samota», das Buch von Volha Hapeyeva, lag lange auf meinem Schreibtisch. Hättest Du nicht derart begeistert auf dieses Buch reagiert, hätte ich es vielleicht irgendwann ungelesen ins Regal geschoben. Nun habe ich es doch gelesen. Ganz langsam und in kleinen Häppchen, ganz gegen meine sonstigen Lesegewohnheiten.

Der Roman «Samota» trägt eine Art Untertitel: «Die Einsamkeit wohnte im Zimmer gegenüber». Ein programmatischer Untertitel. Volha Hapeyeva lebt seit den Unruhen in ihrer belarussischen Heimat «unterwegs», «im Zimmer gegenüber». «Samota» ist ein Roman über Einsamkeit, geschrieben während Corona, eingesperrt in ein Zimmer als Stadtschreiberin in Graz. Aber «Samota» ist kein Corona-Buch, sondern ein Buch über eine grosse Sehnsucht.

Volha Hapeyeva «Samota. Die Einsamkeit wohnte im Zimmer gegenüber», Droschl, 2024, aus dem Belarusischen übersetzt von Tina Wünschmann und Matthias Göritz, 192 Seiten, CHF ca. 36.90, ISBN 978-3-99059-151-2

Maya, Vulkanforscherin, nimmt an einem Kongress über Vulkanologie irgendwo in der japanischen Provinz teil. Die Kleinstadt liegt an einem grossen Wald, der von Wölfen bewohnt wird. Sie besucht die städtische Bibliothek auf der Suche nach einem Buch, das sie wohl findet, bei dem aber genau jene Seiten fehlen, die ihr für ihre Forschung wichtig erscheinen. Sie liebt die Bibliothek. Sie traut den Büchern mehr als den Menschen.
Im gleichen Hotel, in dem Maya wohnt, findet auch ein Kongress von Tierpräparatoren statt, die ihre Arbeit als Konsequenz einer Schöpfung sehen, in der der Mensch die Krone bedeutet und über alle anderen Lebewesen nach Belieben verfügen kann. 

Helga-Maria, eine Tiertherapeutin und Mayas Freundin, behandelt Angststörungen von Hunden und wartet auf Liebesbriefe von Sebastian, der in einer Pension zusammen mit ganz eigenartigen Menschen wohnt. Allen voran ein Jäger, der sich zur Aufgabe gemacht hat, sämtliche Wölfe des Waldes zur Strecke zu bringen.

Manchmal denke ich, das beste Mittel gegen Konflikte und Kriege wäre die Entwicklung eines Empathieserums.

Ein geheimnisvolles Buch mit Ebenen, auf die man nur tastend vorzudringen vermag. Ein Roman voller Anspielungen, Bildern und Szenerien, die sich in ihrer Chronologie, in Zeitebenen übereinanderschieben. Ein Buch einer Lyrikerin, die in Prosa nachzuforschen versucht, was eine Haltung ohne Empathie anrichten kann. Ich hatte während der Lektüre dauernd das Gefühl, Anspielungen auf ihre eigene Lebenssituation zu lesen, mal verschlüsselt, mal offen, mal verpackt in ein Bild. «Samota» ist kein politischer Roman, aber ein Roman, der erzählt, was das «Herausgerissensein» bewirkt. Dass wir in einer Zeit schwindender Empathie leben. Wie schnell Allein-sein zu Einsamkeit werden kann. Ein metaphysischer Roman, bei dem unterschwellig Dinge miterzählt werden, von denen ich nur eine Ahnung habe, die sich im Laufe des Buches entschlüsseln, lange unerklärlich bleiben. Was passiert mit empfindsamen Menschen, die in einer Welt der schwindenden Empathie sich immer mehr weggesperrt fühlen?

© Nina Tetri

Volha Hapeyeva, geboren in Minsk, Belarus (1982), ist Lyrikerin, Autorin, Übersetzerin, Künstlerin und promovierte Linguistin. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. den English PEN Translates Award für das Buch «In My Garden of Mutants» (2021), den Wortmeldungen-Literaturpreis 2022, Rotahorn-Preis 2021 und den manuskripte-Preis 2025. Ihre Gedichte wurden in mehr als 15 Sprachen übertragen. Ihr Debütroman «Camel Travel» erschien 2021. Seit 2020 schreibt Volha Hapeyeva auch auf Deutsch und wohnt als Nomadin in Österreich und Deutschland.

Tina Wünschmann wurde 1980 in Freital geboren. Sie studierte Slavistik, Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Technischen Universität Dresden.

Matthias Göritz, geb. 1969, ist ein vielfach ausgezeichneter Lyriker, Theaterautor, Übersetzer und Romancier. Er veröffentlichte auch Gedichtbände und Romane.

Webseite der Autorin

Grandios! Christoph Ransmayr «Egal wohin, Baby», S. Fischer (22)

Lieber Bär

Ich lese die Bücher von Christoph Ransmayr schon eine ganze Weile. Seinen ersten Roman „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ als ich vor 40 Jahren Lehrer in einer kleinen Dorfschule war. Sechs Klassen in einem Raum. Die Kinder kamen aus den umliegenden Höfen und verliessen das Haus wieder nach dem Unterricht, während ich alleine zurückblieb, ohne Anschluss ans Dorf, ein Aussenseiter. Mein Leben damals, frisch von der Ausbildung, bestand aus Unterrichten, Vorbereiten, Essen, Schlafen – und Lesen. Dieser Abenteuerroman, der damals in einem kleinen Verlag erschienen war (Christian Brandstätter Verlag, mit einer Auflage von 4000 Stück) war genau das richtige, um meine gebeutelte Seele (auch ich fühlte mich auf einer lebensbedrohlichen Expedition in einer menschenfeindlichen Gegend) mit dem Duft von Abenteuern zu trösten. Damals war Ransmayr noch ein Geheimtipp, ein Versprechen. Heute würde es niemanden erstaunen, würde nach Peter Handke ein weiterer Österreicher den Nobelpreis für Literatur bekommen. Diesmal ganz bestimmt mit deutlich weniger Nebengeräuschen (ausser der Tatsache, dass mit Ransmayr erneut ein weisser, alter Mann Preisträger wäre).

Damals schrieb Ransmayr seinen arktischen Epos ohne je einen Fuss auf das Packeis gesetzt zu haben. Reine Immagination mit einer gehörigen Portion Recherche. Heute funktioniert Ransmayrs Schreiben noch immer so, aber auch ganz anders. Ransmayr ist ein Reisender, einer, der seine Bilder, Erfahrungen und Begegnungen als grossen Schatz in sein Schreiben einfliessen lässt, was an sich alle Schriftsteller*innen tun. Aber Ransmayr hat mit seinen vielen Reisen, aus denen er in seinem neuen Buch „Mikroromane“ ein literarisches Fotoalbum machte, ein ganz eigenes Reisebuch geschrieben. „Mikroromane“ ist durchdrungen von Respekt, Ehrfurcht und Dankbarbeit. Die Sammlung dieser Texte, die meist nicht länger sind als zwei Seiten, sind Miniaturromane, nicht bloss Zeugnisse oder Berichte. In sich abgeschlossene Erzählungen, in denen Entwicklung passiert, die nicht bloss Erfahrungen abbilden, sondern Erzählungen, die eine äussere Reise abbilden, innere Reisen.

Ransmayrs Mikroromane sind Konzentrate, Handlungs- und Sprachkonzentrate. Nichts ist zuviel, kein mäanderndes Erzählen, keine Inszenierungen, weder von seiner Person als Reisender, noch von den Orten, den Menschen, zu denen ihn seine Reisen führen. Wer in diesem Buch liest, wird von Andacht erfüllt. Seine Mikroromane sind Ehrerbietungen und Zeugnisse eines Mannes, der sich seiner Privilegien ganz und gar bewusst ist. Es gibt Reisende und Touristen. Auch wenn Ransmayr eines seiner Bücher mit „Geständnisse eines Touristen“ betitelt. Ransmayr tut das meiste nicht, was der typische Tourist sonst tut. Ransmayr ermöglicht mir, zuhause zu bleiben und doch zu reisen. Er nimmt mich an der Hand zu Menschen, die er immer wieder besucht, die ihm wie die Orte selbst ans Herz gewachsen sind. Wäre man sich der Qualität dieses Buches bewusst, müssten Airlines und Hotelkomplexe auf der ganzen Welt mit ordentlichen Einbussen rechnen.

Und „Mikroromane“ liest sich atypisch, eben wie ein Fotoalbum. Man schlägt es irgendwo auf und liest. Man liest immer und immer wieder. Vielleicht sogar vor dem Einschlafen vorgelesen, als Einladung in einen guten Traum. Wenn es ein Buch gibt, mit dem man ideal in den Ransmayr’schen Kosmos einsteigen sollte, dann ist „Mikroromane“ der beste Einstieg in grosse Sprachkunst und tiefst empfundene Empathie.

Selten verliess ich eine Lesung eines Autors derart erfüllt und beschenkt, wie jene mit Christoph Ransmayr.

Liebgruss

Gallus 

Was geschieht,
wenn ein Mensch seine Entschlüsse gefasst,
alle notwendigen Vorbereitungen getroffen hat
und einen ersten Schritt tun will, seinem Ziel entgegen,
und was, wenn er endlich
einen Fuss vor den anderen setzt?
(aus «Der fliegende Berg»)

Lieber Gallus

Dies war 2006 mein Einstieg in den Kosmos von Christoph Ransmayr. An einer Tagung im Bildungshaus Hertenstein am Vierwaldstättersee zeigte mir Werner Hegglin damals in einer Pause ein blau gefasstes Buch: «Das ist etwas für dich!» Wie recht er hatte! Die ersten Zeilen Ich starb 6840 Meter über dem Meeresspiegel am vierten Mai im Jahr des Pferdes rissen mich als Hausarzt und Alpinist sofort mit. Ich schaute zwischen Felszacken und eisigen Abgründen in die Tiefe, bangend, ob der Gipfel von den beiden Brüdern erreicht werden kann. Ich las es mit Begeisterung, war mit den beiden in eisiger Höhe, bei den Nomaden in Ost Tibet und in Irland unterwegs. Eine beeindruckende, tief berührende, abenteuerliche Reise, die mich aus dem oft belastenden Alltag als Hausarzt wegtrug.

Später begleitete mich «Schrecken des Eises und der Finsternis» auf Skitouren in Spitzbergen bis aufs Packeis und «Cox oder Der Lauf der Zeit» ersetzte eine nie stattgefundene China-Reise wunderbar. 

Ich bewundere die Vielfalt in Form und Sprache in seinen Büchern. Ein Suchender unternimmt Reisen und lässt sich in Abenteuer ein. Neugier und die Liebe zu den Menschen geben den Werken Tiefe und regen uns zum Nachdenken an. Umso mehr freute es mich, dass wir vor Kurzem dem Autor bei der Schweizer Buchvernissage von «Egal wohin, Baby» persönlich begegnen durften. Christoph Ransmayr zeigte sich mir als sorgfältig und respektvoll arbeitender Schriftsteller, als ein offener Mensch mit Respekt vor fremden Kulturen und als begnadeter Vorleser. 

In seinem neusten Werk, in den siebzig Mikroromanen, tauchen wir ein in wirklich erlebte, erfahrene Begegnungen auf der ganzen Welt. Der Autor gibt sich den Namen «Lorcan», um sich von der Last der Erinnerungen zu befreien und in einen gelassenen Erzähler zu verwandeln. Die Abbildung eines Schnappschusses des Autors vor Ort ist jeweils vorangestellt. Jede Geschichte hat einen Höhepunkt, eine spezielle Aussage, wir erleben Vergangenes und Aktuelles in unterschiedlichen Landschaften und Gegenden, oft mit historischen Ereignissen verknüpft. Jeder Mikroroman hat einen Titel. Drei Beispiele: 

«Gefallener Himmel»
Ein trügerisch schönes Landschaftsbild aus Österreich, wo sich der Himmel in einem See spiegelt. Ich aber erfahre von einem Konzentrationslager aus dem zweiten Weltkrieg und der Produktionsstätte von Massenvernichtungswaffen in dieser Gegend. Lorcan wollte auf dem Weg zu ihren Verstecken im Hochgebirge biwakieren, um im Schlafsack den Auf- und Untergang jener Sternbilder zu beobachten, die den Verfolgten in der nächtlichen Weglosigkeit als Orientierung gedient hatten. Staunen und Erschrecken sind nahe beieinander.

«Am Ende der Welt»
Eine Zeichnung von zwei Pferden des siebenjährigen Mädchens Emily Christian auf der weit abgelegenen Südseeinsel Pitcairn im Pazifischen Ozean. Pferde, die sie sich sehnlichst wünscht, obwohl sie noch nie ein Pferd gesehen hat. Sie glaubt, ihr Leben auf dieser Insel, wo es keine Pferde gibt, verbringen zu müssen. Wir erfahren zudem von kolonialen Kämpfen, Sklaverei und Meutereien ihrer Vorfahren auf und um Pitcairn. Emilys Zeichnung wird zur Brücke in die weite Welt. 

«Heiliges Wasser»
Also könne er (Ali Bazhi auf dem Foto) nun einen Reisenden nur bis zu den Gebirgszügen der algerischen Sahara führen, denn nachdem es niemanden mehr gab, der die Bewegungen des Sandes, wandernder, irrlichternder Dünen, die Geröllfelder und unüberwindlichen Felsbarrieren über mehr als eintausendfünfhundert Kilometer so gut kannte wie sein Vater, müsste nun in jeder Oase nach einem neuen Ortskundigen gesucht werden.  Anstatt nach Timbuktu führt Ali den Reisenden an einen friedlicheren Ort, nämlich zu einer Oase mit dem Namen «Heilige Quelle». Unter Dattelpalmen trinkt Lorcan das glasklare frische Quellwasser.

Es geht beim Reisen immer um den Weg zu den Menschen, so Ransmayr in der «Sternstunde Religion» am Fernsehen. Seine Empathie und Liebe zur ganzen Schöpfung erfüllt mich mit Hoffnung für unsere arg misshandelte Erdkugel. «Egal, wohin Baby» ist ein weiteres beglückendes, heilendes Werk von Christoph Ransmayr. Arznei gegen die Sterblichkeit – mit seinen eigenen Worten!

Ich wünsche diesem Meisterwerk viele Leserinnen und Leser.

Herzlich

Bär

Sternstunde Religion vom 16.05.2022

Christoph Ransmayr wurde 1954 in Wels/Oberösterreich geboren und lebt nach Jahren in Irland und auf Reisen wieder in Wien. Neben seinen Romanen »Die Schrecken des Eises und der Finsternis«, »Die letzte Welt«, »Morbus Kitahara«, »Der fliegende Berg«, »Cox oder Der Lauf der Zeit«, »Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten« und dem »Atlas eines ängstlichen Mannes« erscheinen Spielformen des Erzählens, darunter »Damen & Herren unter Wasser«, »Geständnisse eines Touristen«, »Der Wolfsjäger« (gemeinsam mit Martin Pollack) und »Arznei gegen die Sterblichkeit«. 2022 erschien die Sammlung von Gedichten und Balladen »Unter einem Zuckerhimmel« (illustriert von Anselm Kiefer), 2024 der Erzählband »Als ich noch unsterblich war« sowie der Band »Egal wohin, Baby« mit Fotografien des Autors. Zum Werk Christoph Ransmayrs erschien der Band »Bericht am Feuer«. Für seine Bücher, die in mehr als dreissig Sprachen übersetzt wurden, erhielt er zahlreiche literarische Auszeichnungen.

Webseite des Autors

Foto von Christoph Ransmayr © Robert Brembeck
Fotos aus «Mikroromane» © Christoph Ransmayr, S. Fischer Verlag

Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf … über «Die Nulllinie» von Szczepan Twardoch (21)

Lieber Gallus

Du hast mir gesagt, dass du das Buch «Nulllinie» nach Beginn der Lektüre weggelegt hast, dass es dich nicht angesprochen habe. Da mich dieses Buch mit seiner Aktualität nicht loslässt und nachhaltig verfolgt, möchte ich trotzdem darauf zurückkommen. Kann man, soll man vom Krieg schreiben? In meinem Kopf klingt gleichzeitig die Klagenfurter Rede 2023 der ukrainischen Autorin Tanja Maljartschuk an: Ich betrachte mich selbst als gebrochene Autorin, eine ehemalige Autorin, eine Autorin, die ihr Vertrauen in die Literatur und – schlimmer noch – in die Sprache verloren hat. Die Sprache, die schönste Gedichte hervorbringt, kann auch dazu dienen, Befehle kundzutun, zum Abschuss von Raketen, die Zivilisten töten, oder zum Vorrücken von Panzern.

Szczepan Twardoch «Die Nulllinie», Rowohlt, 2025, aus dem Polnischen von Olaf Kühn, 256 Seiten, CHF. ca. 35.90, ISBN 978-3-7371-0209-4

Der polnische Schriftsteller Twardoch war mehrmals mit Hilfsgütern an der Front und hat die Nulllinie hautnah unter Lebensgefahr miterlebt. Bei Twardoch wird Krieg als Grenzsituation des Mensch-Seins erfahrbar durch gekonnt in Sprache umgesetzte Handlungen, Dialoge und Reflexionen der Soldaten. An der Front gelten andere Werte bei Schlamm, Kälte, ständiger Bedrohung des Lebens in Gräben und feuchten Unterständen und Isolation. Weit weg, fast nicht mehr erinnerbar, ist das Leben der Kämpfer vor dem Krieg. Die Sprache ist grob, aber sehr treffend und verstärkt die Absurdität des Geschehens. Literarisch gelingt es dem Autor einzigartig darzustellen, was ein Krieg mit uns Menschen macht.

Menschenleben sind nur in der hübschen Theorie gleich viel wert, in der Praxis hat jedes Menschenleben seinen eigenen Wert. Der Wert deines Lebens, Koń, ist sehr gesunken, noch nie in deinem fünfundvierzigjährigen Leben warst du so wenig wert wie heute.

Aber vielleicht, denkst du, bauen wir ja auf, indem wir zerstören? Kann man überhaupt etwas aufbauen, indem man tötet? Warum bin ich überhaupt hier, fragst du dich, während du das Nachtsichtgerät am Helm montierst. Was hat bewirkt, dass ich in meinem völlig ausgebrannten Ich die Energie fand, hierherzukommen und dann den Vertrag zu unterschreiben – doch nicht etwa der Wunsch zu zerstören, der Wunsch zu töten?

Mitleid hattest du nicht mit denen, die du getötet hast, aber Hass auf sie empfandest du auch selten. Wenn du jemanden verloren hast, der dir nahestand, Koń, dann empfandest du Hass, doch er war nicht gegen einen konkreten Menschen gerichtet, eher gegen ein Kollektiv, dieses Ganze, Russland, das mehr ist als die Summe aller Russländer, nur deshalb wolltest du die Letzteren töten.

Ich verstehe sehr wohl, dass der mehrjährige und intensiv andauernde Krieg die Sprache beeinträchtigt, verunmöglicht, tötet und verstummen lässt. Andererseits bin ich dankbar um «Nulllinie», dass ich nachvollziehen kann, was an der Front abgeht, wie heute mit Einsatz moderner Waffen Krieg geführt wird. Fasziniert und aufgewühlt nehme ich das Buch wieder in die Hand und versuche, das Unbegreifliche zu verstehen.

Hoffen wir, dass das Unwetter bald vorbei ist und die Blüte am Ast wirken kann, wie Tanja Maljartschuk in ihrer Rede auch sagt: Ich verdanke alles in meinem Leben der Literatur, die ich mir als Blüte am Ast eines Baumes vorstelle. Einerseits ermöglicht sie die Fortpflanzung der Ideen und doch fällt sie bei einem Unwetter als erste ab.

Kannst du mir mitteilen, was dich am Weiterlesen von «Nulllinie» gehindert hat? Warum du das Buch weggelegt hast? Ist es die rohe Sprache?

Herzlich

Bär

***

Lieber Bär

Wahrscheinlich ist die Antwort auf Deine unbequeme Frage eine ganz banale. Ich legte das Buch wohl aus Feigheit weg. Ich hatte genug von den Schilderungen all der Gewalt, des Krieges, der Ungleichheiten, der Ungerechtigkeiten, den Schimpftriaden, dem Dreck des Krieges. Ich war feige, weil nichts mehr geblieben war, von der Neugier, der Lust, immer mehr zu erfahren, einen Einblick zu gewinnen. Weil es ein Durchbeissen geworden wäre. Ich war feige, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, an der imaginären Seite von Koń in den Krieg zu ziehen, einen Krieg, der in seiner Brutalität und Banalität alles verloren hat, was heroische Gefühle auslösen, meinen Glauben bestärken könnte, es gäbe eine gute Seite und eine schlechte Seite.

Szczepan Twardoch, der selber ukrainische Wurzeln hat, hat nichts erfunden, auch wenn er nicht wie sein Protagonist in den hoffnungslosen Schützengräben kämpfte. Twardoch war da, konnte aber im Gegensatz zu den Soldaten das Schlachtfeld jederzeit verlassen. Was er in seinem Roman schreibt, lehnt sich so nah an das wirkliche Geschehen, dass es im Kontrast zu all der geschilderten Technik schmerzhaft grotesk wirkt. Kriege sind technische Machtdemonstrationen, bei denen Soldaten zum Schmiermittel werden. Ich war zu feige, um mir das 250 Seiten lang um die Ohren schlagen zu lassen.

Ich schätze Szczepan Twardoch sehr, sowohl als Mensch wie als Schriftsteller. Ich liebe seine Romane, die wie alles, was er schreibt, weit über die Schmerzgrenze hinausgehen. Ich bewundere ihn für seinen Mut, einen Mut, bei dem es nicht um schriftstellerisches Säbelrasseln geht, sondern um das, was man als Schriftsteller*in tun kann, angesichts eines solchen Krieges; mit Sprache kämpfen.

Vor nicht allzu langer Zeit las ich von Serhij Zhadan „Himmel über Charkiw. Nachrichten vom Überleben im Krieg“. „Himmel über Charkiw“ will keine «Literatur» sein, sondern Zeugnis. Eine Stimme aus dem Innern des unverschuldeten Höllenfeuers, eine Stimme des Trotzes, eine Stimme, die um keinen Preis dieses eine verlieren will; die Hoffnung, dass dereinst der Krieg vorbeisein wird, dass die Gerechtigkeit siegen wird. Begriffe wie „Sieg“, „Helden“, die der Autor vor dem Einmarsch, selbst nach der Annexion der Krim, nie in den Mund, schon gar nicht ins Netz geschickt hätte. Ein Facebook-Tagebuch des offenen Widerstands.


Auch wenn ich «Nulllinie» weggelegt habe, sagt das nichts über die Qualität des Buches, sondern nur etwas über mich selbst. Bücher wie «Nulllinie» sind wichtig, weil die Literatur in uns Bilder erzeugt, die hängen bleiben, während wir die Bilder aus den Medien, die Bilder von brennenden Autos, zerbombten Städten, Leichen auf den Strassen und weinenden Kindern längst schlucken können wie bittere Pillen. Niemand stumpf ab, weil er/sie liest. 

In einem Interview mit rbb sagt Szczepan Twardoch: Dieser Krieg ist so nah an meinem Zuhause. Er ist so nah an der Grenze meines Landes. Er betrifft mich so sehr, dass ich ihn nicht ignorieren konnte. Ich verspürte diesen Drang zu helfen, zumindest auf diese bescheidene Art und Weise, die mir möglich ist, zum Beispiel durch Spendensammeln, den Kauf von Ausrüstung wie Autos, Drohnen, Zielfernrohren für Gewehre und so weiter. Einfach um bei diesem grossartigen und zugleich edlen Bemühen zu helfen, Menschen zu verteidigen, die so leben wollen, wie sie leben wollen, und nicht auf eine Art und Weise, die ihnen aufgezwungen werden soll.

Lieber Bär, vielleicht nehme ich «Nulllinie» doch noch einmal zur Hand.

Bis bald

Gallus

© Jacek Poremba

Szczepan Twardoch, geboren 1979, ist einer der herausragenden Autoren der Gegenwartsliteratur. Seine Romane sind in zahlreiche Sprachen übersetzt, zum Teil verfilmt. «Morphin» (2012) wurde mit dem Polityka-Passport-Preis ausgezeichnet. Für den Roman «Drach» wurden der Autor und sein Übersetzer Olaf Kühl 2016 mit dem Brücke Berlin Preis geehrt, 2019 erhielt Twardoch den Samuel-Bogumił-Linde-Preis, 2025 den Usedomer Literaturpreis. Zuletzt erschienen die hochgelobten Romane «Der Boxer» und «Kälte«. Er lebt mit seiner Familie in Pilchowice/Schlesien.

Olaf Kühl, 1955 geboren, studierte Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte und arbeitete lange Jahre als Osteuropareferent für die Regierenden Bürgermeister von Berlin. Er ist Autor und einer der wichtigsten Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen, u.a. wurde er mit dem Karl-Dedecius-Preis und dem Brücke Berlin-Preis ausgezeichnet. Sein zweiter Roman, «Der wahre Sohn», war 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Im Erzählen das Verlorene wiederfinden, die Zeit, die Liebe … über «Sommerschatten» von Urs Faes, Suhrkamp (20)

Lieber Bär

Seit ein paar Tagen lese ich den neuen Roman von Urs Faes, nachdem ich zusammen mit Dir an der Buchtaufe im Literaturhaus Zürich war, einer bis zum letzten Platz ausverkauften Veranstaltung. Ich lese das Buch in kleinen Häppchen, wurde mir doch schon beim Zuhören in Zürich klar, dass ich dem Buch nicht gerecht werden kann, wenn ich es in meiner sonstigen Manier in grossen Schlucken trinke.

Urs Faes «Sommerschatten», Suhrkamp, 2025, 155 Seiten, CHF ca. 35.90, ISBN 978-3-518-43224-2

„Sommerschatten“ ist ein ganz eigener Roman. Dass der Applaus nach der Lesung in Zürich damals so lang anhaltend war, ist nicht nur dem Roman zuzuschreiben, auch dem eingelösten Versprechen, das jeder Roman von Urs Faes gibt. Man wusste, es würde ein neuer Faes sein, ein Buch in gewohnt hoher literarischer Qualität, wie jedes Buch mit dem Quantum Überraschung, die mit jeder Neuerscheinungen sicher ist. Auch wenn jedes seiner Bücher zu einer Liebeserklärung, einer Liebesgeschichte wird, ist jedes ein Markstein im Faes’schen Kosmos. Einem Kosmos mit einer ganz eigenen Färbung, einer Sprachlandschaft, die in weichen Konturen zeichnet, die alle Sinne anspricht, das Lesen zu einem Tauchgang macht.

Erst recht in diesem Roman, der eine vielfarbige Zwiesprache ist mit einer Frau, die im künstlichen Koma im Spital liegt. In einer Geschichte, in der sich alles in Rückschauen, in Innenwelten, in Selbstbefragungen und Echoräumen abspielt. Ein Mann muss hinnehmen, dass seine Liebe an Schläuchen angeschlossen im Spital liegt, irgendwo zwischen Leben und Tod, zwischen Hoffnung und Angst. Die Zeit steht still, macht Pause, ist hoffentlich nur unterbrochen und nicht abgebrochen. So wie das Leben dieser Frau durch einen Freitauchunfall zum Stillstand gekommen ist, so ist auch das Leben des Erzählers in gewisser Weise unterbrochen.

Wir kennen die Situationen, in denen mit einem Mal, ganz plötzlich alles ganz anders ist, jede Selbstverständlichkeit einstürzt, das Leben den Atem anhält, die Gradlinigkeit verliert, zu taumeln, zu straucheln beginnt. Nur ein Anruf, ein Satz, eine Feststellung, eine Meldung und Uhren ticken nicht mehr, viel schneller oder unerträglich langsam.

Du bist Arzt, warst in deinem Beruf immer wieder Zeuge solcher Momente. Mich bewegt dieses Buch ungemein, weil Urs Faes nur von den Spiegelungen des Erzählers schreibt. Seine Partnerin Ina, die beim Freitauchen schwer verunglückte und im Spital liegt, bleibt auf Distanz, so wie sie für den Erzähler abgetaucht ist und nie mehr aufzutauchen droht. Was Urs Faes sprachlich schafft, gelingt nur wenigen.

Ich bin gespannt auf Deine Leseeindrücke.

Liebgruss
Gallus

© Sandra Kottonau

Lieber Gallus

Du bist gespannt auf meine Leseeindrücke? Da ich deine Würdigung voll unterschreiben kann und sie nicht wiederholen will, hole ich etwas aus:

Markus Bundi
«Einer wie Lenz im Labyrinth», Telegramme, 2022, CHF ca. 19.90,
ISBN 978-3-907198-56-8

Bei einer deiner Hauslesungen erwarb ich das Buch «Einer wie Lenz im Labyrinth» von Martin Bundi, ein Essay über das Werk von Urs Faes. Nach «Untertags», meiner ersten Begegnung mit diesem Autor, tauchte ich mit Freude und Gewinn in dessen Kosmos ein und las vor kurzem angeregt durch diesen Essay auch den Erstling «Webfehler» aus dem Jahr 1983. Persönlich lernte ich Urs Faes in Gottlieben bei deiner Abschiedslesung von der Leitung des Thurgauer Literaturhauses kennen.

«Es geht nicht mit dem Menschen, wir sind eine Fehlkonstruktion……Es muss ein Webfehler sein, der nicht zu korrigieren ist, es sei denn, man zerstört das ganze Gewebe.» Dies ist gemäss Bundi Programm und Schicksal des Werks von Urs Faes zugleich. Ob dieser Webfehler, diese destruktive Kraft, innerlich wirkt wie im ersten Roman, ob sie bedrohlich von aussen kommt wie beispielsweise in «Sommer in Brandenburg» oder durch eine Katastrophe wie in «Sommerschatten», im Menschen kommt es durch Verstrickung, durch ein unerwartetes Ereignis, Schuld und Unvollkommenheit zu Krisen und Herausforderungen. Liebe spielt dabei als existentielle, versöhnende und heilsame Kraft in allen seinen Büchern eine tragende Rolle. 

 «Sommerschatten», das neueste Buch, beginnt mit «Vademecum», einer poetischen dreiseitigen Ouvertüre von packender Dichte und führt unmittelbar auf den Kreuzweg zum Kloster Ottilienberg im Elsass, den der Erzähler und Ina gegangen sind. Sofort nimmt der Autor uns mit (vademecum!) und wir verfolgen gespannt die Ereignisse. Ein Tauchunfall von Ina, der diese ins tiefe Koma stürzt, zwingt ihren Partner zu Fragen der Schuld und Fragen über ihr gemeinsames bisheriges Leben. «Nur im Erzählen kehrt das Leben zurück; nur dort ist auch das Verlorene wiederzufinden, die Zeit, die Liebe, wird wirklich und zu lesen für andere. Auch dein Leben ist das Leben des anderen, die eigene Geschichte ist immer auch die Geschichte des andern». Seinem alle Sinne ansprechenden Schreibstil treu bleibend und doch in neuer, anderer Färbung erscheinend, gelingt Urs Faes ein reifes Werk von grosser Ausstrahlung. Wie wir bei der Buch Vernissage erfahren durften, geht diese Wirkung auch von der liebenswürdigen Persönlichkeit des Autors aus, seiner sorgfältig gewählten Worte und Ausführungen. Er recherchiere immer genauestens und will einen stimmigen Wortklang erreichen:

«Die Geschichte aber, sie ist nicht zu Ende. Noch lange nicht. Hörst du? Erinnern und erzählen, erzählen und erinnern, wir schaukeln uns ein. Atme durch! Wir riechen den Duft der Pinien nach dem Regen und der Kräuter im Klostergarten, sehen die zitternden Bäume und hören das Seufzen im See.»

Dann habe ich mich also dem Erstling zugewendet. 1983 erschienen, ist «Webfehler» auch heute noch mit Gewinn zu lesen, eine Geschichte von zwei jungen Frauen auf der Suche nach einem neuen Leben. Auch hier geht Anne anhand von Erinnerungen dem Leben ihrer Freundin Bettina nach, die nach einem Nervenzusammenbruch in einer Psychiatrischen Klinik sich befindet. «Das Fremde im anderen annehmen, um das Fremde in sich selber zu akzeptieren. Welch andere Chance birgt eine Beziehung» . Das Bewusstsein vom Verstricktsein in Geschichten und die Kraft des Erinnerns und einer zuwendenden Beziehung spielen bereits hier eine wichtige Rolle. 

Mir wurde bewusst, dass ich mich als Hausarzt oft mit «Webfehlern» verschiedenster Art beschäftigt und versucht habe, mit den betroffenen Menschen gemeinsam eine individuelle Lösung zu finden. Makel, Ungenügen machen uns Menschen einerseits aus, andererseits fordern sie uns heraus, uns zu entwickeln, neue Wege zu gehen. So bin ich sehr dankbar, mit den Büchern aus der Feder von Urs Faes auf hohem literarischem Niveau dem Verstehen von Mensch-Sein näher zu kommen.

Herzlich

Bär

Urs Faes, 1947 geboren, lebt und arbeitet in Zürich. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Schweizerischen Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. Seine Romane «Paarbildung» und «Halt auf Verlangen» standen auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis.

Webseite des Autors

«Es ist nicht leicht, Mensch zu sein» über «Wiederholung» von Vigdis Hjorth, S. Fischer (19)

Lieber Bär

„Die Zeit heilt Wunden“, sagt man und versucht zu trösten, sehr oft sich selbst. Aber gibt es Heilung, oder ist das, was wir unter Heilung verstehen, das Akzeptieren einer Verwundung, eine bleibende Narbe, die einem immer wieder einmal in Erinnerung ruft, was da einmal geschah. Du bist Arzt und weisst viel besser als ich, was Verletzungen mit uns machen. Dass sich solche Wunden, solche Verletzungen, die sich vielleicht nur oberflächlich schliessen, Jahrzehnte später wieder aufbrechen können, manchmal gar über Generationen.

Die Erzählerin, Vigdis Hjorth lässt in ihren Romanen keinen Zweifel darüber, ob es nicht doch Fiktion sein könnte, zieht sich in eine einsame Hütte in Nordamerika zurück und muss feststellen, dass ausgerechnet in dieser selbst gewählten Einsamkeit, die ihr doch eigentlich Erholung schenken sollte, etwas aufbricht, was Jahrzehnte in der Seele unter Verschluss war. Etwas, was mit Sicherheit in jedes Stück Gegenwart miteinwirkte.

Was damals geschah, als sie sechzehn war und an einem Tag im November jenen Tiefpunkt erreichte, der die Beziehung zu ihren Eltern unwiderruflich zu einem Alp machte, musste in diesem Buch niedergeschrieben werden. Ein junges Mädchen spürt, dass es an einem Wendepunkt in ihrem Leben ist. Dort, wo das Eine, Entscheidende endlich geschehen und aus ihr eine Erwachsene, eine Eingeweihte machen soll. Sie spürt es, weil es in der Schule, überall dort, wo sie mit Gleichaltrigen zusammentrifft, wie das Tor zu einer anderen Welt über allem schimmert, eine Art Sternentor. Etwas, das aus ihr etwas Ganzes macht, das ihr zeigt, wie sich wirkliches Leben anfühlen soll.

Aber ihr Elternhaus, allen voran ihre Mutter, begegnet diesem Drängen, dieser Sehnsucht, dieser ganz natürlichen Regung mit maximaler Angst, mit Misstrauen, mit der Furcht, dass das, was da geschehen könnte, auf sie und ihre Familie einbrechen könnte. Eine Mutter, die wie ein Geier über das Leben ihrer Tochter wacht, die in jeder Regung den Untergang, das Verkommene, das Unwiederbringliche sieht. Zwischen Mutter und Tochter reisst ein unüberwindbarer Graben auf, ein Graben aus Lügen, Verdächtigungen und Angst.

Vigdis Hjorth «Wiederholung», S. Fischer, 2025, aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, 160 Seiten, CHF ca. 32.90, ISBN 978-3-10-397690-8

Dabei hat die junge Frau doch nur den einen Wunsch; jenes Geheimnis zu lüften, das in ihrer Welt, unter ihren Freundinnen, dann, wenn sie sich mit den Jungs aus dem Ort in irgend einer Wohnung treffen, Musik hören, tanzen, Bier trinken, rauchen und knutschen als wilder Drang ankündigt. Dieser eine Moment, wenn sie der eine Junge, der schon etwas älter als sie ist, an der Hand nimmt, in ein Zimmer im Obergeschoss führt und tut, wovon sie weiss, dass es der grosse Anfang sein muss, das, wofür sie in ihrem Tagebuch den einen freien Platz reserviert hat.

Verletzungen geschehen unweigerlich, auch in Familien, in der Erziehung. Etwas vom schlimmsten an solchen Verletzungen, ist das Schweigen darüber, das Zudecken, das So-tun-als-ob, die Unfähigkeit, über den eigenen Schatten zu springen. Vigdis Hjorth Roman ist keine leicht verdauliche Kost, obwohl sich das Buch scheinbar leicht lesen lässt. Das liegt an der Sprache der Autorin, dem Umstand, dass da eine Frau aus jahrzehntelanger Distanz erzählt und zu ordnen versucht. Denn was damals geschah, hat ihr offenbart, was Sprache auszulösen vermag.

Ich begegnete der Autorin bei einem Literaturfestival in Österreich, lernte sie erst im Vorfeld dieses Festivals als Autorin kennen. Eine überaus streitbare Autorin, die mit ihren Romanen in Norwegen grosse Wellen warf, nicht zuletzt darum, weil sie ihre Familie zu ihrer Bühne machte.

Wie ist es Dir bei der Lektüre ergangen?

Liebgruss
Gallus

***

Lieber Gallus

Dieses Buch, der Tipp von dir ist ein literarisches Meisterstück, existentiell, beklemmend und tiefbohrend. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die durch ein unausgesprochenes Geheimnis ihrer Familie gezwungen wird, alles allein schweigend zu tragen. Es geht um die Macht des Erinnerns und die Suche nach Wahrheit, darum, was Angst- und Schuldgefühle bewirken, wenn eine Aussprache nicht möglich ist.

Alles, was du vergessen willst, kehrt zu dir zurück, es sucht dich heim, so wahrhaftig, dass du das Gefühl hast, es noch einmal zu durchleben. Wiederholung ist der Ernst des Lebens.

Der sechzehnjährigen Frau gelingt es nur durch Alkohol, der ängstlichen Kontrolle ihrer Mutter kurz zu entkommen. Diese steht am Fenster, wenn sie heimkommt, sie will genau wissen, mit wem sie sich getroffen hat, ob geraucht oder Alkohol getrunken wurde. Dies übt so viel Druck aus, dass die Protagonistin zur «Bombe» wird, die genau das sucht, was die Eltern verhindern wollen. Eine Aussprache wird durch Angst- und Schuldgefühle verunmöglicht. Die Tochter kann ihr Tagebuch, das die Mutter eines Tages liest, nicht besprechen, beiderseits wird schweigend in Vermutungen gelebt, Hass entsteht. «Es ist nicht leicht, Mensch zu sein», wie der Vater geheimnisvoll ausspricht, nachdem er sich erstmals betrunken hat. Die Eltern haben ihrerseits eine Schuld, die nicht genau ausgesprochen wird, Missbrauch? 

Deshalb kam ich nicht auf die Idee, weder damals noch in den Jahren danach, Mutter Vorwürfe zu machen, weil sie mein Tagebuch gelesen hatte. Denn darum ging es nicht, nicht das war das Verbrechen, das Verbrechen war ein anderes, eines, mit dem keine von uns in Berührung kommen durfte, und ich war schon im Voraus schuldig. Ich verspürte starke Schuld.

Es gelingt Viridis Hjorth einzigartig, menschliches Verhalten atmosphärisch dicht und leidenschaftlich in Sprache umzusetzen. Spannend und tief berührend! Existentiell!

Ich wünsche diesem Buch viele Leserinnen und Leser.

Herzlich Bär

Vigdis Hjorth, 1959 in Oslo geboren, ist eine der meistrezipierten Gegenwartsautorinnen Norwegens. Sie ist vielfache Bestsellerautorin, wurde für ihr Werk unter anderem mit dem norwegischen Kritikerprisen und dem Bokhandlerprisen ausgezeichnet und war für den Literaturpreis des Nordischen Rates, den National Book Award sowie den International Booker Prize nominiert. 2023 erschien «Die Wahrheiten meiner Mutter», im Frühjahr 2024 der Roman «Ein falsches Wort». Nach Stationen in Kopenhagen, Bergen, in der Schweiz und in Frankreich lebt Vigdis Hjorth heute in Oslo.

Gabriele Haefs, geboren 1953, studierte Sprachwissenschaft in Bonn und Hamburg. Sie übersetzt aus dem Norwegischen, Dänischen, Schwedischen, Englischen, Niederländischen und Gälischen, u.a. Werke von Jostein Gaarder, Håkan Nesser und Anne Holt. 

Beitragsbild © Agnete Brun

«Jeder ist des andern Bedrohung.» Über Jonas Lüschers Roman «Verzauberte Vorbestimmung», Hanser (18)

Lieber Bär

Die Lektüre des neuen Romans von Jonas Lüscher entlässt mich mit sehr gemischten Gefühlen. So wie ich vieles im Roman nicht einordnen kann, so kann ich nicht einmal den Titel „Verzauberte Vorbestimmung“ einordnen. Aber vielleicht ist genau das Prinzip „Einordnungsversuch“ der Schlüssel zu Jonas Lüschers Roman. 

Jonas Lüscher schrammte während der Covid-Pandemie knapp am Tod vorbei. Er ist ein Gezeichneter. Ich begegnete ihm nach seiner Krankkeit in Leukerbad am dortigen Literaturfestival, wo er Auszüge aus einem Manuskript las. Als wir uns auf der Strasse begegneten, miteinander sprachen, traf ich einen ganz anderen Jonas Lüscher wie vor der Pandemie; verletzlich, dünnhäutig, vorsichtig. Damals auf der Intensivstation stand eine ganze Batterie von Maschinen um das Bett des Schriftstellers, der währnd bestimmter Phasen schon glaubte, in den Prozess des Sterbens übergegangen zu sein. Das beschreibt Jonas Lüscher in seinem Roman, wenn auch erstaunlich zurückhaltend. Er war ganz und gar abhängig von Maschinen, die lebenswichtige Körperfunktionen übernahmen. Es muss eine ganz eigene Erfahrung sein, dass man sein physisches Dasein Geräten übergeben muss, dass man in Phasen maximaler Empfindsamkeit zu einem eigentlichen „Cyborg“ wird, unfreiwillig.

„Verzauberte Vorbestimmung“ ist  ein Konglomerat aus verschiedensten Handlungssträngen und Personen, Handlungssträngen, die sich überschneiden und solchen, die sich wieder verlieren. Personen, die über Dutzende von Seiten zentral erscheinen, dann aber nie mehr auftauchen. Einzige Konstanten in dem Buch sind der suchende Erzähler und der Schriftsteller, Dramatiker, Maler und Filmemacher Peter Weiss, der sich mit seinem Spätwerk „Die Ästhetik des Widerstands“ ein literarisches Denkmal setzte. Eine Figur in Lüschers Roman, die in ganz unterschiedlichen Zuständen und Erzählebenen auftaucht. Wie Lüscher selbst ein ewig Suchender, seine Kunst ein einziger Versuch des Einordnens. Eine andere Konstante in Lüschers Roman ist die Auseinandersetzung mit Technik, mit Maschinen, sei das die Maschinerie der modernen Kriegsführung, jene der Industrialisierung, der Medizin bis in die Architektur des Grossenwahns, wenn der Erzähler im Ägypten der Zukunft zwischen der perfekten Retorte und dem Realen, Vergessenen pendelt.

New Adminstrative Capital mitten in der Wüste © Jonas Lüscher

Das Buch beginnt mit Knall und Rauch. Ich erinnere mich an einen Kinobesuch zusammen mit meiner Frau vor vielen Jahren. Ich überredete sie zum Film „Der mit dem Wolf tanzt“, ein Streifen, der mit einem minutenlangen Schlachtgemetzel beginnt. Ich musste meine Frau während Minuten trösten, zurückhalten, beschwichtigen und besänftigen, damit die dem Kino nicht entfloh.  Genauso ging es ihr mit «Verzauberte Vorbestimmung» (Übrigens ein Titel, der angesichts des Romananfangs arg strapaziert!). Jonas Lüscher beschreibt die Erlebnisse eines algerischen Soldaten während des ersten Weltkriegs in den Schützengräben gegen die Deutschen. Den ersten strategischen Giftgasangriff, das Herannahen eine beinah fluoreszierenden Wolke, in der alles grausam erstickt, Menschen mit schrecklich verzerrten Fratzen tot zusammenbrechen. Eine apokalyptische Szenerie, die eigenartig fesselt und ebenso abschreckt. Aber wer sich an die Fersen dieses algerischen Soldaten heftet, verliert ihn wieder, obwohl er Jahre später in Paris zum Postboten geworden ist. Ein Erzählstrang, der wie viele andere aus dem Meer der Möglichkeiten auftaucht und wieder versinkt. So wie die Geschichte eines anderen Postboten, des Franzosen Joseph Ferdinand Cheval, der zwischen 1879 und 1922 an seinem „Palais idéal“ baute, aus gesammelten Steinen, auf einem Grundstück weitab, einem Monument, das Künstler wie Max Ernst und Pablo Picasso faszinierte und bis heute viele Touristen lockt. Oder sie Geschichte von Ned Ludd im tschechischen Varnsdorf, einem Ort der aufblühenden Textilindustrie. Ein Aufstand der Arbeiter, einer Frauenrevolte, einem Fabrikgrossbrand. Eine Geschichte, die Lüscher in ganz eigener Sprache, beinah märchenhaft erzählt. Eine Geschichte, bei der es aber weder um das Personal noch um die Geschichte selbst geht.

„Verzauberte Vorbestimmung“ ist eine literarische Auseinandersetzung. Sprachgewandt, plottabgewandt. Lüscher will weder unterhalten noch betäuben. Er nimmt mich mit in seine Odyssee, in ein Labyrinth, von dem nicht einmal er selbst das Ziel, die Mitte gefunden hat. Ein literarischer Stoffknäuel mit vielen Anfängen und Enden, ein Flickenteppich aus Fragmenten, Zuständen und Erzählebenen, der von mir alles abfordert, viel mehr, als ich bei fast allen Autorinnen und Autoren zulassen würde. Jonas Lüscher schreibt mit der Membran eines Überempfindlichen, eines Hochsensiblen, eines Verwundeten, Gezeichneten. 

Ich tat mich schwer mit der Lektüre, obwohl es immer wieder lange Passagen der Beglückung gab, nicht zuletzt dank seiner Sprachkunst. Ich werde Zeuge dieser Hypersensibilität. Und wenn ich die Lektüre zu einer solchen Zeugenschaft machen kann, dann lese ich mit grösstem Interesse und unsäglichem Staunen.

***

Lieber Gallus

Ich habe bisher keinen Roman von Jonas Lüscher gelesen, aber schätze seine klugen Gespräche über unsere Gesellschaft und deren Zukunft in verschiedenen Medien.  So interessierte ich mich sehr für seinen neuen Roman. Wegen einer vernichtenden Kritik in einer Innerschweizer Zeitung vor der ersten Lesung in der Schweiz war ich verunsichert, ob ich dieses Werk lesen soll, habe dann aber das Buch trotzdem gekauft. Wie reich wurde ich belohnt! Hilfreich war die Lektüre seiner Poetik-Vorlesungen von 2019 «In die Erzählung flüchten», wo das «Oszillieren zwischen mathematisch messbarer Wissenschaft und erzählender Literatur, zwischen Aufklärung und Romantik» ausführlich besprochen wird. 

Obwohl die Lektüre von «Verzauberte Vorbestimmung» anspruchsvoll ist, habe ich das Buch mit Interesse und Gewinn gelesen. Dass sich vieles nicht einordnen lässt, gefällt mir als Ausdruck der Herausforderungen und Ambivalenz des Menschen im Umgang mit Maschinen. Das in fünf Teile gegliederte Werk zeigt mehrere Erzählstränge, die abbrechen, wieder auftauchen und inkonstant durch die verschiedenen Abschnitte führen. Auch die Zeitebenen wechseln oft ohne Übergang, beginnen im Ersten Weltkrieg und enden in der Nach-Putin Ära. Die Auswirkungen der Macht der Technik und des Geldes auf die Menschen bestimmen in vielfältiger Weise den Text. Zum Beispiel die Veränderung des Ertrags der Arbeit an neuen Webstühlen in der Fabrik im Vergleich zu der an der Heimarbeit:
Sein Staunen über die Zahlen, die sich da untereinander reihten, Beträge, die ihm vor kurzem noch fantastisch erschienen waren, fand kein Ende. Es war ihm, als täten sich ganz neue Möglichkeiten, eine Ahnung eines anderen Lebens, vor ihm auf, und mit diesem weiten Horizont, der aber bei genauerer Betrachtung nur aus dem Wort «mehr» bestand, einem Begriff, den er nicht in der Lage war, mit konkreten Vorstellungen zu füllen, kam die Gier in sein Leben.

Mehrere Kapitel werden durch Peter Weiss, Maler, Autor, Filmer, der als Alter Ego auftritt, miteinander vernetzt. Sein frühes Gemälde «Die Maschinen greifen die Menschen an» stellt bildhaft die Ambivalenz des Verhältnisses Mensch- Maschine dar. Mit Peter Weiss besuchen wir auch den «Palais Idéal» vom Briefträger Cheval in Hauterives und die Weber im tschechischen Varnsdorf.

Hauterives © Jonas Lüscher

In den letzten zwei Kapiteln befinden wir uns im futuristischen Ägypten mit Cyborgs, Mensch-Maschinen, und Androiden, umgeben vom grössenwahnsinnigen architektonischen Gebilde New Kairo, herausgestampft aus der Wüste, absurd und eklektisch mit einem geplanten 1000 Meter hohen Wohn-Obelisken. Vor einem Jahr war ich in Ägypten auf den Spuren der Pharaonen und deren Grabstätten, 4000 Jahre alt und noch in besten Farben leuchtend, daneben Kairo und Alessandria als verkommene Moloche voll Lärm, Armut und Müll neben hochglanzpolierten Inseln für die Touristen. Aus dem Flugzeug konnte ich damals einen Blick auf die New Administrative Capital werfen. Mich beschäftigten und belasteten diese Gegensätze sehr. Literarisch drückt Jonas Lüscher dies so aus:

Für einen Moment war ich in der Lage gewesen, die pittoreske und exotische Seite dieser mir fremden Landschaft und dieser mir fremden Menschen mit ihren mir fremden Leben zu sehen, aber bald war es nur noch die Armut, manchmal sogar die schiere Not, die sich mir aufdrängte, und die neue Stadt in der Wüste, durch die ich mich noch keine vierundzwanzig Stunden zuvor hatte fahren lassen, erschien mir grotesk weit weg, und doch war es dasselbe Land, unbegreiflicher noch, dieselbe Regierung, die für beides verantwortlich war, und so unbegreiflich mir dies in jenem Moment schien, so einfach zu verstehen war der ökonomische Mechanismus, der die beiden Realitäten miteinander verband, die sechzig Milliarden, die sich der Feldmarschall aus China  und den Golfstaaten geliehen hatte, um seinen Traum zu bauen, und der sinkende Wert des ägyptischen Pfunds, der das Elend der Menschen, die ich vor dem Fenster an mir vorbeiziehen sah, Tag für Tag vergrösserte und ein Entrinnen unwahrscheinlicher machte.

Das zentrale Thema, das Überleben seiner schweren Covid Erkrankung im wochenlangem Koma auf der Intensivstation dank neuester Technik kommt, nach kurzem Anklingen am Anfang des Buches, erst im letzten Teil zur Sprache: Ein «Gespräch» zwischen einem Taxifahrer ohne Englischkenntnisse und dem Protagonisten ohne Arabischkenntnisse mittels Google-Translater führt zum Nachdenken über die Technik-Skepsis des Autors, der als wahrer Cyborg seine Covid Erkrankung nur dank der Herz-Lungen-Maschine überleben konnte. Diese Erfahrung prägte sich tief ein, Personen die im Koma wie in einem Traum vorhanden waren, werden nach dem Aufwachen wie Verstorbene vermisst. 

Dieser in seiner Struktur und in seiner Sprache einzigartige Roman umfasst die Zeitspanne von 1914 bis in die Zukunft, wo Cyborgs, also Mensch-Maschinen, ans Weltwissen angeschlossen sind. Die Beziehung von Menschen und Maschinen, deren grossartige Möglichkeiten, aber auch deren potenzielle Gefahren, zieht als roter Faden durch dieses Buch. Es endet mit hoffnungsvollem Ausblick.

Die Anregungen und die Auseinandersetzung mit diesem Buch werden mich noch lange begleiten. Ich wünsche ihm viele aufmerksame Leser!

Herzlich 

Bär

Jonas Lüscher wurde 1976 in der Schweiz geboren, er lebt in München. Seine Novelle Frühling der Barbaren war ein Bestseller, stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis und war nominiert für den Schweizer Buchpreis. Lüschers Roman «Kraft» gewann den Schweizer Buchpreis. Jonas Lüscher erhielt ausserdem u.a. den Hans-Fallada-Preis, den Prix Franz Hessel und den Max Frisch-Preis der Stadt Zürich. Seine Bücher sind in über zwanzig Sprachen übersetzt.

Herzlichen Dank an Jonas Lüscher für die Recherchefotos.

 

Beitragsbild © Hassiepen

«Der Tod mein Freund? Er ist die Entfernung, die wir zum Leben brauchen» Husch Josten «Die Gleichzeitigkeit der Dinge», Berlin (17)

Lieber Bär

„Die Gleichzeitigkeit der Dinge“ – ein ungeheures Stück Literatur. Ein seltsamer Roman, bei dem die Autorin alles tut, was Literatur kann und gleichzeitig alles wagt, woran man scheitern könnte. Husch Josten erzählt, fabuliert, meditiert, philosophiert, bohrt und denkt nach. Sie erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, von Sourie, der sich vom Sterben und Tod faszinieren lässt ohne todessehnsüchtig zu sein. Von der Liebe zu einer älteren Frau, die nicht nur mit dem Sterben zu kämpfen hat, sondern sich im Schweif ihres viel jüngeren Geliebten fotografisch mit den letzten Bildern des Lebens beschäftigt, die Gesichter jener fotografiert, bei denen sich die Geschichten in den Falten eingegraben, die sich von den Anfängen verabschiedet haben. Von der Freundschaft zu einem Mann, der eine Gastwirtschaft führt, in der Sourie und Tessa Stammgäste werden.

Husch Josten wagt alles, weil sie sich in ein Thema schreibt, dem die meisten Menschen ein Leben lang geflissentlich aus dem Weg gehen und sich nur dann damit beschäftigen, wenn sie durch Umstände dazu gezwungen werden, durch einen Unfall, Krankheit, durch scheinbares Unglück, die Unwiederbringlichkeit der Endgültigkeit. Ich selbst habe die ersten fünfzig Jahre meines Lebens so getan, als gäbe es meine Endlichkeit nicht, als wäre ich unsterblich, wäre Lebenszeit ein Kontinuum. Selbst als vor 25 Jahren mein Vater starb, damals war er jünger als ich jetzt, war es sein Tod. Noch Monate später sah ich im Blick auf einen Männerrücken in der Strassenbahn meinen Vater, hätte mich nicht gewundert, wenn er seine Hand auf meine Schulter gelegt hätte. Heute bin ich ein alter Mann, zumindest aus der Sicht meiner Enkel. Eben Grossvater. Ich lebe noch immer, als wäre ein nächster Morgen logische Konsequenz, absolute Selbstverständlichkeit. Und wenn mich in langen Nächten dann doch einmal ein kalter Atem anhaucht, dann packt mich Panik. Wir hätten ein Leben lang Zeit, uns mit dem letzten grossen Abenteuer anzufreunden, oder zumindest jene letzte Reise nicht einfach auszusperren. 

Husch Josten beschäftigt sich einen Roman lang mit Sterben und Tod mit einer Unmittelbarheit, die schaudern lässt. Der Sog ihres Erzählens zieht mich nicht in die Tiefe, auch nicht hin zu sentimentaler Trauer, sondern rüttelt mich auf, weckt mich zumindest einen Roman lang, aber wahrscheinlich, wie in diesem Brief sichtbar, noch lange darüber hinaus. 

Husch Josten «Die Gleichzeitigkeit der Dinge*, Berlin, 2024, 224 Seiten, CHF ca. 32.90, ISBN 978-3-8270-1513-6

Ich hatte das grosse Bedürfnis, diesen Roman langsam, stückweise zu lesen, in kleinen Portionen, nicht nur, weil ich den Genuss des Mäanderns so lange wie möglich geniessen wollte, sondern weil mich ihre Sprache betörte, die Intensität der Bilder und Situationen, der Dialoge und Gedanken.

Du warst ein Leben lang Arzt und bist mit Sterben und Tod viel intensiver in Kontakt gekommen als ich. Was du mir nur an jenem einen Abend am Kamin erzählt hast, hat mich nicht wegen der Thematik erschüttert, sondern weil mir bewusst wurde, wie gut ausgerichtet meine Scheuklappen sind. Wie ging es Dir bei der Lektüre dieses Romans?

Ich freue mich auf Deine Gedanken.

Liebgruss

Gallus

***

Lieber Gallus

Durch Mitmachen in einem neuen Lesezirkel kam ich zum Buch «Die Gleichzeitigkeit der Dinge» von Husch Josten. Zuerst dachte ich: Was für ein komischer Name, noch nie gehört! Nun bin ich froh, diese Autorin kennengelernt zu haben. Ein Werk, das mich als pensionierten Hausarzt sofort packt und beschäftigt. Klug, anregend und spannend zu lesen ist das Zusammentreffen der drei Hauptprotagonisten Sourie, Tessa und Jean gestaltet. Der Student Sourie arbeitet als Pförtner in einem Pflegeheim, wo die Fotografin Tessa nach dem Tod ihres Vaters das Zimmer räumen muss. So lernen sie sich kennen und treffen sich bei Jean im Restaurant Tobelmann. Jean hat sein Literaturstudium aufgegeben, den elterlichen Betrieb übernommen und wurde von seiner Partnerin Sanya verlassen. 

Sourie freute sich auf den Tod. Der erste Satz dieses Buches führt direkt zur Auseinandersetzung um Leben und Sterben. Sourie weiter: «Um den Tod erklären zu können, muss man sterben. Ich glaube, dass wir Verstorbene vor allem deswegen ehren, weil sie uns diesen Schritt voraus sind: Sie wissen`s jetzt und können es uns nicht mehr erzählen.» «Wir ehren sie für ihr Leben», korrigierte Tessa entschieden. «Für ihr Dasein. Ihr Vermächtnis. Nicht für ihren transzendentalen Vorsprung.»

Sourie hat bei einem Attentat überlebt, wo sein Freund erschossen wurde. Er muss sein Leben neugestalten. Tessa ihrerseits hat in kurzer Zeit die Eltern verloren und trauert. Trauer ist nicht rational. Sie besteht aus vielen Gedanken und Gefühlen. 

Der Tod spielt eine wichtige Rolle, aber es geht eigentlich um das Leben. Wie ein Mitbewohner des Pflegeheims sagt: «Es gibt ja grundsätzlich zwei Philosophien zur Frage des Alters. Die eine lautet: Alles zu regeln, in Ordnung und zu Papier zu bringen, wie es so schön heisst, und dann beruhigt und entspannt abzuwarten, was noch kommt. Die andere: den Tod nach Kräften ignorieren, immer neue Pläne machen, und bloss nichts regeln, da sowieso alles anders kommen wird, als man denkt.» 

Die Liebe zwischen dem jungen Sourie und der fast dreissig Jahre älteren verheirateten Tessa und Jean’s Reaktion, als Sanya mit ihrem Kind plötzlich vor der Türe steht und zurückkehren will, zeigen uns, was möglich wird, wenn Konventionen und Erwartungen in den Hintergrund treten. Es gibt keine allgemeingültige Richtigkeit. Wir geben den Dingen einen Sinn, wenn und weil wir es wollen, aber an sich haben sie keinen. Was dazu geführt hat, dass Sourie so über das Leben und den Tod denkt, erfahren wir erst gegen Ende des Romans.

Ein Buch, das auf literarisch meisterhafte Weise zum Nachdenken anregt. Es ist eine Lektüre, die uns auch am Ende unserer Tage ermuntert, Neues noch zu planen.

Mit herzlichem Gruss

Bär

© Judith Wagner

Husch Josten, geboren 1969, studierte Geschichte und Staatsrecht in Köln und Paris. Sie volontierte und arbeitete als Journalistin in beiden Städten, bis sie Mitte der 2000er-Jahre nach London zog, wo sie als Autorin für Tageszeitungen und Magazine tätig war. 2011 debütierte sie mit dem Roman «In Sachen Joseph», der für den aspekte-Literaturpreis nominiert wurde. 2019 wurde ihr der renommierte Literaturpreis der Konrad Adenauer Stiftung verliehen. Husch Josten lebt heute wieder in Köln. 

„Hier sind Drachen“, Rezension

Sind wir nicht alle zusammen, wir Menschen auf diesem einsamen, verlorenen Planeten, Geschwister? – Robert Walser „Geschwister Tanner“ (16)

Die ganze Erde schien zu duften und still zu liegen wie ein schlafendes Mädchen. Das grosse dunkle Rund des nächtlichen Himmels breitete sich über alle Augen aus, über die Berge und die Lichter. Der See hatte etwas Raumloses bekommen und der Himmel etwas den See Umspannendes, Einschliessendes und Überwölbendes.

Lieber Bär

Ich weiss, Du liest „Geschwister Tanner“ von Robert Walser. Keine Ahnung, ob zum ersten oder zum wiederholten Mal.

Grab Carl Seelig auf dem Friedhof Sihlfeld, Zürich

Robert Walser zählt heute zu den wichtigsten, deutschsprachigen Autoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, obwohl es schon zu Lebzeiten in absolute Vergessenheit geriet und nur Dank der Anstrengungen des Publizisten Carl Seelig zurück ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geriet. Ein grosses Glück, denn selbst Franz Kafka schätzte den stillen Dichter.

Heute ist Robert Walser ein Stück Schweizer Kulturgut. Seit 1973 kümmert sich das Robert-Walser-Zentrum um den Nachlass, die Forschung, Ausstellungen und Editionen zum Werk des Dichters. Kaum zu glauben, dass er in seinen letzten Jahren entmündigt und fast ohne jegliche Kontakte sein Leben in einer Nervenheilanstalt fristete. Selbst Carl Seelig musste sich das Vertrauen des Stillgewordenen verdienen. 

Das langsame Verschwinden Robert Walsers begann schon lange vor seinem Tod am Weihnachtstag 1956. Nach seiner letzten Veröffentlichung in Buchform («Die Rose») 1925 schreibt Robert Walser nur noch kürzere Prosastücke für Zeitungen und seine mittlerweile berühmt gewordenen Mikrogramme mit Bleistift. Texte, die erst Jahrzehnte nach Walsers Tod von den Publizisten Bernd Echte und Werner Morlang detektivisch entziffert und zum grössten Teil auch veröffentlicht wurden. 

Parallel zur Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, jenem Land, in dem seine Bücher Beachtung und eine kleine, aber nicht unbedeutende Leserschaft fanden, verschlechterte sich der psychische Zustand Robert Walsers. Irgendwann so sehr, dass sich seine Schwester Lisa, zu der Robert grosses Vertrauen hatte, gezwungen sah, ihren Bruder zum Psychiater zu bringen. 1929 tritt Walser in die Klinik Waldau unweit von Bern ein. Diagnose Schizophrenie. Und nachdem man ihn vier Jahre später gegen seinen Willen in die Heil- und Pflegeanstalt Herisau verlegte, gab es sein Schreiben vollständig auf, kapselte sich mehr und mehr ein. Ein Rückzug, der schon mit der geringen Resonanz seiner Bucher zwei Jahrzehnte zuvor begonnen hatte.

Warum Robert Walser lesen? Weil die Stimme, der Walser-Kosmos ganz eigen ist. Weil sich Robert Walser Zeit seines Lebens nie vereinnahmen liess. Weil Robert Walsers Stimme etwas Rebellisches hatte, ohne aufbegehren zu wollen. Weil er sich ganz gegen das stemmte, wonach heute eine ganze Generation lechzt; Aufmerksamkeit, Scheinwerferlicht. Weil Robert Walsers Stimme trotz seiner Einsamkeit eine nach Aussen gewandte, eine naturnahe, elementare, äusserst sinnliche war und man auch heute bei der Lektüre von der Musikalität und Intensität der Sprache ergriffen ist, einem Erzählen, das vollkommen plotabgewandt ist.

Robert Walser «Geschwister Tanner», erste Seite der Handschrift. Das 192 Seiten umfassende Manuskript zeigt über weite Strecken keinerlei Korrekturen. Für sie Makellosigkeit seiner Manuskripte war Walser, der einstige Commis, schon früh berühmt.

Heute ist man sich sicher, dass Robert Walser noch weit mehr geschrieben haben muss, weit über das, was im Nachlass des Dichters verfügbar geblieben ist. Aber weil Robert Walser sehr oft seinen Wohnort wechselte und man bei Hinterlassenschaften des immer schrulliger werdenden Mannes nichts von seiner Bedeutung ahnen konnte, gingen mit Sicherheit etliche Manuskripte verloren. Auch deshalb, weil Robert Walser selbst kein Interesse zu haben schien, sein eigenes Schreiben in irgend einer Weise zu dokumentieren.

Umso bedeutender ist die Tatsache, dass sich sowohl das Robert Walser Zentrum wie der Suhrkamp Verlag darum bemühen, das Werk des Dichters zugänglich und kommentiert zu erhalten.

Nachdem sein erstes Prosawerk «Fritz Kochers Aufsätze» ein grosser wirtschaftlicher Misserfolg war und nur ganz wenige Bücher verkauft wurden schreibt Walser seinen zweiten Roman «Geschwister Tanner» in Berlin in der Obhut seines Bruders Karl in wenigen Monaten, ein Roman, der selbst bei seinem Lektor Christian Morgenstern gemischte Gefühle hervorrief. Wenn ich „Geschwister Tanner“ lese, in die Welt des „Taugenichts“ Simon trete, mit ihm all die Wirrungen und Begegnungen mitmache, die das Leben eines Menschen ausmacht, der sich ganz dem Jetzt zuwendet, der sich nicht um Kariere, Sicherheit und Besitz kümmert, und das derart unbekümmert erzählt, dann wird aus der Lektüre beinahe Meditation. 

Ich bin gespannt, was Dir bei der Begegnung mit dem walser’schen Kosmos durch den Kopf geht. Sei freundschaftlich gegrüsst.

Gallus

***

Lieber Gallus

Die «Geschwister Tanner» sind ein Märchen, und sie sind für mich das erstaunlichste Märchen, das je geschrieben wurde, weil es kein anderes gibt, das so nahe an der Realität spielt. Peter Bichsel

Der Walser`sche Kosmos in diesem Buch beglückt, bedrückt, begeistert, berührt, belehrt und bereichert mich auf rätselhafte Weise. Einzigartige Naturschilderungen von unglaublicher Schönheit umhüllen in poetischen Worten geschilderte menschliche Abgründe und Sorgen. Wie Peter Bichsel in meiner Ausgabe anmerkt, ist es ein Märchen sehr nahe an der biografischen Realität, ein Text in einer einzigartigen Sprache, der sich kaum einer Analyse unterziehen lässt. Ich habe das Buch mit Genuss (zum zweiten Mal nach fast zwanzig Jahren) gelesen und finde, es hat eine unfassbare Ausstrahlung.

Es gibt keine echten Dialoge zwischen den Geschwistern, für mich beleuchten ihre Aussagen verschiedene Seiten des Protagonisten Simon (=Robert Walser) aus ihrer Perspektive, geschrieben alle im Walser`schen Stil. Aus Sätzen, die Alltägliches beschreiben, leuchten plötzlich Weisheiten und philosophische Gedanken auf. Was denkt Robert Walser wirklich, was will er uns sagen? Leidet er? Liebt er? Kämpft er? Es bleibt auf wunderbare Weise offen. Mir gefällt dieses Meditative und Mystische sehr, voller Naivität und Unbekümmertheit. 

Es lohnt sich, langsam und nicht zu viel auf einmal zu lesen. Wie Werner Hegglin («Menschsein ist schon ein Beruf») mir einmal sagte: «Walser ist konzentriert in homöopathischen Dosen zu geniessen.»

Hier ein paar eindrückliche Mosaiksteinchen aus diesem Buch:

Sie haben mich enttäuscht, machen Sie nur nicht ein so verwundertes Gesicht, es lässt sich nicht ändern, ich trete heute aus ihrem Geschäft wieder aus und bitte Sie, mir meinen Lohn auszubezahlen.

Das Rechnervolk: Sie hatten alle langen Nasen von dem vielen Rechnen und gingen in zersessenen, zerschabten, zerglätteten, zerfalteten und zerknickten Kleidern.

Gott ist das Nachgiebigste, was es im Weltraum gibt. Er besteht auf nichts, will nichts, bedarf nichts. 

Ich bin demütig, nicht geknickt, nicht etwa gebrochen, aber voll flammender, bittender, flehender Demut. Ich will mit Demut gut machen, was ich mit Liebe verbrochen habe.

Wie kann ich länger zusehen, dass ich mich zu einem solchen Leben verdamme, das nur Achtung einbringt und nur Achtung von anderen, die einen immer so haben wollen, wie es ihnen am besten passt.

Simon hatte den Sommer noch nie so sehr als Wunder empfunden, wie dieses Jahr, wo er vielfach auf der Strasse arbeitssuchend lebte. Es kam nichts dabei heraus, trotz den Bemühungen, aber es war wenigstens schön.

Wahrlich ein Kosmos von grosser literarischer und menschlicher Qualität. Unfassbar, aber beglückend! Walser lesen entschleunigt und wirkt lange nach. 

Das Einfachste von der Welt: Alle mit Freundlichkeit zu behandeln! Sind wir nicht alle zusammen, wir Menschen auf diesem einsamen, verlorenen Planeten, Geschwister?

Mit diesem Satz Robert Walser’s wünsche ich dir und uns allen ein angenehmes friedliches 2025.

Herzlich

Bär

Robert Walser wurde 1878 in Biel, Schweiz, geboren. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine Banklehre und arbeitete als Commis in verschiedenen Banken und Versicherungen in Zürich. Seine ersten Gedichte, die 1898 erschienen, liessen ihn rasch zu einem Geheimtip werden und verschafften ihm den Zugang zu literarischen Kreisen. Nach Erscheinen seines ersten Buches «Fritz Kochers Aufsätze» im Insel-Verlag folgte er 1905 seinem Bruder Karl nach Berlin, der dort als Maler und Bühnenbildner den Durchbruch erzielt hatte. In rascher Folge publizierte Walser nun seine drei Romane «Geschwister Tanner», «Der Gehilfe» und «Jakob von Gunten». Infolge einer psychischen Krise geriet Walser Anfang 1929 gegen seinen Willen in die Psychiatrie, deren Rahmen er nie mehr verlassen konnte. 1933 von der Berner Klinik Waldau nach Herisau verlegt, gab er das Schreiben vollständig auf und lebte dort noch 24 Jahre als vergessener anonymer Patient. Robert Walser starb 1956 auf einem Spaziergang im Schnee.

Perikles Monioudis «Robert Walser», Deutscher Kunstverlag, Rezension

Das Robert-Walser-Zentrum