Ev Arlt «frag-ment-iert (182.5) – Die unvorhersehbare Reise des Fräulein L.», Bucher

Schreiben, als ein «Ort extremer Klarheit»

«frag-ment-iert» lautet der Titel des Debüt-Romans von Ev Arlt, in dem sie das Epizentrum zwischen dem eigenen Glück und die Grenzen der Freiheiten literarisch auslotet.

Gastinterview mit Urs Heinz Aerni 

Urs Heinz Aerni: Der Sog des Lesens ist Ihnen gelungen. Kompliment, auch wenn der Einstieg uns gleich wieder in die Pandemie zurück katapultiert. Wann wussten Sie, dass Sie mit diesem Setting beginnen werden?

Ev Arlt: In meiner Geschichte geht es um die Frage nach der Konstruktion von Identität. Wir sehen der Protagonistin bei ihrem identitären Trauma zu, das im Verlust sozialer Rollen und des vertrauten sozialen Kontextes besteht. Diese rein persönliche Erfahrung wurde in ihren Auswirkungen ja in der Pandemie kollektiv erlebt, natürlich je nach persönlicher – kultureller und beruflicher wie ökonomischer – Situation anders ausdekliniert.

Aerni: Die Lektüre schickt die Lesenden schon zurück in eine Zeit, die man vergessen möchte, was keine Kritik ist, übrigens… 

Arlt: Diese Analogie der sozialen, ökonomischen und psychischen Ausnahmesituation vermittelt den Lesenden zu Beginn der Erzählung jene Beklemmung, jenes Gefühl von Isolation und sozialer und eventuell ökonomischer Unsicherheit, die aus eigener Erfahrung bekannt sein dürften. Im Buch geht es dann ja überhaupt nicht um die Pandemie – vielmehr um die Themen Würde, Freiheit und Selbstbestimmung.

In einer Szene wird ein aus dem Radio tönender Song von David Bowie wie folgt kommentiert: «Wie aus einer anderen Zeit überschaubarer Weltprobleme – Heroin und Langstreckenraketen.» Ist heute so alles anders als früher?

Gar keine Frage, wobei wir jetzt natürlich exklusiv über unseren Teil der Welt reden. Das Ende des Kalten Krieges, der 11. September und nun der Krieg in Europa markieren eine tiefgreifende Wende, die deutlich sichtbar zu einer breiten Verunsicherung geführt und strukturelle gesellschaftliche Veränderungen nach sich gezogen hat. Ob alles anders ist als früher, muss jeder individuell für sich beantworten. 

Was war für Sie der Fokus hierbei?

Mir geht es bei dieser Beobachtung um die ökonomische und politisch-soziale Entwicklung in Europa und die nicht einfache, hochkomplexe Problemlage in unseren Gesellschaften. Ich glaube durchaus, dass es eine Sehnsucht nach einer Welt in schwarz-weiß gibt.

Woran machen Sie das fest?

Ev Arlt «frag-ment-iert (182.5) – Die unvorhersehbare Reise des Fräulein L.», Bucher, 2024, 232 Seiten, CHF ca. 25.90, ISBN 978-3-99018-708-1

Das Ablehnen komplexer Realitäten erkennt man ja klar am zunehmenden Erfolg vereinfachender Rhetorik der Debatten oder am breiten gesellschaftlichen, von Algorithmen gelenkten Diskurs, der gar keiner mehr ist. Man wirft sich die Feindbilder an den Kopf, die Angst geht um, jeder zieht sich in sein Lager, seine Bubble, zurück. Überspitzt gesagt: Politisch korrekte Realitätsverweigerer stehen dem aggressiven Machtanspruch der Vereinfacher gegenüber.

Statt «Roman» steht unter dem Titel «Die unvorhersehbare Reise des Fräulein L.» Was war die Überlegung auf die Gattung Roman zu verzichten?

Aber ich halte ja ohne Zweifel einen Roman in der Hand. Es handelt sich lediglich um einen Untertitel, der angesichts des sicherlich enigmatischen Buchtitels der Leserschaft letztlich doch etwas Orientierung geben soll. Man erfährt: es geht um einen weiblichen Hauptcharakter und um eine Reise, die offenbar so nicht geplant war.

Sie entschieden sich im Untertitel  für das Wort «Fräulein»…?

Ja. Ich gehöre zu einer Generation, die diese Bezeichnung in ihrer diskriminierenden Dimension nicht nur überwunden, sondern vermutlich niemals als Problematik begriffen hat. Wir fokussieren uns auf andere Probleme im heterosexuellen Miteinander, die Debatten sprechen da für sich. Wir besitzen Ironie und Selbstbewusstsein und ein eigenes Portemonnaie. Es gibt wichtige Frauenthemen – das ist keines. 

Hört sich erfrischend an, denn das «Fräulein» liest sich bekanntlich antiquieret an allerdings mit auch mit einem literarischen Beiklang.

Die Bezeichnung „Fräulein“ wird tatsächlich schon seit Jahren auch für Produkte verwendet – Modeartikel, Eisdielen. Offenbar klingt das Wort kokett, frech, jung, ansprechend. Was mein Buch angeht, ist die Protagonistin am Anfang ihrer Reise definitiv so: jung, kokett – naiv und etwas verloren. Das steckt doch eigentlich im Untertitel, der den Namen des Fräuleins dann ja nur mit einem Großbuchstaben verrät – ein Verweis auf das Verwirrspiel mit Identitäten.

Die junge Protagonistin wird Mutter Anfang der Nullerjahren in Deutschland. Es schien alles offen zu sein für die jungen Menschen, von Karriere bis alle Freiheiten. Und doch kam es anders. Abgesehen vom Geschehen im Buch, wie sehen Sie die Zukunft der jetzigen Jugend?

Die Frage lässt sich angesichts der ungelösten und sich zuspitzenden globalen Probleme im Grunde leicht beantworten. Andererseits ist die junge Generation auch wieder laut und macht sich bemerkbar. Sie haben definitiv andere Instrumente als meine technologiefern aufgewachsene Generation, der die Reste der Ideologien am Ärmel klebten und der der Druck einer neoliberalen Gesellschaft die großen Gewissensfragen im großen Ganzen bequem ersparte.

Und die…

Die jetzige Jugend?

Ja.

Im schlimmsten Fall sind sie brave Konsumenten, im Besten viel weniger beeinflussbar vom System, das sie längst durchschaut haben und ironisieren bis verachten. Ein großes Problem unserer Zeit beim Beurteilen von Fragen wie diesen ist doch die allumfassende Inszenierung, der wir hilflos ausgesetzt sind und aus der wir nur schwer Wahrheiten ableiten können.

Sie arbeiten mit fast surrealen Einschüben in kursiver Schrift im Buch. Wie kamen Sie zu dieser Idee solcher stilistischen Mitteln?

Es stellt sich hier, denke ich, weniger die Frage nach der Idee zur Textmontage als vielmehr zur zweiten Protagonistin des Buches. Die surreale Ebene von Phoenix – nennen wir sie eine Scheintote, die gegen die strukturelle Herrschaft alter Männer vorgeht – muss natürlich zwangsläufig zu diesem Stil führen. Phönix sehnt sich dabei in Wahrheit die ganze Zeit nach der Auflösung ihrer Opferrolle und sucht mit Gewalt nach einem Ausweg.

Das hat sich also beim Schreiben mutierend entwickelt…

Es steckt generell tatsächlich weniger Konstruktion hinter dem Ergebnis meines Schreibens als vielmehr Entwicklung und Reifen – es gibt durchaus eigenständige Prozesse, mit denen ich behutsam umgehe, von denen ich überrascht werde, die sich mir aufdrängen und die mich leiten. Das Kursiv in meinem Roman, wenn Sie so wollen, steht für Abrechnung, für Hoffnung auf Erlösung, für Sehnsucht nach persönlichem Glück, für Erkenntnis.

Sie studierten Theater- und Politikwissenschaften und Soziologie, waren als Journalistin tätig und leben – soviel ich weiß – in Italien. Bleibt es dabei, mit Italien und dem Schreiben?

Tatsächlich kann ich mir da in nächster Zukunft so einige Veränderungen vorstellen – wieder mehr redaktionell zu arbeiten wäre schön. Mein italienisches Domizil darf man sich jetzt nicht verspielt mit Zitronenbäumen und eleganten Zypressen an der Einfahrt vorstellen, ich bin wirklich drin in dieser widersprüchlichen, ächzenden Gesellschaft.

Mit welcher Wahrnehmung Ihrerseits?

Die Italiener sind emsig arbeitende Stehaufmännchen und phantasievolle Lebenskünstler mit einer bewundernswert unverbrüchlichen Energie und Lebensfreude und zutiefst humane Menschen – allerdings in einem System, welches mich seit je an den realen Sozialismus erinnert, wobei die zentrale ineffiziente Verwaltung mafiös unterwandert ist. Um hier zu überleben, muss man die Schlupflöcher im System kennen. Frauen wie Männer arbeiten viel, den Freizeitanspruch der Deutschen kennen sie nicht. Sie ernähren die Familien gemeinsam, die Geschlechterproblematik beginnt im Privaten und der Sexismus hierzulande ist bodenlos salonfähig und allseits geduldet. Ich würde dem Land mehr Transparenz und Gerechtigkeit wünschen.

Deutliche Worte…

Was das Schreiben angeht: das ist nie eine Option gewesen, sondern für mich primärer Ausdruck. Das Leben drinnen und draußen entwirren. Ein Ort extremer Klarheit. Eine Spielwiese für verschachtelte Gedanken und unklare Emotionen. Figuren, in die ich mich verliebe. Schreiben ergo sum.

Ev Arlt wurde 1978 in Nürnberg geboren, studierte Theaterwissenschaften, Politikwissenschaften und Soziologie in München, Berlin und Siena. Sie war unter anderem als Radiomoderatorin und Journalistin tätig. Derzeit schreibt sie aus Italien.

Beitragsbild zVg

Ein Leben für die Kunst – Sophie Taeuber-Arp», Silvia Boadella, Skira Verlag

Die ganzheitliche Suche nach Schönheit
Silvia Boadella widmet sich mit einem lesens- und betrachtungswerten Buch dem Leben der Künstlerin und ihrer Großtante Sophie Taeuber-Arp.

Interview von Urs Heinz Aerni

Urs Heinz Aerni: Auf dem leider nicht mehr im Umlauf befindlichen 50-Franken-Geldschein war Sophie Taeuber-Arp abgebildet. Haben Sie als deren Grossnichte noch ein paar von diesen Scheinen aufbewahrt?

Silvia Boadella: Ja, ich habe einige davon zurückgelegt und werde sie später verschenken. Was mir darauf besonders gefällt ist ihr aufmerksamer Blick, mit dem sie uns anschaut.

Aerni: Durch Retrospektiven im Kunstmuseum Basel, in der Tate Modern in London und im Museum of Modern Art in New York wird die Künstlerin, die auch im Zentrum der Zürcher Dada-Bewegung stand, wieder ins mediale Bewusstsein gerückt. Sie widmen ihr nun mit diesem Buch in Ihrer eigenen literarischen Sprache eine Hommage. Was hat Sie dazu bewogen?

Boadella: Ich bin aufgewachsen mit Sophie Taeuber-Arps Kunst und mit Menschen, die ihr sehr nahe standen. In Erzählungen über sie und in ihrem Werk habe ich immer eine enorme Lebensenergie dieser Frau und Künstlerin wahrgenommen. Dieser Kraft wollte ich in einem eigenen Werk nachspüren. Auch hatte ich einen entscheidenden Traum über sie. Darin hörte ich den Satz: „Sophie hat einen Albtraum in einen Traum verwandelt.“ Ich wollte in diesem Buch ergründen, was es damit auf sich hat und wie Sophie dies geschafft hat. Ich habe das Buch also auch aus einem eigenen Interesse heraus geschrieben, um von Sophie zu lernen.

Aerni: Sie wurden fünf Jahre nach dem Tod Ihrer Grosstante Sophie Taeuber-Arp, 1943, geboren. Wie präsent war sie in Ihrer Familie?

Boadella: Die Erinnerung an Sophie war sehr wach und es wurde vieles über sie erzählt, gerade weil sie eine so lebendige und vielseitige Frau war und ein aussergewöhnliches Leben führte. Sophie war eine Ausnahmekünstlerin unter den Künstlerinnen ihrer Zeit. Sie war schon zu ihren Lebzeiten sehr bekannt, renommiert und international angesehen. So wurde sie zum Beispiel bereits damals vom Museum of Modern Art in New York ausgestellt. In den 13 Jahren, in denen sie nicht mehr unterrichten musste – 1929-1943, nahm sie an vierzig internationalen Ausstellungen teil – auch das zeigt ihre enorme Lebenskraft.

Aerni: In Ihrem Buch zeigen Sie nicht nur ausgesuchte Werke und Illustrationen von Taeuber-Arp, Sie verknüpfen diese mit Ihrer persönlichen Art der Poesie. Eigentlich im Sinne der porträtierten Künstlerin, da sie ebenso interdisziplinär gestaltete. Oder anders gefragt: Warum keine klassische Biografie?

«Sophie Taeuber-Arp – Ein Leben für die Kunst» von Silvia Boadella, zweisprachige Ausgabe (Englisch – Deutsch) 224 Seiten mit 80 Abbildungen, Skira Verlag, 2021, ISBN 978-88-572-4332-0

Boadella: Ich habe in meinem Buch eine neue Form des Porträtierens entwickelt. Biografische Details werden mit den Prozessen verflochten, die Sophie Taeuber-Arps vielseitiges Schaffen antrieben. Das Buch fühlt sich wie ein Roman an und hat auch dessen Form, basiert aber eher auf Fakten als auf Fiktion. Und doch wagt es zugleich, uns einen Einblick in das Denken und Fühlen der Künstlerin zu geben. Es soll gleichzeitig persönlich und informativ sein. Ich habe versucht, es mit genauso viel Sorgfalt und Aufmerksamkeit fürs Detail zu schaffen wie Sophie Taeuber-Arp ihre eigenen Werke. So pflege ich das Vermächtnis der Künstlerin und beschreibe es auf eine poetische und innige Weise, die ebenso voller Sehnsucht ist wie die Werke der Künstlerin.

Aerni: Die Welt, in der Sophie Taeuber-Arp lebte, geriet aus den Fugen. Flucht, Angst und Unsicherheiten hinderten sie nicht, künstlerisch aktiv zu bleiben. Vielleicht nicht auch ein Weg, das alles ertragen zu können?

Boadella: Ja, es war ihr Weg, dies alles auszuhalten. Trotz der Bedrohung durch zwei Weltkriege widmete sie sich leidenschaftlich ihrer Kunst. Sie fand und bewahrte durch ihre Arbeit nicht nur unter äusserst schwierigen Umständen ihr inneres Selbst und ihre Freude, sondern schöpfte daraus auch eine grosse Kraft, um zu überleben, den Herausforderungen standzuhalten und sich selbst treu zu bleiben.

Aerni: Bewirkte Ihre erzählerische Hinwendung an Taeuber-Arp eine Veränderung in Ihrem Verhältnis zu ihr?

Boadella: Es vertiefte meine Beziehung zu ihr. Beim Schreiben über sie fühlte es sich so an, als würden wir uns in einem gemeinsamen Resonanzraum befinden. Wenn ich also die Entstehung eines Werkes von ihr beschrieb, versuchte ich in den Raum einzutauchen, aus dem heraus sie ihre Kunst erschuf. Was mir bei der Arbeit am Buch besonders bewusst wurde, ist ihre holistischer Weltsicht. Sophie hat ganzheitlich nach Schönheit gesucht. Mit Schönheit meine ich hier nicht etwas rein Visuelles, auch nichts Fertiges, sondern ein Handeln. Schönheit ist für Sophie ein Vollzug, ein Lebensbezug. Zudem findet in ihrer Arbeitsweise ein Ausscheidungsprozess von Überflüssigen und ein Einkreisungsprozess auf das Wesentliche statt – wie es in einem japanischen Lehrspruch heisst: Beschränke dich auf das Wesentliche, ohne die Poesie zu entfernen. Diese Einstellung hat mich sowohl für meine Arbeit als Schriftstellerin als auch als Psychotherapeutin beeinflusst.

Aerni: Sie selber stammen aus Basel und leben als Psychotherapeutin und Schriftstellerin in der Ostschweiz. Zudem studierten Sie Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte. In welchen Bereichen finden Sie denn die Energie und Inspiration, um mit den Unabwägbarkeiten der Zeit umgehen zu können?

Boadella: Alle diese Bereiche inspirieren mich und vitalisieren meine Kreativität. Inspiration und Kreativität sind mein Schutz und geben mir Stabilität, denn sie verbinden mich mit meinen inneren Ressourcen. Ein Leitsatz auch von unserer psychotherapeutischen Arbeit ist: Anstelle von burn out: light up! Anstelle von Ausbrennen: aufleuchten lassen.

Aerni: Sie entwickelten zusammen mit Ihrem Ehemann David Boadella die psychotherapeutische Methode «Biosynthese». In den grossen Krisenjahren anfangs des 20. Jahrhunderts reagierten viele Kunstschaffende auf die Industrialisierung und den Nationalismus mit der Suche nach neuen Formen der Kunst und des Lebens, wenn wir an den Dadaismus oder an den Monte Verità denken. Wie sehen Sie heute die Kraft der Kunst als Kontrastmittel zur jetzigen Gesellschaft?

Boadella: Die Kunst hat die Fähigkeit, eine Gegenwelt zu bestehenden Verhältnissen aufzubauen, sei dies zu allgemeinen Gesellschaftsformen oder zu persönlichen Lebensweisen. Insofern wohnt ihr eine subversive Kraft inne, die das Bewusstsein für Missverhältnisse schärft und dadurch Veränderung anregen kann – heute auch gerade in Bezug auf die zunehmende „Instrumentalisierung“ von Mensch und Welt. Ich habe dies in meinem Buch „Erinnerung als Veränderung“ ausgeführt.

Aerni: Wenn Sie die Chance hätten, Ihrer Grosstante Sophie Taeuber-Arp eine Frage stellen zu können, wie würde sie lauten?

Boadella: Sophie, du bist durch deinen Unfalltod – einer Kohlenmonoxyd-Vergiftung – mitten aus deinem Leben und deinem künstlerischen Schaffen herausgerissen worden. Würdest du es trotzdem als erfüllt anschauen? Wie würde ein Neubeginn in der jetzigen Zeit für dich aussehen, als Frau und als Künstlerin?

Das Buch: «Sophie Taeuber-Arp – Ein Leben für die Kunst» von Silvia Boadella, zweisprachige Ausgabe (Englisch – Deutsch) 224 Seiten mit 80 Abbildungen, Skira Verlag Mailand, ISBN 978-88-572-4332-0, 2021

Silvia Boadella ist die Grossnichte von Sophie Taeuber-Arp, wurde 1948 geboren und lebt heute als Psychotherapeutin und Schriftstellerin in Heiden. Nach dem Studium der Philosophie, Literatur, Psychologie und Kunstgeschichte in Basel promovierte sie in Philosophie an der Universität Tübingen. Sie war Gastprofessorin an der Universität Kanazawa in Japan und lehrte Philosophie am Goethe-Institut in Neu-Delhi. Seit 1985 leitet sie zusammen mit ihrem Ehemann David Boadella das internationale Institut für Biosynthese in Heiden. 2014 erschien von ihr der Roman «Die tragende Haut».

Martin Kunz «Vom Adel der Alltagsfragen» Edtion Baes, Interview mit Urs Heinz Aerni

In seinem neuen Buch setzte der Philosoph Martin Kunz den Untertitel: «Philosophische und andere Notizen in einem merkwürdigen Jahr». Was machte die Pandemiezeit mit einem Philosophen und wie könnte der Alltag eine neue Qualität erhalten?

Interview: Urs Heinz Aerni

Urs Heinz Aerni: Ich beginne mit einem Zitat: «Vom Einzelnen wird Autonomie verlangt, diese ist aber im Grunde eine Bürde». Wissen Sie, wo ich diesen Satz las?

Martin Kunz: Alle, die über Autonomie nachdenken, kommen darauf zu sprechen, dass sie, also die Konkretisierung der Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, eine Aufgabe ist und nicht einfach ein Geschenk. Autonom bin ich, wenn ich den Willen habe zu wollen. Das heisst, ich muss nachdenken können, und zwar so, dass schliesslich das, was ich will, handlungsleitend wird.
Aber nun zu Ihrer Frage. Ich habe das so oder ähnlich sicher in einem meiner Essays geschrieben.

Aerni: Dieser Satz findet sich auf Seite 55 in Ihrem Buch «Die stille Erotik der Melancholie». Ich komme auf dieses Buch zurück. Doch nun zu diesem hier vorliegenden, das ja mitten in eine Zeit hinein oder aus ihr heraus geschrieben worden ist, in der die Frage nach Freiheit und Autonomie eine zusätzliche Brisanz bekommt. Das Buch enthält aber durchaus auch Notate, wie «Was koche ich für Vera?». Es scheint, dass Alltagsfragen wie diese, durch die Pandemiekrise geadelt werden. Weisst du noch, was du ihr dann gekocht hast?

Kunz: Ich erinnere mich nicht. Wahrscheinlich gab‘s zwei Gänge, etwas Vegetarisches und dann vielleicht einen Fisch. Sie sagen es übrigen sehr eindrücklich: Alltagsfragen werden in einer solchen Krise geadelt. Viele Verrichtungen habe ich bewusster ausgeführt. Das scheinbar Unwichtige erhält einen besonderen Glanz.

Aerni: Auch in diesem Buch hier reflektieren Sie über Ihre Existenz – mit Fragen und Gedankenspielen. Die letzten Bücher sind entstanden in Zeiten, in denen die Welt pulsierte: mit Events, Kinos, offenen Konzerthäusern und Theatern. Könnte es sein, dass Ihre Zurückgeworfenheit in die eigenen vier Wände mit Tätigkeiten wie Entkalken der Kaffeemaschine das Schreiben gelähmt hat? Oder war es für Sie eine Art Rettung?

Kunz: Das Warten der Kaffeemaschine habe ich gewissermassen zelebriert. Wenn die Grossräume des Heiligen, also Kirchen, Kinos und Wellnesstempel, geschlossen sind, stellt sich die Frage, ob andere seelische Verdichtungen bzw. Öffnungen gefunden werden können. Vielleicht eben Würdigungen des Nebensächlichen. Als es hiess ‹Bleibt zu Hause›, habe ich zunächst gedacht, dass ich ja nun etwas Grösseres anpacken könnte, ein Buch über den utopischen Aspekt der Romantik zum Beispiel.

Aerni: Da höre ich nun das berühmte «Aber»…

Martin Kunz «Alltag – Philosophische und andere Notizen in einem seltsamen Jahr» mit einem Vorwort von Zora del Buono. Edtion Baes, 2021, ISBN 978-3-9519872-7-9

Kunz: Genau … Ich habe dann eben gemerkt, dass ich energetisch dazu nicht in der Lage war, und kam deshalb aufs Tagebuchschreiben wie viele andere ja auch. Es wurde für mich existentiell wichtig. Man könnte geradezu sagen, dass das Tagebuchschreiben Ausdruck der Suche nach Selbstbestimmung ist. Ich schreibe, also bin ich im Quadrat. Dazu kommt noch das Klavierspielen, künstlerische Arbeit und die Kunst des alltäglichen Tuns. Deshalb schreibe ich auch übers Essen, über Liebesgefühle und nicht nur über die Kopfarbeit. Interessant dabei auch die Frage, worüber ich nicht schreibe …

Aerni: … was vielleicht durch das Lesen erahnt werden könnte…

Kunz: Auch habe ich mich Immer wieder gefragt, wie andere Alleinlebende, denen all das nicht zur Verfügung steht, mit der Situation umgehen. Ich bin in dieser Hinsicht privilegiert.

Aerni: Ob es Ihr persönlichstes Buch von allen ist, sei hier mal offengelassen, aber wir erfahren zwischen den Zeilen allerhand über Ihre inneren Konflikte und Sehnsüchte. Gab es auch Momente, in denen Sie die Philosophie und die Kunst als gescheiterte Stützen empfandest?

Kunz: Noch in der ärmlichsten Hütte wird sich ein Väschen mit einem Zweig, die Figur einer Gottheit oder ein einfaches Spielzeug finden. Genau dies, Anteil zu haben am Reich des Ästhetischen, der Phantasie, des Sakralen, trägt hindurch. Fragen zu stellen, Gedankenreichtum, Spiel, Schönheit und die Erfahrung von Sprengendem, von etwas, das uns aus unserem Weltimmanenzgefängnis hinausschauen lässt, das hilft. Und es ist kein Widerspruch zum Gedanken der Nobilitierung des Alltags. All dies mit Fragezeichen. Mich beflügelt`s. Meistens.

Aerni: «Weltimmanenzgefängnis», ein Wort, das man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Wir erleben hier, bei der Lektüre, nicht nur eine Reise durch Ihre Gedanken, sondern erfahren auch, was Sie gelesen haben. Befanden sich darunter Titel oder Texte, die Sie als Gewinn empfunden haben oder die Sie vielleicht enttäuscht haben?

Kunz: Enttäuscht haben mich jene Intellektuellen, die vorschnell wissen, wie alles ist, es besser wissen als die Experten, die in der Regel bescheiden sind. Schreibende, die zu Kurzschlüssen neigen, mag ich nicht besonders. Ein Kurzschluss ist das Ergebnis eines Zusammenbruchs der Spannung zwischen zwei Schaltungspunkten mit verschiedenem Potential. Oder anders gesagt: Wem der Doppelblick mangelt, der denkt nicht.

Aerni: Zum Glück gibt es auch noch andere Geister…

Kunz: In der Tat, ich bin bewegt worden durch Philosophen, die letztlich angetrieben sind vom Versuch, «alle Dinge so zu betrachten, wie sie sich vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten» – so Adorno. Immer wieder hat mich da auch der Philosoph Ernst Bloch vereinnahmt mit seiner Utopie des transzendenzlosen Transzendierens. Jetzt verwende ich wohl wieder eine etwas strapazierende Formel. Nun ja, Philosophen sind in den Fragen der seelisch-geistigen Vertikalspannung manchmal mutiger als Theologen.

Aerni: Und die Kunst am Text, sprich Literatur?

Kunz: Philosophisches zu lesen genügt mir, wie Sie ahnen, noch nicht. Hölderlin, Trakl, Celan – Poesie, gehört dazu. Auch eigene Versuche. Und Klavier zu spielen, mich mit Kunst auseinanderzusetzen und nach dem Göttlichen zu fragen, unabhängig davon, ob es dieses gibt. All dies hat, wie schon erwähnt, rettende Kraft. Und ich habe es nie ganz aufgegeben, Menschen zu treffen. Zu spüren, dass es Menschen gibt, die uns mögen, ist lebenswichtig. Es gibt keine Kunst des Seins ohne Mitsein.

Aerni: Was hat Sie mehr verändert, die zwei Lockdowns, das Leben auf Halbmast oder das Schreiben dieses Textes?

Kunz: Wir stecken ja noch ziemlich in der Krise. Zurzeit sind meine Gedanken gerade dort, wo Menschen ins Elend gestürzt werden; bei den Kindern – es sind weltweit schätzungsweise eine halbe Milliarde, die nicht zur Schule gehen dürfen; bei den Mädchen, die statt sich emanzipieren zu können, ungewollt schwanger werden …

Aerni: Ein gewaltiges Thema, das uns wohl noch lange beschäftigen wird. Währenddessen verbeissen sich viele Flachdenker in festgezurrte Thesen und Weltbilder…

Kunz: Nun, wir denken immer lokal, schauen auf die Entwicklung der Zahlen bei uns, jammern, wenn wir nicht shoppen gehen können und die Bars geschlossen sind. Einzelne verrennen sich da gedanklich, kommen auf abstruse Behauptungen. «Scheinmeinungen» nannte das ein Vorsokratiker. Wir wissen leider nicht genau, welcher Umgang mit der Krise wirklich gut wäre. Und ich verstehe, dass es schwierig ist, Nichtwissen auszuhalten.

Aerni: Zudem wurde auch unsere Endlichkeit wieder mehr ins Bewusstsein gerückt.

Kunz: Sie sagen es. Ich denke über den Tod nach, ohne da sehr weit zu kommen. Und ich bin selbstverständlich besorgt, was die rettenden Massnahmen in unserer Gesellschaft für Schäden hinterlassen werden, ökonomische, soziale, psychische. Und ja, philosophisch stellt sich die Frage der Autonomie durchaus, um nochmals auf diese Frage zurückzukommen. Darf und soll «der Staat», den wir unversehens als strenges Gegenüber wahrnehmen, derart eingreifen in unsere Lebenswirklichkeit?

Aerni: Lassen Sie mich auf die Frage zurückkommen…

Kunz: Was mich verändert habe?

Aerni: Ja genau.

Kunz: Stellen Sie mir die Frage in ein paar Jahren nochmals.

Aerni: Sehr gerne. Das Lesen dieses Textes führte mich bei aller Neugier auf Ihre persönlichen Erlebnisse auch hin zum Mitdenken über Hegel, Adorno usw., aber auch in Phasen der Rat- ja sogar Hilflosigkeit bin ich geraten, bis hin zur Melancholie. Ich denke an Ihr bereits erwähntes Buch «Die stille Erotik der Melancholie». Hand aufs Herz, wie viel Erotik steckt nach diesem Jahr noch in ihr?

Kunz: Wir sind wohl nicht fürs Alleinsein vorgesehen. Etwas drängt zum Leben in einem Stamm, in einer Sippe, einer Gruppe und seit noch nicht langer Zeit zur Dialektik in einer Zweierkiste. Ich halte es aber für eine gute Übung, sich dem Alleinsein auszusetzen. Komme ich in ein weiterführendes Gespräch mit mir? Oder gerate ich in die Seelenwüste der Einsamkeit? In einem meiner Bücher

Aerni: … im «Wider die Selbstvergessenheit» …

Kunz: Genau, da habe ich ja nachgedacht über die sogenannte Individuation, also den Imperativ Werde, der du bist. Werde die, die du bist. Damit ist gemeint, den Weg der Schatten-Erkenntnis und Ichdistanzierung zu gehen, was der Ganzwerdung dient. Wir müssten wieder ernstnehmen, was Seele ist: das Medium, durch das sich etwas zeigt, was nicht meiner Wenigkeit zu verdanken ist. Trotzdem: Nur für den mystischen Menschen ist Einsamsein Eins-Sein. Einsam kann man sich übrigens auch mitten unter Menschen fühlen.

Aerni: Und für mich als Nichtmystiker?

Kunz: Ungewollte soziale Isolation ist keineswegs mehr süsse Melancholie, darauf wollen Sie wohl hinaus, sondern kann krank machen. Sprachlich und gedanklich unsorgfältig hat man uns soziale Distanz empfohlen.

Aerni: Irgendwo karikieren Sie «Freunde», die nur über sich selber reden, aber sich nie nach der Befindlichkeit des Gegenübers erkundigen. Nun, welche Fragen würden Sie den Leserinnen und Lesern dieses Buches gerne stellen wollen?

Kunz: Das will ich so abstrakt gar nicht beantworten. Ich käme gerne ins Gespräch mit einzelnen Lesenden. Und dieses Gespräch würde sich abhängig vom jeweils entstehenden Resonanzraum ganz anders entfalten.

Aerni: Trotzdem…

Kunz: Ja, um Ihrer Frage doch noch gerecht zu werden: Mich würde interessieren, welche Passagen beeindruckt, irritiert, geärgert, zum Staunen bewegt oder zu was auch immer angeregt haben.

Aerni: Danke, Martin Kunz, bleiben wir im Austausch. Über die fragile Freiheit, über das, was wir wollen und können. Unser Leben und unsere Welt befinden sich im Kippzustand, um so wichtiger bleiben das Lächeln und die Gelassenheit als unsere Stützen, und Bücher, wie dieses hier.

Martin Kunz studierte Philosophie, anthropologische Psychologie, Pädagogik und deutsche Literatur in Zürich und Berlin. Ferner studierte er am Konservatorium und an Kunstschulen und liess sich zum analytisch orientierten gestaltenden Psychotherapeuten ausbilden. Er war Professor an der Pädagogischen Hochschule in Zürich. Heute führt er am Rande des Zivilisationslärms ein Atelier für Kunst und Philosophie in Zürich.
Publikationen (Auswahl): «Honig und Quarz. Lyrik und philosophische Zuspitzungen» (2017), «Die stille Erotik der Melancholie» mit Bildern von Jeanine Osborne (2018), «Wider die Selbstvergessenheit»(2020).

Webseite von Martin Kunz

Beitragsbild © Urs Heinz Aerni

Ist der Beruf „Literat“ erlernbar? von Urs Heinz Aerni

Was haben Silvio Huonder, Friederike Kretzen und Ruth Schweikert gemein? Richtig, sie schreiben Bücher, also Romane. Aber sie unterrichten auch am Literaturinstitut Biel „Literarisches Schreiben“. Der Sinn einer Ausbildung zur Schriftstellerin oder zum Schriftsteller ist in der Literaturszene nach wie vor umstritten.

von Urs Heinz Aerni
Journalist, Korrespondent für den Buchreport in Dortmund und Mitglied des OK-Teams der Literaturtage Zofingen

In den Vereinigten Staaten werden einige Starautoren aus entsprechenden Schulen besonders gefördert und von Verlagen und Presse gehätschelt; das lässt befürchten, dass Talente, ja Genies, die untauglich für disziplinierte Schulbetriebe sind, keine Chance mehr bekämen. Die Gefahr der Aufzucht einer Textkultur mit Normen, die dem zahlungsfreudigen Zeitgeistpublikum entsprechen, läge da auf der Hand. Anbieter und Dozenten werden dies heftig in Abrede stellen und auf die grundsätzlichen Handfertigkeiten verweisen, die ja in jeder Kunstform ebenso erlernt werden müssten wie beispielsweise in der Bildenden Kunst oder im Journalismus.
Schreiben Autorinnen und Autoren bewusst auf ein Zielpublikum hin? Weiß der Schreibende ob er einen Leser bedienen möchte, der eher einen flüssigen Plot oder verschwurbelte Sprachkapriolen oder eine tiefenpsychologische Innenschau bevorzugt? Welche Sprache wird zur Literatur? Ist es, nebenbei gefragt, ein Unterschied, ob ich hier für DIE ZEIT oder das ZOFINGER TAGBLATT schreibe? Müsste ich meinen Stil der Blätter anpassen?

Zurück zur hohen Literatur. Der Schriftsteller Felix Philipp Ingold bemängelte mal in der NZZ das durchschnittliche Sprachniveau des Großteils der aktuellen Literatur. Wirken die Schreibschulen wie diejenige in Biel einem solchen Mangel entgegen? Allerdings ist es erstens schwierig, eine erwünschte Qualität zu definieren; zweitens wäre auch die Diskussion darüber zu führen, ob sich zurzeit Verlegerinnen und Verleger überhaupt noch auf das dünne Eis der Neuentdeckungen wagen – ohne auf Absatzzahlen zu schielen. Womit man bei der Frage angelangt wäre, ob die Kunst vor dem Markt war oder umgekehrt.

Der passende Buchtipp: „Kreatives Schreiben“ von Oliver Ruf, utb Verlag, 978-3-8252-3664-9.

Der passende Anlass: „Können alle schreiben lernen?“ Ein Streitgespräch mit Phlipp Tingler, Michèle Minelli, Manfred Papst und Monika Schärer am 31. Oktober um 10 Uhr an den Literaturtagen Zofingen im Kulturhaus West. www.literaturtagezofingen.ch

Martin Kunz «Die stille Erotik der Melancholie», Bucher

Der Autor und Philosoph Martin Kunz lässt mit sechszehn Gelegenheitstexte zum Innehalten auffordern, sie sollen um Unterbrechen verführen. Zu diesem Buch, das durch die Pandemie-Krise eine neue Qualität erhält, stellt er sich Fragen.

«Ich muss ja nur noch, was ich muss.»
Gastbeitrag von Urs Heinz Aerni

Urs Heinz Aerni: Melancholie ist ein grosses Wort, das jedoch oft missverstanden wird, warum findet dieser Begriff Eingang in den Titel Ihres Buches?

Martin Kunz: Der Vorschlag, die Überschrift des siebten Textes als Buchtitel zu wählen, stammt vom Verleger. Aber ich war sofort einverstanden. Ich will der Melancholie etwas von ihrer Schwärze nehmen. Sie ist das wertvolle Gefühl des Unzulänglichen. Sie steht im Gegensatz zum Affentheater der Eitelkeit. Sie muss nicht in die Resignation führen, sie kann sogar lächeln. Ihr Lächeln wäre dann kein gestelltes, kein nervöses, keines, das die Zähne zeigt. In ihm erschiene ein Ja, das entwaffnet, aber nicht applaudiert. So kann eben auch das Erotische beginnen: als scheues Spiel, dem innewohnt, dass Lachen und Tod Hand in Hand gehen, wie beispielsweise Georges Bataille schön herausgearbeitet hat. Und jetzt sind wir beim Grundton der Betrachtungen in diesem Buch: Es gibt kein Licht ohne Schatten, was nicht zur Schwarzweissmalerei verführen soll, sondern zur Differenzierung der Farbzuschreibungen, zur Nachdenklichkeit. Und diese gehört zur Grundhaltung des Philosophen.

Ihre Reflexionen bewegen sich zwischen Themen gesellschaftlicher Natur und ganz persönlichen Notizen, wie lässt sich auf dieser Gratwanderung, schreiben ohne gleich die Seele ausstülpen zu müssen?

Die meisten dieser Texte sind aus bestimmten Erlebnissen heraus entstanden. Irgendetwas lässt mich nicht mehr los, und so setze ich mich hin, um zu schreiben, um dem vielleicht Zufälligen des Alltags etwas Grundsätzliches abzugewinnen. Ich bin im Spital; bin mit Freunden am Feiern; erhalte eine Nachricht von einem Kritiker meines Denkens; ich sitze am Meer, und es beginnt zu nieseln; eine Klage geht ein wegen des Verhaltens von Studierenden usw. Da kann es geschehen, dass es mich packt, und ich schreibe.

Quasi ein aus der Hüfte geschossener Affekt-Text?

Oder, manchmal entsteht zunächst so etwas wie ein polemischer Kommentar, den lasse ich dann ruhen und setze mich später wieder hin, will über das Glossenhafte hinaus zur wirklichen Erwägung gelangen. Meine Innereien kehre ich nicht nach aussen, aber sie müssen mitbeteiligt sein.

Sie tangieren mit Ihren philosophischen Erwägungen Bereiche wie Religion, Wahrheitssuche, pädagogische Grenzen, Eros, Träume, Sturm und Drang und Respekt. Damit geben Sie zu, dass trotz den immens vielen Tonnen philosophischer Schriften nach wie vor alle Fragen offen sind. Oder nicht?

Warum und wozu noch mehr schreiben? – das frage ich mich manchmal auch. Aber es ist vielleicht die falsche Frage. Schreiben ist wie jede innengeleitete künstlerische Arbeit eine Art Muss. Wenn man Glück hat, interessiert das Hervorgebrachte auch andere. Doch wer nur auf Massenerfolg zielt, ist kein Künstler.

Sagen Sie das mal den Kolleginnen und Kollegen mit Bestsellernauflagen…

«Die stille Erotik der Melancholie», Erwägungenn und Improvisationen, mit Illustrationen von Jeanine Osborne, Bucher Verlag, 2018, 96 Seiten, CHF 22.90, ISBN 978-3-99018-476-9

Natürlich ist gegen Erfolg nichts einzuwenden. Aber zu ihrer Frage zurück: Warum so unterschiedliche Themen? Weil das meinem Selbstverständnis entspricht. Ich sehe mich als vielseitig denkenden Flaneur, als Universaldilettanten auf professionellem Niveau, als jemanden, der kraft seiner Kompetenzen über alles und nichts nachdenken kann. Das ist etwas verspielt gesagt, was Philosophen in einer Welt von Spezialisten wieder sein sollten. Aber selbst eine erhaben gedachte Philosophie ist nochmals aufzubrechen auf eine Weite hin, die sie selber nicht hat. Und dort tummeln sich die Fragen, die wir vielleicht besser umspielen als definitiv beantworten. Platon wird von Aristoteles in Frage gestellt, Aristoteles von Platon. Bedeutende Denkformen fruchtbringend in die Existenz mit hineinnehmen, das wäre ein Philosophieren, das zur Gestaltung des Lebens beiträgt. Und weil dies denkerisch kaum je gelingt, brauchen wir die Kunst. Und wohl auch so etwas wie Religion.

Wie oft kommen Sie sich als Künstler und Philosoph bei der Arbeit in die Quere?

Eine listige Frage. Der Romantiker in mir möchte ja, dass Philosophie, Mythos, Kunst und Logos eins werden. Ich fühle mich Byung-Chul Han verbunden, der kürzlich geäussert hat, dass es der Welt gut täte, reromantisiert zu werden. Der Melancholiker bedauert schmunzelnd, dass dies nicht gelingt. Und der allem Hinterwäldlerischen abholde Spätmoderne sagt Ja, aber zur Welt, wie sie ist.

Und als Musiker…?

Freue ich mich über all das Gelungene in der Musik, die, wo sie ganz bedeutend ist, nie nur bejaht. Als Improvisator versuche ich das auszudrücken, was jetzt gerade zu sagen wäre.

Also mitnichten Konflikte zwischen den unterschiedlichen Schaffensarten?

In Wirklichkeit ist es aber durchaus so, dass sich die Arbeitsformen Denken, Poetisieren, musikalisches Gestalten tatsächlich in die Quere kommen können. Die erste Seminararbeit, die ich damals an der Universität ablieferte, kommentierte mein Professor so: Vielleicht ist es besser, wenn Sie Künstler werden. Ich habe dann zu sortieren gelernt. Aber als ich meine Dissertation schreiben sollte, entstanden wieder zuerst Gedichte. Unterdessen kann ich gut umgehen damit und lasse zu, was sich aufdrängt. Ich muss ja nicht mehr, muss nur noch, was ich muss.

Apropos Kunst, wenn ich ein Gemälde malte mit einem lesenden Menschen, der Ihr Buch in Händen hält, wie müsste dieses aussehen?

Da fällt mir ein Bild ein, das ich als Student liebte: Die Lesende von Jean Jacques Henner, einem während des Fin de siècle beliebten Malers. Das Bild mag künstlerisch problematisch sein, aber ich habe die zum Lesen verführte Daliegende gemocht, eine Nackte, die ihrerseits den Betrachter, scheinbar ohne es zu wollen, noch zu ganz anderem als zum Lesen verführt. Und der Gipfel war, dass, kaum war das Bild aufgehängt, eine Frau in mein Leben trat, die ihr glich und die während einiger Jahre grosse Bedeutung für mich hatte. Orientieren Sie sich also beim Malen des Bildes an einem solchen Ereignis.

Auch für das vorliegende Buch fanden Sie eine Künstlerin, mit der sich schon länger zusammen arbeiten…

Richtig. Nun hat sich ja Jeanine Osborne, eine interdisziplinäre Künstlerin, mit der ich seit rund zwanzig Jahren arbeite, in meine Texte vertieft und eine Fülle von Zeichnungen geschaffen, mit denen sie meine Gedankengänge augenzwinkernd kommentiert. Ich freue mich sehr, dass einige dieser Arbeiten in mein Buch aufgenommen werden konnten. Jeanine Osborne und allen andern, die mich mit ihren Kommentaren zu meinen gedanklichen Streifzügen herausgefordert haben, danke ich herzlich.

Martin Kunz studierte Philosophie, anthropologische Psychologie, Pädagogik und deutsche Literatur in Zürich und Berlin. Weiterhin studierte er am Konservatorium und an Kunstschulen und liessß sich zum analytisch orientierten gestaltenden Psychotherapeuten ausbilden. Bis vor kurzem war er Professor an der Pädagogischen Hochschule in Zürich. Heute führt er am Rande des Zivilisationslärms ein Atelier für Kunst und Philosophie. Von ihm sind u. a. «Honig und Quarz. Lyrik und philosophische Zuspitzungen» (Collection Entrada 2017) und das «Wider der Selbstvergessenheit», Bucher Verlag 2020). 

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P.B.W. Klemann «Rosenegg – Der Weiße Berg», Münster Verlag, Gastbeitrag von Urs Heinz Aerni

«Ein Blick in extreme Zeiten»

Dem aus Süddeutschland stammenden Autor P. B.W. Klemann gelang ein lesenswertes Debüt aus der Perspektive eines Pfarrersohns im 17. Jahrhundert, mit dem er die Lesenden in die Welt des Dreißigjährigen Krieges in einem gewinnenden Erzählton zu verführen vermochte. Zu diesem Buch mit Kulissen von Süddeutschland, dem Bodensee und der Schweiz gibt der Autor Auskunft.

Urs Heinz Aerni: Es ist Ihr erster großer Roman, obwohl Sie schon länger am Schreiben sind. Wie viel Mut braucht es, das Vollbrachte der Welt zu übergeben?

P.B.W. Klemann: Ich habe mit 25 Jahren angefangen regelmäßig zu schreiben. Vier Bücher habe ich angefangen und keines zu Ende gebracht oder mich getraut eines zur Veröffentlichung anzubieten. Ich glaube, wenn einem ständig Geschichten im Kopf herum spuken, man von Abenteuern und Charakteren träumt, seine eigenen Welten erschafft und darin Zeit verbringt, beginnt man notwendigerweise mit dem Schreiben, und somit notwendigerweise mit dem Verfassen eines Romans, ohne dass dazu Mut erforderlich wäre.

Aerni: Aber Mut…

Klemann: Mut braucht es dann, wenn es darum geht, sein Geschaffenes auch zu präsentieren. Für mich lag darin die eigentliche Hürde.

Wie würden Sie die Ursuppe bezeichnen, aus der Ihr Buch entstanden ist?

Vor allem die Lektüre des Schriftstellers Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen und seiner „Simplizissimus-Trilogie“ hat mich inspiriert. Ich fand alle Bücher großartig, und die Vorstellung, dass ich einen Menschen lese, der tatsächlich den Krieg miterlebt und sogar darin gekämpft hat, fand ich insbesondere faszinierend. Bemerkenswert fand ich zudem, dass, obwohl selbst Trossjunge und Soldat, und er zweifellos bei manchem Kampf dabei gewesen sein muss, Grimmelshausen nur sehr indirekt über Kämpfe und Schlachten schreibt. Überhaupt wird der ganze Schrecken – und dieser muss ungeheuer gewesen sein – mit Ironie und Witz stets auf Distanz gehalten und selten, wenn überhaupt, wird ein Einblick in die wirklichen Empfindungen der Charaktere gewährt. Und eben dies war es auch, was ich in meinem Buch anders haben wollte, ein möglicher Blick in die Empfindungswelt während so harten und extremen Zeiten.

Wir kennen und lieben die Romane wie «Name der Rose» von Umberto Eco oder «Der blaue Stein» von Gilbert Ginoué oder «Das Parfum» von Patrick Süskind. Sie erzählen uns eine Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg. Warum?

Auch durch die Lektüre der Bücher von Grimmelshausens brachten mich in diese Zeit. Nachdem ich ihn gelesen hatte, recherchierte ich ein wenig über den Dreißigjährigen Krieg, und war ganz erstaunt, wie wenig ich darüber wusste, obwohl er so verheerend für Deutschland – oder was man damals die «Teutschen Lande» nannte – war, so riesigen Einfluss auf unsere Geschichte hatte und so sehr in Kultur und Sprachgebrauch eingegangen ist. Noch heute finden sich seine Spuren überall.

Die uns gar nicht bewusst zu sein scheinen.

Richtig. Dennoch gibt es erstaunlich wenig Unterhaltungs-Bücher oder Filme über das, was man heute «die Frühe Neuzeit» nennt. Über das Mittelalter, die Wikingerzeit, die Antike, oder über spätere Epochen, das viktorianische England, den ersten und zweiten Weltkrieg, darüber gibt es unzählige wunderbare Geschichten, doch über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, so zumindest mein Empfinden, recht wenig. Auch deshalb wollte ich mich dieser Zeit widmen.

Das Recherchieren ist das Eine. Das Andere ist das Schreiben. Wie lange saßen Sie denn an diesem Projekt?

Ich habe dreieinhalb Jahre lang an «Rosenegg» geschrieben. Im ersten Jahr gerade einmal 80 Seiten, da ich hauptsächlich Recherche betrieb.

Wie nahe bewegen Sie beim Erzählen bei tatsächlich gelebten Menschen?

Die Hauptpersonen Kaspar Geißler und der Graf von Rosenegg sind fiktive Gestalten, ebenso alle Räuber und die Soldaten der späteren «Compania». Auch David von Schellenberg ist erdacht. Die meisten übrigen Gestalten sind wirkliche historische Personen, beziehungsweise Interpretationen von ihnen meinerseits. Besonders am Herzen lag mir die Darstellung von René Descartes – wohl auch, weil ich Philosophie studiert habe – , der bei dem Feldzug von 1620 zwar dabei war, über dessen Erlebnisse es jedoch keinerlei Zeugnisse gibt.

P.B.W. Klemann wurde 1981 in Singen unter der Festung Hohentwiel geboren. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Bohlingen. Der Autor hat an der Universität Konstanz Philosophie und Mathematik studiert. Seine erste Veröffentlichung war seine Abschlussarbeit zu Marc Aurel und der Stoa, die einen Universitätspreis erhielt. Es folgten Bücher im Bereich der Reiseliteratur sowie journalistische Arbeiten rund um Geschichte und Philosophie. Heute arbeitet er als Verlagsleitung und ist freier Drehbuchautor und Schriftsteller. Rosenegg ist somit nicht ganz ein Debüt aber Klemanns erster historischer Roman.

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Sabine Meisel «Vom Glück, einer Vogelspinne zu begegnen», KaMeRu, Interview von Urs Heinz Aerni

«Schreiben erweitert Horizont»
Sabine Meisel veröffentlichte Erzählungen mit Tipps fürs Schreiben und gibt Auskunft, wann die Arbeit am Text als gelungen gilt. Ein Interview von Urs Heinz Aerni mit der Autorin:

Urs Heinz Aerni: Frau Meisel, darf ich Ihnen meinen Lieblingssatz aus Ihrem neuen Buch vorlesen?

Sabine Meisel: Natürlich, ich bin gespannt, welchen Sie ausgewählt haben.

Aerni: Er steht auf Seite 69: «Die kleinen Muskeln, die die Haare aufrichten, werden morgen bestimmt Muskelkater haben.» Ein witziges Bild und so porös nah. Denken Sie an die Leserin und den Leser beim Schreiben?

Meisel: Porös nah, über dieses Bild könnten wir auch diskutieren. Bei der ersten Fassung denke ich nie an die Lesenden, da bleibe ich im Flow der Geschichte. Bei den weiteren Überarbeitungen denke ich sicherlich an die Lesenden.

Aerni: In Ihrem zweiten Buch «Vom Glück, einer Vogelspinne zu begegnen» lassen sich originelle Erzählungen lesen, mit viel ironischem Unterton. Hand aufs Herz, Ihre Wurzeln aus Hanau bei Frankfurt am Main brachten diesen Sound mit, oder?

Meisel: Wurzeln kann ich und will ich gar nicht verleugnen. Wissen Sie, auf was ich richtig stolz bin?

Aerni: Bin gespannt…

Meisel: Dass ich jetzt «geprüfte» Schweizerin bin, nicht erleichtert eingebürgert, sondern geprüft, mit dem Heimatort Winterthur.

Aerni: Sie nahmen früher Teil an Workshops zu Kreativem Schreiben, schreiben heute Kolumnen sowie Bücher und geben wiederum auch Seminare für Schreibfreudige. Unter uns: gibt es hoffnungslose Fälle?

Meisel: Oh Herr Aerni, ich habe einen Hochschulabschluss, einen Master in Biografisch-Kreativem Schreiben, damit unterscheide ich mich von ganz vielen, die wirklich nur ein «Kürsle» gemacht haben und jetzt diesen Markt entdecken.

Aerni: Das heisst?

Meisel: Schreiben vereint Kognition und Emotion. In Schreibgruppen erweitern sich die Erfahrungs- und Wahrnehmungshorizonte, Schreibblockaden können aufgelöst werden.

Aerni: Wie viel Wettbewerb tut der eigenen Kreativität gut?

Meisel: Es werden pro Jahr 100 000 deutschsprachige Werke auf den Markt geworfen, die Konkurrenz ist riesig. Vergleich ist Gift, ich schreibe, weil es beglückt.

Aerni: In Ihrem Buch geben Sie Tipps zu Methodik, Stilistik aber sogar auch mal den Rat, es an anderen Tageszeiten zu versuchen, wie zum Beispiel in der Nacht bei gedimmtem Licht. Haben Sie für sich das richtige Ritual gefunden?

Sabine Meisel «Vom Glück, einer Vogelspinne zu begegnen», KaMeRu, 2020, 200 Seiten, CHF 17.90, ISBN 978-3-906082-67-7

Meisel: Ja sicher, ich schreibe am liebsten morgens im Bett, kuschelig, warm, denn ich bekomme schnell kalte Füsse beim Schreiben, real, nicht im doppelten Sinne! Aber nach tagelangem morgendlichem Schreiben, muss ich wieder unter Menschen, dann schreibe ich im Zug, allerdings nicht zu Stosszeiten und auf längeren Strecken.

Aerni: Die Lesekultur sowie die Sprachkompetenz sollen in der Krise stecken, ist oft zu vernehmen. Doch die Schreibkurse sind gut ausgebucht. Wie gehen Sie mit diesem Kippzustand um?

Meisel: Überspitzt würde ich sagen. Jeder möchte sich mitteilen, aber keiner mehr zuhören und lesen. Kommentarspalten in den Online Medien sind ein Beispiel dafür.

Aerni: Elke Heidenreich sagte mal in einem Interview, dass das eigene Leben der größte «Steinbruch»  für den Stoff des Schreibens sei. Wie sehen Sie das?

Meisel: «Den Steinbruch Leben» konkretisiere ich mit der subjektiven Wahrnehmung. Peter Stamm sagte einmal zu mir, vielleicht würde er auch mal irgendwann biografisch schreiben. Unser Hirn nimmt unbewusst wahr, wir laufen doch nicht blind, taub, ohne Erfahrungen durch die Welt. Oftmals ist uns nicht bewusst, woher plötzlich das letzte Puzzleteil der Geschichte kommt.

Aerni: Ab wann würden Sie die Arbeit des Schreibens als erfolgreich bezeichnen?

Meisel: Die Beglückung in dem Moment des Flows. Wenn ich Menschen zum Nachdenken bringe. Diese Rückmeldungen bekam ich beim Roman «Der Tag wird langsam» von jungen Frauen und Männern, die über ihr Beziehungs- und Erziehungsverhalten nachgedacht haben. Bei Lesungen und beim Theaterspielen, ich spüre genau, wenn der Text die Menschen berührt, dies ist für mich erfolgreich!

Aerni: Für Menschen mit Lust auf Schreiben und vergnüglichen Geschichten, ist Ihr Buch das passende Geschenk. Woran lesen Sie im Moment?

Meisel: Shakespeare für das neue Stück des Schuhtheaters «Schuh in Love» und «das Kopfkissenbuch» der Dame Sei Shonagon. Die Poesie des Alltags ist wichtiger denn je!

Aerni: Würden Sie zum Schluss diesen Satz vervollständigen: «Wenn wir begännen, mit dem Schreiben aufzuhören, dann würde die Welt…»

Meisel: …sich weiterdrehen, aber «Was für eine alltägliche Übung ist das Schreiben – und doch, welche wunderbare Erfindung», dies schrieb die Dame Sei Shonagon, im Japan des 11. Jahrhunderts, deshalb wird es nicht passieren.

Sabine Meisel lebt in Winterthur, 2011 Master of Arts in Biografisch-Kreativem Schreiben. Sie unterrichtet an verschiedenen Institutionen kreatives Schreiben (ZHAW, Krebsliga, SIS). Finalistin des Literaturwettbewerbs Treibhaus. Für das Magazin des Kunsthauses Zürich schreibt sie seit 2016 Kolumnen und für den Stadtanzeiger Winterthur Beiträge über Liebenden aus zwei Kulturen. «Vom Glück, einer Vogelspinne zu begegnen» ist nach «Der Tag wird langsam» (erschien 2016) ihr zweites Buch, beide im Kameru Verlag Zürich erschienen.

Webseite der Autorin

Urs Heinz Aerni «Lugano – Konstanz», Edition Baes

Die Schweizer Literatur ist ein einziges Kleinod! Für die Abrundung dieser Würdigung braucht es dann noch die Begriffe pingelig, verschmitzt-kindlich und unschuldig-intellektuell. Die ideale Erzählposition für die Schweizer Literatur ist immer noch das Traumpaar Heidi-Oheim. Die eine fragt klug, und der andere antwortet altklug. 

Gastbeitrag
von Helmut Schönauer, Innsbruck

Urs Heinz Aerni ist ein Buchbesessener, der mit Händen und Füssen Themen zusammenträgt, um daraus ein Buch zusammenzustellen. Seine Genre-Beschreibung für dieses Tun nennt er «eine Art Feuilleton oder Sammelsurium als Buch». Da Literatur zudem überall auftreten kann, wird man ihrer nur Herr, wenn man mit ihr eine Lesereise plant. «Lugano – Konstanz» ist also eine Art Fahrplan für Lektüre. Aufregend, dass dabei das stille Leseörtchen Innsbruck dabei ist.

Einem Buchfan macht es nichts aus, wenn man die angebotenen Bücher mit starken Wörtern auffrisiert, ja selbst das Klischee nimmt er in Kauf, wenn dadurch jemand ins Innere eines Buches gelockt werden kann. Auch hier gilt die kluge Schweizer Tugend: Promotion darf wie ein Schweizermesser alles, wenn dadurch ein überdimensioniertes Ganzes in menschlich kleine Portionen zerlegt werden kann.

Urs Heinz Aerni hat gewissermassen eine eigene Literaturform erfunden. Es handelt sich dabei um einen essayistischen Kurzimpuls, der verlässlich in einen Buchtipp mündet. «Wann immer der Vortragende vorne den Mund aufmacht, kommt hinten ein Buch heraus», lachen die Kenner seiner Vorgehensweise.

Urs Heinz Aerni «Lugano – Konstanz. Mit Umwegen nach Innsbruck, Lenzerheide, Nonnenhorn und…», 2020, 154 Seiten. EUR 14.90, ISBN 978-3-9504833-3-8.

Öffentliches Telefonieren, Gespräche bei einer Zugspanne, Orientierungslosigkeit in einer Grossbuchhandlung, Nebenbemerkungen zu einem Jazzabend oder Suche nach einem verlorenen Buchstaben: Eine Begebenheit kann im Sinne Robert Walsers nicht klein genug sein, dass sich nicht daraus jene feine Stimmung komponieren liesse, mit der im Herbst ein Blatt zu Boden segelt. Diese ‘Verniedlichungsmethode’ hat den Vorteil, dass auch grosse Unglücke dadurch erträglich werden und Menschen unterschiedlichsten Charakters miteinander ins Gespräch kommen. Denn sollte der Diskurs nicht in Gang kommen, ist bei der Kleinheit des Themas nichts verloren.

Mit diesem Denkansatz unterscheidet sich der Autor vehement von den germanistischen Grossanalysten, die immer erst eine Stunde lang Hegel oder Heidegger zitieren, ehe dann daraus ein Sprachproblem herausgefiltert wird, dass verlässlich nichts mit der Menschheit zu tun hat.
Innsbruck kommt durch diese Zuneigung des Büchernarren zu einer Würdigung, die seiner intellektuellen Grösse entspricht. Der Autor zitiert nämlich: «Soeben komme ich zurück aus Innsbruck!» Dann hört man nichts mehr von der Stadt. Es wirkt, als sei der Autor froh, daraus entflohen zu sein, um wieder etwas Vernünftiges denken zu können. «Digitales Grüssen» etwa, mit passendem Buchtipp.

An seine Grenzen kommt der Schweizer Allrounder freilich, als er dem Witz etwas Positives abgewinnen soll. Ein Buch namens «Soll das ein Witz sein?» bringt Aerni an den Rand des Gelächters. Er versucht, den Witz für die Schweiz zu retten, indem er ihn zur Kunst erklärt.
In einem Bonus-Track gibt es Ausschnitte aus früheren Archiven. Als ob Archive nicht immer früher angelegt sein müssten, die Zukunftsarchive wären nämlich für die Literaturbranche ziemlich harte Kost. Aus der Vergangenheit werden einige Interviews hervorgeholt, worin die  längst verstummten Autoren um die Jahrhundertwende herum noch einmal eine Stimme kriegen, ehe dann der hintere Buchdeckel kommt und alles verstummen lässt.

«Aerni: So sitze ich nun mit zwei Dinosauriern hier am Tisch. Thomas Hettche: Dass Sie hier so ein Gespräch aufzeichnen, das länger als zwei Minuten dauert, qualifiziert Sie auch als Dinosaurier.» Schreiben als Verlangsamung des Lebens!
Und die finale Erkenntnis des Urs Heinz Aerni: Bücher, die nicht gelesen werden, sind so, wie wenn sie nicht da wären.

Helmut Schönauer wurde 1953 geboren und lebt heute als Autor und Dramatiker in Innsbruck. 

Beitragsbild © Jacqueline Aerni-Sanfratello

Thomas Poeschel «Der Nestor», Elster

Der Schriftsteller Thomas Poeschel erzählt im „Der Nestor“ eine Davoser Kunst- und Hoteliersgeschichte und gibt Auskunft über seine Beziehungen zu Barcelona und Graubünden.

Gastbeitrag von Urs Heinz Aerni

„Wie eine Offenbarung“

Urs Heinz Aerni: Ihr Buch mit dem Titel „Der Nestor“ ist Ihrem Vorfahren Ernst Poeschel gewidmet, der 1913 krank nach Davos kam, geheilt wurde, dann selber Hotelier wurde und Gastgeber für für viele Kunst- und Kulturschaffende war. Sie selber sind auch in der Welt der Kultur tätig. Kann man nicht anders, wenn man Poeschel heisst?

Thomas Poeschel: Ich wurde erst ziemlich spät an Erwin Poeschel erinnert, der übrigens nicht mein Vorfahr ist, sondern einer von ungefähr dreissig Cousins meines Grossvaters war. Eines Tages hat mich eine Buchhändlerin in München gefragt, ob ich mit Hans Poeschel, dem älteren Bruder von Erwin verwandt sei, was ich aus Unwissenheit glatt verneinte. Hans war unter anderem eng mit dem Dichter Ernst Pentzold, dem Autor von «Squirrel» befreundet, und ist mir dann plötzlich in US-amerikanischen Militärakten im Zusammenhang mit der Presse-Lizenzierung im Freistaat Bayern wiederbegegnet.

Aerni: Dann kam die Neugier?

Poeschel: So begann, ohne dass ich dies beabsichtigt hätte, eine Spurensuche, die mich schliesslich zu Erwin und seinem wunderbaren Buch über Augusto Giacometti hinführte. Es war Giacometti, der Erwin Poeschel, einen gelernten Juristen und nun Davoser Hotelier, für die Kunstgeschichtsschreibung «entdeckt» hat. Der Dichter Klabund wiederum, ein Protagonist meines Buches, war mir aus Erzählungen von Elga Jacobi, die ihn persönlich aus dem legendären Romanischen Café in Berlin kannte, vertraut. Dann hat sich herausgestellt, dass Klabund lange Zeit im Haus von Erwin Poeschel in Davos gelebt hat, und dort schliesslich gestorben ist. Das ist doch ein reichlich verrückter Anlass, um eine gute Geschichte zu erzählen.

Aerni: In der Tat. Damals trafen sich Künstlerinnen, Schriftsteller, Tänzer und Musikerinnen, tauschten sich aus und feierten. Hand auf Herz: Begannen Sie beim Schreiben nicht eine solche Welt heute zu vermissen?

Poeschel: Wenn Sie „damals“ sagen, meinen Sie wohl die Zeit des Ersten Weltkriegs, als die Schweiz ein Zufluchtsort für jene wurde, die die sinnlose Zerstörung der europäischen Nachbarländer nicht mitmachen wollten.

Aerni: Ja, aber obwohl ich nicht die Weltsituation meine, sondern den Austausch zwischen den Kulturschaffenden…

Thomas Poeschel «Der Nestor», Elster, 2017, 220 Seiten, CHF 41.90, ISBN 978-3-906065-98-4

Poeschel: Sie bildeten eine sehr enge Gemeinschaft, ja sie verstanden sich als Schicksalsgefährten. Sie setzten in Zürich Dada in die Welt. Selbst ein Einzelgänger wie Augusto Giacometti, der ja 1915 als Ausländer selbst Florenz verlassen musste, schloss sich lose an. Als Einzelgänger, in einer, in vielen Ländern Europas von Vereinzelung und bloss virtueller Vernetzung gekennzeichneten Welt, tausche ich mich immer wieder persönlich mit Anderen aus, vor allem auf Reisen. Doch eine so richtig ausgelassene Künstlerfeier, wie sie in «Der Nestor» erzählt wird, habe ich zuletzt nur in Kolumbien erlebt.

Aerni: Die Herausforderung des Biografen über einen Verwandten ist wohl die Wahrung einer kritischen Distanz. Wie gingen Sie dabei vor?

Poeschel: Ich nahm mir ein Beispiel an Erwin. Er war ja Hotelier, ein Schweizer Hotelier, das heisst er war überaus diskret. In meinem Buch «Der Nestor» agiert er in dieser diskreten Rolle des feinen und umsichtigen Gastgebers, der sich gerne etwas im Hintergrund hält, um seinen berühmten Gästen, wie dem Dichter Klabund und der Schauspielerin Carola Neher, dem Romancier Jakob Wassermann oder dem Vortragskünstler Ludwig Hardt mit Vergnügen das Rampenlicht zu überlassen.

Aerni: Sie selber leben in Barcelona und sind immer wieder in München oder in der Schweiz anzutreffen, was hat Barcelona, was Zürich oder Ihr Geburtsort Würzburg nicht haben?

Poeschel: Das Meer. Die Mittelmeerkultur. Auch Andalusien, übt seit mehr als hundert Jahren, besser gesagt seit der Industrialisierung der Küstenregion Kataloniens, einen deutlich spürbaren Einfluss für das bunte Zusammenleben in der Metropole aus. Lateinamerika ist präsent, und wie Sie bestimmt wissen, wurden grosse Romane der Weltliteratur wie von García Márquez der Vargas Llosa in Barcelona verfasst und verlegt. Auch viele Schweizer haben hier ihre Spuren hinterlassen. Das Klima in dieser wunderbaren Stadt bekommt mir schon immer gut.

Aerni: Sie studierten Ethnologie und Philosophie sowie Experimentelle Filmgestaltung, welches von diesen Fächern nutzt Ihnen heute beim Schreiben am meisten?

Poeschel: Kann ich Ihnen nicht sagen. Bei der Arbeit an «Der Nestor» hatte ich komischerweise das Gefühl, wie ein Bildhauer vorzugehen. Nur dass der Steinblock aus nichts Anderem als Zeit bestand.

Aerni: Erwin Poeschel publizierte in den 1920er bis in die 60er Jahren kunsthistorische Bücher über St. Gallen, Liechtenstein und Graubünden. Seine Bibliothek befindet sich im Staatsarchiv Graubünden in Chur. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur Südostschweiz beschreiben?

Poeschel: Ich bin dabei sie näher zu entdecken. Mein Grossvater ist schon viele Jahre vor Erwin Poeschel in die Westschweiz gekommen und hat in Vevey Pharmazie gelernt hat. Als Kind kam ich mehrfach zum Skifahren nach Scuol. Als ich kürzlich in Chur eine rätoromanische Zeitung kaufte, war ich nicht wenig darüber erstaunt, dass ich sie lesen konnte. Es scheint mir eine sehr vornehme Sprache zu sein, die ja einst auch in Bayern gesprochen wurde. Im Werdenfelser Land bestehen heute noch rätoromanische Sprachreste. Im Anschluss an meine Recherchen im Staatsarchiv in Chur bin ich von Thusis nach Zillis gewandert. Es kam mir wie eine Offenbarung vor.

Der Kulturanthropologe Thomas Poeschel verfasste ein umfangreiches zeitgeschichtliches Faust-Buch, «Abraxas. Höllen-Spectaculum». Vor kurzem veröffentlichte er die von Jaime de Córdoba illustrierte kleine Erzählung «Die Madonna mit dem Fisch» (Bucher Verlag). In Bälde wird eine Drei-Geschwister-Biografie zur Exilforschung, «Die Geschwister Olden. Eine Odyssee» erscheinen. Poeschel lebt in Barcelona.

Beitragsfoto © Urs Heinz Aerni

«Bücher sind lebensverlängernd – oder: Bücher als Lebensmittel»

Monika Lustig gründete die Edition Converso mit literarischem Blick zum Mittelmeerraum. Zum mutigen Unterfangen und die Motivation dazu, gibt die in Süddeutschland lebende Verlegerin Auskunft.

Urs Heinz Aerni: Ihr Verlagslogo schmückt sich mit einer Meeresgöttin, der Amphtrite. Wie sind Sie auf sie gekommen?

Monika Lustig: Zum ersten Mal begegnete sie mir als Skulptur auf der Spitze des Mannheimer Wasserturms.  Meine Neugier war hellwach. Dann, die Steintafel gemäss Wikipedia aus korinthischer Zeit, eine Offenbarung…

Aerni: … inwiefern?

Lustig: Den Dreizack kennen wir gemeinhin als Machtsymbol für die Domäne des Fischfangs in der Hand von Neptun oder Poseidon, den Herrschern der Meere. Doch die mythologische Geschichte dahinter besagt: diese Macht war einst die der Frauen. Sie die schöne und stolze Amphitrite mit ihren weltenspiegelnden Augen wollte unverheiratet bleiben, und das reizte den Appetit des Poseidon. Er setzte ihr nach, sie flüchtete. Am Ende erlag sie seinem Schmeicheln …

Aerni: Ob es wirklich Liebe war?

Zum Beispiel: Belinda Cannone «Vom Rauschen und Rumoren der Welt»
Ein sehr origineller wie sinnlicher Ideenroman, in dessen Zentrum zwei Figuren mit «Hyperakusis», extremem Hörvermögen, eine Komponistin und ein Vagabund stehen. Ein Roman, der dem Schrecklichen und Schönen in der Welt gleichermassen nachlauscht und beim Zuhören Widerstandskräfte entwickelt.

Lustig: Poseidons Ziel war die Macht, kaum die liebende Verbindung. Amphitrites Hand löst sich vom Dreizack … der bereits mit dem Myrtenkränzchen der Hochzeit geschmückt war. Diese «Momentaufnahme» der Niederlage wurde zum Logo von Edition Converso. Doch Amphitrite soll den Dreizack wieder fest in ihre Hand bekommen. Weibliche Ästhetik und Kreativität sollen programmatisch im Vordergrund stehen, besondere Wertschätzung erfahren; doch zugleich offenbaren sich mir an erster Stelle die Themen und die Geschichten, die zu Büchern werden, ohne Ansehen des Geschlechts. «Inkohärenzen» sind also mitbedacht.

Aerni: Die Grundbedeutungen von di converso oder con verso, mit Widerspruch, in der Konversation und mit Reim sagt ja schon einiges aus über die Absicht Ihres Verlages. Wie würden Sie dieses Credo für Ihr Programm sonst noch umschreiben?

Lustig: Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben: Das Lesen «die menschlichste aller Gesten» (Fabio Stassi), soll wieder zur lebendigen Praxis des Austausches mit Anderen werden. Dem kurz gewordenen Gedächtnis, dem Geschichts-Vergessen mit all seinen Monstrositäten der Kampf angesagt werden. Hochgestecktes Ziel: Aus allen Sprachen rings um das Mittelmeer, Adria inclusive, Übersetzungen zu veröffentlichen, erzählende wie essayistische Literatur, aber auch Lyrik, um den Mittelmeerraum wieder als einen vereinten und ganzheitlichen Kulturraum zu erkennen, wie er es einst war, und nicht als eine Region unmenschlicher Grenzverläufe und Kriegsgräben. Wir sprechen bislang italienisch, sizilianisch, arabisch, spanisch, griechisch, slowenisch …

Der Verlag soll ein Podium für aufklärerische und verführerisch schöne Stimmen sein. Und doch auch Bücher zu verkaufen, um neue zu machen, um das Gespräch mit der Welt fortsetzen zu können.

Aerni: Es gibt ja Tage, die dem Buch gewidmet werden, wie der 23. April oder diese Vorlesetage…

Zum Beispiel: Hussein Bin Hamza «Ich spreche von Blau, nicht vom Meer»
Hussein Bin Hamzas Gedichte sprechen eine frische knappe Sprache – er meidet jegliche „orientalische“ Blumigkeit. Die Sprache ist ein Rüttelsieb, durch das er die Existenz bis auf die Knochen freilegt.

Lustig: Richtig, aber warum wird am Tag des Lesens immer nur an Kinder gedacht? Wir glauben an die therapeutische Wirkung von Büchern. Politikerinnen und Politiker sollten zur Lektüre verpflichtet werden – einschliesslich dem «Abgehörtwerden» (sie lacht).

Aerni: Sie hegen eine sehr persönliche Beziehung zu Büchern…

Lustig: Es geht um das Weiterlernen, erinnern, altes Wissen ausgraben. Ich will den Beweis antreten, dass allein schon der Besitz von vielen Büchern, mit Sinn aufgereiht, lebensverlängernde Wirkung haben kann.

Aerni: Was führte Sie zur Gründung eines Buchverlages?

Lustig: Die Geschichte hinter Edition Converso nährte und nährt sich, wie alle meine Unternehmungen, von purer Passion und Leidenschaft. In die nähere Vergangenheit blickend war die  2013 begonnene Veranstaltungsreihe  «Südwärts-um-die-ganze-Welt» eine Verlagsvorstufe: sie zeigte auf, wie wichtig die Schnittstelle zwischen der Verklärung des Südens und die Suche des Südens nach Rettung und Zukunft durch den Norden ist. Die damaligen Begegnungen in Karlsruhe mit Autorinnen, Musikern, Verlegerinnen und Übersetzer und die Veranstaltung im Januar 2018 zu «Religionen der Liebe» im ausverkauften Gartensaal des Karlsruher Schlosses mit Stefan Weidner gingen nahtlos über in die Verlagsgründung am 1. März 2018. Weidner wurde dann auch unser erster Hausautor.

Monika Lustig,  Bismarckgymnasium Karlsruhe, Philosophie- u. Germanistikstudium Heidelberg, 1979, statt zu promovieren, Emigration nach Italien:  Insel Elba, Sardinien, Sizilien, Emilia-Romagna. Und Toskana. Sie ist sie bis heute nicht darüber hinweg, Florenz verlassen zu haben. Nach Jahren des Unterrichtens an italienischen Schulen u. Uni, eigene Sprachschule „Studio Fiore Blu“ (Deutsch-Italienisch-Englisch) auf Elba. Geschrieben hat sie schon immer; so auch 1993 (Auftragsarbeit) eine Biografie des Mafiajägers Leoluca Orlando. Lieblingsautoren aus ihrem Übersetzerportfolio: Leonardo Sciascia, Simona Vinci, Santo Piazzese, Fabio Stassi, Simonetta Agnello-Hornby, Marcello Fois, Giorgio Chiesura, der Andrea Camilleri der historischen Romane, u.v.m.. Für ihre Übersetzungen erhielt sie mehrere Stipendien (Deutscher Literaturfond; Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e.V. Befruchtende Aufenthalte im Übersetzerhaus Looren/Zürich. Sie lebt derzeit im deutschen Wald, immer das Mittelmeer vor Augen.

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