literaturblatt.ch fragt Ariela Sarbacher zu ihrem Debüt «Der Sommer im Garten meiner Mutter»

Ariela Sarbacher, kürzlich Gast im Literaturhaus Thurgau, beantwortet Fragen, die ich ihr gerne gestellt hätte.

Dein Buch beginnt mit einer Frage und einer Antwort:
„Mamma, was passiert, wenn man tot ist?“ „Dann wird plötzlich alles dunkel.“ Dein Buch endet mit dem selbstbestimmten Tod der Mutter. Dazwischen liegt alles. Vom Licht, das ausgelöscht wird, bis zum Drang, das Licht selber auslöschen zu wollen. Hat sich dein Verhältnis zu Sterben und Tod durchs Schreiben verändert?
In der Auseinandersetzung um den Entschluss der Mutter lernt Francesca diesen zu respektieren und sie aus der Verantwortung der Mutterrolle zu entlassen. Dadurch ändert sich Francescas Verhältnis zu ihrem Leben. Ihr wird bewusst was es heisst, ganz auf eigenen Füssen zu stehen und für sich selbst weiter zu gehen. Ich selbst habe noch kein Verhältnis zum Tod, ausser, dass ich noch lange hier bleiben möchte.

Du hast in der Ich-Perspektive geschrieben und dabei viel Nähe zugelassen. Warum nicht eine Perspektive aus der dritten Person?
Ich wollte eine eindringliche Erzählperspektive einnehmen, in der sich die Figur der Tochter durch verschiedene Lebensalter hindurch in unterschiedlicher Tonalität mit der der Mutter konfrontiert. Die Unmittelbarkeit war mir wichtig, durch die die Leser sich der Perspektive der Tochter nicht entziehen können und an ihr reiben müssen. Die dritte Person hätte Distanz zwischen den Lesern und dem Text geschaffen.

© Lea Frei/ Literaturhaus Thurgau

Dein Buch erzählt nicht chronologisch, sondern springt in der Zeit, fügt Stücke zusammen. Es gibt ganz lange Einstellungen und ganz kurze. Eigentlich so, wie wirkliches Erzählen passiert. Als sässe man vor einer ungeordneten Schachtel mit Fotografien. Kannst du etwas über die Entstehung deines Buches erzählen, wie sich die Geschichten zusammenfügten?
… ja, so wie wirkliches Erzählen passiert und so wie man auch lebt: mal bin ich ganz gegenwärtig, dann lasse ich mich von der Vergangenheit einholen und vielleicht auch bestimmen, dann träume ich mich vorwärts in eine unbekannte Zukunft, bin wieder hier … Die Stimme der «Kleinen» brachte den Stein ins Rollen. Die Zeitsprünge entstehen jedoch innerhalb einer Chronologie und einer genauen Dramaturgie.

Dein Roman ist durchsetzt mit Gedichten. Du bist Schauspielerin. Die Protagonistin Francesca auch, aufgewachsen in Sprache, in verschiedenen Sprachen. Was bedeutet Sprache im Leben von Ariela Sarbacher?
Knappe Sätze, die in ihrer Aussage verdichtet sind, liegen mir mehr, als das Weitschweifige. In den Gedichten finde ich Ausgleich und Freiheit, komplizierte Sachverhalte in Rhythmus und Klang zu verwandeln, ohne sie ihrer Komplexität zu berauben. Das Gedicht lässt keine Erklärung zu, es spricht für sich. Sprache bedeutet für mich persönlicher Ausdruck – sowohl beim Sprechen als auch beim Schreiben – und, wenn es gelingt, Kommunikation mit anderen. Ich könnte mir nie für mich vorstellen ein Schweigeseminar zu besuchen, das wäre die Hölle! Rückzug ist mir wichtig, aber immer mit der Möglichkeit nach aussen zu kommunizieren. Sprache bedeutet auch Identität.

Keine Angst, dass das in einer zukünftigen Welt immer mehr schwindet oder sich bis zur Unkenntlichkeit verändert?
Ich frage mich manchmal, was die verkürzte schnelle Art der schriftlichen Kommunikation mit uns macht. Kommunikation findet auch auf der nonverbalen Ebene statt. Sprache geht durch den Körper. Deswegen ist es wichtig, den ganzen Menschen gegenüber zu haben. Darin sehe ich eine Gefahr, in dieser zunehmend digitalisierten Welt. Ich fürchte mich vor einer körperlosen Welt, in der man vor allem schaut, tippt und auf dem Bildschirm nur noch den Ausschnitt von sich wahrnimmt, den man wahrhaben will.

© Lea Frei / Literaturhaus Thurgau

Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter in deinem Roman ist ein schwieriges, weit entfernt von der stets stark idealisierten Kind-Mutter-Bindung. Schon früh macht die Mutter der Tochter klar, dass sie nicht zur Mutter taugt, dass es besser gewesen wäre, es wäre gar nicht soweit gekommen. Schon alleine das wäre Stoff genug für ein Trauma. Aber die Mutter ist ehrlich. Hat Ehrlichkeit Schmerzgrenzen?
Die Mutter ist authentisch und handelt aus Überzeugung, ohne sich darum zu kümmern, wie die anderen damit zurechtkommen. Es ist nicht so, dass sie zur Rolle der Mutter nicht taugt, sie geht in der Rolle nicht auf.

Gibt es eine Beziehung, der man mehr Nähe zutraut, als einer Mutter-Tochter-Beziehung? Warum habe ich den Eindruck, dass die Nähe zu einem Vater nie von dieser Nähe sein kann?
Die Tatsache, dass ein Wesen im Körper einer anderen Person entsteht und neun Monate lang darin heranreift, ist nicht zu unterschätzen.

© Lea Frei / Literaturhaus Thurgau

Francesca wird schon als kleines Kind klar, dass ihre Mamma anders ist, nicht nur in ihrer Art zu gehen, die von einer langen Krankheit in der Jugend der Mutter begründet liegt. Aber Francesca liebt ihre Mutter. Sie verteidigt ihre Mutter, so wie das alle Kinder bis zu einem gewissen Alter tun. So wie alle Kinder ihre Mütter lieben. Aber diese Liebe bleibt ambivalent. Wann wird eine solche Ambivalenz schwierig?
Nicht die Liebe ist ambivalent, sondern das Verhältnis zwischen den beiden.

Irgendwo in der Mitte des Buches steht: „Seit ich zurückdenken kann, bin ich traurig. Die Trauer ist flach. Ich werde sie nicht los.“ Das sind Sätze, die sich eingraben. Und trotzdem ist dein Roman nicht selbstzerfleischend. War das alles Plan oder war das Schreiben intuitiv? Wie erreicht man es, dass der Ton nicht weinerlich wird?
Es freut mich, dass Du diesen Satz erwähnst. Es war der Versuch, der Geschichte auf den Grund zu gehen, da hätte Weinen keinen Platz gehabt, ich wollte die Geschichte ja begreifen, so habe ich sie Stück für Stück fortgeschrieben.

Beitragsbild © Lea Frei / Literaturhaus Thurgau,