Literaturvorschläge aus dem Turm

Liebe Bücherfreunde

Zusammen mit Elisabeth Berger stellte ich am Nikolaustag im Tröckneturm St. Gallen lesenswerte Bücher vor. Elisabeth Berger sechs – ich ebenso. Bücher, die man schenken kann. Bücher, die sich  lohnen zu lesen. Bücher, die man vorlesen kann. Bücher für viel mehr als ein paar schöne Stunden.

Falls sie noch ein Weihnachtsgeschenk brauchen, vertrauen sie dieser Liste!

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«Die Annäherung» von Anna Mitgutsch für alle, die sich für das vom letzten Weltkrieg dominierte Geschehen eines Jahrhunderts interessieren, für Familiengeschichte mit viel Unausgesprochenem.

«Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück» von Max Küng für Neugierige, die hinter Fassaden schauen wollen, Witziges mögen.

«Schlaflose Nacht» von Margriet de Moor, für jene, die bereit sind, mit der Erzählerin mitten in der Nacht in der Küche zu stehen, um zuzusehen, was der Suizid des Mannes im Gewächshaus hinter dem Haus anrichtet.

«Das achte Leben – für Brilka» von Nino Haratischwili für fleissige LeserInnen, die sich von 1300 Seiten nicht abschrecken lassen und dafür belohnt werden mit einem georgischen Epos in Breitleinwand über beinahe 100 Jahre – ein fantastisches Buch!

«Cox oder Der Lauf der Zeit» von Christoph Ransmayr für jene, die sich vor einer mächtigen chinesischen Kulisse von einem Meister der Sprache in die Fremde entführen lassen wollen.

«Hier können sie im Kreis gehen» von Frédéric Zwicker, die erfahren wollen, warum sich ein alter Mann hinter einer vorgespielten Demenz im Altersheim verstecken will.

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«Bella Mia» von Donatella di Pietrantonio für jene, die sich in eine der vielen Behelfsunterkünfte nach dem grossen Beben 2009 in Italien versetzen lassen wollen, ins Schicksal dreier Menschen, die sich neu erfinden müssen.

«Nora Webster» von Colm Toibin für jene, die sich literarisch entführen lassen wollen in die irische Provinz der 60er Jahre, an einen Ort, wo der Verlust des Mannes die persönliche Katastrophe der hinterbliebenen Frau vervielfacht.

«Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt» von Zora del Buono, für jene, die wissen wollen, was eine unmögliche Liebe bewirkt in einem Land, das von den NSA-Enthüllungen gebeutelt ist.

«Der lange Atem» von Nina Jäckle, die sich auch vor dem Trauma eines erlebten Tsunamis in Japan nicht abschrecken lassen, vom Tod in all den entstellten Gesichtern, im Buch von einer eindringlichen Sprache belohnt.

«Der Hut des Präsidenten» von Antoine Laurain, für jene, die wissen wollen, was ein verlorener Hut des ehemaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand anrichten kann. Heiter!

«Lügen sie, ich werde ihnen glauben» von Anne-Lare Bondouz und Jean-Claude Mourlevat für jene, die sich gerne gut unterhalten lassen von einem E-Mail-Roman voller Witz und Charme.

Zwei Büchermenschen: Gallus Frei-Tomic und Elisabeth Berger

mehr Infos unter lebendiger-advent.ch

Bücher für Weihnachten

Noch ein paar Ideen für eine entspannte Weihnachtszeit? Geschenksideen?Vielleicht sogar ein Buch für NichtleserInnen? Das gibt es! Oder Bücher fürs stille Örtchen? Warum nicht! Oder schmucke Bändchen fürs Nachttischchen? Kurz vorgestellt einige Tipps:

9783869711324Kat Menschik ist eine herausragende Illustratorin. Der Galiani Verlag Berlin hat den Mut, zusammen mit der Illustratorin eine ganze Reihe kleiner, literarischer Schmuckstüche herauszugeben. Bücher, die in allen Belangen überzeugen: inhaltlich, weil von grossen Autoren, optisch, weil in Menschik-Manier illustriert, haptisch, weil hochwertig produziert und buchtechnisch, weil die Bücher mit farbigem Schnitt, tiefgepresstem Umschlag jedes Büchernarrenherz höher schlagen lassen. Wenn Sie also jemandem eine Freude machen wollen, der schon alles gelesen hat, dann sind es diese Perlen. Bücher, die man gar nie ins Bücherragal schieben möchte!
Band 1 sind Franz Kafkas 1919 zum ersten Mal erschienen Erzählungen unter dem Titel «Ein 9783869711423Landarzt». Seltsame Geschichten wie eben jene vom Landarzt, von seltsamen Menschen in seltsamen Situationen. Illustriert von der Künstlerin Kat Menschik verdichten sich Lesegefühle, potenziert sich das schon magische Leseerlebnis Kafkas geheimnisvoller Geschichten.
Band 2 ist William Shakespeares Stück «Romeo und Julia». Wohl jeder kennt die tragische Liebesgeschichte, die 1597 zum ersten Mal zur Aufführung gekommen sein soll. Eine der Urgeschichten aller menschlichen Tragödien. Kat Menschiks Illustrationen sind nicht einfach Bilder zum Theater, sondern Nahaufnahmen, fein, über das Detail hinaus gesehen.
Jedes dieser Schmuckbändchen ist in seiner eigenen Sprache gestaltet, im gleichen Format, mit farbigem Schnitt, «ein Fest für Geist und Sinne». Kat Menschik «Franz Kafka – Ein Landarzt», «William Shakespeare – Romeo und Julia», Galiani

img_0135Ein Buch fürs Klo? Der Autor dieses Buches möge mir verzeihen. Aber jeder Bücherfreund muss auch am stillen Örtchen beweisen, dass man mit Stil, Muse und Kultur jene Zeit versüssen kann, erst recht dann, wenn Sitzungen etwas länger dauern. Stefan Keller, Journalist und Herausgeber, bekannt geworden mit seinem Buch «Grünigers Fall» über die Taten des in Ungnade gefallenen St. Galler Polizeihauptmanns und Flüchtlingsretters, öffnet in seinem neusten Buch «Bildlegenden» sein und fremde Archive. Stefan Keller ist Historiker und sammelt alte Bilder und Dokumente, kauft sie auf Flohmärkten und Brockenhäusern. 66 Bilder, Postkarten und Artefakten, literarisch kurz und knapp kommentiert, Zeitzeugnisse aus Ostschweizer Geschichte und darüber hinaus, nicht bloss erklärt, sondernd feinsinnig einander gegenüber gestellt, manchmal erhellend, manchmal nur angetippt. Viel mehr als ein zufällig arrangiertes Foto- und Kuriositätenalbum. Ein schön gestaltetes Büchlein im Querformat, das man gerne offen liegen lassen möchte. Stefan Keller «Bildlegenden, 66 wahre Geschichten», Rotpunktverlag

img_0136Als ich ein kleiner Junge war, gab es nichts, was mich mehr faszinierte, als Seefahrergeschichten. Abenteuer in den sieben Weltmeeren, Legenden von Piraten und ihren Schätzen, von verlorenen Orten, den Rändern der Zivilisation. Der mare Verlag Hamburg, dessen Bücher alle irgendwie mit Meer oder Wasser zu tun haben, schenkt all jenen, die mit Phantasie entdecken wollen, ein ganz besonderes Buch. Ein Buch zum wegfahren, abtauchen, überfliegen. Dirk Liesemer, Journalist, auch für die Zeitschrift «mare», erfand dreissig imaginäre Inseln und erzählt dazu von ihren wechselvollen Geschichten, Geschichten nicht nur von Inseln, sondern von Menschen, die an diesen Inseln fast allesamt scheitern. «Das Lexikon der Phantominseln» ist ein wunderlicher Reiseführer durch die Welt der Fantasie. Zweifarbig gedruckt, mit Karten, farbigem Schnitt und Lesebändchen lehrt Dirk Liesemer vielleicht nicht so sehr Geographisches, dafür umso mehr über die Abgründe der menschlichen Seele. Dirk Liesemer «Das Lexikon der Phantominseln», mare

img_0078Ich lebe in einer kleinen Stadt in der Ostschweiz. Bis vor hundert Jahren war Amriswil ein Bauerndorf. Mit der Eisenbahn und der Industialisierung wuchs Amriswil schnell. In ihrer Blütezeit bekam man wohl fast alles im Dorf. Es gab kleine Läden, Handwerker, mehrere Metzgereien… Heute stirbt ein Laden nach dem andern. Dafür wuchern an allen Ecken Kebabbuden, Krimskramsläden, noch ein Friseur, Hörgräte… «Handwerkstätte» ist eine Hommage an fast vergessene Berufe; den Rosshaarmatratzenmacher in Niederbipp, den Buchdrucker in Vättis, den Seiler in Winterthur, der Büstenmacherin in Küssnacht am Rigi und die Sackdruckerin in Heimiswil… Portraits mit Bild und Text, mit Adressen und Internetauftritten, ein Nachschlage- und Inspirationsbuch für all jene, die sich nicht begnügen mit Massen- und Stangenware. Eine gelungene Zusammenarbeit zwischen der Zeitschrift «Schweizer Familie» und dem Rotpunkt Verlag! Kathrin Fritz / Maurice K. Grünig «Handwerkstätten», Rotpunktverlag

Pedro Lenz «Di schöni Fanny», Cosmos

Was wie ein Song von Endo Anaconda tönt, ist der neuste Streich des grossen Mannes aus Olten. Ein Buch mit einem ungeheuren Groove, dem Sound der Kleinstadt, aber ohne Mief, dafür mit Leidenschaft für all das, was die Povinz ausmacht und Pedro Lenz seit seinem Bestseller «Dr Goalie bin ich» in Reinkultur verkörpert.

Jackpot ist um die vierzig und heisst eigentlich Franz, Franz Gobeur. Aber er mag es nicht, wenn er Franz gerufen wird und das wissen seine Freunde. Am allerbesten wissen das die alternden Malerfreunde Grunz und Louis. Franz ist Jackpot, am liebsten der Jackpot, auch für die junge Fanny, die Modell steht bei seinem Freund Grunz, die er das erste Mal unter seiner Tür zu dessen Atelier trifft. Eine Frau, die aus einer andern Welt zu sein scheint, die sich auf Leinwand gebannt tief in die Seele des Mannes brennt. Jackpot ist Schriftsteller, auch wenn es mit der Schriftstellerei nur mühsam voran geht. Er lebt vom Wettglück und den Gaben seines Bruders, der in der Industrie das grosse Geld macht. Fanny wirft img_0134Jackpot aus der Bahn. Da helfen die guten Ratschläge seiner Malerfreunde wenig, erst recht nicht, als Jackpot in ihnen Konkurrenten und Nebenbuhler wittert. Und als Fanny dann eines Nachts doch noch Jackpots Wohnungstür von innen abschliesst, glaubt Jackpot an die Erfüllung seiner kühnsten Träume. Aber die schöne Fanny ist und bleibt die, die mir wie Jackpot auf der ersten Seite seines Berichts begegnet; eine Frau, die sich nicht fassen, nicht anbinden lässt.

Aber Pedro Lenz ist Pedro Lenz. Und Pedro Lenz schreibt nicht bloss eine Liebesgeschichte. Was mit Fanny durch das Leben der drei Künstlerfreunde wirbelt, ist ein veritabler Sturm, der sogar ihre Freundschaft bedroht. Aber Jackpot gelingt es, durch diesen Sturm endlich auf Kurs in seiner Schreiberei zu kommen. Pedro Lenz neue Romanfiguren sind im Vergleich zu seinem ersten Roman «Dr Goalie bin ich» keine Verlierertypen. Wohl gibt es sie als Personal um das Dreigestirn herum, wie immer liebevoll gezeichnet. «Di schöni Fanny» ist ein Buch über Freundschaft. Das Buch scheint fast nur in Dialogen erzählt, angereichert mit viel Kaffee, Wein, Bier, manchmal Gebranntem, Kutteln und aufgewärmtem Rindsragout. Pedro Lenz schafft eine ganz spezielle Nähe. Es ist, als ob ich Jackpots Nähe spüre, seine schlacksigen Bewegungen, den Sound seiner Stimme, als würde der Bass in meinem Bauch vibrieren.

Pedro Lenz erzählt auch vom Schreiben, von Kunst, davon, dass Malen und Schreiben Geschwister sind, eine Art des Schauens, der Wahrnehmung. Pedro Lenz sieht nicht nur, was ist, sondern immer auch, was sein könnte. Kunst braucht ein Gegenüber, ein Publikum. Und nicht selten mockiert sich der übers Publikum, der keines hat. Und doch spüre ich in Pedro Lenz Schreiben den latenten Schmerz darüber, dass sich die Welt nicht retten lässt, dass jene Provinz, jenes Olten, das er liebt, das nur noch in Ritzen und Rändern wächst, weit weg ist von High End, Style, Hochglanz und Hochfinanz.

Ein bitterschönes Buch, eine Perle. «Die schöni Fanny» berührt.

Foto von Daniel Rihs
Foto von Daniel Rihs

1965 in Langenthal geboren, Sohn einer Spanierin und eines Direktors einer Porzellanfabrik, schloss Pedro Lenz 1984 die Lehre als Maurer ab und arbeitete auch mehrere Jahre auf dem Bau. Später interssierte er sich für Theologie und studierte einige Semester spanische Literatur an der Universität Bern. Seit 2001 arbeitet er vollzeitlich als Schriftsteller. Lenz schreibt Kolumnen, Gedichte, Theatertexte, Kurzprosa und Romane. Pedro Lenz ist Mitglied des Bühnenprojekts «Hohe Stirnen» und der Spoken-Word-Gruppe «Bern ist überall». 2008 nahm er an den Klagenfurter Literaturtagen teil. Pedro Lenz lebt in Olten.

Webautritt des Autors

(Titelbild: Patricia von Ah, mit freundlicher Genehmigung der Kulturagentur desto-besser)

Jonas Karlsson «Das Zimmer», Luchterhand

in einem meiner Lesezirkel besprochen.

Jonas Karlssons Roman «Das Zimmer», der als neue literarische Stimme Schwedens gepriesen wird, ist ein Kammerstück menschlicher Abgründe, meisterlich inszeniert in den Tiefen eines Grossraumbüros, jenem sensiblen Kosmos, in dem sich Archetypen verschiedenster Färbung unfreiwillig nahe kommen.

Björn tritt eine neue Stelle in einer Behörde an, von Beginn weg möglichst schnell einer jener werdend, auf die es ankommt. Björn richtet sich am Doppeltisch, Hakan gegenüber, ein. Er beobachtet und filtert alles in seiner grandiosen Selbstüberschätzung. Er arbeitet kaum, legt sich allerhöchstens etwas zurecht, hängt seinen Gedanken nach, lauernd. Schnell scheint ihm klar, einer, wenn nicht der Cleverste zu sein, ohne zu merken, wie sehr sich die Stimmung im Grossraumbüro seit seinem Arbeitsbeginn zu seinen Ungunsten verändert. Kein Grund zur Selbstreflexion! Viel mehr Zeichen dafür, wie entschlossen Björn für eine neue Ordnung einstehen muss.

Und dann ist da das Zimmer. Eine Tür zwischen Aufzug und Toilette. Ein kleines Zimmer ohne Fenster, ein Tisch in der Mitte, ein Computer, ein mit Ordnern gefülltes Regal, ohne Staub, alles in Reih und Glied, aufgeräumt, vorbereitet, auf ihn wartend. Björn klinkt sich immer häufiger in dieses Zimmer aus, sein Refugium, holt dort Kraft, findet dort jene Ruhe, die ihm das Grossraumbüro verweigert. Nur ist Björn der einzige, der von diesem Zimmer weiss. Er vermutet ein Geheimnis. Doch als sich die Zeichen im Büro immer unmissverständlicher 042_87460_164198_xxlgegen ihn richten, man ihm zu verstehen gibt, für wie verrückt man ihn hält, jedes Gespräch verstummt, wenn Björn auftaucht, erzählt Björn vom Zimmer, jenem Raum, der immer mehr zu seiner Mitte wird. Aber niemand an seinem Arbeitsort, nicht einmal Margareta, der Björn während einer steifen Weihnachtsfeier im Büro im Zimmer nahe zu kommen glaubt, bestätigt die Existenz dieses Zimmers. Nicht einmal der Tür zwischen Aufzug und Toilette. Man beginnt Björn zu denunzieren, wenn er völlig weggetreten an der Wand zwischen Aufzug und Toilette lehnt. Björn nimmt den Kampf gegen die «Dummheit der Menschen auf, gegen Einfalt, Verleugnung und Inkompetenz». Björn, ein Ungetüm an Selbstbewusstsein und Selbsterhöhung. Er, ein offener, argloser Mann, im Kampf gegen Windmühlen, Er, den man doch ganz offensichtlich systematisch wegmobben will, der doch deutlich sieht, wie ein himmelschreiender Komplott geschmiedet wurde. Erst recht, als er aus dem Zimmer gestärkt Arbeiten abliefert, die bis hinauf in die Etagen der Direktion entzücken.

Grossraumbürowelt als Verkleinerung der Arbeitsgesellschaft. Björn als Archetyp jener «Aufsteiger», die durch Erfolg ihr Wesen als Kotzbrocken zu rechtfertigen wissen, die durch Umkehrung von Tatsachen und Wahrnehmung ihren Blick auf die Welt zur einzigen Wahrheit erklären, mit der Fähigkeit zu akzeptieren, dass der ganze Rest der Welt dem Irrtum verfällt. Einsam, wenn man ständig der Einzige ist, der «in dieser so leicht zu täuschenden Welt die Wahrheit sieht». «Nicht weiter verwunderlich, kreative Menschen sind schon immer auf Widerstand gestossen. Es ist ganz natürlich, dass einfach gestrickte Personen Angst vor Sachkenntnis haben.»

Gibt es dieses Zimmer? Oder ist das Zimmer bloss Björns leere Seele? Jonas Karlssons 170 Seiten starker Roman liest sich leicht und reisst einem mit. Und uns in unserem Lesekreis in eine heftige Diskussion, heftigste Bestätigung und die Überzeugung, ein eindringliches Buch gelesen zu haben!

img_0104Jonas Karlsson, 1971 in Södertälje in der Nähe von Stockholm geboren, ist eine der vielversprechendsten literarischen Stimmen Schwedens. Die New York Times lobte «Das Zimmer» als «meisterhaft», die Financial Times nannte es «brillant». Das Buch brachte Karlsson den internationalen Durchbruch. Der 45-Jährige zählt zu den angesehensten Schauspielern seines Landes und wurde bereits zweimal mit dem schwedischen Filmpreis ausgezeichnet. Karlsson hat bislang drei Kurzgeschichtensammlungen, zwei Romane und ein Theaterstück veröffentlicht.

img_0115Und was lesen wir im Lesezirkel bis im kommenden Januar? Noch beeindruckt von einer Lesung bei der BuchBasel 2016, bei der Michael Kumpfmüller aus seinem Roman «Die Erziehung des Mannes» las und erzählte, lesen wir seinen 2011 erschienen Roman «Die Herrlichkeit des Lebens», über Franz Kafkas letzte grosse Liebe.

Neonfische im Aargauer Literaturhaus

Neonfische sind Süsswasserfische, die im Amazonas leben, kleine, bunte Schwarmfische, irisierend leuchtend. Auch im Aargauer Literaturhaus in Lenzburg versammelte sich eine bunte Schar geheimnisvoll schimmernder Autorinnen und Autoren, die während zweier Tage ein konzentriertes Publikum «zum Schweigen» brachten.

Wer glaubt, Lyrik würde kaum mehr jemanden aus der warmen Stube locken, wurde an diesem Festival der Dichterinnen und Dichter Lügen gestraft. Das Haus lebte, der Schwarm war beträchtlich, die Säle voll, dass man zwischendurch «das Wasser wechseln» musste. Es war Musik, es wären Töne, Klänge, Dissonanzen, Bilder, Träume, Blitzlichter und Makroaufnahmen, Horizonte, Landschaften, Gesten und Gefühle.

Da zum Beispiel die 1981 geborene Julia Trompeter, die aus ihrem ersten bei Schöffling und Co. erschienenen Gedichtband «Zum Begreifen nah» vortrug. Mehr als bloss vorlas, denn Julia Trompeter versteht es, ihre Gedichte mit ihrer Stimme zu performen. So bekommen Texte auf dem Papier durch ihre Stimme nicht nur ihre eigene Note, ihren Klang, sondern oft Klarheit, mehr Bedeutung, ein gosses Fenster mehr.

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Julia Trompeters Gedichte sind geistreich, witzig, spielen mit Doppelbödigkeiten, verleiten und verführen. Dass ihre Lyrik mich, wie moderne Lyrik überhaupt, zwingt, den Text immer wieder, laut und deutlich, zu lesen. Das sei die Qualität moderner Lyrik, meinte Manfred Papst, Moderator und Ressortleiter Kultur in der NZZ am Sonntag, unauflösbare Bilder, nicht aufzulösen wie Kreuzworträtsel, unauflösbar zu Diskussion und Interpretation provozierend.

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img_0212Julia Trompeter wurde 1980 in Siegburg geboren. Sie studierte Philosophie, Germanistik und Klassische Literaturwissenschaft in Köln und promovierte in Berlin und Bochum. Seit 2009 tritt sie in dem performativen Projekt Sprechduette zusammen mit Xaver Römer auf. 2010 war sie Finalistin des open mike, 2012 erhielt sie das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln, 2013 für ihren Debütroman eine Förderung der Kunststiftung NRW und 2014 den Förderpreis des Landes NRW für junge Künstlerinnen und Künstler.

Webseite Julia Trompeter & Xaver

(Alle Rechte zur Veröffentlichung der Gedichte liegen beim Verlag Schöffling & Co. literaturblatt.ch dankt für die spezielle Erlaubnis!)

Philipp Frei, Maler, lädt ein ins Atelier.

Zurück aus einem Aufenthalt in Meran, zeigt Philipp Frei in seinem Atelier in Zürich aktuelle Arbeiten aus seinem Schaffen. Möglich wird ein Einblick ins Atelier, einem übers Jahr meist verborgenen Raum.

Philipp Frei zeigt Arbeiten an ihrem Entstehungsort; Zeichnungen, Arbeiten auf Papier, Malerei, Objekte, jedoch nicht in Form einer Ausstellung im «Whitecube». Der Raum, die Werkstatt, das Material bleiben sichtbar. Unfertiges neben Gereiftem, als Formation ausgewählt oder einzeln, vieles noch in der Warteschlaufe.
Dazu zurückliegende Arbeiten, das Lager, die Sammlung, Skizzenbücher und Entwürfe.

Geboten wird das Gespräch, Wein und Brot.

Mehr Informationen unter der Webseite des Künstlers.

 

Guy Krneta «Filet Schtück», Der gesunde Menschenversand

Einfach Geschichten? Es sind Betrachtungen, die meisten kaum zwei Seiten lang, geschrieben für «Morgengeschichten» auf Radio SRF 1. Texte gemacht für öffentlich-rechtliches Radio, mutige, witzige, freche, «aufmüpfige», nachdenklich stimmende Texte, die trösten können, wenn man den medialen Wellen sonst kitisch gegenüber steht.

Guy Krneta schreibt Theater, Prosa, macht Theater und steht auf der Bühne – ein Mann des Wortes. Ich sah ihn einmal im vollbesetzten Zug zu den Solothurner Literaturtagen. Da kramte er in einem ganzen Wulst von Papieren, notierte, murmelte, studierte mit dem Stiftende an den Lippen. So ganz anders als ich, der ich bloss sass, schaute und mich freute auf das, was mich an den Literaturtagen erwarten würde.

100142_goc8_lGuy Krneta ist auch eines der Gesichter hinter dem umtriebigen Verlag «Der gesunde Menschenversand», dessen Echo es beispielsweise mit «Simeliberg» von Michael Fehr bis tief in den grossen Nachbarkanton (D) schaffte. Ein Verlag, dessen AutorInnen sich der MundArt bedienen, mit Büchern, die schon deshalb zu langsamem Geniessen zwingen.

Manchmal spiegelt sich der eigene Blick in der Literatur, in dem, was ich lese. Aus der Distanz, mit dem Buch des Berner Autors, sehe ich auf mich selbst, auf meine Umgebung, wie doppelt gespiegelt, durch einen Spiegel. Je direkter ich blicke, desto abgewandter der Blick im Spiegel. Und wenn ich mein eigenes Gesicht, mein eigenes Selbst so von mir abgewandt sehe, in völlig ungwohnter Perspektive, überrascht mich die Wirkung noch viel mehr. Guy Krneta tut genau das mit seinen kurzen Texten, die mäandern zwischen Geschichten, Betrachtungen und Dialogen. Auch ungewohnt ist die Tatsache, dass der ursprüngliche Respekt vor Berner Mundart das Lesen entschleunigt, den Ostschweizer zu langsamem Lesen zwingt und sich einzelne Wörter und Satzteile erst am Schluss des Satzes erschliessen. Ein spezielles Vergnügen für den Thurgauer, hörbar, wenn ich nachts im Bett neben meiner Frau mit dem Buch in Händen liege und einzelne Sätze und Wörter murmle, manchmal mehrmals, den Ton im Ohr und stets überrascht, wie viel Komik mitschwingt, wenn ich mich in Berndeutsch versuche.

Köstlich, einfach köstlich!

100028_i8i9_lGuy Krneta, geboren 1964 in Bern, lebt als freier Schriftsteller in Basel. Mitglied des Spoken-Word-Ensembles «Bern ist überall» und des Trios «Krneta, Greis & Apfelböck». Er war Dramaturg an der Württembergischen Landesbühne Esslingen und am Staatstheater Braunschweig sowie Co-Leiter des Theaters Tuchlaube und Dramaturg beim Theater Marie in Aarau. Krneta schrieb zahlreiche Theaterstücke, die mit Preisen ausgezeichnet wurden. Zahlreiche Buch- und CD-Veröffentlichungen.

(Titelbild: Sandra Kottonau)