David Weber «Schwarzlicht», Knapp

Der Schweizer Autor David Weber legt seinen dritten Roman «Im Schwarzlicht» vor, in dem es um Abgründe in der Kunst und der Liebe geht. Der Philosoph Spinoza spielt darin eine wichtige Rolle. Der Autor erklärt die Hintergründe dazu.

«Malen ist befreiender.»
von Urs Heinz Aerni

Urs Heinz Aerni: Im ersten Roman «Kral» dreht sich eine Liebesgeschichte um die Raumplanung Schweiz, im «Reduit» zerbröselt ein Beziehungsgeflecht an einem Geschäftsmodell mit Überlebensbunkern und im Roman «Im Schwarzlicht» betreten Sie die Welt der Raubkunst umrankt mit einer zerstörerischen Liebe. Wenn Sie ein neues Buch beginnen, was ist denn als erstes da, die Kulisse einer Liebe oder der gesellschaftliche Aspekt?

David Weber: Im Falle dieses Romans war beides gleichzeitig da. Andys zerstörerische Liebe und der zerstörerische Sog eines Kunstwerks, dem Ludmilla verfällt.

Das klingt nach einem persönlichen Moment als initialem Auslöser…

Richtig. Es begann mit einem Zufall, ähnlich wie ihn Andy Heim, der Hauptprotagonist, erlebt. In einem menschenleeren Atelier traf ich auf ein Bild, das mich faszinierte. Davor lag ein Ausstellungskatalog mit dem Porträt einer Frau. Ich nahm an, dass es die Künstlerin sein müsse. Diese zwei Dinge haben eine Gedankenspirale ausgelöst. Am nächsten Tag wusste ich, dass ich über eine verrückte Liebe und ein magisches Gemälde schreiben würde.

«Im Schwarzlicht» beginnt mit einem Prolog à la James Bond mit einer Auktion die mit Kopfschütteln über den gebotenen Betrag endet. Wann beginnen Sie mit der Dramaturgie, wenn die Geschichte schon steht, oder…?

Der Roman hat Züge eines Thrillers. Da muss der Plot stimmen, der kann nicht erst während des Schreibens entstehen. Aber ich lasse mich immer wieder überraschen. Anfang und Schluss des Buches waren so nicht geplant. Die Story würde auch ohne funktionieren, aber das Ende wäre zu abschließend gewesen. Jetzt verweist der Prolog auf den Schluss, so entsteht eine Art Bilderrahmen, zwischen dem sich die Geschichte entfaltet.

Die Figur Andy Heim verliert sich, das eigene familiäre Leben zerstörend, in das Charisma der Künstlerin Ludmila Borodin. Wird zum Geliebten, deren Muse ja Sklave. Ein gendergerechter Umkehrschub als Hommage der weiblichen Musen in der Kunstgeschichte?

David Weber «Im Schwarzlicht», Knapp Verlag, 2021, 390 Seiten, CHF 29.00, ISBN 978-3-906311-76-0

So habe ich das nicht gesehen, aber man kann selbstverständlich aus der Besonderheit, dass Andy zum männlichen Aktmodell wurde, diesen Schluss ziehen. Tatsächlich sind es vor allem weibliche Musen, die Geschichte geschrieben haben. Vermutlich, weil die Kunstgeschichte bis Ende des 20. Jahrhunderts von Männern dominiert wurde. Mir ging es darum, Ludmilla als starke, skrupellose Persönlichkeit zu zeigen, die sich nimmt, auf was sie Lust hat. Insofern sind die üblichen Geschlechterrollen vertauscht.

Was ganz anderes, Sie rhythmisieren Ihren Erzählstil, in dem Sie bei Dialogen auf Anführungs- und Schlusszeichen verzichten und auch den Umbruch des Layouts entsprechend so gestalten, dass pro Zeile manchmal nur ein Wort steht. Wie kam es dazu?

Es hat mit Abstraktion und Rhythmus zu tun. Der Fluss wird besser und der Text beginnt zu atmen. Der Satzbau ist natürlich auch ein Mittel, um Spannung zu erzeugen.

Interessant sind die gewählten Namen Ihrer Figuren. Die Künstlerin, die mit ihrer Verführungskunst und krimineller Energie zur Falle der Hauptfigur wird, heißt Ludmilla Borodin. Die russische Geschichte ist voll mit diesem Namen, von Komponisten, Banker über Fußballer oder Revolutionären.

Ich habe den Namen beim russischen Komponisten Alexander Borodin geliehen. Der Name musste klingen und zweifelsfrei russisch tönen. Dafür gibt es eine Bewandtnis, die erst gegen Ende der Geschichte aufgelöst wird.

Auch in diesem Roman spielen Sie das Spiel zwischen kleinbürgerlicher Provinz und große weite Welt, wie Toggenburg und Russland, was einen leichten ironischen Unterton erklingen lässt. Absicht?

Es sind die Gegensätze, die Spannung erzeugen. Wie das Glarner Hinterland und Nizza, beides Stationen von Andys Odyssee. Andy und Ludmilla sind gegensätzliche Persönlichkeiten, auch die Welten, in denen sich die beiden Hauprotagonisten bewegen, könnten nicht unterschiedlicher sein.

Durch diese ganze Geschichte führt der berühmte rote Faden durch den Philosophen Spinoza (1632 – 1677), was ein Grund mit für die Lektüre Ihres Romans spricht. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu diesem Denker beschreiben?

Ich habe mich erst mit Spinoza befasst, als ich für die Figur Andy Heim ein Thema für seine Masterarbeit suchte. Es musste ein Philosoph sein, der ihn überforderte. Mit Spinoza wollte er sich etwas beweisen, aber die «Ethik» verweigerte sich ihm. Erst als er sich dem zweiten bis fünften Teil dieses epochalen Werks zuwandte, erschlossen sich ihm die Lehrsätze. Die Lehre über die Affekte wurde völlig unerwartet zu einem Spiegel seiner Gefühle.

Mit anderen Worten, Sie haben sich mit dem Philosophen zu beschäftigen begonnen, als Sie wussten, dass Ihre Romanfigur über ein Werk Spinozas eine Masterarbeit schreiben wollte?

Kann man so sagen. Für den Roman musste ich mich mit diesem sperrigen Denker auseinandersetzen. Ich habe Philosophiestudenten und einen Philosophen interviewt und wurde tatsächlich gefragt, ob ich eine Masterarbeit über Spinoza schreiben würde.

Ohne zu viel zu verraten, darf erwähnt werden, dass in Ihrem Roman die malende Kunst nicht nur den Kunsthandel antreibt, sondern einen therapeutischen Effekt ausübt. Wie sehen Sie das mit dem Schreiben?

Ich denke, Schreiben eignet sich nicht in dem Mass wie Malen als therapeutisches Medium. Natürlich gibt es Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die ihr Ego mit Schreiben therapieren, aber dann ist die Peinlichkeit nicht weit. Beim bildnerischen Gestalten kann man sich mehr von der eigenen Person lösen. Insofern wirkt Malen befreiender.

Inspirationen generieren neue Objekte. Wie ist es in der Literatur? Bei der Lektüre erinnert man sich an den Roman «Athena» von John Banville, in dem sich ein Gutachter ebenfalls in eine Frau verliebt und sich deshalb im Kunstraub verheddert. Wie wichtig ist für Sie literarische Inspiration?

Natürlich gibt es die literarische Inspiration, ich lese viel, aber John Banville kenne ich nicht. Ich werde «Athena» nachholen. Ansporn, einen Thriller zu schreiben, war «Ruhelos» von William Boyd. Im Hinterkopf war das Werk vorhanden, als ich erste Skizzen zu «Im Schwarzlicht» entwarf. Thematisch ist es völlig anders gelagert, aber die Hauptrolle spielt ebenfalls eine starke Frau. 

«Nichts ist da, aus dessen Natur nicht eine Wirkung erfolgte» laut Spinoza. Welche Wirkung würden Sie sich für Ihre Leserinnen und Leser wünschen?

In erster Linie sollen sie sich gut unterhalten, sie sollen überrascht werden, das Buch verschlingen. Erste Feedbacks zeigen, dass Leserinnen und Leser Anteil an Andy Schicksal nehmen, das ist natürlich erfreulich.

Die Lektüre kann Boden locker machen…

Es gibt auch einige Geschichten in der Geschichte, die neugierig machen und Lust auf mehr wecken. Im Mittelpunkt des Romans steht ein Gemälde, eine Ikone der Kunstgeschichte. Die Legenden, die sich um dieses Mysterium ranken, kann der Leser gerne weiterverfolgen.

David Weber wurde 1952 in Zug geboren, studierte Architektur und befasst sich seit seiner Jugend mit Musik und Literatur. Er lebt und schreibt in Zug und Caccior (Bergell, Graubünden). Im Schwarzlicht ist sein dritter Roman. Bereits erschienen sind Kral (2018) und Reduit (2019).

David Weber «Reduit», Knapp Verlag, Gastbeitrag von Urs Heinz Aerni

„Mich reizen Antihelden!“
„Reduit“ heißt der neue Roman von David Weber, der in Bergell schreibt, in Zug wohnt und auf die Schweizer Mentalität seinen Antihelden loslässt.
Urs Heinz Aerni stellte ihm Fragen.

Urs Heinz Aerni: In Ihrem Roman „Reduit“ versuchen drei Freunde ehemalige Bunker der Schweizer Armee an sicherheitsbedürftige Reiche zu verkaufen. Eigentlich eine super Idee, könnte dies nicht auch real sein?

David Weber: Man weiß nie, wann andere auf die gleiche Idee kommen, so weit hergeholt ist sie ja nicht, sagt Heinrich Schultheiss auf Seite 56 des Romans, um seine Eile für die Umsetzung des Plans zu rechtfertigen. Tatsächlich war im März 2019 den Medien zu entnehmen, dass eine Privatperson die Festung Furggels bei Sargans – die drittgrößte Festungsanlage des Reduits – gekauft hat, um sie als Arche Noah für den Katastrophenfall zu nutzen. Das „bombensichere“ Geschäft zielt wie im Roman „Reduit“ auf finanzkräftige Ausländer.

Aerni: Die Story bringt den Lesenden nicht nur in ein Netz von Täuschung und Gier, sondern man wird Zeuge eines Zerfalls von Freundschaften. Im Zentrum steht die Figur Al, ein etwas zögerlicher und unsicherer Mann. Wie haben sie diesen erfunden oder entdeckt?

Weber: Mich reizen Antihelden. Al von Rickenbach ist ein erfolgloser Architekt, der lieber kocht. Er ist zwar auf den ersten Blick cool, hat sich in einem netten Leben als Junggeselle mit wechselnden Partnerschaften eingerichtet. Aber effektiv flüchtet er vor der Verantwortung einer Beziehung. Er ist zufrieden, wenn er in Ruhe gelassen wird – ein Umstand, der sich im Laufe seines „Reduit“-Engagements radikal ändert und zur Prüfung wird.

Aerni: Dürfte „Reduit“ auch als ironische Spiegelung der Schweizer Mentalität interpretiert werden?

Weber: Natürlich. Man kann den Roman als Parabel auf das Schweizerische Sicherheitsdenken sehen. Wir haben das Geschäft mit der Angst kultiviert: Versicherungen und Banken leben davon, Normen und Gesetze sichern ab. Sehr schweizerisch.

Aerni: Auf der Rückseite des Buches lobt ein Stabsoffizier Ihren Roman u. a. mit den Worten „Vorsicht beim Lesen!“. Rechnen Sie mit weiteren Reaktionen aus Militärkreisen, da sie deren Reduit wieder ins Scheinwerferlicht bringen?

Weber: Das Lob sehe ich eher als Augenzwinkern. Das Reduit bildet zwar den Drehpunkt der Story, aber militärisch ist die Geschichte keineswegs.

Aerni: Der Roman spielt u. a. in Zürich. Sie als gebürtiger Zuger leben in Zug, wäre denn Zürich nichts für Sie?

Weber: Ich hatte meine Planungsfirma in Zürich. Ich liebe Zürich, kenne die Stadt. Ich lebe in Zug und im Bergell, bin immer noch viel in Zürich, aber Leben muss ich nicht dort. Zug liegt 25 Bahnminuten entfernt.

Aerni: Der Bauboom in Zürich ist ungebrochen, ganz ehrlich und unter uns, wie bewerten Sie als Architekt die aktuellen Bautrends?

Weber: Ich habe die städtebaulichen Entwicklungen in der Agglomeration Zürich mitverfolgen können. Es gibt viele positive Ansätze und viele ernüchternde Fehlplanungen. Die Frage des Maßstabs und der adäquaten Nutzungen bilden viel Konfliktpotential. Private Investoren suchen in erster Linie die Rendite, nicht den Konsens mit der Stadt und ihren Bewohnern.

Aerni: Sie sind und schreiben oft im Bergell, auch eine Art Reduit für Sie?

Weber: Das Bergell wurde für mich und meine Frau zu unserer zweiten Heimat. Es ist eine kulturelle Herausforderung und ein Gegenpol zum städtischen Mittelland. Wir haben fantastische Menschen kennengelernt und sind viel in der Natur, deshalb ist es kein Ort, wo ich mich einbunkern will, sondern ein Ort der Inspiration.

Aerni: Ein Zuger findet im Gotthard ein Roman-Motiv. Wo im Bündnerland gäbe es auch noch Orte, in denen Romanstoffe schlummern könnten?

Weber: Da könnte ich viele nennen. Sils, die Seen, der Nationalpark, Davos (ein neues Projekt wird dort beheimatet sein) und es gibt die Persönlichkeiten, die zum Schreiben anregen. Die Zuckerbäcker, die Künstler, Alberto Giacometti als Paradebeispiel des erfolgreichen Auswanderers.

Aerni: Warum würden Sie anderen Romanciers das Bergell als Schreibort empfehlen?

Weber: Das Bergell ist eine faszinierende „andere“ Welt, eine Mischung aus Abgeschiedenheit und Offenheit. Eine Landschaft der Gegensätze. Einerseits das Wilde des engen Bergtals, anderseits die Offenheit des Oberengadins und die Verbindung zu Italien. Es ist eine Situation, die herausfordert und anregt.

David Weber, Architekt, Musiker und Autor, lebt und schreibt in Zug und Caccior (Bergell). Er studierte «Literarisches Schreiben» an der Schule für Angewandte Linguistik in Zürich. Sein erster Roman „Kral“ erschien 2018 und sein neuer Roman „Reduit“ in diesen Tagen im Knapp Verlag.