Daniela Krien «Der Brand», Diogenes

Ein Viertel Jahrhundert verheiratet. Eltern zweier Kinder. „Aus dem Gröbsten raus“. Aber die beiden Stadtmenschen Rahel und Peter ahnen, dass ihre Ehe an einem Wendepunkt angekommen ist. Daniela Krien leuchtet in ein Zerwürfnis. Wenn auch mit schwacher Funzel.

Zwischen Rahel und Peter ist das Brennen erloschen. Nach beinah dreissig Jahren ist ihnen die Leidenschaft abhanden gekommen. Sie ist Psychotherapeutin, er Literaturprofessor, beide fest eingebunden planen sie Ferien in den Bergen, Zeit füreinander. Obwohl das Virus sie zwang, ihre Ferien nicht allzu weit von ihrem Zuhause zu verbringen und sie beide nicht mehr wirklich an Aufwind glauben, erreicht sie kurz vor der Abreise die Mitteilung, dass das Haus in den Bergen abgebrannt sei und man ihnen eine Alternative im Dorf anbieten könne. Kaum abgesagt und den Ärger fürs erste geschluckt, erreicht sie ein weiterer Anruf einer Freundin Rahels Mutter, ihr Mann Viktor habe einen Schlaganfall erlitten und man suche jemanden, der für ein paar Wochen das Haus in der Uckermark hüten würden, während sie ihrem Mann in der Klinik beizustehen versuche.

Daniela Krien «Der Brand», Diogenes, 2021, 272 Seiten, CHF 29.90, ISBN 978-3-257-07048-4

Was am Anfang bloss einzige Alternative ist und ein Liebesdienst an einem Paar, mit dem man sich schon ein Leben lang verbunden fühlt, wird immer mehr zu einem Ort, der Klarheit und Perspektiven in das Leben der beiden Verlorenen bringen könnte. Rahel, geplagt von ihren Stimmungsschwankungen, vermisst Peters Leidenschaft. Auch wenn das noch nie viel war, das grosse Feuerwerk ausgeblieb, erklärt Peter ziemlich trocken, dass er keine Lust mehr verspüre. Die Lunte brennt nicht mehr. Rahel hat zu akzeptieren, mehr noch. Das Auseinanderleben, die immer grösser werdende Distanz, reisst an ihrem Selbstverständnis. Und Peter? Peter will einfach nur weg. Weg aus dem aufgeheizten Universitätsbetrieb. Weg von den Brandherden dort, weil er während einer Vorlesung mit einer non-binären Studierenden ungewollt und tollpatschig in einen Konflikt vor Publikum geriet. Ein Konflikt, dem man ihm aufzwang, für den er schlicht weder Lust noch Kraft hatte, sich zu stellen.

Drei Wochen auf einem Hof in der Uckermark. Mit Pferden, Hühnern und Katzen, einem grossen Haus mit vielen Zimmern, einem Stall und einem Nebengebäude, in dem Viktor, der den Schlaganfall erlitten hatte, schon Jahrzehnte ein Künstleratelier führt. Für Rahel ist der Ort ein Ort der Erinnerungen. Und als sie aus Neugier und Unruhe Schubladen öffnest und in Skizzen und Zeichnungen blättert, erhärtet sich ein Verdacht, den sie als Keim schon ein Leben lang mit sich herumträgt.

Daniela Krien erzählte in einem Interview, dass sie eben solche Ferien in einem Haus machte, weil ein Feuer einen Strich durch Ferienpläne machte. Der Hof dort draussen in der Einsamkeit wird zur Bühne eines Zweipersonenstücks. Während der Mann ganz unerwartet auf diesem Hof seine perfekte Erholung zu finden scheint, beginnt ein anderes Feuer, ein Schwelbrand aus Rahels Vergangenheit, der die Krise der sonst rational Denkenden noch potenziert. Eigentlich ein perfektes Setting über ein Paar, das sich aufgezwungenen Veränderungen stellen muss. Ein Geschichte, die mich eigentlich berührt, zumal es doch reichlich eigenartig ist, dass es noch immer Paare gibt, die sich dem Abenteuer einer Langzeitbeziehung oder gar einer lebenslangen Partnerschaft stellen. Trotzdem hätte ich mir in dieser Geschichte etwas mehr Pfeffer gewünscht. Die Figuren bleiben eigenartig blass. Die Geschichte kocht auf kleinem Feuer. Wo bleibt der innere Kampf um eine Ehe, die ausgelutscht zu sein scheint? Wo jener Kampf der Psychologin mit der eigenen Überforderung? Wo jener mit einer Vergangenheit, die sich immer mehr querstellt? Wo der Brand im Leben des Professors, der doch eigentlich nur seine Arbeit machen will und von gegenwärtigen Verbalauseinandersetzungen zerfressen wird?

„Der Brand“ ist ein schöne Geschichte, leicht zu lesen, gute Unterhaltung. Mehr nicht. Schade.

Daniela Krien, geboren 1975 in Neu-Kaliss, studierte Kulturwissenschaften und Kommunikations- und Medienwissenschaften in Leipzig. Seit 2010 ist sie freie Autorin, 2011 erschien ihr Roman «Irgendwann werden wir uns alles erzählen», der von Emily Atef verfilmt wird. Ihr letzter Roman, «Die Liebe im Ernstfall«, stand monatelang auf der Bestsellerliste und wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Daniela Krien lebt mit ihren zwei Töchtern in Leipzig.

Beitragsbild © Maurice Haas / Diogenes

Rückblick: Andri Beyeler eröffnete das 11. Wortlaut Literaturfestival St. Gallen

Don Quijotes Kampf gegen Windmühlen stand damals für den aussichtslosen Kampf der untergehenden Aristokratie des 17. Jahrhunderts gegen den «technischen Fortschritt». Kämpft ein Literaturfestival diesen Kampf im 21. Jahrhundert? Den Kampf gegen den blossen Konsum, gegen die Berieselung, das frühlingshafte Wetter, gegen die Übermacht all dessen, was in einer Stadt wie St. Gallen sonst noch läuft?

«Wörter können ihre Bedeutung verändern», sagte Christine Lötscher, freie Literaturkritikerin und Rednerin an der diesjährigen Eröffnungsfeier. Genau das macht Literatur aus, unterscheidet sich von Journalismus und Geschichtsschreibung, zumindest in ihrer ursprünglichen Idee. Aber von Geschichtsschreibung bis Geschichten schreiben sind es nur ein paar wenige Buchstaben. Literatur pflegt den Fake bis zur Vollkommenheit, aber Fake ist noch lange nicht Literatur. Literatur spielt mit Inhalt, Sprache, Text und Wort.

Ideales Beispiel dafür, wofür das Wortlaut steht, für die Verbindung von «klassischer» Literatur, Comic, Kabarett, Spoken Word und Illustration war der diesjährige Starter Andri Beyeler am 11. Literaturfestival. Ein Text wie ein Trommelfeuer, vorgetragen von einer Schauspielerin, illustriert vom Autor selbst, geschrieben wie ein Theater, Kleinstadtmythen, die sich in einem Gasthaus in existenzielle Intensitäten hinaufschaukeln. Andri Beyeler, der bisher vor allem für die Bühne schrieb und dessen Text sich auch als Buch erst dann entfaltet, wenn er laut und mit viel Dynamik gelesen wird, schuf mit «Mondscheiner» ein aussergewöhnliches Sprachkunstwerk.

Beyeler formuliert das, was sonst im Kopf ausgeblendet wird, gibt den Gedanken jene Spur, die neben dem reinen Erzählen sonst vergessen wird. Andri Beyeler erzählt nicht wie andere sonst, lässt aus, wiederholt, kommentiert, schwingt zu ganz eigener Komik auf, zu einer Sprache, die dem Leben, den Gedanken, nicht unbedingt dem Denken und schon gar nicht der Struktur huldigt, schwingt sich zu Witz auf, der in seiner Beyeler’schen Entfaltung ganz eigen ist und wirkt.

Andri Beyeler ist Theatermann, badet in seinem Text über drei Figuren in einem Kleinstadtkosmos, genauso in Sprache wie in Auslassungen, Wort- und Sprachspielen, feinen Kommentaren, durchaus gesellschaftskritisch, sehr oft beissend und entlarvend, spielt mit der Dramatik des Alltags, mit dem, was sich im Alltäglichen an Dramatischem abspielt, den Bildern «dazwischen», jenen Momenten, wo andere während des Sehens blinzeln.

Andri Beyeler, geboren 1976 in Schaffhausen, lebt in Bern. Mitglied der freien Tanz-Theater-Gruppe Kumpane. Mehrere Theaterstücke, Bearbeitungen und Übertragungen. 2017 wurde er von der Stadt Bern mit dem «Welti-Preis für das Drama» ausgezeichnet.

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Am Samstag Nachmittag war ich als Moderator engagiert. Hier einige Eindrücke:

Lesung im «Raum für Literatur» in der Hauptpost St. Gallen mit Anna Stern und ihrem bei Salis erschienenen Roman «Wild wie die Wellen des Meeres»,

mit der Lyrikerin und Essayisten Monika Rinck aus ihrem bei kookbooks erschienen Lyrikband «Alle Türen»

und mit Daniela Krien, die aus ihrem zweiten, bei Diogenes erschienenen Roman «Die Liebe im Ernstfall» las.

Daniela Krien «Die Liebe im Ernstfall», Diogenes

Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Fünf Frauen, fünf Leben, fünf Varianten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Leben zwischen Traum, Entwurf, Realität und Ernüchterung. Eingebetet in eine Gegenwart, die oft nicht dem entspricht, was hätte sein können. Ein Roman wie ein Teppich, dicht verwoben, kunstvoll konstruiert. Ein literarisches Soziogramm. Viel mehr als ein femininer Schicksalsroman.

Als Paula Ludger kennenlernte, wohnte sie schon Jahre mit Judith zusammen. Paula und Judith waren Freundinnen, obwohl sie schon als Teenager grundverschieden waren. Was durch nichts zu brechen war, schaffte die Heirat von Paula und Ludger. Eine Freundschaft zerbricht. Judith ist Ärztin und als „Unberührbare“ dauernd auf der Suche nach dem perfekten Mann. Eine Suche, die längst zum Selbstzweck geworden ist. 

Brida liebt Götz, den Mann, den nichts aus der Ruhe zu bringen scheint, den Fels. Brida ist Schriftstellerin und zerbricht an der Unmöglichkeit, jenes Leben zu führen, das ihr bestimmt sein muss. 

Malika ist die Schwester von Jorinde, die Verschmähte von Götz, die ungeliebte Tochter umtriebiger DDR-Intellektueller. Bis Malika ihre Schwester retten soll, bis sich die Spiesse zu drehen scheinen. Und Jorinde, der einst alles zu Füssen liegen schien, zieht der immer grösser werdende Spagat zwischen Pflichten und Berufung den Boden unter den Füssen weg.

Obwohl Daniela Krien in ihrem zweiten Roman „Die Liebe im Ernstfall“ die Geschichten der fünf Frauen hintereinander erzählt, sind alle Leben, alle Geschichten tief ineinander verflochten. Sie berühren sich nicht einfach wie bei einem Episodenroman, sondern füllen ein Pentagon weiblicher Lebensentwürfe, ein Spannungsfeld zwischen Anziehung und Abstossung, zwischen Liebe und Hass, zwischen eigenem Selbst und unergründlichem Gegenüber.

„Die Liebe im Ernstfall“ ist ein Roman über die Spielarten der Liebe, darüber wie viel Schmerz sich Liebe aufladen kann. Wie aus Liebe Schuld werden kann. Paula verliert ein Kind an den Folgen einer Impfung. Sie verliert Kind und Glück. Judith verliert auch ein Kind, mehr als eines und spürt die Schuld, die sich in ihr Leben schleicht. Brida verliert Götz und das Familienglück mit ihren zwei Kindern, ein Glück das unumstösslich schien. Malika verliert schon früh die Liebe ihrer Eltern, die Liebe ihrer Mutter. Und Jorinde den Platz, der ihr zugesprochen scheint. Liebe ist ein Gefühl. Und Gefühle sind nie in Stein gehauen, auch wenn sie übergross und übermächtig erscheinen.

Obwohl der Titel des Romans, die fünf Frauenleben nach Fallstudie riecht, ist Daniela Kriens Roman mehr als Liebesgeschichte, viel mehr als Fallstudie. Daniela Krien erzählt von fünf Frauen, die im ganz normalen Leben wirklich zu leben versuchen, nicht nur funktionieren und reagieren, sondern agieren. Aber aus Wunsch und Idee wird Krampf und Kampf. Daniela Krien erzählt von Sehnsüchten. Der Sehnsucht nach Liebe zu einem Gegenüber, einem Gegenüber, das versteht und jener Sehnsucht, sich selbst dabei treu zu bleiben. 

Daniela Krien, geboren 1975 in Neu-Kaliß, studierte Kulturwissenschaften und Kommunikations- und Medienwissenschaften in Leipzig. Seit 2010 ist sie freie Autorin, 2011 erschien ihr Roman «Irgendwann werden wir uns alles erzählen», der in 14 Sprachen übersetzt wurde. Ihr 2014 veröffentlichter Erzählband «Muldental» wurde 2015 mit dem Nicolaus-Born-Debütpreis ausgezeichnet. Daniela Krien lebt mit zwei Töchtern in Leipzig.

Daniel Krien liest aus ihrem Roman «Die Liebe im Ernstfall» am 11. Wortlaut Literaturfestival St. Gallen 2019, am Samstag, den 30. März! Weitere Informationen finden Sie auf wortlaut.ch! Moderation: Gallus Frei-Tomic

Beitragsbild © Sandra Kottonau