Thomas Kunst im Literaturhaus Thurgau: „Es war ein Fest bei euch!“

„Um aus Zandschow herauszukommen, bleibt er in Zandschow“, steht im Roman „Zandschower Klinken“ von Thomas Kunst, einem Roman, der auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises für Furore sorgte und selbst auf dieser Liste von gewissen KritikerInnen nicht ernst genommen werden wollte.

Man kann diesen Satz vielfältig verstehen. Vielleicht auch in den verschiedensten Lesarten eines Buches, in den vielfältigen Möglichkeiten mit Sprache Leben zu gestalten. Wer nur das eine sieht, wem von vorneweg klar ist, wie Literatur sein muss, wer sich in fixen Kategorien bewegt, wer eine Geschichte erzählt haben will mit klarem Schnittmuster und einem kunstvollen Plott, der ist mit Thomas Kunsts Prosa schlecht bedient. Da schreibt einer fernab von allen Paradigmen, denen sich der Literaturbetrieb im Gravitationsfeld der verschiedensten Interessen angepasst hat.

Thomas Kunst macht in einem Interview sehr deutlich, was er mit seinem Schreiben will und nicht will: „Mich interessiert keine Linarität, keine Nacherzählbarkeit. Mein Erzählen ist ein chaotischer Klumpen aus Einzeleinfällen, die ich irgendwie zusammenfüge.“ Was aus diesem angekündigten Chaos entsteht, ist aber alles andere als ein wirrer Haufen Sätze. Thomas Kunst lässt sich treiben, sowohl im Geschehen, wie in seiner Sprache. Sein Roman mäandert zwischen den verschiedensten Erzählweisen; manchmal wie ein Bericht, ein Brief, ein Gebet, ein Gedicht, eine Stimmung. Er mäandert auch in seinen Perspektiven, mal ganz nahe, mal von weit weg. Thomas Kunst liebt seine Figuren, die Gegend, die Sonderlinge, die Gestrandeten, die Erfolglosen, Gescheiterten, Aufrechtgebiebenen. Thomas Kunst erklärt nicht die Welt, schon gar nicht das idealisierte, verklärte Landleben, das in Magazinen bis zur Unkenntlichkeit entfremdet wird.

„Zu Beginn eines jeden Buches ist Wut und Zorn“, erklärt Thomas Kunst an der Lesung im Literaturhaus Thurgau. Eine Energie, eine Kraft, die der Autor in ausufernde Kreativität verwandeln kann. Das verlangt von mir als Leser einiges ab. „Ich habe grosse Lust, LeserInnen zur Weissglut zu bringen“, sagt Thomas Kunst in einem Interview. Seine Sprachkunst flötet nicht mit leisen Tönen, will mich nicht verzücken, schmeichelt mir nicht, schon gar nicht meinen eintrainierten Lesegewohnheiten, obwohl Thomas Kunsts Roman durchaus moralische Kraft hat, wenn er sich selbst ganz dezidiert als „politischer Autor“ bezeichnet. In “Zandschower Klinken“ steckt viel Kritik, viel Gesellschaftskritik, auch viel DDR, ohne dass der Roman ein Wenderoman oder ein DDR-Roman wäre. „Zandschower Klinken“ ist vielleicht eine Art Gegenentwurf zu all den „Dorfromanen“, die in der aktuellen Literaturszene Hochkonjunktur haben.

„Zandschower Klinken“ strotzt vor Potenz. Wer sich auf Kunst einlässt, wird belohnt, auch wenn einem der Autor nicht brav an der Hand nimmt.

Rezension von «Zandschower Klinken» auf literaturblatt.ch

Beitragsbilder © Sandra Kottonau / Literaturhaus Thurgau