Am 3. Juli 2016 ist Markus Werner 71 jährig in Schaffhausen gestorben. Ein Grosser in der deutschsprachigen Literatur, ein Stiller in der Literaturszene, mit jedem Buch mehr zum Schwergewicht unter den Schweizer Autoren. Grund genug, sein letztes Buch, sein hintergründigstes Buch wiederzulesen.
Der junge Scheidungsanwalt Clarin reist mit der Absicht ins Tessin, dort in seiner Ferienwohnung die Ruhe zu finden, eine Arbeit für ein Fachmagazin zu schreiben. Ein beschauliches Pfingstwochenende. Am ersten Abend setzt er sich im nahen Hitel zu einem älteren Mann an den Tisch auf der Terrasse. Was sich zwischen Clarin und dem Fremden, der sich als Thomas Loos vorstellt, anbahnt, entwickelt schnell ungeheure Intensität und Dynamik. Auch auf Clarins Seite, der sich vor einem Jahr genau in diesem Hotel von seiner damaligen Freundin Valérie trennte. Eine endgültige Trennung. Auch Loos ist der Getrennte, der Verlassene, der Nachtrauernde. Und Loos erzählt, bestimmt die Richtung, selbst die Tiefe des Gesprächs. Sobald Clarin die Initiative ergeift, steckt Loos die Grenzen. Was als Männergespräch beginnt, wird schon am ersten Abend direkt und greift tief unter die Oberfläche. Loos ist ein Verletzter, ebenfalls von seiner Frau verlassener Mann, aber ganz offensichtlich in ganz anderer Intensität als der jüngere Clarin, der sich gerne von Frauen distanziert, wenn diese ein übermässiges Bedürfnis nach Nähe entwickeln. Das Gespräch bohrt sich in die Tiefe. Was auf den ersten Seiten wie das Protokoll eines Konfrontation erscheint, lässt Markus Werner in seinem letzten Roman zu einem Tauchgang in die Tiefe Thomas Loos werden. Loos ist ein Versehrter, dem die Trennung von seiner Frau den Boden unter den Füssen entzog. Loos, der erzählt, er sei Lehrer für tote Sprachen, ist am Zerbrechen an der Schlechtigkeit der Welt, am Zerfall, nicht nur jener in der Institution Ehe, sondern auch jenem in der Schule, der Moderne, der Gegenwart, der Jugend, der Welt. Clarin ist nach dem ersten Tag vom Gespräch mit seinem neuen «Freund» mehr als erschlagen, weit weg von seiner angestrebten Ruhe, seinen gefassten Plänen, so sehr getrieben von Neugier, Mitleid und einer schwer erklärbaren Faszination, dass er am folgenden Tag erneut zu Loos an den Tisch sitzt. Ein folgenschwerer Entschluss.

Markus Werner wurde 1944 in der Schweiz, in Eschlikon im Kanton Thurgau, geboren. Er studierte in Zürich Germanistik, arbeitete bis 1990 als Lehrer und dann als freier Schriftsteller. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Er veröffentlichte die Romane «Zündels Abgang», «Froschnacht», «Die kalte Schulter», «Bis bald», «Festland», «Der ägyptische Heinrich» und «Am Hang». Zu seinem Werk erschien der von Martin Ebel herausgegebene Band «Allein das Zögern ist human».
Und der Film?
Sehenswert, auch wenn sich der direkte Vergleich mit der Romanvorlage nicht lohnt. Markus Imboden drehte einen Film. Und ganz offensichtlich reichte ihm die Dramaturgie des Romans nicht. Vielleicht wäre die Reihenfolge, zuerst der Film und dann das Buch, die bessere als so wie die unsere. Auf jeden Fall ein sehenswerter Film, der mit den Charakteren der drei Hauptdarsteller spielt, mit den Rissen, der Distanz, die auch durch Liebe nicht aufzuheben ist, der Verzweiflung, die Liebe nicht fassen zu können.


Arzt zu Arzt, eines Tages bis in die norwegische Arktis zu einer illustren Gruppe mysteriöser «wissenschaftlicher» Puppenspieler, die den Eltern Heilung durch ein ganz besonderes Experiment versprechen. Noch mehr verunsichert, aber gleichermassen fasziniert reist die Familie zurück und tatsächlich verändert sich die Hautfarbe des Jungen Radar, wenn auch zu einem hohen Preis. Der sonst schon sonderbare Junge leidet fortan unter epileptischen Anfällen und bleibt künftig mehr als nur empfänglich für alle Arten von elektrischen Schwingungen. Radar wird zu einem Medium, Teil einer ganz speziellen Gruppe von Menschen, die im Laufe von 50 Jahren mehrere grosse Kunstperformances durchführen, in den Ruinen der vom Bosnienkrieg zerschossenen Nationalbibliothek von Sarajevo, im diktaturverseuchten Kambotscha oder im in Anarchie versinkenden Kongo.
Reif Larsen, geboren 1980, lebt im Hudson Valley und in Schottland. Er schreibt, unterrichtet Literatur, dreht Dokumentarfilme in den USA, Großbritannien und in Afrika. Seine Erzählungen und Essays erscheinen u.a. in «The New York Times» und in «The Guardian». Sein erster Roman «Die Karte meiner Träume» (S. Fischer Verlag 2009) wurde ein Weltbestseller und 2013 von Jean-Pierre Jeunet verfilmt.
Christoph Ransmayrs Absicht war mit Sicherheit nicht einen historischen Roman zu schreiben. Christoph Ransmayr bedient sich der Historie, um vom Dilemma des schöpferischen Menschen zu schreiben. Davon, dass man am einen Ende erschafft, um am anderen Ende zu zerstören. Davon, dass es bei all den vielen Reisen, die der Autor unternimmt, nicht ums Verstehen geht. Ransmayr beschreibt, geschult durch den Blick des Nomaden, wie durch Kraft und Leidenschaft das scheinbar gleichmässige Ticken der Zeit ins Stocken geraten kann, auch durchaus beabsichtigt.
Christoph Ransmayr (1954) wuchs als Sohn eines Volksschullehrers auf. Er besuchte das Stiftsgymnasium der Benediktiner in Lambach und studierte von 1972 bis 1978 Philosophie und Ethnologie. Seit 1982 ist er freier Schriftsteller, lebt in Wien und Irland. Sich selbst bezeichnet er als «Halbnomaden» aufgrund seiner vielen Reisen. Ransmayr verbindet in seiner Prosa historische Tatsachen mit Fiktionen. Charakteristisch für Ransmayrs Romane sind die Schilderung grenzüberschreitender Erfahrungen, die literarische Bearbeitung historischer Ereignisse und deren Verknüpfung oder Brechung mit Momenten aus der Gegenwart. Die Verbindung von spannenden Handlungen und anspruchsvollen Formen haben vor allem in seinen ersten beiden Romanen «Die Schrecken des Eises und der Finsternis» und «Die letzteWelt» viel Lob eingebracht.
Reinhard Kaiser-Mühlecker schreibt in grossen Bögen, aus der Sicht der beiden scheinbar ungleichen Brüder, die sich bloss noch durch Zufälle näher kommen, und dann viel näher, als sie erahnen.
Judith Hermann beschreibt keine Verletzungen, aber die Narben, die sie alle mit sich herumtragen, die Male, Mutter- und Vatermale, Freundschafts- und Liebesmale, die nichts vergessen lassen. Und sie beschreibt sie mit Sätzen, die kurz und messerscharf sind, manchmal in ihrer Repetition wie Faustschläge auf blaue Flecken. «Er will es so. Genau so und nicht anders. Er will auf seinem gepackten Koffer inmitten einer Szenerie aus zusammenhangslosem Chaos sitzen, auf einem Trümmerhaufen, dann kann er sich den Anforderungen des Lebens halbwegs stellen.» Vielleicht einer der Schlüsselsätze im Buch. Einer jener Sätze so deutlich und klar in Geschichten, die ausufern, nicht in ihrer Erzähllänge, aber in der Potenz, die sie mit sich tragen.
Judith Hermann wurde 1970 in Berlin geboren. Ihrem Debüt «Sommerhaus, später» (1998) wurde eine ausserordentliche Resonanz zuteil. 2003 folgte der Erzählungsband «Nichts als Gespenster». Einzelne dieser Geschichten wurden 2007 für das Kino verfilmt. «Alice» (2009), fünf Erzählungen, wurde international gefeiert. Zuletzt erschien der Roman «Aller Liebe Anfang». Für ihr Werk wurde Judith Hermann mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Kleist-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis. Die Autorin lebt und schreibt in Berlin.
und Jacky, die am Prenzlauer Berg aus einer ehemaligen Bäckerei einen Spätkauf machten. Jacky sieht in Charlys Augen diesen sonderbaren Blick, seit der Wolf seine Spuren im Schnee und in den Schlagzeilen lässt, dutzendfach getroffen, mit Blicken und Objektiven. Die Mutter des Mädchens, verzweifelt und unentschlossen, einmal eine gefeierte Künstlerin, jetzt bloss noch ein Schatten ihrer selbst. Ein alter Jäger, ein betrunkener Vater und die Volontärin bei der Zeitung, die von nichts weiss und über den Wolf schreiben soll… ein ganzer Reigen Alleine-Gelassener.
Roland Schimmelpfennig, Jahrgang 1967, ist der meistgespielte Gegenwartsdramatiker Deutschlands. Er hat als Journalist in Istanbul gearbeitet und war nach dem Regiestudium an der Otto-Falckenberg-Schule an den Münchner Kammerspielen engagiert. Seit 1996 arbeitet Roland Schimmelpfennig als freier Autor. Weltweit werden seine Theaterstücke in über 40 Ländern mit großem Erfolg gespielt.
Und wer noch mehr über Krähen lesen will:

