Nachdem ich voller Begeisterung Daniela Danz letzten Roman «Lange Fluchten» gelesen hatte, schrieb ich ihr auf ihrer Webseite einen kurzen Kommentar, etwas das ich gerne tue, in der Hoffnung auf eine Reaktion. Prompt schrieb sie zurück. Und ein paar Tage später begleitete ich sei ein Stück auf ihrer Reise im Zug nach Bern an das dortige Lyrikfestival. Als ich am Romanshorner Hafen wartete, sah ich Sie zusammen mit Peter Stamm oben auf der Brücke über den Autos auf der Fähre. So bestiegen wir zu dritt den Zug und ich genoss ein interessantes Gespräch über Schule, Beruf und das Handwerk des Schreibens.
Es gibt Schreibende, die Geschichten erzählen wollen, mit Spannung fesseln. Andere, die politische und gesellschaftskritische Inhalte und Meinungen in literarisches Schreiben verpacken. Was wollen Sie mit Ihrem Schreiben? Ganz ehrlich!
In erster Linie möchte ich wahrscheinlich Textgebilde schaffen, die mich beglücken. Beglücken deshalb, weil ich eine Sache nach meinen Vorstellungen formen konnte, etwas geschaffen habe. In zweiter Linie möchte ich auf diese Weise ein paar Fragen klären, die ich an die Welt habe und hoffe, dass die Antworten, die ich finde, auch anderen nützlich sein können. In dritter Linie brauche ich immer mal Geld für die nicht kleine Familie.
Hat Literatur im Gegensatz zu allen anderen Künsten eine spezielle Verantwortung? Oder werden Schriftstellerinnen und Schriftsteller gegenüber andern Künsten anders gemessen? Warum sind es vielfach die Schreibenden, von denen man in Krisen eine Stimme fordert?
Das ist eine Frage, über die ich schon sehr oft nachgedacht habe. Also nicht in Bezug auf die anderen Künste; da hat die Konzentration auf die Schriftsteller wohl einfach den praktischen Grund, dass sie zwangsläufig ganz gut mit Worten umgehen können und sich auch gerne von sich aus zu Wort melden. Ich würde jetzt nicht unbedingt einen Schriftsteller aufsuchen, wenn ich Aufschluss über die Weltlage wünschte. Ich frage mich diese Frage aber in der Form: Ist der Autor verantwortlich für die Vereinnahmung und den Missbrauch seiner Werke. Die einfache Antwort ist natürlich: Nein, warum – wenn das Werk nach seinen ihm innewohnenden Maßstäben wahr ist. Und etliche Texte eignen sich ja auch gar nicht zum Missverständnis. Es gibt aber andere, die gerade in Grenzbereiche dieser in der Frage angesprochenen Verantwortung gehen und deren Anliegen es ist, den Leser zu irritieren und ihn seine Position aus der Irritation heraus finden zu lassen. Was ist mit denen?
Inwiefern schärft Ihr Schreiben Sichtweisen, Bewusstsein und Einstellung?
Meine eigenen oder die des Lesers? Meine eigenen sowieso, s.o. Falls das auch bei anderen Menschen gelingen sollte, dann wohl am ehesten auf die Art, dass gefestigte Überzeugungen destabilisiert werden und derjenige muß sie dann wieder neu zusammensetzen. Was wir ja sowieso ständig im Leben tun sollten, sobald wir die Kapazität dazu haben. Ich würde gern der Welt die Komplexität, die wir ihr durch die täglichen Routinen (auch des Denkens und Fühlens) nehmen, wieder zurückgeben.
Erzählen Sie kurz von einem literarischen Geheimtipp, den es zu entdecken lohnt und den sie vor noch nicht allzu langer Zeit gelesen haben?
Eine echte Entdeckung war für mich der Autor Jürgen Kross, den ich im Frühjahr kennengelernt habe und dessen Gedichte ich sehr mag. Sie sind, geprägt von seinem Interesse an lateinischer Syntax, sehr fein gebaute syntaktische Versuchsanordnungen. Ich finde diese kleinen Irritationen und Bedeutungsverschiebungen durch Sprachmaterial wie Hölderlin es ja auch getan hat, das Wichtigste, was Lyrik leisten kann. Dabei sind sie aber ganz schlicht in ihrem Repertoire.
Wie ich Jürgen Kross kennenlernte, ist auch eine schöne Geschichte. Ich kannte den Namen gar nicht als ich in einer Buchhandlung in Mainz nach einem Geschenk suchte und mich über lateinamerikanische Literatur, von der ich wenig Ahnung habe, von dem Buchhändler des kleinen Ladens beraten ließ. Ich kaufte das empfohlene Buch, obwohl der Inhalt mir als Geschenk nicht ganz passend schien, aber alles, was er darüber sagte, war so überzeugend, dass ich ihn bat, das Buch für den Beschenkten zu signieren und mir eine Empfehlung hineinzuschreiben. Seine Schrift war bemerkenswert wie ja auch seine Ausführungen und wir unterhielten uns weiter, wobei ich herausfand, dass er selbst Autor ist.
Zählen Sie 3 Bücher auf, die Sie prägten, die Sie vielleicht mehr als einmal gelesen haben und in Ihren Regalen einen besonderen Platz haben?
Hölderlin: Gedichte
Achmad Schamlu: Blaues Lied (leider der einzige ins Deutsche übersetzte Band und Farsi kann ich leider nicht)
Peter Waterhouse (ungefähr alles von ihm)
Was tun Sie mit gekauften oder geschenkten Büchern, die Ihnen nicht gefallen?
Wir dämmen die Wände im Flur damit, aber das Projekt scheint auch bald abgeschlossen …
Schicken Sie mir ein Foto von Ihrem (unaufgeräumten) Arbeitsplatz?
(Das Foto ziert den Anfang des Interviews.) Ich bin für drei Monate nicht in Deutschland, deswegen kann ich jetzt nur ein Bild vom Schreibtisch hier schicken. Der zu Hause ist sowieso zu groß fürs Bild, ich habe ihn mir über die Länge von anderthalb Wänden gebaut und er ist eigentlich immer ordentlich, weshalb er dann ja auch nicht in Frage kommt.
Eine Abenteuergeschichte über die Abgründe des eigenen Ichs, eine moderne Legende – bildmächtig, geheimnisvoll, bezwingend.
Alles um Constantin herum scheint merkwürdig weit weg, auch wenn es auf den ersten Blick aussieht, als wäre alles in Ordnung. Tons lebt mit seiner Frau und zwei Jungen auf einem Grundstück zusammen; aber das Wort «zusammen» beschreibt es nicht ganz: Ein Haus hatten sie einmal bauen wollen, jetzt wohnen sie noch immer in provisorischen Containern in zwei Stockwerken, unten Cons, oben die Frau mit den Kindern. Etwas in Cons wirkt wie zerbrochen; er ist seit seinem «Aussetzer» bei einer Übung als Zeitsoldat, an den er sich nur vage erinnern kann, wie aus der Welt gefallen. Ja, die Welt ist ihm abhanden gekommen. Unfähig, sich von der Fokussierung auf ein Ziel zu lösen, das es nicht mehr gibt, gleitet Cons aus alten Freundschaften und aus dem Leben seiner Familie in eine richtungslose, nächtelange Pirsch.
Angelehnt an die Legende des römischen Feldherrn und Jägers Eustachius schreibt Daniela Danz ein radikales Buch über den Sog des Scheiterns und die vergebliche Tapferkeit eines Mannes, der sich noch einmal mit aller Macht der Fluchtlinie seines Lebens entgegenstemmt, bevor er in eine alptraumhafte Irrealität sich überschlagender Ereignisse gerät.
Daniela Danz wurde 1976 in Eisenach geboren und lebt in Kranichfeld. Sie studierte Kunstgeschichte und Germanistik in Tübingen, Prag, Berlin, Leipzig und Halle und promovierte über den Krankenhauskirchenbau der Weimarer Republik. Seit 2002 ist sie freiberufliche Autorin und Kunsthistorikerin. 2010 gründete sie die Internationale Schülertextwerkstatt svolvi und bekleidet seit dieser Zeit einen Lehrauftrag an der Universität Hildesheim. Daniela Danz ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz und leitet seit Juni 2013 das Schillerhaus in Rudolstadt.
Vielen Dank an Daniela Danz! Anfang Oktober folgt das Interview mit Michèle Minelli. Seien Sie wieder Dabei!