Sturm im Gebälk: Christian Uetz im Literaturhaus!

Er riss ganz ordentlich am alten Gebälk! Ein Mann, der ganz wörtlich kein Blatt vor den Mund nimmt! Der seine Wortkunst dermassen verinnerlicht, dass er sie frei vorträgt. Wobei «Vortrag» dem, was er tut, bei weitem nicht gerecht wird. Christian Uetz ist, was er spricht und schreibt. Christian Uetz ist ein Ereignis – und zusammen mit dem Musiker Adrian Egli sowieso!

Christian Uetz musste eine ordentliche Weile warten. Vor ein paar Jahren spazierte ich mit ihm an den Walliser Hängen und er erzählte mir, er wäre als Thurgauer noch nie im Literaturhaus Thurgau Gast gewesen. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich eines Tages die Ehre haben würde, die Geschicke eben dieses Hauses mitgehalten zu können. Aber nun war er da, Christian im Literaturhaus Thurgau, wo es ihn auch schon viel früher hätte hertragen sollen. Ist er doch nicht nur Thurgauer und einer der wenigen, die sich mit Ostschweizer Wurzeln im Literaturbetrieb etablieren konnten. Seine ersten Gedichte erschienen vor bald 30 Jahren in Beat Brechbühls hoch verdientem Waldgut Verlag. Beat Brechbühl muss gerochen haben, was im damals Dreissigjährigen steckte.

Heute ist Christian Uetz ein literarisches Urgestein, jemand, dem es beim Schreiben um viel mehr geht, als bloss eine Geschichte zu erzählen. Christian Uetz Gedichte, Essays und Romane sind Herausforderung, für viele Provokation, manchmal sogar Zumutung, sowohl inhaltlich wie sprachlich. Ganz sicher aber ist Christian Uetz ein Monolith in der deutschsprachigen Literatur, in der Literaturszene. Jemand, der mit seinem ganzen Sein Sprache und Leidenschaft ist und diese Leidenschaft mehr als wörtlich nimmt. Jemand, durch den sich Sprache manifestiert, der in Zungen redet und schreibt.

Auf eben jenem Spaziergang im Wallis, an einer Weggabelung unter einem Baum, performte Christian Uetz seinen verinnerlichten Text, auswendig und mit weit ausholenden Gesten. Während er zu Hochform auflief, kreuzte das Geschehen eine nichts ahnende Wandergruppe. Ich kann gut nachempfinden, was sich in den Köpfen jener Erstaunten abspielte, als sie den einen gegen den Himmel aufrufend sahen und eine ordentlich grosse Gruppe andächtig Lauschender.

Sein neuster Roman „Das nackte Wort“ ist vieles zugleich; die Findungsgeschichte eines Paars, ein existenzialistisches Tagebuch, ein philosophischer Trommelwirbel und der Versuch, dem Eros Sprache auf die Schliche zu kommen. Er will nicht schmeicheln, wahrscheinlich nicht einmal unterhalten. Aber ganz bestimmt will er Auseinandersetzung, so wie sein Schreiben Auseinandersetzung ist. Er will nicht unterhalten, weil auch sein Schreiben für ihn kein Unterhalten, kein netter Zeitvertreib, sondern bisweilen existenziell in seiner Auseinandersetzung ist.

«Ich war überwältigt von der Begeisterung, die «Das nackte Wort» im Bodmann-Haus auslöste und über die vielen persönlichsten Zusprüche danach! Ebenso hat mich das Zusammenspiel mit Adrian Emmanuel Egli, welches sich völlig aus dem Augenblick improvisierte, ekstatisch entfesselt. Dass die Befürchtung des Protagonisten Georg, die den Alltag lähmende Pandemie werde die Welt so depressiv und agressiv machen, dass sie nur Vorbote von neuen Weltkriegen sei, am Tag der russischen Invasion in die Ukraine wie stummmachende Prophetie klang, machte mir den Abend im Thurgauer Literaturhaus auch zu einem Schicksalstag der Geschichte, den ich doppelt nie vergessen werde.» Christian Uetz

Rezension von «Das nackte Wort» auf literaturblatt.ch

Christian Uetz und Arian Emanuel Egli am Samstag, 26. Februar in der Grabenhalle St. Gallen

Beitragsbilder © Sandra Kottonau / Literaturhaus Thurgau

Christian Uetz «Das nackte Wort», Secession

Eine Geschichte fürs Nachttischchen? Nein, sie müssten, wenn sie das Bett mit jemandem teilen und zu erzählen beginnen, mit heftigen Diskussionen rechnen. Strandlektüre? Nein, ausser es stört sie nicht, wenn ihnen die Schamesröte im Liegestuhl in den Kopf steigt. Zur „Reanimation“ auf dem Sofa nach einem Arbeitstag? Ich weiss nicht. Vielleicht erschlägt sie das schmale Buch.

Soll man „Das nackte Wort“ überhaupt lesen? Auf jeden Fall! Wenn man sich selbst etwas zutraut. Wenn man sich nicht ungerne provozieren lässt. Wenn man bereit ist, bei der Lektüre etwas zu investieren – mehr als nur Lebenszeit. Wenn man die Uetz’schen Sprachkaskaden zu geniessen versteht. Erst recht dann, wenn man den Dichter schon einmal live erlebt hat und sich mit der Lektüre der Sound seiner Sprache im Kopf entfaltet. Und nicht zuletzt dann, wenn man im immer grösseren Meer von Büchern nach den Klippen sucht, die das Zeug haben, dass man Schlagseite bekommt. „Das nackte Wort“ ragt wie ein einsamer Monolith aus der Vielheit der Gegenwartsliteratur. Ja doch, Christian Uetz ist ein Polterer, ein Provokateur, aber niemals Schaumschläger oder blosser Selbstinszenierer. Christian Uetz ist es bitter ernst. Er lockt mich aus meiner gedanklichen und weltanschaulichen Komfortzone. Manchmal zerrt er mich förmlich. Er zwingt mich, mich mit meinem eigenen Dasein, meinen Vorstellungen, meinen festgefahrenen Meinungen auseinanderzusetzen. Er rüttelt nicht nur an mir, sondern an den Grundfesten einer Gesellschaftsordnung, die sich schwer tut, sich von Festgefahrenem zu befreien, obwohl leere Kirchen und Querdenkerdemonstrationern vorgaukeln, man sei auf dem Weg der Emanzipation.

Christian Uetz «Das nackte Wort», Secession, 2021, 159 Seiten, CHF 32.90, ISBN 978-3-96639-045-3

Georg Niemann ist verheiratet und Vater. Er pendelt zwischen Deutschland und der Schweiz, seiner Familie und seiner Arbeit. Seine Ehe ist das, was man eine offene Beziehung nennt. Beide haben an das Gegenüber nicht den Anspruch unbedingter Treue, beide bleiben offen, nicht nur in ausserehelichen Beziehungen, sondern auch im Bestreben, dem andern gegenüber damit offen und ehrlich zu sein. Corona und Lockdown stossen Georg aber in eine innere und äussere Auseinandersetzung mit sich selbst und den Gegebenheiten, die ihn bis in die Grundfesten erschüttern. „Das nackte Wort“ ist eine Art Tagebuch. Georg erzählt von seiner Liebe zu Liv, seiner Frau. Seiner Liebe zu Toa, einer jungen Studentin. Von seinen Dialogen, seinen Gesprächen, seinen Auseinandersetzungen. Von den Tagen, an denen er mit aller verfügbaren Unruhe nach Klarheit und Antworten sucht, denn Georg möchte dienen, sucht nach einer Herrin, die herrscht, sucht nach dem erotischen Kick, der uferlosen Leidenschaft, die das bedingungslose Dienen bei ihm auszulösen vermag. 

Da ist aber nicht nur die Suche nach der grenzenlosen Erregung im Zusammensein mit Liv oder Toa. Georg sucht nach mehr, nach dem Göttlichen im Wort, in der Sprache, nach dem Göttlichen in der unbegrenzten Liebe. Georg schreibt, spricht und argumentiert sich in einen Sprachrausch, weit ab von unbedachten Plaudereien, gedankenlosem Geschwätz, banalem Geschichten-erzählen. Was ich in Georgs Auseinandersetzungen mitlese, reibt  an mir, schleift, eckt an, verunsichert mich. Christian Uetz schreibt keine Wohlfühlprosa. Christian Uetz forscht sprachlich ebenso nach der Göttlichkeit der Sprache, wie nach der Göttlichkeit des Eros. „Das nackte Wort“ ist Prosa gewordene Auseinandersetzung in der von Christian Uetz hochphilosophischen Art (Art sehrwohl doppeldeutig gemeint!).

Dass Christian Uetz zusammen mit dem Musiker Adrian Emanuel Egli zum ersten Mal in „sein“ Literaturhaus eingeladen wird, ist höchste Zeit und tiefe Verneigung vor einem Mann, der sich mit ganzem Geist, ganzer Seele und ganzem Körper der Sprache verschrieben hat!

Christian Uetz, geboren 1963 in Egnach, ist ein philosophischer Poet und lebt in Zürich. Nach einer Ausbildung zum Lehrer studierte er Philosophie, Komparatistik und Altgriechisch an der Universität Zürich. 2010 erhielt er den Bodensee-Literaturpreis für sein bisheriges literarisches Gesamtwerk. Seine Performanceauftritte sind legendär!  Nach «Nur Du, und nur Ich» (2011) und «Sunderwarumbe – Ein Schweizer Requiem» (2012), «Es passierte» (2015) ist «Das nackte Wort» neben vielen Gedichtbänden, den ersten erschienen beim Waldgut Verlag, sein vierter Roman.

Beitragsillustration © leafrei.com / Literaturhaus Thurgau